1. Opfer und Täter, „Schuld und Sühne“
2. Realismus als Emotionalisierung
3. Vom Kriegsbericht zum Sachbuch
4. Auch eine Gründungsgeschichte
2005, als das Ende des Zweiten Weltkriegs 60 Jahre zurücklag, wurde Jürgen Thorwalds Buch „Die große Flucht“ neuerlich aufgelegt, mit dem hinzugefügten Untertitel „Niederlage, Flucht und Vertreibung“. 1995 war das Werk „vollständig überarbeitet und mit einem aktuellen Nachwort versehen“ wie bei der Erstauflage 1949/50 in zwei Bänden erschienen: „Es begann an der Weichsel“ und „Das Ende an der Elbe“. Und in den Jahren und Jahrzehnten zuvor hatten verschiedene Verlage regelmäßig Neuauflagen, Lizenz- und Taschenbuchausgaben herausgebracht. Schon die Erstausgaben, „Es begann an der Weichsel“, erschienen im Dezember 1949 mit auf 1950 vordatiertem Copyright, und „Das Ende an der Elbe“, im Herbst 1950, beide im Stuttgarter Steingrüben-Verlag, erreichten in den ersten drei Jahren fünf Auflagen; sie standen 1953 im 80. bzw. im 45. Tausend. Die Zahl der verkauften Exemplare ist wegen der verwickelten Publikationsgeschichte nicht mehr zu ermitteln, doch lassen sich über 50 Auflagen der verschiedenen Ausgaben nachweisen. Anzunehmen ist daher eine mittlere sechsstellige, vielleicht sogar eine siebenstellige Gesamtzahl verbreiteter Exemplare. Das „Ostpreußenblatt“ meldete allein für die 1979 erschienene Ausgabe eine „Erstauflage von 250.000 Exemplaren“.1 Hinzu kommen Übersetzungen – in „25 Ländern von Frankreich, England bis zu Nord- und Südamerika, Südafrika bis Japan“, wie es in einer Verlagsmitteilung schon 1955 hieß.2 Thorwalds „Die große Flucht“ dürfte damit eines der meistverkauften und durch seine fortdauernde Marktpräsenz auch wirkungsmächtigsten Sachbücher über das militärische Ende des Zweiten Weltkriegs an der Ostfront sowie über Flucht und Vertreibung der deutschen Bevölkerung sein. Den möglichen Ursachen für diesen Erfolg zwischen Zeitgeschichte und Erinnerungskultur, zwischen ästhetischen Traditionen und politischer (Neu-)Gründung, zwischen Kontinuitäten und Brüchen geht der vorliegende Aufsatz nach.
Einer kurzen Darstellung des Inhalts und der explizierten Kernaussagen der Bände (1.) folgt, ausgehend von der zeitgenössischen Rezeption, eine Analyse der Darstellungstechnik Thorwalds, die zwischen Zitat, Bericht und Narration changiert und dadurch emotionalisiert (2.). Diese Art und Weise der Materialaufbereitung lässt sich direkt aus Thorwalds Vergangenheit als Publizist, Kriegsberichterstatter und militärhistorischer Mitarbeiter im Oberkommando der Marine während des „Dritten Reichs“ und des Zweiten Weltkriegs herleiten (3.). Gleichzeitig lassen sich jedoch methodische und inhaltliche wie auch handgreiflich faktische Verbindungen Thorwalds und seiner Bücher aufzeigen zu den in den 1950er-Jahren einsetzenden dokumentarischen Großunternehmen des Bundesarchivs und der Geschichtswissenschaft, zur Erinnerungskultur und Geschichtspolitik in der Adenauer-Ära sowie selbst zur Diskussion um Vertreibungsgeschichte und -erinnerung in der Gegenwart (4.).3
1. Opfer und Täter, „Schuld und Sühne“
Gegenstand der Bände ist das Ende des Zweiten Weltkriegs an der Ostfront in der ersten Hälfte des Jahres 1945 und damit das Leid von Millionen Deutschen – Soldaten und Zivilisten, Frauen, Kindern und Greisen. Im Aufbau chronologisch und nach Schauplätzen geordnet, verwendete Thorwald neben einzelnen bereits publizierten Darstellungen beinahe ausschließlich Berichte deutscher Augenzeugen – von verantwortlichen Generälen wie von flüchtenden Landarbeitern, von Geschändeten und Davongekommenen. Dieses disparate Material wird zu einem Gesamtpanorama entfaltet, das Einzelschicksale neben militärische Abläufe, die Motive und inneren Konflikte von Entscheidungsträgern neben Gewalttaten gegen Wehrlose stellt. Durch Zitate, Quellenangaben und rhetorische Beglaubigungen sowie durch Nachwort, Quellennachweis und Klappentexte wird die Tatsächlichkeit des Geschehenen betont, obgleich andererseits die Literarisierung unübersehbar ist.
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Cover der Taschenbuchausgaben von 1965
Der erste Band beginnt in der Nacht vom 8. auf den 9. Januar 1945 mit der Zugfahrt des Generalstabschefs des Heeres, Generaloberst Guderian, zu Hitlers Hauptquartier nach Lich bei Gießen. In Halbschlaf und Traum sieht Guderian „Bilder und Gestalten“, die zu einem „einzigen großen Reigen“ gehören: die „erbitterten Kämpfe mit Hitler“ um Truppen für die Ostfront sowie gleichzeitig gegen die „ringsum anstürmenden feindlichen Gewalten“ (Weichsel, S. 18); die Niederlagen der Wehrmacht seit dem Winter 1941/42; Guderians vergebliche Versuche, Hitlers strategische Entscheidungen zu korrigieren, sowie die Gräuel der Roten Armee an deutschen Soldaten – „zum größeren Teil nach der Gefangennahme niedergemacht“ – und der Zivilbevölkerung in Ostpreußen – „Frauen lebend an Scheunentore genagelt. Alle Frauen und Mädchen ungezählte Male geschändet, Männer und Greise zu Tode gemartert“ (ebd., S. 16, S. 19).4 Aus seinen Gedanken „aufgeschreckt“ wird Guderian, als „sich die Tür seines Abteils öffnet“ und Reinhard Gehlen, ein „ebenso geschickt wie gewissenhaft arbeitender Mann“, sich meldet, um „den gemeinsamen Führervortrag zu besprechen“ (ebd., S. 10, S. 32). Es geht um den letzten Versuch, vor der unmittelbar befürchteten Winteroffensive der Roten Armee Verstärkung zu bekommen: von der Westfront, wo die Ardennenoffensive längst gescheitert ist, aus dem Baltikum, wo die Kurlandarmee festliegt, oder wenigstens durch eine Frontbegradigung. Am Baranow-Brückenkopf, berichtet Gehlen, „beträgt das Kräfteverhältnis bei der Infanterie für den Gegner 11:1, 7:1 bei den Panzern und 20:1 bei der Artillerie. [...] Die Ergebnisse sind so schlagend und müssen auch den Führer überzeugen“ (ebd., S. 37f., S. 32).
Im Hauptquartier, dem Lager Ziegenberg, wird Hitler dann aus der Perspektive von Guderians Adjutant geschildert (ebd., S. 36): „Freytag-Loringhoven [...] erschrak ob seines [d.h. Hitlers] äußeren Verfalls. Hitler ging vorsichtig und greisenhaft und schleifte den linken Fuß nach. Die linke Hand zitterte. Sein Rücken war gebeugt. Sein Kopf saß tief zwischen den Schultern. Sein Gesicht wirkte schlaff und bleich. Graue Fäden durchzogen sein schwarzes Haar. Der zweireihige graue Rock mit goldenen Knöpfen hing formlos von seinen Schultern herab. Hitler reichte jedem der Anwesenden seine weiche Hand. Und dann begann jenes merkwürdige Knistern und Rascheln, das seit Monaten alle Lagebesprechungen begleitete, wie eine Untermalung durch eine lähmende, zermürbende Musik, die immer wieder an den Zerfall des vermeintlichen Riesen erinnerte. Dieses Geräusch entstand durch die Berührung zwischen Hitlers zitternder Hand und den Karten. Und es hörte nur dann auf, wenn Hitler die noch gesunde Hand auf die kranke legte.“
Es ist dies die gleiche morbid irreale Erscheinung, als die Hitler über 50 Jahre später in Joachim Fests „historischer Skizze“ „Der Untergang“ und deren Verfilmung auftrat. Einerseits ruft die Schilderung des gebrechlichen Monsters hier wie dort einen zwiespältigen, zwischen Abscheu und Mitleid changierenden Effekt hervor, andererseits erscheint der Verfall Hitlers nicht nur symbolisch, sondern faktisch als Spiegel seines zusammenbrechenden Reichs.5 Noch deutlicher als bei Fest ist bei Thorwald die fortdauernde Faszination Hitlers und seiner „große[n] Konzeptionen, die, wenn man so wollte, genial und zugleich in ihrer Uferlosigkeit verhängnisvoll gewesen waren“ (ebd., S. 13). Denn, so teilt der Erzähler mit (ebd., S. 37), es war „immer noch eine gefährliche Täuschung, von dem äußeren Verfall auf Hitlers innere Kräfte zu schließen. Seine [...] tatenhungrige und zugleich zerstörende Phantasie war zwar erloschen. [...] Aber hinter der Unbeweglichkeit standen noch lebendige Kräfte von geradezu manischer Gewalt.“ Von der eigentlichen Lagebesprechung erfährt der Leser nichts. Nur das Ergebnis wird ihm berichtet, nun aus der Sicht der betroffenen Offiziere an der Weichsel (ebd., S. 39): „[D]er Führer hat alles abgelehnt [...]. Die Front bleibt stehen, wo sie ist. [...] Der Führer glaubt nicht an den russischen Angriff…“
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In dieser Eingangssituation, der am 12. Januar, wie von Gehlen vorausgesagt und von Guderian befürchtet, doch der Angriff folgt, ist bereits Wesentliches angesprochen: der völlige Zusammenbruch, der durch eine Kette von Fehlentscheidungen katastrophale Ausmaße annimmt; die rationalen und unbestechlich kalt urteilenden Militärs, die Hitler wider besseres Wissen folgen – aus Eidestreue und wegen eigener Verstrickungen in das Regime, aber auch durch Hitlers fortwirkendes Charisma; die der Wirklichkeit nicht mehr zugängliche Machtzentrale, die mit Propagandalügen und Durchhaltebefehlen, zwischen Allmachtsfantasien und Untergangswahn Hunderttausende opfert; sowie vor allem das Leid der Soldaten und der Zivilbevölkerung. Dies ist in wechselnder Gewichtung und Verschlingung Inhalt der zwei Bände mit insgesamt 765 Seiten, bis am 23. Mai 1945 die Regierung Dönitz bei Flensburg verhaftet wird. Berichtet wird vom Untergang Ostpreußens, vom militärischen Zusammenbruch, von der Flucht übers Eis des Haffs, vom Einmarsch der Roten Armee in Schlesien, Pommern und Westpreußen mit den stets folgenden Massenvergewaltigungen und Morden, im zweiten Teil besonders ausführlich von der Schlacht um Berlin und vom Ende Hitlers im Führerbunker unter der Reichskanzlei – sowie als zweites Finale von der „Austreibung“ der Deutschen aus Tschechien in einem „Meer von Blut“ (Elbe, S. 6). Nach der Schilderung unendlicher Grausamkeiten endet das entsprechende Kapitel mit dem Pfarrer Karl Seifert, der in der Gegend von Pirna „Tausende und aber Tausende“ Deutsche tot die Elbe hinuntertreiben sieht (ebd., S. 386f.): „[Am] Abend des 20. Mai geschah es, daß der Strom nicht nur solche Deutsche von sich gab, die zusammengebunden ins Wasser gestürzt und ertränkt worden waren, und nicht nur die Erdrosselten und Erstochenen und Erschlagenen, ihrer Zunge, ihrer Augen, ihrer Brüste Beraubten, sondern auf ihm trieb, wie ein Schiff, eine hölzerne Bettstelle, auf der eine ganze deutsche Familie mit ihren Kindern mit Hilfe langer Nägel angenagelt war.“ So wird das Leid in einer einzelnen Ikone verdichtet, wie der Verfall der Macht im kartenraschelnden Hitler.
Thorwald hat später über sein Buch gesagt, „es war ein Buch, das auch den Titel ‚Schuld und Sühne‘ hätte tragen können, weil es das Leid der Deutschen im Sinne einer Sühne, Sühne für den vorangegangenen deutschen Versuch der Eroberung und Kolonisierung der Sowjetunion zu einem germanischen Sklavenstaat beschrieb.“6 Die „Sühneleistung“ der Deutschen – wiewohl das Geschehen eher als Bestrafung dargestellt und wahrgenommen wurde – bekommt der Leser recht drastisch vorgeführt. Die Schuld jedoch ist bei Thorwald allemal eine doppelte. Einmal im Sinne einer Ursache: Denn mit den Kolonisierungs- und Unterwerfungsbestrebungen der Gauleiter, von Rosenbergs Ostministerium und Teilen der SS hätten die Deutschen den Sieg im Osten verschenkt. Zunächst sei die Wehrmacht als Befreier willkommen geheißen worden; im Verbund mit den antibolschewistischen Russen, Ukrainern und anderen Völkern hätte der Sieg über Stalin errungen werden können – eine in Teilen der Wehrmacht verbreitete Ansicht (Weichsel, S. 50-60, S. 300ff.; Elbe, S. 346ff.). Der Beleg dafür ist in Thorwalds Büchern wie im Nachkriegsdiskurs überhaupt die russische Freiwilligen-Bewegung um General Wlassow, der Thorwalds nächstes, im Auftrag der Organisation Gehlen abgefasstes Buch gewidmet war.7
Eine andere Sache ist die moralische Schuld, die Schuld an Verbrechen gegen Kriegsgefangene, die polnische und sowjetische Zivilbevölkerung und, auch das wird gelegentlich erwähnt, gegen Juden. So sei „die entsetzliche Katastrophe dieser Tage zum wesentlichen Teil ein fürchterlicher Rückschlag der Sünden [...], die Hitler in Osteuropa und Rußland begangen hatte“ (Elbe, S. 347). Doch wird die moralische Schuld bei Thorwald stets mit einem großen „Aber“ versehen. Es sei falsch gewesen, dem Gau Danzig-Westpreußen und dem Warthegau Gebiete zuzuschlagen, „die ausgesprochen polnisch“ waren, und die eingesessene Bevölkerung zu vertreiben oder zu versklaven (Weichsel, S. 44). Aber es mussten schließlich jene Volksdeutschen untergebracht werden, welche „ihre jahrhundertealte Heimat aufgegeben hatten, als sich die Sowjetunion diese Gebiete im Jahr 1939 einverleibte“ (ebd., S. 46). Und auch wenn dabei „oft Unrecht geschehen war, so hatten sie [d.h. die Volksdeutschen] auf jeden Fall das Land besser bebaut, als es je zuvor bebaut worden war“ (ebd., S. 66; vgl. S. 47). „Die Austreibung der Polen war in der ersten Zeit mit brutalsten Mitteln geschehen; rücksichtslos, überstürzt, ohne Bedacht auf Menschlichkeit und Menschenleben; durchgeführt von landesfremden SS-Kommandos“, aber „erhitzt durch die Scheußlichkeit, welche die Polen selbst im auflodernden Haß des Septemberkrieges an Volksdeutschen begangen hatten; nur noch übertroffen durch die Vernichtung des Judentums, zu der wiederum [...] zahlreiche Polen ihre Hand reichten.“ (Ebd., S. 46) Was für die Rassen- und Siedlungspolitik gelte, treffe auch auf die Kriegsverbrechen von SS und Wehrmacht im Osten zu (ebd., S. 268): „Der Masse unserer Soldaten [...] hat Goebbels die These vom bolschewistischen und russischen Untermenschen eingeimpft. So lange, bis viele selbst daran glaubten und angesichts der fremden und düsteren Bilder, die sie im Osten erlebten, leicht glauben konnten. Hätte unter anderen Umständen ein deutscher Soldat zusehen können, wie 1941 die russischen Kriegsgefangenen zu Zehntausenden im wahrsten Sinne des Wortes verreckten?“ Aber Ilja Ehrenburg, der schon Goebbels als willkommenes Beispiel für die sowjetische Vernichtungspropaganda gedient hatte, „versprach [...] den Rotarmisten als Siegerbeute die deutsche Frau“ und habe präzise gefordert: „Tötet ihr Rotarmisten, tötet! Denn es gibt nichts, was an den Faschisten unschuldig ist, die Lebenden nicht und die Ungeborenen nicht. Tötet!“ Das liest beispielsweise ein Hauptmann seinen Soldaten vor, bevor sie ein Dorf auslöschen – Kinder lebendig verbrennen, Zwölfjährige vergewaltigen, Männer kastrieren und kreuzigen (ebd., S. 119, S. 73-77).8 Und noch ein „Aber“: Während man das Sterben der sowjetischen Kriegsgefangenen im Wesentlichen auf Versorgungsengpässe zurückführen müsse, sei die Rote Armee mit einem „wohlvorbereiteten System zur Dezimierung und Vertreibung der Deutschen [...] und zur Verschleppung alles deutschen Gutes“ ans Werk gegangen (ebd., S. 120).
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Thorwald fasst am Ende des zweiten Bandes zusammen: „Die Geschichte kann feststellen, dies Geschehen“ – gemeint ist hier die „Sturmflut von Mißhandlung, Schändung, Enteignung, Ermordung und Vertreibung“ der Deutschen in Tschechien – „sei nicht schlimmer gewesen als die Austreibung und Vernichtung der Juden durch die Deutschen, und es stelle nur eine gerechte Antwort auf vorangegangene Untaten dar.“ (Elbe, S. 384) Fraglich bleibe aber, „ob die Tschechen dazu berufen gewesen seien, das Schicksal der Juden an den Deutschen zu rächen“ (ebd.). Auch „Russen oder Ukrainer oder Polen“ seien dazu nicht befugt gewesen, denn „viele von ihnen hatten die Hand geboten oder sich gerne von den Lästigen befreit gesehen“ (Weichsel, S. 58). „Die Geschichte mag schließlich erklären, daß es unfruchtbar bleiben müsse, die Größe einer Schuld abzuwägen.“ Folgt man Thorwald, würde das Gros der Deutschen indes allemal als unbelastet durchgehen (Elbe, S. 385f.). Denn es sei zu bedenken: „[D]ie Vertreibung und die Vernichtung der Juden [war] keine öffentliche Sache der Deutschen in ihrer Masse oder auch nur eines nennenswerten Hundertsatzes“, sondern „Sache des Nationalsozialismus und einer kleinen Gruppe von Befehlenden und Ausführenden [...], die nach den künstlich geschaffenen und befohlenen Krawallen des Jahres 1938 bald danach getrachtet hatten, ihre Taten in die Verborgenheit von Lagern und in die noch größere Verborgenheit des Ostens zu verlegen“ (ebd., S. 384f.). Das „bestialische Wüten“ der Tschechen – und man kann ergänzen: auch der Polen und der Roten Armee – war dagegen „eine öffentliche Sache [...], die keinem Tschechen verborgen blieb und an der Millionen als Täter oder aber als aufpeitschende und mithelfende Zuschauer ihren Anteil hatten“ (ebd., S. 385). Bei den Deutschen jedoch, so wird andernorts vorgerechnet, hätten „sechzig Millionen ganz oder halb Unschuldige mit zwanzig- oder dreißigtausend wirklich Schuldigen [...] büßen müssen“ (Weichsel, S. 295). Im Gegensatz zur „termitenhafte[n]“, „unerschöpflichen Masse an Menschen“, den „Erdbraunen“ und „Mongolen“ aus dem Osten (Weichsel, S. 96, S. 138), sind die Deutschen, wenn überhaupt, individuell schuldig: die Gauleiter Koch, Greiser und Hanke etwa oder die Führungselite im Hauptquartier. Der zentrale Vorwurf an diese Schuldigen lautet denn auch, dass sie „den Slawen das Beispiel des Bösen geboten [hatten], des Bösen, das tausendfach ansteckender war als das Gute. Und dieses mörderische Böse konnte auf dem Umweg über die Slawen zurückfallen nicht nur auf die Urheber, sondern vor allem auf die Ahnungslosen, die an sie glaubten“ (ebd., S. 58f.).
2. Realismus als Emotionalisierung
Der Versuch – bei gleichzeitigem Dementi –, ein Schuldkonto auszugleichen, das sich nicht ausgleichen lässt, ein Versuch zudem, der nach erfolgter „Sühne“ einen Ausgleich für das (vorübergehend) Verlorene zumindest vage in Aussicht stellte, hat den Widerspruch der Zeitgenossen auch im (westlichen) Ausland keineswegs herausgefordert. Selbst in den USA lassen sich nur vereinzelt Stimmen wie die von Léon Poliakov ausmachen, der 1952 im Jüdischen „Commentary“ schrieb: „All through his book Mr. Thorwald attempts to convince his readers that the sufferings endured by the German population as in result of Russian barbarism during the last phase of the war remain without parallel in history; most of us will have little difficulty in thinking of a parallel – and more than a parallel – that Mr. Thorwald apparently wishes us to forget.“9 In anderen Rezensionen wurde zwar bemerkt, Thorwald erzähle aus deutscher Perspektive, bzw. aus „national gesinnter deutscher“, doch war dies allenfalls Anlass für moderate Kritik, wenn nicht gar für umso größere Zustimmung.10
Auf deutscher Seite lässt sich grundsätzliche Ablehnung erst seit den 1980er- und 1990er-Jahren ausmachen, als etwa Hubert Rübesaat meinte, das Buch spiele „jenen in die Hände, die aufrechnen und relativieren wollen. Deshalb ist die Neuauflage in der vorgelegten Form ein eher ärgerliches Buch geworden.“11
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Thorwalds Zeitgenossen in der Bundesrepublik sahen das durchaus anders. In der „Deutschen Rundschau“ wurde 1950 festgestellt, das Buch sei eine „vernichtende Anklage gegen die Generäle Hitlers“ und die „braunen Gauleiter“, vor allem aber sei es die „schwerste Anklage gegen die Polen und die Rote Armee“, vor denen sogar die „unsagbaren Greuel der Hitlerleute […] verblassen“ würden.12 Überhaupt scheint Thorwald eher den common sense seiner Zeit abgebildet zu haben. Auch wenn die Leiterin des Steingrüben-Verlags, Hildegard Grosche, sich im März 1950 brieflich beklagte, dass „sich die wirklich wichtigen und großen deutschen Zeitungen noch nicht entschlossen, eine Besprechung zu bringen“, seien immerhin „die bisher erschienenen“ Rezensionen „alle außerordentlich anerkennend“.13
Cover der Erstausgabe „Es begann an der Weichsel“ von 1949
Werbematerial der 1950er-Jahre für „Es begann an der Weichsel“. Die Rezensenten hoben hervor, man sei bei der Lektüre „gefesselt wie von einem Roman“, und lobten Thorwalds Fähigkeit „als Historiker und Schriftsteller“.
Belegen lässt sich die Übereinstimmung mit verbreiteten Positionen nicht nur in der Publizistik, sondern ebenfalls in zeitgenössischen Büchern. Thorwald selbst konstatierte 1948 in der konservativen Wochenzeitung „Christ und Welt“, zu deren Gründern und frühen Redaktionsmitgliedern er gehörte, eine „Memoirenflut“ der mehr oder weniger am Geschehen Beteiligten.14 So lagen allein über die letzten Tage und Wochen des Führerhauptquartiers mehrere gedruckte Berichte und Untersuchungen vor. Verbreitet waren neben dem immer noch geschätzten Band von Hugh Trevor-Roper besonders Gerhard Boldts autobiographische Aufzeichnungen „Die letzten Tage der Reichskanzlei“ und der über 700 Seiten umfassende Tatsachenroman „Finale Berlin“ des Literaturreferenten der deutschen Verwaltung der Sowjetischen Militäradministration in Ost-Berlin, Heinz Rein.15 Die militärischen Fehlentscheidungen Hitlers waren wohlbekannt und breit diskutiert, ebenso wie die These, der Krieg im Osten sei zu gewinnen gewesen. Geradezu diskursbeherrschend waren Versuche, die Wehrmacht von den bei den Nürnberger Nachfolgeprozessen erhobenen Vorwürfen zu entlasten.16
Auch über Flucht und Vertreibung waren schon diverse Bücher erschienen. Der amerikanische Geistliche E.J. Reichenberger stellte Dokumente und Berichte vor allem aus Tschechien und dem Sudentenland 1948 zu einer „Ostdeutschen Passion“ zusammen.17 Johannes Kaps veröffentlichte in den Jahren 1950 bis 1954 eine „Trilogie des Schlesischen Schicksals“. Der Klappentext des dritten Bandes begann so: „Asiatische Sturmgewalten tauchten Schlesien 1945 in apokalyptische Finsternis.“18 Edwin Erich Dwingers Roman „Wenn die Dämme brechen“ von 1950 steht Thorwalds Büchern so nahe, dass sich die Vermutung aufdrängt, beide Autoren hätten dieselben Quellen benutzt.19 Und Erich Kern, der wie Thorwald in den 1930er-Jahren für die Essener „National-Zeitung“ geschrieben hatte, schloss sein Buch „Das andere Lidice“ 1950 mit einer „für jeden verständlichen Rechnung“: Den „hoch geschätzt 184 erschossenen Männern, 135 ins KZ überstellten Frauen und den in Anstalten verschleppten Kindern“ im tschechischen Lidice stünden „3.000.000 Menschen“ gegenüber – „entrechtete, [...] tiefer als zum Tier herabgewürdigte, beraubte, ausgeplünderte, bis zum Irrsinn mißhandelte und schließlich [zu] Hunderttausende[n] ermordete“.20
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Neben die Fragen von Schuld und Sühne traten in zeitgenössischen Rezensionen und in den rahmenden Paratexten aber auch ganz andere Alleinstellungsmerkmale der Bücher Thorwalds: Erstens sei es ein Gesamtüberblick des bisher „nur in Episoden und zufälligen Ausschnitten“ bekannten Geschehens;21 zweitens sei die Form bemerkenswert. Vom „Tatsachenbericht“ war die Rede,22 vom „modernen Reportagestil“23 und in beinahe allen Besprechungen von den „mit echter Besessenheit“ zusammengetragenen Quellen.24 Es handele sich um „mit außerordentlicher Gewissenhaftigkeit“ historisch „fundierte Feststellungen“,25 einen „authentische[n] Bericht“,26 ein „Geschichtswerk“.27 „Thorwald versteht sein Handwerk“, schrieb Helmut Günther in der Zeitschrift „Welt und Wort“ anlässlich eines späteren Buchs. „Er ist ein genauer Forscher, ein ausgezeichneter Psychologe.“28 Die Bücher seien keine nüchterne Geschichtsschreibung, sondern die „ungemein fesselnde Darstellung des dramatischen Untergangs“.29 „[D]as mit starkem Temperament und doch wieder mit ruhiger Wertung der Geschehnisse geschriebene Buch [ergibt] ein erschütterndes Bild, dessen Wirkung sich niemand entziehen kann.“30 Ebenfalls zu einem späteren Buch notierte Artur Just, Thorwalds „fesselnde Technik“ sei die „freie Verwendung zahlreicher Quellen [...]. So entstand zwar kein wissenschaftlich historisches Buch, aber ein eminent politisches, atmosphärisch echtes Zeitgemälde.“31 Und der „Spiegel“ meinte zu Weihnachten 1952: „[Thorwald] hat sich in der Nachkriegszeit mit Büchern über die jüngste Vergangenheit auf jenem brachliegenden Gebiet angesiedelt, das zwischen dem weiten, bunten Feld der Literatur und den Gegenden der nüchtern trockenen Historien-Darstellung liegt: Er schreibt, wenn man so will, historische Romane, nur daß seine Romanhelden überwiegend heute noch leben und jeder Leser die Zeitepoche miterlebt hat.“32
Im Nachwort zu „Es begann an der Weichsel“ betonte Thorwald 1950 gegen die romanhaft-literarische die historisch-dokumentarische Seite: „Dieses Buch ist kein Roman, sondern ein Bericht von geschichtlichen Ereignissen, auch dort, wo es die Form der Erzählung benutzt. Es ist geschichtliche Wahrheit, soweit sich solche Wahrheit heute einem einzelnen Menschen erschließen kann, der nach ihr sucht.“ Das Buch stütze sich „auf rund 2.000 Dokumente, die als Quellen verarbeitet wurden. [... ] Bücher, Broschüren, Zeitungen und Flugblätter, Briefe, Tagebücher, eidesstattliche Erklärungen“, „ausführliche Erinnerungsberichte damals führender Persönlichkeiten, sowie [...] Mitschriften von eingehenden Unterredungen“ (Weichsel, S. 343).33 Gleichwohl sind diese Dokumente größtenteils eben nicht als Dokumente wiedergegeben, sondern deutlich gestaltet. Schon im skizzierten Eingangskapitel lassen sich Schilderungen subjektiver Erlebnisse, wie etwa des gebrechlichen Hitlers, neben präzisen Beschreibungen ausmachen, wie den Kräfteverhältnissen an einem Brückenkopf. Frontverläufe und taktische Erwägungen stehen neben Träumen und Charakterstudien, Dokumentarismus findet sich neben deutlicher literarischer Formung. In einem nachträglichen Bericht hat Thorwald über diese Vermischung Auskunft gegeben: „Ich werde nie vergessen, wie Guderian verwundert stutzte, als ich plötzlich nach Details zu fragen begann, die für ihn im großen Fluß der Ereignisse völlig bedeutungslos erschienen. Da war beispielsweise eine schicksalhafte Fahrt, die Guderian im Januar 1945 nach Ziegenberg [unternahm][...]. Nun wollte ich jede Einzelheit, ja, jede Äußerlichkeit der Eisenbahnreise [...] und des Zusammentreffens dortselbst erfahren. [...] Als ich mich am Abend verabschiedete [...], erlebte ich [zum ersten Male] den merkwürdigen inneren Kampf, der mich seither begleitet hat [...]. Ich meine den Kampf zwischen dem instinktiven Gefühl für die Dramaturgie der Erzählung, für das Knüpfen der Handlung und der menschlichen Konflikte zu dramatischen Höhepunkten auf der einen und den Fakten auf der anderen Seite.“34
Wie am Anfang finden sich im ganzen Werk seitenlange wörtliche Zitate aus den Erinnerungen einzelner Zeitzeugen und zusammenfassende Erläuterungen des Erzählers neben novellenartig ausgefeilten Einzelerzählungen, wie etwa der glückenden Flucht der „jungen Bowien“ übers Eis des Haffs (Weichsel, S. 140-147, S. 169-181), die Thorwald später zur Keimzelle und zum symbolischen Kern seiner Bücher erklärte.35 Präzise schilderte ein Rezensent in der „ZEIT“ die Wirkung dieser Technik: „Man muß von einer großen, klar gezeichneten Skizze in Buchform sprechen, der der Autor [...] einen gewissen geschichtlichen Status zulegt: Die Gestalten und Handlungen der Himmler, Koch, Greiser, Hanke und auch einiger Generäle, wie Schoerner, Wenck, Lasch liefern Konturen. Und diese Konturen grenzen eine Bühne ab – mit der alles überschwemmenden bolschewistischen Steppe als Horizont –, auf der in Einzel- und Massenszenen die Katastrophe der Ostdeutschen abrollt.“36
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Doch lässt sich durchaus noch genauer beschreiben, wie das Zusammenspiel zwischen Bühne und Drama, Literatur und Geschichte, Fakten und Fiktionen in Thorwalds Büchern funktioniert. Wendet man sich dem Geschehen auf der „Bühne“ zu, der „Katastrophe der Ostdeutschen“, verdichten sich die emotional-subjektiven, also kaum falsifizierbaren Berichte und die fiktionalen Elemente. Das vielleicht deutlichste Beispiel ist die Erzählung von der Liquidierung eines Dorfs im damaligen Warthegau unmittelbar nach Beginn der Winteroffensive im Januar 1945. Der Unteroffizier Kossarew lässt – nachdem er im Erdgeschoss einen schwer verletzten deutschen Offizier im Schlaf erschossen hat – ein Haus anzünden, in dem sich noch zwei Frauen und vier Kinder befinden (Weichsel, S. 74): „Die Flammen prasselten sehr schnell, denn die Graubraunen waren im Feuerlegen schon geübt, da sie jedes Haus anzündeten, in dem sie Soldaten fanden. [...] Aber als Kossarew die Frauen schreien hörte, tat es ihm leid. Und er beschloß, für die Zukunft kein Haus mehr niederzubrennen, bevor er nicht die Frauen genommen hatte.“
Über diesen Bewusstseinsbericht hinausgehend nähert sich Thorwald bei einem Hauptmann sogar der erlebten Rede, einem deutlichen Fiktionalitätssignal (ebd., S. 74f.): „Er wußte, daß es in allen Dörfern Deutsche und Polen gab und daß er die Polen befreien sollte. Und er ließ den polnischen Knecht und die alte Magd laufen, nachdem sie gegenseitig beschworen hatten, daß sie Polen waren. Aber vielleicht ließ er die Magd auch laufen, weil sie alt und häßlich war, denn sonst war er der Ansicht, daß auch die Polen für ihre Befreiung etwas bezahlen sollten, und man wußte nie, ob sie wirklich Polen waren oder ob man einen gefährlichen Faschisten, der vielleicht in Rußland viele seiner Brüder umgebracht hatte, mit dem Leben davonkommen ließ.“ Für die Gedankengänge der Rotarmisten gibt es keine dokumentierten Belege und auch für das äußere Geschehen keinen Zeugen, denn ausdrücklich wird vermerkt (ebd., S. 76): „Kein Deutscher entrann in diesem Dorf dem Schicksal, das ihm bestimmt war.“ Gleichwohl sind diese und ähnliche Passagen zentral für die Wirkung der Bücher, denn wer sich das Weinen eines Vierjährigen vorstellt, dessen Mutter vergewaltigt, dessen Vater im Hof kastriert und gekreuzigt wird, der wird emotional so stark beansprucht, dass kein noch so versöhnlicher Diskurs über Schuld und Sühne diese Wirkung relativieren könnte.
Überzeugen kann eine derartige Erzähltechnik aber nur, solange man die emotionalisierten und literarisierten Passagen für real hält, sie also nicht als absichtsvoll konstruierte durchschaut und entsprechend reflektierend-distanziert rezipiert. Die Rahmenhandlung, die die Kriegsgeschichte aus der Perspektive verschiedener, zumeist im Generalsrang stehender Entscheidungsträger zum Gegenstand hat und die mindestens die Hälfte des Umfangs ausmacht, dient dazu, den Eindruck der Faktizität zu festigen. Dieses Verfahren ähnelt Guido Knopps emotionalisierender Aufbereitung der Zeitgeschichte für das Fernsehen, selbst wenn Knopp im konkreten Fall den militärischen Zusammenbruch von der bezeichnenderweise ebenfalls unter dem Titel „Die große Flucht“ dargestellten humanitären Katastrophe getrennt hat. Auch bei Knopp werden die emotionalen Berichte einzelner Zeitzeugen durch die faktenzentrierte Rekonstruktion authentifiziert; andererseits wird das historische Geschehen durch die Emotionalisierung so stark gedeutet, dass kein Kommentar aus dem Off dies relativieren kann.37
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3. Vom Kriegsbericht zum Sachbuch
Thorwalds Dramaturgie war weniger eine absichtsvolle, politisch-instrumentelle Konzeption, sondern zu großen Teilen das Produkt eines spezifischen Entstehungsprozesses, der sich über Thorwalds Werkbiographie und die literarisch-publizistische Tradition erklären lässt, in der seine Bücher standen. Jürgen Thorwald ist das später als regulärer Name angenommene Pseudonym von Heinz Bongartz (1915–2006), und Bongartz war 1950 nicht nur der „junge [= zuvor unbekannte] Autor“, als der er im Klappentext zu „Es begann an der Weichsel“ auftrat. Auch handelte es sich bei den 1949/50 publizierten Bänden nicht um seine „allerersten“ Bücher, wie im „Börsenblatt“ noch 1985 zu lesen war.38
Bongartz hatte seine journalistische Karriere bereits 1933 begonnen und schrieb unter anderem für „Die Braune Post“, „Das Schwarze Korps“ und besonders für ein „Organ der NSDAP“, die Essener „National-Zeitung“. Er studierte (nach abgebrochenem Medizinstudium) Geschichte, was er später stets betonte, aber auch Wehrwissenschaft und Zeitungswissenschaft, was er meist verschwieg. Ab spätestens 1938 spezialisierte er sich auf den publizistischen Wachstumsmarkt Luftfahrt und Luftwaffe. 1939 erschien sein erstes Buch: ein reich bebilderter Folioband mit dem Titel „Luftmacht Deutschland. Luftwaffe – Industrie – Luftfahrt“.39 Fasst man spätere Lebensläufe, dokumentarische Befunde und bibliographische Recherchen zusammen, scheint Thorwald während des Zweiten Weltkriegs ziviler Mitarbeiter im Oberkommando der Marine gewesen zu sein, auch wenn viele Kurzbiographien nur „Kriegsteilnehmer“ notieren oder „Einberufung zur Marine 1939–1945“.40 Er sei wegen einer Nierenerkrankung ausgemustert und dann auf Anforderung des späteren Konteradmirals Werner Fürbringer in einer marinegeschichtlichen Abteilung in Berlin dienstverpflichtet gewesen, schrieb Thorwald später. Hauptsächlich habe er in dieser Zeit zwei Studien erarbeitet, die ungedruckt blieben: „über die Handelskriegsführung und die Blockade zur See von der Zeit Napoleons bis zum Zweiten Weltkrieg und [...] eine Geschichte des Seekrieges sowohl in den europäischen wie in den ostasiatischen Gewässern zwischen 1939 und 1942“.41 Diese Angaben unterstützen die in vielen biographischen Notizen und auch in einem Brief an Erich Kästner 1971 vertretene Behauptung, er habe im Oberkommando der Marine ein „ernsthafte[r] Marineschriftsteller“ werden sollen, mithin ein mehr oder weniger wissenschaftlich nobilitierter Militärhistoriker.42 „[K]ürzere Berichte oder Aufsätze“ seien darüber hinaus „durch das Verteilersystem, das auch die Berichte von Kriegsberichterstattern weitergab“, publiziert worden. „[D]aher nach dem Kriege die gelegentliche Zitierung als Marine-Kriegsberichterstatter.“43
Sicher ist, dass Bongartz’ vor 1945 erschienene Bücher und Texte sich im Zwischenbereich von Tagesjournalismus, populärer Geschichtsschreibung und Propaganda bewegten – ganz so wie die Kriegsberichte der Propagandatruppen, zumindest diejenigen der „höheren Berichter“ im Zweiten Weltkrieg.44 So mutet Bongartz’ zweites Buch, „Luftkrieg im Westen“, durchaus an wie die seinerzeit verbreiteten nachträglichen Sammlungen von Einzelberichten. Der Klappentext verspricht ein „Tatsachenbuch“, das die „wesentliche[n] fliegerische[n] Kampfhandlungen [...] bis zur letzten Seite mit Spannung geladen“ darstelle: „So als wären wir selbst dabei.“45 Nach einer überarbeiteten Auflage von „Luftmacht Deutschland“, die, ergänzt um den „Luftkrieg in Polen“, nun als „erster Band“ firmierte, erschien 1941 in gleicher Ausstattung und ebenfalls als „erster Band“ „Seemacht Deutschland“ mit dem einleitend formulierten, an die Nachkriegsbücher erinnernden Ziel, „über all jene verstreuten Einzelschriften hinaus, in denen der Seekrieg seinen Niederschlag gefunden hat, einen Überblick zu suchen“.46 Thorwald beschrieb darin den „Wiederaufstieg der deutschen Kriegsmarine“ und den „Krieg zur See bis zum Beginn des Feldzugs in Norwegen“. Der zweite Band kam 1944 heraus und behandelte die Eroberung der Atlantikküste sowie vor allem die Kämpfe vor Norwegen. Der dritte Band, der sich dem U-Boot-Krieg widmen sollte, erschien ebensowenig wie weitere Bände von „Luftmacht Deutschland“ und das 1941 angekündigte Doppelwerk über das Heer.47
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In den Büchern zur „Seemacht“, denen vermutlich seine Haupttätigkeit während des Zweiten Weltkriegs gewidmet war, rückte Bongartz vor allem die strategischen und taktischen Entscheidungen in den Blick, weniger einzelne Schlachten oder Gefechte. Sprachlich etwas unbeholfen verwendete er oft den pathetisch-superlativischen Ton der Wochenschauen, wenn er vom „gewaltige[n] politische[n] und militärische[n] Geschehen des großdeutschen Freiheitskrieges und der durch ihn herbeigeführten Weltwende“ schrieb, von „unter schwersten Verhältnissen“ und unter „Einsatz und Anspannung aller Kräfte“ vollbrachten „einzigartigen“ und „einmalige[n] Leistungen“ beim Aufbau der Reichsmarine, die nun „mit vollen Segeln ihrer neuen größeren Zukunft als Kriegsmarine des Dritten Reichs entgegen“ strebe, bis zum „glorreichsten Siege der deutschen Geschichte“.48 Auch klingen vereinzelt antisemitische Stereotype an, wenn etwa die Bedeutung der weiteren Luftrüstung angesichts der „sich ständig steigernden Kriegshetze des Weltjudentums und des Weltbolschewismus“ beschworen wird.49
Bemerkenswerter im Hinblick auf die Nachkriegspublikationen ist indes, dass Thorwalds Material vor und nach 1945 ganz ähnlich gewesen sein dürfte. Thorwald schrieb später, er habe „auf der Insel, die die Marine seinerzeit in gewissem Sinne bildete, [...] in der eng geschlossenen und zensierten Welt der Information“ allein auf „deutsche Fachzeitschriften“ zurückgreifen können und sei ansonsten auf „Einfühlung oder wie man es nennen mag“ angewiesen gewesen.50 Hinzu kamen jedoch Interviews mit maßgeblich Beteiligten, so zum Beispiel Erhard Milch, Ernst Udet und Friedrich Christiansen,51 mündliche Berichte der nach Berlin kommenden Marineangehörigen52 und vor allem die Kriegsberichte der Propagandatruppen, von denen er den Großteil seines Bildmaterials bezog. Auch scheint seine Tätigkeit bei der Marine durchaus bedeutender gewesen zu sein, als er nachträglich unterstellte. Ein ehemaliger Kamerad schrieb später, Bongartz habe sich durch „ein stupendes kriegsgeschichtliches, um nicht zu sagen: durch ein erstaunliches militärpolitisches Wissen aus[ge]zeichnet, so sehr, daß ihn die Experten immer wieder zu Rate zogen und ihn bevorzugt informierten“. Er selbst sei „einmal dabei gewesen, als der Großadmiral Dönitz H[einz] B[ongartz] in einer schwierigen Situation rief und sich mit ihm austauschte“.53 Selbst zum Berichterstatter wurde Bongartz, als er „im Frühjahr 1945 in die Lübecker Bucht geschickt wurde, um einen Bericht über die dort ankommenden Flüchtlinge via Seetransport von Ostpreußen, Westpreußen usw. zu schreiben. Der realistische Bericht wurde nicht veröffentlicht. Man findet Teile davon erst in ‚Es begann an der Weichsel‘“.54
Letzteres bedarf einer gewissen Korrektur. Denn bereits im November 1948 finden sich in „Christ und Welt“ zwei große Artikel über „Die Katastrophe der Flüchtlingsschiffe 1945“, die den Auftakt bilden sollten zu einer „zwanglosen Folge von Berichten über die Ereignisse, die sich bei der Eroberung der deutschen Ostgebiete und während der Austreibung der deutschen Bevölkerung abgespielt haben“.55 Die Texte hatten sofort großen Erfolg. Nach Klaus Mehnert, späterem Chefredakteur der Zeitung, ließen sie „die Zahl der wöchentlich verkauften Exemplare binnen weniger Wochen von 17.000 auf 68.000 steigen“.56 Der zweite Text erschien anonym, der erste war mit „ErBo“ gezeichnet. Vergleicht man das Kürzel mit den im Impressum angegebenen Mitarbeitern der Ausgabe, so passt es nur zu einem „Ernst Bongartz“, geboren am gleichen Tag wie Heinz. Sollte dies kein wundersamer Zufall sein, hat Bongartz bei „Christ und Welt“ 1948 verdeckt geschrieben. Nachdem der Zeitung, die maßgeblich von ehemaligen Mitarbeitern der Propagandaabteilung des Auswärtigen Amts bestückt wurde, wegen dieser Artikel von den Alliierten Ende 1948 „Nationalismus und Militarismus“ vorgeworfen wurde, ja das Journal in amerikanischen Akten gar als „under cover Nazi-paper“ galt, nahm Bongartz für die von März bis Juni 1949 wöchentlich erscheinende Artikelserie zum „Ostdeutschen Schicksal“ das Pseudonym Jürgen Thorwald an.57
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„Christ und Welt“, 12.11.1948
„Christ und Welt“, 31.3.1949
Am 5. Mai 1949 erschien in „Christ und Welt“ eine „Bitte um Mitarbeit“. Man suche für eine „wesentlich ergänzte Fassung des Tatsachenberichtes ‚Ostdeutsches Schicksal‘ [...] weiteres Quellenmaterial, Erlebnisberichte, Aufrufe, Dokumente, Zeitungen“. „Und dann“, schrieb Thorwald vermutlich in einem Entwurf für eine Pressemitteilung, „geschah etwas Unerwartetes: Es meldete sich eine Unzahl von Menschen, – aus Briefen und Gesprächen mit ihnen entstand eine Stoffsammlung, wie sie wahrscheinlich einmalig ist“.58 Hatte Thorwald also über seine Tätigkeit im Zweiten Weltkrieg Kontakt zu den militärischen Entscheidungsträgern und über Eugen Gerstenmaiers „Evangelisches Hilfswerk“ (zu dessen vielen Projekten auch „Christ und Welt“ gehörte) Zugang zu Berichten vom Flüchtlingselend, so lieferten ihm die Briefe, Gespräche und Dokumente die Grundlage für die emotionalisierende Darstellung und gleichzeitig die Gewähr, dass eine solche auf Nachfrage stoßen würde.
Die Kontinuität im verwendeten Material und in seiner Aufbereitung war auch deshalb möglich, weil die allein zwischen 1938/39 und Februar 1943 von deutschen Propagandakompanien produzierten über 55.000 Wortberichte nicht nur das Bild vom Krieg nachhaltig prägten, sondern auch die formalen Konventionen einer möglichst wirksamen Darstellung von Wirklichkeit. Wilhelm Weiß, Hauptschriftleiter des „Völkischen Beobachters“ und Leiter des Reichsverbandes der deutschen Presse, gab den Kriegsberichterstattern dazu 1940 mit auf den Weg: „Eine geschickte Propaganda wird niemals so arbeiten, daß sie dem Publikum gewissermaßen vorher ein Ankündigungskommando gibt [...]. Der Leser merkt das nämlich sehr bald und wird verstimmt. Der Leser will Tatsachen wissen und über konkrete Ereignisse unterrichtet werden. Wenn zu dieser sachlichen Information dann noch die blendende journalistische Form tritt, dann wird damit der propagandistische Zweck besser erreicht als durch die ganze Stimmungsmalerei. Der Krieg kann auf dem Gebiet der Propaganda nicht ernst genug genommen werden.“ Es komme auf den „Eindruck“ an, dass „in Deutschland Männer am Werk sind [...], die es sich leisten können, auch in der Propaganda ehrlich und sachlich zu bleiben“.59 Eine literarische Gestaltung war dabei durchaus erwünscht – ohne dass der Anspruch auf Wahrhaftigkeit aufgegeben werden sollte. Im Nachwort einer Sammlung „PK-Feuilletons“ aus dem ersten Kriegsjahr heißt es: „Dieses Buch ist kein literarisches Buch. Es hat keinen anderen Ehrgeiz als der Wahrheit zu dienen.“60
Auch Thorwalds Einfühlung (zum Beispiel in Guderians Träume) oder die Verdichtung zu Sinnbildern mussten dementsprechend kein Anlass sein, an der Wahrhaftigkeit des Geschehens zu zweifeln. Besonders der nicht genau lokalisierte und datierte Bericht, der Exemplarisches auswählte, war in den Jahren um 1945 schlicht Konvention.61 So gab es 1950 keinerlei Anlass für eine Anmerkung, die sich in der korrigierten Ausgabe des Buchs „Es begann an der Weichsel“ von 1965 findet (S. 297) – und wohl ausschließlich dort: „Die hier genannten Frauen Bowien sind nicht identisch mit den Frauen der in Ostpreußen wohnhaft gewesenen Familie gleichen Namens. Der Name Bowien wurde von mir lediglich als Symbol zur Darstellung der an Hand von Originalberichten nachweisbaren Leiden gewählt, die Hunderttausende ostdeutscher Frauen erduldet haben.“
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Tatsächlich existiert in Thorwalds Material im Institut für Zeitgeschichte eine 27-seitige Vorlage, die von einer Frau namens Sabine Hoth verfasst und nicht nur in einigen Details verändert wurde. Die Bowiens werden vergewaltigt, und der Treck wird von einem Panzer der Roten Armee überrollt (Weichsel, S. 143-147), ohne dass in der Quelle davon die Rede gewesen wäre.62 Ein anderer Bericht, dessen Verfasserin nicht genannt werden wollte, wird vom Kreis Oststernberg in Brandenburg nach Pommern und vom Februar in den März 1945 verlegt;63 wieder andere Texte sind stilistisch überarbeitet, obwohl sie im Buch als wörtliche Zitate erscheinen.64
4. Auch eine Gründungsgeschichte
Reduzierte man „Die große Flucht“ auf die Fortschreibung von Propaganda des „Dritten Reichs“, würde man das Werk zweifellos verfehlen. Zumindest müsste zunächst geklärt werden, was unter Propaganda überhaupt zu verstehen ist. Ein Konsens neuerer Forschung ist der Abschied vom „Propaganda-Mythos“, welcher der nationalsozialistischen Propaganda die erfolgreich dirigierte Beeinflussung zu einem klar definierten machtpolitischen Zweck bescheinigte. Stattdessen musste und muss wirksame Propaganda „die vorgegebenen Themenstrukturen an den Erfordernissen der Situation und den Erwartungen des Publikums ausrichten. Diese Integration findet über Aufmerksamkeitsregeln statt und ist dem eigentlichen Diskurs über Meinungen vorgeschaltet. Die Aufmerksamkeitsregeln müssen universeller Natur sein und ein sehr großes Publikum integrieren können.“65
Propaganda nähert sich damit der Populärkultur an, deren Rezeption gerade nicht eindeutig steuerbar ist, sondern die vor allem Teilhabe über prinzipiell deutungsoffene Unterhaltungsangebote ermöglicht.66 So war es die erklärte Absicht der Kriegsberichte, einverständige Teilhabe am dargestellten Kampf- und Kriegsgeschehen zu erzeugen und über eine Art „Feldpostbrief für alle“, wie das Oberkommando der Wehrmacht 1942 dekretierte, Front und Heimat emotional zu verbinden.67 Dies konnte jedoch nur gelingen, wenn der Kriegsbericht den vielfältigen Erwartungen von Front und Heimat gleichermaßen entgegenkam – und nicht über ideologische Indoktrination. Dass nicht unmittelbare politische Lenkung, sondern eher eine solche Propaganda als Populärkultur Thorwalds Ziel war, zeigt nicht zuletzt die weitere Werkbiographie des Autors. Denn während die Vergangenheit Thorwalds vor 1950 nicht unbedingt bekannt ist, so gilt für die Zeit danach das genaue Gegenteil. In Bücherschränken vom Mittfünfziger aufwärts finden sich bis heute oft Thorwalds „Jahrhundert der Detektive“ (1964) oder eines der vielen erfolgreichen Sachbücher zur Medizingeschichte, deren letztes erst 1994 erschien („Der geplagte Mann. Die Prostata – Geschichte und Geschichten“). Die Gesamtauflage Thorwalds wurde schon 1980 auf 14 Millionen geschätzt.68 Von diesem Befund ausgehend lässt sich abschließend nach den kulturellen, politischen und emotionalen Bedürfnissen fragen, die Thorwald befriedigt haben könnte.
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Die Selektion bestimmter Unterhaltungsangebote kann mit der Mood-Management-Theorie als Mittel zur Stimmungsregulation beschrieben werden.69 Demzufolge haben erfolgreiche Produkte der Unterhaltungskultur einen positiven Effekt auf die Stimmung einer Vielzahl von Rezipienten. Thorwalds „Die große Flucht“ gelang das vermutlich mit einem Trick. Genau besehen widersprechen sich im Buch und in der Kritik Diskurs und Erzählung. Eigene Schuld, die Schuld der Deutschen, wird stets nur diskursiv thematisiert: in Erwägungen über die russischen Kriegsgefangenen, in einzelnen Erinnerungen der Protagonisten an Gewaltverbrechen und in Paratexten (Nachwort, Klappentext oder Pressemitteilungen). Das eigene, deutsche Leiden dagegen wird stets erzählt und nacherlebbar und teilnehmend durchlitten. Thorwalds Bücher verbinden damit zwischen zwei (respektive vier) Buchdeckeln, was in den einschlägigen erinnerungspolitischen Rekonstruktionen stets getrennt auftritt – eine Trennung, die über Jahrzehnte geradezu als innen- und außenpolitische Räson des westlichen Nachkriegsdeutschlands galt. „[D]emokratiepolitisch notwendig“ sei „die Unterscheidung zwischen privater Erinnerung und staatlicher Geschichtspräsentation“ gewesen, so Norbert Frei. „Für die ‚deutschen Opfer‘, für die Bomben- und Vertreibungstoten, auch für die gefallenen Soldaten, war in diesem neuen Diskurs tatsächlich wenig Platz.“70 Hans-Ulrich Wehler spricht von der „geraume Zeit“ berechtigten öffentlichen „Zurückhaltung“ gegenüber den Vertreibungsverbrechen und der daraus folgenden „Privatisierung“ des Leids der Vertriebenen.71 Gleichzeitig könne von „Tabuisierung“, so wieder Frei, „keine Rede sein“, wie „die florierende Verbandspublizistik und nicht zuletzt die offiziösen Großdokumentationen über Flucht und Kriegsgefangenschaft belegen“.72
Tatsächlich ist das von Thorwald gesammelte Material, das schon vor Jahrzehnten in das Institut für Zeitgeschichte gelangte, der kurz nach Erscheinen von „Es begann an der Weichsel“ begonnenen Ost-Dokumentation durchaus vergleichbar, die die Basis bildete für die 1953 bis 1962 erschienene monumentale Publikation des Bundesministeriums für Vertriebene zur „Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa“.73 Im publizierten Text der Dokumentation finden sich folgerichtig gleich mehrere Hinweise auf Thorwald, der meist als autorisierender Beleg zitiert wird.74 Dienten Thorwalds Bücher in ihren narrativen Teilen also ebenso wie die Dokumentation des Ministeriums der Konstitution der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft als Opfergemeinschaft, konnte Thorwald darüber hinaus – wie verkürzt und tendenziös auch immer – abbilden, was Robert G. Moeller als ebenfalls notwendig für die Bildung „legitime[r] politische[r] Identitäten“ in der Bundesrepublik erkannt hat: die diskursive Thematisierung und Anerkennung der ‚anderen‘ Opfer, zumal der jüdischen.75 Diese blieben indes „Schemen ohne Gesicht, ohne Familien, ohne Namen, ohne persönliche Identität“.76
Thorwalds unmittelbare Bedeutung für die erinnerungspolitische Gründungsgeschichte der Bundesrepublik lässt sich sogar belegen: Der „Spiegel“ stellte fest, dass Thorwalds Bücher 1950 zu den Bestsellern im „Bundeshaus-Buchladen“ gehört hätten, und Eugen Gerstenmaier berichtete in seinen Lebenserinnerungen, dass er „Es begann an der Weichsel“ einmal am Krankenbett Adenauers habe liegen sehen. „Adenauer hatte das Buch aufmerksam gelesen und sagte, daß er vieles erst aus diesem Buch erfahren habe.“77
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Cover und Klappentext der einbändigen Ausgabe von 1979. Thorwalds Biographie wurde hier als Amerikanisierungsgeschichte präsentiert: „Zur Marine einberufen, aber dienstunfähig, kam er aufgrund seiner schriftstellerischen Begabung als ‚Jungmitarbeiter‘ in eine Abteilung des Marine-Oberkommandos. 1943, nach der ersten Begegnung mit deutschen Durchschnittsbürgern unzugänglichen amerikanischen Zeitschriften und Büchern, entwickelte er jene Vorstellungen, die fünf Jahre später in seinem Buch ‚Es begann an der Weichsel‘ Niederschlag fanden.“
Angesichts der Nähe zu erinnerungspolitischen Konjunkturen kann es nicht erstaunen, dass Thorwald den neueren Auflagen seiner Bücher Überarbeitungen angedeihen ließ: Seit 1979 erfährt der Leser nicht mehr, ob sich Kossarew angesichts der verbrennenden Frauen im Warthegau ärgerte, dass er sie nicht zuvor vergewaltigt hatte, und auch nicht mehr, dass die Vertreibung der Deutschen aus Tschechien öffentlich gewesen sei (im Gegensatz zum Holocaust). Hitlers Konzeptionen sind nicht mehr „kolossal“, sondern „gigantoman“ – und auch nicht mehr „wenn man so wollte genial“, sondern sie „erschienen“ vielen nur noch so.78 Seit 1995 wird zudem betont, dass das Geschehen in Tschechien „unvergleichlich weniger [!] unmenschlich gewesen [sei] als die Austreibung und Tötung der Juden Europas durch die Deutschen“. Es finden sich auch zusätzliche Angaben zur „Ghettoisierung“ und zur Vernichtung. Dagegen wird die Zahl der „wirklich Schuldigen“ nun offen gelassen.79
Eine besondere Pointe birgt die Tatsache, dass 1995 auch der Pfarrer Karl Seifert aus dem Buch entfernt wurde und schon zuvor, durch die Nichtaufnahme Seiferts ins Personenregister der Ausgabe von 1965, ein Fiktionalitätssignal gesetzt wurde. Die „an eine hölzerne Bettstelle [...] mit Hilfe langer Nägel angenagelt[e]“ „deutsche Familie mit ihren Kindern“, die Seifert bei Pirna die Elbe hinuntertreiben sieht, gehört dennoch zu den bevorzugten Beispielen Erika Steinbachs, mit denen sie „gerade jungen Menschen“ die Notwendigkeit des „Zentrums gegen Vertreibung“ verdeutlichen will.80 Quellen für die Episode haben sich jedoch weder in Thorwalds Material noch in anderen Dokumentationen finden lassen. Deshalb liegt die Vermutung nahe, dass es sich um eine der „symbolischen Verdichtungen“ des Ausgangsmaterials handelte, die der 1950 erwünschten, aber 1995 in dieser Form nicht mehr opportunen Emotionalisierung dienten. So gesehen lassen sich Thorwalds Bücher und besonders das von Steinbach verwendete Beispiel weniger für die erinnernde Vergegenwärtigung erlittener Gewalt in Anspruch nehmen als für eine kritische Rekonstruktion des erinnerungspolitischen Diskurses.
1 Sturm über Ostpreußen. Jürgen Thorwald über das Schicksal unserer Heimat, in: Ostpreußenblatt, 28.4.1979. Die übrigen Angaben wurden ermittelt im Karlsruher Virtuellen Katalog (http://www.ubka.uni-karlsruhe.de/kvk.html) und im Zentralen Verzeichnis antiquarischer Bücher (http://www.zvab.com). Vgl. auch die Einträge in der Datenbank zur Sachbuchforschung: http://www2.hu-berlin.de/sachbuchforschung/CONTENT/SBDB/SBDB.php5?anzeige=true&ID=108; http://www2.hu-berlin.de/sachbuchforschung/CONTENT/SBDB/SBDB.php5?anzeige=true&ID=728; http://www2.hu-berlin.de/sachbuchforschung/CONTENT/SBDB/SBDB.php5?anzeige=true&ID=729. Hier wird mit folgenden Ausgaben gearbeitet: Jürgen Thorwald, Es begann an der Weichsel, Stuttgart 1950 [d.i. 1949], fortan zitiert mit dem Kurztitel „Weichsel“; ders., Das Ende an der Elbe, Stuttgart 1950, fortan zitiert mit dem Kurztitel „Elbe“; ders., Es begann an der Weichsel. Vollständige Taschenbuchausgabe, München 1965; ders., Das Ende an der Elbe. Vollständige Taschenbuchausgabe, München 1965; ders., Die große Flucht, München 1979; ders., Es begann an der Weichsel. Flucht und Vertreibung der Deutschen aus dem Osten. Vollständig überarbeitete und mit einem aktuellen Nachwort versehene Taschenbuchausgabe, München 1995; ders., Das Ende an der Elbe. Die letzten Monate des Zweiten Weltkriegs im Osten. Vollständig überarbeitete und mit einem aktuellen Nachwort versehene Taschenbuchausgabe, München 1995; ders., Die große Flucht. Niederlage, Flucht und Vertreibung, München 2005.
2 Droemer/Knaur, München, Autoren-Daten 1955. Heinz Bongartz detto (genannt) Jürgen Thorwald, Nachlass Thorwald, NL 459, Staatsbibliothek zu Berlin.
3 Ich danke Rainer Rutz für Auskünfte und die freundliche Überlassung von Dokumenten, Hannelore Thorwald für Auskünfte, die freundliche Überlassung des Nachlasses von Jürgen Thorwald an die Staatsbibliothek zu Berlin und die Erlaubnis, aus den Briefen und Manuskripten zitieren zu dürfen, Jutta Weber und der Staatsbibliothek zu Berlin sowie dem Deutschen Literaturarchiv Marbach am Neckar und dem Institut für Zeitgeschichte München für Kopien und Publikationsgenehmigungen.
4 Dass es sich dabei um eine bis weit in die Nachkriegszeit wirksame Propagandainszenierung handelte, ist erwiesen, dürfte Thorwald aber noch nicht bekannt gewesen sein. Vgl. Bernhard Fisch, Nemmersdorf, Oktober 1944, Berlin 1997.
5 Vgl. Joachim Fest, Der Untergang. Hitler und das Ende des Dritten Reiches. Eine historische Skizze, Reinbek bei Hamburg 2004; ders./Bernd Eichinger, Der Untergang. Das Filmbuch, hg. von Michael Töteberg, Reinbek bei Hamburg 2004. Zum Film vgl. Michael Wildt, „Der Untergang“: Ein Film inszeniert sich als Quelle, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 2 (2005), S. 131-142.
6 Zit. nach Thomas Kraft, Blutige Chronik über Schuld und Sühne, in: Solinger Tageblatt, 9.2.2005. Schon im Nachwort von 1950 hatte es geheißen (Weichsel, S. 346): „Es ist kein Buch über die Schuld der anderen und über die eigene Unschuld.“
7 Grund für die Anwerbung Thorwalds durch den späteren Bundesnachrichtendienst sei die zitierte Erwähnung Gehlens in „Es begann an der Weichsel“ gewesen. Eigentlich habe Thorwald eine Handreichung für künftige Feldzüge im Osten oder zumindest für Abwehr, Spionage und Infiltration während des Kalten Kriegs abfassen sollen. Vgl. Jürgen Thorwald, Die Illusion. Rotarmisten in Hitlers Heeren, München 1974, S. 9-22; Erstausgabe: Wen sie verderben wollen. Bericht des großen Verrats, Stuttgart 1952; Wlassow. Kapital verspielt, in: Spiegel, 24.12.1952, S. 27-31; Jürgen Thorwald, Es begann auf einem Dachboden in Boston, in: Deutsche Zeitung, 26.10.1973.
8 Vgl. zu Ehrenburg: Carola Tischler, Die Vereinfachungen des Genossen Ehrenburg. Eine Endkriegs- und eine Nachkriegskontroverse, in: Elke Scherstjanoi (Hg.), Rotarmisten schreiben aus Deutschland. Briefe von der Front und historische Analysen, München 2004, S. 326-339.
9 Léon Poliakov, Germany’s „Mistakes“, in: Commentary 14 (1952), S. 397ff., hier S. 398. Vgl. auch Ernest S. Pisko, ‚... Man and Horse and Wagon‘, in: Christian Science Monitor, 21.11.1952: „[O]ne wonders about the author’s moral stand when one reads such a resentfully ironic statement as: ‚Later generations may judge the events even no worse than the destruction or expulsion of the jews from Germany.‘“
10 Drew Middleton, Germany’s Defeat in the East, in: New York Times, 4.12.1951; Ko., „Es begann an der Weichsel“, in: National-Zeitung (Basel), 19.2.1950.
11 Hubert Rübesaat, Thema: Zeitgeschichte, in: Norddeutscher Rundfunk, 26.5.1995.
12 Rudolf Pechel, „Es begann an der Weichsel“, in: Deutsche Rundschau 76 (1950) H. 1/2, S. 117f., hier S. 117.
13 Hildegard Grosche an Martin Wegener, 21.3.1950. Bestand Thorwald, ZS A-2/7, Institut für Zeitgeschichte München.
14 CuW, Der Nationalsozialismus – mehr als ein deutsches Problem, in: Christ und Welt, 6.6.1948. Vgl. auch Friedrich Gerstenberger, Strategische Erinnerungen. Die Memoiren deutscher Offiziere, in: Hannes Heer/Klaus Naumann (Hg.), Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944, Hamburg 1995, S. 620-629.
15 Gerhard Boldt, Die letzten Tage der Reichskanzlei, Hamburg 1947; Heinz Rein, Finale Berlin. Roman, Berlin 1948; Hugh Trevor-Roper, Hitlers letzte Tage, Zürich 1946. Vgl. auch Edward D.R. Harrison, Hugh Trevor-Roper und „Hitlers letzte Tage“, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 57 (2009), S. 33-60.
16 Norbert Frei, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, München 1996, S. 133-306. Vgl. auch Jörg Echternkamp, Arbeit am Mythos. Soldatengenerationen der Wehrmacht im Urteil der west- und ostdeutschen Nachkriegsgesellschaft, in: Klaus Naumann (Hg.), Nachkrieg in Deutschland, Hamburg 2001, S. 421-443; Bernd Wegner, Erschriebene Siege. Franz Halder, die „Historical Division“ und die Rekonstruktion des Zweiten Weltkriegs im Geiste des deutschen Generalstabes, in: Ernst Willi Hansen/Gerhard Schreiber/Bernd Wegner (Hg.), Politischer Wandel, organisierte Gewalt und nationale Sicherheit. Beiträge zur neueren Geschichte Deutschlands und Frankreichs, München 1995, S. 237-302. Zeitgenössisch: Basil H. Liddell Hart, Jetzt dürfen sie reden. Hitlers Generale berichten, Stuttgart 1948; Franz Halder, Hitler als Feldherr, München 1949; General A. Guillaume, Warum siegte die Rote Armee?, Baden-Baden 1950; Siegfried Westphal, Heer in Fesseln. Aus den Papieren von Rommel, Kesselring und Rundstedt, Bonn 1950; Heinz Guderian, Erinnerungen eines Soldaten, Heidelberg 1951; Erich von Manstein, Verlorene Siege, Bonn 1953; Kriegspropaganda. Aus Hitlers Fehlern lernen, in: Spiegel, 16.2.1950, S. 17f.
17 E.J. Reichenberger, Ostdeutsche Passion, Düsseldorf 1948.
18 Johannes Kaps, Martyrium und Heldentum ostdeutscher Frauen. Ein Ausschnitt aus der schlesischen Passion, München 1954, Klappentext. Vgl. auch ders., Vom Sterben schlesischer Priester 1945/1946. Ein Ausschnitt aus der schlesischen Passion [1950], 3., verbesserte Aufl., hg. von Winfried König, Köln 1989; ders., Tragödie Schlesiens 1945/1946 in Dokumenten unter besonderer Berücksichtigung des Erzbistums Breslau, München 1952/53.
19 So machte Dwinger einen Königsberger Professor zum Protagonisten, der den Untergang reflektierend miterlebt; im von Thorwald gesammelten Material findet sich der Bericht eines Königsberger Volkshochschuldozenten, der teilweise als direktes Vorbild gedient haben könnte. Vgl. Bericht von Herrn Dr. Gerhardt, Bestand Thorwald, ZS A-2/2, Institut für Zeitgeschichte München; Edwin Erich Dwinger, Wenn die Dämme brechen. Der Untergang Ostpreußens, Wien 1950, S. 343-352.
20 Erich Kern, Das andere Lidice. Die Tragödie der Sudetendeutschen, Wels 1950, S. 110. Vgl. zu Kern: [...][Anm. der Red.: Link ist nicht mehr verfügbar].
21 Ko., Weichsel (Anm. 10). Vgl. auch diverse Pressestimmen im Verlagskatalog von 1953. Nachlass Thorwald, NL 459, Staatsbibliothek zu Berlin.
22 [Vorwort], in: Jürgen Thorwald, Sturm über Ostpreußen, in: Welt und Wort 5 (1950), S. 340f., hier S. 340. Vgl. auch: Das durchlöcherte Gehirn, in: Spiegel, 26.12.1956, S. 42-45, hier S. 42.
23 Helmut Günther, Jürgen Thorwald: Die ungeklärten Fälle, in: Welt und Wort 10 (1955), S. 243; Luise Rinser, Charakter, Standort und Bedeutung der jungen deutschen Literatur, in: Neue Zeitung, 17.2.1951.
24 Pechel, Weichsel (Anm. 12). Vgl. auch besonders ausführlich die zweifellos im Einverständnis mit Thorwald, wenn nicht von diesem selbst abgefasste Rezension: ahf., Ostdeutsches Schicksal, in: Christ und Welt, 15.12.1949.
25 Ko., Weichsel (Anm. 10).
26 Rinser, Charakter (Anm. 23).
27 ahf., Schicksal (Anm. 24).
28 Günther, Jürgen Thorwald (Anm. 23).
29 Ko., Weichsel (Anm. 10).
30 Pechel, Weichsel (Anm. 12), S. 117.
31 Artur W. Just, Die posthume Glorifizierung des Generals Wlassow, in: Außenpolitik 3 (1952), S. 830ff., hier S. 830.
32 Wlassow. Kapital verspielt (Anm. 7), S. 27.
33 Wie eine Grundlegung der Nachkriegszeitgeschichte muten Thorwalds weitere Ausführungen an (Weichsel, S. 343f.): „Es ist ein neuartiges Quellenstudium, das den gewöhnlichen Voraussetzungen historischer Arbeit nicht entspricht, wie sie in weniger chaotischen Zeiten üblich und möglich ist, denn es handelt sich um Studien ‚am lebendigen Objekt‘ [...]. Es ist immer ein Grundsatz historischer Forschung gewesen, Abstand von den Dingen zu gewinnen, die zu behandeln sind. Je mehr Zeit jedoch heute verstreicht, um so lückenhafter und um so unzuverlässiger wird die Erinnerung der Überlebenden.“
34 Jürgen Thorwald, Dichtung und viel Wahrheit. Über die Schwierigkeit, Sachbücher zu schreiben, in: Deutsche Zeitung/Christ und Welt, 5.11.1971.
35 Ebd.
36 Dassel, Begrenzte Herrschaft der Vernunft, in: ZEIT, 20.4.1950.
37 Vgl. als Buchpublikationen Guido Knopp, Der Sturm. Kriegsende im Osten, Berlin 2004; ders., Die große Flucht. Das Schicksal der Vertriebenen, München 2001. Vgl. zu Knopps Verfahren u.a. Wulf Kansteiner, Die Radikalisierung des deutschen Gedächtnisses im Zeitalter seiner kommerziellen Reproduktion: Hitler und das Dritte Reich in den Fernsehdokumentationen von Guido Knopp, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 51 (2003), S. 626-648; Thomas Fischer, Ereignis und Erlebnis: Entstehung und Merkmale des zeitgenössischen dokumentarischen Geschichtsfernsehens, in: Barbara Korte/Sylvia Paletschek (Hg.), History Goes Pop. Zur Repräsentation von Geschichte in populären Medien und Genres, Bielefeld 2009, S. 191-202.
38 W. Christian Schmitt, „Die Bestsellerei interessiert mich nicht mehr“. Wie sie leben, wie sie arbeiten, was ihre Erfolge ausmacht: z.B. Jürgen Thorwald, in: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel (Frankfurt a.M.) 41 (1985), S. 1059f., hier S. 1060.
39 Angaben nach Bongartz’ Personenakt bei der Reichsschrifttumskammer (ehem. Berlin Document Center, Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde) und dem Vergleich diverser selbstabgefasster Lebensläufe Thorwalds, die im Nachlass überliefert sind (NL 459, Staatsbibliothek zu Berlin).
40 Jürgen Thorwald, Wissenschaft und Technik verständlich dargestellt, in: ZEIT, 7. April 1967. Die Deutsche Dienststelle WAST hat jedoch keine Unterlagen über Thorwald (respektive Bongartz), und die vor 1945 in Zeitungen veröffentlichten Beiträge Bongartz’ tragen keinen Hinweis auf eine Zugehörigkeit zu einem entsprechenden Truppenteil. Vgl. etwa Heinz Bongartz, In der Abwehr. Von den Phasen dieses Krieges, in: Das Reich, 5.12.1943, wiederabgedruckt in: Hans Dieter Müller (Hg.), Facsimile-Querschnitt durch „Das Reich“, München 1964, S. 168f.
41 Jürgen Thorwald, [Lebenslauf], ca. 1980, Nachlass Thorwald, NL 459, Staatsbibliothek zu Berlin.
42 Thorwald an Kästner, 27.8.1971, Nachlass Kästner, Deutsches Literaturarchiv Marbach.
43 Thorwald, [Lebenslauf] (Anm. 41). Vgl. Ortwin Buchbender/Horst Schuh, Die Waffe, die auf die Seele zielt. Psychologische Kriegsführung 1939–1945, Stuttgart 1983, S. 22.
44 Vgl. Rainer Rutz, Signal. Eine deutsche Auslandsillustrierte als Propagandainstrument im Zweiten Weltkrieg, Essen 2007; Daniel Uziel, The Propaganda Warriors. The Wehrmacht and the Consolidation of the German Home Front, Bern 2008.
45 Heinz Bongartz, Luftkrieg im Westen. Flüge, Kämpfe und Siege deutscher Flieger, Minden 1940, Klappentext.
46 Ders., Seemacht Deutschland. Wiederaufstieg, Kampf und Sieg. Erster Band, Essen 1941, S. XIV.
47 Ebd.
48 Ebd., S. XIII, S. 40, S. 42, S. 48.
49 Ders., Luftmacht Deutschland. Luftwaffe – Industrie – Luftfahrt, Essen 1939, S. 95.
50 Thorwald, [Lebenslauf] (Anm. 41).
51 Vgl. Bongartz, Luftmacht (Anm. 49).
52 Thorwald an Kästner (Anm. 42).
53 Jürgen Thorwald: Die große Flucht, in: Dimitag, 29.8.1979, S. 11.
54 Thorwald, [Lebenslauf] (Anm. 41).
55 ErBo [d.i. Heinz Bongartz], Die Katastrophe der Flüchtlingsschiffe 1945, in: Christ und Welt, 12.11.1948; Der Untergang der Wilhelm Gustloff, in: Christ und Welt, 19.11.1948.
56 Klaus Mehnert, Ein Deutscher in der Welt. Erinnerungen 1906–1981, Stuttgart 1983, S. 328.
57 Vgl. ebd., S. 329; Schriftleitung „Christ und Welt“ an Hans Kohnert, 20.12.1948, Bestand Thorwald, ZS A-2/4, Institut für Zeitgeschichte München.
58 [Pressetext „Es begann an der Weichsel“], Bestand Thorwald, ZS A 2/2-1, Institut für Zeitgeschichte München.
59 Kriegsaufgaben der deutschen Presse. SA.-Obergruppenführer Weiß vor den Propagandakompanien, in: Deutsche Presse 30 (1940) H. 5, S. 43f., hier S. 44 (dortige Hervorhebungen).
60 Wilfried Bade/Wilmont Haacke, Nachwort, in: dies. (Hg.), Das heldische Jahr, Berlin 1941, S. 443f., hier S. 443.
61 Dass sich dieses Programm literarisierter Wirklichkeit nicht nur mit der Programmatik des Kriegsberichts deckt, sondern auch mit der Poetik des in den 1930er- bis 1950er-Jahren ungeheuer erfolgreichen Tatsachenromans, zeige ich in meiner Dissertation (Buchfassung: David Oels, RowohltsRotationsRoutine. Markterfolge eines Kulturverlags vom Ende der Weimarer Republik bis in die fünfziger Jahre, Essen 2010; in Vorbereitung).
62 Vgl. Sabine Hoth, Als wir unsere Heimat verließen, ZS A-2/3.
63 Vgl. Weichsel, S. 334-338. Auf S. 336 ist versehentlich, jedoch dem Original entsprechend, vom „9. Februar“ die Rede; Schicksale in der Neumark 1945, ZS A-2/3.
64 Vgl. Weichsel, S. 307-312, S. 321-327; Ramon Gliewe, Wege eines ostpommerschen Flüchtlings, ZS A-2/3.
65 Thymian Bussemer, Propaganda und Populärkultur. Konstruierte Erlebniswelten im Nationalsozialismus, Wiesbaden 2000, S. 87. Vgl. auch Rainer Gries/Wolfgang Schmale (Hg.), Kultur der Propaganda, Bochum 2005.
66 Bussemer, Propaganda (Anm. 65), S. 46f.
67 Merkblatt für Fragen der Wehrmachtpropaganda vom 20. Juni 1942, RW 4/230, Bundesarchiv Militärarchiv Freiburg.
68 Hartmut Panskus, Jürgen Thorwald, in: Lit Nr. 3/1980, S. 58ff., hier S. 59.
69 Vgl. zu diesem keinesfalls unumstrittenen Ansatz etwa Werner Wirth/Holger Schramm, Hedonismus als zentrales Motiv zur Stimmungsregulierung durch Medien? Eine Reflexion der Mood-Management-Theorie Zillmanns, in: dies./Volker Gehrau (Hg.), Unterhaltung durch Medien. Theorie und Messung, Köln 2006, S. 59-79.
70 Norbert Frei, 1945 und wir. Das Dritte Reich im Bewußtsein der Deutschen, München 2005, S. 28.
71 Hans-Ulrich Wehler, Einleitung, in: Stefan Aust/Stephan Burgdorff (Hg.), Die Flucht. Über die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten, Bonn 2003, S. 9-14, hier S. 10.
72 Frei, 1945 und wir (Anm. 70), S. 28.
73 Vgl. Mathias Beer, Im Spannungsfeld von Politik und Zeitgeschichte. Das Großforschungsprojekt „Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa“, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 46 (1998), S. 345-389; Robert G. Moeller, War Stories. The Search for a Usable Past in the Federal Republic of Germany, Berkeley 2001, S. 51-87.
74 Auskunft des Instituts für Zeitgeschichte München, 3.12.2009. Vgl. Theodor Schieder u.a., Die Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, Bd. I/1: Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße, Bonn 1953, S. 16E, S. 38E, S. 57E, S. 138f., S. 425, S. 442; Bd. IV/2: Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei, Bonn 1957, S. 556, S. 623.
75 Robert G. Moeller, Deutsche Opfer, Opfer der Deutschen. Kriegsgefangene, Vertriebene, NS-Verfolgte: Opferausgleich als Identitätspolitik, in: Naumann, Nachkrieg (Anm. 16), S. 29-58, hier S. 32. Ausführlicher in: ders., War Stories (Anm. 73).
76 Ders., Deutsche Opfer (Anm. 75), S. 46.
77 Eugen Gerstenmaier, Streit und Friede hat seine Zeit. Ein Lebensbericht, Frankfurt a.M. 1981, S. 282; Zwischen Staub und Parfüm. Büchermarkt 1950, in: Spiegel, 14.2.1951, S. 32.
78 Thorwald, Die große Flucht, 1979 (Anm. 1), S. 14, S. 60, S. 491.
79 Ders., Weichsel, 1995 (Anm. 1), S. 46f., S. 265; ders., Elbe, 1995 (Anm. 1), S. 328.
80 Vgl. etwa Erika Steinbach, Das „Zentrum gegen Vertreibungen“ als Ort der Erinnerung und der Aussöhnung, in: Evangelische Verantwortung Nr. 11/2003, S. 1-6, hier S. 1f.