Zeitgeschichte von und in Jüdischen Museen

Kontexte – Funktionen – Möglichkeiten

Anmerkungen

„Er war ein überzeugter Europäer zu einer Zeit, als kein Mensch in Europa sich als Europäer fühlte. [...] Alle anderen waren panslawische, großdeutsche oder einfach nur litauische [...] Patrioten. [...] die Juden [waren] die einzigen Europäer in ganz Europa.“1
 

Mitten in der Stadt, direkt neben dem Viktualienmarkt, eröffnete im Frühjahr 2007 das Jüdische Museum München. Integriert in ein Ensemble aus der neuen Hauptsynagoge, dem jüdischen Gemeindezentrum und dem Stadtmuseum, soll es nicht nur ein Ort von Geschichte und Erinnerung sein, sondern ein Ort der Gegenwart, Kommunikationsraum und Haus der Begegnung. Jüdisches Leben in den verschiedensten Facetten in Vergangenheit und Gegenwart zu zeigen - das ist Konzept und Ziel des neuen Museums.
 

Offenheit signalisiert das Jüdische Museum München mit dem gläsernen Foyer im Erdgeschoss (Foto: Jüdisches Museum München).

Im deutschsprachigen Raum existiert eine Vielzahl von musealen und erinnerungskulturellen Orten, die sich mit der lokalen jüdischen Geschichte sowie ihrem Endpunkt, der nationalsozialistischen Vernichtung, auseinandersetzen. Im Mittelpunkt der Institutionen - Gedenkstätten und Museen - stehen zumeist der Holocaust und die Erinnerung an ihn. Dagegen versuchen jüngere Museen, die ich die „neuen Jüdischen Museen“ nenne, andere Wege zu beschreiten und Brücken zu der Zeit nach 1945 zu schlagen. Wie sehen diese Brücken aus?2

1. Kontexte

Am Ende des 19. Jahrhunderts entstanden in Deutschland und Europa die ersten Museen zur jüdischen Kultur und Geschichte. Sie wurden von jüdischen Sammlern initiiert und bestückt und befanden sich in der Trägerschaft der Jüdischen Gemeinden.3 Nach 1945 stellt sich die Situation anders dar. Das dem Museum vorangestellte Adjektiv „jüdisch“ bezieht sich nicht mehr auf die Trägerschaft - die zumeist die jeweilige Stadt oder Region erfüllt -, sondern auf den dort präsentierten Inhalt, auf die erzählte Geschichte, auf die Objekte als Träger und Symbole der Geschichte sowie die ausgestellten Biographien und Personen als Akteure der Geschichte.

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Grundlage der heutigen Musealisierung jüdischer Geschichte ist ein neuer Vergangenheitsbezug nach den NS-Menschheitsverbrechen. Seit den späten 1970er-Jahren entstand eine auf den Holocaust fokussierte Erinnerungskultur, und zahlreiche Museen in der Bundesrepublik wurden im Zuge einer „Spurensuche“ oder „Spurensicherung“ initiiert. Insbesondere der 50. Jahrestag des Novemberpogroms von 1938 spielte für die - mehrheitlich nichtjüdischen - Initiativen eine wichtige Rolle, aber auch die amerikanische Serie „Holocaust“, die 1979 im deutschen Fernsehen lief.

Die Konzeptionen des „Jüdischen“ als eine Wiederverortung der Vergangenheit erfolgten in einer „Virtual Jewish World“. Jüdische Kultur und der Holocaust wurden zunehmend als touristische destinations entdeckt. Ehemals jüdische Stätten - Stadtviertel, Wohnhäuser, Synagogen, Friedhöfe - sind zu musealisierten Orten eines globalen Tourismus geworden.4 Dieser „Histourismus“ gilt dabei nicht dem gegenwärtigen jüdischen Leben, sondern der zerstörten Vergangenheit, die aber kaum in ihrer Zerstörung, sondern reanimiert präsentiert wird. „Jüdisch“ sind für die Touristen Souvenirs wie Chanukka-Leuchter und chassidische Marzipanfiguren, Klezmermusik und Bagels. Eine jüdische Gegenwart wird durch diese metonymen Populärbilder ins Abseits gestellt.5
 

Welche Erfahrungen haben die Kindheit und Jugend von Juden und Jüdinnen nach 1945 im „Täterland“ geprägt? Ein neues Segment der Dauerausstellung im Jüdischen Museum Berlin gewährt biographische Einblicke (Foto: Jüdisches Museum Berlin/Volker Kreidler).

Ein dritter Kontext, in dem die neuen Jüdischen Museen entstehen, ist der globale Trend, Unrecht und Gewaltgeschichte zu erinnern und museal zu präsentieren. Als Sammelbegriff für die Museen und Gedenkstätten, die Holocaust, Apartheid, Genozide thematisieren, kann der Begriff „Memory Museum“ verwendet werden.6 Zugleich ist seit den 1990er-Jahren ausgehend von den USA das „Narrative Museum“ (Erzählmuseum) aufgekommen. Statt das auratische Objekt in den Mittelpunkt zu stellen, gruppieren sich hier die Objekte (oder Repliken) um eine „Story“. Das Narrative Museum resultiert aus der Tendenz hin zum biographischen, identifikatorischen Erzählen sowie zum begeh- und erfahrbaren Museumsdrama. Das Konzept des Erzählmuseums hatte erheblichen Einfluss auf die Gestaltung des Jüdischen Museums Berlin. Der narrative Ansatz ist gerade für Jüdische Museen attraktiv, da die Objekte jüdischer Geschichte oft nicht mehr vorhanden sind.

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Seit Mitte der 1990er-Jahre lässt sich eine Abkehr von der einseitigen nichtjüdischen Musealisierung des Jüdischen verzeichnen. Infolge der verstärkten jüdischen Einwanderung nach Deutschland, aber vor allem der allmählichen Überwindung einiger Demarkationen in den Gedächtnisbeziehungen zwischen Juden und Nichtjuden arbeiten immer mehr jüdische Kulturwissenschaftler in den Museen. Zudem gibt es mit Einrichtungen wie dem Berliner Centrum Judaicum jüdische Orte, die sich als Informationsstelle über jüdisches Leben, Ausstellungs- und Gedenkort zugleich profilieren.

2. Funktionen

Was „sind“ Jüdische Museen? Welches sind ihre wesentlichen Funktionen? Wie können ihre Aufgaben als Orte des Sammelns und Präsentierens, als soziale Orte gefasst werden? Drei Bereiche erscheinen mir wesentlich:

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2.1. Gedenken. Jüdische Museen sind Orte der Erinnerung an jüdische Kultur und Geschichte und immer auch an die Ermordung der Juden während der NS-Zeit. Ruth Ellen Gruber spricht von dem „post-Holocaust Jewish museum“, um deutlich zu machen, dass jüdische Geschichte in Europa nach dem Holocaust nicht ohne Berücksichtigung der nationalsozialistischen Vernichtung gedacht oder gezeigt werden kann.7 Die Besucher erschließen Jüdische Museen performativ und assoziativ als Holocaust-Gedenkstätten. Mit architektonischen Konzepten, künstlerischen Installationen und Präsentationen der letzten Dinge konstituieren Jüdische Museen - freiwillig oder unfreiwillig - einen Gedächtnisraum, definiert durch das Gedenken an die Vernichtung und die Toten.

2.2. Vermittlung. Die öffentliche Wahrnehmung der Jüdischen Museen als Holocaust-Gedenkorte hat manche Museen zu Werbeaktionen für ein neues Image veranlasst. Verständlich wird die Ablehnung des einseitigen Labels vor dem Hintergrund, dass das Wissen über jüdische Geschichte und Geschichte der Juden in Deutschland marginal ist. Die Institutionen stellen sich deshalb die Aufgabe, jüdische Religion und Tradition sowie die Geschichte der Juden in Deutschland zu präsentieren und zu kommunizieren.

2.3. Aktualitätsrahmung. Dieses Stichwort steht für die Betonung der Gegenwartsrelevanz und der Einbettung jüdischer Geschichte in heutige Lebensrealitäten. Es geht dabei im deutschsprachigen Kontext weniger um die Artikulation einer „social agency“ der Museen (als Potenzial, soziale und politische Verhältnisse aktiv zu gestalten),8 sondern um eine Ausdehnung und Adaption jüdischer Lebenswelten auf gegenwärtige Realitäten: Inwieweit korrespondieren sie miteinander? Im Zuge der New Cultural Studies wurden jüdische Lebensentwürfe als beispielhaft für diasporische und migrantische Existenzen und Erfahrungen entdeckt.9 Daher gehen die neuen Jüdischen Museen immer stärker dazu über, jüdische Erfahrungen in Bezug zu setzen zu einer europäischen, transnationalen und grenzüberschreitenden Sozial- und Kulturgeschichte. Das Jüdische Museum München und die ebenfalls 2007 eröffnete Dauerausstellung im Jüdischen Museum Hohenems werfen als neue Präsentationsschwerpunkte Fragen nach Identität und Integration auf; über jüdische Migrationserfahrungen schließen sie an aktuelle Themen in Politik und Geschichte an. Zur Aktualitätsrahmung gehört auch die Rolle Jüdischer Museen als sozialer Orte der jüdischen Gegenwart, etwa in Form von kulturellen und politischen Veranstaltungen mit aktuellen Themen.

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Aus den drei hier angeführten Funktionen ergibt sich für die Position Jüdischer Museen, dass ihnen regionale, nationale wie auch transnationale Bezüge eingeschrieben sind. Als soziale Orte sind sie zunächst einmal wichtige Regional- oder Community-Museen, die nicht isoliert, sondern in die Stadtgeschichte „integriert“ sind.10 Zweitens haben sie mit der Aufgabe der mahnenden Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen einen national-geschichtlichen Bezug. Im Rahmen der zunehmenden Betonung von Diaspora und Migration gehen drittens transnationale Bezüge in die Konzeption der Museen ein.

3. Möglichkeiten

Museale Präsentationen spiegeln einen zeitspezifischen Wissensstand, ästhetische Standards, aktuelle Interessen in Politik und Gesellschaft sowie Inhalte übergreifender Diskurse wider. Ihr Fokus ist abhängig von der Perspektive der Autoren, der fragmentarischen Überlieferung einer Vergangenheit, der Objektwahl und -inszenierung, den Intentionen und Motivationen der Institution, der Geldgeber etc. Museen - und so auch Jüdische Museen - betätigen sich als Definitions- bzw. Konzeptionsräume. Sie ordnen an, zu, ein und unter. Sie „machen“ aus einer bruchstückhaften Überlieferung Geschichte, indem sie ihr einen musealen Rahmen und eine Ordnung geben. Ausstellungen bilden nicht ab, sondern „bilden“ - entwerfen und konstituieren - ihren Gegenstand selbst.11 Da eine jüdische Gegenwartskultur in der deutschen Öffentlichkeit nach wie vor wenig sichtbar ist, sind Jüdische Museen deutungsmächtige Einrichtungen bezüglich der Vorstellungen und Bilder von Juden und jüdischer Kultur.

Anfang der 1990er-Jahre diagnostizierte Bernhard Purin, jetziger Leiter des Münchner Jüdischen Museums, dass die Musealisierungsdebatte seit Ende der 1980er-Jahre an den Jüdischen Museen spurlos vorbeigegangen sei. Er plädierte für einen erweiterten Bezugsrahmen der Präsentation jüdischer Geschichte.12 Zwar findet man in vielen Häusern noch heute typisierende Darstellungen von „Jüdischsein“ und „den Juden“ sowie Präsentationen jüdischer Religion und Feste, die gegen zeitlichen Wandel resistent zu sein scheinen. Doch bewegt sich die Musealisierung des Jüdischen insgesamt weg von einer Leistungs- und Beitragsgeschichte, der Erzählung über prominente deutsche Juden, und einer exotisierenden Religionsgeschichte hin zur Darstellung von Wandel, Diskontinuitäten und Aufbrüchen. Früher sollte sich „Jüdisches“ oft alleinig in Kippot, Gebetsschal und Thorarolle oder auch im gelben Davidstern spiegeln - als eigentlich nationalsozialistischer Zuweisung von jüdischer Identität. Häufig wurden normative Begrifflichkeiten wie Symbiose, Assimilation und Integration verwendet. Neuere Ausstellungen hingegen erkennen Hybridität ausdrücklich an.13

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Jüdische Museen sind aufgrund ihrer Vorgeschichte und der oben genannten Kontexte geradezu prädestiniert für museale Selbstreflexionen. Dazu gehören Fragen der Narrativität von Geschichte, der postkolonialen Repräsentation von Identitäten und der Darstellbarkeit des Holocaust. „Jüdische Museen erfordern und befördern nicht nur eine veränderte kritische Sichtweise auf die Institution Museum, sondern sie machen auch die Suche nach narrativen Strategien notwendig, die Besuchern einen reflexiv gewendeten Blick auf die Repräsentationen und Praktiken dieser Institution [...] ermöglicht [...].“14 Die neuen Repräsentationen Jüdischer Museen können für kulturhistorische Museen anregend und wegweisend wirken. Einige Beispiele sollen verdeutlichen, wie „Jüdisches“ in den neuen Jüdischen Museen konzipiert und dadurch repräsentiert wird.

3.1. Sammeln ausstellen. Eine mögliche Praktik des „reflexiv gewendeten Blickes“ ist es, die Probleme des Sammelns und Bewahrens transparent zu machen. Bezüglich ihrer Sammlungsaktivitäten ergeben sich für Jüdische Museen mehrere Dilemmata: Viele Dinge wurden zerstört, andere sind verschollen oder wurden ins Ausland gerettet - und stehen heute in den Museen der USA oder Israels. Was ist überhaupt „jüdisch“ an den Objekten im Depot? Was sammeln Jüdische Museen, wenn es um jüdische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts geht? Mit Ausnahme religiös determinierter Objekte gibt es keine spezifisch „jüdische Sachkultur“. Die Definition als „jüdisch“ erfolgt für die neueste Geschichte durch eine retrospektive Identitäts- und Besitzzuschreibung: Ein „jüdisches“ Objekt hat(te) einen jüdischen Eigentümer. Der jüdische Heritage- und Holocaust-Tourismus löst ebenfalls eine Neudefinition des Jüdischen aus: Die „authentischen“ Souvenirs - zumeist Kitsch und Gimmicks - halten Einzug in die Ausstellungen oder in die Regale des Museumsshops, wenn auch zumeist deutlich ironisiert wie in der Ausstellung des Jüdischen Museums Hohenems von 2005 über „Jüdischen Kitsch und andere heimliche Leidenschaften“.15

Dass „jüdisch“ eine Identitätszuweisung ist, eine Benennung des Anderen, des Fremden, reflektieren einige Exponate der Ausstellung über das „fränkische Jerusalem“ im Jüdischen Museum Franken. Im Sinne einer Dekonstruktion dieser stereotypen Kategorisierung integrierte das Kuratorenteam diverse, oft anonyme Schenkungen an das Museum. Die Objekte waren zumeist im Zuge der „Arisierungen“ erworben worden. Dazu gehören obskure, vermeintlich „jüdische“ Dinge wie ein kitschiger Porzellanhund, der aus einem aufgelösten jüdischen Haushalt stammen soll. Dazu gehören auch einige lose Seiten mit hebräischen Lettern, die eine Frau 1938 nach der Pogromnacht auf der Straße fand und 60 Jahre später dem Museum überließ.

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Judaica können als Museumsexponate eine neue soziale Bedeutung gewinnen: Abgesehen von der jüdischen Religion und einem einzigartigen Kunsthandwerk zeugen sie als Überreste von zerstörten Lebenswelten. Zur Ausstellung des Jüdischen Museums Wien gehört ein Schaudepot, in dem einige Objekte mit Spuren der Vernichtung - verkohlt, deformiert, fragmentiert - direkt auf die nationalsozialistische Gewaltgeschichte verweisen. Es geht um die visuell erfahrbare Biographie des Objektes, seinen zeitgeschichtlichen Zeugniswert, nicht um seine ursprüngliche Gebrauchsfunktion. Dass es letztendlich im Museumsdepot gelandet ist, liegt in der Zerstörung jüdischen Lebens begründet.
 

Die Sammlung von Judaica im Schaudepot des Jüdischen Museums Wien verweist auf die Abwesenheit der einstigen Besitzer und Nutzer (Foto: Jüdisches Museum Wien/Votava).

Das Sammeln zu zeigen, also Geschichte, Systeme und Kriterien des Sammelns auszustellen und diskutierbar zu machen, unterstützt den Ansatz der Museen, sich als lebendige, gegenwärtige Orte der Erinnerung zu präsentieren. Zu fragen, wie die Objekte ins Museum kommen, was warum gesammelt wurde, fördert die Reflexions- und Kritikfähigkeit der Besucher.

3.2. Dekonstruktion statt Illusion. Minimalistisch, nüchtern, rational - etliche neuere Ausstellungen verzichten auf eine bunte Illustration von Geschichte und das damit verbundene Narrativ einer illusionären Kontinuitätsgeschichte. Statt ein „fixed narrative“ von Anfang bis Ende ablaufen zu lassen, kann es eine Option sein, den „horror vacui“ zuzulassen, Brüche und Fragmentierungen zu reflektieren und auf das zu verweisen, was nicht ausgestellt werden kann, weil es nicht mehr da ist. Dies wollte zumindest Daniel Libeskind mit seiner symbolischen void-Architektur in Berlin erreichen. Das Jüdische Museum Wien verfolgt ebenfalls einen dekonstruktivistischen Ansatz. So werden in einer Sequenz keine realen Gegenstände, sondern Hologramme gezeigt. Durch ihr ephemeres Changieren - je nach Blickrichtung des Betrachters - deuten sie auf die Unwiederbringlichkeit der Geschichte und die Unmöglichkeit, die Vergangenheit zu be/greifen und zu vergegenwärtigen. Sie fordern den Besucher zur Distanz auf. „Geschichte erleben“ - das wird negiert. Kollektive, harmoniesüchtige Erinnerungsbilder sollen nicht bedient werden, was zu Konfrontationen mit den Museumsbesuchern führen kann.16

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Konfrontationen durchlebte kürzlich auch das Jüdische Museum Franken. „Fürth. Das fränkische Jerusalem. Von der Erfindung jüdischer Geschichte“ lautete der Ausstellungstitel im Rahmen der 1000-Jahr-Feier der Stadt. In der kollektiven Erinnerung der Stadt war die Ansicht verbreitet, dass Fürth eine besondere „Toleranz“ gekennzeichnet habe. Die bis 1933 existierende große jüdische Gemeinde habe größere Freiheiten als anderswo gehabt. Dieses Image wird unter dem Schlagwort des „fränkischen Jerusalem“ sehr gepflegt. Das Jüdische Museum griff den städtischen Mythos auf und zeigte, wie Geschichte für gegenwärtige Bedürfnisse erfunden wird. Mit kleinen, aussagekräftigen Dingen wurde deutlich gemacht, dass es hier wie anderswo antisemitische Kontinuitäten gab und der Nationalsozialismus keine externe Invasion in eine harmonische Koexistenz zwischen Juden und Christen bedeutete.

3.3. Exkavation statt Reanimation. Mit den 1990er-Jahren begann im Zuge der kritischen „Spurensicherung“ ein sensiblerer Umgang mit den Orten jüdischer Kultur. Sensibel heißt hier, dass nicht nur die Geschichte eines vergangenen jüdischen Lebens vor 1938 sichtbar gemacht, sondern an Orten ehemaliger Synagogen explizit die „Umnutzung“ nach Vertreibung und Ermordung und so ein Stück deutscher Nachkriegsgeschichte mit thematisiert wird. Beispiele für solche Exkavationen (wörtlich „Ausgrabungen“) sind die ehemalige Synagoge Haigerloch, die in der Nachkriegszeit erst als Kino, später als Supermarkt genutzt wurde, und das Jüdische Museum Schnaittach. Die ehemalige Synagoge der kleinen Landgemeinde Schnaittach ist eine Dependance des Jüdischen Museums Franken. Wie die meisten Synagogen wurde auch sie am 9. November 1938 ausgeraubt und erheblich zerstört. Während die letzten im Ort lebenden Juden deportiert wurden, gelang es dem Leiter des Heimatmuseums, das Gebäude vor dem Niederbrennen zu retten. Aus eigenem Interesse: Er erhielt es als Sitz seines Museums und dazu noch zahlreiche Ritualgegenstände für seine Sammlung. Im kollektiven Gedächtnis des Ortes verankerte sich diese Einverleibung als Rettung. Statt den Vorkriegszustand der Synagoge wiederherzustellen, wurde in Schnaittach Mitte der 1990er-Jahre eine Konzeption erarbeitet, die die Geschichte der Sammlung und des Gebäudes selbst zum Thema der Ausstellung und zentralen Exponat macht.
 

Unter dem Titel „Spurensicherung“ zeigt die ehemalige Synagoge Haigerloch jüdisches Leben vor Ort und die „Umnutzung“ des Gebäudes nach 1938 (Foto: Haus der Geschichte Baden-Württemberg/Jürgen Schmidt).

Auch in Haigerloch wurde der vorgefundene Zustand weitgehend konserviert. An die noch vorhandene Kachelwand der ehemaligen Fleischtheke des SPAR-Marktes wird die Inneneinrichtung aus der Zeit vor 1938 projiziert, so dass unterschiedliche Zeit-Raum-Schichten sichtbar sind. Die makellose Wiederherstellung von ehemaligen Synagogen führt hingegen oft zu einer Verfälschung oder Unsichtbarmachung der Gewaltgeschichte. Diese illusionäre Authentizität einer Museumssynagoge sollte in Schnaittach und Haigerloch vermieden werden.

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3.4. Aktualität statt Epilog. Wird die Nachkriegsphase jüdischer Geschichte in Deutschland vielerorts zumeist nur als ein Epilog nach dem Holocaust präsentiert, zum Beispiel durch die Darstellung der jüdischen Displaced Persons, geht in neuere Ausstellungen vermehrt ein anderes Verständnis von jüdischer Geschichte ein. Zum einen werden Identitäten zunehmend als gleichzeitig partikular und situativ, als offen und changierend begriffen. Zum anderen stehen gerade die transnationale Geschichte und die Erfahrungen von Migration und Diaspora hoch im Kurs des Ausstellungswesens. Mit seiner Dauerausstellung „Stimmen_Orte_Zeiten“ legt das Jüdische Museum München nun einen neuen Schwerpunkt auf die Gegenwart jüdischen Lebens in Deutschland. In der Sequenz „Stimmen“ kommen verschiedene Immigranten unterschiedlicher Zeiten zu Wort, die von ihren Erfahrungen erzählen. Die Form der Präsentation weckt Assoziationen an ein Flughafenterminal und damit an fortwährendes Unterwegssein. Auch die neue Dauerausstellung in Hohenems stellt individuelle Erfahrungen in den Kontext einer europäischen Geschichte von Migration und fragt nach der Zukunft einer europäischen Einwanderungsgesellschaft.
 

Die Installation „Stimmen“ in der neuen Dauerausstellung in München verbindet gegenwärtige und vergangene Erfahrungen von Migration (Foto: Jüdisches Museum München).

Jüdische Museen sind nicht mehr nur museale Einrichtungen, die an das Mausoleum, die Totenstätte, denken lassen.17 Sie betonen immer stärker soziale, aktuelle Funktionen. So stehen die meisten Einrichtungen in engem Kontakt zu den Nachkommen der ehemaligen Ortsansässigen und organisieren anlässlich ihrer Ausstellungseröffnungen Tage der Begegnung. Die Religions- und Traditionsgeschichte wird mit aktuellen Bezügen präsentiert. In München dürfen die Judaica angefasst werden, und in Berlin wird betont, wie jüdische Tradition heute gelebt wird. Im Jahr 2006 integrierte das Jüdische Museum Berlin als neues Segment die Wanderausstellung „So einfach war das. Jüdische Kindheiten und Jugend seit 1945 in Österreich, der Schweiz und Deutschland“ in seine ständige Ausstellung. An Audiostationen erfahren Besucher über Erlebnisse und Alltagsmomente, was Jüdischsein heute bedeutet und wie es eigentlich gewesen ist, hier als Flüchtling, Migrant, Kind oder Enkel von Überlebenden nach dem Holocaust aufzuwachsen.

Dass die Aktualitätsrahmungen und Gegenwartsmanifestationen nicht bedeuten, den Holocaust zu verschweigen oder eine nahtlose Kontinuitätsgeschichte zu erzählen, machen alle Ausstellungen deutlich. In München schließt die Präsentation mit einem Comic von Jordan B. Gorfinkel: Der Holocaust-Überlebende Sejde begibt sich auf eine Reise nach München, wo er aufgewachsen ist. Als sein Begleiter ihn am Ende der Reise fragt, ob er noch etwas vermisse, was er sehen wolle, antwortet ihm der alte Mann resigniert: „Meine Familie.“

Anmerkungen:

1 Amos Oz schreibt über die Entscheidung seines Onkels, 1933 mit seiner Familie in Wilna zu bleiben. Ders., Eine Geschichte von Liebe und Finsternis, Frankfurt a.M. 2006, S. 112f.

2 Für hilfreiche Anregungen zu diesem Beitrag danke ich Daniela Eisenstein, Fürth, und Jutta Fleckenstein, München.

3 Vgl. Barbara Kirshenblatt-Gimblett, Exhibiting Jews, in: dies., Destination Culture. Tourism, Museums, and Heritage, Berkeley 1998, S. 79-128; Katharina Rauschenberger, Jüdische Traditionen im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Zur Geschichte des jüdischen Museumswesens in Deutschland, Hannover 2002.

4 Ruth Ellen Gruber, Virtually Jewish. Reinventing Jewish Culture in Europe, Berkeley 2002.

5 Jeffrey David Feldman, Die Welt in der Vitrine und die Welt außerhalb. Die soziale Konstruktion jüdischer Museumsexponate, in: Wiener Jahrbuch für jüdische Geschichte, Kultur und Museumswesen 1 (1994/95), S. 39-54, hier S. 51.

6 Katrin Pieper, Die Musealisierung des Holocaust. Das Jüdische Museum Berlin und das U.S. Holocaust Memorial Museum in Washington D.C. Ein Vergleich, Köln 2006, S. 22-31; zu beachten ist auch Paul Williams, Memorial Museums. The Global Rush to Commemorate Atrocities, Oxford 2008 (im Erscheinen).

7 Gruber, Virtually Jewish (Anm. 4), S. 155, S. 177.

8 Vgl. Richard Sandell, Museums, Prejudice and the Reframing of Difference, London 2007.

9 Als hybride Identität - nicht-national, nicht-genealogisch, nicht-religiös, sondern all dieses in einer dialektischen Spannung - durchbricht „Jüdischsein“ herkömmliche Identitätskategorien. Jüdische Identität stellt sich somit als Differenz dar, die sich kontinuierlich zwischen Ähnlichkeit und Anderssein bezüglich nationaler Identifikationen bewegt. Vgl. Jonathan und Daniel Boyarin, Diaspora: Generation and the Ground of Jewish Identity, in: Jana Evans Braziel/Anita Mannur (Hg.), Theorizing Diaspora. A Reader, Malden 2003, S. 85-118, hier S. 108f.

10 Der Begriff der „Integration“ bleibt allerdings sowohl bezüglich des Raumes als auch hinsichtlich der Geschichte in Deutschland problematisch. Vgl. Pieper, Die Musealisierung des Holocaust (Anm. 6), S. 225-232.

11 Kirshenblatt-Gimblett, Exhibiting Jews (Anm. 3), S. 80.

12 Bernhard Purin, Dinge ohne Erinnerung. Anmerkungen zum schwierigen Umgang mit jüdischen Kult- und Ritualobjekten zwischen Markt und Museum, in: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 47 (1993), S. 147-166, hier S. 165. Für die vorherige Debatte siehe u.a. Wolfgang Zacharias (Hg.), Zeitphänomen Musealisierung. Das Verschwinden der Gegenwart und die Konstruktion der Erinnerung, Essen 1990; Gottfried Korff/Martin Roth (Hg.), Das historische Museum. Labor, Schaubühne, Identitätsfabrik, Frankfurt a.M. 1990.

13 Neuere Forschungen stellen im Zusammenhang mit der Vorstellung „hybrider Kulturen“ als Anerkennung mehrfacher Identifikationsebenen die Konzeption einer Assimilation oder einseitigen Integration der Juden in die jeweilige nationale Kultur in Frage und betonen stärker die Wechselbeziehungen zwischen Juden und Nichtjuden. Vgl. Frank Stern, Dann bin ich um den Schlaf gebracht. Ein Jahrtausend jüdisch-deutsche Kulturgeschichte, Berlin 2002; Till van Rahden, Juden und andere Breslauer. Die Beziehungen zwischen Juden, Protestanten und Katholiken in einer deutschen Großstadt von 1860 bis 1925, Göttingen 2000.

14 Sabine Offe, Jüdische Museen. Über geschützte und ungeschützte Räume, in: transversal 1 (2002), S. 3-17, hier S. 12. Siehe auch dies., Ausstellungen, Einstellungen, Entstellungen. Jüdische Museen in Deutschland und Österreich, Berlin 2000.

15 Hanno Loewy/Michael Wuliger, Shlock Shop. Die wunderbare Welt des jüdischen Kitschs, Hohenems 2005.

16 Vgl. Susan A. Crane, Memory, Distortion, and History in the Museum, in: History and Theory 36 (1997), S. 44-63.

17 Vgl. Theodor W. Adorno, Valéry Proust Museum [1953], in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 10.1: Kulturkritik und Gesellschaft 1, hg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt a.M. 1977, S. 181-194.

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