1. Ikonographien des Genozids: ‚Biafra’ als internationales Medienereignis
2. Biafra und die Rhetorik des Holocaust-Vergleichs
3. Fazit: Biafra und die ambivalente Universalisierung des Holocaust
Anfang Juli 1968 trafen sich drei irische Geistliche, die in Nigeria in der Missionsarbeit tätig waren, in New York mit der Führung des American Jewish Committee (AJC). Die irischen Pater berichteten von der Krisensituation in Biafra, der ehemaligen Ostregion Nigerias, die sich ein Jahr zuvor unabhängig erklärt hatte und deren Bevölkerung sich nun von einer Hungersnot bedroht sah. Nach der Eroberung der Hafenstadt Port Harcourt am 19. Mai hatten die Truppen der Militärregierung in Lagos einen Blockadering um die Sezessionsrepublik geschnürt. Sowohl das Internationale Komitee vom Roten Kreuz als auch christliche Hilfswerke organisierten Luftbrücken, um die Enklave mit Lebensmitteln und Medikamenten zu versorgen.1 Auf ihrer Reise nach New York appellierten die irischen Missionare an das AJC, seine Ressourcen ebenfalls für die interkonfessionelle Hilfsoperation einzusetzen. Die Missionare breiteten Fotografien abgemagerter ‚Biafrakinder‘ auf dem Tisch aus – Bilder, wie sie in den folgenden Wochen um die Welt gingen.2 Die Fotos verfehlten ihre Wirkung nicht: Die Krise in Biafra wurde zum ersten nicht-jüdischen Ereignis, bei dem sich das AJC engagierte.3
Der Bürgerkrieg, den Nigeria und Biafra zuvor ein Jahr lang im Abseits der internationalen Aufmerksamkeit geführt hatten, wurde durch die Veröffentlichung von Bildern der hungernden Zivilbevölkerung zu einem internationalen Medienereignis. Dies blieb nicht ohne politisches Echo: Zeitungsleser und Fernsehzuschauer in den Staaten der nördlichen Hemisphäre reagierten empathisch, die Spendenbereitschaft war beträchtlich. Aktivisten knüpften ein transnationales Netzwerk, das die Zurückhaltung der meisten westlichen Regierungen scharf kritisierte, so dass Politiker auf den Protest reagieren mussten. Humanitäre Organisationen wurden ebenfalls zu bedeutenden Akteuren in dem Konflikt – vielerorts wurde vermutet, dass von der unter portugiesischer Herrschaft stehenden Insel Fernando Poo nicht nur Hilfsmittel in die Enklave geflogen würden, sondern auch Waffen. Militärisch war die spätere Niederlage Biafras wohl unumgänglich. Kritischen Kommentatoren zufolge wurde die Sezessionsrepublik durch die Unterstützung der Biafralobby künstlich länger am Leben erhalten – oder am Sterben.4
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Die internationale Geschichte des nigerianischen Bürgerkriegs (1967–1970) scheint prädestiniert zu sein für eine Analyse, bei der Bildquellen eine zentrale Rolle zukommt. Gerade ZeithistorikerInnen gilt es mittlerweile als geboten, die ‚Macht der Bilder‘ als konstitutives Element ihres Forschungsgegenstands einzubeziehen.5 Mit Horst Bredekamp könnte man die Veröffentlichung der Fotos aus Biafra als „Bildakt“ interpretieren, da diese Motive ganz reale Effekte für den Verlauf des Kriegs hatten.6 Allerdings bleiben damit entscheidende Fragen noch unbeantwortet. Denn worin genau lag der immense Eindruck begründet, den die Bilder hinterließen?
An dieser Stelle lohnt es sich, zur eingangs zitierten Episode zurückzukehren. Nachdem die irischen Missionare beim American Jewish Committee vorstellig geworden waren, notierte Rabbi Marc H. Tanenbaum, die Bilder seien „to Jewish eyes 1968 versions of photographs of Jewish children taken in the 1940’s in such other notorious sites named Bergen-Belsen, Thereisenstadt [sic], Auschwitz“.7 Diese Assoziation war keine partikular jüdische Lesart: Zahlreiche Betrachter fühlten sich an die Fotos erinnert, die die westlichen Alliierten während der Befreiung der Konzentrationslager gemacht hatten. In den Bildern aus Biafra wurden so Zeichen einer Neuaufführung der genozidalen Gewalt des Zweiten Weltkriegs gesehen.
Fotografien stehen nicht einfach für sich. Erst durch textliche Kontextualisierungen und durch Verweise auf andere Bilder werden sie lesbar, da so der potenziell unendliche Raum möglicher Bedeutungen eingegrenzt wird. Dies gilt insbesondere für Bilder, die uns schockieren: „Denn ein Gewaltbild ist auch deswegen so schrecklich, weil es seinem Betrachter so schrecklich bekannt vorkommt“, schreibt der Schweizer Historiker Valentin Groebner.8 Die Lesart der erinnerten Bilder bleibt davon ebenfalls nicht unberührt: Sie werden durch diese Assoziation wieder in Erinnerung gerufen, und der Vergleich mit anderen Bildern lässt sie möglicherweise in neuem Licht erscheinen. Aktuelle Arbeiten des Literaturwissenschaftlers Michael Rothberg, der die Geschichte der Holocaust-Erinnerung im Rahmen von „multidirectional memories“ mit anderen Ereignissen in Beziehung setzt, bilden einen Anknüpfungspunkt zur Analyse dieser Assoziationen. In den vor allem seit den 1990er-Jahren intensiv betriebenen Forschungen zur Erinnerung an den Holocaust wurden lange eher lineare Verläufe gezeichnet. Im Mittelpunkt stehen dabei (sicher nicht ganz zu Unrecht) erinnerungspolitische Ereignisse, die die Ermordung der Juden direkt thematisierten – zum Beispiel der Eichmann-Prozess in Jerusalem Anfang der 1960er-Jahre. Rothberg hat aber gezeigt, wie etwa in Frankreich auch bei Diskussionen über den Kolonialkrieg in Algerien Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, an die Résistance und den Holocaust mitverhandelt wurden. Gestützt auf ein solches Modell, das die Verläufe kollektiver Erinnerungen als offene Prozesse konzipiert, kann herausgearbeitet werden, wie die Wahrnehmung zeitgenössischer Ereignisse und verschiedene Formen der Erinnerung sich wechselseitig beeinflussen.9
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Im Folgenden möchte ich die durchaus überraschenden Verflechtungen zwischen dem nigerianischen Bürgerkrieg und der kulturellen Erinnerung an den Holocaust darstellen. Die These lautet dabei, dass der Assoziationsraum von Bildern sowohl Biafra als auch den Holocaust in einer bestimmten Art und Weise sichtbar werden ließ. Teile beider Phänomene wurden zugleich jedoch unsichtbar. Der nigerianische Bürgerkrieg wurde in westlichen Gesellschaften als rein humanitäre Krise wahrgenommen, die in einem Genozid zu gipfeln drohte; dass es sich dabei um einen Bürgerkrieg handelte, also einen komplexen politischen Konflikt, geriet so in den Hintergrund. Ebenso trat der Holocaust durch den Vergleich mit Biafra in bestimmter Form hervor: als Genozid, der sich so von dem größeren Komplex der NS-Verbrechen absetzte, in den er bis dahin zumeist eingeordnet worden war.10 Die visuelle Verknüpfung zwischen Biafra und dem Holocaust war eine entscheidende Etappe in der Entstehung einer Rhetorik des Holocaust-Vergleichs, die für die Wahrnehmung von ‚Genoziden‘ bis heute maßgeblich ist.11
In einem ersten Schritt stelle ich dar, wie aus dem nigerianischen Bürgerkrieg das internationale Medienereignis ‚Biafra‘ wurde. Dabei analysiere ich die Muster der Bildberichte über Biafra und ihre Bezüge zum Holocaust. In einem zweiten Schritt verfolge ich die Rhetorik des Holocaust-Vergleichs in der politischen Kommunikation, ausgehend von der Publizistik der beiden Kriegsparteien hin zu der internationalen Wahrnehmung des Konflikts (vor allem in Großbritannien, Frankreich, den USA und Westdeutschland). Lokale, nationale und soziale Unterschiede kann ich hier nur andeuten. Das Ziel ist es, die miteinander verknüpften Verschiebungen in transnationalen Diskursen über den Holocaust und Biafra herauszuarbeiten.12
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1. Ikonographien des Genozids:
‚Biafra’ als internationales Medienereignis
Der Biafrakrieg war in erster Linie das Resultat politisierter ethnischer Spannungen, die durch wirtschaftliche Faktoren verstärkt wurden. Als Nigeria 1960 die Unabhängigkeit erlangte, setzten die meisten Zeitgenossen beträchtliche Hoffnungen in den bevölkerungsreichsten afrikanischen Staat, dem günstige Aussichten für eine erfolgreiche Demokratisierung attestiert wurden. Mit den am Vorabend der Unabhängigkeit entdeckten Ölvorkommen beförderte sich Nigeria nach dem Urteil zahlreicher Beobachter auf den Weg in die ‚Moderne‘. Die britischen Kolonialherren hatten dem postkolonialen Staat jedoch zwei verhängnisvolle Erbschaften hinterlassen: Das koloniale System hatte die Bevölkerung anhand ethnischer Grenzziehungen eingeteilt; das spätere staatliche Territorium sollte jedoch über genau diese ethnischen Grenzen hinweggehen. Die Kolonien Nord- und Südnigeria wurden 1914 vereint. Das neu geschaffene Territorium wurde in drei große Regionen unterteilt, die jeweils von einer Ethnie dominiert wurden: die islamisch geprägte Nordregion von den Haussa und Fulani, der vorrangig christliche Süden im westlichen Teil von den Yoruba und im östlichen Teil von den Igbo (auch als Ibo bezeichnet). Mit diesen Verwaltungsgrenzen wurde das Land knapp ein halbes Jahrhundert später in die Unabhängigkeit entlassen. In den dabei gewachsenen Partizipationschancen lag auch die Schwäche des postkolonialen Staats begründet: Die Gruppen, die es an die Macht geschafft hatten, verteidigten ihre Position in der Folge mit allen Mitteln. Auf regionaler Ebene wurde so das Klientelwesen gefördert und auf nationaler Ebene eine Konkurrenzsituation geschaffen, in der die als ‚natürlich‘ wahrgenommenen ethnischen Zuschreibungen die politischen Konflikte verschärften.13
Das unabhängige Nigeria geriet so schon bald in eine schwere Krise. Am 15. Januar 1966 putschten Offiziere der nigerianischen Armee, die meisten unter ihnen Igbo. Die Putschisten verstanden sich als Sozialreformer, die eine als korrupt wahrgenommene Politikerkaste ablösen wollten. Im Norden des Landes wurde dieses Programm jedoch vor allem als Versuch der Igbo wahrgenommen, ihre politische Macht auszudehnen. Ein Gegenputsch am 29. Juli 1966 besiegelte das frühe Ende dieser Regierung. In der Folge verübten Haussa und Fulani Massaker an im Norden des Landes lebenden Igbo. Dabei wurden wahrscheinlich rund 30.000 Menschen getötet. Diese Gewaltexzesse trieben einen Flüchtlingsstrom von schätzungsweise über einer Million Igbo in die Ostregion Nigerias, das ‚Heimatland‘ ihrer diasporischen Gemeinschaft. In Reaktion auf die – von vornherein so bezeichneten – „Pogrome“ in Nordnigeria forderte die politische Führung der Ostregion unter dem Militärgouverneur Chukwuemeka Odumegwu Ojukwu ihr Recht auf Selbstbestimmung angesichts eines drohenden Genozids und erklärte am 30. Mai 1967 die Unabhängigkeit der Republik Biafra. Kurz darauf kam es zu ersten Kampfhandlungen. Am 6. Juli 1967 begann der nigerianische Bürgerkrieg.14
Die biafranische Führung sah sich mit dem Problem konfrontiert, die heterogene Bevölkerung des Sezessionsstaats einen zu müssen: Die Nation ‚Biafra‘ musste erst noch in eine vorstellbare Gemeinschaft verwandelt werden. Nur etwa die Hälfte der 14 Millionen Einwohner waren Igbo, die restliche Bevölkerung verteilte sich auf verschiedene ethnische Minderheiten. Mit ihrer Rhetorik des Genozids versuchte die Führung die Bevölkerung hinter sich zu bringen. Bald verband sich dies mit dem spezifischen Selbstverständnis einiger Igbo als den ‚Juden Afrikas‘ – eine Analogie, die vor allem in Texten europäischer Ethnologen bereits eine weiter zurückreichende Geschichte hatte und in der neuen Situation zunehmend popularisiert wurde.15
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Die Adressaten dieser Rhetorik waren nicht nur die Biafraner selbst. Ebenso richtete sie sich an die internationale Gemeinschaft. Die Sezessionisten versuchten sich durch intensive Propaganda einen Vorteil in der Sphäre der internationalen Diplomatie zu verschaffen. Wie vor allem die „diplomatische Revolution“ des antikolonialen Kampfes der algerischen Nationalbewegung gezeigt hatte, ließen sich auch militärisch aussichtslose Konflikte in der ‚Dritten Welt‘ durch ihre Internationalisierung entscheiden.16 Nach der Unabhängigkeitserklärung engagierte Biafra PR-Agenturen in der Schweiz und den USA, um die Propagandabemühungen international zu koordinieren.17 Zudem versuchten pro-biafranische nigerianische Exilanten in den jeweiligen Ländern Aufmerksamkeit für das politische Programm der Sezessionisten herzustellen.18 Trotzdem hatte der Konflikt im ersten Jahr nur wenig internationale Resonanz. Durch die Konkurrenz des „Prager Frühlings“, des Vietnamkriegs und der globalen Studentenproteste wurde er in den Berichten zur internationalen Politik lange Zeit überdeckt.19
Dies änderte sich schlagartig im Sommer 1968, als Journalisten von einer Hungersnot in der Sezessionsrepublik berichteten. Missionare im christlich dominierten Biafra waren die ersten ausländischen Stimmen, die auf die Krise aufmerksam machten.20 Die Missionare und der biafranischen Führung nahestehende Kleriker zeichneten das Bild eines Religionskriegs zwischen dem muslimischen Norden Nigerias und den christlichen Igbo in Biafra, der in einem Genozid an ihren Glaubensgenossen zu gipfeln drohe.21 Diese Berichte weckten das Interesse einzelner Journalisten aus Westeuropa und Nordamerika. Zudem versuchte die biafranische Führung internationalen Medienvertretern möglichst gute Gelegenheiten für Reportagen aus der Krisenregion zu geben. Der erste Titelbericht erschien am 12. Juni 1968 in der damals noch seriösen „Sun“: Die Sezessionsrepublik werde zum „Land of no hope, where children wait to die“.22 Zahllose Berichte in Presse, Funk und Fernsehen folgten.23
Im Zentrum dieses Medienereignisses stand eine appellative Ikonographie. Am 28. Juli 1968 titelte der „stern“: „Bilder klagen an. Die verhungernden Kinder von Biafra“. Die Kamera fokussiert ein Kind, das den Betrachter direkt ansieht. Die weit geöffneten Augen sind ein wiederkehrendes Motiv in der fotografischen Inszenierung der ‚Biafrakinder‘: Sie scheinen die BetrachterInnen um Hilfe anzuflehen. Die Bildunterschriften lieferten die passenden Leseanleitungen. In dem Band „La Mort du Biafra“ des französischen Fotografen Gilles Caron ließen die Textautoren eine Gruppe von Kindern fragen: „Pourquoi, oui pourquoi, nous laisse-t-on mourir de faim?“ Der Schweizer Journalist Jean Buhler stellte in der Legende zu einer Abbildung eines abgemagerten Kindes explizit den Bezug auf den Betrachter her: „Ces regards d’enfants qui nous condamnent“. Der Beobachter des Bildes muss sich selbst beobachtet fühlen.24 Durch das „nous“ wird zudem eine Wir-Identität des Journalisten mit seinem (westlichen) Publikum geschaffen. Autor und BetrachterInnen werden gemeinsam ‚verdammt‘, so wie die Bilder im „stern“ ‚anklagen‘ – durch religiöse oder juristische Semantik aufgeladene Begriffe, die Schuldgefühle wecken und zu einer „Gefühlsgemeinschaft“ beitragen sollen.25
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Die körperliche Verfassung der Kinder stand im Fokus dieser „humanitären Optik“.26 In zahllosen Fotografien wurden die unterernährten kindlichen Körper gezeigt, ihre Missbildungen zudem in den Texten detailliert beschrieben. Dabei war, wie im „Spiegel“, von „Skelett-Kindern mit aufgedunsenen Bäuchen, rötlich verfärbtem Kraushaar und leblosen Augen“ zu lesen.27 Der spätere Mitbegründer der „Médecins Sans Frontières“, Pascal Grellety-Bosviel, beschrieb in einem Artikel für die katholische Zeitung „La Croix“ die Auswirkungen der Eiweißmangelkrankheit Kwashiorkor auf die kindlichen Körper: „L’enfant qui en est atteint devient pâle, bouffi, ses cheveux prennent une coloration rousse […]; son ventre est souvent énorme, sa peau se fendille, se craquelle, ses yeux sont ternes, inexpressifs.“28 Dieses „humanitäre Narrativ“ vertraut auf körperliche Details, um das Leid Anderer nachfühlbar zu machen.29 Allerdings ist es fraglich, ob dies gelang – die genaue Schilderung der körperlichen Missbildungen der ‚Biafrakinder‘ konnte auch als Entmenschlichung wahrgenommen werden und einer empathischen Einfühlung entgegenstehen.30
In der Darstellung Jean Buhlers, die auf Deutsch und Französisch erschien, war wohl, von medizinischen Abhandlungen einmal abgesehen,31 der detaillierteste Bericht über den körperlichen Verfall der ‚Biafrakinder‘ zu finden. Buhler unterschied drei Phasen: Im ersten Stadium schwellen Gelenke und Teile des Körpers an. „Die Haut glänzt, als wäre sie mit Wichse eingerieben und mit der Glanzbürste poliert.“ Zudem bilden sich schmerzhafte Drüsengeschwülste, die nach und nach das Fleisch auffressen. Die Opfer „schwitzen Urin aus“. Das zweite Stadium ist noch schmerzhafter als das erste. „Die ganze Haut bedeckt sich mit grauen Blasen und blättert in kleinen Schuppen ab. […] Die sich bildende neue Haut ist nicht mehr schwarz oder dunkelbraun, sondern hat Kupferfarbe. Die Haare röten sich oder werden weiß und fallen aus. Viele kleine Kinder sind kahl.“ Im dritten Stadium sind diese früh vergreisten Kinder dem Tod näher als dem Leben. Nun „begehren sie nichts mehr, fühlen sie nichts mehr. Sie sind noch zu lebenden Toten geworden. [...] Ohne Klage welken sie dahin, bis der letzte Lebenshauch weicht.“32 Der apathische Zustand der Todesgewissheit taucht in den Berichten immer wieder auf. Im „stern“ war in einer Bildunterschrift zu lesen: „Das letzte Stadium des Hungers: allmähliches Hinüberdämmern in den Tod“.33
stern, 28.7.1968, S. 14
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In ihrer Apathie gleichen die ‚Biafrakinder‘ der Figur des „Muselmanns“ in den deutschen Konzentrationslagern – „Leute von bedingungslosem Fatalismus“, wie Eugen Kogon schrieb: „Sie ließen mit sich geschehen, was eben geschah, weil alle Kräfte in ihnen gelähmt oder bereits vernichtet waren.“34 Auch darüber hinaus weisen die Repräsentationen Biafras Parallelen mit zeitgenössischen Repräsentationen des Holocaust auf. So wurden die Opfer in beiden Fällen nicht als Individuen, sondern als Gruppen dargestellt. Auf den Fotos waren häufig ‚Biafrakinder‘ abgebildet, die dichtgedrängt beieinander stehen. Selbst wenn einzelne Kinder abgebildet oder in den Texten beschrieben werden, erfahren die Leser nicht ihre Namen. In der französischen Ausgabe von Buhlers Bericht ist eine Fotografie eines nackten Jungen aus Biafra abgedruckt. In der Bildunterschrift liest man: „Il est Ibo. Il a huit ans.“ Die Kinder existieren in diesen Texten fast ausschließlich als Teil eines Kollektivsubjekts, des biafranischen „Volks“. „Ein Volk stirbt, es stirbt unter den Augen der Welt“, war in der „ZEIT“ zu lesen.35 Ganz ähnlich tauchten die Verfolgten und Ermordeten des Holocaust in damaligen Repräsentationen eher als archetypische Figuren und nicht als Individuen auf – als namenlose, zum Tod verdammte ‚Häftlinge‘ im „univers concentrationnaire“.36
Fotos von Leichenbergen, wie aus den Konzentrations- und Vernichtungslagern der NS-Zeit, gab es aus Biafra keine – dieses Mal schien das Massensterben also noch abwendbar zu sein. Schätzungen der zu befürchtenden Opferzahlen waren fester Bestandteil der Berichte und Appelle. Dem unter anderem von Marion Gräfin Dönhoff, Max Frisch und Günter Grass unterzeichneten, in der „ZEIT“ abgedruckten Aufruf „An die Adresse der Regierungen“ zufolge stand die „Ausrottung von acht Millionen Ibos“ bevor – Biafra drohte demnach die sechs Millionen Toten des Holocaust zu übertreffen.37 Die Fotos einzelner Kinderleichen aus Biafra ließen ebenfalls Schlimmes ahnen. In dem von Tilman Zülch und Klaus Guercke herausgegebenen, mit prominenten Autorennamen gespickten Band „Soll Biafra überleben?“ war das Bild eines toten, wohl mit Asche bedeckten Kindes abgedruckt, das auch den Leichenhügeln Bergen-Belsens hätte entstammen können.38
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Der Bildunterschrift zufolge handelte es sich bei dem toten Kind um eines der 8.000 Opfer aus dem „KZ Ikot Ekpene“. Gemeint war damit das Gefängnis in der gleichnamigen Stadt, in dem nach der Eroberung durch nigerianische Truppen Tausende biafratreue Ibibio – eine ethnische Minderheit auf dem Gebiet des Sezessionsstaats – zu Tode gekommen sein sollen. Auch in anderen Beiträgen wurde Biafra in ein Narrativ des Genozids eingefügt und sprachlich mit den NS-Verbrechen verbunden. Jean Buhler beschrieb die biafranischen Flüchtlingslager als „Dachau-Lager des Hungers“;39 bei Raymond Offroy, Kopf des „Comité d’action pour le Biafra“, wurde gleich die gesamte Enklave zu einem „Buchenwald pour enfants“.40 Ein Mitglied dieses Komitees, der frühere Minister Jacques Marette, erklärte vor der französischen Nationalversammlung: „Le Biafra, c’est le camp de Belsen à la libération.“41 Auberon Waugh, Mitglied der „Britain-Biafra Association“, hielt diesen Vergleich ebenfalls für angebracht, denn „the numbers involving Biafra are much greater, and the method of destruction is much the same, except that Belsen was more of an accident“.42 Viele weitere Zitate dieser Art ließen sich anführen. In den Texten wurde zwar auch auf Auschwitz als bekanntestes Vernichtungslager hingewiesen. In erster Linie wurden die Vergleiche jedoch mit Konzentrationslagern wie Dachau, Buchenwald und Bergen-Belsen gezogen, aus denen die in den westlichen Medien kursierenden Bilder der Befreiung stammten – diese wurden so zu visuellen Ikonen des Genozids.43
Zumindest teilweise war die Verknüpfung Biafras mit dem Holocaust auch ein Produkt interessengeleiteter Inszenierungsstrategien. Schon während des Konflikts bemühten sich mit Biafra sympathisierende Journalisten und Aktivisten, die ‚richtige‘ Interpretation der ‚Fakten‘ zu sichern. In der Textsammlung des deutsch-nigerianischen Politikstudenten Andreas Olie Chegwe, der Dokumente zum Biafrakrieg zusammenstellte und sie, um eigene Kommentare angereichert, in Buchform herausgab, war etwa zu lesen, dass die Fotos von ‚Biafrakindern‘ „für sich selbst“ sprechen würden: „Sie berichten so deutlich und klar über das bittere Elend und die Grausamkeit von über drei Jahren, daß man kaum noch ein Wort dazu schreiben braucht.“ Um sicherzustellen, dass die Betrachter die Bilder auch tatsächlich im gewünschten Sinne deuteten, fügte Chegwe hinzu: „Liebe Leser, Sie sehen eine ‚Anne Frank‘-Show in Biafra. […] Denn ein Volk stirbt und die Welt sieht zu […]. Das ist unser tragisches Schicksal – IBOS, die Juden von Afrika.“44
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2. Biafra und die Rhetorik des Holocaust-Vergleichs
In einer Rede, die der Rabbiner A. James Rudin bei einer interkonfessionellen Protestversammlung am 26. Oktober 1968 vor der Saint Patrick’s Cathedral in Manhattan hielt, vermengten sich Bilder der Krise in Biafra mit Bildern des Holocaust: „In my mind’s eye the smokestacks of Auschwitz blur into the cities and the bush country of Biafra. In my wakeful and terrible visions I see the mass Jewish graves of Europe rapidly filling with starving and dying Biafrans.“ Der jüdische Geistliche leitete daraus einen Imperativ zum Handeln ab, in dem sich das partikulare Schicksal des Judentums und ein moralischer Universalismus nahtlos verknüpften: „When the fires of the Nazi crematoria were finally extinguished twenty-three years ago, a stunned and traumatized Jewish people cried from the very depths of its being: human destruction must never happen again to any people at any time in any place.“45
Nach dem bereits eingangs zitierten Treffen mit den drei irischen Missio-naren notierte Rabbi Marc H. Tanenbaum, die Stimme des irischen Missionars Fintan Kilbride „was like a replay of the voices of the few Jews who managed to flee from Germany and Hungary and Poland in the early 1940’s and who came to Paris and London and New York to stir the world’s conscience to come to the aid of their doomed brothers. In the main, their cries for succor fell on unbelieving deaf ears. Just 25 years later, it could not be allowed to happen again.“ Für Tanenbaum war es mit dem Wertesystem der amerikanischen Juden in einer Zeit nach Auschwitz nicht vereinbar, angesichts der Krise zu schweigen: „Silence, indifference, spectatorship to human suffering are the cardinal sins in the Jewish value system today. ‚Thou shall not stand idly by the blood of thy brother‘ has become virtually the eleventh commandment in contemporary Judaism.“46
Nicht nur die ‚Juden Amerikas‘ empfanden die Verantwortung, sich gegen das Leid der ‚Juden Afrikas‘ auszusprechen. Auch große Teile der israelischen Bevölkerung sympathisierten mit den Biafranern.47 Für zahlreiche Aktivisten und Politiker in Westeuropa war ihre jüdische Herkunft ebenfalls Teil der Motivation, sich für Biafra zu engagieren. Ein prominentes Beispiel ist Bernard Kouchner, dessen Großvater in Auschwitz umgebracht worden war. Kouchner ging 1968 als Teil einer Gruppe junger Pariser Ärzte mit dem französischen Roten Kreuz nach Biafra. Die Nachwuchsmediziner fühlten sich durch die Regularien der zwischenstaatlichen Organisation, die von der Duldung durch die nigerianische Regierung abhängig war, in ihrem Einfluss zu sehr eingeschränkt. Sie sahen sich als Zeugen eines Genozids, über den sie nicht offen sprechen durften. Nach ihrer Rückkehr gründeten sie das „Comité de Lutte contre le Génocide au Biafra“, das 1971 in den „Médecins Sans Frontières“ aufging.48
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Einige nicht-jüdische deutsche Zeitgenossen reagierten ganz ähnlich. Günter Grass erklärte in einer Rede anlässlich einer von der Aktion Biafra-Hilfe organisierten Demonstration in Hamburg, Auschwitz habe „hinter Stacheldraht“ stattgefunden; in Biafra aber geschehe nun ein Völkermord „in aller Öffentlichkeit“: „Photos, Berichte, Zahlen gehen tagtäglich ein. Fernsehberichte tragen den unmenschlichen Prozeß in jede Familie. Nach dem Abendessen schauen wir zu, wie in Biafra gehungert und gestorben wird.“ Grass sah insbesondere seine Landsleute in der Verantwortung: „Als Deutsche sollten wir wissen, was wir sagen, wenn wir das Wort ‚Völkermord‘ aussprechen. Die Vergangenheit unseres Volkes ist schwer belastet von diesem größten aller Verbrechen. Nicht moralisierende Besserwisserei, sondern das Wissen um Auschwitz, Treblinka und Belsen verpflichtet uns, offen die Schuldigen und Mitschuldigen an dem Völkermord in Biafra anzusprechen; denn Schweigen – auch das haben wir lernen müssen – wird zur Mitschuld.“49 Die Bundesrepublik, da waren sich viele Kommentatoren einig, trage „nach Auschwitz, mit dem Biafra mit Recht verglichen wurde“, bei der Organisation humanitärer Hilfe „ohne Zweifel besondere Verantwortung“, wie etwa bei einer Podiumsdiskussion an der Universität Heidelberg festgestellt wurde.50
Diese Verantwortung wurde jedoch nicht auf die Bundesrepublik beschränkt. Bischof Heinrich Tenhumberg, Leiter des Katholischen Büros Bonn, argumentierte in einer Publikation der Aktion Biafra-Hilfe, dass das „Prinzip der Nichteinmischung […] in der gegenwärtigen Zeit überholt“ sei, „wenn es um die Wahrung fundamentaler Rechte des Menschen innerhalb eines Staates geht. Versagen internationale Instanzen beim Schutz dieser Rechte, kann sich kein zivilisierter Staat in seiner Politik mit dem Hinweis, ‚es handele sich um eine innere Angelegenheit‘, moralisch für seine Untätigkeit rechtfertigen, da die Möglichkeiten zur Massenvernichtung (Auschwitz) unüberschaubar geworden sind.“ Jeder „zivilisierte Staat“ müsse demnach in einer Welt nach Auschwitz die Rechte von Menschen auch in anderen Staaten schützen.51 Die internationale Staatengemeinschaft müsse aktiv werden, so war es auch im „Spiegel“ zu lesen. Denn die UN selbst habe das, „was in Biafra geschieht, […] als strafrechtlichen Tatbestand deklariert. Der Völkermord der Nazis an den Juden veranlaßte die Weltorganisation 1946, Genozid zum internationalen Verbrechen zu erklären.“ Allerdings fehle es an Instrumentarien der praktischen Anwendung. Die Anti-Genozid-Konvention bleibe deshalb „ein Hieb in die Luft“, wie das Magazin mit Bezug auf den Völkerrechtler Georg Dahm erklärte. Denn noch gebe es „kein internationales Gericht, das einen Völkermörder zur Verantwortung ziehen könnte. Noch sind laut Uno-Beschluß für das Delikt die nationalen Gerichte jener Staaten zuständig, in denen es passiert. Über den Völkermord-Vorwurf gegen Nigeria hätte demnach ein nigerianisches Gericht zu rechten.“52 Angesichts der als Genozid wahrgenommenen Krise in Biafra wurde hier aus dem Holocaust die Lehre gezogen, dass internationale Normen zu schaffen seien, um seine Wiederholung zu verhindern.53
Besondere Virulenz entfalteten die Holocaust-Assoziationen in Großbritannien. Aufgrund der Verflechtungen mit der ehemaligen Kolonie wurden die Diskussionen dort von vornherein intensiv geführt. Als das Medienereignis ‚Biafra‘ im Sommer 1968 eine breite gesellschaftliche und politische Diskussion entfachte, geriet die Labour-Regierung Harold Wilsons unter massiven rhetorischen Beschuss.54 Deren Kritiker in der Biafra-Lobby, in der Presse und in den zwei Häusern des englischen Parlaments gingen der Frage nach, ob sich Whitehall durch die Waffenlieferungen an das Militärregime in Lagos der Mithilfe an einem Genozid schuldig mache. Auberon Waugh war überzeugt, diese „mass starvation to death of innocent civilians“ sei „the most hideous crime against humanity“, an dem England jemals beteiligt gewesen sei.55 Auch Frederick Forsyth, der als unabhängiger Journalist aus Biafra berichtete, nachdem die BBC ihn wegen seiner kritischen Berichterstattung aus dem Kriegsgebiet als Korrespondent abgezogen hatte, kritisierte Wilson harsch. In seiner 1969 bei Penguin verlegten „Biafra Story“, deren erste Auflage innerhalb weniger Wochen vergriffen war, erklärte der spätere Bestsellerautor, dass die von Großbritannien unterstützte nigerianische Kriegsführung der Verfolgung der Juden im Zweiten Weltkrieg ähnele. Das biafranische Territorium im Osten Nigerias gleiche der „eastern resettlement area“, in welche die europäischen Juden im Rahmen der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik zwangsumgesiedelt worden seien. Der einzige Unterschied sei, dass die Igbo im Gegensatz zu den Juden Waffen importierten und sich selbst verteidigten.56 Die ‚Juden Afrikas‘ besäßen demnach den Kampfgeist, der den Juden Europas offenbar gefehlt habe.57
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Die Gegner Biafras zeigten sich jedoch ebenfalls kämpferisch. Obwohl London durch die Proteste massiv unter Druck gesetzt wurde, hielt der Premierminister an der Unterstützung des Militärregimes in Lagos fest. Britische und nigerianische Diplomaten initiierten einen publizistischen Gegenschlag.58 Dabei spielten Verweise auf den Nationalsozialismus ebenfalls eine Rolle. Als in beiden Häusern des britischen Parlaments für den 12. Juni 1968 Debatten über den Waffenhandel mit Nigeria anberaumt waren, sandte der nigerianische Chefpropagandist Anthony Enahoro einen Brief an die Abgeordneten, in dem er schrieb, dass „[t]he indiscriminate and ill-founded use of the highly emotional word ‚genocide‘“ die Briten an das Schicksal der Juden im nationalsozialistischen Deutschland erinnere, dass von einem Genozid an den Igbo aber keine Rede sein könne. Die biafranischen Behauptungen müssten als Propaganda betrachtet werden, denn das „Rebellenkommando“ stelle ein Regime dar, „which compares, in many respects, with the Hitler-Goebbels phenomenon“.59 Die pro-biafranische Rhetorik des Holocaust-Vergleichs wurde so auf den Kopf gestellt: Aus den ‚Juden Afrikas‘ wurden nun ‚afrikanische Nazis‘. Der Vergleich der Propagandaaktionen Biafras mit denen der Nazis wurde zu einem Eckpfeiler der Publizistik der Fürsprecher nigerianischer Einheit.60
Die pro-nigerianischen Bemühungen, Biafra als politischen Akteur zu delegitimieren, kreisten vor allem um die Entkräftung der Genozidvorwürfe. Ein effektiver Schachzug war, dass London Lagos erfolgreich dazu bewegte, ein internationales Beobachterteam einzuladen, das die Kriegsführung der nigerianischen Truppen untersuchen sollte. Das Team bestand aus militärischem Personal aus Großbritannien, Polen, Schweden und Kanada. Die Mitglieder standen Nigeria allesamt eher wohlwollend gegenüber. Dass das Beobachterteam zu dem Schluss kam, es handle sich nicht um einen Genozid,61 überraschte die Sympathisanten Biafras kaum. Lagos und London verbuchten so jedoch einen wichtigen diplomatischen Erfolg: Die Berichte erfuhren international einige Aufmerksamkeit und entkräfteten für viele Zeitgenossen die Genozidvorwürfe, die nun zunehmend als Erfindung biafranischer Propagandisten verstanden wurden.62 In der Sache lag das Beobachterteam wohl auch richtig: Zahlreiche Igbo lebten nach Kriegsbeginn auf der nigerianischen Seite des Frontverlaufs unbehelligt weiter. Nach dem Ende des Kriegs kam es auch nicht zu dem „kill off“ der Igbo, den Sympathisanten Biafras erwartet hatten.63 Die Diskussionen über den Konflikt ebbten nach der Veröffentlichung der Berichte zunehmend ab. Auch wenn der Krieg noch bis Anfang 1970 geführt wurde: Das internationale Medienereignis ‚Biafra‘ war mit der weitgehenden Entkräftung der Genozidvorwürfe vorbei. Zudem schien die politische Führung Biafras das Leid ihrer Bevölkerung in Kauf zu nehmen. Zu Konzessionen am Verhandlungstisch waren die Sezessionisten auch dann nicht bereit, wenn es darum ging, einen Landkorridor für den Transport von Hilfsgütern einzurichten – die Luftbrücke der humanitären Organisationen lieferte eine willkommene Deckung für die ebenfalls auf dem Luftweg gelieferten Waffen, und die Hungersnot sicherte zudem internationale Medienaufmerksamkeit.64
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3. Fazit: Biafra und die ambivalente Universalisierung des Holocaust
Das Medienereignis ‚Biafra‘ fiel in einen Zeitraum, in dem sich die Wahrnehmung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft langsam, aber nachhaltig veränderte. Während der Holocaust bis in die späten 1950er-Jahre in dominanten Wahrnehmungsmustern des Nationalsozialismus nur eine Nebenrolle gespielt hatte, rückte er nun langsam in den Vordergrund. Es ist sicher übertrieben, von einem bewussten ‚Schweigen‘ über den Holocaust in den frühen Nachkriegsjahren zu sprechen. Doch blieb die Ermordung der europäischen Juden im öffentlichen Sprechen über die Kriegserfahrungen zunächst marginalisiert. Den Stimmen der Überlebenden der Vernichtungslager wurde gesellschaftlich wenig Raum geboten.65
In den 1960er-Jahren erhöhte sich die Aufmerksamkeit, die den nationalsozialistischen Massenverbrechen zuteil wurde. So spielten diese etwa in der politischen Rhetorik der Neuen Linken eine wichtige Rolle, wenn die Politik der Franzosen in Algerien oder diejenige der Amerikaner in Vietnam mit Verweisen auf die NS-Zeit kritisiert wurde.66 Allerdings gehörten diese Vergleiche zu einer intellektuellen Tradition des Antifaschismus: Hier wurde nicht der Holocaust universalisiert, sondern die Bedrohung durch Exzesse radikalisierter politischer Systeme.67 Auf internationaler Ebene wurde durch die Berichterstattung zum Eichmann-Prozess 1961 und zum Sechstagekrieg 1967 die Vernichtung der europäischen Juden zunehmend als Genozid verstanden, der historisch hoch bedeutsam, aber nicht unbedingt singulär sei. Während des Kriegs zwischen Israel und Ägypten tauchte eine neue Rhetorik des Vergleichs von Genoziden auf: Der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser galt vielen als „neuer Hitler“, und zahlreiche jüdische Zeitgenossen befürchteten einen „zweiten Holocaust“.68
Dies war der Resonanzraum, der bereits eröffnet war, als sich im Sommer 1968 Zeitungsleser und Fernsehzuschauer im Westen mit Bildern hungernder Kinder in einem westafrikanischen Bürgerkrieg konfrontiert sahen und dabei an den Genozid an den europäischen Juden dachten. Die während der Befreiung der Konzentrationslager entstandenen Fotografien waren seit den späten 1950er-Jahren nach und nach in den öffentlichen Blick zurückgekehrt. Ein vermeintliches Bildarsenal des Holocaust stand den Zeitgenossen somit zur Verfügung, als sie die Bilder aus Biafra zu verstehen versuchten, auch wenn die Fotografien von 1945 zumeist aus den Konzentrations- und nicht aus den Vernichtungslagern stammten.69 In der Berichterstattung zu Biafra wurden beide Ereigniskomplexe – der nigerianische Bürgerkrieg und die Verbrechen der Nationalsozialisten – als Genozide gedeutet und entsprechend parallelisiert. Die ‚Juden Afrikas‘ waren indes keine Juden, sondern Christen – die Verbindungslinie wurde auf rein metaphorischer Ebene gezogen.
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Biafra wurde mithilfe von Mustern gedeutet, die der Erinnerung an den Nationalsozialismus entstammten. Umgekehrt hatte Biafra auch Folgen für die Wahrnehmung der NS-Zeit und für die Festigung eines neuen Erinnerungsmusters. Biafra trug dazu bei, in Westeuropa und Nordamerika ein verändertes Bild der nationalsozialistischen Herrschaft zu etablieren. Der Holocaust war nun nicht mehr nur ein Punkt auf einer langen Liste nationalsozialistischer Verbrechen, sondern wurde zum historischen und symbolischen Kern eines neuen Verständnisses der NS-Herrschaft und des Zweiten Weltkriegs. Wenige Jahre nach dem Eichmann- und dem Auschwitz-Prozess sowie rund ein Jahrzehnt vor der amerikanischen Fernsehserie „Holocaust“ war Biafra eine wichtige Station jenes Wandels, durch den die Erinnerung an den Nationalsozialismus immer mehr zur Erinnerung an den Holocaust wurde.
Die beidseitigen Effekte der Bilder aus Biafra lassen sich anhand einer Zeichnung verdeutlichen, die 1970 auf dem Cover der „Pogrom“ abgedruckt war. Diese Zeitschrift wurde von der Gesellschaft für bedrohte Völker herausgegeben, die aus der Hamburger Aktion Biafra-Hilfe hervorgegangen war. Auf der linken Hälfte der Zeichnung ist ein zum Skelett abgemagerter Häftling zu sehen, der auf einer Pritsche sitzt; die rechte Hälfte zeigt eine stehende, ebenfalls ausgemergelte Figur, deren Alter und Geschlecht kaum benennbar erscheint – sie könnte genauso gut Kind wie Greis sein. Präzisiert wird die Aussage der Zeichnung erst durch die Begriffe „Auschwitz“ und „Biafra“, die auf den zwei Bildhälften zu lesen sind. Die Zeichnung des Häftlings knüpft an die Ikonographie der Konzentrationslager an. Verwiesen wird aber auf die Vernichtungslager, auf Auschwitz als Ort der Judenvernichtung. Die Anfangsbuchstaben der zwei Wörter sind in Großbuchstaben stark hervorgehoben: Wer „A“ sagt wie „Auschwitz“, muss wohl auch „B“ sagen wie „Biafra“.70 Hier lässt sich vielleicht ein indirekter Widerhall des gerade nach 1968 bekannten Diktums von Max Horkheimer aus dem Jahr 1939 erkennen, dass wer „vom Kapitalismus nicht reden will, [...] auch vom Faschismus schweigen“ sollte. Die Biafra-Aktivisten betonten nun, ein Genozid dürfe keinesfalls beschwiegen werden. Für die Analyse komplexer politischer Systeme blieb dabei indes kein Platz.
Pogrom 1, Nr. 4/5, August/September 1970, Titelseite
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Im Verlauf des Kriegs wurde allerdings deutlich, dass sich der nigerianische Bürgerkrieg nicht in simple Narrative einfügen ließ – die Biafraner waren nicht einfach ‚unschuldige Opfer‘, sondern Partei in einer komplizierten Auseinandersetzung. Mit den Komplexitäten eines politischen Konflikts in einer kaum bekannten Region konfrontiert, schwand jedoch im Westen das Interesse an dem Krieg. Für die ambivalenten Effekte einer Rhetorik des Holocaust-Vergleichs, die während des Biafrakriegs entstand, ist der Fall bezeichnend: Zwar hilft diese Rhetorik wohl dabei, die mediale und öffentliche Aufmerksamkeit für eine gewisse Zeit auf einen bestimmten Schauplatz zu fokussieren und politischen Handlungsdruck zu erzeugen. Doch sind die Ansprüche, die der Holocaust an Ereignisse stellt, die mit ihm verglichen werden, so hoch, dass diese dem Vergleich fast nie standhalten. Und wenn es nicht ‚wie Auschwitz‘ ist, kann sich die internationale Gemeinschaft von blutigen Bürgerkriegen beruhigt abwenden, die irgendwo in der Welt außerhalb des Westens geführt werden: Eine Intervention erscheint dann obsolet. Unabhängig davon, ob eine Intervention im Einzelfall jeweils sinnvoll ist oder nicht,71 bleibt es fraglich, ob die Rhetorik des Holocaust-Vergleichs für das Leid der Anderen überhaupt nachhaltig sensibilisiert.72 Zu einer nuancierten Wahrnehmung von Konflikten und Gewalttaten trägt diese Rhetorik jedenfalls kaum bei. Denn sie stellt keine Fragen, sondern formuliert Behauptungen, deren Legitimationskraft dann am größten ist, wenn sie nicht näher geprüft werden – wenn der Vergleich also auf der rhetorischen Ebene bleibt.
Ein Teil des Problems besteht womöglich in der Fixierung auf visuelle Ikonen. Zwar gibt es „Bildakte“, die Geschichte machen. Das tun sie allerdings nicht aufgrund einer ihnen inhärenten Kraft – in einem gewissen Sinne müssen Bildakte erst ‚geschrieben‘ werden. Die Bedeutungen, die Bildern zugeschrieben werden, sind etwa von denen anderer, ähnlicher Bilder abhängig, an die sich ihre Beobachter erinnert fühlen und von denen sie bereits ein einigermaßen gesichertes Verständnis haben. So wurden die Fotos aus Biafra als Bilder eines ‚neuen Holocaust‘ wahrgenommen; es entstand ein gemeinsamer visueller und begrifflicher Assoziationsraum, der beide Ereigniszusammenhänge in bestimmter Form sichtbar machte – als Genozide. Als sich herausstellte, dass dieser Bezugsrahmen nicht passte, verlor der Bildakt ‚Biafra‘ seine Wirkungsmacht.
1 Dan Jacobs, The Brutality of Nations, New York 1987; Ndubisi Obiaga, Politics of Humanitarian Organizations Intervention, Lanham 2004.
2 In den USA initiierte der Titelbericht im Magazin „Life“ am 12. Juli 1968 dieses Medienereignis – kurz nach der Reise der Missionare. Vgl. auch Susan Sontag, Das Leiden anderer betrachten, Frankfurt a.M. 2005 (zuerst engl. 2003), S. 84f.
3 Marc H. Tanenbaum, Biafran Tragedy Accelerates. Christian Jewish Cooperation, in: Religious News Service, 14.8.1968 (American Jewish Committee Archives, Blaustein Library, Interreligious Affairs 1968, Biafra, Box 71).
4 Vgl. als Rückblick etwa die skeptische Bewertung bei Ian Smillie, Alms Bazaar: Altruism Under Fire – Non-Profit Organizations and International Development, London 1995, S. 104. Neuere Darstellungen der internationalen Geschichte des Kriegs sind Mangelware. Nach wie vor die beste ist: John J. Stremlau, The International Politics of the Nigerian Civil War 1967–1970, Princeton 1977.
5 Vgl. zuletzt etwa Cornelia Brink, Bildeffekte. Überlegungen zum Zusammenhang von Fotografie und Emotionen, in: Geschichte und Gesellschaft 37 (2011), S. 104-129.
6 Vgl. Horst Bredekamp, Bildakte als Zeugnis und Urteil, in: Monika Flacke (Hg.), Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen, Bd. 1, Mainz 2004, S. 29-66; ders., Bild – Akt – Geschichte, in: Clemens Wischermann u.a. (Hg.), GeschichtsBilder. 46. Deutscher Historikertag vom 19. bis 22.9.2006 in Konstanz. Berichtsband, Konstanz 2007, S. 289-309.
7 Tanenbaum, Biafran Tragedy (Anm. 3).
8 Valentin Groebner, Zeige deine Wunde! Gewaltbilder und ihre Betrachter – in historischer Perspektive, in: Neue Zürcher Zeitung, 13.2.2010.
9 Michael Rothberg, Between Memory and Memory. From Lieux de Mémoire to Noeuds de Mémoire, in: Yale French Studies 118-119 (2010), S. 3-12; ders., Multidirectional Memory. Remembering the Holocaust in the Age of Decolonization, Stanford 2009.
10 Zur Universalisierung des Holocaust siehe etwa Jeffrey C. Alexander u.a., Remembering the Holocaust. A Debate, Oxford 2009; Peter Novick, The Holocaust in American Life, Boston 1999; Jan Eckel/Claudia Moisel (Hg.), Universalisierung des Holocaust? Erinnerungskultur und Geschichtspolitik in internationaler Perspektive, Göttingen 2008.
11 Zum Nachleben der Bilder des Holocaust in Medienberichten zu Genoziden im späten 20. Jahrhundert: Barbie Zelizer, Remembering to Forget. Holocaust Memory through the Camera’s Eye, Chicago 1998, die allerdings textlich fundierte Referenzrahmen nicht ausreichend berücksichtigt und so den Wandel im Verständnis der Bilder aus den Konzentrationslagern nicht in den Blick bekommt.
12 Für detaillierte Ausführungen vgl. meine Dissertation zur internationalen Geschichte des Biafrakriegs, die derzeit an der Freien Universität Berlin und am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam entsteht. Für Hinweise und die kritische Lektüre verschiedener Fassungen dieses Beitrags danke ich insbesondere Stefan-Ludwig Hoffmann, Eva-Maria Holzgreve, Christoph Kalter, Samuel Moyn und den Herausgebern dieses Hefts.
13 Michael Crowder, Story of Nigeria, London 1978 (zuerst 1962), Kapitel 12 bis 14, und Toyin Falola/Matthew M. Heaton, A History of Nigeria, Cambridge 2008, Kapitel 7.
14 Bis heute sind die besten Darstellungen: Anthony H.M. Kirk-Greene, January 1966: The Political Prologue, in: ders. (Hg.), Crisis and Conflict in Nigeria, Bd. 1: January 1966 – July 1967, Aldershot 1993 [1971], S. 1-24; ders., War and Peace: July 1967 – January 1970, in: ders. (Hg.), Crisis and Conflict in Nigeria, Bd. 2: July 1967 – January 1970, Aldershot 1993 [1971], S. 1-144. Vgl. zudem Axel Harneit-Sievers, Nigeria: Der Sezessionskrieg um Biafra. Keine Sieger, keine Besiegten – Eine afrikanische Erfolgsgeschichte?, in: Rolf Hofmeier/Volker Matthies (Hg.), Vergessene Kriege in Afrika, Göttingen 1992, S. 277-318, und Albert Wirz, Krieg in Afrika. Die nachkolonialen Konflikte in Nigeria, Sudan, Tschad und Kongo, Wiesbaden 1982, S. 134-150.
15 Vgl. Edith Bruder, The Black Jews of Africa. History, Religion, Identity, Oxford 2008, S. 142-146; Stremlau, International Politics (Anm. 4), S. 109-117. Vgl. als Quellenbeispiel etwa Ministry of Information, Republic of Biafra, Genocide Breaks up Nations. Sow Genocide, Reap Disintegration. Genocide Broke up Nigeria, Enugu 19.11.1968.
16 Matthew Connelly, A Diplomatic Revolution. Algeria’s Fight for Independence and the Origins of the Post-Cold War Era, Oxford 2002.
17 Morris Davis, Interpreters for Nigeria. The Third World and International Public Relations, Urbana 1977.
18 Die aktivste Gruppe war die Biafra Union of Great Britain and Ireland; vgl. deren Statement on British Arms Supplies, in: Kirk-Greene, Crisis and Conflict, Bd. 2 (Anm. 14), S. 151.
19 In Frankreich war noch im Juli 1968 zu lesen, dass es sich um einen vergessenen Krieg handle, der „zu entfernt und zu konfus“ sei, um das Interesse der europäischen Öffentlichkeit zu wecken. Jean Finois, Horreurs et tractations, in: Le Nouvel Observateur, 15.7.1968, S. 19.
20 Ken Waters, Influencing the Message. The Role of Catholic Missionaries in Media Coverage of the Nigerian Civil War, in: Catholic Historical Review 90 (2004), S. 697-718.
21 Nicholas Ibeawuchi Omenka, Blaming the Gods. Christian Religious Propaganda in the Nigeria-Biafra War, in: Journal of African History 51 (2010), S. 367-389.
22 Sun, 12.6.1968, S. 1ff.
23 Insbesondere Fernsehnachrichtensendungen zu Biafra wären für die Analyse ebenfalls sehr interessant, können hier aber nicht berücksichtigt werden.
24 Vgl. zu einer ähnlich funktionierenden appellativen Ikonographie: Carlo Ginzburg, ‚Your country needs you‘: A Case Study in Political Iconography, in: History Workshop Journal 52 (2001), S. 1-22.
25 Groebner, Zeige deine Wunde! (Anm. 8).
26 Habbo Knoch, Mediale Trauer. Bildmedien und Sinnstiftung im „Zeitalter der Extreme“, in: Frank Bösch/Manuel Borutta (Hg.), Die Massen bewegen. Medien und Emotionen in der Moderne, Frankfurt a.M. 2006, S. 193-213.
27 Nur beten, in: Spiegel, 19.8.1968, S. 71-76.
28 Pascal Grellety-Bosviel, Bloc-notes d’un médecin au Biafra, in: La Croix, 14.3.1969, S. 10.
29 Thomas W. Laqueur, Bodies, Details, and the Humanitarian Narrative, in: Lynn Hunt (Hg.), The New Cultural History, Berkeley 1989, S. 176-204, hier S. 179.
30 Die ‚unmenschliche‘ Lage der Opfer des Holocaust erschwerte ebenso eine empathische Einfühlung auf Seiten alliierter Soldaten während der Befreiung der Konzentrationslager. Vgl. Jeffrey C. Alexander, The Social Construction of Moral Universals, in: ders. u.a., Remembering the Holocaust (Anm. 10), S. 3-102, hier S. 6.
31 Als medizinischen Text vgl. Bruno Gans, A Biafran Relief Mission, in: Lancet, 29.3.1969, S. 660-665.
32 Jean Buhler, Biafra. Tragödie eines begabten Volkes, Zürich 1968, S. 64.
33 Die verhungernden Kinder von Biafra, in: stern, 28.7.1968, S. 12-19, hier S. 14.
34 Eugen Kogon, Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager, Frankfurt a.M. 1964 [1946], S. 380.
35 Hans Gresmann, Mord ohne Gericht, in: ZEIT, 9.8.1968, S. 1.
36 David Rousset, L’univers concentrationnaire, Paris 1965 [1946]. Vgl. zur archetypischen Figur des Opfers zudem Cornelia Brink, Ikonen der Vernichtung. Öffentlicher Gebrauch von Fotografien aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern nach 1945, Berlin 1998, S. 161-164, S. 170-173.
37 ZEIT, 23.8.1968, S. 3.
38 Tilman Zülch/Klaus Guercke (Hg.), Soll Biafra überleben? Dokumente – Berichte – Analysen – Kommentare, 2., erw. Aufl. Berlin 1969, zwischen S. 128 und S. 129, Foto: Alex Klemkens.
39 Buhler, Biafra (Anm. 32), S. 70.
40 Raymond Offroy, Editorial, in: Biafra. Bulletin du comité d’action pour le Biafra, April 1969, Nr. 1, S. 1.
41 Editorial. Le témoignage de Monsieur Jacques Marette devant l’assemblée nationale française, in: Biafra. Bulletin du comité d’action pour le Biafra, 19.11.1969, Supplement zu Nr. 5, S. I-VI.
42 Auberon Waugh, Britain and Biafra. The Case for Genocide, London 1969, S. 20.
43 Besonders wichtig für den westdeutschen Bildhaushalt der 1960er-Jahre war im Hinblick auf die NS-Zeit: Gerhard Schoenberner, Der gelbe Stern. Die Judenverfolgung in Europa 1933–1945, Hamburg 1960 (u.ö.). Vgl. zudem Brink, Ikonen der Vernichtung (Anm. 36), und Habbo Knoch, Die Tat als Bild. Fotografien des Holocaust in der deutschen Erinnerungskultur, Hamburg 2001.
44 Andreas Olie Chegwe (Hg.), Biafra. Tragödie eines Volkes. Ein Volk stirbt und die Welt sieht zu, Wiesbaden o.J. [ca. 1969], Kommentar zu den Abbildungen zwischen S. 48 und S. 49.
45 A. James Rudin, Talk given at Biafra Interfaith Rally, St. Patrick’s Cathedral, New York, 26.10.1968 (American Jewish Committee Archives, Blaustein Library, Interreligious Affairs 1968, Biafra, Box 72, Biafra Responses Folder), S. 1.
46 Tanenbaum, Biafran Tragedy (Anm. 3), S. 4.
47 Michal Givoni, Des victimes pas comme les autres. Réactions israéliennes face a la catastrophe du Biafra, in: William Ossipow (Hg.), Israël et l’autre, Genf 2005, S. 195-242.
48 Yves Lavoinne, Médecins en guerre: Du témoignage au „tapage médiatique“, in: Le Temps des Médias 1 (2005) H. 4, S. 114-126.
49 Günter Grass, Völkermord vor aller Augen. Ein Appell an die Bundesregierung, in: ZEIT, 11.10.1968, S. 5.
50 J. Rudolph/H. Menzel, Information für die Teilnehmer der Podiumsdiskussion „Biafra – Testfall für eine neue Politik“, Heidelberg, 27.1.1969 (Evangelisches Zentralarchiv in Berlin, 87/1119).
51 Heinrich Tenhumberg, Massenmord trotz Völkerrecht? Zur Problematik Nigeria/Biafra, in: Zülch/Guercke, Soll Biafra überleben? (Anm. 38), S. 226-230, hier S. 229.
52 Nur beten (Anm. 27), S. 72.
53 Etwa bei Alexander, Social Construction (Anm. 30), ist die Universalisierung des Holocaust als ein Programm der moralisch-politischen Sensibilisierung zu verstehen, das – mehr oder weniger aus sich selbst heraus – u.a. zu neuen internationalen Normen führe. Vgl. dazu auch den Aufsatz von Kerstin von Lingen in diesem Heft.
54 John W. Young, The Labour Governments 1964–1970, Vol. 2: International Policy, Manchester 2003, S. 193-217.
55 Waugh, Britain and Biafra (Anm. 42), S. 5, S. 7.
56 Frederick Forsyth, The Making of an African Legend. The Biafra Story, Harmondsworth 1977 [1969], S. 267f.
57 Der jüdische Widerstand – bzw. der Mangel daran – wurde zu dem Zeitpunkt viel diskutiert. Vgl. etwa Samuel Moyn, A Holocaust Controversy. The Treblinka Affair in Postwar France, Waltham 2005.
58 Lagos engagierte die PR-Agentur Galitzine, die gerade in England erfolgreich arbeitete. Vgl. Davis, Interpreters (Anm. 17).
59 Nigeria High Commission: Chief Enahoro writes to British M.P.s on Nigerian Civil War, London, 12.6.1968, S. 4, S. 6.
60 Vgl. etwa Editorial: The Bigger The Lie, in: United Nigeria, 11.10.1968, Nr. 4, S. 2.
61 International Observer Team to Nigeria, No Genocide. Final Report of Observer Team to Nigeria, Apapa: Nigerian National Press 1968. Eine kritische Darstellung der Arbeit des Teams liefert Suzanne Cronje, The World and Nigeria. The Diplomatic History of the Biafran War 1967–1970, London 1972, S. 101-109.
62 Als Beispiel für die veränderte Wahrnehmung Biafras: Ein Kavalierskrieg, in: Spiegel, 19.1.1970, S. 82-87.
63 Stremlau, International Politics (Anm. 4), S. 366f.
64 Harneit-Sievers, Nigeria (Anm. 14), S. 285-288.
65 Vgl. etwa Richard Bessel/Dirk Schumann (Hg.), Life after Death. Approaches to a Cultural and Social History of Europe during the 1940s and 1950s, Cambridge 2003; Tony Judt, Postwar. A History of Europe Since 1945, London 2007 [2005], S. 803-831; Pieter Lagrou, The Legacy of Nazi Occupation. Patriotic Memory and National Recovery in Western Europe, 1945–1965, Cambridge 2000; Annette Wieviorka, L’ère du témoin, Paris 1998.
66 Christoph Kalter, Die Entdeckung der Dritten Welt. Dekolonisierung und neue radikale Linke in Frankreich, Frankfurt a.M. 2011, Kapitel 4; Wilfried Mausbach, Wende um 360 Grad? Nationalsozialismus und Judenvernichtung in der „zweiten Gründungsphase“ der Bundesrepublik, in: Christina von Hodenberg/Detlef Siegfried (Hg.), Wo „1968“ liegt. Reform und Revolte in der Geschichte der Bundesrepublik, Göttingen 2006, S. 15-47. Vgl. auch Berthold Molden, Genozid in Vietnam. 1968 als Schlüsselereignis in der Globalisierung des Holocaustdiskurses, in: Jens Kastner/David Mayer (Hg.), Weltwende 1968? Ein Jahr aus globalgeschichtlicher Perspektive, Wien 2008, S. 83-97, der den Protest gegen den Vietnamkrieg als Zäsur in der Geschichte der Holocaust-Erinnerung und des Genozidbegriffs deutet, dessen These aber den Kern der Sache verfehlt, da beides nur eine untergeordnete Rolle innerhalb eines Referenzrahmens der Imperialismuskritik spielte.
67 Anson Rabinbach, Begriffe aus dem Kalten Krieg. Totalitarismus, Antifaschismus, Genozid, Göttingen 2009; Kirsten Fermaglich, American Dreams and Nazi Nightmares. Early Holocaust Consciousness and Liberal America, 1957–1965, Waltham 2006.
68 Tom Segev, 1967. Israel, the War, and the Year that Transformed the Middle East, New York 2007 [Jerusalem 2005]; Idith Zertal, Israel’s Holocaust and the Politics of Nationhood, Cambridge 2005 [Tel Aviv 2002], hier v.a. S. 115-127.
69 Zum Wandel der Wahrnehmungen der nationalsozialistischen Lager seit 1945 vgl. Samuel Moyn, In the Aftermath of Camps, in: Frank Biess/Robert G. Moeller (Hg.), Histories of the Aftermath. The Legacies of the Second World War in Europe, New York 2010, S. 49-64.
70 Dass die Gesellschaft ihre Zeitschrift, in der über „bedrohte Völker“ von allen Erdteilen berichtet wurde, auf den Namen „Pogrom“ taufte, ist ebenso interessant wie die Kette, die in ihren Publikationen rhetorisch und visuell von Auschwitz nach Biafra gezogen wurde. Vgl. z.B. Igbo Kwenu [Pseudonym], Die ‚Ibo-Elite‘ und das ‚einfache Volk‘, in: Pogrom 1, Nr. 3 (1970), S. 3ff.; Tilman Zülch, Auschwitz – Biafra – Bengalen, in: Pogrom 2, Nr. 11 (1971), S. 2f., und Biafra Heute [Textausschnitte aus verschiedenen Periodika, zusammengestellt und kommentiert von Tilman Zülch], in: Pogrom 1, Nr. 3 (1970), S. 1ff.
71 Auf die mit diesen Denkmustern verbundenen Probleme verweist etwa Stephen Wertheim, A Solution from Hell. The United States and the Rise of Humanitarian Interventionism, 1991–2003, in: Journal of Genocide Research 12 (2010) H. 3-4, S. 149-172.
72 Das ist die These bei Daniel Levy/Natan Sznaider, Erinnerung im globalen Zeitalter. Der Holocaust, Frankfurt a.M. 2001, und, wenn auch in deutlich reflektierterer Form, bei Alexander, Social Construction (Anm. 30).