Hans Sarkowicz/Ulrich Herbert/Michael Krüger/Ines Geipel/Christiane Collorio (Hg.), Jahrhundertstimmen 1945–2000. Deutsche Geschichte in über 400 Originalaufnahmen, Hessischer Rundfunk/Der Hörverlag, München 2023.
Sonderausgaben in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung: Bd. 10774 (2022, vergriffen), Bd. 11186 (2024).
Vor knapp 40 Jahren hat Friedrich Kittler die »technische Ausdifferenzierung von Optik, Akustik und Schrift« durch Grammophon, Film und Typewriter um 1880 zur Epochenschwelle erklärt, mit der die Gutenberg-Galaxis der hegemonialen Schriftkultur an ihr Ende gekommen sei.1 Mit Thomas Lindenberger lässt sich dieses Ende der Gutenberg-Galaxis zugleich als der eigentliche Beginn der Zeitgeschichte verstehen, die dank der optischen und akustischen Zeit-Speicher-Medien epistemologisch auf einer anderen Grundlage stehe als die Geschichtsschreibung früherer Epochen.2 Nicht zuletzt in dieser Zeitschrift ist die »Herausforderung [der Zeitgeschichte] durch die audiovisuellen Medien« seitdem vielfach diskutiert und zum Ausgangspunkt der Geschichtsforschung gemacht worden. Dabei lässt sich jedoch eine gewisse Schieflage zugunsten der visuellen Medien nicht verkennen. Auch wenn sich die Sound History in den vergangenen Jahren zunehmend als eigenes Forschungsfeld innerhalb der Geschichtswissenschaft etabliert hat,3 kann man konstatieren, dass der quellenkritische Umgang mit historischen Tondokumenten bisher nicht die gleiche Aufmerksamkeit erhalten hat wie derjenige mit historischen Fotografien oder anderen Bildmedien. Die Publikation einer umfangreichen Sammlung von Tondokumenten in zwei Boxen mit insgesamt sieben MP3-CDs, 842 Tracks und knapp 64 Stunden Gesamtlaufzeit unter dem Titel »Jahrhundertstimmen« gibt nun die Gelegenheit, sich auf eine auditive Spurensuche durch das ganze 20. Jahrhundert zu begeben und vor dem Hintergrund der medienhistorischen Diskussionen der letzten Jahre nach dem Stellenwert von Tondokumenten als Quellen der (deutschen) Zeitgeschichte zu fragen.4
Das »Jahrhundertstimmen«-Projekt geht maßgeblich auf Hans Sarkowicz zurück, langjähriger Radioredakteur beim Hessischen Rundfunk, und auf Christiane Collorio, leitende Lektorin beim Hörverlag.5 Sarkowicz hat auch die einordnenden Begleittexte zu den historischen Originaltönen geschrieben und selbst eingesprochen. Daneben fungieren Ulrich Herbert und Michael Krüger für das gesamte 20. Jahrhundert als Experten der Politik- und Sozialgeschichte (Herbert) sowie der Geistes- und Kulturgeschichte (Krüger). Für die erste Jahrhunderthälfte kommt Annette Vogt hinzu, die vor allem wissenschafts- und geschlechtergeschichtliche Einordnungen beisteuert. Für die Zeit nach 1945 erörtert Ines Geipel in erster Linie Aspekte der DDR-Geschichte und ergänzt eine ostdeutsche Perspektive. Für die zweite Jahrhunderthälfte sprechen Krüger und Geipel dabei auch vor dem Hintergrund ihrer eigenen biographischen Erfahrungen, treten also gleichzeitig als Experte bzw. Expertin und als Zeitzeuge bzw. Zeitzeugin auf, während Herbert sich weitgehend auf die Historikerrolle beschränkt. Kennzeichnend für alle Beiträge dieser Beteiligten ist, dass sie keine vorformulierten Texte ablesen, sondern frei sprechen (wobei die wahrscheinlich von Sarkowicz gestellten Zwischenfragen herausgeschnitten wurden).
Die historischen Tondokumente, die im Zentrum der Höredition stehen, stammen größtenteils aus dem Deutschen Rundfunkarchiv; für die Zeit nach 1945 kommen Aufnahmen aus anderen (deutschen) Rundfunkarchiven hinzu. Die frühen Tondokumente wurden dort gesammelt, ohne notwendigerweise im Radio ausgestrahlt worden zu sein. Ab ca. 1930 kann man jedoch davon ausgehen, dass fast alle in der Edition enthaltenen Aufnahmen im Radio gesendet wurden. Die Auswahl konzentriert sich dabei auf Redebeiträge, d.h. auf Politikerreden, Studiointerviews oder -gespräche und -vorträge, auf Mitschnitte öffentlicher Veranstaltungen und einige Ausschnitte aus Radioreportagen. Sie enthält keine Musikdarbietungen und nur einzelne Hörspielausschnitte oder Privataufnahmen. Zu Wort kommen in erster Linie Politiker und (weniger) Politikerinnen sowie andere Personen des öffentlichen Lebens. Dazu zählen auch eine ganze Reihe Schriftstellerinnen und Schriftsteller, jedoch nicht mit Lesungen aus ihren Werken, sondern mit Interviews und Vorträgen. In den Begleitheften zu den beiden CD-Boxen werden, nach knappen einführenden Beiträgen der Herausgeberinnen und Herausgeber, alle Tondokumente mit Datum und einer kurzen Erläuterung des Entstehungskontexts aufgeführt, zum Teil mit passenden Fotos etwa der sprechenden Personen oder der dokumentierten Veranstaltung illustriert. (Die Ausgaben der Bundeszentrale für politische Bildung fallen in dieser Hinsicht leider sparsamer aus – dort fehlen die Fotos und auch die Einführungsbeiträge.)
Angesichts der schieren Menge an Tondokumenten ist die editorische Leistung der »Jahrhundertstimmen« beeindruckend. Allerdings hat die Sammlung nicht den Charakter einer historisch-kritischen Ausgabe oder einer O-Ton-Datenbank, die unmittelbar für die weitere Forschung mit den Tondokumenten genutzt werden könnte. Fast alle Originaltöne sind nur in Ausschnitten in die Sammlung aufgenommen worden. Über den genauen Umfang der Kürzungen werden jedoch keine Angaben gemacht. Es finden sich auch keine Archivsignaturen oder Hinweise zur jeweils genutzten Aufnahmetechnik. Lediglich für die Frühzeit der Tonaufzeichnung gibt Sarkowicz im ersten Booklet eine knappe Einführung in deren medien- und technikgeschichtliche Aspekte. In den eingesprochenen Kontextualisierungen, aber auch in den Beiträgen der Expertinnen und Experten geht es kaum um die Mediengeschichte der Tonaufzeichnung und -wiedergabe. Stattdessen hat die Sammlung den Charakter eines Geschichts-Hörbuches für ein breites Publikum, in dem durch die Kombination von Rahmenerzählung, Expertenkommentar und Originalton ein möglichst breites Panorama der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert entworfen wird. Die Tondokumente haben dabei die Aufgabe, das historische Erzählen zu authentifizieren. So schreibt Collorio im Begleitheft zur ersten CD-Box, die »Originalaufnahmen aus Politik, Kultur, Gesellschaft und Sport« erlaubten einen »authentischen und unverstellten Einblick in die Ereignisse des vorigen Jahrhunderts« (S. 32).
1. Tondokumente zwischen Authentizität und Inszenierung
Tondokumente geben jedoch nicht ungefiltert wieder, »wie es eigentlich gewesen« ist bzw. geklungen hat. Vielmehr handelt es sich bei ihnen – ebenso wie bei schriftlichen oder bildlichen Quellen – um bestimmte Ausschnitte und Repräsentationen der Vergangenheit, die unter ganz bestimmten Bedingungen, mit bestimmten Techniken und Intentionen aufgenommen wurden, eine ganz bestimmte Überlieferungsgeschichte hatten und heute unter bestimmten technischen Bedingungen wieder abgespielt werden können.6 Dabei kann die klassische Unterscheidung zwischen »Tradition« und »Überrest« auch für den quellenkritischen Umgang mit historischen Tondokumenten hilfreich sein: Wurde die Aufnahme bewusst für die Nachwelt gemacht oder eigentlich nur für den zeitgenössischen Gebrauch? Wussten die zu hörenden Personen, dass sie aufgenommen wurden, oder nicht? Für die Frühzeit der Tonaufzeichnung gilt immer ersteres, denn bis zur Entwicklung elektrischer Mikrophone Mitte der 1920er-Jahre (eine wichtige medienhistorische Zäsur, die in den Begleittexten der Edition nicht thematisiert wird) gibt es keine Mitschnitte von Live-Veranstaltungen, sondern immer nur Studioaufnahmen. Die aufgenommenen Personen mussten sich vor dem Aufnahmetrichter positionieren und mit einem gewissen Stimmaufwand in den Trichter hineinsprechen. Wenn öffentliche Reden aus den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts im Tondokument überliefert sind, dann nur, sofern sie nachträglich noch einmal im Studio eingesprochen wurden. Das erfolgte häufig auf Initiative der Mitarbeiter der frühen Schallarchive, die um 1900 eingerichtet wurden und die Stimmen »berühmter Persönlichkeiten« für die Nachwelt sammelten.7 Die Frage, welche Stimmen aus dem frühen 20. Jahrhundert im Originalton überliefert sind, hat also ganz konkret mit den Sammlungsstrategien und Auswahlkriterien der Schallarchive zu tun. Das ist eine der Erklärungen dafür, warum es so wenige Aufnahmen von Frauen aus dieser Zeit gibt.
Die »Jahrhundertstimmen« enthalten mehrere solcher für das Archiv nachgesprochenen Tondokumente. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel stellt der »Aufruf an das deutsche Volk« (I, 25) von Wilhelm II. dar, den er zu Beginn des Ersten Weltkrieges verfasst hat, damals aber nur schriftlich verbreiten ließ. Auf Schallplatte aufgenommen hat er ihn erst im Januar 1918 auf Initiative Wilhelm Doegens. Dieser war Mitarbeiter der 1915 eingesetzten »Königlich Preußischen Phonographischen Kommission« und später Leiter der 1920 gegründeten Lautabteilung der Preußischen Staatsbibliothek (die heute als »Lautarchiv« von der Humboldt-Universität zu Berlin weitergeführt wird). Das Besondere an der Aufnahme vom Januar 1918 besteht darin, dass neben dem vollständig eingesprochenen Aufruf auch Probeaufnahmen erhalten sind. Wir hören den Kaiser mehrmals ansetzen und die ersten Worte sprechen, zwischendurch von Doegen unterbrochen, der ihn auffordert, mit mehr Emphase zu reden. Wilhelm II. musste sich also offenbar erst in Stimmung bringen und brauchte ein paar Anläufe, bis seine Stimme die gewünschte Markigkeit erreichte. Diese Aufnahme ist daher nicht einfach ein authentisches Zeugnis der Stimme Wilhelms II., in dem wir hören können, wie er »eigentlich« geklungen hat. Sie ist vielmehr das Ergebnis einer bewussten Inszenierung und das Dokument einer bestimmten Performanz vor dem Aufnahmetrichter.8 So kann das Beispiel von Wilhelm II. daran erinnern, dass dies grundsätzlich für alle Tondokumente gilt, die immer daraufhin zu befragen sind, wie sie inszeniert wurden und wie die Inszenierung in der Aufnahme dann performativ umgesetzt wurde.9
Während Wilhelm II. seinen Aufruf vom 6. August 1914 dreieinhalb Jahre später wortwörtlich nachgesprochen hat, wich Philipp Scheidemann in der nachträglichen Aufnahme am 9. Januar 1920 vom Text seiner Ausrufung der Republik am 9. November 1918 ab. Diese Aufnahme (I, 41) ist insofern besonders interessant, als Scheidemann zunächst rückblickend die Ereignisse am 9. November schildert, die dazu geführt haben, dass er mittags von einem Fenster des Reichstags aus die parlamentarische Republik proklamierte (nämlich um Karl Liebknecht zuvorzukommen, der am Nachmittag vor dem Schloss die Räterepublik ausrief). Aus dieser Erzählung geht Scheidemann in der Aufnahme dann nahtlos in ein Reenactment der Rede über (auch wenn sie wie gesagt nicht genau dem Wortlaut von 1918 entspricht). Dies zeugt von einem gewissen schauspielerischen Talent Scheidemanns, denn er schafft es, in seiner Redeweise eine Art Atemlosigkeit und Aufregung zu vermitteln, sich also noch einmal in die historische Situation vom 9. November 1918 hineinzuversetzen. Die meisten anderen nachgesprochenen Reden und Studioaufnahmen des frühen 20. Jahrhunderts sind dagegen durch einen sehr getragenen Sprechstil gekennzeichnet, selbst wenn sie durch häufige Betonungen am Satzende eine gewisse Nachdrücklichkeit zum Ausdruck bringen wollen. Das ist allerdings nicht automatisch als Redestil der Zeit zu verstehen. Zunächst einmal ist es charakteristisch für die Art und Weise, wie man vor dem Aufnahmegerät sprach bzw. sprechen zu müssen glaubte, nämlich in gleichmäßigem Tempo, ohne starke Schwankungen der Lautstärke (musikalisch könnte man sagen: ohne Dynamik), mit möglichst klarer Aussprache und weitgehender Ausschaltung dialektaler Sprachfärbung. So lässt sich auch der Radio-Sprechstil der frühen Jahre beschreiben, wie etwa an der Weihnachtsansprache 1924 von Hans Bredow deutlich wird, dem für das Radio zuständigen Staatssekretär im Reichspostministerium (I, 61).10
2. Stimmwirkung und Sprech-Politik
Da Wahlwerbung im Radio bis 1932 verboten war, produzierten mehrere Parteien für die Reichstagswahl am 20. Mai 1928 Schallplatten mit Wahlreden, von denen einige in die Sammlung aufgenommen wurden. Hier hört man zum ersten Mal auch Frauenstimmen, nämlich die von Marie Juchacz und Toni Sender (I, 69-70) für die SPD, Gertrud Bäumer (I, 71) für die DDP, Annagrete Lehmann und Martha Arendsee (I, 72-73) für die DNVP bzw. die KPD, die in erster Linie die weibliche Wählerschaft mobilisieren sollten.11 Auch bei diesen Wahlreden von Frauen zeigt sich die eben beschriebene getragene Redeweise, und zwar unabhängig von der politischen Richtung.
Die erste Politikerrede der Sammlung, die vor Publikum in einer Live-Situation aufgenommen wurde, ist die Rede des preußischen Ministerpräsident Otto Braun (SPD) bei der Feier der preußischen Staatsregierung in Koblenz zur »Befreiung« der 3. Zone der Rheinlande am 22. Juli 1930 (I, 90). Auch bei Braun lässt sich durchaus ein getragener Redestil feststellen. Seine Sprechweise vor Publikum war aber dennoch etwas lebhafter als bei den vorherigen Studioaufnahmen. Gesteigert wird diese Dynamik durch die Reaktionen des Publikums, durch dessen gelegentliches Rufen und Klatschen.
Der erste in der Sammlung enthaltene Live-Mitschnitt einer Reichstagsdebatte stammt vom 23. Februar 1932 mit Reden von Joseph Goebbels, Kurt Schumacher und Walter Ulbricht (I, 116-118). Verglichen mit den vorherigen Tondokumenten stellt dieser Mitschnitt einen radikalen Bruch dar. Vom ersten Moment der Aufnahme an hört man Goebbels in äußerster Lautstärke schreien. Die Aggressivität des Tons passt zur Aggressivität der Wortwahl. Nachdem er die SPD als »Partei der Deserteure« verunglimpft hat, bricht ein Tumult aus; Goebbels wird vom aufgebrachten Plenum übertönt. Reichstagspräsident Paul Löbe (SPD) versucht mit der Glocke für Ruhe zu sorgen, zunächst jedoch vergeblich. Schließlich unterbricht er die Sitzung. Als die Versammlung mit der Replik von Schumacher (SPD) weitergeht, hält sich auch dieser mit Lautstärke und Wortwahl nicht zurück. Gleiches gilt für den dritten erhaltenen Redebeitrag von Ulbricht (KPD).
Zusammengenommen ergeben diese drei kurzen Aufnahmen der Reichstagssitzung vom 23. Februar 1932 ein eindrucksvolles Zeugnis der politisch »aufgeheizten Stimmung« (so Sarkowicz in seinem Kommentar) am Ende der Weimarer Republik. Sie erlauben zugleich eine Antwort auf die Frage nach dem Mehrwert historischer Tondokumente gegenüber schriftlichen Quellen. Der Inhalt des bei dieser Sitzung Gesagten lässt sich auch dem stenographischen Protokoll entnehmen. Die Zwischenrufe und Beifallsbekundungen etc. sind dort ebenfalls vermerkt. Durch das Abhören des Audiomitschnitts vermittelt sich jedoch ein ganz anderer Eindruck der Dynamik und eben der Atmosphäre im Reichstag. Das hat unter anderem damit zu tun, dass die Stimme als zwischenmenschliches Kommunikationsmittel nicht nur der Übermittlung von Informationen dient, sondern stets auch affektive und emotionale Botschaften transportiert. Dafür sind wir wiederum empfänglich, weil die Stimme immer eine Beziehung zwischen sprechender und angesprochener Person herstellt. Dieses Angesprochensein, diesen Charakter der Stimme als »Anrede, Appell und Anruf«12 erleben wir auch in der asymmetrischen Kommunikationssituation mit einem Tondokument. Das gilt selbst für die in getragener Redeweise eingesprochenen Studioaufnahmen. Noch deutlicher wird der emotionale Effekt aber bei so »aufgeheizten« Sprechsituationen wie derjenigen im Reichstag 1932.
Entscheidend ist dabei, dass diese emotionale bzw. affektive Dimension des Sprechens nicht erst beim nachträglichen Hören der Tondokumente wirksam ist, sondern schon in der jeweiligen historischen Situation, in der diese Komponente auch gezielt eingesetzt werden konnte, wovon die Tondokumente dann wiederum Zeugnis ablegen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass auch Emotionen historischem Wandel unterworfen sind. Die Gefühle, die wir heute aus einem historischen Tondokument »heraushören«, sind also nicht notwendigerweise die gleichen, die der Redner oder die Rednerin zum Ausdruck bringen wollte und die die Zeitgenossinnen und Zeitgenossen wahrgenommen haben. Es ist beim Hören solcher Tondokumente deshalb immer eine doppelte historische Distanz in Rechnung zu stellen: Zum einen hören wir heute mit anderen Ohren als die Personen der jeweiligen Zeit;13 zum anderen bringen wir Emotionen anders zum Ausdruck und nehmen den Gefühlsausdruck anderer Menschen anders war. Wenn man sich dieser doppelten Distanz bewusst ist, können historische Tondokumente jedoch nicht nur als Quelle für eine Geschichte des Hörens, sondern auch für die Emotionsgeschichte fruchtbar gemacht werden.
Die Sprech-Politik der Nationalsozialisten, für die der Lautsprecher bei Großveranstaltungen eine ebenso wichtige technische Voraussetzung war wie das Radio für die mediale Verbreitung,14 liefert markante Beispiele für den gezielten politischen Einsatz von Gefühlsansprache. Besonders eindrücklich sind dabei die Aufnahmen von (zum Teil im Radio live übertragenen) Veranstaltungen wie der Kundgebung Hitlers auf dem Wiener Heldenplatz am 15. März 1938 (I, 182) oder in Eger am 3. Oktober 1938, nach dem deutschen Einmarsch ins Sudetenland (I, 191). Hier kann man neben den einpeitschenden Reden die frenetischen Reaktionen des Publikums hören, etwa mit Sprechchören »Wir danken unserem Führer«, und dabei studieren, wie die kollektive Fremd- und Selbstberauschung akustisch ins Werk gesetzt wurde. Diese Aufnahmen können auch dazu dienen, Hitlers Redeweise vor Publikum mit derjenigen vor dem Mikrophon im Rundfunkstudio zu vergleichen (z.B. I, 132 u. I, 146; beides von 1933). Besonders die einzig überlieferte Aufnahme von Hitler in einer privaten Gesprächssituation mit dem finnischen Oberbefehlshaber Carl Gustav Mannerheim am 4. Juni 1942, in der Hitler nicht wusste, dass er aufgenommen wurde (I, 247), macht deutlich, dass es nicht einfach Hitlers Stimme als solche war, die den propagandistischen Erfolg erzielte, sondern eine bewusst antrainierte und geformte Sprechweise. Nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 nutzte Hitler seine wohlbekannte Stimme in einer nächtlichen Radioübertragung, um die deutschen Hörerinnen und Hörer wissen zu lassen, »dass ich unverletzt und gesund bin« (I, 258).
Neben der Stimme Hitlers ist es besonders diejenige von Goebbels, die die NS-Propaganda prägte. Auch von ihm finden sich mehrere Aufnahmen in der Sammlung, unter anderem von der berüchtigten Sportpalastrede am 18. Februar 1943 (I, 248). Da diese in erster Linie mit der Frage »Wollt ihr den totalen Krieg?« und dem anschließenden Jubel des Publikums berühmt geworden ist, kann es interessant sein, hier zwei längere Ausschnitte aus der knapp zweistündigen Rede zu hören, bei der sich Goebbels erst schrittweise in die finale Schreilautstärke hineingesteigert und das Publikum aufgepeitscht hat.15
Die prominenteste Gegenstimme zu den NS-Stimmen stellt in der Sammlung diejenige Thomas Manns dar (der insgesamt die Person mit den meisten Einzelaufnahmen in der Sammlung ist). Aus dem kalifornischen Exil richtete Mann sich zwischen 1940 und 1945 in insgesamt 58 Radiosendungen über die BBC an seine »deutschen Hörer« und rief sie zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus auf.16 Die BBC selbst hat die Sendungen nicht archiviert, sodass sich nicht alle im Audioformat erhalten haben. Einige wurden jedoch bei Ausstrahlung aufgenommen (von wem, ist häufig nicht mehr zu rekonstruieren) und befinden sich heute als Tondokumente im Deutschen Rundfunkarchiv. Sieben davon wurden für die »Jahrhundertstimmen« berücksichtigt (I, 212-217 u. 273). Die ersten vier seiner Radiovorträge hatte Mann als Manuskripte nach London telegrafiert, wo sie von einem anderen deutschen Exilanten, Carl Brinitzer, im BBC-Studio verlesen wurden. Es war Mann jedoch wichtig, dass seine eigene Stimme an die Ohren der deutschen Hörerinnen und Hörer drang. Ab März 1941 sprach er seine Radiovorträge daher in Los Angeles auf Schallplatten. Sie wurden per Post nach New York geschickt und von dort per Telefon nach London übertragen, wo sie jeweils auf einer zweiten Schallpatte festgehalten und dann im Radio ausgestrahlt wurden.
Dies ist auch medienhistorisch interessant, denn bei jedem Übertragungsschritt wurde Manns Stimme durch den technischen Filter von Aufnahme- und Wiedergabegeräten geringfügig verändert. Die Stimme, die aus deutschen Radiogeräten drang (bzw. die wir heute, nach dem Archivierungsvorgang, als MP3-Datei abspielen und hören können), klang daher anders als die Stimme, mit der Mann seinen Vortrag im Studio in Los Angeles einsprach. Dennoch ist sie als seine Stimme erkennbar, und sie vermittelt auch nach allen Übertragungsschritten den emotionalen Gehalt, auf den es Mann selbst ankam, wenn er sich an seine deutschen Hörerinnen und Hörer wandte: Seine Stimme sei die »Stimme eines Freundes, eine deutsche Stimme, die Stimme eines Deutschlands, das der Welt ein anderes Gesicht zeigte und wieder zeigen wird, als die scheußliche Medusenmaske, die der Hitlerismus ihm aufgeprägt hat. Es ist eine warnende Stimme.« (I, 212; März 1941) Mit seinem Duktus setzte Mann der nationalsozialsozialistischen Radiopropaganda einerseits einen »Stil der Zivilität« entgegen,17 andererseits verbarg er seinen Abscheu vor dem von ihm so genannten »Hitlerismus« nicht und gab ihm auch stimmlich Ausdruck. Diese emotionale Dimension und das persönliche Engagement Manns lässt sich mithilfe der überlieferten Tondokumente seiner Radioansprachen heute besser nachvollziehen als allein auf Grundlage ihres schriftlich fixierten Wortlauts.
Es lässt sich deshalb argumentieren, dass der Mehrwert historischer Tondokumente gegenüber schriftlichen Quellen nicht unbedingt darin liegt, dass sie eine »sachliche und objektive Darstellung von historischen Ereignissen« ermöglichen (Christiane Collorio, S. 32), sondern gerade darin, dass sie eine emotionale Dimension der Vergangenheit aufschließen, die in dieser selbst wirksam war und die in schriftlichen Zeugnissen nicht in gleicher Weise überliefert wird. Ein weiteres, besonders eindrückliches Beispiel dafür ist die Rede Fritz von Unruhs zum Jubiläum der Nationalversammlung in der wiederaufgebauten Frankfurter Paulskirche am 18. Mai 1948 (II, 85). Der zurückgekehrte Exilant von Unruh erlitt während der Rede einen Schwächeanfall und musste eine kurze Erholungspause einlegen, bevor er noch einmal neu ansetzen konnte. Der Wortlaut der Rede ist vor und nach dem Zwischenfall derselbe. Die stimmlichen Unterschiede sowie die körperliche Angegriffenheit und emotionale Überwältigung von Unruhs beim ersten Teil der Ansprache hört man nur dank der Tonaufnahme.
Diese stellt zudem ein Beispiel für die Kategorie von Tondokumenten dar, auf denen ein unvorhergesehenes Ereignis dokumentiert ist. Bei der Mehrzahl der in den »Jahrhundertstimmen« enthaltenen Tondokumente folgt die Aufnahme dem vorher für sie entworfenen Skript. Das gilt besonders für diejenigen Ansprachen und (Radio-)Vorträge, bei denen der Redner oder die Rednerin den Text ohne Zwischenfall vorträgt. Auch in diesen Fällen lässt sich die oben genannte Unterscheidung zwischen Inszenierung und Performanz anwenden, also fragen: Was sollte in der Aufnahme übermittelt werden, und wie ist das in der performativen Umsetzung gelungen? Wenn sich jedoch etwas ereignet, was erkennbar nicht in der Inszenierung vorgesehen war, verleiht dies den Tondokumenten häufig eine besondere Dramatik. Ein berühmtes Beispiel dafür ist eine der wenigen in der Sammlung enthaltenen englischsprachigen Aufnahmen, nämlich die Radioreportage von der Landung des Luftschiffs »Hindenburg« in Lakehurst bei New York am 6. Mai 1937, bei der dieses in Flammen aufging und der Reporter Herbert Morrison zu schluchzen begann (I, 177).
Bisher wurden mit den Aufnahmen von Wilhelm II., Philipp Scheidemann, Joseph Goebbels, Adolf Hitler oder Thomas Mann einige besonders bekannte Personen hervorgehoben, deren Stimmen auch ins kollektive auditive Gedächtnis eingegangen sind (was natürlich besonders für Hitler gilt). Solche bekannten Stimmen finden sich ebenfalls für die Zeit nach 1945, etwa mit Ernst Reuter, der die »Völker der Welt« während der Berlin-Blockade 1948 aufforderte: »Schaut auf diese Stadt!« (II, 70). Oder Walter Ulbricht, der noch im Juni 1961 beteuerte: »Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.« (II, 221) Oder John F. Kennedy, der im Juni 1963 bekannte: »Ich bin ein Berliner.« (II, 230) Oder Willy Brandt, der im Oktober 1969 »mehr Demokratie wagen« wollte (II, 304). Das Interessante an diesen sehr bekannten »Sound-Ikonen« des 20. Jahrhunderts ist zum einen, dass man sie hier im Kontext hören kann. Im Falle von Kennedys Ansprache vor dem Schöneberger Rathaus hört man etwa auch den deutschen Dolmetscher Heinz Weber (der selbst den berühmten, von Kennedy auf Deutsch gesprochenen Satz noch einmal »übersetzte«, was Kennedy ironisch kommentierte), man hört die begeisterte Menge und das Echo der Lautsprecher auf dem großen Platz. Zum anderen lassen sich diese bekannten Aufnahmen mit weniger bekannten O-Tönen derselben Personen vergleichen und in eine Beziehung setzen. Im Fall von Walter Ulbricht gibt es etwa die interessante Reportage eines Besuchs am Brandenburger Tor vom 14. August 1961, bei dem Ulbricht den Mauerbau inspizierte und mit den Bauarbeitern sprach (II, 226). So wie beim Mauerbau bietet die Sammlung auch bei anderen Ereignissen wie den Fußballweltmeisterschaften 1954 (II, 150-151) und 1974 (II, 347 u. 349) mit Reportagen aus Ost und West die Möglichkeit, Radioberichte über diese Ereignisse in der Bundesrepublik und der DDR zu vergleichen.
Neben den Stimmen bekannter Politiker sowie anderer prominenter Persönlichkeiten aus Kultur, Wissenschaft und Sport finden sich in der Sammlung vereinzelt auch Stimmen »einfacher« Leute, so etwa bei einer eindrücklichen Radioreportage vom Kölner Schwarzmarkt 1947 (II, 48) oder im DDR-Radio-Interview mit »Halbstarken« aus Berlin-Pankow von 1956 (II, 193). Die Sammlung hätte sicher davon profitiert, wenn noch mehr solche Reportagen und Interviews einbezogen worden wären. Auch die Migrationsgeschichte der zweiten Jahrhunderthälfte spiegelt sich in der Sammlung erstaunlich wenig. Im April 1969 berichtete der Italiener Pedro Demico, der seit 1959 in Deutschland lebte, im Hessischen Rundfunk von seinen Diskriminierungserfahrungen (II, 328). Daneben ist der deutsch-bosnische Journalist und Koran-Übersetzer Muhamad Salim Abdullah, der 1989 zur Fatwa gegen Salman Rushdie interviewt wurde, die einzige migrantische Stimme in der Sammlung (II, 444). Das Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen wird in der zweiten Jahrhunderthälfte etwas relativiert, da hier auch mehr Frauen aus Politik und Kultur vertreten sind – etwa Ricarda Huch (II, 24), Erika Mann (II, 50, 155 u. 159), Hannah Arendt (II, 183), Ingeborg Bachmann (II, 190), Nelly Sachs (II, 261) Christa Wolf (II, 293, 467 u. 546), Anna Seghers (II, 295), Käte Strobel (II, 324), Annemarie Renger (II, 325 u. 350), Alice Schwarzer (II, 351), Petra Kelly (II, 403), Hildegard Hamm-Brücher (II, 412 u. 416), Beate Klarsfeld (II, 413), Steffi Graf (II, 432), Dorothee Sölle (II, 497), Regine Hildebrandt (II, 505 u. 516), Margarethe von Trotta (II, 527) oder Angela Merkel (II, 552). Auch nach 1945 sind die »Jahrhundertstimmen« jedoch in der Mehrheit männlich.18
(picture-alliance/United Archives/Siegfried Pilz, 1955)
In der zweiten Jahrhunderthälfte trat die Audioübertragung und -überlieferung zunehmend in Konkurrenz zu audiovisuellen Medien. Hier lässt sich argumentieren, dass sich die emotionale und performative Dimension eines Ereignisses noch besser erschließen lässt, wenn es filmisch festgehalten wurde. Interessanterweise finden sich aber auch am Ende des 20. Jahrhunderts Ereignisse, die stärker über den Ton als über das Bild ins kollektive Gedächtnis eingegangen sind, selbst wenn sie im Fernsehen übertragen wurden. Das gilt etwa für die Pressekonferenz mit Günter Schabowski vom 9. November 1989 (»nach meiner Kenntnis ist das sofort, unverzüglich«) (II, 468), Roman Herzogs Rede vom 26. April 1997 (»Durch Deutschland muss ein Ruck gehen.«) (II, 526) oder die Wutrede von Giovanni Trapattoni bei einer Pressekonferenz des FC Bayern München am 10. März 1998 (»Was erlauben Strunz?«) (II, 548). Ihnen in den »Jahrhundertstimmen« wiederzubegegnen, erlaubt es zumindest den älteren Hörerinnen und Hörern, ihre eigene Zeitzeugenschaft als Zeugenschaft der »Mithörenden«19 neu zu reflektieren. Jüngeren wiederum bieten die Dokumente nicht nur Einblicke in geschichtliche Ereigniszusammenhänge, sondern auch in die Historizität des öffentlichen Sprechens und medialen Agierens.
Mit einer Sammlung wie den »Jahrhundertstimmen« lässt sich der Wandel der Sprechstile und Redeweisen im Laufe des 20. Jahrhunderts nachvollziehen. Darüber hinaus erlaubt sie den Zugang zu emotionalen und performativen Dimensionen der Vergangenheit, der über schriftliche und bildliche Quellen nicht in gleicher Weise möglich ist. Einzelne Personen der Zeitgeschichte werden durch die Überlieferung ihrer Stimme anders fassbar als allein durch Texte und Bilder. Noch spannender als zum Beispiel im Studio eingesprochene Radiovorträge (von denen die »Jahrhundertstimmen« einige enthalten) sind dabei die Mitschnitte von Live-Veranstaltungen, aber auch Radiogespräche und Radioreportagen, bei denen die kommunikative Interaktion der Beteiligten im Ton festgehalten wurde und die Dynamik eines sich entfaltenden Ereignisses dadurch auditiv nachvollzogen werden kann.
Dass Tondokumente in der zeithistorischen Forschung bisher weniger berücksichtigt wurden (und werden) als Schrift- und Bildquellen, hat sicher auch mit ihrer eingeschränkten Zugänglichkeit zu tun – und mit der Schwierigkeit, sie in wissenschaftlichen Texten direkt zu zitieren. Vor diesem Hintergrund ist das editorische Verdienst der »Jahrhundertstimmen« nicht hoch genug einzuschätzen,20 selbst wenn sich in der Sammlung zugleich die Abwesenheit vieler (weiblicher, migrantischer etc.) Stimmen in den offiziellen Tonarchiven und damit in der auditiven Geschichtsüberlieferung spiegelt.
Anmerkungen:
1 Friedrich Kittler, Grammophon, Film, Typewriter, Berlin 1986, S. 29.
2 Thomas Lindenberger, Vergangenes Hören und Sehen. Zeitgeschichte und ihre Herausforderung durch die audiovisuellen Medien, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 1 (2004), S. 72-85.
3 Vgl. Jan-Friedrich Missfelder, Geschichtswissenschaft, in: Daniel Morat/Hansjakob Ziemer (Hg.), Handbuch Sound. Geschichte – Begriffe – Ansätze, Stuttgart 2018, S. 107-112.
4 Im Folgenden werden die Tonaufnahmen mit I oder II für den ersten und den zweiten Teil der Sammlung sowie mit der Nummer des jeweiligen Tracks genannt. Eine Nennung der einzelnen CDs ist nicht nötig, da die Tracks in beiden Teilen jeweils durchlaufend nummeriert sind: I, 1-287 und II, 1-555. Insgesamt 40 O-Töne aus dem Zeitraum 1945–2000 sowie die einführenden Essays sind frei abrufbar unter <https://presse.penguinrandomhouse.de/jahrhundertstimmen-1945-2000-deutsche-geschichte-ueber-400-originalaufnahmen/978-3-8445-4902-7#zusatz-content>. Für den Zeitraum 1900–1945 gibt es lediglich eine kurze Hörprobe unter <https://presse.penguinrandomhouse.de/jahrhundertstimmen-1900-1945-deutsche-geschichte-ueber-200-originalaufnahmen/978-3-8445-1518-3#zusatz-content>.
5 Christiane Collorio hat im Hörverlag bereits frühere Tondokumente-Sammlungen herausgegeben, etwa die beiden CD-Boxen »Lyrikstimmen« (2009) und »Erzählerstimmen« (2012). Vgl. zu den »Lyrikstimmen« Katja Stopka, Archiv der Poeten. Eine Anthologie zur Geschichte des lyrischen Sprechens – und der Aufnahmetechnik, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 8 (2011), S. 328-333.
6 Vgl. dazu und zum Folgenden Daniel Morat/Thomas Blanck, Geschichte hören. Zum quellenkritischen Umgang mit historischen Tondokumenten, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 66 (2015), S. 703-726. Vgl. zuletzt auch Martin Rempe, Zum Mehrwert auditiver Quellen. Plädoyer für eine multimediale Geschichtsschreibung, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 76 (2025), S. 485-496; Muriel Favre, Authentisch und ungefiltert? Überlegungen über die Arbeit mit Audioquellen in der Geschichtswissenschaft, in: ebd., S. 497-508.
7 Vgl. Britta Lange, Archiv, in: Morat/Ziemer, Handbuch Sound (Anm. 3), S. 236-241.
8 Es ist positiv hervorzuheben, dass Sarkowicz die Umstände dieser Aufnahme in seinem Kommentar genau erklärt und hinzufügt, dass es sich bei den nachgesprochenen Reden aufgrund der zeitversetzten Aufnahme »nicht um ganz authentische Zeugnisse handelt«. Das stellt einen eindeutigen Fortschritt gegenüber früheren Veröffentlichungen dar. Auf der CD-Edition »Hundert deutsche Jahre 1900–2000. Tondokumente und Fotografien« in der Reihe »Stimmen des 20. Jahrhunderts«, herausgegeben vom Deutschen Historischen Museum und dem Deutschen Rundfunkarchiv im Jahr 2002, findet sich der Aufruf Wilhelms II. zum Beispiel ohne die Probeaufnahmen und mit dem falschen Datum 6.8.1914.
9 Zu dieser Unterscheidung von Inszenierung und Performanz vgl. Morat/Blanck, Geschichte hören (Anm. 6), S. 723f.
10 Als Besonderheit kommt hier hinzu, dass diese Ansprache ausdrücklich »an das amerikanische Volk« gerichtet war, um die völkerverbindende Funktion des Radios zu betonen.
11 Vgl. zur Rede von Marie Juchacz auch Claudia Schmölders, Frauen sprechen hören. Zum Aufstieg einer Klanggestalt, in: Gerhard Paul/Ralph Schock (Hg.), Sound des Jahrhunderts. Geräusche, Töne, Stimmen 1889 bis heute, Bonn 2013, S. 134-139. Dieser Sammelband, zu dem eine CD mit jeweils einem Tondokument pro Aufsatz gehört, stellt das seltene Beispiel einer geschichtswissenschaftlichen Publikation dar, in der Tondokumente als zeithistorische Quellen tatsächlich ernstgenommen und ausführlich analysiert werden. Siehe auch das begleitende Dossier unter <https://www.bpb.de/themen/zeit-kulturgeschichte/sound-des-jahrhunderts/>.
12 Sybille Krämer, Die Rehabilitierung der Stimmen. Über die Oralität hinaus, in: Doris Kolesch/Sybille Krämer (Hg.), Stimme. Annäherung an ein Phänomen, Frankfurt a.M. 2006, S. 269-295, hier S. 284.
13 Vgl. dazu Jan-Friedrich Missfelder, Period Ear. Perspektiven einer Klanggeschichte der Neuzeit, in: Geschichte und Gesellschaft 38 (2012), S. 21-47.
14 Vgl. Cornelia Epping-Jäger, LautSprecher, in: Morat/Ziemer, Handbuch Sound (Anm. 3), S. 396-400.
15 Als dritte berühmte NS-Stimme sei noch Roland Freisler genannt, der vor allen Dingen für sein aggressives und höhnisches Auftreten beim Volksgerichtshof-Prozess gegen die Attentäter des 20. Juli 1944 in Erinnerung geblieben ist (I, 261). Ein Radiointerview aus dem Jahr 1940 (I, 197) macht deutlich, dass auch Freisler seine Stimme ganz unterschiedlich einzusetzen wusste.
16 Vgl. Thomas Mann, Deutsche Hörer! Radiosendungen nach Deutschland. Neuausgabe mit einem Vorwort und einem Nachwort von Mely Kiyak, Frankfurt a.M. 2025.
17 Kai Sina, Was gut ist und was böse. Thomas Mann als politischer Aktivist, Berlin 2024, S. 186.
18 Leider fehlt in den Begleitheften ein Namensregister; es würde die gezielte Suche vereinfachen.
19 Lindenberger, Vergangenes Hören und Sehen (Anm. 2), S. 79.
20 Dabei sei die einschränkende Bemerkung erlaubt, dass das Veröffentlichungsformat der CD-Box mittlerweile etwas anachronistisch anmutet. Eine Veröffentlichung im Internet bzw. auf einer Streaming-Plattform wie SoundCloud würde die Reichweite sicher noch erhöhen und zum Beispiel auch in diesem Rezensionsessay das direkte Verlinken der zitierten Tondokumente erleichtern.

