Die Epochenzäsur 1989/90 und die NS-Historiographie

Anmerkungen

Wenn eine historiographische Debatte die engen Grenzen der (bundesdeutschen) Historiographie zum Nationalsozialismus und die Bedeutung der Epochenzäsur 1989/90 markieren kann, dann ist es der „Historikerstreit“ 1986/87.1 Es gibt viele Gründe, in ihm vor allem den Versuch zu sehen, gegen den Anspruch der 1982/83 an die Macht gekommenen christlich-liberalen Regierung Kohl auf eine „geistig-moralische Wende“ das sozialliberale Oppositionslager zusammenzuschweißen. Symbolische Auftritte wie der gemeinsame Besuch von Kohl und Reagan auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg 1985 ließen die Geschichtspolitik zu einem heftig umkämpften Feld der Auseinandersetzung um das Selbstverständnis, ja die Staatsräson der Bundesrepublik werden. Jürgen Habermas warf in seinem Artikel mit dem kennzeichnenden Titel „Eine Art Schadensabwicklung“ Ernst Nolte, Andreas Hillgruber und Klaus Hildebrand in einen Topf und sah alle drei als Vertreter eines nationalkonservativen Geschichtsrevisionismus, der in seinem Text wie in zahlreichen nachfolgenden Beiträgen scharf zurückgewiesen wurde.

Die politisch-moralische Empörung konnte die Dürftigkeit der geschichtswissenschaftlichen Kenntnisse zum Geschehen der nationalsozialistischen und stalinistischen Massenverbrechen kaum überdecken. Zwar war die Selbstgewissheit verflogen, mit der ein Doyen der Zunft wie Karl Dietrich Bracher 1969 sein Werk unter dem kennzeichnenden nationalgeschichtlichen Titel „Die deutsche Diktatur“ eingeleitet hatte, dass der Nationalsozialismus „weitgehend erforscht“ sei.2 Aber auch die hochkarätig besetzte Stuttgarter Konferenz im Mai 1984 zum Thema „Der Mord an den europäischen Juden im Zweiten Weltkrieg – Entschlussbildung und Verwirklichung“3 stand noch deutlich im Zeichen der Frage nach der „Entschlussbildung“, also der Auseinandersetzung, ob und wann Hitler den Befehl zum Völkermord gegeben habe, und weniger der „Verwirklichung“. Der heftige Streit zwischen Intentionalisten und Strukturalisten, der in diesen Jahren die Diskussion bestimmte, wurde auf einer nur dünnen empirischen Grundlage geführt.4

Nach einem kurzen Rückblick auf die westdeutsche Historiographie zum Nationalsozialismus (1.) möchte ich daher die veränderten Fragestellungen Ende der 1970er-, Anfang der 1980er-Jahre skizzieren, die neben der Alltagsgeschichte den paradigmatischen Perspektivwechsel auf die Verfolgung und Ermordung der Juden betrafen (2.). Vor diesem Hintergrund soll das Phänomen diskutiert werden, dass die Revolutionen 1989/90 einhergingen mit der Rückkehr der Akteure in die Geschichtsschreibung (3.). Dieser Aufsatz kann nicht die Funktion eines umfassenden Literaturberichts erfüllen, und manche historiographischen Entwicklungen wie der systematische Ausbau der KZ-Forschung5 werden hier nur gestreift. Vielmehr geht es mir um Veränderungen von Perspektiven, die sich nach 1989/90 abzeichneten und sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts offensichtlich weiter verstärkt haben. Vor allem drei Konsequenzen scheinen mir für die NS-Geschichtsschreibung nach dieser Epochenzäsur relevant zu sein: eine Abkehr von der strikt dichotomisierten Opfer-Täter-Geschichte zugunsten einer „histoire croisée“ (4.), die Europäisierung nicht bloß der Erinnerungspolitik, sondern auch der Forschung im Blick auf die Partizipation von Teilen der Bevölkerung in den besetzten Gebieten an der Ausplünderung, Deportation und Ermordung der Juden sowie die Globalisierung des Holocaust-Diskurses (5.) und schließlich die Medialisierung von Geschichte, die eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus vor neue Herausforderungen stellt, ja den Begriff der Zeitgeschichte neu definiert (6.).

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1. Historiographische Systemkonkurrenz. Ein Rückblick

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg hatte eine gewisse „Vergeistigung“ um sich gegriffen: Der Nationalsozialismus wurde als Kulturvergessenheit, als Negation des christlichen Abendlandes oder gar als Gottlosigkeit überhaupt gedeutet, während zugleich die Täter dämonisiert wurden – als Barbaren, Ausgeburten der Straße und des Pöbels, die Deutschland für ihre Zwecke besetzt gehalten hätten.6 Entsprechend gerieten die Deutschen zu mehrfachen Opfern, die zunächst von einer Verbrecherclique beherrscht worden seien und dann noch die Schrecken von Bombenkrieg, Vertreibung und Nachkriegsnot hätten erleiden müssen. Friedrich Meineckes bekannter Vorschlag von 1946, durch Goethe-Feiern die Rückbesinnung auf die guten deutschen Traditionen zu fördern und gewissermaßen im Geist der Weimarer Klassik eine Selbstreinigung zu bewerkstelligen, zeigt die damalige Hilflosigkeit nur zu deutlich.7 Die Viktimisierung der Deutschen wies auf die Abwehr des Problems, was nicht mit Schweigen gleichzusetzen ist, sondern vielmehr eine spezifische Redeweise über den Nationalsozialismus markiert.

Es waren offenkundig ein Generationswechsel und der kulturelle Aufbruch in den 1960er-Jahren nötig, bis jüngere Historikerinnen und Historiker – theoretisch bezogen auf Max Weber und Talcott Parsons, methodologisch gestützt auf die strukturalistische angelsächsische Soziologie – die deutsche Sozialgeschichte reformierten und auch für die NS-Zeit zu produktiven neuen Fragestellungen gelangten. Für jene neue Historikergeneration, zu der beispielsweise Martin Broszat (Jg. 1926), Hans Mommsen (Jg. 1930) und Hans-Ulrich Wehler (Jg. 1931) gehörten, die den Nationalsozialismus in ihrer Jugend noch erlebt, teilweise unterstützt hatten, bedeutete der Zusammenbruch des NS-Regimes eine tiefe biographische Zäsur, die eine entschiedene Hinwendung zum demokratischen Ordnungsmodell westlicher Prägung nach sich zog. Historiographisch galt es von der Auffassung abzurücken, dass große Männer Geschichte machten. Stattdessen traten Prozesse und Strukturen in den Mittelpunkt der Analysen. Mommsens Diktum von der „kumulativen Radikalisierung“ als Ergebnis einer zunehmenden strukturellen Anarchie der NS-Herrschaft, deren chaotisch wuchernde Institutionen nicht mehr zu einer sachlichen, planerischen Politik imstande gewesen seien, sondern sich nur noch auf den kleinsten, das heißt radikalsten Nenner hätten einigen können, prägt bis heute die Diskussion.8

Ausdrücklich setzten sich die „Bielefelder Schule“ der Sozialgeschichte und die „Strukturalisten“ der NS-Forschung von der doktrinär-marxistischen DDR-Geschichtswissenschaft ab. Tatsächlich waren die meisten Studien, die in der damaligen DDR herauskamen, wissenschaftlich nicht viel wert; das NS-Regime wurde, in einer gleichfalls vorwiegend nationalen Sichtweise, strikt ideologisch als terroristisches Herrschaftssystem des Monopolkapitals gegen die revolutionäre Arbeiterklasse gedeutet. Ebenso erstarrte die westdeutsche Studentenbewegung in einem orthodoxen Marxismus und verstand Horkheimers Satz, dass über den Faschismus schweigen solle, wer vom Kapitalismus nicht spreche, mehr als politische Kampfansage an das universitäre Establishment denn als wissenschaftliche Herausforderung. Die große Chance, die anregende angelsächsische Debatte über eine materialistisch inspirierte Kulturgeschichtsschreibung zu rezipieren und damit Strukturen wie Akteure analytisch zu verbinden, blieb ungenutzt.9

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Vielmehr war die westdeutsche NS-Historiographie lange Zeit mit der Frage beschäftigt, wie es zum Januar 1933, zu Hitlers „Machtergreifung“, hatte kommen können. Dabei stand die Untersuchung der staatlichen Institutionen und der gesellschaftlichen Eliten im Mittelpunkt. Durch deren Versagen erst konnte eine nationalsozialistische Massenbewegung ihren Aufschwung nehmen und Hitler zur Macht tragen, wobei in diesen Analysen stets auch das an der Totalitarismus-Theorie orientierte Misstrauen gegenüber den „Massen“ zu erkennen war. Als prototypisch kann Martin Broszats in vieler Hinsicht verdienstvolle Darstellung „Der Staat Hitlers“ von 1969 gelten.10 Nicht die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden stellte darin den analytischen Fluchtpunkt dar, sondern das Ende der ersten deutschen Demokratie. Die Historiographie zum Nationalsozialismus blieb in einer staatspolitischen Fragestellung gefangen, die offensichtlich ein Echo auf die Selbstverständigungsdebatte in den frühen Jahren der Bundesrepublik darstellte, ob Bonn im Gegensatz zu Weimar eine gefestigte Republik sei oder sich jene Katastrophe wiederholen könne.11

2. Veränderte Fragen

Karl Dietrich Brachers schon erwähnte Studie „Die deutsche Diktatur“, die gleichfalls 1969 erschien, blickte gebannt auf das Schicksal der eigenen Nation, während die Massenverbrechen des NS-Regimes jenseits der deutschen Grenzen außerhalb des Horizonts lagen. Die Ermordung der europäischen Juden nahm in dem fast sechshundert Seiten dicken Band nur zwölf Seiten ein.12 Raul Hilbergs materialreiches Standardwerk zur Vernichtung der europäischen Juden war zwar bereits 1961 in den USA erschienen, wurde in der deutschen Geschichtswissenschaft aber kaum rezipiert.13 Bei Broszat tauchte Hilbergs Buch lediglich als Literaturangabe im Anhang auf; Bracher erwähnte ihn nur kurz. Helmut Krausnick nahm in seinem ausführlichen Gutachten für den Auschwitz-Prozess über die Judenverfolgung an etlichen Stellen sachlich Bezug auf Hilberg, vermied es jedoch, sich mit dessen Bürokratie-These auseinanderzusetzen, sondern machte wiederum Hitler und dessen Judenhass für die Vernichtungspolitik verantwortlich.14

Zumindest punktuell war dennoch zu beobachten, wie sich der westdeutsche Blick auf das NS-Regime änderte. Der Ulmer Einsatzgruppenprozess 1958 offenbarte die Massenverbrechen, die im Osten begangen worden waren; antisemitische Schmierereien und Schändungen jüdischer Friedhöfe 1959/60 riefen nicht nur gesellschaftliche Entrüstung hervor, sondern rückten die Frage nach der Geschichte und Gegenwart jüdischen Lebens wieder in die Öffentlichkeit; Rolf Hochhuths heftig debattiertes Theaterstück „Der Stellvertreter“ von 1963 bezichtigte die katholische Kirche und Papst Pius XII. der Mitwisserschaft wie Untätigkeit gegenüber dem Judenmord. Der Eichmann-Prozess 1961, der weltweit im Fernsehen übertragen wurde, und die Auschwitz-Prozesse 1963–1965 in Frankfurt am Main brachten einen Tätertypus zum Vorschein, der gar nicht dämonisch wirkte, sondern vielmehr durchschnittlich.

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Aber noch Mitte der 1970er-Jahre gab es jährlich nur etwa vier bis zehn deutschsprachige Neuerscheinungen zum Mord an den europäischen Juden. Es war ein Medienereignis, das den entscheidenden Anstoß zur Veränderung gab: die US-Fernsehserie „Holocaust“, die in der Bundesrepublik Anfang 1979 ausgestrahlt wurde.15 Diese in gekonnter Hollywood-Manier gedrehte Geschichte, die am Beispiel von deutschen Täter- wie Opferfamilien die Geschichte der Verfolgung und Ermordung der Juden darstellt, fand eine enorme Resonanz. Mit Einschaltquoten zwischen 31 und 40 Prozent sahen mehr als 20 Millionen Deutsche die vierteilige Serie, was in etwa der Hälfte der erwachsenen Bevölkerung entsprach. 64 Prozent der befragten Zuschauer gaben an, dass die Serie sie „tief erschüttert“ habe. Im Anschluss an die Ausstrahlung der jeweiligen Folge diskutierten Zeitzeugen und Wissenschaftler wie Eugen Kogon, Wolfgang Scheffler, Yehuda Bauer, Martin Broszat, Alexander Mitscherlich, Marcel Reich-Ranicki eine weitere Stunde über „Holocaust“, und auch diese Studiodiskussionen wurden von Millionen Zuschauern am Fernsehschirm verfolgt. Die Printmedien griffen das Thema sogleich auf. Der „Spiegel“ begann Ende Januar 1979 eine Serie zum „Holocaust“ mit dem Titelbild jenes berühmten Fotos des Eingangstors von Auschwitz-Birkenau.16 Die „ZEIT“ startete im März 1979 eine Serie des amerikanischen Journalisten Dan Kurzman über das Warschauer Ghetto.

Man kann die Wirkung der Serie „Holocaust“ für die bundesdeutsche Öffentlichkeit und nicht zuletzt für die Entwicklung der Geschichtswissenschaft kaum hoch genug einschätzen. Martin Broszat sprach selbstkritisch von „unbestreitbaren Unzulänglichkeiten der deutschen Zeitgeschichtsschreibung bei der Behandlung des Holocaust-Themas“.17 Die Vielzahl der Veröffentlichungen 1988, anlässlich des 50. Jahrestags des Novemberpogroms von 1938, stellte bereits unter Beweis, dass sich die Perspektive gedreht hatte.18 Der Holocaust, so konstatiert Hans Mommsen rückblickend, wurde „zum zentralen Paradigma der Behandlung des Dritten Reichs“.19

Der veränderte Blick auf das NS-Regime, der nun die Verfolgung und Vernichtung der Juden in den Mittelpunkt rückte, fand eine nachhaltige Verstärkung durch einen umfassenderen Perspektivwechsel in der Historiographie: vom System und den Strukturen auf die Subjekte und den Alltag. „Alltag“ meint dabei keinen Ort, keinen Gegenstand, auch nicht eine Sphäre des Repetitiven, der Routine, die sich vom „Feiertäglichen“, Besonderen abhebt. Der Begriff umreißt vielmehr ein Forschungsprogramm, das den Blick richtet auf jene vielfältige Praxis, in der die Menschen ihre Situation wahrnehmen und sich aneignen. „Geschichte von unten“, so Alf Lüdtke, zeige „einen Blickwandel an: Es geht nicht um die Sicht von den ‚Kommandohöhen‘; zentral sind vielmehr die Praktiken, in denen diese besetzt und befestigt werden, sowie die Lasten und Leiden, die den ‚Vielen‘ zugemutet werden oder die diese sich selbst auferlegen.“20

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Durchaus kritisch, mitunter polemisch, gegen die strukturalistische Geschichtsschreibung gerichtet, war in den anfänglichen Texten zur Alltagsgeschichte noch viel die Rede von der Geschichte der „kleinen Leute“. Es sollte um das Leben und Überleben, die tägliche Mühsal wie die Widersetzlichkeit jener vielen Namenlosen gehen, die in der Geschichtsschreibung zugunsten der „Großen“ und der Strukturen unbeachtet geblieben seien. Dem lag ohne Zweifel auch ein gewisser heroisierender Blick zugrunde: Mit der Erforschung und Darstellung der „roten Großväter und Großmütter“ sollte eine Tradition der Protestes und des aufrechten Gangs gestiftet werden, die nicht zuletzt den Forscherinnen und Forschern selbst Orientierung geben sollte. Nicht zufällig entstand die „neue Geschichtsbewegung“ parallel mit den sozialen Auseinandersetzungen der 1970er-Jahre – ob in den harten Konflikten der Thatcher-Regierung mit den Gewerkschaften in England, wo sich „History Workshops“ als Teil der Arbeiterbewegung gründeten, oder in der Bundesrepublik, wo in der Umwelt- und Friedensbewegung das Bedürfnis nach einer „eigenen“ Geschichte spürbar wurde und lokale „Geschichtswerkstätten“ sich bildeten. Auch das große Forschungsprojekt des Instituts für Zeitgeschichte zum bayerischen Alltag in der NS-Zeit mit dem damals innovativen Anspruch, „Sozial“- bzw. „Gesellschaftsgeschichte des politischen Verhaltens“ im Nationalsozialismus zu schreiben,21 konzentrierte sich noch darauf, Spuren von Widerständigkeit oder „Resistenz“ (Broszat) in der deutschen Gesellschaft herauszufinden.

Mit jener Vielzahl lokaler Geschichtsinitiativen – nicht zu vergessen die Schülergruppen des von Bundespräsident Heinemann initiierten Geschichtswettbewerbs – setzte aber auch ein breiteres Nachfragen hinsichtlich der NS-Zeit ein. Beim Schülerwettbewerb des Jahres 1980/81 zum Thema „Alltag im Nationalsozialismus“ lag die Beteiligung mit knapp 13.000 Teilnehmer(inne)n dreimal so hoch wie zwei Jahre zuvor.22 Vor allem der 50. Jahrestag des nationalsozialistischen Machtantritts 1983 förderte in hunderten von Kommunen Initiativen, die sich mit dem Geschehen vor Ort beschäftigten und Fragen der Erinnerung vehement auf die Tagesordnung setzten. Damit rückten konkrete Akteurinnen und Akteure sehr viel schärfer ins Bild – oftmals so deutlich, dass die lokal Mächtigen alles daran setzten, um die Veröffentlichung der Forschungen zu verhindern. Regisseur Michael Verhoeven drehte über die Schwierigkeiten einer jungen Passauer Studentin, die nationalsozialistische Geschichte ihrer Stadt zu recherchieren und dabei die Namen der Verantwortlichen zu nennen, 1989 den Film „Das schreckliche Mädchen“, der auf der Berlinale den Silbernen Bären erhielt.23

Doch blieb der alltagsgeschichtliche Blick stark auf die deutschen Verhältnisse gebannt. Wenn es um das Schicksal der Juden im Nationalsozialismus ging, war damit vornehmlich das der deutschen Juden vor Ort gemeint – der einstigen Nachbarn, die von ihresgleichen stigmatisiert, boykottiert und schließlich vertrieben worden waren. Kennzeichnenderweise bildeten die Novemberpogrome in den meisten Darstellungen dieser Zeit, die von lokalen Geschichtsinitiativen veröffentlicht wurden, den Abschluss der Geschichte. Die Deportationen der deutschen Juden ab dem Herbst 1941 und deren Ermordung blieben unbeleuchtet. Erst recht befand sich die Vernichtung der europäischen Juden und anderer Opfergruppen wie der Sinti und Roma noch außerhalb der Wahrnehmungsgrenze.

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Die Zeitenwende 1989/90 öffnete daher in mehrfacher Hinsicht den Horizont der Geschichtswissenschaft. Durch den Zusammenbruch des Kommunismus fiel nicht allein die ständige Zumutung fort, sich legitimatorisch von der marxistischen Geschichtsschreibung abgrenzen zu müssen. Vor allem wurde mit dem Fall des Eisernen Vorhangs der Blick auf Osteuropa frei, wo die Massenverbrechen des NS-Regimes überwiegend stattgefunden hatten. Zwar hatte bereits die fulminante, 1981 erschienene Studie von Helmut Krausnick und Hans-Heinrich Wilhelm den Fokus auf die Verbrechen der SS-Einsatzgruppen in den besetzten polnischen und sowjetischen Gebieten gerichtet.24 Insgesamt aber war die deutsche Historiographie zum Nationalsozialismus bis 1989/90 noch stark nationalgeschichtlich ausgerichtet gewesen. Nun nahm Osteuropa nicht nur seinen Platz in Gesamteuropa wieder ein, sondern auch die Geschichtsschreibung erkannte, dass das NS-Regime seine Vernichtungspläne mit besonderer, massenmörderischer Vehemenz außerhalb der ehemaligen deutschen Reichsgrenzen verwirklicht hatte – nämlich in den besetzten Ostgebieten.

Zudem machte die Demokratisierung der ehemaligen kommunistischen Staaten den westlichen Historikerinnen und Historikern bislang verschlossene Archive zugänglich, deren Auswertung die Forschung ungemein belebte. Die nächsten zehn, fünfzehn Jahre waren von gehaltvollen empirischen Studien geprägt, die sich auf die Besatzungspolitik und die Massenverbrechen des NS-Regimes in Osteuropa und der Sowjetunion konzentrierten.25 Statt des schal gewordenen Streits um die Rolle Hitlers im Prozess der „Endlösung“ wurden Fragen nach dem Verhältnis von Zentrale und Peripherie, Befehlsgebung von oben und Initiativen von unten, nach der Rolle der regionalen Institutionen der Besatzungsverwaltung, nach Intentionen und Interessen der Handelnden vor Ort, nach den Akteuren überhaupt interessant. Ein neues Feld eröffnete sich: die NS-Täterforschung.

3. Rückkehr der Akteure

Die Frage nach den Subjekten in der Geschichte wurde nicht allein durch die Alltagsgeschichte aufgeworfen. Hatten vor 1989 noch Konvergenztheorien die allmähliche Angleichung der Gesellschaftssysteme in Ost und West vorausgesagt und waren die Regierungen im Westen noch wie selbstverständlich von der Systemstabilität im Osten ausgegangen, so ließen die Revolutionen in Ost-(mittel)europa 1989 erkennen, dass es auf die Akteure ankommt, wenn Geschichte „sich ereignet“. Dass es die im Osten verfolgten, im Westen kaum beachteten Aktivisten der Bürgerrechtsbewegungen waren, die den Kommunismus zu Fall brachten, hatte kaum jemand für möglich gehalten. Die Frage, wer Geschichte macht und welche Handlungsmöglichkeiten historischen Akteuren offenstehen, war in den Jahren um 1989/90 keine bloß akademische.

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In der NS-Forschung dieser Zeit gerieten zunächst die gesellschaftlichen, vor allem wissenschaftlichen Eliten in den Fokus, die „Vordenker der Vernichtung“.26 Unabhängig von der mit diesem Buch aufgeworfenen Diskussion, ob Antisemitismus oder modernisierende Rationalität das Movens für die Ökonomen, Sozialwissenschaftler, Demographen, Raumplaner, Geographen gewesen war, um sich an den monströsen Lebensraum- und Vernichtungsplänen des NS-Regimes zu beteiligen: Die zuvor weit verbreitete Annahme, die NS-Täter stammten von den Rändern der Gesellschaft und nicht aus ihrer Mitte, war jetzt obsolet.

Während noch zwei Jahrzehnte zuvor die so genannte Hitler-Welle eine Flut von Publikationen in die Buchhandlungen gespült hatte – darunter nicht zuletzt Joachim Fests monumentale Hitler-Biographie27 –, standen nunmehr die „normalen Täter“ im Mittelpunkt. Die heftige öffentliche Debatte, die besonders die erste „Wehrmachtsausstellung“ des Hamburger Instituts für Sozialforschung auslöste, hing zum einen mit der Leugnung von Veteranen zusammen, dass „normale“ Soldaten etwas mit den Judenmorden zu tun gehabt hatten, und zum anderen mit der Evidenz der gezeigten Bilder und Dokumente: Die Verbrechen der Wehrmacht waren auch von einfachen Landsern verübt und gebilligt worden.28

Gleichfalls fanden in den 1990er-Jahren zwei Bücher eine ungemeine öffentliche Resonanz, in denen die „ordinary men“ die Haupt-Täter-Rolle spielen: Christopher Brownings Untersuchung über das Polizeibataillon 101 und Daniel J. Goldhagens Buch über „Hitlers willige Vollstrecker“, die sich – kontrovers interpretierend – auf denselben Quellenbestand eines umfassenden staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens stützen.29 Als Gründe für die Entwicklung dieser Männer zu Massenmördern nennt Browning Gruppendruck, Anpassung, Gehorsam, situative Gewaltbereitschaft und zunehmende Abstumpfung, argumentiert also weniger mit biographischen und ideologischen als vielmehr mit durchaus gewöhnlichen sozialwissenschaftlichen Ansätzen, die das Außer-Gewöhnliche erklären sollen. Allerdings mündet seine Arbeit am Schluss in eine eher ratlose Frage: Wenn diese „normalen Männer“ unter solchen Umständen zu Mördern werden konnten – für welche Gruppe von Menschen ließe sich Ähnliches dann noch ausschließen?30 Dagegen blieb Goldhagens Ansatz – trotz der berechtigten Kritik an seiner fragwürdigen These eines allumfassenden „eliminatorischen Antisemitismus“ – der Täterforschung als Stachel erhalten: Statt der immer wieder gestellten Frage, „wie man Menschen dazu bringen kann, Taten zu begehen, denen sie innerlich nicht zustimmen und die sie nicht für notwendig oder gerecht halten“, fordert Goldhagen dazu auf, die Frage anders zu formulieren und die Annahme einzubeziehen, dass die Täter(innen) wollten, was sie taten.31

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Harald Welzers Vorschlag einer Referenzrahmenanalyse versucht, die Browning-Goldhagen-Kontroverse produktiv aufzulösen: Welzer geht davon aus, dass im Fall einer grundlegenden Veränderung bislang geteilter ethischer Werte in der Gesellschaft auch die individuelle Moral es erlaubt, das bislang Verbotene nun für das Gebotene zu halten. Anders als Hannah Arendt, die in ihrem Buch „Eichmann in Jerusalem“ für die NS-Gesellschaft eine „Totalität des moralischen Zusammenbruchs“ feststellte, so dass Täter wie Eichmann nicht mehr in der Lage gewesen seien, moralisch zu urteilen, vertritt Welzer die These einer partikularen, nationalsozialistischen Moral, die es den Tätern und Täterinnen ermöglicht habe, zu morden und sich zugleich weiterhin als moralische, normativ urteilende Menschen zu sehen, die eben keine „Unmenschen“ seien. Es müsse „in einem sozialen Gefüge lediglich eine einzige Koordinate verschoben werden, um das Ganze zu verändern – um eine Wirklichkeit zu etablieren, die anders ist als die, die bis zum Zeitpunkt dieser Koordinatenverschiebung bestanden hatte. Diese Koordinate heißt soziale Zugehörigkeit.“32

Gerade die Frage nach den „ordinary men“, den „gewöhnlichen Tätern“, die den Mord an den europäischen Juden, Roma und Sinti, behinderten Menschen, Kriegsgefangenen etc. exekutierten, sich an der Verfolgung von „Gemeinschaftsfremden“ und „Rassefeinden“ beteiligten, ist ohne alltagsgeschichtliche Forschungen kaum zu beantworten. Die zahlreichen, nicht bloß materiellen, sondern auch symbolischen Gewinne, die das NS-Regime mit dem Begriff der „Volksgemeinschaft“ verhieß, boten Anknüpfungspunkte für Loyalität, Zustimmung, Hinnahme sowie für Bereitschaft, an den Verbrechen mitzuwirken. Möglich waren aber auch Distanz, Rückzug ins Private, Gleichgültigkeit, die selten zu Verweigerung oder gar Widersetzlichkeit führten. „Der genaue Blick in die Aneignungsweisen zeigte, wie sehr die Vielen die Herrschaftsverhältnisse, Gewaltformen und Brutalitäten gegen andere nicht nur hingenommen, sondern aktiv mit-produziert und mit-gemacht haben.“33

Ganz offensichtlich ist die Zahl der veröffentlichten Täterbiographien in den vergangenen Jahren enorm gestiegen. Vielleicht entspricht der biographische Zugang am ehesten der Erwartung, dass Menschen als selbstverantwortlich handelnde Individuen ihre Entscheidungen zwar mit freiem Willen treffen, aber doch nicht unabhängig von ihrem Charakter, ihrer persönlichen Entwicklung und ihren jeweiligen Erfahrungen. Mit der Kritik an der Hitler-Zentriertheit einerseits und an der strukturalistischen Sichtweise andererseits, die konkret handelnde Akteure kaum in den Blick nimmt, wächst auch das Interesse an neuen biographischen und kollektivbiographischen Zugängen.34

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Ulrich Herbert hat mit seinem Buch über Werner Best, Heydrichs Stellvertreter und späteren Chef der Besatzungsverwaltung in Dänemark, ein erweitertes biographisches Modell in die Diskussion eingeführt: die Generation. Die individuelle Biographie Bests steht exemplarisch für eine Kriegsjugendgeneration, die am Ersten Weltkrieg nicht mehr teilgenommen hat, sich in der Weimarer Republik in radikal völkischen und antisemitischen Studentenorganisationen engagierte und nach 1933 zur Führungsgruppe von Gestapo, Kriminalpolizei und Sicherheitsdienst der SS (SD) aufstieg. An Herberts Arbeit schloss sich meine eigene Studie zum Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes an, die im Titel den Begriff der Generation explizit aufnimmt.35 Auch andere neuere Biographien entwerfen facettenreiche Darstellungen von antisemitischem Antrieb, Karrierismus wie Opportunismus, Korruption und Bereicherungsstreben, verbinden also individuelle mit strukturellen und situativen Faktoren.36

Zudem hat sich mittlerweile hinsichtlich der Opfer die Perspektive geöffnet. Die Forschung der vergangenen zwei Jahrzehnte hat herausgearbeitet, wie das NS-Regime in seiner sowohl antisemitischen wie rassenbiologischen Politik neben den Juden auch Sinti und Roma, behinderte und kranke Menschen, so genannte Asoziale, Homosexuelle und etliche weitere Gruppen verfolgte. Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, das die Hitler-Regierung im Juli 1933 gleich nach den antisemitischen Aprilgesetzen verabschiedete, führte bis Kriegsbeginn laut offiziellen NS-Angaben zu 300.000 Zwangssterilisationen, wobei die Dunkelziffer um einiges höher liegen dürfte. Der Massenmord begann 1939 mit der so genannten Euthanasie an Kranken und Behinderten, der bis zum Ende des Regimes in Deutschland und in den besetzten Gebieten etwa 275.000 Menschen zum Opfer fielen. Unter der Verantwortung der Wehrmachtsführung starben zudem mehr als drei Millionen sowjetische Kriegsgefangene, weil sie mit mörderischer Absicht dem Hungertod preisgegeben wurden.

Die rassistische Politik des NS-Regimes, die sich mit dem Krieg ins Massenmörderische radikalisierte, richtete sich in erster Linie gegen die Juden, zielte darüber hinaus aber auf eine homogene „Volksgemeinschaft“, der auch jene nicht-jüdischen Menschen zum Opfer fallen sollten, die in der nationalsozialistischen Perspektive als „minderwertig“ galten. Die monströse Vision, „Lebensraum“ im Osten zu schaffen, steigerte die Pläne, den dortigen Raum neu zu ordnen, im „Generalplan Ost“ zu der Absicht, etwa 30 Millionen der dort ansässigen Menschen versklaven, deportieren oder ermorden zu wollen. Mit diesen quantitativen und räumlichen Dimensionen hat die Forschung zum Nationalsozialismus heute zu tun – was keineswegs eine Relativierung der Shoah bedeutet, sondern im Gegenteil den massenmörderischen Charakter des NS-Regimes umso kenntlicher macht.

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Die Diskussion um Akteure hatte auch den Effekt, dass die Verfolgten nicht mehr als bloße Opfer, als Objekte ihrer Verfolger gesehen wurden. In den großen Ausstellungen zur Shoah in Yad Vashem, im United States Holocaust Memorial Museum in Washington oder im Berliner Informationszentrum des Denkmals für die ermordeten Juden Europas37 werden die Verfolgten und Ermordeten mit Namen, Gesicht und Biographie genannt. Die Darstellung des nationalsozialistischen Massenmords soll nicht dazu führen, dass sich der menschenverachtende Blick der Täter wiederholt, die in ihren Opfern nur eine zahlenmäßig bezifferte Menge an „Stück“ sahen. Dies erfordert etwa beim Umgang mit fotografischen Quellen eine besondere Sorgfalt.38 Die Ermordeten waren Menschen mit einer je eigenen Geschichte, mit Hoffnungen, Lebensfreude, Zukunftsgewissheit und, selbst unter den extremen Gewaltverhältnissen, mit eigenen Handlungsmöglichkeiten.

4. Histoire croisée

Saul Friedländer hat gefordert, die Geschichte der Shoah als integrierte Geschichte zu schreiben, in der die Verfolgten als Individuen ernstgenommen werden und ihre Perspektiven ebenso Raum erhalten wie das Handeln der Täter. „Von Anfang an stellten alle Schritte“, schreibt Friedländer, „die einzelne Juden oder jüdische Gruppen unternahmen, um die Bemühungen der Nationalsozialisten zu stören, ein Hindernis, wie geringfügig es auch immer gewesen sein mag, auf dem Weg zur vollständigen Vernichtung dar: ob es darum ging, Beamte, Polizisten oder Denunzianten zu bestechen, Familien dafür zu bezahlen, daß sie Kinder oder Erwachsene versteckten, in die Wälder oder ins Gebirge zu fliehen, sich in kleine Dörfer oder in große Städte zurückzuziehen, zu konvertieren, sich Widerstandsgruppen anzuschließen, Lebensmittel zu stehlen oder sonst etwas zu tun, das zum Überleben führte. Auf dieser Mikroebene fand die grundlegende und fortlaufende Interaktion der Juden mit den Kräften statt, die bei der ‚Endlösung‘ am Werk waren. Auf dieser Mikroebene müssen jüdische Reaktionen und Initiativen untersucht und in die umfassende Geschichte integriert werden. Auf dieser Mikroebene ist ein großer Teil des Geschehens eine Geschichte von Individuen.“39

Friedländers Plädoyer für eine integrierte Geschichte gewinnt besondere Bedeutung, wenn man die europäische Dimension in den Blick nimmt. Das NS-Regime war keine bloß „deutsche Diktatur“, sondern, beginnend mit der Annexion von Teilen der Tschechoslowakei 1938, ein europäisches Besatzungsregime. Ohne die freiwillige oder erzwungene Mitarbeit der einheimischen Administrationen wäre den personell nur schwachen Besatzungsverwaltungen die Ausbeutung und Beherrschung kaum gelungen. So waren die holländischen Einwohnermeldeämter sorgfältig bemüht, ein exaktes „Judenregister“ zu erstellen, das es den Häschern ermöglichte, mit einer Gründlichkeit wie in keinem anderen besetzten Land nahezu sämtliche Juden zu verhaften und in den Tod zu deportieren. In Belgien war die Kollaborationsbereitschaft in den flämischen wie wallonischen Landesteilen durchaus unterschiedlich. Während Antwerpen dem deutschen Befehl, den „Judenstern“ einzuführen, sofort nachkam, verweigerte Brüssel die Mitwirkung mit dem ausdrücklichen Argument, die Kennzeichnung verletze die Menschenwürde.40

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Die Vernichtung der europäischen Juden hätte ohne die Partizipation von Teilen der einheimischen Bevölkerungen, Eliten wie „ordinary men“, nicht geschehen können. Zahlreiche Gruppierungen in anderen europäischen Ländern begriffen sich nicht bloß als faschistisch, sondern orientierten sich explizit am Nationalsozialismus. Es handelte sich meist um zahlenmäßig kleine Gruppen, die aber, wie zum Beispiel in Litauen im Sommer 1941, zur Stelle waren, um die Macht innerhalb der litauischen Administration zu übernehmen, mit den Deutschen zu kooperieren und barbarische Mordtaten an der jüdischen Minderheit zu vollstrecken. Neben Terror, Mord, rücksichtsloser Ausplünderung, neben Vertreibung, Deportation und Zwangsarbeit gab es Angebote zur Beteiligung, zur Kollaboration – und von Seiten der jeweiligen Bevölkerungen eigene Praktiken im Umgang mit dem Besatzungsregime, um innerhalb des repressiven Rahmens sowohl Möglichkeiten des Überlebens zu finden als auch durchaus Möglichkeiten des Weiterkommens und Aufsteigens.

Aus den Postcolonial Studies wissen wir, dass derlei Kollaboration, Partizipation und Nutznießertum keineswegs als eindimensionales oder auch nur dialektisches Verhältnis von Herren zu Knechten zu beschreiben ist. Die Perspektive auf „Herrschaft als soziale Praxis“ (Alf Lüdtke) muss den eigensinnigen Umgang mit Herrschaft seitens der Beherrschten einschließen. Die Teilhabe und Mitwirkung der autochthonen Bevölkerungen in den von Deutschland besetzten Gebieten an der Ausplünderung und Ermordung der jüdischen Minderheiten ließe sich durchaus mit den Erkenntnissen und methodischen Instrumentarien der Postcolonial Studies untersuchen. Damit würden sich neue Blickwinkel auf die nationalsozialistische Herrschaft ergeben – ohne dass die Massenverbrechen und die deutsche Verantwortung in irgendeiner Weise relativiert würden.

Und noch ein weiterer Aspekt ist für die Untersuchung der Verbrechen einzubeziehen, vor allem in den besetzten osteuropäischen und sowjetischen Gebieten: das stalinistische Gewaltregime. In etlichen Regionen wie dem Baltikum, der Ukraine oder dem Kaukasus trafen deutsche Gewalttäter 1941/42 auf Gewalttaten des sowjetischen Geheimdienstes und initiierten brutale Pogrome der einheimischen Bevölkerung gegen die Juden als angebliche Helfershelfer der Bolschewisten (bzw. fanden bereits Pogrome vor, wie im Fall Lemberg). Diese ost(mittel)europäischen Räume waren seit Jahrzehnten von Krieg, Bürgerkrieg, Pogromen, massenmörderischer Hungerpolitik, Zwangsdeportationen und Massenexekutionen durchzogen. Nun errichtete die deutsche Besatzungsmacht erneut ein Gewaltregime, das millionenfachen Mord bedeutete.41

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Der Nationalsozialismus, das lässt sich als eine Konsequenz der Zeitenwende 1989/90 festhalten, ist als Teil einer Gewaltgeschichte Europas im 20. Jahrhundert zu verstehen – korrespondierend mit anderen Gewaltregimes (insbesondere dem sowjetischen), von ihnen lernend, sie in ihrer Gewaltpraxis befeuernd und sich gegenseitig radikalisierend. Die Shoah gehört ebenso in den Gewaltzusammenhang dieses Jahrhunderts wie die stalinistische Politik, die Millionen von Menschen das Leben kostete – als vielfach verflochtene Geschichte und eben nicht als eindimensionales Kausalitätsverhältnis, wie es Ernst Nolte seinerzeit behauptete. Vorschnelle Zuschreibungen, es handle sich um „ethnische Säuberungen“ hier und um „Genozid“ dort, lassen die Differenzen von Gewaltformen verschwinden, die zu klären erst noch Aufgabe der Forschung ist. So beruhen Verweise auf den Holocaust als Referenzrahmen in der Genozidforschung auf der problematischen Annahme, dass dieser ausführlich erforscht und seine Ursachen geklärt seien. Zahlreiche Studien zum Genozid im 20. Jahrhundert gehen wie selbstverständlich von einer starken Intentionalität und staatlichen Organisation beim Mord an den europäischen Juden aus, obwohl die jüngere Holocaustforschung gerade die institutionellen, situativen und regionalen Momente in den Vordergrund stellt.42

Wissen wir wirklich genug von den Gewaltpraktiken, den Tätern, Motiven und Situationen, von den Opferzuschreibungen oder von den Radikalisierungsdynamiken, die in dem einen Fall zu Misshandlungen, Ausplünderungen, sexueller Gewalt und Vertreibung führten, in einem anderen Fall darüber hinaus in die Ermordung mündeten? Vieles spricht dafür, sich Jacques Sémelin anzuschließen und die Perspektive auf die Massenmorde des 19. und 20. Jahrhunderts zu verändern.43 Im Mittelpunkt stünde dann weniger das Klassifizierungsproblem als vielmehr die Analyse der konkreten Gewalttaten, der unterschiedlichen Akteure sowie der politischen Ordnungen, legitimierenden Denkstile und situativen Gegebenheiten. Die deutsche NS-Forschung würde damit aus der besonderen politisch-kulturellen Funktion heraustreten, die sie in der Bundesrepublik lange gehabt hat, und zum spezifischen Bestandteil einer breiter angelegten „Geschichte des Verletzens und Tötens im 20. Jahrhundert“ werden.44

5. Europäisierung und Globalisierung

Eine der auffälligsten Veränderungen seit 1989/90 im Umgang mit den nationalsozialistischen Massenverbrechen ist die „Globalisierung“ des Holocaust-Diskurses.45 Es gibt kaum einen gewalttätigen Konflikt in der Welt, bei dem nicht eine der Gruppen, die sich als Opfer definieren, in der Anklage gegen Vertreibungen, Vergewaltigungen, Zerstörungen und Morde mit dem Begriff „Holocaust“ operiert, um im Rekurs auf das weithin schwerste Menschheitsverbrechen die eigenen erlittenen Gewalttaten hervorzuheben.

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Auch im Kalten Krieg hat es „heiße Kriege“ gegeben, und es ist angesichts der blutigen regionalen Kriege in Afrika oder Süd- und Mittelamerika allein einer eurozentrischen Perspektive geschuldet, wenn die Zweiteilung der Welt als Stabilität gegolten hat. Doch als nach dem Zerfall der Sowjetunion nun in Europa selbst mit den post-jugoslawischen Kriegen oder dem Tschetschenien-Konflikt scheinbar plötzlich eine ethnisierte, massenmörderische Gewalt aufsprang, wie sie die Europäer bis dahin fast 50 Jahre nicht erlebt hatten, war der Begriff „Genozid“ rasch wieder präsent.

Die UN-Konvention von 1948 zur Ächtung des Völkermords, die angesichts des Holocaust entstand, aber mehrere Jahrzehnte danach kaum mehr Beachtung fand, erlebte nun eine beachtliche Renaissance. Die völkerrechtliche Klausel der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates, die Grundlage der Außenbeziehungen in der zweigeteilten Welt, verlor nach dem Zerfall der Sowjetunion ihre Gültigkeit. Stattdessen rückten die Menschenrechte und insbesondere die weltweite öffentliche Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen in den Mittelpunkt. Auf der Grundlage der Genozid-Konvention werden Sanktionen und selbst Militäreinsätze gegen Regimes legitimiert, die sich der Zerstörung von Lebensgrundlagen, der Gewalt, Vertreibung oder des Massenmords gegen die eigene Bevölkerung schuldig gemacht haben. Der nationalsozialistische Völkermord an den Juden wurde zum Inbegriff des Genozids, zur Bezeichnung für das schwerwiegendste Menschheitsverbrechen überhaupt. 1993/94 machte Steven Spielbergs Film „Schindler's List“ den Holocaust zu einem globalen Medienereignis, und das United States Holocaust Memorial Museum in Washington öffnete seine Pforten. Nicht Deutschland oder Israel, sondern die USA waren die Vorreiter, den Holocaust in eine universelle Allegorie für das Böse schlechthin zu wandeln, aber zugleich auch die Notwendigkeit zu thematisieren, sich im Namen der Humanität dagegen zu wehren.46

Im Januar 2000 kamen auf Einladung der schwedischen Regierung hochrangige Vertreter aus 46 Ländern der Welt zu einem „International Forum on the Holocaust“ zusammen und versicherten, dass der Holocaust „für alle Zeiten von universeller Bedeutung“ sein und „für immer in unserem kollektiven Gedächtnis verankert bleiben“ müsse. 2005 beschloss die Vollversammlung der Vereinten Nationen, den Tag der Befreiung von Auschwitz, den 27. Januar, zum „International Day of Commemoration in Memory of the Victims of the Holocaust“ zu erklären. Der Holocaust, so Daniel Levy und Natan Sznaider, sei mittlerweile historisch „entortet“ und fungiere als ein kosmopolitisches moralisches Modell für die Verletzung von Menschenrechten.47

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Für den westlichen Teil Europas ist der Holocaust so etwas wie ein „negativer Gründungsmythos“, der, wie Michael Jeismann argumentiert hat, durch das europäische Verfolgungsschicksal der Juden zur Europäisierung der Geschichte Europas beitrug.48 Die Aufarbeitung der eigenen Holocaust-Vergangenheit einschließlich der Mitwirkung an der Ausplünderung und Ermordung der jüdischen Minderheit ist eine wesentliche Voraussetzung für die Integration der postkommunistischen Staaten in die Europäische Union. „Das erste Nachkriegseuropa“, stellt der Historiker Tony Judt fest, „wurde auf einer vorsätzlichen Amnesie erbaut – Vergessen als Lebensform. Seit 1989 gründet sich Europa stattdessen auf eine kompensatorische Überfunktion des Gedächtnisses: das institutionalisierte öffentliche Erinnern als das zentrale Fundament der kollektiven Identität.“49

Im östlichen Europa jedoch besitzt die sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fortsetzende Diktaturerfahrung unter dem Kommunismus eine mindestens gleichrangige Bedeutung. Dies zeigte sich etwa im Frühjahr 2004 in der spektakulären Kontroverse zwischen der lettischen Außenministerin Sandra Kalniete, die auf einer gleichwertigen Erinnerung an Völkermord und Diktatur bestand, und Salomon Korn, Vorstandsmitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland, der auf der Singularität des Holocaust insistierte. Zweifellos ist die Befürchtung nicht unberechtigt, durch die erinnerungspolitischen Diskurse über den Kommunismus würden der Holocaust und die jeweilige Mitwirkung der einheimischen Bevölkerung an den Massenverbrechen beiseite gedrängt. In Ungarn zum Beispiel machte der nach 1989 beginnende national-ungarische Erinnerungsdiskurs allein die deutsche Besatzungsmacht und die faschistischen Pfeilkreuzler für den Holocaust im eigenen Land verantwortlich und entwarf dagegen ein Bild des ungarischen Volkes, das viele Jahrzehnte unter zwei Diktaturen habe leiden müssen. In dem 2002 eröffneten „Haus des Terrors“ in Budapest findet der Holocaust nur in knapp drei Räumen Platz, während der kommunistischen Herrschaft mehr als zwanzig Räume gewidmet sind.50 Und der nicht-jüdische Schriftsteller Kornél Döbrentei beklagte angesichts der Verleihung des Literaturnobelpreises an Imre Kertész, der 1944 als Jugendlicher nach Auschwitz deportiert worden war und in seinen Romanen die Mitwirkung der Ungarn an der Ausbeutung, Verschleppung und Ermordung der ungarischen Juden benennt, dass niemand auf der Welt für die ungarische Geschichte voller Leid geradestehe. „Wir haben unsere eigenen Toten! Und es ist furchtbar, dass jemand, der den vornehmsten literarischen Preis der Welt entgegennimmt, dies erreicht, dass er die Kollektivschuld eines Volkes zwar nicht ausspricht, sie jedoch suggeriert.“51 Mit der Wendung „Wir haben unsere eigenen Toten“ schloss Döbrentei die ermordeten jüdischen Ungarn aus der ungarischen Nationalgeschichte aus und stellte beide Geschichten als unvereinbar dar.

Es gibt jedoch auch andere Bemühungen in Ungarn. Rechtzeitig zum Beitritt zur Europäischen Union im Mai 2004 wurde in Budapest ein Holocaust-Gedenkzentrum eröffnet. Der Oberbürgermeister der Hauptstadt bat zu diesem Anlass um Entschuldigung „für das Verbrechen, das die ungarische politische Gemeinschaft zwischen 1938 und 1944 gegen das ungarische Judentum verübt hat“.52 Dieser Widerstreit der Erinnerungen, insbesondere in den postkommunistischen Staaten, ist noch nicht geklärt, und es gibt Anzeichen, dass performative Strukturen der Erinnerung an den Holocaust auch das Erinnern an den Kommunismus bestimmen und ein Angleichungs- und Normierungsprozess zu beobachten ist. Das Europäische Parlament gedachte 2005 in einer vieldiskutierten Entschließung zum 60. Jahrestag des Kriegsendes nicht nur der Opfer des Nationalsozialismus, sondern betonte zugleich, „dass das Ende des Zweiten Weltkrieges für einige Nationen eine erneute Diktatur, diesmal durch die stalinistische Sowjetunion, bedeutete“.53 Offensichtlich wird jedenfalls, dass die westeuropäische Selbstbezüglichkeit zu ihrem Ende gekommen ist und die Geschichte des Kommunismus unverzichtbar zur Geschichte Europas gehört. Für die Forschung heißt dies, dass erst die gemeinsame, vergleichende und beziehungsgeschichtliche Analyse beider Regime deren spezifischen Mobilisierungscharakter wie deren Gewaltbereitschaft in den Blick bekommt.54

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Die Wiederkehr oder besser Neudefinition der Erinnerungen an den Holocaust hat zudem eine materielle Seite; Fragen der „Wiedergutmachung“ und Restitution sind seit 1989/90 von neuem auf die europäische Agenda gekommen. Constantin Goschler hat darauf hingewiesen, dass es angesichts der Unschätzbarkeit des Verlustes eine beachtliche gesellschaftliche Leistung ist, diesen dennoch zu beziffern und „Entschädigungen“ aushandeln zu können, d.h. die unsagbaren Gewalttaten in einen zivilgesellschaftlichen Modus des Sagbaren zu transferieren.55

Die Ansprüche auf materielle Entschädigungen, die mit der Forderung nach Anerkennung als Opfer einhergingen, haben nicht zuletzt die historische Forschung zum Nationalsozialismus in den letzten Jahren ungemein befördert. Etliche Firmen wie die Volkswagen AG, die Commerzbank und der Bertelsmann-Verlag haben von unabhängigen Historikergremien ihre NS-Vergangenheit untersuchen lassen, nicht zuletzt um die nun juristisch erhobenen Ansprüche der einstmals ausgebeuteten ausländischen Zwangsarbeiter zu prüfen.56 Die Schweizer Banken haben durch eine internationale Historikerkommission die Existenz geheimer Konten überprüfen lassen, auf denen jüdisches Vermögen gelegen hatte und an deren Kapitalerträgen auch die Banken mitverdient hatten.57 Staatliche Behörden wie das Auswärtige Amt, das Bundesjustiz- oder das Bundesfinanzministerium öffnen Historikerkommissionen ebenfalls ihre Archive, damit diese unabhängig die NS-Vergangenheit erforschen können. Trotz mancher Schwierigkeiten, die mit derartiger Auftragsforschung verbunden sind, beinhalten all diese Untersuchungsberichte valide und umfassende Ergebnisse. Sie haben die wirtschafts- und finanzgeschichtlichen Zusammenhänge der Judenvernichtung und den Raub jüdischen Vermögens in einer neuartigen Breite und Akribie als gesamteuropäische Phänomene sichtbar gemacht.58

6. Medialisierung

Neben der Europäisierung und Globalisierung des Holocaust-Diskurses hat die Medialisierung von Geschichte die NS-Historiographie verändert und vor neue Herausforderungen gestellt. Von dem besonderen Einfluss der Fernsehserie „Holocaust“ auf die Geschichtsschreibung war oben bereits die Rede. Auch Jahrestage wie 1983 (50 Jahre NS-Machtübernahme), 1988 (50 Jahre Novemberpogrom), 1991 (50 Jahre Überfall auf die Sowjetunion), 1994 (50 Jahre 20. Juli 1944) und schließlich 1995 (50 Jahre Ende des Krieges und Befreiung vom Nationalsozialismus) haben in den Medien große Beachtung gefunden. Darüber hinaus haben sie sich auf Rhythmen und Inhalte der geschichtswissenschaftlichen Produktion ausgewirkt. Etliche Bücher sind erkennbar auf einen solchen Jahrestag hin geschrieben worden (mit unterschiedlichem Neuigkeitswert für die Forschung).

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Gerade zu Jahrestagen ist eine Vielzahl von Fernsehfilmen ausgestrahlt worden, die die Wahrnehmung des Nationalsozialismus geprägt haben. Studierende, die heute in Seminaren zur Geschichte des Nationalsozialismus diskutieren, greifen viel stärker auf ein Bildgedächtnis zur Zeitgeschichte zurück als auf ein Textgedächtnis. Nicht Bücher oder Aufsätze sind die Grundlage des Wissens dieser jungen Menschen, sondern Kino- und Fernsehfilme – insbesondere die Serien „Hitler und …“, die der ZDF-Zeithistoriker Guido Knopp in den 1990er-Jahren mit großem Erfolg produziert hat. Dies zu konstatieren heißt keineswegs, sich der normativen Kraft des Faktischen zu unterwerfen, zumal mit neueren Dokumentationen wie „Holokaust“, an der namhafte Historiker beratend mitwirkten, durchaus bewiesen werden konnte, dass es im Medium Fernsehen wissenschaftlich fundierte Produktionen geben kann.59

Es wäre indes ein Trugschluss, in der Vielzahl audiovisueller Medien zum Thema Nationalsozialismus nur eine andere Form der Geschichtsdarstellung und -vermittlung zu sehen, die nach wie vor der traditionellen, primär auf schriftlichen Dokumente basierenden historischen Forschung als Grundlage bedürfe. Vielmehr verändert die Produktion und Zirkulation der Bilder auch den forschenden Blick und wirft ihrerseits Forschungsfragen auf. Die zahllosen Fotografien, die deutsche Wehrmachtssoldaten von „ihrem“ Feldzug geknipst haben und auf denen der Alltag jenseits der Kämpfe ebenso dargestellt ist wie grausame Exekutionsszenen, dokumentieren nicht bloß „Wirklichkeit“. Die Aufnahmen positionieren zugleich die fotografierenden Akteure in dem Geschehen, geben Selbstbeschreibungen und Selbstverständnis der Soldaten zu erkennen und führen zu Fragen nach deren Wahrnehmungsweisen und Präsentationen ihrer selbst und ihrer Handlungen, nach Einwilligung, Beteiligung oder Distanz.60

Während Hans Rothfels die Zeitgeschichte in seiner klassischen Definition als „Epoche der Mitlebenden“ bestimmte,61 erfordert die Visualität und Audio-visualität eine veränderte Definition.62 „Zeitzeugen“ bilden ein unerlässliches Element in den Fernsehdokumentationen zur Zeitgeschichte und speziell zur Geschichte des Nationalsozialismus, vermitteln sie doch den Eindruck von Authentizität. Während Historiker/innen als „Experten“ auftreten, denen eine eher kontextualisierende Funktion zugewiesen wird, besitzen die Zeitzeugen die dramaturgische Aufgabe, zu sagen, „wie es wirklich gewesen ist“ – und was sie dabei empfunden haben. Die Präsenz, Unmittelbarkeit und emotionale Kraft der Bilder gemeinsam mit der Stimme des Zeitzeugen erheben heute den Anspruch, Geschichte zu zeigen, während die distanzierende Schrift, das abwägende geschriebene Wort, der zweifelnde, offene Text – das dominierende Medium der Geschichtswissenschaft – bei der televisuellen Geschichtsvermittlung in den Hintergrund treten und höchstens noch als gesprochenes Wort in den Filmen vorkommen.

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Die schier unerschöpflichen Bild- und Tonarchive – man denke bloß an die Zehntausende von Interviews, die die von Steven Spielberg initiierte „Shoah Foundation“ mit Holocaust-Überlebenden geführt hat63 – verknüpfen auf neue, hybride Weise kommunikatives und kulturelles Gedächtnis miteinander. Nach ihrem Tod können die Zeitzeugen nicht mehr in einen Dialog treten, aber ihre Aussagen sind lebendiger, „mitlebendiger“, als sie es zu Rothfels’ Zeiten waren. Das Medium verändert den Modus der Konstruktion von Geschichte ebenso wie die Rolle des wissenschaftlich arbeitenden Historikers. Bilder und Töne sind daher nicht bloß als Quellen in die Arbeit von Historiker-innen und Historikern aufzunehmen – Bilder verändern den Umgang mit Geschichte und die Genese von Geschichtsbewusstsein. Wir werden über den Begriff und die Methoden der Zeitgeschichte im Zeitalter (audio)visueller Kommunikation, medialer Speicherung und Vergegenwärtigung von Vergangenheit neu nachdenken müssen.64

Insgesamt bleibt festzuhalten: Die Epochenzäsur 1989/90 und der Fall des Kommunismus haben die Geschichtsschreibung zum Nationalsozialismus keineswegs überflüssig gemacht oder in einem diffusen Feld der Totalitarismustheorie aufgelöst, sondern haben im Gegenteil neue Fragen aufgeworfen, die die Forschung in den nächsten Jahrzehnten beschäftigen werden.

Anmerkungen: 

1 Vgl. Rudolf Augstein u.a., „Historikerstreit“. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung, München 1987; Dan Diner (Hg.), Ist der Nationalsozialismus Geschichte? Zu Historisierung und Historikerstreit, Frankfurt a.M. 1987; Ulrich Herbert, Der Historikerstreit: politische, wissenschaftliche, biographische Aspekte, in: Martin Sabrow/Ralph Jessen/Klaus Große Kracht (Hg.), Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Große Kontroversen nach 1945, München 2003, S. 94-113; Steffen Kailitz (Hg.), Die Gegenwart der Vergangenheit. Der „Historikerstreit“ und die deutsche Geschichtspolitik, Wiesbaden 2008; Volker Kronenberg (Hg.), Zeitgeschichte, Wissenschaft und Politik. Der „Historikerstreit“ – 20 Jahre danach, Wiesbaden 2008.

2 „Der Nationalsozialismus ist weitgehend erforscht, und doch ist sein Bild bis heute umstritten.“ Karl Dietrich Bracher, Die deutsche Diktatur. Entstehung, Struktur, Folgen des Nationalsozialismus, Köln 1969, S. 1.

3 Eberhard Jäckel/Jürgen Rohwer (Hg.), Der Mord an den Juden im Zweiten Weltkrieg. Entschlußbildung und Verwirklichung, Stuttgart 1985.

4 So bereits Ulrich Herbert, Vernichtungspolitik. Neue Antworten und Fragen zur Geschichte des „Holocaust“, in: ders. (Hg.), Nationalsozialistische Vernichtungspolitik 1939–1945. Neue Forschungen und Kontroversen, Frankfurt a.M. 1998, S. 9-66, hier S. 21.

5 Vgl. etwa Karin Orth, Die Historiographie der Konzentrationslager und die neuere KZ-Forschung, in: Archiv für Sozialgeschichte 47 (2007), S. 579-598.

6 Vgl. Nicolas Berg, Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Erforschung und Erinnerung, Göttingen 2003; sowie jüngst Christoph Cornelißen, Erforschung und Erinnerung – Historiker und die zweite Geschichte, in: Peter Reichel/Harald Schmid/Peter Steinbach (Hg.), Der Nationalsozialismus. Die zweite Geschichte. Überwindung – Deutung – Erinnerung, München 2009, S. 217-242.

7 Friedrich Meinecke, Die deutsche Katastrophe, Wiesbaden 1946; dazu Nikolai Wehrs, Von den Schwierigkeiten einer Geschichtsrevision. Friedrich Meineckes Rückblick auf die „deutsche Katastrophe“, in: Jürgen Danyel/Jan-Holger Kirsch/Martin Sabrow (Hg.), 50 Klassiker der Zeitgeschichte, Göttingen 2007, S. 29-32.

8 Vgl. dazu Mommsens bedeutsamen Aufsatz: Die Realisierung des Utopischen. Die „Endlösung der Judenfrage“ im „Dritten Reich“, in: Geschichte und Gesellschaft 9 (1983), S. 381-420.

9 Vgl. die kurze, aber beeindruckende Problemskizze von Timothy Mason, Whatever Happened to „Fascism“?, in: ders., Nazism, Fascism and the Working Class, ed. by Jane Caplan, Cambridge 1995, S. 323-331.

10 Martin Broszat, Der Staat Hitlers. Grundlegung und Entwicklung seiner inneren Verfassung, München 1969; vgl. dazu Norbert Frei (Hg.), Martin Broszat, der „Staat Hitlers“ und die Historisierung des Nationalsozialismus, Göttingen 2007, und Ernst Piper, War der Staat Hitlers Hitlers Staat? Martin Broszats Strukturanalyse der NS-Herrschaft, in: Danyel/Kirsch/Sabrow, 50 Klassiker (Anm. 7), S. 114-117.

11 „Bonn ist nicht Weimar“, so lautete der bekannte Buchtitel Fritz René Allemanns von 1956; vgl. Christoph Gusy (Hg.), Weimars lange Schatten. „Weimar“ als Argument nach 1945, Baden-Baden 2003; Sebastian Ullrich, Der Weimar-Komplex. Das Scheitern der ersten deutschen Demokratie und die politische Kultur der frühen Bundesrepublik 1945–1959, Göttingen 2009.

12 Bracher, Die deutsche Diktatur (Anm. 2).

13 Vgl. Nicolas Berg, „Phantasie der Bürokratie“. Raul Hilbergs Pionierstudie zur Vernichtung der europäischen Juden, in: Danyel/Kirsch/Sabrow, 50 Klassiker (Anm. 7), S. 71-75.

14 Hans Buchheim/Martin Broszat/Hans-Adolf Jacobsen/Helmut Krausnick, Anatomie des SS-Staates, 2 Bde., Olten 1965; siehe dazu den Beitrag von Devin O. Pendas in diesem Heft.

15 Siehe dazu Christoph Classen (Hg.), Die Fernsehserie „Holocaust“ – Rückblicke auf eine „betroffene Nation“. Beiträge und Materialien, März 2004, online unter URL: http://www.zeitgeschichte-online.de/md=FSHolocaust-Inhalt

16 Vgl. dazu Christoph Hamann, Fluchtpunkt Birkenau. Stanis³aw Muchas Foto vom Torhaus Auschwitz-Birkenau (1945), in: Gerhard Paul (Hg.), Visual History. Ein Studienbuch, Göttingen 2006, S. 283-302.

17 Martin Broszat, „Holocaust“ und die Geschichtswissenschaft, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 27 (1979), S. 285-298, hier S. 285.

18 Vgl. z.B. Walter H. Pehle (Hg.), Von der „Reichskristallnacht“ zum Völkermord, Frankfurt a.M. 1988; Hermann Graml, Reichskristallnacht. Antisemitismus und Judenverfolgung im Dritten Reich, München 1988; Wolfgang Benz (Hg.), Die Juden in Deutschland 1933–1945. Leben unter nationalsozialistischer Herrschaft, München 1988. Zum Gedenktag 9. November und seiner auch 1978 bereits gewachsenen Bedeutung siehe Harald Schmid, Erinnern an den „Tag der Schuld“. Das Novemberpogrom von 1938 in der deutschen Geschichtspolitik, Hamburg 2001.

19 Hans Mommsen, Forschungskontroversen zum Nationalsozialismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 57 (2007) H. 14-15, S. 14-21, hier S. 14.

20 Alf Lüdtke, Art. „Alltagsgeschichte“, in: Stefan Jordan (Hg.), Lexikon Geschichtswissenschaft. Hundert Grundbegriffe, Stuttgart 2002, S. 21-24, hier S. 21.

21 Martin Broszat, Vorwort, in: ders./Elke Fröhlich (Hg.), Bayern in der NS-Zeit II. Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt, Teil A, München 1979, S. XVIII; vgl. dazu Michael Wildt, Das „Bayern-Projekt“, die Alltagsforschung und die „Volksgemeinschaft“, in: Frei, Martin Broszat (Anm. 10), S. 119-129.

22 Zahlen nach http://www.koerber-stiftung.de/bildung/geschichtswettbewerb/portraet/historie.htm

23 Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.), Das schreckliche Mädchen. Michael Verhoeven. BR Deutschland 1989. Filmheft von Ulrich Steller, Bonn 2004; sowie übergreifend: Frank Bösch, Film, NS-Vergangenheit und Geschichtswissenschaft. Von „Holocaust“ zu „Der Untergang“, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 55 (2007), S. 1-32.

24 Helmut Krausnick/Hans-Heinrich Wilhelm, Die Truppe des Weltanschauungskrieges. Die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD 1938–1942, Stuttgart 1981.

25 Vgl. exemplarisch: Walter Manoschek, „Serbien ist judenfrei“. Militärische Besatzungspolitik und Judenvernichtung in Serbien 1941/42, München 1993; Dieter Pohl, Nationalsozialistische Judenverfolgung in Ostgalizien 1941–1944. Organisation und Durchführung eines staatlichen Massenverbrechens, München 1996; Thomas Sandkühler, „Endlösung“ in Galizien. Der Judenmord in Ostpolen und die Rettungsinitiativen von Berthold Beitz, 1941–1944, Bonn 1996; Götz Aly, „Endlösung“. Völkerverschiebung und der Mord an den europäischen Juden, Frankfurt a.M. 1995; Christian Gerlach, Kalkulierte Morde. Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrußland 1941 bis 1944, Hamburg 1999; Andrej Angrick, Besatzungspolitik und Massenmord. Die Einsatzgruppe D in der südlichen Sowjetunion 1941–1943, Hamburg 2003.

26 Götz Aly/Susanne Heim, Vordenker der Vernichtung. Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung, Hamburg 1991; dazu Tatjana Tönsmeyer, Deutsche Experten und der Holocaust. Ein Versuch zur historisch-rationalen Erklärung des Nationalsozialismus, in: Danyel/Kirsch/Sabrow, 50 Klassiker (Anm. 7), S. 213-216.

27 Joachim C. Fest, Hitler. Eine Biographie, Berlin 1973; dazu Heinrich Schwendemann, Zwischen Abscheu und Faszination. Joachim C. Fests Hitler-Biographie als populäre Vergangenheitsbewältigung, in: Danyel/Kirsch/Sabrow, 50 Klassiker (Anm. 7), S. 127-131.

28 Vgl. resümierend und mit weiteren Literaturhinweisen Ulrike Jureit, „Zeigen heißt verschweigen“. Die Ausstellungen über die Verbrechen der Wehrmacht, in: Mittelweg 36 13 (2004) H. 1, S. 3-27.

29 Christopher Browning, Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die „Endlösung“ in Polen, Reinbek bei Hamburg 1993; Daniel Jonah Goldhagen, Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust, Berlin 1996.

30 Browning, Ganz normale Männer (Anm. 29), S. 247.

31 Goldhagen, Hitlers willige Vollstrecker (Anm. 29), S. 28.

32 Harald Welzer unter Mitarbeit von Michaela Christ, Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden, Frankfurt a.M. 2005, S. 248. Siehe auch Raphael Gross/Werner Konitzer, Geschichte und Ethik. Zum Fortwirken der nationalsozialistischen Moral, in: Mittelweg 36 8 (1999) H. 4, S. 44-67.

33 Alf Lüdtke, Stofflichkeit, Macht-Lust und Reiz der Oberflächen. Zu den Perspektiven von Alltagsgeschichte, in: Winfried Schulze (Hg.), Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie. Eine Diskussion, Göttingen 1994, S. 65-80, hier S. 75. Vgl. jetzt auch Frank Bajohr/Michael Wildt (Hg.), Volksgemeinschaft. Neue Forschungen zur Gesellschaft des Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. 2009.

34 Gerhard Paul/Klaus-Michael Mallmann, Sozialisation, Milieu und Gewalt. Fortschritte und Probleme der neueren Täterforschung, in: dies. (Hg.), Karrieren der Gewalt. Nationalsozialistische Täterbiographien, Darmstadt 2004, S. 1-32.

35 Ulrich Herbert, Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft, 1903–1989, Bonn 1996; Michael Wildt, Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg 2002; siehe auch Jens Banach, Heydrichs Elite. Das Führerkorps der Sicherheitspolizei und des SD 1936–1945, Paderborn 1998.

36 Vgl. etwa Dieter Schenk, Hans Frank. Hitlers Kronjurist und Generalgouverneur, Frankfurt a.M. 2006; Ernst Piper, Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe, München 2005.

37 Siehe dazu den Beitrag von Heidemarie Uhl in diesem Heft.

38 Siehe dazu den Beitrag von Miriam Y. Arani in diesem Heft.

39 Saul Friedländer, Den Holocaust beschreiben. Auf dem Weg zu einer integrierten Geschichte, Göttingen 2007, S. 14.

40 Johannes Hürter/Jürgen Zarusky (Hg.), Besatzung, Kollaboration, Holocaust. Neue Studien zur Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. Mit einer Reportage von Wassili Grossman, München 2008.

41 Vgl. Jörg Baberowski/Anselm Doering-Manteuffel, Ordnung durch Terror. Gewaltexzess und Vernichtung im nationalsozialistischen und stalinistischen Imperium, Bonn 2006.

42 Siehe die Debattenbeiträge zum Thema „NS-Forschung und Genozidforschung“ in diesem Heft.

43 Jacques Sémelin, Elemente einer Grammatik des Massakers, in: Mittelweg 36 15 (2006) H. 6, S. 18-40.

44 Für eine solche, stärker soziologische und historisch-anthropologische Sicht vgl. Jörg Baberowski, Gewalt verstehen, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 5 (2008), S. 5-17, hier S. 17.

45 Im Unterschied zu eher positiv konnotierten Termini wie „Kosmopolitisierung“ (Daniel Levy/Natan Sznaider) oder „Universalisierung“ (Jan Eckel/Claudia Moisel) verwende ich den Begriff „Globalisierung“, weil er sowohl die Verknüpfung mit anderen ökonomischen, sozialen und politischen Entwicklungen aufzeigt wie auch die durchaus problematische Dimension der Ausweitung des Holocaust-Diskurses nicht verhüllt. Zum Zäsurcharakter von 1989/90 für die Holocaust-Erinnerung und die Erinnerungsforschung siehe auch den Beitrag von Jeffrey K. Olick in diesem Heft.

46 Zu den inneramerikanischen Gründen und Erscheinungsformen dieses Trends siehe besonders Peter Novick, Nach dem Holocaust. Der Umgang mit dem Massenmord, Stuttgart 2001.

47 Daniel Levy/Natan Sznaider, Erinnerung im globalen Zeitalter: Der Holocaust, Frankfurt a.M. 2001.

48 Michael Jeismann, Völkermord oder Vertreibung. Medien der Europäisierung?, in: Historische Anthropologie 13 (2005), S. 111-120; ähnlich Dan Diner, der von einem „veritablen Gründungsereignis“ spricht (Dan Diner, Der Holocaust in den politischen Kulturen Europas. Erinnerung und Eigentum, in: Klaus-Dietmar Henke [Hg.], Auschwitz. Sechs Essays zu Geschehen und Vergegenwärtigung, Dresden 2001, S. 65-74, hier S. 65).

49 Tony Judt, Geschichte Europas von 1945 bis zur Gegenwart, München 2006, S. 965, der kritisch hinzufügt: „Das erste konnte nicht Bestand haben – das zweite wird es nicht.“

50 Regine Fritz/Imke Hansen, Zwischen nationalem Opfermythos und europäischen Standards. Der Holocaust im ungarischen Erinnerungsdiskurs, in: Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus 24 (2008): Universalisierung des Holocaust? Erinnerungskultur und Geschichtspolitik in internationaler Perspektive, hg. von Jan Eckel und Claudia Moisel, S. 59-85, hier S. 70.

51 Zit. nach ebd., S. 68.

52 Zit. nach ebd., S. 70.

53 Zit. nach ebd., S. 75. Im Frühjahr 2009 hat das Europäische Parlament mit einer Entschließung dazu aufgerufen, den 23. August, den Tag der Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Pakts im Jahr 1939, zu einem europäischen „Gedenktag für die Opfer der totalitären und autoritären Regime“ zu erklären. Das Datum ist allerdings zugleich ein von der UNESCO getragener „Gedenktag an den Sklavenhandel und seine Abschaffung“.

54 Siehe auch Hans-Joachim Veen (Hg.), Nach der Diktatur. Demokratische Umbrüche in Europa – zwölf Jahre später, Köln 2003; Richard Ned Lebow/Wulf Kansteiner/Claudio Fogu (Hg.), The Politics of Memory in Postwar Europe, Durham 2006; Bernd Faulenbach/Franz-Josef Jelich (Hg.), „Transformationen“ der Erinnerungskulturen in Europa nach 1989, Essen 2006; Regina Fritz/Carola Sachse/Edgar Wolfrum (Hg.), Nationen und ihre Selbstbilder. Postdiktatorische Gesellschaften in Europa, Göttingen 2008; Katrin Hammerstein u.a. (Hg.), Aufarbeitung der Diktatur – Diktat der Aufarbeitung? Normierungsprozesse beim Umgang mit diktatorischer Vergangenheit, Göttingen 2009.

55 Constantin Goschler, Wiedergutmachungspolitik – Schulden, Schuld und Entschädigung, in: Reichel/Schmid/Steinbach, Der Nationalsozialismus (Anm. 6), S. 62-84. Das Argument geht zurück auf Sigrid Weigel, Shylocks Wiederkehr. Die Verwandlung von Schuld in Schulden oder: Zum symbolischen Tausch der Wiedergutmachung, in: dies./Birgit R. Erdle (Hg.), Fünfzig Jahre danach. Zur Nachgeschichte des Nationalsozialismus, Zürich 1996, S. 165-192. Siehe auch Dan Diner/Gotthart Wunberg (Hg.), Restitution and Memory. Material Restoration in Europe, Oxford 2007.

56 Hans Mommsen/Manfred Grieger, Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter, Düsseldorf 1996; Saul Friedländer u.a., Bertelsmann im Dritten Reich, München 2002; Ludolf Herbst/Thomas Weihe (Hg.), Die Commerzbank und die Juden 1933–1945, München 2004. Die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, aus Bundesmitteln wie durch Unternehmen finanziert und mit der Abwicklung der Entschädigungsleistungen an ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter beauftragt, fördert seither auch wissenschaftliche Studien zur Zwangsarbeit: http://www.stiftung-evz.de

57 Die „Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg“ veröffentlichte in der Zeit ihrer Tätigkeit zwischen 1997 und 2002 25 Studien und Berichte; vgl. http://www.uek.ch/de/index.htm

58 Vgl. demnächst im Archiv für Sozialgeschichte den umfassenden Forschungs- und Literaturbericht von Benno Nietzel.

59 Vgl. dazu Bösch, Film, NS-Vergangenheit und Geschichtswissenschaft (Anm. 23).

60 Vgl. Petra Bopp, Fremde im Visier. Foto-Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, Bielefeld 2009, und den Beitrag von Miriam Y. Arani in diesem Heft.

61 Hans Rothfels, Zeitgeschichte als Aufgabe, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 1 (1953), S. 1-8, hier S. 2.

62 Siehe auch Thomas Lindenberger, Vergangenes Hören und Sehen. Zeitgeschichte und ihre Herausforderung durch die audiovisuellen Medien, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 1 (2004), S. 72-85; Norbert Frei, Abschied von der Zeitgenossenschaft. Der Nationalsozialismus und seine Erforschung auf dem Weg in die Geschichte, in: WerkstattGeschichte 20 (1998), S. 69-83.

63 Vgl. dazu den Beitrag von Linde Apel in diesem Heft.

64 Vgl. dazu Paul, Visual History (Anm. 16); Frank Bösch/Constantin Goschler (Hg.), Public History. Öffentliche Darstellungen des Nationalsozialismus jenseits der Geschichtswissenschaft, Frankfurt a.M. 2009.

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