1. Ein subtiles Protestpsychogramm kritisiert die ‚willigen Helfer’
2. Die Macht der Erinnerung und Verdrängung im Kino
3. Wie wirkt ein Historienfilm auf das Geschichtsbild?
Rosenstraße, Regie & Buch: Margarethe von Trotta, D/NL 2003, 136 Min.
Klischee, Klitterei, Geschichtchen ohne Geschichte - so die schärfsten Vorwürfe in der öffentlichen Debatte um den Historienfilm „Rosenstraße“. Er erzählt die Geschichte des Protestes nichtjüdischer Berliner Frauen gegen die tagelange Inhaftierung und befürchtete Deportation ihrer jüdischen Ehemänner durch Gestapo und SS im Frühjahr 1943. Ein Film im Kreuzfeuer eines Historikerstreites: Die Deportation der jüdischen Ehepartner sei geplant gewesen, erst der weibliche Protest habe zur Freilassung der Mehrzahl der rund 1.500 bis 2.000 Inhaftierten geführt - so die einen (Nathan Stoltzfus, Gernot Jochheim). Die Inhaftierung habe ‚nur’ der Auswahl von Ersatzkräften für zu deportierende „Volljuden“ gedient, die folgende Freilassung der „Mischehen-Partner“ sei bereits beschlossen gewesen - so die anderen (Wolf Gruner, Wolfgang Benz).
Ein Spielfilm ist ein Spielfilm ist ein Spielfilm - den eigenen dramaturgischen Gesetzen gehorchend, mit künstlerischer Gestaltungs- und Meinungsfreiheit. Das Grenzgenre des Historien-Filmes muss sich allerdings die Frage gefallen lassen, inwieweit seine Bezugnahme auf Gewesenes eine plausible Deutung von Geschichte darstellt. Die Chance des Massenmediums, zur Geschichtsbildung eines breiten Publikums beizutragen, ist groß; ebenso groß ist freilich die Gefahr folgenschwerer Geschichtsverfälschungen.
1. Ein subtiles Protestpsychogramm kritisiert die ‚willigen Helfer’
Die Spielfilmcharaktere in „Rosenstraße“ brechen mit gängigen Steoreotypen des Dritten-Reich-Filmes; von Trottas dramatis personae verkörpern eine subtile Kritik an den ‚willigen Helfern’ und passiven Unterstützern des Regimes. Der Bruder der Protagonistin Lena Fischer, deren Mann in der Rosenstraße festgehalten wird, ist der dekorierte Stalingradkämpfer Arthur von Eschenbach, dem die im Ostfeldzug von Deutschen begangenen Verbrechen die Augen über den NS-Staat geöffnet haben. Als er einem befreundeten Offizier heimliche Schnappschüsse der Verbrechen zeigt, winkt dieser gelangweilt ab - ein Sinnbild für die Mitwisser- und Mittäterschaft der Wehrmacht im Osten, das man im Vilsmaierschen Soldatenepos „Stalingrad“ von 1993 vergeblich sucht. Der konservative Baron von Eschenbach will die Berichte seines Sohnes über die NS-Gräuel nicht wahrhaben - ein Repräsentant der zahlreichen Deutschen, die selbst nach Stalingrad noch an den Führer glaubten. Von Trotta hat dies in einem Interview mit ihrer eigenen adligen Familie verbunden, die „sehr konservativ, fast nationalsozialistisch“ und „begeistert“ war, als Hitler gegen die Sowjetunion zu Felde zog.1
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Auch die fiktive Person der kleinen Ruth, deren Mutter in der Rosenstraße einsitzt, hat einen historischen Kern. Die scheinbar rein melodramatischen Gesetzen gehorchende Szene, in der Ruth sich heimlich zu ihrer Mutter in das Gefängnishaus stehlen kann, bevor diese deportiert wird, hat es tatsächlich gegeben.2 Die Hinzudichtung, dass die Mutter abtransportiert wurde, weil ihr Ehemann sich von ihr hatte scheiden lassen, ist keine Klitterei, sondern kunstvolles Historiendrama. Von Trotta blendet das sich gegen Ende des Krieges häufende Phänomen ein, dass Deutsche dem politisch-sozialen Druck nachgaben und sich von ihren jüdischen Partnern trennten, was in deren Verhaftung und Deportation enden konnte.3 Unbemerkt von den Kritikern zeigt der Film nicht nur couragierte Frauen. Als Kontrastfigur dient die opportunistische Chansonnière „Lizy“, die sich dem Goebbels-Milieu andient - eine ‚riefenstahlsche’ Figur, über die vernichtend geurteilt wird: „Je mehr Soldaten fallen, desto berühmter wird sie.“ Charaktere dagegen, die wie filmhistorische Klischees erscheinen mögen - der schießwütige SS-Mann im Auffanglanger oder der hilfsbereite Schupo in der Rosenstraße - sind für die Razzia und den anschließenden Rosenstraßen-Protest im Frühjahr 1943 tatsächlich belegt.
Der Historienfilm ist durch seine Visualität und Personendramaturgie prinzipiell besser geeignet, zeitgenössische Sozialatmosphären zu veranschaulichen, als dies ein Geschichtsbuch vermag. Eine weitere Szene aus „Rosenstraße“: Innen/Tag, die Büroangestellte Klara erhält auf der Arbeit die Nachricht von der Inhaftierung ihres jüdischen Mannes. Angesichts der neugierigen Seitenblicke der anderen Schreibkräfte in der kalt beleuchteten Großraumhalle ringt sie um Fassung und täuscht Krankheit vor, um das Büro verlassen zu dürfen - eine ausdrucksvolle Metapher für den hohen sozialen Druck auf den „Mischehen“ und die an Solidarität arme Alltagsatmosphäre der Diktatur. Authentisches Vorbild für Klara ist die Zeitzeugin Ursula Braun, die den Anruf von ihrer Schwiegermutter im Büro bekam: „Einer einzigen habe ich Bescheid gesagt, ich müsste unbedingt weg, und habe dann einen Vorwand gefunden. Ich musste ja irgendwie mein Gesicht wahren, im Büro.“4
(Concorde Filmverleih GmbH)
Die Goebbels-Szene in „Rosenstraße“ schwankt zwischen Kunstgriff und Karikatur, ist jedoch nicht die behauptete Geschichtsklitterung. Lena Fischer trifft auf einem festlichen Empfang Goebbels, um ihn unter Einsatz ihrer Klavierkünste, ihrer Schönheit und adligen Herkunft zur Freilassung der Häftlinge zu bewegen. Angesichts der unsicheren Quellenlage und streitenden Fachwelt zum Eingreifen von Goebbels im Frühjahr 1943 ist es von Trotta unbenommen, anhand von Indizien historische Plausibilitäten und Erzählkunst zu verflechten. Tatsächlich notierte Goebbels nach dem Besuch eines Ufa-Jubiläums während des Rosenstraßen-Protestes rückblickend in sein Tagebuch: „Die Verhaftung von Juden und Jüdinnen aus privilegierten Ehen hat besonders in Künstlerkreisen stark sensationell gewirkt. Denn gerade unter Schauspielern sind ja diese privilegierten Ehen noch in einer gewissen Anzahl vorhanden.“5 Dass Goebbels während des Ufa-Empfangs auf den Vorfall angesprochen wurde, erscheint somit plausibel. Goebbels’ Selbstverständnis als Hüter der Volksstimmung, seine Machtposition als Gauleiter und Reichsverteidigungskommissar von Berlin sowie die Aussage seines damaligen Staatssekretärs Leopold Gutterer geben genug Indizien, um sein Eingreifen vermuten zu dürfen. Mit dem Blick auf das glamouröse Gebaren der NS-Führer im Krieg erzeugt von Trotta geschickt eine dramaturgische Gegenwelt zum Leid in der Rosenstraße.
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Auch weitere Konturen des historischen Ereignisses verfälscht der Spielfilm keineswegs. Im Gegenteil: Er bezieht jüngste Forschungsmeinungen erkennbar mit ein. In der Person des Stalingradkämpfers von Eschenbach greift der Film die Zeitzeugenberichte auf, die auch von Männern in der Menschenansammlung der Rosenstraße berichten, und zwar von Uniformierten. Bei der Anzahl der Protestierenden und dem Ausmaß ihres Protests gehen die Positionen der Geschichtsschreibung weit auseinander. Der Protest sei weniger provokativ gewesen als bisher angenommen, behauptete Gruner jüngst.6 Sicher scheint nur, dass die Zahl der Protestierenden nicht in die Tausende ging (wie lange Zeit angenommen wurde). Entsprechend rückt von Trotta mal 40, mal 200 Komparsinnen ins Bild und liefert eine subtile Schilderung der sozialpsychologischen Dynamik einer Protestaktion, die in der historischen Situation des NS-Staates im Krieg einzigartig war und sowohl von den beteiligten Frauen als auch vom Regime als extreme Provokation wahrgenommen wurde. Die Schauspielerinnen kommen vereinzelt zum Rosenstraßen-Haus, stehen auf der Straße, auf dem Bürgersteig, gehen umher, stoßen zu anderen Wartenden, suchen Informationen über Angehörige, wollen Lebensmittel und Kleidung bringen. Die Wartenden werden von den Schupos auseinandergetrieben, kauern sich in Hauseingänge, um sich allmählich wieder zusammenzufinden; angesichts der Bedrohung bilden sich Kleingruppen.
Ein Blick in die Gesichter - eine diffuse Ansammlung von Verzweifelten, voll nagender Ungewissheit und düsteren Befürchtungen über das Schicksal ihrer Männer. Mit genauen Regieanweisungen am Set inszeniert von Trotta ihre Schlüsselszene: den Moment, wo private Sehnsucht in kollektive Empörung umschlägt, wo das „Ich will meinen Mann zurück“ zum „Wir wollen unsere Männer wiederhaben“ wird.7 Wenig später ruft eine resolute Berlinerin den Wachhabenden ein zaghaftes „Mörder, Mörder“ entgegen, wird lauter, um anschließend zu verstummen. Die Frauen staunen über ihren eigenen Mut. Tatsächlich ist belegt, wie sich die Beteiligten nach dem ersten Auf- und Abgehen in der Rosenstraße langsam als Kollektiv zu fühlen begannen und von den Wachhabenden auch so wahrgenommen wurden, die forderten: „Zerstreuen Sie sich! Gehen Sie auf die andere Seite!“ Diese Wahrnehmung von Seiten des Regimes setzt von Trotta geschickt ins Bild, indem sie die Kamera auch die Sicht der Schupos einnehmen lässt.
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2. Die Macht der Erinnerung und Verdrängung im Kino
Von Trotta erzählt die Geschichte des Rosenstraßen-Protestes nicht linear, sondern verbunden mit einer Rahmenhandlung über die Tochter Maria der mittlerweile alten und nach New York emigrierten Ruth. Jahrelang hatte diese der Tochter ihre Erlebnisse im Nazi-Deutschland und in der Rosenstraße verschwiegen. Eine alte Bekannte aus Deutschland bringt Maria auf die Spur der Berlinerin Lena Fischer, die die junge Ruth damals in der Rosenstraße unter ihre Fittiche genommen hat. Erst durch die Erzählung der ergrauten Lena erfährt Maria von der Vergangenheit ihrer Mutter. Das Phänomen der Holocaust-Verdrängung im jüdischen Milieu, das der Fachwelt in den 1990er-Jahren verstärkt bewusst wurde, erreicht durch von Trottas Film erstmals ein Massenpublikum. Tatsächlich durften, konnten oder wollten Holocaust-Überlebende in den USA zunächst nicht über ihre Erlebnisse erzählen.
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(Concorde Filmverleih GmbH)
Kritiker in renommierten Feuilletons, die die Rahmenhandlung als überflüssig abtun, übersehen, dass sich der Film gezielt und im Sinne einer Brechtschen Verfremdung von solchen Historienfilmen absetzt, die mit Farbfiltern, dramatischer Musik und bis auf den Uniformknopf rekonstruierten Szenerien auf eine rein emotionale, unhinterfragbar scheinende Sogwirkung des Vergangenen setzen. Die von der Regisseurin gewählten tragenden Celli und die gängige braun-beige Filterpatina für die 1940er-Jahre werden mehrfach stilistisch gebrochen - durch Zeitsprünge und Ortswechsel zwischen dem Ereignis von 1943 und der in der Jetztzeit in New York und Berlin nach der Familiengeschichte suchenden Maria. Mögen kognitive Vorgänge wie Erinnerungsprozesse prinzipiell im Medium Schrift präziser zu schildern sein, so gelingt von Trotta doch eine subtile und zugleich kraftvolle Veranschaulichung. Wenn Ruths Tochter auf eine abgebrannte Kerze ein neues Kerzenlicht aufsetzt, deutet sich die Dialektik aus Bruch und Kontinuität zwischen den Generationen an. Zugezogene Rollos halten Ruth in der Wohnung so gefangen wie ihre unausgesprochene Erinnerung. Erst im Erinnern-Wollen findet sie schließlich wieder zu ihren Kindern und zur Gesellschaft - bildlich aufgelöst in der Versöhnungsszene zwischen Mutter und Tochter, bei der die Fenster der Nacht zum Trotz unverhangen den Blick auf die erleuchteten Nachbarhäuser freigeben. Selten sind Kinofilme derart bemüht, abstrakten sozial- und psychohistorischen Prozessen eine Bildsprache zu geben. Allerdings hätte die erfahrene Dramaturgin hier mehr Neues wagen können, ja müssen. Mit dem Einbauen einer Freundinnenfigur, die Lenas Erinnerungen an den Rosenstraßen-Protest ab und zu korrigierend ins Wort fällt, hätte sie die Wandelbarkeit, Subjektivität und Standortgebundenheit der Erinnerung wohl besser zeigen können.
3. Wie wirkt ein Historienfilm auf das Geschichtsbild?
Gestehen wir uns gleich ein, dass eine systematische Rezeptionsforschung zur Wirkung von Historienfilmen auf das Geschichtsbild des Publikums nicht existiert. Dies wäre ein weites Feld, da das Medium Film durch seine Fülle an Bildinformationen, durch visuelle Symbolisierung und Multimedialität vieldeutiger ist als Bücher. Wie unterschiedlich von Trottas „Rosenstraße“ auf das öffentliche Geschichtsbild wirken mag, zeigt die Befragung von einem Dutzend Programmkinogänger im Anschluss an den Film. Die meisten Filmbesucher hatten den Eindruck, die Nazis hätten die Deportation der Rosenstraßen-Häftlinge von vornherein geplant; zwei der Befragten bemerkten allerdings, dass der Soldat von Eschenbach die Inhaftierung einmal als „Missverständnis“ abtut. Darüber, was die Freilassung der Rosenstraßen-Häftlinge bewirkt habe, zeigten sich die Befragten uneins. Ein Teil sah hierin Goebbels’ Werk, für die anderen war der Frauenprotest der Grund. Ein Einzelner bemerkte, der Film lasse diese Frage offen, weil der Propagandaminister Lenas Bruder auf dem Empfang abblitzen lasse.
Die Erzählhaltung des Films, die Geschichte des Protests über die Erinnerungen der alten Lena Fischer darzubieten, wurde von den Befragten nicht als rein subjektives Empfinden wahrgenommen - vielmehr erschien ihnen die ergraute Protestlerin als Garant für die Authentizität der Darstellung. Der Vorspanntext: „Die Ereignisse [...] haben tatsächlich stattgefunden“ erweckte bei den Filmbesuchern dagegen keineswegs den Eindruck unumstößlicher Authentizität - wie Wolfgang Benz kritisch vermutete. Vielmehr zeigte sich das befragte Publikum sehr angeregt, anschließend im Internet oder Buchladen der Frage nachzugehen: Welcher Aspekt des Filmes war Fakt, welcher Fiktion? Hier deutet sich bereits an, dass von Trottas „Rosenstraße“ als ein authentisches Stück Geschichte auf das Publikum wirkt, als ein Stück Geschichte jedoch, das mehrere Sichtweisen ermöglicht.
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Solange weitere Dokumente zur genauen Durchführung der Rosenstraßen-Aktion in Berlin und wirklich quellenkritische Analysen der Zeitzeugenaussagen fehlen, bleiben in der Geschichte des Rosenstraßen-Protests breite Deutungsspielräume. Von Trotta hat einen Historienfilm geschaffen, dessen Charaktere im Kern historische Personentypen darstellen, die innerhalb eines historisch plausiblen Rahmens agieren. Die Regisseurin nutzt das Potenzial des Mediums Film, bestimmte geschichtliche Phänomene besser veranschaulichen zu können als ein Buch. Erst mit der Möglichkeit, Bewegungen von Menschen im Raum und ihre Körpersprache in allen Facetten von Gestik und Mimik darstellen zu können, kann ein dichtes Psychogramm eines kollektiven Protestes entstehen. Und erst die Darstellung der Geschichte des Rosenstraßen-Protests im Film macht deutlich, was es heißt, im historischen Umfeld einer Diktatur Zivilcourage zu wagen.
1 Das fand alles gleich nebenan statt, in: Neues Deutschland, 26.8.2003.
2 Nach einer Zeitzeugin im Dokumentarfilm „Befreiung aus der Rosenstraße“ von Michael Muschner, 1994.
3 Grundlage für von Trotta war die Geschichte der jüdischen Ärztin Lilli Jahn; vgl. Martin Doerry (Hg.), Mein verwundetes Herz. Das Leben der Lilli Jahn 1900-1944, Stuttgart 2002.
4 Zit. nach Thilo Wydra, Rosenstraße. Ein Film von Margarethe von Trotta. Die Geschichte. Die Hintergründe. Die Regisseurin, Berlin 2003, S. 23.
5 Joseph Goebbels, Die Tagebücher, Teil II: Diktate 1941-1945, hg. von Elke Fröhlich, Bd. 7: Januar - März 1943, München 1993, Eintrag vom 11.3.1943.
6 Wolf Gruner, Die Fabrik-Aktion und die Ereignisse in der Berliner Rosenstraße. Fakten und Fiktionen um den 27. Februar 1943, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 11 (2002), S. 137-177, hier S. 168, S. 170.
7 Vgl. Christiane Peitz, Sehnsucht und Widerstand, in: Tagesspiegel, 22.11.2002, S. 25 (Bericht zu den Dreharbeiten).