Antisemitika befragen

Potentiale und Probleme der Sammlung von Wolfgang Haney


  1. Persönliche Bindungen – Wolfgang Haney und seine Sammlung
  2. Eigenwillige Ordnungen und soziale Praktiken
  3. Nach dem Tod des Sammlers
  4. Mit der Sammlung arbeiten

Anmerkungen

[Für die kollegiale Beratung danke ich Wiebke Hölzer und Sylvia Karges, die zur Zeit die Sammlung Haney wissenschaftlich bearbeiten. Herzlich danke ich auch Maren Jung-Diestelmeier, die zahlreiche Überlegungen zum Text beisteuerte.]

Als im Herbst 2017 der Berliner Antisemitika-Sammler Wolfgang Haney starb, wurden verschiedene Personen und Institutionen unruhig. Was wird aus der Sammlung? Kommt sie auf den Markt und geht als Gesamtwerk verloren? Welche Akteure und Logiken treten auf den Plan und konkurrieren um die ganze Sammlung oder um Einzelobjekte? Werden die Dauerleihgaben, die in großen Museen gezeigt werden, auf der Stelle zurückverlangt? Gibt es für öffentliche Einrichtungen Handlungsspielraum? Können, dürfen, sollen Steuergelder in den Ankauf judenfeindlicher Artefakte fließen? Wie werden sich die Erben verhalten?

Diese Fragen stellten sich, da Haney eine umfangreiche, heterogene und wertvolle Antisemitika-Sammlung1 aus mehreren Jahrhunderten angelegt hatte. Ich lernte Wolfgang Haney im Herbst 2010 kennen, als er eine Historikerin oder einen Historiker zur Bearbeitung seiner Klebezettelsammlung suchte. Bei Haney fanden sich Druckerzeugnisse wie Judenspottpostkarten, Geldscheine mit antisemitischen Aufdrucken, Plakate, Flugschriften, Klebemarken und -zettel, Lebensmittelkarten, personenbezogene Dokumente wie Ausweise und Fotografien (vor allem aus der Zeit von 1933 bis 1945), verschiedenartige Objekte vom Bierkrug über Spazierstöcke mit Hakennasengriff bis zu einem Zyklon-B-Behältnis und vieles mehr. Die Familie des Antisemitika-Sammlers Gideon Finkelstein prägte für solche Zeugnisse des Antisemitismus den Ausdruck »Pfujim«.2

Dieser Text beleuchtet die Bedeutung und Problematik privater Antisemitika-Sammlungen am Beispiel der Sammlung Haney. Um auszuloten, welche Rolle private Sammler für die Antisemitismusforschung und die dazugehörige Wissenschaftskommunikation spielen können, ist vorab daran zu erinnern, dass in den Geistes- und Sozialwissenschaften Geschriebenes dominiert und systematisch angelegte, fachspezifische Sammlungen von Gegenständen fehlen bzw. weitgehend auf Museen beschränkt bleiben.

Sammlungen sind »eine wesentliche Infrastruktur für die Forschung«, erklärte der Wissenschaftsrat im Januar 2011 und räumte dabei ein: »Der Wissenschaftsrat hat sich bislang vorwiegend mit investitionsintensiven Infrastrukturen und Großgeräten befasst, die primär für die natur- und technikwissenschaftliche Forschung benötigt werden.«3 Gemeint waren etwa »Forschungsschiffe, Laboratorien, Sternwarten oder Teilchenbeschleuniger«.4 Zwar hatte der Wissenschaftsrat schon 1965 die Bedeutung wissenschaftlicher Sammlungen für verschiedene Disziplinen betont. Dennoch vermochten es viele geisteswissenschaftliche Fächer nicht, in ihrer Forschung und Lehre Bilder und Dinge neben Texten als Quellen ernstzunehmen. Gegenständliche Sammlungen wurden nicht angelegt oder nicht langfristig bewahrt und erschlossen. Die Wissenschaftshistorikerin und Kuratorin Anke te Heesen sieht im Fehlen spezifischer Sammlungen geisteswissenschaftlicher Disziplinen einen Effekt organisatorischer und epistemologischer Traditionen; sie plädierte 2010 für Investitionen in solche Sammlungen, die an die stetige Weiterentwicklung des jeweiligen Faches gebunden sein müssten.5 Die Empfehlungen des Wissenschaftsrates von 2011 betonten einen weiteren Aspekt: »Das Potential wissenschaftlicher Sammlungen für die Forschung sollte im Interesse des Wissenschaftssystems besser nutzbar gemacht werden, auch um aktuell drängende gesamtgesellschaftlich relevante Fragen beantworten zu können.«6 All dies lässt sich nicht zuletzt auf die Antisemitismusforschung beziehen.

Die Empfehlungen von 2011 korrespondieren mit einem wachsenden heuristischen Interesse an Dingen und materieller Kultur,7 das auch als Material Turn bezeichnet wird.8 Die Geschichtswissenschaft ist dabei Teil einer als »Materialisierung des Kulturellen« beschriebenen Neu-Positionierung der Geistes- und Sozialwissenschaften, die mit der Absicht einhergeht, den Gegensatz zwischen Kulturalismus und Materialismus zu überwinden.9 Denn »gesellschaftlicher Alltag wird nicht nur von materiellen Dingen geprägt, aber auch nicht allein vom Handeln und Wissen. Erst in der Verbindung der beiden Dimensionen ergibt sich ein Zugang zum Verstehen des Alltags.«10

1. Persönliche Bindungen –
Wolfgang Haney und seine Sammlung

Private Sammler11 schufen unabhängig und schon vor den erwähnten Debatten beeindruckende Archive von Dokumenten, Bildern und Objekten aus unterschiedlichen Epochen, Materialien und Kontexten, die sie in Relation zur Judenfeindschaft sahen. Neben Wolfgang Haney sind als bedeutende Antisemitika-Sammler bekannt: Arthur Langerman,12 Martin Schlaff,13 Gideon Finkelstein,14 Salo Aizenberg,15 Simon Cohen16 sowie Peter Ehrenthal und die Familie Katz.17 Langerman sammelt vornehmlich Bilder. Besonderheiten der Sammlungen Schlaff und Finkelstein sind die zahlreichen dreidimensionalen Objekte wie Porzellan, Nippes, Schießbudenfiguren und Alltagsgegenstände jeglicher Art in judenfeindlicher Ästhetik und Absicht. Private Sammler schufen so Grundlagen für die Erforschung der materiellen Kultur des Antisemitismus. Der Wunsch, mit ihren Kollektionen einen Zugang zu etablieren, um über den Antisemitismus und die nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen aufzuklären, eint die genannten Sammler.

Wolfgang Haney kam 1924 als Sohn von Erna und Gottfried Haney zur Welt. Die Mutter war Jüdin und nach Auskunft des Sohnes leidenschaftliche Sammlerin. Der Vater, katholischer Österreicher, bestand darauf, dass die beiden Söhne des Ehepaares katholisch getauft wurden. Wolfgang Haney galt nach den Nürnberger Rassengesetzen von 1935 als »Mischling 1. Grades«. Durch die Taufe der Kinder galt die Familie als »privilegierte Mischehe«. Erna Haney überlebte die Verfolgung zunächst als Beschäftigte in der Berliner Blindenwerkstatt Otto Weidt, später im Versteck. Ihrem Sohn gelang es, aller Ausgrenzung und Verfolgung zum Trotz, eine Ausbildung zum Maurer abzuschließen. »Ich hatte Glück, die meisten hatten […] es nicht«, beschreibt er sein persönliches Schicksal in einem Interview.18 Als Hoch- und Tiefbauingenieur machte Haney nach dem Krieg Karriere, gleichzeitig folgte er seiner Leidenschaft: »Bereits als Achtjähriger begann ich zu sammeln. […] Nach dem Kriegsende sammelte ich Briefmarken. Die gesamten Briefmarken tauschte ich gegen Münzen ein. Das wurde mein wirkliches Sammelgebiet für Jahrzehnte.«19 Bis zu seinem Tod 2017 war er Vorsitzender der Berliner Münzfreunde e.V.

Als Schlüsselereignis für seinen Wandel zum Antisemitika-Sammler nennt Haney eine Numismatika-Ausstellung, bei der Zahlungsmittel aus dem Konzentrationslager Oranienburg angeboten wurden. »Ich wusste überhaupt nicht, dass es dort so etwas gegeben hat. Ich habe sofort diese beiden Scheine gekauft und merkte auch, dass mir zwei Scheine zum Satz fehlten. Es war ein Satz, den ich komplett haben wollte. Ich habe dann festgestellt, dass auch die meisten Papiergeldsammler nicht wussten, dass es so was gibt. Und das reizte mich.«20

Haney datiert diesen Moment auf die Zeit seiner Pensionierung 1989. Wiebke Hölzer stieß im Rahmen ihrer Forschungen jedoch auf Dankesschreiben der Jüdischen Abteilung des Berlin Museums aus den Jahren 1980–1982, die schon damals Schenkungen von Kultgegenständen und »Unterlagen aus der NS-Zeit« bezeugen. Aber spätestens mit dem Ankauf von KZ-Geld und darauffolgend von Judenspottpostkarten im Laufe der 1990er-Jahre hieß es – nach Aussagen Haneys – in den Händler- und Sammlerkreisen: »Haney sammelt KZ«.21 Angelika Müller und Fritz Backhaus fragten ihn in einem Interview, das sie 2005 mit ihm führten, nach der Motivation anderer Sammler von Judenspottpostkarten. Haney antwortete: »Dazu kann ich Ihnen nur sagen, dass ich hier im Raum Berlin keinen einzigen Sammler kenne, mit dem ich mich unterhalten könnte. Wer kauft, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass bei qualitativ interessanten Objekten eine große Konkurrenz herrscht. Das sehe ich an den Versteigerungssummen, wenn ich wieder einmal überboten worden bin.«22 Haney war international in Händlerkreisen als Bieter gut vernetzt; zahlreiche Objekte seiner Sammlung stammten aus Polen oder Israel.23

Ab 1999 lernte eine größere Öffentlichkeit Wolfgang Haney als Antisemitika-Sammler kennen. In diesem Jahr zeigten das Jüdische Museum sowie das Museum für Post und Telekommunikation in Frankfurt am Main die Ausstellung »Abgestempelt – Judenfeindliche Postkarten. Auf der Grundlage der Sammlung Wolfgang Haney«.24 In Berlin war in der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz gleichzeitig die Ausstellung »Spuren aus dem Getto Łódź 1940–1944: Dokumente der Sammlung Wolfgang Haney« zu sehen.25 Haneys Ruf als Sammler zog immer weitere Kreise. Große staatliche oder städtische Museen baten ihn um Dauerleihgaben.26

Handschriftliche Notiz von László Deutsch, Belower Wald, 8. Mai 1945  (aus: Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933–1945, Bd. 16: Das KZ Auschwitz 1942–1945 und die Zeit der Todesmärsche 1944/45, bearbeitet von Andrea Rudorff, Berlin 2018, S. 842f., Dokument 289)
Wolfgang Haney hatte seinen Hauseingang mit Inflationsgeld tapezieren lassen, darüber hingen unter anderem Plakate von Ausstellungen seines gesammelten Materials.(Foto: © Anna Leopolder)

Sein unbedingter Wille, bestimmte Objektgruppen der Sammlung zu vervollständigen und bislang unbekannte Bilder und Dinge zu erwerben, führte auch dazu, dass sich in dem Material einige Fälschungen befinden. Im Zweifel kaufte Haney lieber, als sich einen – wenn auch zweifelhaften – Fund entgehen zu lassen. Sein andauerndes Bemühen um Vervollständigung führte zu paradoxen Situationen: So erzählte er von einem Besuch bei der NPD, um seine Sammlung von Wahlplakaten und Aufklebern durch fehlende Exemplare zu ergänzen. Er fuhr dazu in das Parteibüro nach Köpenick, rief noch an der Tür, dass er nach den Nürnberger Gesetzen »Mischling ersten Grades« sei, niemals NPD wählen würde, doch für seine Sammlung einige Plakate brauche. Er sei daraufhin höflich behandelt worden, und man gab ihm die gewünschten Drucksachen. In späteren Jahren drehte sich das Begehren um: Nun stand auf einmal ein NPD-Mitglied vor Haneys Tür und brachte aktuelle Wahlkampfmaterialien, damit er sie sammle.27

Haney kaufte auch bei Militaria-Händlern. Diese berufen sich auf die Sozial­adäquanzregel im § 86 Abs. 3 StGB (seit September 2021: Abs. 4), die Ausnahmen beim Verbot der Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen zulässt. Militariahändler in Deutschland arbeiten daher mit folgendem Disclaimer: »Solange der Verkäufer und Käufer sich nicht gegenteilig äußern, versichern sie, dass sie diesen Katalog und die darin enthaltenen Abbildungen und Beschreibungen, die die Zeit von 1933 bis 1945 betreffen, nur zu Zwecken der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger und verfassungsfeindlicher Bestrebungen, der wissenschaftlichen und kunsthistorischen Forschung, der Aufklärung und der Berichterstattung über die Vorgänge des Zeitgeschehens oder der militärhistorischen und uniformkundlichen Forschung oder Sammlung erwerben (§86 a StGB).«28 Dieses in Deutschland verbreitete Vorgehen fußt auf Vertrauen in Käufer und Verkäufer. Das jüdisch-amerikanische Magazin »Forward« berichtet von einer anderen Praxis in den USA: Während das New Yorker Auktionshaus Swann Galleries grundsätzlich keine NS-Plakate und Hakenkreuze versteigert und lediglich Einsendungen aus NS-Kontexten verzeichnet, die aus jüdischen Quellen stammen, erklärt der Berater der Judaica-Auktionen bei Sotheby’s, dass dort aus Prinzip keine Antisemitika gehandelt werden: »There are worries that someone could buy it for the wrong reasons. You can’t control people’s intentions.«29

Die deutsche Regelung öffnet einem NS-verherrlichenden Gebrauch Tür und Tor. Der Prozess gegen einen Kieler Rentner, dessen Sammlung von NS-Devotionalien bis zu einem Wehrmachtspanzer reichte, ist ein Beispiel dafür.30 Der Historiker Philipp Lenhard machte angesichts der Auktion eines Münchner Militaria-Händlers, bei der für eine Luxusausgabe von »Mein Kampf« 130.000 € gezahlt wurden, den Vorschlag, »den Erlös einem gemeinnützigen Zweck zuzuführen, etwa der Bekämpfung des Antisemitismus in Deutschland«.31 Für manche der oben genannten Sammler ist der Effekt, durch ihre Ankäufe die Objekte dem Markt zu entziehen, ein weiteres Motiv für ihre Arbeit.

2. Eigenwillige Ordnungen und soziale Praktiken

Der Wissenschaftsrat sieht die Möglichkeit der »Erschließung neuen Wissens […] durch die wissenschaftliche Arbeit mit Sammlungen« darin, dass sie »systematisch mit dem Ziel der Materialakkumulation, Wissensspeicherung und Wissensklassifizierung aufgebaut wurden und werden«.32 Nun entsprechen private Sammlungen diesem Ziel nicht, sondern pflegen einen individuellen und freien Sammlungsstil. Der US-amerikanische Postkartensammler Salo Aizenberg zeigt eine solche Eigenwilligkeit anschaulich in der Ordnung seiner Kollektion judenfeindlicher Postkarten. So ist das Kapitel »The Main Stereotype and Canards« in folgende Abschnitte unterteilt: »The large and hooked nose // Wealth, greed and cheating // The Rothschild Brothers // The awkward and deformed body // Jews as animals // Expulsion and Exclusion // Jews in control // Mocking prohibitions against eating pork // The unsuitability of Jews in the military // Jews carrying umbrellas«.33

Der Unterschied einer solchen, dem Material folgenden Klassifizierung zu den in der Antisemitismusforschung üblichen Systematisierungen (z.B. christlicher, rassistischer, nationalsozialistischer und postnazistischer Antisemitismus) ist augenfällig. Auch wenn in der Antisemitismusforschung keine einheitlichen Klassifikationen etabliert sind, unterscheiden sich die theorie- und textbasierten Systematisierungen von den dingorientierten Sortierungen privater Akteure. Sammler:innen, die ausgehend von ihren Dingen arbeiten, gelangen notwendigerweise zu eigenen Ordnungen. Diese Spezifik wird in einer Polemik des Kulturwissenschaftlers Hans-Otto Hügel nach den Erfahrungen des partizipativen Projekts »Hildesheim sammelt« deutlich: »Die Sammler von Berufs wegen in Museen und Archiven […] sind nicht Sammler, sondern haben die Aufgabe – für die Öffentlichkeit – zu sammeln und zu erschließen und auszustellen. Fremdbestimmt, der Satzung ihres Hauses verpflichtet, legen sie keine Sammlung an, sondern betreiben im öffentlichen Auftrag kulturelle Vorratshaltung. Sie sind […] öffentlich bestallte Antiquitätenhändler oder Antiquare.«34

Private Antisemitika-Sammlungen können der Antisemitismusforschung dazu dienen, die etablierten Denkmuster zu reflektieren – gerade weil es sich nicht um systematisch angelegte Bestände handelt, sondern um eine leidenschaftliche, lebendige Sammelpraxis, die das Wahnhafte des Judenhasses einfängt. Darin liegt das besondere Erkenntnispotential. Im Antisemitismus vermischen sich kognitive Postulate, Emotionen und Handlungen. Das Ressentiment lässt sich auch als soziale Praxis beschreiben.35 Um »die Körperlichkeit des Handelns und die Relevanz von Affektivität und sinnlicher Wahrnehmung« zu fassen, betont die Perspektive der sozialen Praxis »nicht zuletzt die konstitutive Bedeutung der Dinge und Artefakte«.36 Die Arbeit mit solchen Dingen könnte dazu beitragen, das Verhältnis von Emotion und Handlung in der Judenfeindschaft besser zu verstehen.37 Das Fehlen wissenschaftlicher Antisemitika-Sammlungen führte bislang dazu, dass trotz der nicht-rationalistischen Impulse der Emotionsgeschichte »doch indirekt wieder Diskurse in den Fokus treten, weil auch Praktiken der vergangenen Zeit vielfach nur sprachlich überliefert und damit in Diskurse eingebettet sind«.38

Die Sammlung Haney kann nun dazu beitragen, dieses Defizit zu beheben. Ein Gang durch Haneys Haus zeigt, wie für ihn das Sammeln schließlich Leben und Wohnen vollkommen dominierte. Im Esszimmer, in dem er die Gäste empfing, lagen geordnet die Dokumente und Objekte, die er für seine aktuellen Projekte benötigte. Denn er kaufte und verlieh gleichzeitig, trieb Publikationen zu seinen Sammlungen voran39 und hielt selbst Vorträge mit Anschauungsmaterial. In seinem Arbeitszimmer drängten sich die Dinge aller Art auf Regalen, Tischen, den Fensterbänken und auf dem Sofa: Dokumente, zurückgesandte Leihgaben, Ordner und Kisten mit zu sortierendem Material, antisemitische Bierkrüge, Spazierstöcke und Nippes.

In Wolfgang Haneys Arbeitszimmer, aufgenommen unmittelbar nach seinem Tod, um die Sammlung in ihrem Originalzustand zu dokumentieren  (Foto: © Anna Leopolder)
In Wolfgang Haneys Arbeitszimmer, aufgenommen unmittelbar nach seinem Tod, um die Sammlung in ihrem Originalzustand zu dokumentieren
(Foto: © Anna Leopolder)

Der Gang in den Keller offenbarte das Maßlose seiner Sammlung. Dort herrschte ein bestenfalls für Haney selbst zu überblickendes Durcheinander. Zwar waren die meisten jener Drucksachen, die ein deutlich kleineres Format als DIN A4 hatten, sowie zahlreiche Fotografien in speziellen Sammelalben aufbewahrt, die er in zwei großen Tresoren verstaute. Doch dieses sichere und verschließbare Aufbewahrungssystem, dem Haney die Ordnung gegeben hatte (»in den schwarzen Ordnern ist Tod und KZ, in den roten nicht ganz so schlimm«), vermochte längst nicht alle Gegenstände zu fassen, die er in sein Untergeschoss verfrachtet hatte. Seine Judenspottpostkartensammlung40 sowie der größte Teil der Sammlung lagerten außerhalb der Tresore.

Ein Kellerraum in Wolfgang Haneys Haus  (Foto: © Anna Leopolder)
Ein Kellerraum in Wolfgang Haneys Haus
(Foto: © Anna Leopolder)

Der Unterschied zwischen einer wissenschaftlichen bzw. öffentlichen und einer privaten Sammlung ist hier ganz augenfällig. Haneys eigenwillige Ordnung wirft die Frage auf, welchen Prinzipien sie folgte. Die Sammlung war vom Gebrauch und von einer andauernden Dynamik geprägt. Da Haney permanent neue Objekte erwarb und Dinge aus verschiedensten Objektgruppen aufnahm, war seine Sammlung immer in Bewegung. Und er wollte mit der Sammlung etwas bewegen. Sein außerordentliches Gedächtnis war sein Ordnungsapparat. Haney war sich der Herausforderungen dieser Dynamik bewusst. In einem seiner Ordner findet sich eingangs ein Zettel, auf dem notiert ist: »Durchgearbeitet, trotzdem ist keine Ordnung!«

Kampf um die Ordnung – handschriftlicher Vermerk Wolfgang Haneys. Über dem gedruckten Ausschneidebogen der farbigen Ordner-Rückenschilder steht: »Schon ist alles in Ordnung.«  (Foto: © Isabel Enzenbach)
Kampf um die Ordnung –
handschriftlicher Vermerk Wolfgang Haneys. Über dem gedruckten Ausschneidebogen der farbigen Ordner-Rückenschilder steht:
»Schon ist alles in Ordnung.«
(Foto: © Isabel Enzenbach)

Die Unabgeschlossenheit verweist auf den notwendigen Prozess eines ständigen Durch- und Neubearbeitens von Geschichte. Zu Haneys permanenter persönlicher Auseinandersetzung zählt auch das Sich-Selbst-Einschreiben in die Sammlung, die nicht zuletzt seine eigenen Personaldokumente aus der NS-Zeit sowie diejenigen seiner Angehörigen enthält. Mit der Dauer der Sammlungstätigkeit schien ein Gewöhnungseffekt eingetreten zu sein. In einem Interview auf die Frage angesprochen, ob es nicht unheimlich sei, mit all diesen Dingen zusammenzuleben, antwortete er: »Wir sitzen hier auf Tausenden von Toten. Das stimmt. […] Meine Frau hat sich oft gewundert, sie sagte, wie kannst du dich freuen, wenn du ein Dokument hast, und dann steht da drauf, dass die Leute tot sind. Aber das sind zwei ganz verschiedene Dinge. Natürlich gibt es keine Möglichkeit, dass man sich darüber freut, aber auf der anderen Seite bin ich froh, wieder etwas mehr zur Dokumentation in meiner Sammlung zu haben.«41 Sammeln war sein Alltag, der nicht mehr von anderen Aktivitäten zu trennen war. Und so lagen neben dem »Recht des Generalgouvernements« eine Blockflöte und ein Metermaß. Haney konfrontierte sich permanent mit den ideologischen und kulturellen Repräsentationen des Holocaust. Vom Regal neben seinem Schreibtisch blickten antisemitische Schnitzereien und die Holzfigur eines KZ-Überlebenden auf den Sammler.

Wolfgang Haneys Arbeitszimmer   (Foto: © Anna Leopolder)
Wolfgang Haneys Arbeitszimmer
(Foto: © Anna Leopolder)

Eine besonders irritierende Zusammenstellung aus dem Keller lässt vermuten, dass das Nebeneinander von Sammlung und anderen privaten Gegenständen hier kein ganz zufälliges Arrangement war. In einem unscheinbaren Metallregal fanden sich ein angelaufener, mit Plastiktütchen vollgestopfter Alutopf und eine ebensolche Aluschüssel. Haney betonte, dass es sich hier um sehr spezielle Käufe handle: Objekte aus Konzentrationslagern. Unter anderem sprach er von Zähnen und weiteren Überresten aus Lagern. Auf der Unterseite der Aluminiumgefäße war »KL BU« (für Konzentrationslager Buchenwald) geprägt.42 Beim Sichten der Sammlung nach Haneys Tod stellte sich heraus, dass es sich bei den Zähnen um künstliche Gebisse handelt. Außerdem befanden sich persönliche Gegenstände von Gefangenen aus Konzentrationslagern in den Schüsseln. Die Alubehältnisse dienten vermutlich zur Lebensmittelzubereitung (die Schüssel eventuell auch zum Waschen). Daneben verwahrte Haney eine Tortenhaube aus Kunststoff, Imkergläser, eine Zitronenpresse sowie Originalverpackungen von Küchenutensilien.

Regal in Wolfgang Haneys Keller mit Koch- und Waschschüssel vermutlich aus dem Konzentrationslager Buchenwald  (Foto: © Anna Leopolder)
Regal in Wolfgang Haneys Keller mit Koch- und Waschschüssel
vermutlich aus dem Konzentrationslager Buchenwald
(Foto: © Anna Leopolder)

Der Ethnologe James Clifford bietet einen Erklärungsansatz: »Zeit und Ordnung der Sammlung löschen die konkrete gesellschaftliche Arbeit ihrer Erzeugung aus.« Er konstatiert dies kritisch gegen den normativen Effekt musealer Darbietung: »Die Herstellung von Bedeutung in der musealen Klassifizierung und Präsentation wird als adäquate Repräsentation mystifiziert.«43 Dabei hatte Clifford vermutlich klassische Zeigestrategien in Vitrinen vor Augen. Dennoch lässt sich der Gedanke, dass der Entstehungs- oder Nutzungszusammenhang der Objekte durch die Zeit und Ordnung einer Sammlung zu verändern ist, konstruktiv wenden. Die Gegenstände aus dem Konzentrationslager, die mit Essen verbunden waren, sind in Haneys Keller von Küchenutensilien gerahmt – eine Anordnung, die man als bewusste oder unbewusste Brechung des Herkunftskontextes deuten kann.

3. Nach dem Tod des Sammlers

In langen Verhandlungen, die dem Erben der Sammlung viel Geduld abverlangten, um einen Ankauf durch die öffentliche Hand zu ermöglichen, gelang es dem Deutschen Historischen Museum (DHM), die Sammlung Haney zu erwerben. Der Sammlungsleiter des Hauses, Fritz Backhaus, nennt mehrere Gründe für die Entscheidung: Dem Museum können Exponate aus der Sammlung dabei helfen, in der künftigen neuen Dauerausstellung die Auseinandersetzung mit Antisemitismus und Rassismus prominenter als bislang zu führen. Das DHM möchte das Schaffen Haneys als zeithistorisches Zeugnis zusammenhängend bewahren und schließlich verhindern, dass die Objekte auf dem Markt von Menschen mit antisemitischen Motiven gekauft werden. Gleichzeitig betont Backhaus: »Mit ihrem Übergang in öffentlichen Besitz müssen sich nun Überlegungen verbinden, wie mit einem Teil der Objekte künftig umzugehen ist.«44

Es gilt, Wege zu finden, die die unhintergehbare Widersprüchlichkeit der Sammlung ernstnehmen.45 Mit der Provenienzforschung zu den von Haney gesammelten Dingen muss geklärt werden, inwieweit es sich gegebenenfalls um Raubgut im Kontext nationalsozialistischen Unrechts handelt.46 Immer wieder finden sich in der Sammlung Zettel, die den Objekten mit Hinweisen zur Herkunft oder zur ursprünglichen Funktion beigegeben wurden. Bisweilen lassen diese unrechtmäßigen Handel erahnen, so etwa bei einer langen Schraube, die laut Beschriftung von einem Überlebenden aus dem Bahngleis der Rampe in Auschwitz entnommen wurde. Dieses Beispiel wirft die Frage auf, was Sensibilität im Einzelfall bedeutet. Wenn wirklich ein Überlebender bei einem Besuch der Gedenkstätte Auschwitz eine solche Schraube entnommen hat, war das dann unrechtmäßig? Wie kann der ethische Konflikt zwischen individuellen Rechten von ehemals Verfolgten und der kollektiven Pflicht zum Erinnern vermittelt werden? Diese Frage haben Überlebende, Jurist:innen, Politiker:innen und Museumsfachleute am Beispiel zweier an das Museum Auschwitz-Birkenau gerichteter Rückgabeforderungen intensiv verhandelt.47 Bei einem der prominenten Fälle, in denen das Museum Auschwitz-Birkenau aufgefordert wurde, ein Ausstellungsobjekt zurückzugeben, handelte es sich um einem Koffer, an dem ein Adressschild hing, das bewies, dass der Koffer dem in Auschwitz ermordeten Vater des Klägers gehörte. Auch wenn es einen deutlichen Unterschied zwischen einer Schraube aus den Gleisen von Auschwitz und persönlichem, individuellem Besitz gibt, sind solche Diskussionen auch für dieses Objekt relevant. In Fall des Koffers konnte ein Vergleich gefunden werden.48 Doch es besteht ein grundsätzlicher Konflikt zwischen den Rechten der Opfer und denen der allgemeinen Öffentlichkeit. Die Historikerin Kerstin von Lingen kommt zu dem Schluss: »Die Konkurrenz zwischen individuellen Bedürfnissen und den Forderungen der Gemeinschaft ist in diesen ethischen Fragen nicht aufzulösen und wird ambivalent bleiben.«49

Auch die Personaldokumente in der Sammlung Haney werfen ethische Fragen auf. Sie hätten im inzwischen abgeschlossenen Entschädigungsverfahren für Zwangs­arbeiter:innen als hilfreiche Nachweise dienen können.50 Für Überlebende der NS-Verfolgung und ihre Angehörigen gab es kaum die Möglichkeit, ihre persönlichen Dokumente in Haneys Keller aufzuspüren. Verlaufen hier nicht die ethischen Grenzen einer noch so aufklärerisch motivierten privaten Sammelpraxis?

Beim Ankauf der Sammlung Haney wurde daher eine Kooperation mit den Arolsen Archives vereinbart. Dort finden sich 50 Millionen Hinweiskarten zu 17,5 Millionen Menschen, Dokumente über KZ-Häftlinge, ausländische Zwangsarbeiter:innen und Displaced Persons (DPs).51 Immer größere Teile des Archivs sind inzwischen online recherchierbar. Seit 2016 sucht das Projekt #StolenMemory nach Angehörigen von NS-Opfern, deren persönlicher Besitz sich in Arolsen befindet. In der Regel wurde den Verfolgten alles private Hab und Gut abgenommen. #StolenMemory erklärt: »Ihre persönlichen Gegenstände werden bei uns nur aufbewahrt, sie gehören nicht dem Archiv.«52 Mit der Rückgabe von Objekten und deren digital zugänglicher Dokumentation erweitert das Archiv den Auftrag von der Bewahrung zu einem aktiven, sensiblen Umgang mit den Dingen und den Menschen, für die diese Dinge persönlich bedeutsam sind. Die genannten Rechtsstreitigkeiten zwischen Überlebenden und ihren Angehörigen auf der einen Seite und Museen oder Gedenkstätten auf der anderen können so in bessere Bahnen gelenkt werden. Für einen sensiblen Umgang mit entwendeten Sakralgegenständen aus der Sammlung Haney wurde eine Kooperationsvereinbarung mit der Jewish Claims Conference geschlossen.53 Zwei Forschungsprojekte dienen der wissenschaftlichen Vertiefung. Wiebke Hölzer bearbeitet das Projekt »Der Sammler und seine Dinge. Erforschung der Sammlung Wolfgang Haney«, während Sylvia Karges »Die Geschichte antisemitischer Alltagsgegenstände. Antisemitische und NS-Objekte in der Sammlung Wolfgang Haney« untersucht. Beide Teilprojekte sind am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin angesiedelt.

4. Mit der Sammlung arbeiten

Zum Erbe Wolfgang Haneys gehört das Arbeiten mit der Sammlung, das Lebendighalten in der Forschungs-, Vermittlungs- und Bildungsarbeit. Beim Übergang der Sammlung in eine öffentliche Institution stellt sich die Frage, wie diese Aufgabe – über die Nutzung durch das Deutsche Historische Museum hinaus – angenommen werden kann.

Exemplarisch für eine private und wissenschaftliche Kooperation im Sammeln, Erforschen und Zeigen steht Haneys Klebezettelsammlung, die judenfeindliche Briefverschluss- und -siegelmarken vom späten 19. Jahrhundert bis zu Stickern mit Parolen gegen Geflüchtete umfasst. Er selbst kletterte im hohen Alter auf Leitern, um Klebezettel und Wahlkampfplakate zu entfernen. Zudem pflegte er die Zusammenarbeit mit der Aktivistin Irmela Mensah-Schramm, die seit über 30 Jahren Klebezettel mit antisemitischen, rassistischen und rechtsextremen Inhalten sammelt. Mehr als 80.000 Sticker hat sie (nach eigenen Angaben) inzwischen zerstört oder entfernt. Mensah-Schramm und Haney waren in einem beständigen Austausch über ihre Objekte. Die Sammlung wurde zur Voraussetzung des Forschens über ein bislang wenig beachtetes Medium und ermöglichte schließlich die Ausstellung »ANGEZETTELT – Antisemitische und rassistische Aufkleber von 1880 bis heute«, die unter anderem 2014 im Museum für Post und Telekommunikation Frankfurt am Main, 2016 im Deutschen Historischen Museum Berlin und 2017 im NS-Dokumentationszentrum München gezeigt wurde.54 An jedem Ort wurde die der Ausstellung zu Grunde liegende Sammlung aktualisiert und in Kooperation mit lokalen Akteur:innen für die jeweilige Stadt erweitert. Darüber hinaus lautete eine beständige Frage, wie die Objekte präsentiert werden können, ohne die antisemitischen und rassistischen Bildmotive zu reproduzieren. Neben gestalterischen Antworten auf diese Frage war Haneys freie Sammlungsstrategie inspirierend. Ihm war es wichtig, alle Sorten von Aufklebern und Marken zu sammeln, die irgendetwas mit Juden, jüdischer Geschichte oder Antisemitismus zu tun hatten. Das waren neben den bereits erwähnten Briefverschlussmarken etwa Sammel-, Spenden- oder Reklamemarken. Erschien die Zusammenstellung zunächst verwirrend, bot sie für eine Präsentation den Vorteil, auch verschiedene Klebezettel der Gegenwehr zu enthalten, zum Beispiel Aufkleber des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, deren Existenz bis dahin kaum bekannt war.55 Unter dem Signum der Vollständigkeit hatte Haney bislang nie gezeigte Marken aus dem frühen 20. Jahrhundert zusammengetragen, die die lange Praxis des Sich-Wehrens gegen den Antisemitismus illustrierten. So war es möglich, antisemitische Bildpropaganda in der Ausstellung mit den vielfältigen Aktivitäten zu konfrontieren, diese im gleichen Medium und auf anderen Wegen zu konterkarieren.

Detailansicht der Ausstellung »Angezettelt« mit einem Klebezettel des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (rechts): »War je irgendwo und irgendwann ein großer Geist Antisemit?«  (Foto: © Michael Hughes)
Detailansicht der Ausstellung »Angezettelt« mit einem Klebezettel des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (rechts):
»War je irgendwo und irgendwann ein großer Geist Antisemit?«
(Foto: © Michael Hughes)
Die Ausstellung »Angezettelt« im Deutschen Historischen Museum, 2016  (Foto: © Michael Hughes)
Die Ausstellung »Angezettelt« im Deutschen Historischen Museum, 2016
(Foto: © Michael Hughes)

Die Kooperation zwischen dem Deutschen Historischen Museum, dem Zentrum für Antisemitismusforschung, den Arolsen Archives und der Jewish Claims Conference bietet die Chance, dass Wolfgang Haneys Sammlung bei ihrem Übergang in eine öffentliche Institution weiter erforscht sowie strengen ethischen Richtlinien und einer Rückgabepraxis unterworfen wird. Dies kann dazu beitragen, die Vorteile des persönlich und emotional gebundenen privaten Sammelns mit ethisch fundierter, professioneller Sammlungs-, Entsammlungs- und Ausstellungspraxis zu verbinden und die Besonderheit der Sammlung dabei zu bewahren.


Anmerkungen:

1 Der Duden kennt das Wort Antisemitika nicht. Dennoch wird es benutzt, um Dinge zu beschreiben, die antijüdische Merkmale haben (z.B. Jüdisches Museum Berlin, Aus der Reihe: Was wir nicht zeigen. Sammlungen mit Antisemitika, 27.3.2012). Vereinzelt findet sich der Begriff ab dem 19. Jahrhundert, z.B. in: Der Israelit. Ein Centralorgan für das orthodoxe Judenthum 34 (1893) H. 68, S. 1309; Die Gesetzsammlung des Judenspiegels, zusammengestellt und gefälscht von Aron Briman, pseudodoctor Justus, beleuchtet und berichtigt von K. Lippe, Jassy 1885, S. XIII. Im Anschluss an die Hochphase antisemitischer Propaganda in der ersten Hälfte der 1920er-Jahre taucht der Begriff als Buchtitel auf: Siegfried Lichtenstaedter, Antisemitica. Heiteres und Ernstes, Wahres und Erdichtetes, Leipzig 1926.

2 Hanno Loewy, Antisemitische Götzen? Fragen an eine Ausstellung, in: Falk Wiesemann (Hg.), Antijüdischer Nippes und populäre »Judenbilder«. Die Sammlung Finkelstein, Essen 2005, S. 7-9, hier S. 7.

4 Oliver Zauzig, Sammlungen sind Forschungsinfrastrukturen – was sonst?, in: Blog der Koordinierungsstelle für wissenschaftliche Universitätssammlungen in Deutschland, 20.4.2016.

5 Anke te Heesen, Ausstellung, Anschauung, Autorschaft. Über Universitäten und die Möglichkeiten ihrer Sammlungen, in: Nach Feierabend. Zürcher Jahrbuch für Wissensgeschichte 6 (2010), S. 73-85.

6 Wissenschaftsrat, Empfehlungen (Anm. 3), S. 7.

7 Hans Peter Hahn, Materielle Kultur. Eine Einführung, Berlin 2014.

8 Stefanie Samida, Materielle Kultur – und dann? Kulturwissenschaftliche Anmerkungen zu einem aktuellen Trend in der Zeitgeschichtsforschung, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contempo­rary History 13 (2016), S. 506-514.

9 Andreas Reckwitz, Die Materialisierung der Kultur, in: Friederike Elias u.a. (Hg.), Praxeologie. Beiträge zur interdisziplinären Reichweite praxistheoretischer Ansätze in den Geistes- und Sozialwissenschaften, Berlin 2014, S. 13-25.

10 Hahn, Materielle Kultur (Anm. 7), S. 9.

11 Die hier behandelten Sammler sind alle männlich, ein Phänomen, das es noch zu untersuchen gilt. Zu geschlechtsspezifischen Prägungen von Sammlerpersönlichkeiten, Sammlungen und Ausstellungspraktiken vgl. Landschaftsverband Rheinland, Dezernat für Kultur und Umwelt und Gleichstellungsamt (Hg.), Männersache(n) – Frauensache(n): Sammeln und Geschlecht, Tagungsdokumentation, Köln 2007; Bjarne Rogan, Material Culture and Gender – Seen through the Practice of Collecting, in: Christel Köhle-Hezinger/Martin Scharfe/Rolf Wilhelm Brednich (Hg.), Männlich. Weiblich. Zur Bedeutung der Kategorie Geschlecht in der Kultur, Münster 1999, S. 138-146; Roswitha Muttenthaler/Regina Wonisch, Rollenbilder im Museum. Was erzählen Museen über Frauen und Männer?, Schwalbach 2010.

14 Wiesemann, Antijüdischer Nippes (Anm. 2).

15 Salo Aizenberg, Hatemail. Anti-Semitism on Picture Postcards, Philadelphia 2013.

16 Anthony Julius Weiner (Hg.), The Enduring Lie. Anti-Semitica from the Collection of Dr. Simon Cohen, London 2010.

18 Thomas Mank, Vom Ordnen der Dinge – Porträt Wolfgang Haney, 16.7.2021, URL: <https://www.youtube.com/watch?v=_YkfhFFKHno>, Min. 6:55 – 7:00.

19 Manfred Mayer, ... und wir hörten auf, Mensch zu sein: der Weg nach Auschwitz. Mit 170 bisher meist unveröffentlichten Bilddokumenten aus der Sammlung Wolfgang Haney, Paderborn 2005, S. 135.

20 Isabel Enzenbach, »Ich habe schon als Schulkind gesammelt. Immer!« Ein Gespräch mit Wolfgang Haney, in: Isabel Enzenbach/Wolfgang Haney (Hg.), Alltagskultur des Antisemitismus im Kleinformat. Vignetten der Sammlung Haney ab 1880, Berlin 2012, S. 173-180, hier S. 176.

21 Mank, Vom Ordnen der Dinge (Anm. 18), Min. 17:16.

22 Angelika Müller/Fritz Backhaus, Abgestempelt – Judenfeindliche Postkarten. Interview mit dem Sammler Wolfgang Haney, 22.2.2005, URL: <https://www.bpb.de/veranstaltungen/format/ausstellung/
68371/interview
>.

23 Mayer, Mensch (Anm. 19), S. 142.

24 Helmut Gold/Fritz Backhaus/Jüdisches Museum Frankfurt am Main (Hg.), Abgestempelt – Judenfeindliche Postkarten. Auf der Grundlage der Sammlung Wolfgang Haney, Frankfurt a.M. 1999.

25 Peter Klein/Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz, Spuren aus dem Getto Łódź 1940–1944. Dokumente der Sammlung Wolfgang Haney, Berlin. Eine Ausstellung in der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz vom 28. März 1999 bis zum 30. Dezember 2000, Berlin 1999.

26 Z.B. das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, das Deutsche Historische Museum in Berlin, das Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart.

27 Undatiertes Gespräch mit der Autorin.

28 Eine solche Klausel findet sich auf den Websites der entsprechenden Händler, z.B. beim Berliner Auktionshaus für Geschichte.

29 Daniel Grant, Why Collectors of ›Antisemitica‹ Aren’t Always Anti-Semites, 23.1.2016, URL: <https://forward.com/culture/329880/why-collectors-of-antisemitica-arent-always-anti-semites/>.

30 Julia Jüttner/Sven Röbel/Ansgar Siemens, Reichskanzlei im Keller, in: Spiegel, 3.7.2021, S. 50-51.

31 Kate Brady/Verena Greb, Unter dem Hammer: Zum Umgang mit Nazi-Devotionalien, in: Deutsche Welle, 20.11.2019.

32 Wissenschaftsrat, Empfehlungen (Anm. 3), S. 15.

33 Aizenberg, Hatemail (Anm. 15), S. 36-72.

34 Hans-Otto Hügel (Hg.), Hildesheim sammelt. 53 Sammlungen zur Alltags- und Hochkultur (Ausstellungskatalog), Hildesheim 1999; zit. nach Renate Flagmeier, Partizipativ sammeln – (wie) geht das im Museum?, in: Susanne Gesser u.a. (Hg.), Das partizipative Museum. Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen, Bielefeld 2012, S. 192-202, hier S. 195.

35 Werner Bergmann/Ulrich Wyrwa, Antisemitismus in Zentraleuropa. Deutschland, Österreich und die Schweiz vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Darmstadt 2011, S. 8; Heike Radvan, Pädagogisches Handeln und Antisemitismus. Eine empirische Studie zu Beobachtungs- und Interventionsformen in der offenen Jugendarbeit, Bad Heilbrunn 2010, S. 9.

36 Andreas Reckwitz, Kreativität und soziale Praxis. Studien zur Sozial- und Gesellschaftstheorie, Bielefeld 2016, S. 11.

37 Uffa Jensen/Stefanie Schüler-Springorum, Einführung. Gefühle gegen Juden. Die Emotionsgeschichte des modernen Antisemitismus, in: Geschichte und Gesellschaft 39 (2013), S. 413-442, hier S. 420.

38 Birgit Aschmann, Emotionen und Antisemitismus – von der Relevanz komplexer Konzepte, in: Stefanie Schüler-Springorum/Jan Süselbeck (Hg.), Emotionen und Antisemitismus. Geschichte – Literatur – Theorie, Göttingen 2021, S. 21-41, hier S. 32.

39 Z.B. Hans-Ludwig Grabowski, Das Geld des Terrors. Geld und Geldersatz in deutschen Konzentrationslagern und Gettos 1933 bis 1945. Dokumentation und Katalog basierend auf Belegen der zeitgeschichtlichen Sammlung Wolfgang Haney sowie aus weiteren Sammlungen und Archiven, Regenstauf 2008; Heinz Wewer, Postalische Zeugnisse zur deutschen Besatzungsherrschaft im Protektorat Böhmen und Mähren, Berlin 2018.

40 Juliane Peters (Hg.), Spott und Hetze. Antisemitische Postkarten 1893–1945 aus der Sammlung Wolfgang Haney, Berlin, DVD-ROM, Berlin 2008.

41 Enzenbach, Ein Gespräch mit Wolfgang Haney (Anm. 20), S. 179.

42 Der Leiter der Historischen Sammlung der Gedenkstätte Buchenwald schrieb mir zum Foto der beiden Gegenstände: »Es handelt sich bei beiden Objekten nicht um das typische, an Häftlinge ausgegebene Essgeschirr, aber ich möchte nicht ausschließen, dass sie im Lager Verwendung fanden. Bleibt die Frage, woher Herr Haney die beiden Töpfe hatte.« E-Mail vom 16.10.2020.

43 James Clifford, Sich selbst sammeln, in: Gottfried Korff/Martin Roth (Hg.), Das historische Museum. Labor, Schaubühne, Identitätsfabrik, Frankfurt a.M. 1990, S. 87-106, hier S. 91.

44 Fritz Backhaus, Zeugnisse des Antisemitismus. Die Sammlung Wolfgang Haney, in: Historische Urteilskraft. Magazin des Deutschen Historischen Museums 03 (2021), S. 85-88, hier S. 87; Deutsches Historisches Museum erwirbt »Sammlung Wolfgang Haney« mit 15.000 Zeugnissen des Antisemitismus, Presseinformation, 8.11.2021.

45 Stefanie Paufler-Gerlach, (K)eine erneute Inszenierung? Museale Präsentation von NS-Propaganda in zeitgenössischen Ausstellungen, in: Christian Kuchler (Hg.), NS-Propaganda im 21. Jahrhundert. Zwischen Verbot und öffentlicher Auseinandersetzung, Köln 2014, S. 175-192.

47 Vgl. Kerstin von Lingen, »Museum Ethics«. Wem gehört die Erinnerung? Die Problematik der Rückgabe von Exponaten am Beispiel des Museums Auschwitz-Birkenau, in: Zeitschrift für Genozidforschung 11 (2010) H. 2, S. 71-94.

48 Kathrin Hondl, Der Koffer-Streit. Zwei Holocaust-Museen streiten um ein Erinnerungsstück, in: Deutschlandfunk Kultur, 11.9.2006. Im Rechtsstreit zwischen dem Sohn Michel Levi-Leleu und dem Museum Auschwitz-Birkenau stimmte das Museum zu, dass der Koffer als Dauerleihgabe im Pariser Mémorial de la Shoa verbleibt und somit in der Nähe der Familie des in Auschwitz Ermordeten. Vgl. Settlement Reached over Auschwitz Suitcase, 4.6.2009, URL: <http://auschwitz.org/en/museum/news/settlement-reached-over-auschwitz-suitcase,568.html>.

49 von Lingen, »Museum Ethics« (Anm. 47), S. 91.

50 Allerdings finden sich im unveröffentlichten Grobverzeichnis der Sammlung Haney Hinweise, dass Wolfgang Haney als Gutachter in einem Verfahren zur Auszahlung einer Ghettorente auftrat.

51 Jan Erik Schulte, Nationalsozialismus und europäische Migrationsgeschichte. Das Archiv des Internationalen Suchdienstes in Arolsen, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 4 (2007), S. 223-232.

53 Backhaus, Zeugnisse (Anm. 44), S. 87.

54 Isabel Enzenbach (Hg., im Auftrag des Deutschen Historischen Museums und des Zentrums für Antisemitismusforschung), Angezettelt. Antisemitische und rassistische Aufkleber von 1880 bis heute. Eine Ausstellung des Zentrums für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin und des Deutschen Historischen Museums, Berlin 2016.

55 Arnold Paucker, Der jüdische Abwehrkampf gegen Antisemitismus und Nationalsozialismus in den letzten Jahren der Weimarer Republik, Hamburg 1969, S. 53; Isabel Enzenbach, »Kennwort: Gummi«. Der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens im Kampf um den öffentlichen Raum, in: Christina von Braun (Hg.), Was war deutsches Judentum? 1870–1933, Berlin 2015, S. 203-220.

Lizenz

Copyright © Isabel Enzenbach | CC BY-SA 4.0

Im Beitrag enthaltenes Bild-, Ton- und/oder Filmmaterial ist von dieser Lizenz nicht erfasst; es gelten die dort jeweils genannten Lizenzbedingungen bzw. Verweise auf Rechteinhaber.