»West-Berlin«

Eine historiographische Herausforderung

  1. Annäherungen: West-Berlin als Rechtsgebiet, Begriff und Sinnprovinz
  2. Mythische Erzählungen: West-Berlin als Frontstadt, Labor und Grenzraum
  3. Weiterführende analytische Perspektiven: Verzeitlichung, Verflechtung, »drittes Deutschland«

Anmerkungen

»Berlin war anders«, schrieb die Journalistin Susanne Kippenberger 2009 in treffender Hilflosigkeit über das eingemauerte Gebilde zwischen DDR und Bundesrepublik, dessen quecksilbrige Facettenvielfalt so eigentümlich mit seinen scharf markierten Grenzen kontrastiert.[1] Das Berlin, das sie meinte, war West-Berlin – in ihrer Erinnerung einerseits wild und elektrisierend, andererseits übersichtlich und familiär, eigentlich riesengroß und doch eher ein Dorf. West-Berlin war anders – aber wie und was war West-Berlin?

Ein Graffito auf der Mauer am Bethaniendamm/Engelbecken in Kreuzberg markiert West-Berlin als »Reservat« – und damit als Schutzraum einer bedrohten Spezies oder letztes Refugium von Ureinwohnern. Das Foto entstand nach der Maueröffnung, ca. 1991.
(Umbruch Bildarchiv)

Zunächst war es ein immerwährender Streitfall, der im Vier-Mächte-Abkommen von 1971 zu einem wortwörtlich namenlosen Verhandlungsgegenstand wurde. Was unter »dem betreffenden Gebiet« des Abkommens zu verstehen sei, blieb bis 1990 unter den alliierten Verhandlungspartnern ungeklärt. Das Feld der fraglosen Gemeinsamkeiten zwischen dem westlichen Offizialnamen »Berlin (West)« und dem östlichen »Westberlin« war so ungeklärt wie der Inhalt der Terra incognita, die sich auf ostdeutschen Karten als weiße Fläche westlich der »Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik« erstreckte.

Der »Tourist-Stadtführer-Atlas« über Berlin, 1988 in vierter Auflage durch den VEB Tourist Verlag herausgegeben, zeigt die westliche Stadthälfte als leeren Raum. Ost-Berlin mutet in der Darstellung wie ein Grenzort an, hinter dem unbekanntes Terrain beginnt.

Hängt es mit der konstitutiven Widersprüchlichkeit des schwer fassbaren Gegenstandes zusammen, dass die Geschichtsschreibung West-Berlin erst zögernd zu entdecken beginnt? Wohl ist die Liste der Forschungsliteratur zur Geschichte Berlins nach 1945 beachtlich gewachsen. Aber die Mehrzahl der Titel konzentriert sich auf die Jahre vor dem Mauerbau,[2] während der Zeitraum zwischen Vier-Mächte-Abkommen und Wiedervereinigung bisher eher vernachlässigt wurde.[3] In den ersten beiden Jahrzehnten nach 1989 entstanden lediglich zwei Gesamtdarstellungen.[4] Die im Rahmen des Spatial Turn besonders von Stadtsoziologen geführte Diskussion um den Eigencharakter von Städten als Sinnprovinzen hat in der historischen Berlin-Forschung noch kaum Niederschlag gefunden.[5] In zahlreichen fachhistorischen Studien findet sich West-Berlin neben anderen westdeutschen Großstädten nahtlos in die Geschichte der Bundesrepublik eingelassen.[6] Doch die Frage, warum West-Berlin etwa für die Geschichte von »1968« und des Linksterrorismus eine so prominente Rolle spielte, wurde noch kaum gestellt.[7]

Wer aber nach der historischen Bedeutung der Teilstadt fragt, hat mit dem Umstand zu kämpfen, dass der Untersuchungsgegenstand weniger als räumlich oder zeitlich fixiertes Phänomen, sondern vor allem als Vorstellung existiert – wer von »West-Berlin« spricht, meint eine Sache zu bezeichnen und ruft in Wahrheit ein Bilderalbum ins Gedächtnis. Was die durch ihren alliierten Sonderstatus geprägte Halbstadt war, glaubt in der Gegenwart am bestimmtesten die Erinnerung an die Vergangenheit zu wissen, und der Charakter dieser Halbstadt für ein Halbjahrhundert scheint am unverstelltesten dort greifbar zu sein, wo sein Verschwinden bemerkt wird. Nicht zufällig wird die Leerstelle der fachhistorischen Beschäftigung bislang überwiegend von den Medien der Geschichtskultur in Gestalt von Zeitzeugenberichten,[8] Spielfilmen und historischer Belletristik gefüllt, wie nach dem Ende der Stadtteilung etwa die »Berliner Zeitung« in der von ihr herausgegebenen »Berlin Bibliothek« vorgeführt hat.[9] So antworten gegenläufige Zuschreibungen und Bilder auf die Frage, was die 481 Quadratkilometer große und von rund 2 Millionen Bürgern bevölkerte Halbstadt kennzeichnete, und eben dies macht West-Berlin zu einem schwierigen Fokus der Zeitgeschichte. Hier setzt die Leitfrage des vorliegenden Themenheftes an: Wie lässt sich das Phänomen »West-Berlin« zugleich politik-, kultur- und gesellschaftsgeschichtlich fassen?

1. Annäherungen:
West-Berlin als Rechtsgebiet, Begriff und Sinnprovinz

Nur scheinbar bietet die staatsrechtliche und politische Betrachtung der Halbstadt einen festen Grund. Völkerrechtlich war West-Berlin besetztes Gebiet und staatsrechtlich ein Teil der Bundesrepublik; doch blieb das Besatzungsrecht dem Staatsrecht übergeordnet. Laut Artikel 23 des Grundgesetzes war Berlin seit 1949 Teil der Länder, in denen das Grundgesetz galt, und Gleiches kodifizierte die (West-)Berliner Verfassung.[10] Dennoch war West-Berlin kein konstitutiver Bestandteil der Bundesrepublik.[11] Die Siegermächte hatten sich dezidiert gegen einen diesbezüglichen Artikel im Entwurf des Grundgesetzes ausgesprochen.[12] Die Berliner Regierung hatte demzufolge zwar volle gesetzgeberische, vollziehende und gerichtliche Gewalt, die Alliierten behielten sich jedoch in verschiedenen Bereichen ein Vetorecht vor.[13] Bundesgesetze waren nicht automatisch für West-Berlin gültig.[14] Darüber hinaus hatten die Bewohner der Stadt nicht das Recht, Abgeordnete für den Bundestag zu wählen. Die dorthin vom Abgeordnetenhaus entsandten Delegierten hatten nur ein eingeschränktes Stimmrecht.[15] Ein nicht unerheblicher Grund für den Zuzug vieler junger Männer war das Entmilitarisierungsgesetz, aufgrund dessen die Bundeswehr in Berlin nicht aktiv werden durfte.[16] Anstelle des bundesdeutschen Passes gab es den »behelfsmäßigen Personalausweis«, und es galten andere Regeln, wollte man Ost-Berlin oder die DDR besuchen. Diese prekäre staatsrechtliche Lagebestimmung erklärt die besondere Sensibilität der West-Berliner für blockpolitische Klimaveränderungen – hier verschwammen die Grenzen zwischen Welt- und Lokalpolitik. Doch sie verlor ihre definitorische und handlungsleitende Schärfe im symbolpolitischen Dauerkonflikt des Kalten Krieges, der im Spannungsfeld von Ost und West, von Alliierten und Deutschen, von Bonn und Ost-Berlin, aber auch zwischen Bonn und West-Berlin sowie zwischen Moskau und Ost-Berlin nicht ein einziges Bestimmungsmerkmal West-Berlins unumstritten ließ.

Nicht weniger schwer zu ermitteln ist bei näherem Hinsehen die Datierung des Phänomens. Der in seinem Eigencharakter wahrgenommene Westen Berlins ist jedenfalls deutlich älter als West-Berlin: Der »Neue Westen« stellte bereits um die Wende zum 20. Jahrhundert einen moderneorientierten Gegenentwurf zum preußischen Stadtzentrum im Osten dar und wurde zum steinernen Ausdruck eines neuen bürgerlichen Selbstbewusstseins, das sich vom »Alten Westen« Zug um Zug bis Westend ausbreitete. Wie lässt sich demgegenüber die Geburtsstunde West-Berlins als Halbstadt im Nachkriegsdeutschland datieren? Ist es das Jahr 1948, in das so einschneidende Ereignisse fallen wie der Auszug der Sowjetunion aus dem Alliierten Kontrollrat, die Währungsreform und der Beginn der Blockade mitsamt der Luftbrücke? Oder markiert erst die Gründung zweier deutscher Staaten im Jahr darauf die Geburt West-Berlins?

Einen Anhaltspunkt liefert der Sprachgebrauch der Zeitgenossen. Zwar verwandte die Berliner Presse schon bald nach Kriegsende den Terminus West-Berlin, doch nutzte sie ihn jahrelang allein im traditionellen stadträumlichen Sinne zur Kennzeichnung des »Westberliner U-Bahn-Knotenpunktes Wittenbergplatz«[17] oder zur Kennzeichnung einer Charlottenburger Fußballmannschaft als »die West-Berliner« im Punktspiel gegen »Mitte«.[18] Erst im Verlauf der Blockade wuchs das Bewusstsein einer Schicksalsgemeinschaft der »Westsektorenbewohner«, die ihre gemeinsame Identität in der Abgrenzung von den materiell privilegierten, aber politisch unterdrückten Ostbürgern fanden: »Die Westberliner wissen sehr gut, daß sie sich in vielem fügen müssen. Sie haben mehr als einmal bewiesen, daß sie gewillt sind, Unannehmlichkeiten auf sich zu nehmen. [...] Es gibt noch vieles, das die Westberliner verbittert und das sie nicht auf das Konto ›Blockade‹ buchen wollen. Weil sie im Gegensatz zu den Bewohnern des Sowjetsektors freie Menschen sind, sprechen sie es auch aus.«[19] Aber schon ein Jahr zuvor hatte der »Spiegel« die drei westlichen Sektoren erstmals als »West-Berlin« bezeichnet.[20] Kurz zuvor war die Londoner Außenministerkonferenz gescheitert, und die Westmächte hatten eine gemeinsame Besatzungspolitik ohne die Sowjetunion beschlossen. Am 26. Juni 1948 nannte das Magazin die Bewohner der Westsektoren erstmals »West-Berliner«, zwei Tage zuvor hatte die Sowjetunion die Abriegelung der Westsektoren eingeleitet.[21] West-Berlin war im Lichte der Begriffsgeschichte ein Kind der Blockade und ihrer unmittelbaren Vorgeschichte.

Doch selbst der Begriff war umstritten, und so spiegelten sich die kontrastierenden Interpretationen des städtischen Status im Kampf um die korrekte Schreibweise: Während es auf westlicher Seite offiziell Berlin (West) und im Alltagsgebrauch West-Berlin hieß und dementsprechend von Ost-Berlin bzw. Berlin (Ost) die Rede war, sprach die DDR nach der mit dem Mauerbau besiegelten Aufgabe ihres gesamtstädtischen Herrschaftsanspruchs von Westberlin versus Berlin, Hauptstadt der DDR, um ihre Wunschvorstellung einer von der Bundesrepublik getrennten und mit der Osthälfte der Stadt nicht zusammengehörigen Rumpfstadt als selbstständiger politischer Einheit sprachpolitisch zu untermauern.[22] »Auch in Zukunft«, erklärte Erich Honecker ein ums andere Mal, »erteilen wir gemeinsam mit unseren Verbündeten allen Versuchen eine entschiedene Abfuhr, die das [Vier-Mächte-]Abkommen auf seine Belastbarkeit testen und seine Kernbestimmung unterlaufen, daß Westberlin nicht zur BRD gehört und nicht von ihr regiert werden darf.«[23]

Trotz dieser definitorischen Streitigkeiten war West-Berlin seit der Gründung der beiden deutschen Staaten bis zur deutschen Vereinigung 1990 auf komplexe Weise mit der Bundesrepublik verbunden. Am 7. März 1950 trat das erste »Berlinhilfegesetz« in Kraft, dem 1970 das »Gesetz zur Förderung der Berliner Wirtschaft« folgte. Diese so genannte Berlin-Förderung beinhaltete neben steuerlichen Vergünstigungen für Unternehmen auch das im Volksmund als »Zitterprämie« bezeichnete steuerfreie Plus von 8 Prozent auf das Bruttoeinkommen. Ergänzt wurde die Zahlung durch ein Kindergeld, zinslose Darlehen zur Familiengründung, vergünstigte Wohngelddarlehen und finanzielle Unterstützungen für nach Berlin ziehende Arbeitnehmer. Diese Prämien sollten eine weitere Abwanderung der Bevölkerung aufgrund der unsicheren politischen Lage verhindern und den Standort attraktiver machen. Noch 1990 belief sich die Förderung des Bundes auf insgesamt über 22 Milliarden DM.[24] Nicht wenige Zeitgenossen behaupten im Rückblick, diese Subventionen hätten die vielfältige Künstlerszene West-Berlins erst ermöglicht; andere sehen in ihnen die Ursache für heutige Defizite.[25] Eine wissenschaftliche Untersuchung dieser Politik und möglicher habitueller Folgen steht allerdings noch aus.

Der Jahrzehnte währende Kampf um den rechtlichen Status und die Zugehörigkeit West-Berlins erlaubt es nur eingeschränkt, eine von der Quellensprache unterschiedene, nicht Partei nehmende Gegenstandsbezeichnung zu finden. Die Autorinnen und Autoren dieses Themenheftes verwenden in pragmatischer Festlegung die Bezeichnung »West-Berlin«, die sich seit 1990 weitgehend durchgesetzt hat; doch wahrt diese Schreibweise nur mühsam Distanz zum zeitgenössischen Benennungskonflikt.

Mehr analytisches Fassungsvermögen für das Phänomen der Halbstadt verspricht ein in den letzten Jahren vieldiskutierter stadtsoziologischer Zugang, der Städte als eigenständige Sinnprovinzen zu erschließen sucht und an jüngere gedächtnisgeschichtliche Ansätze anknüpft, die mit Aleida Assmann und Rolf Lindner die Bindungskraft bürgerschaftlich tradierter und baugeschichtlich fundierter Orientierungsmuster beschreiben.[26] Eine Stadt ist demzufolge zuallererst ein narrativer Raum, in den Geschichten und Mythen eingeschrieben sind. Sie wird durch medial vermittelte, von den Besuchern und Bewohnern angeeignete Bilder und Texte erlebt, die die Stadt wiederum modifizieren und reproduzieren.[27] Städte stellen somit eigene Sinnprovinzen dar, die »als tradierbarer und relationaler Sinnzusammenhang das Handeln der Individuen und Gruppen beeinflussen« und als spezifische Einheit erfahrbar und unterscheidbar sind.[28] Diese Singularität der Stadt spiegelt sich wider »in den Redeweisen von Besuchern und Bewohnern, in grafischen Bildern der Stadt, in Schriftquellen über sie (vom Roman bis zur Reisereportage), in Bauwerken und in der Stadtplanung, in Ereignissen wie Stadtfesten oder Paraden, in Gegenständen der materiellen Kultur dieser Stadt«.[29]

Wohl lässt sich auf diese Weise das historisch gewachsene Imaginäre von den konstruierten Stadtimages unterscheiden, die »interessengeleitet und unter spezifischen Bedingungen eingesetzt werden«.[30] Offen bleibt aber die Frage, ob das Kohärenzversprechen der städtischen Eigenlogik nicht gerade die konstitutive Widersprüchlichkeit des großstädtischen Verdichtungsraums aus dem Blick verliert, die das Bild West-Berlins bis heute so nachdrücklich prägt. Gewiss nicht jede Stadt ist mit einem homogenen Bild verknüpft, und schon gar nicht West-Berlin, das seinen narrativen Raum schon von Bezirk zu Bezirk unterschiedlich aufgefüllt und zu stark kontrastierenden Stereotypen verdichtet hat – Kreuzberg und Wedding tragen andere Texturen als Spandau und Zehlendorf.

Der »heroische Vorposten der Freiheit« war stets auch ein Spielball westdeutscher Kostenkalkulationen und amerikanischer politischer wie militärstrategischer Interessen, blieb immer zugleich Heldenstadt und Störenfried,[31] Kiez und Metropole. Hier entwickelte sich jene »urbane Provinzialität« und »merkwürdige Mischung aus Selbstgefälligkeit und Selbstgenügsamkeit«,[32] die sich als charakteristisches Merkmal des West-Berliner Habitus bis auf die spannungsreiche Zusammenführung von Großstädten und Kleingemeinden zu Groß-Berlin im Jahr 1920 zurückverfolgen lässt.

Nicht allein in der homogenisierenden Totalen, sondern ebenso in der Totalität ihrer kleinräumigen und vielgestaltigen Verästelung lässt sich West-Berlin als eine Sinnprovinz erschließen, in der sich erzählende Zuschreibungen und verfestigte Stadtbilder mit historischen Gegebenheiten und erfahrenen Lebensumständen verbanden. Nach 1990 wurde die Halbstadt zum Erinnerungsort, und dieser Topos mobilisiert bis heute nicht nur Bilder,[33] sondern auch Menschen. Dies bewies etwa jene Gruppe von Demonstranten, die an einem tristen Regentag im Februar 2006 mit weißen Luftballons in der Hand durch das von der dynamischen Entwicklung der »City Ost« abgehängte Kerngebiet des West-Berliner Selbstverständnisses, die »City West«, auf den Kurfürstendamm marschierte. Knapp 1.000 Berliner Bürger protestierten hier gemeinsam und angeführt von so ungleichen Repräsentanten des alten Berliner Westens wie Ilja Richter, Rolf Hochhuth und Walter Momper gegen den »Abbau West« in Form der drohenden Schließung des Theaters und der Komödie am Kurfürstendamm.[34] Als David Bowie sieben Jahre später einen Song veröffentlichte, der an die berühmte Berlin-Trilogie aus den 1970er-Jahren anknüpfte und mit einer gewissen Melancholie auf seine Schöneberger Jahre zurückblickte, frohlockte wiederum das Berliner Stadtmagazin »tip«: »West-Berlin ist zurück!«[35] Immer wieder wecken nun Publikationen verschollen geglaubte Erinnerungen an den »wilden Westen«, an die »wilden Clubs, die verranzten Gebäude, die öde Mauer, die mal hysterische, mal apathische Avantgarde in Kunst und Musik«.[36]

Cover des Stadtmagazins »tip« 3/2013
Titelseite der »B.Z.«,
29. November 2013
 
David Bowie, Where Are We Now? (2013)

Im selben Jahr gab dagegen die Berliner Tageszeitung »B.Z.« auf ihrer Titelseite in großen Lettern bekannt, dass »das alte West-Berlin« »nach einem erfüllten Leben« verschieden sei und »wir« nun in »Liebe und Dankbarkeit« Abschied zu nehmen hätten von der Polizei-Motorradsportgruppe und den Schöneberger Sängerknaben, von Wasserklops und Café Möhring. Passend dazu klagte der Kolumnist des Blattes: »Ein Symbol nach dem anderen wurde geschleift. […] Wie verkehrt ist das! Umgekehrt sollte man an die 40 Jahre erinnern, in denen die Menschen ausgeharrt haben, umgeben von einer feindlichen Macht, 28 Jahre davon hinter einer Mauer. In dieser ausweglosen Lage wurde der West-Teil der Stadt zum Symbol der Hoffnung. West-Berlin war wirklich das Schaufenster der Freiheit und wurde nicht nur so genannt.«[37] Was diese Stimme beklagt, ist der drohende Verfall eines Gedächtnisortes West-Berlin, an dem sich »etwas von dem erhalten hat, was nicht mehr ist, aber von der Erinnerung reaktiviert werden kann«.[38]

An solchen städtischen Stützen des Gedächtnisses mangelt es West-Berlin freilich nicht. Vielmehr illustriert gerade die Fülle seiner einzelnen Erinnerungszeichen, dass West-Berlin selbst keine einheitliche Gedächtnislandschaft ausgebildet hat, sondern für eine vielschichtige Erinnerungskultur steht, die auf die symbolische Aufladung der westlichen Stadthälfte im Kalten Krieg zurückgeht. Anhand der Diskussionen um die East Side Gallery[39] oder ein Museum des Kalten Krieges am Checkpoint Charlie[40] zeigt sich, dass die Berliner Gedächtnislandschaft hochgradig politisiert ist. Die Mehrzahl der materiellen Gedächtnisstützen weckt Erinnerungen an kontroverse Ereignisse der jüngsten Geschichte und »verhindert einen Konsens« über genau jene Dinge, die sie eigentlich mit hervorbringen und verkörpern sollen: eine »nationale Identität oder ein gemeinsames Ideal«.[41]

Nach 1989/90 hat sich keine Meistererzählung für die Stadt als Ganzes herausgebildet;[42] vielmehr hat das Wechselspiel von »Anwesenheit und Abwesenheit, Erinnerung und Vergessen« einen »faszinierenden Mix« geschaffen.[43] Die Mehrdeutigkeit West-Berlins zeigt sich auch in der musealen Repräsentation der städtischen Geschichte, die von einem kaum überschaubaren Nebeneinander privater und öffentlicher Initiativen geprägt ist, die sich jeweils einzelnen Aspekten der Vergangenheit widmen.[44] Berlin ist ein »Palimpsest, ein disparater Stadttext, der neugeschrieben wird, während vorangegangener Text bewahrt, Spuren wiederhergestellt, Tilgungen dokumentiert werden«. Das Ergebnis ist ein »komplexes Netz aus historischen Markierungen, die auf das fortdauernde heterogene Leben einer vitalen Stadt verweisen, die ihrer gebauten Vergangenheit so ambivalent gegenüber steht wie ihrer urbanen Zukunft«.[45]

2. Mythische Erzählungen:
West-Berlin als Frontstadt, Labor und Grenzraum

Die Verwandlung zeitgenössischer Sinnzuschreibungen West-Berlins in eine nachzeitige Gedächtnislandschaft und deren mythisierende Verdichtung sind noch unzureichend erforscht. Nicht wenige Arbeiten widmeten sich bereits dem Berlin-Bild in Literatur[46] und Film,[47] aber die gesellschaftliche Verhandlung dieser Repräsentationen und deren Einfluss auf die lokale Politik und das Stadtmarketing sind bislang kaum untersucht.[48]

Die Frontstadt der Insulaner. Seit der Blockade 1948/49 und über die folgenden Jahrzehnte hinweg figurierte West-Berlin als zur Stadt gewordene Inkarnation des politischen Freiheitswillens und der Bereitschaft zum Durchhalten als »Insel der Demokratie im roten Meer des Kommunismus«, als »Vorposten der Freiheit«.[49] Eine ikonische Verdichtung erfuhr dieses durch die amerikanische Besatzung geprägte Narrativ unter anderem in den beschwörenden Reden des einstigen Regierenden Bürgermeisters Ernst Reuter und im Luftbrücken-Denkmal. Ihren deutlichsten Ausdruck fand die Symbolwerdung West-Berlins in der Nachbildung der Liberty Bell, die 1776 – so die Legende – in Philadelphia anlässlich der Verlesung der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung geläutet wurde. Die Berliner Freiheitsglocke, die nach einer langen Reise durch die USA 1950 ihren Platz im Turm des Schöneberger Rathauses erhielt und zur Einweihung die halbe Stadt auf die Beine brachte, begleitete fortan die Zäsuren der West-Berliner Geschichte mit ihrem dumpfen Klang: die Aufbahrung von Toten des Aufstandes vom 17. Juni 1953 ebenso wie zehn Jahre später die berühmte Ansprache des US-Präsidenten John F. Kennedy und im November 1989 die Öffnung der innerstädtischen Grenzen. West-Berlin als Symbol der Freiheit verdichtete sich auch in den zahlreichen zeitgenössischen Wortprägungen, die synonym für die eingeschlossene Teilstadt standen: Frontstadt, demokratischer Vorposten, Schaufenster des Westens, Leuchtturm der Freiheit, Stachel im Fleisch des Kommunismus.

»Schöneberger Sängerknaben« unter der Freiheitsglocke, Weihnachten 1958
(Bundesarchiv, Bild B 145 Bild-P047199, Foto: Gerd Schütz)
Geläut der Freiheitsglocke im Schöneberger Rathaus

Hier kämpften die »Insulaner« schon durch die Wahl ihres Wohnortes gegen die Sowjetunion. Der Begriff geht auf eine RIAS-Kabarettsendung von Günter Neumann aus dem Blockadewinter 1948 zurück, die den »Club der Insulaner« (später nur noch »Die Insulaner«) aus der Taufe hob, deren immer wieder textlich aktualisierte Erkennungsmelodie zur inoffiziellen Hymne der Frontstadt avancierte.[50] Das »Insulanerlied« sollte das Lebensgefühl und Selbstbild der Ausharrenden spiegeln, gekennzeichnet durch einen trotzigen Antikommunismus, einen gewissen Stolz auf die international anerkannte Freiheitsliebe und den ebenfalls zum Mythos gewordenen Berliner Humor. Erfahrungsraum und Erwartungshorizont der Insulaner waren von der Hochphase des Kalten Krieges zwischen 1948 und 1963 bestimmt. Sie deuteten die alliierten Besatzungstruppen als »Schutzmächte« und sahen sich selbst als Unikat zwischen »Zone« und »Westdeutschland«. Am prägnantesten charakterisierte der Soziologe und Krimi-Autor Horst Bosetzky die Identität des Frontstadt-Berliners: »WIR waren nach dem Zweiten Weltkrieg zur entscheidenden Kraft der Weltgeschichte geworden, und die Völker der Welt schauten auf uns. WIR waren das Schaufenster der freien Welt, WIR trotzten dem kommunistischen Osten. Weder mit seiner Blockade noch mit seiner Einmauerung konnte er uns Inselkinder in die Knie zwingen. WIR haben unsere Heiligsprechung durch John F. Kennedy erfahren […]. WIR waren etwas Einmaliges, Helden allesamt.«[51] Die Insulaner gaben diese Weltsicht an die »Generation West-Berlin« weiter, jene nach 1961 in der Stadt Geborenen, denen sämtliche zur Frontstadt gehörigen Mythen und Kuriositäten zwar vertraut waren, für sie jedoch schlicht Normalität und Alltag bedeuteten.[52]

»Der Insulaner hofft unbeirrt, dass seine Insel wieder schönes Festland wird« - »Insulanerlied« in der Fassung vom Dezember 1948

Im Laufe der Jahre und besonders im Kontext der Entspannungspolitik verlor die symbolische Aufladung West-Berlins zunehmend ihre Aussagekraft und machte divergierenden Begriffsbesetzungen Platz, die sich generationell wie milieubestimmt ausdifferenzierten. Das Bild der Halbstadt erfuhr immer häufiger negative Konnotationen; die Teilstadt wurde mehr und mehr zum Symbol des Stillstands und des Verfalls. Nicht nur die Agitation des SED-Regimes deutete West-Berlin als Frontstadt der Reaktion, als Inbegriff des politischen Rückstands und historisch obsoleten Fremdkörper.[53] Auch für die rheinisch gefärbte Bundespolitik präsentierte sich West-Berlin nach dem Abflauen der existenzbedrohenden Berlin-Krisen immer sichtbarer als skandalgeschütteltes Subventionsgrab und ungeliebter Hemmschuh. Nicht erst in den 1960er-Jahren kamen Überlegungen auf, den Problemfall West-Berlin durch Umzug in die Lüneburger Heide aus der Welt zu schaffen; schon Adenauer quittierte das Drängen Reuters auf stärkere Unterstützung in der Wiedervereinigungspolitik im Herbst 1949 mit der ungerührten Feststellung, er habe zuerst die Aufgabe, »die Duisburg-Meidericher Hütte vor der Demontage zu schützen«.[54]

»Vorbild oder Fossil?«[55] – dieser Bilderstreit beherrschte seit Ende der 1960er-Jahre die zeitgenössische Sicht auf West-Berlin jenseits der politischen Besuchsrituale. Auf der einen Seite ließ sich die Halbstadt mit ihren ehrgeizigen Neubauprojekten von der Ernst-Reuter-Siedlung und dem Hansaviertel bis zur Internationalen Bauausstellung (IBA) 1984/87 als Leuchtturm und Schaufenster inszenieren; auf der anderen Seite konnten Besucher und Bewohner West-Berlin bereits unmittelbar nach 1945 als »Insel des Posthistoire« erleben, als eine »Inselpolis«, die das Gefühl vermittelte, aus der Weltgeschichte entlassen zu sein.[56] »Auf dem Bahnhof Yorckstraße ist die Uhr Ende der vierziger Jahre stehen geblieben«, registrierte Peter O. Chotjewitz in einem 1966 veröffentlichten Gedicht.[57]

Die Kluft zwischen der Erfahrungsgemeinschaft der »Blockade- und Mauerbau-Berliner« und einer neuen, »meist nicht aus West-Berlin stammende[n] Generation [...], der die alte West-Berliner Mentalität herzlich fremd war«,[58] öffnete sich im Zuge der Studentenbewegung, die gegen den Frontstadthabitus ihrer Elterngeneration revoltierte und so eine anhaltende Auseinandersetzung um das Selbstverständnis der Halbstadt eröffnete. Je stärker die Stadt der Kriegskinder während des abflauenden Kalten Krieges in den 1970er- und 1980er-Jahren mit dem Verblassen des heroischen West-Berlin-Bildes konfrontiert wurde,[59] desto härter wurde der Deutungskampf um die städtische Identität – ausgetragen zwischen jenen, die »von der Geschichte der Stadt in Bann gezogen wurden, und denen, die diese Behauptungen brechen wollten«.[60]

Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) hatte jene Stadtbürger, die in der Nacht zum 2. Mai 1987 in Kreuzberg randaliert und Schäden in zweistelliger Millionenhöhe verursacht hatten, als »Anti-Berliner« bezeichnet. Ironisch errichteten kreative Demonstranten daraufhin am 17. Juni des Jahres aus Pappmaché einen »Anti-Kreuzberger Schutzwall«.
(Umbruch Bildarchiv)

Demgegenüber versuchte die städtische Imagepolitik West-Berlin als Avantgarde, Modell, Vorbild auch für Westdeutschland zu inszenieren. Simone Derix hat anhand der nach West-Berlin geladenen Staatsbesuche der Bundesrepublik gezeigt, wie unterschiedlich die Stadthälfte zeitgenössisch präsentiert wurde: als »mit den USA verbundene Stadt«, als moderne und »bedeutende Industriestadt«, als Mahnmal der deutschen Teilung, als »Schauplatz für die Unmenschlichkeit des gesellschaftlichen Konkurrenzsystems im Osten«, als Anschauungsobjekt im Sinne einer »Deutschstunde«.[61]

Heute hebt das Insulaner-Gedächtnis einerseits das Leiden an der Teilung und die Moral der Inselbewohner hervor, die in ihrer bedrohten Stadt tapfer ausgeharrt hätten;[62] andererseits unterstreicht es die Freiheit der Abgeschiedenheit in der Enklave, in der die »konservativen Pfaueninseln, die von den letzten preußischen Siedlern der Stadt bewirtschaftet wurden«, friedlich mit »den vielen kleinen alternativen linken Theorie-Inseln im Schatten der Mauer« koexistierten.[63]

Das Labor der Wilden. Stadtimages sind »kulturelle Konstrukte, die meist interessengeleitet und unter spezifischen Bedingungen eingesetzt« sowie als »Deutungsangebote und -konkurrenzen« gesellschaftlich ausgehandelt werden.[64] Zu politischen Mythen mit integrativer Erklärungskraft für die sie tragenden Erzählgemeinschaften formten sich daher nach 1989/90 sehr unterschiedliche Berlin-Bilder. Nicht zuletzt auch generationell bedingt, dominiert im Gegenwartsdiskurs der heterotopische Mythos eines West-Berlin genannten Niemandslandes zwischen Labor und Hexenküche. Wolfgang Kaschuba beschreibt die eingemauerte Stadt in diesem Heft rückblickend als »den wärmenden Iglu in der Polarzone« – ein zum Mythos verdichtetes Lebensgefühl.

Dieses West-Berlin erscheint dem heutigen Betrachter weniger fremd, da es mit den Erfahrungen in der Gegenwart leicht in Einklang zu bringen ist und scheinbar die Vorgeschichte liefert zu Berlins Image als aufregender und bunter Spreemetropole, die »arm, aber sexy« sei. Leicht lässt sich eine Kontinuität konstruieren, die die von den Westalliierten 1949 infolge der Blockade aufgehobene Sperrstunde[65] mit den Öffnungszeiten des Technoclubs Berghain in Verbindung setzt, ohne den Grund für die Besonderheit mitdenken zu müssen.

Dieser Mythos entsprach in den Jahren vor 1989 dem Selbstverständnis eines abgeschotteten politisch-kulturellen Milieus, das später den Mauerfall als bedeutungsloses oder gar bedrohliches Ereignis wahrnahm und in den 1990er-Jahren nicht ohne Stolz darauf beharrte, nie einen Fuß in den ehemaligen Ostsektor zu setzen. Diesem Kreuzberger Lebensgefühl der 1980er-Jahre gab rückblickend Sven Regener in seinem dann von Leander Haußmann verfilmten Berlin-Roman »Herr Lehmann« Ausdruck. Am 9. November 1989 feiert der Protagonist in einer Kneipe seinen 30. Geburtstag. Auf die Nachricht, dass wenige hundert Meter weiter gerade Weltgeschichte geschrieben werde, erwidert er unbeeindruckt: »Erst mal austrinken.«

Sequenz aus dem Spielfilm »Herr Lehmann« (2003)

Die Metropole der Grenzgänger. Dem Narrativ des Niemandslandes direkt entgegengesetzt entwickelte sich der Mythos West-Berlins als geheimnisvolle Stadt der Grenzgänger, die an der nie ganz geschlossenen Nahtstelle zweier scharf unterschiedener Gesellschaftssysteme Begegnungen und Verbindungen ermöglichte, die in »Westdeutschland« undenkbar waren. Hier wechselten die unterschiedlichsten Personen und Gruppen zwischen den Welten hin und her: Agenten, Mauerspringer, West-Berliner mit Ost-Verwandtschaft, alliierte Soldaten und Diplomaten. Friedensbewegte Aktivisten aus Kreuzberg trafen auf Gleichgesinnte im Prenzlauer Berg, und DDR-Rentner warteten im »Tränenpalast« geduldig auf ihre Ausreise.

Der im Herbst 1967 von Frankfurt am Main nach Berlin umgezogene Student der Philosophie und Literaturwissenschaft Wolfgang Schivelbusch beschrieb die ihn auch wissenschaftlich prägende Grunderfahrung aus dem Abstand von 40 Jahren so: »Ich fand es im damaligen Berlin immer spannend, sich durch das Überqueren der Sektorengrenze in die Gegenwelt des Westens begeben zu können. Das hat mich gefesselt. Das ist ja auch im Sinne jeder Komparatistik – zwei Plattformen oder Standbeine zu haben.«[66] Schivelbusch, der Recherchen zu seiner Doktorarbeit ebenso im Dahlemer FU-Seminar von Peter Szondi betrieb wie in Peter Hacksʼ »Wohnung in der Schönhauser Allee mit dem feinen Porzellan«,[67] erlebte die Teilung Berlins als aufregende Doppelung. Ebenso tat es Heinz Dieter Kittsteiner, der schon bei seiner Ankunft aus Tübingen zum Wintersemester 1965/66 am Bahnhof Zoo auf ihm selbst unerklärliche Weise »wie angenagelt sitzen [blieb] und wartete, was noch kommen sollte«. Es kamen zeitraubende Unannehmlichkeiten,[68] die Kittsteiner allerdings keineswegs davon abhielten, auch später seinen Berliner Standortvorteil zu nutzen, um kurzerhand für ein Walter Benjamin gewidmetes Heft der Zeitschrift »alternative« »Einblick in den Benjamin-Nachlaß in Potsdam« zu nehmen oder in der Ost-Berliner Humboldt-Universität die Sprechstunde des DDR-Philosophen Wolfgang Heise aufzusuchen.[69] Karl Schlögel beschrieb die Grenzgänger als Vertreter einer »Generation Marienborn«, deren von Transitstrecke und Grenzübergängen geprägte Erfahrung heute kaum noch zu vermitteln sei: »Grenzüberschreitung und Grenzkontrolle, Schleuse und rite de passage, ein spezifischer Geruch aus Kohlenstaub und Desinfektionsmitteln,Konzentrationund Beängstigung für einen Moment, Eintritt in einen Korridor, dessen Ende man kaum ohne innere Anspannung erreichte, Rendezvous des Alltags mit der Welt der großen Politikund der Weltgeschichte.«[70]

Besonders zu Beginn der West-Berliner Schulferien und zu Feiertagen – hier im März 1975, vor Ostern – bildete sich unter anderem am Kontrollpunkt Dreilinden/Drewitz regelmäßig ein langer Stau. Dies zählte zu den zentralen Erfahrungen der »Generation Marienborn« (Karl Schlögel).
(Landesarchiv Berlin, Foto: N.N., F Rep. 290 [02], Nr. 0179911)

So exklusiv und unverbunden diese drei mythischen Erzählungen auf den ersten Blick erscheinen, so eng sind sie bei näherer Betrachtung miteinander verwoben. Die mit dem Insulaner verbundenen Konnotationen changieren zwischen Alt und Jung, zwischen Links und Rechts, zwischen Untergangsstimmung und Aufbruchshoffnung; aber sie treffen sich in dem Lebensgefühl der »prekären Bleibe«,[71] das dem Narrativ des Insulaners seine Schlagkraft verlieh, weil es einen Lebensumstand bezeichnete, der West-Berlin von anderen metropolitanen Verdichtungsräumen signifikant abhob. Mehr noch: Das Beharren auf der Besonderheit vereint alle mythischen Verdichtungen des Topos West-Berlin. Allesamt verstehen sie den Ausnahmezustand als Normalität – die einen die nächtlichen Exzesse, die anderen die geopolitische Unsicherheit.

Surreale Idylle in der Neuköllner Schrebergarten-Kolonie »Freiheit«, die von ihrem Ost-Berliner Pendant namens »Mississippi« durch die Mauer getrennt war. Immer wieder erhielten die Kleingärtner Besuch durch patrouillierende NVA- und US-Soldaten. Siehe auch Torsten Hilscher, Schrebergärtners verlorene Ruhe, in: Freitag, 8.10.2009.
(Foto: Harald Thierlein, 1986)

Ob Niemandsland oder Insel, ob »Wilder« oder »Insulaner«: Die letzten zwei Dekaden West-Berlins werden als Idylle im Schatten der Mauer erinnert, ein »Paradies zwischen den Fronten«,[72] eine Stadt mit »morbide[m] Flair«, »die seit den Zeiten des kalten Krieges im Ausnahmezustand gelebt und sich gemütlich darin eingerichtet hatte«.[73]

3. Weiterführende analytische Perspektiven:
Verzeitlichung, Verflechtung, »drittes Deutschland«

Das Narrativ der historischen Besonderheit würde sich freilich selbst unter Mythisierungsverdacht stellen, wenn es seinen Gegenstand West-Berlin nicht zugleich auch verzeitlichen und in Bezug zur ost- und westdeutschen Entwicklung setzen würde. Obwohl zahlreiche wissenschaftliche Studien den Mauerbau als Ausgangs- oder Endpunkt ihrer Erzählung wählen,[74] haben andere Autoren auf eine für die städtische Selbstverortung wichtigere Zäsur hingewiesen: Die Schwächung des Weltbildes des Kalten Krieges im Laufe der 1960er-Jahre ließ die Halbstadt von »Amerikas Berlin« zu einem »deutschen Berlin« werden, aus dem »Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit« rücken und zu einem bloßen »Zitat im ritualisierten Gedenken« verkommen.[75] Das Vier-Mächte-Abkommen sorgte schließlich Anfang der 1970er-Jahre dafür, dass nicht mehr »das Berlin-Problem«, sondern »die Probleme Berlins« die lokale Politik bestimmten.[76] Es markierte den »Versuch, einen Anschein von Normalität in einer abnormalen Situation zu erwecken«, und vollendete den Prozess der »Entmythologisierung« der Halbstadt: »Nie zuvor war ihre Existenz so gut gesichert, aber der Sinn dieser Existenz wurde fragwürdig.«[77]

Doch wieder zeigt sich, wie wenig in der Betrachtung West-Berlins Fakten und Vorstellungen voneinander geschieden werden können. Auch die angestrebte Normalisierung West-Berlins ist keine unbelastete Beschreibungskategorie, sondern zuallererst eine viel genutzte Facette im Berliner Bilderstreit. Immer wieder versuchte der Senat, West-Berlin als normale Großstadt zu präsentieren – nicht zuletzt, um auf diese Weise dem Bevölkerungsschwund und der wirtschaftlichen Deindustrialisierung entgegenzuwirken. So zeigt Knut Hickethier in seinem Beitrag für dieses Heft anhand von in West-Berlin spielenden Fernsehserien, wie die Mauer aus den filmischen Repräsentationen verschwand und all jene Faktoren, die die Stadt besonders machten, eher in den Hintergrund traten. Entsprechend diskutiert Christiane Reinecke in ihrem Aufsatz die Besonderheit West-Berlins als Verdichtungsraum eines städtebaulichen Diskurses, der in den Auseinandersetzungen um das Märkische Viertel die zeithistorische Abwendung vom Fortschrittsglauben in anderswo so nicht gekannter Schärfe manifestiert.

Eine weitere analytische Herausforderung bildet die Beziehung der beiden Stadthälften zueinander. Dass sich eine Geschichte West-Berlins nicht schreiben lässt, ohne die asymmetrische Beziehung zwischen Ost- und West-Berlin in Rechnung zu stellen, ist im stadtgeschichtlichen Rahmen noch unabweisbarer als in der Abgrenzungs- und Beziehungsgeschichte der beiden deutschen Staaten. Die Besonderheit West-Berlins lässt sich nicht erfassen ohne den Blick auf die oft behauptete, von der DDR stets beanspruchte und doch nie erreichte Undurchdringlichkeit der innerstädtischen Grenze, auf die hüben und drüben postulierte Schaufensterfunktion und die wechselseitige Delegitimierung als unzeitgemäßes Überbleibsel des Kalten Krieges.[78]

Im geteilten Berlin sendeten beide Seiten politische Botschaften an die Menschen auf der jeweils anderen Seite der Mauer. Das »Studio am Stacheldraht« war Teil des von 1961 bis 1965 dauernden Lautsprecherkrieges, den der Westen schließlich mit Hilfe einer 5000-Watt-Anlage gewann.
(Landesarchiv Berlin, Willa, Johann, F Rep. 290 [02], Nr. 0107624)
»Hier beginnt die Freiheit« – so plakatierte es auch die Ostseite, in diesem Fall am Übergang Checkpoint Charlie (1960er-Jahre).
(bpk/Klaus Lehnartz)
 

Die innerstädtische Spaltung, die West-Berlin erst konstituierte, stellte immer auch eine innerstädtische Spiegelung dar, die in West-Berlin die paramilitärische Aufrüstung der Freiwilligen Polizeireserve ebenso prägte wie den Charakter der vom Berliner Senat organisierten Demonstrationen gegen die Studentenbewegung. Kulturelle Spaltung und kulturelle Bezugnahme stellten immer zwei Seiten derselben Stadtmedaille dar, wie der Berliner »Sängerkrieg« der frühen 1950er-Jahre um die von der West-Berliner Politik so hinhaltend wie vergeblich attackierten Auftritte von Musikern und Opernkünstlers aus dem Westteil auf den Bühnen des sowjetischen Sektors[79] ebenso belegt wie die Wechselwirkung zwischen Ost-Berliner Preußen-Renaissance und West-Berliner Preußen-Ausstellung.

War West-Berlin also ein »drittes Deutschland«? Das vorliegende Themenheft fragt auch nach der analytischen Tragfähigkeit eines Ansatzes, der West-Berlin als eigenen Erfahrungsraum zwischen Ost und West zu fassen versucht. Kann in kultur- und gesellschaftsgeschichtlicher Perspektive bestätigt werden, was aus der Sicht vieler politisch Handelnder als ausgemacht galt, dass nämlich West-Berlin eine »Stadt zwischen zwei Welten« bildete,[80] ein »Gemeinwesen der besonderen Art« (Klaus Schütz), das nur staatsrechtlich, aber nicht mental Teil der Bundesrepublik war[81] und das zwischen dem rheinisch dominierten Westdeutschland und dem kommunistisch beherrschten Ostdeutschland eine Sonderrolle einnahm?

Der Kalte Krieg prägte nicht nur die politische Kultur der Halbstadt: Bodo Mrozek zeigt, wie infolge »der Ideologisierung aufgrund der besonderen Frontstellung im Kalten Krieg, der Internationalisierung durch die Westalliierten sowie der subkulturellen Radikalisierung« eine einzigartige »Popscape West-Berlin« entstand, die als »›dritter Zustand‹ der deutschen Zeitgeschichte nach 1945« erforschenswert ist. Andreas Ludwig diskutiert, ob es eine spezifische materielle Kultur West-Berlins gab, und findet neben Alltagsobjekten, die als »typisch« gelten können, ganz eigene Routinen und ein spezifisches »Stadtwissen«. Während Knut Hickethier und Christiane Reinecke in ihren schon erwähnten Beiträgen verfolgen, wie West-Berlin zunehmend als westdeutsche Großstadt inszeniert und diskutiert wurde, betont Andrej Holm, dass West-Berlin zeitgleich zum »Labor des stadtpolitischen Protestes und Experimentierfeld einer anderen Stadtpolitik« sowie zum »Synonym für eine Stadtentwicklung jenseits des Mainstreams« wurde. Diese »Chancen auf Freiräume« machten den Ort laut Wolfgang Kaschuba auch wieder zum Sonderfall, da »in dieser Frontstadt alles integriert werden musste, was irgendwie da war. Da konnte man niemanden ausgrenzen, verdrängen, weil es außen keinen Raum gab.«

Diese verschiedenen Antworten auf die Frage nach der historiographischen Einordnung West-Berlins verdeutlichen die Notwendigkeit und das Potential weiterer Arbeiten zum Thema. Selbst besonders charakteristische Merkmale harren noch gänzlich der Erforschung: So fehlt, trotz der berühmten Erzählungen vom »Schaufenster« und »Subventionsloch«, bis heute eine Wirtschaftsgeschichte der Teilstadt, und auch die inflationären Klagen über städtische »Problembezirke« und »Zuzügler« haben noch keine Geschichte der Migration nach West-Berlin hervorgebracht. Aus der Perspektive der Cold War Studies wäre zudem eine Mikrogeschichte des Konflikts sinnvoll, um »die vertrackten, mehrdeutigen Zusammenhänge zwischen Ort, Politik und der symbolischen Konstruktion und Repräsentation jener Mächte zu verstehen, die halfen, den Kalten Krieg als Konflikt zu konstituieren«.[82] Die städtische Teilung war kein Naturgesetz, sie wurde ständig neu verhandelt und gedeutet,[83] wie Krijn Thijs in diesem Heft zeigt. Er arbeitet auch heraus, dass 1989/90 keine vermeintliche zweite »Stunde Null« darstellte. West-Berlin als ummauertes Gebilde existierte danach zwar nicht mehr, aber personelle, materielle wie ideelle Kontinuitäten sind bis heute feststellbar, und in vielerlei Hinsicht bildet das West-Berlin der Teilungszeit, wie Andrej Holm ebenfalls betont, die Vorgeschichte zu aktuellen Phänomenen.[84]

In letzter Zeit kann man häufiger vom schleichenden »Comeback« West-Berlins lesen. Die ab November 2014 im Stadtmuseum Berlin gezeigte Ausstellung »West:Berlin« unterstreicht jedoch, dass die medialen Deutungen aktueller Entwicklungen rund um den Kurfürstendamm eher einen Mythos wiederbeleben, der mit genügend zeitlichem Abstand nun zum einen ins Museum gehört und zum anderen der kritischen Historisierung bedarf.[85]

Anmerkungen:

[1] Susanne Kippenberger, Martin Kippenberger – der Künstler und seine Familien, in: Gabriela Wachter/Detlef Holland-Moritz (Hg.), war jewesen. West-Berlin 1961–1989, Berlin 2009, S. 239-246, hier S. 240.

[2] Exemplarisch: Keith R. Allen, Befragung – Überprüfung – Kontrolle. Die Aufnahme von DDR-Flüchtlingen in West-Berlin bis 1961, Berlin 2013; Michael Lemke, Vor der Mauer. Berlin in der Ost-West-Konkurrenz 1948–1961, Köln 2011; Melanie Arndt, Gesundheitspolitik im geteilten Berlin 1945–1961, Köln 2009; Malte Zierenberg, Stadt der Schieber. Der Berliner Schwarzmarkt 1939–1950, Göttingen 2008; Burghard Ciesla, Als der Osten durch den Westen fuhr. Die Geschichte der Deutschen Reichsbahn in Westberlin, Köln 2006; Daniel Schwane, Wider den Zeitgeist? Konflikt und Deeskalation in West-Berlin 1949 bis 1965, Stuttgart 2005.

[3] Vgl. etwa Emily Pugh, Architecture, Politics, & Identity in Divided Berlin, Pittsburgh 2014; Stephanie Warnke, Stein gegen Stein. Architektur und Medien im geteilten Berlin 1950–1970, Frankfurt a.M. 2009; Dirk Rotenberg, Berliner Demokratie zwischen Existenzsicherung und Machtwechsel. Die Transformation der Berlin-Problematik 1971–1981, Berlin 1995.

[4] Wilfried Rott, Die Insel. Eine Geschichte West-Berlins, München 2009; Wolfgang Ribbe, Geschichte Berlins 1945–2000. Grundzüge der Stadtgeschichte, Berlin 2002.

[5] Zu Berlin nach 1989/90: Martina Löw, Soziologie der Städte, Frankfurt a.M. 2008, S. 187-230; Alexa Färber, Constructing Successful Images of Failure: Urban Imagineering in Berlin After 1989, in: Alejandro Cerda García u.a. (Hg.), Metropolis Desbordadas. Poder, Culturas y Memoria en el Espacio Urbano, Mexiko-Stadt 2011, S. 303-341.

[6] Vgl. z.B. Bernd Greiner/Christian Th. Müller/Dierk Walter (Hg.), Krisen im Kalten Krieg, Hamburg 2008.

[7] Konrad H. Jarausch spricht von einigen Großstädten (Die Umkehr. Deutsche Wandlungen 1945–1995, München 2004, S. 204-242). Norbert Frei (1968. Jugendrevolte und globaler Protest, München 2008, S. 98ff.) benennt zwar mehrfach den Ort des Geschehens, fragt jedoch nicht, warum es eben jene Stadt war und keine andere. Selbst Götz Aly, der ausführlich die »Machtergreifungspläne« von Rudi Dutschke und anderen für ein freies West-Berlin zitiert, erörtert den Ort und die Projektionsfläche der Utopie nicht (Unser Kampf. 1968 – ein irritierter Blick zurück, Frankfurt a.M. 2008, S. 89ff.).

[8] Exemplarisch: Wolfgang Müller, Subkultur West-Berlin 1979–1989, Hamburg 2013; Wachter/Holland-Moritz, war jewesen (Anm. 1); Claus Christian Malzahn, Über Mauern. Warum das Leben im Schatten des Schutzwalls eine sonnige Sache war, Berlin 2009; Rudolf Lorenzen, Paradies zwischen den Fronten. Reportagen und Glossen aus Berlin (West), Berlin 2009; Kerstin Schilling, Insel der Glücklichen. Die Generation West-Berlin, Berlin 2004; Jürgen Scheunemann/Gabriela Seidel, Was war los in West-Berlin 1950–2000, Erfurt 2002; Olaf Leitner, West-Berlin! Westberlin! Berlin (West)! Die Kultur, die Szene, die Politik. Erinnerungen an eine Teilstadt der 70er und 80er Jahre, Berlin 2002.

[9] Uwe Johnson, Zwei Ansichten; Peter Schneider, Der Mauerspringer; Bodo Morshäuser, Die Berliner Simulation; Len Deighton, Finale Berlin, alle Berlin 2007.

[10] Vgl. Verfassung von Berlin vom 1. September 1950, Art. 1, Abs. 2 und 3: »2. Berlin ist ein Land der Bundesrepublik Deutschland. 3. Grundgesetz und Gesetze der Bundesrepublik Deutschland sind für Berlin bindend.« Artikel 87 der Berliner Verfassung schränkte dies jedoch ein: Beide Artikel würden erst in Kraft treten, wenn das Grundgesetz in Berlin keinen Beschränkungen mehr unterliegen werde. Abgedruckt in: Udo Wetzlaugk, Alliierte in Berlin, Berlin (West) 1988, Dokument 16, S. 339ff.

[11] Vgl. Dieter Schröder (Hg.), Das geltende Besatzungsrecht, Berlin 1990, S. 18f.

[12] Vgl. Erklärung des Informationsbüros der Sowjetischen Militärverwaltung in Deutschland (SMAD) vom 10. Februar 1949 zur Einbeziehung Berlins in den Entwurf des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, in: Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V., Bonn, in Zusammenarbeit mit dem Berliner Senat (Hg.), Dokumente zur Berlin-Frage 1944–1962, München 1962, S. 112; Memorandum der Militärgouverneure der drei Westmächte vom 2. März 1949 zum Entwurf der Grundgesetze der Bundesrepublik Deutschland (Auszug), in: ebd., S. 112.

[13] Vgl. Schröder, Das geltende Besatzungsrecht (Anm. 11), S. 36f.

[14] Zunächst musste das Abgeordnetenhaus über sie abstimmen, damit sie dann in Form von Berliner Gesetzen verabschiedet werden konnten. Ab 1951 galt eine Regelung, welche die Übernahme mehrerer Bundesgesetze in Form eines Mantelgesetzes gestattete bzw. sie seitens der Bundesrepublik ab 1952 auch für Berlin vorschrieb. Drei Jahre später wurde durch die Bundesregierung die so genannte Berlinklausel eingeführt, welche den Bundesgesetzen angehängt wurde, damit diese dann, wenn sie nicht im Widerspruch zum Viermächte-Status standen, in West-Berlin binnen eines Monats übernommen werden konnten. Vgl. Wetzlaugk, Alliierte in Berlin (Anm. 10), S. 169ff.; Albrecht Randelzhofer, Staats- und völkerrechtliche Lage Berlins in unserer Zeit, in: Friedrich Ebel/ders. (Hg.), Rechtsentwicklungen in Berlin. Acht Vorträge, gehalten anläßlich der 750-Jahrfeier Berlins, Berlin (West) 1988, S. 219-246.

[15] Vgl. Ernst R. Zivier, Verfassung und Verwaltung von Berlin, Berlin 1990, S. 44.

[16] Vgl. ebd., S. 40; Wetzlaugk, Alliierte in Berlin (Anm. 10), S. 193.

[17] U-Bahn zu 98,4 Prozent wieder instand. Ab heute Pankow-Ruhleben ohne Umsteigen – Verkehrslücke geschlossen, in: Berliner Zeitung, 15.9.1946.

[18] Die Fußballer schossen wieder Tore. Lichtenberg-Nord, Oslo und Stadtmitte in Abstiegsgefahr, in: Berliner Zeitung, 21.1.1947.

[19] Die Blockade ist nicht an allem schuld. Manches könnte trotzdem anders sein, in: Der Abend, 11.2.1949.

[20] Routine, in: Spiegel, 24.1.1948, S. 1.

[21] Vorläufig eins zu eins, in: Spiegel, 26.6.1948, S. 3f.

[22] »Berlin ist die Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik und Westberlin ein besonderes Gebiet, das durch das Vierseitige Abkommen vom 3. September 1971 Zukunftschancen erhalten hat.« Neues Deutschland, 12.5.1977; vgl. Gerd Langguth, Der Status Berlins aus Sicht der DDR. Eine kritische Bestandsaufnahme, in: Eberhard Diepgen (Hg.), Berlinpolitik. Rechtsgrundlagen, Risiken, Chancen, Berlin (West) 1989, S. 121-161.

[23] Neues Deutschland, 18.4.1986; zit. nach Langguth, Der Status Berlins (Anm. 22), S. 131f.

[24] Vgl. Olaf Hillenbrand/Christian Matern, Berlin, in: Werner Weidenfeld/Karl-Rudolf Korte (Hg.), Handbuch zur deutschen Einheit, Bonn 1993, S. 39-55.

[25] Vgl. Harald Engler, Wirtschaftliche Systemkonkurrenz im Verflechtungsraum Berlin-Brandenburg während des Kalten Krieges 1945–1961. Fragestellungen und Forschungsperspektiven, in: Michael Lemke (Hg.), Schaufenster der Systemkonkurrenz. Die Region Berlin-Brandenburg im Kalten Krieg, Köln 2006, S. 129-144, hier S. 139.

[26] »Selbst wenn Orten kein immanentes Gedächtnis innewohnt, so sind sie doch für die Konstruktion kultureller Erinnerungsräume von hervorragender Bedeutung.« Aleida Assmann, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 1999, S. 298.

[27] Vgl. Rolf Lindner, Offenheit – Vielfalt – Gestalt. Die Stadt als kultureller Raum, in: Friedrich Jäger/Jörn Rüsen (Hg.), Handbuch der Kulturwissenschaften, Bd. 3: Themen und Tendenzen, Stuttgart 2004, S. 385-398.

[28] Löw, Soziologie der Städte (Anm. 5), S. 66. Löw bezeichnet dies als die Eigenlogik einer Stadt: »Eigenlogik der Stadt bzw. städtische Eigenlogik ist insofern der Begriff für ein komplexes Ensemble an Wissensbeständen und Ausdrucksformen, die in einem inneren Zusammenhang stehen und auf regelgeleiteten, routinisierten und über Ressourcen stabilisierten Handlungsformen basieren und Städte zu Sinnprovinzen verdichten.« Ebd., S. 110.

[29] Ebd., S. 77.

[30] Thomas Biskup/Marc Schalenberg, Die Vermarktung Berlins in Gegenwart und Geschichte, in: dies. (Hg.), Selling Berlin. Imagebildung und Stadtmarketing von der preußischen Residenz bis zur Bundeshauptstadt, Stuttgart 2008, S. 9-21, hier S. 19.

[31] Rott, Die Insel (Anm. 4), S. 59.

[32] Ebd., S. 116, S. 72.

[33] Zur derzeitigen Konjunktur von Fotobüchern mit West-Berlin-Motiven siehe den Beitrag von Hanno Hochmuth in diesem Heft.

[34] Vgl. Markus Deggerich/Joachim Kronsbein/Matthias Matussek, Die ewige Frontstadt, in: Spiegel, 25.2.2006, S. 156ff.; Isabell Jürgens, Promi-Demonstration durch Berlin, in: Welt, 17.2.2006. Zum analogen Protest gegen die Schließung des Schiller-Theaters schon 1992 vgl. Rott, Die Insel (Anm. 4), S. 358.

[35] West-Berlin ist zurück, in: tip Berlin 3/2013, Titelseite.

[36] Hagen Liebing, Das war der wilde Westen, in: ebd., S. 25f.

[37] Gunnar Schupelius, War dafür wirklich kein Platz mehr in unserem neuen Berlin?, in: B.Z., 29.11.2013, S. 1, S. 4f.

[38] Assmann, Erinnerungsräume (Anm. 26), S. 309.

[39] Vgl. etwa die Website der »Künstlerinitiative East Side Gallery e.V.«: <http://www.eastsidegallery-berlin.de> oder die Website des Bündnisses »East Side Gallery retten«: <http://www.eastsidegalleryretten.wordpress.com>.

[40] Siehe den Beitrag von Jula Danylow in diesem Heft.

[41] Brian Ladd, The Ghosts of Berlin. Confronting German History in the Urban Landscape, Chicago 1997, S. 11.

[42] »Die Besonderheit Berlins besteht darin, dass eine Vielzahl von Gegenständen, Orten und Handlungen symbolisch aufgeladen sind und nicht nur jeweils ›auf etwas anderes‹ verweisen, sondern miteinander in einem komplexen Verweisungsverhältnis stehen, das wiederum abstrakt als das Symbol Berlin betrachtet werden kann.« Simone Derix, Der Symbolkomplex Berlin. Berlin-Diskurs und Berlin-Praktiken nach 1945, in: Michael C. Bienert/Uwe Schaper/Hermann Wentker (Hg.), Hauptstadtanspruch und symbolische Politik, Berlin 2012, S. 183-220, Zitat S. 184f.

[43] Andreas Huyssen, Present Pasts. Urban Palimpsests and the Politics of Memory, Stanford 2003, S. 79.

[44] Vgl. Sybille Frank, Der Mauer um die Wette gedenken, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 61 (2011), H. 31-34, S. 47-54.

[45] Huyssen, Present Pasts (Anm. 43), S. 81. Siehe auch Godela Weiss-Sussex, Berlin: Myth and Memorialization, in: dies./Katia Pizzi (Hg.), The Cultural Identities of European Cities, Bern 2011, S. 145-164; Janet Ward, Post-Wall Berlin. Borders, Space and Identity, New York 2011.

[46] Susanne Ledanff, Hauptstadtphantasien. Berliner Stadtlektüren in der Gegenwartsliteratur 1989–2008, Bielefeld 2009; Katharina Gerstenberger, Writing the New Berlin. The German Capital in Post-Wall Literature, Rochester 2008; Matthias Bauer (Hg.), Berlin. Medien- und Kulturgeschichte einer Hauptstadt im 20. Jahrhundert, Tübingen 2007; Matthias Harder/Almut Hiller (Hg.), »Weltfabrik Berlin«, Eine Metropole als Sujet der Literatur. Studien zu Literatur und Landeskunde, Würzburg 2006; Ralf Kiesler, Literarische Wahrnehmungen und Beschreibungen Berlins. Eine linguistisch-pragmatische und interkulturell-hermeneutische Untersuchung, München 2003; Erhard Schütz/Jörg Döring (Hg.), Text der Stadt – Reden von Berlin. Literatur und Metropole seit 1989, Berlin 1999.

[47] Hellmut Fröhlich, Das neue Bild der Stadt. Filmische Stadtbilder und alltägliche Raumvorstellungen im Dialog, Stuttgart 2007; Matthias Bauer, »das Gesicht, das ich enträtseln möchte«. Berlin im Spiegel der Film- und Kinogeschichte, in: ders., Berlin (Anm. 46), S. 225-280; Marcus Sticlegger, Mauerstadt – Berlin als Spiegel der gebrochenen Seele im Kino der achtziger Jahre, in: ebd., S. 281-292; Barbara Mennel, Political Ostalgia and Local Memory: The Kreuzberg of the 1980s in Contemporary German Film, in: Germanic Review 82 (2007), S. 54-78; Ralph Stern, The Big Lift (1950): Image and Identity in Blockaded Berlin, in: Cinema Journal 46 (2007) H. 2, S. 66-90; Sebastian Heiduschke, »Das ist die Mauer, die quer durchgeht. Dahinter liegt die Stadt und das Glück«. DEFA Directors and their Criticism of the Berlin Wall, in: Colloquia Germanica 40 (2007), S. 37-51; Kurt Laser, Mauer-, Himmel- und Berlinfilme, in: Berlinische Monatsschrift 10 (2001) H. 6, S. 140-150; Matthias Steinle, Vom Feindbild zum Fremdbild. Die gegenseitige Darstellung von BRD und DDR im Dokumentarfilm, Konstanz 2003, S. 98-111, S. 195-214, S. 236-251.

[48] Als Ausnahme sei erwähnt: Warnke, Stein gegen Stein (Anm. 3).

[49] Zur gemeinsamen deutsch-amerikanischen Konstruktion dieser Erzählung siehe den Beitrag von Stefanie Eisenhuth und Scott H. Krause im vorliegenden Heft.

[50] Vgl. Bryan T. van Sweringen, Kabarettist an der Front des kalten Krieges. Günter Neumann und das politische Kabarett in der Programmgestaltung des RIAS 1948–1968, Passau 1995.

[51] Horst Bosetzky, Wir Einzigartigen, in: Berliner Zeitung, 19.5.2010. Siehe auch ders., Erinnerungen eines Inselkindes, Berlin 2006.

[52] »Wir von der ›Generation West-Berlin‹ wuchsen mit großer Selbstverständlichkeit in diese Situation hinein. […] Es war eine begrenzte Welt, die wir aber nicht als solche wahrnahmen und deren Außergewöhnlichkeit wir hegten und pflegten. Besondere Aufmerksamkeit war uns gewiß. Natürlich lernten wir schnell, dass wir uns ständig rechtfertigen mußten, denn nach außen waren wir die Unfreien, die Eingesperrten.« Kerstin Schilling, Die Generation West-Berlin und die Freiheit, in: Holland-Moritz/Wachter, war jewesen (Anm. 1), S. 185-194, Zitat S. 185. Siehe auch Philip Meinhold, O Jugend, O West-Berlin. Reportagen, Essays, Kolumnen, Berlin 2013; Schilling, Insel der Glücklichen (Anm. 8); Kerstin Steglich, Die halbe Stadt, die es nicht mehr gibt. Eine Kindheit in Berlin (West), Reinbek 2012.

[53] David E. Barclay, Westberlin, in: Martin Sabrow (Hg.), Erinnerungsorte der DDR, München 2009, S. 431-440, hier S. 432.

[54] Zit. nach Willy Brandt/Richard Löwenthal, Ernst Reuter. Ein Leben für die Freiheit. Eine politische Biographie, München 1957, S. 542. Vgl. Rott, Die Insel (Anm. 4), S. 61.

[55] Rudolf Lorenzen, Gemeinsam sind wir stark. Der »Stadtstaat« – Vorbild oder Fossil?, in: ders., Paradies zwischen den Fronten (Anm. 8), S. 61-68.

[56] Vgl. Helmut Lethen, Gelegentlich auf Wasser sehn. Benns Inseln, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 2 (2008) H. 4, S. 45-53.

[57] Aus der Anthologie »Aussichten. Junge Lyriker des deutschen Sprachraums«, hg. von Peter Hamm, München 1966; vgl. Lorenzen, Paradies zwischen den Fronten (Anm. 8), S. 123.

[58] Wilfried Rott, Abschied von West-Berlin, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 60 (2010) H. 11, S. 41-46, hier S. 42f.

[59] Vgl. Andreas W. Daum, Kennedy in Berlin. Politik, Kultur und Emotionen im Kalten Krieg, Paderborn 2003, S. 180; Simone Derix, Bebilderte Politik, Staatsbesuche in der Bundesrepublik 1949–1990, Göttingen 2009, S. 89-133, insbesondere S. 124-130.

[60] Heinz Bude, Der Name Berlin, in: ders., Generation Berlin, Berlin 2001, S. 70, S. 75.

[61] Derix, Symbolkomplex Berlin (Anm. 42).

[62] Exemplarisch die Forderung des Journalisten und gebürtigen West-Berliners Ansgar Hocke: »Wir müssen endlich die Deutungshoheit über unsere Biographie erlangen«, denn zu dem Leben in der eingemauerten Stadt gehörten »auch Erlebnisse, bei denen einem Angst und Bange werden konnte«. »Von Kindheit an durchlebte der West-Berliner die politischen Launen der Sowjetunion ebenso wie die des DDR-Politbüros oder der DDR-Grenzer. Es war leicht zu spüren, wie verwundbar dieses West-Berlin war.« Ansgar Hocke, »Wird Zeit für eine Renaissance von West-Berlin!«, in: RBB Online, 23.8.2013, URL: <http://www.rbb-online.de/kultur/hintergrund/West-Berlin.html>.

[63] Wolfert von Rahden/Stephan Schlak, Zum Thema, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 2 (2008) H. 4: Die Insel West-Berlin, S. 4.

[64] Biskup/Schalenberg, Vermarktung Berlins (Anm. 30), S. 19, S. 13.

[65] Vgl. Rott, Die Insel (Anm. 4), S. 53.

[66] Das Paradies der Dinge. Ein Gespräch mit Wolfgang Schivelbusch, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 2 (2008) H. 4, S. 59-66, hier S. 61.

[67] Ebd.

[68] »Für einen Republikflüchtling gehalten zu werden, war mein erstes Erlebnis in Berlin am Tag meiner Ankunft.« Heinz Dieter Kittsteiner, Unverzichtbare Episode. Berlin 1967, in: ebd., S. 31-44, hier S. 36f.

[69] Ebd., S. 33. Vgl. auch Martin Schaad, »Dann geh doch rüber«. Über die Mauer in den Osten, Berlin 2009; Frank Roggenbuch, Das Berliner Grenzgängerproblem. Verflechtung und Systemkonkurrenz vor dem Mauerbau, Berlin 2008.

[70] Karl Schlögel, Generation Marienborn – Essay, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 59 (2009) H. 21-22, S. 3-6, hier S. 3. Siehe auch ders., Jenseits von Marienborn oder: Kalter Krieg privat, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 5 (2008), S. 283-298.

[71] Andreas Hiepko, Der Insulaner, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 2 (2008) H. 4, S. 54-58, hier S. 58.

[72] Lorenzen, Paradies zwischen den Fronten (Anm. 8).

[73] Ulf Mailänder/Ulrich Zander, Vorwort, in: dies. (Hg.), Das kleine Westberlin-Lexikon. Von »Autonome« bis »Zapf« – die alternative Szene der siebziger und achtziger Jahre, Berlin 2003, S. 4.

[74] »[T]he Wall still functions as a reference point around which historians seek to organise their accounts of what comes before and after, in front and behind. This reference point proves […] an unstable structure. It belies any easy rendering of its location and chronological emplotment.« Paul Steege, Crisis, Normalcy, Fantasy: Berlin and its Borders, in: Central European History 23 (2014), S. 469-484, hier S. 470.

[75] Daum, Kennedy in Berlin (Anm. 59), S. 195.

[76] Rotenberg, Berliner Demokratie (Anm. 3), S. 565.

[77] Peter Bender, Wenn es West-Berlin nicht gäbe, Berlin 1987, S. 28. Siehe auch David Barclay, A »Complicated Contrivance«. West Berlin behind the Wall, 1971–1989, in: Marc Silberman/Karen E. Till/Janet Ward (Hg.), Walls, Borders, Boundaries. Spatial and Cultural Practices in Europe, New York 2012, S. 113-130. Zeitgenössisch: Wolfgang Kramer, Berlin. Eine Stadt auf der Suche nach ihrer Identität. Erinnerungen, Spuren, Wirkungen, München 1985, S. 28.

[78] Barclay, Westberlin (Anm. 53), S. 432ff.

[79] Zu diesem musikpolitischen »Schlachtfeld« ausführlich: Lemke, Vor der Mauer (Anm. 2), S. 459ff.

[80] Rott, Die Insel (Anm. 4), S. 93.

[81] Vgl. ebd., S. 184.

[82] Paul Steege, Finding the There, There: Local Space, Global Ritual, and Early Cold War Berlin, in: Gary Backhaus/John Murungi (Hg.), Earth Ways. Framing Geographical Meanings, Lanham 2004, S. 155-172, hier S. 156. »Ultimately, the Cold War stability of an iconic location like Berlin depended upon a collaborative undertaking (even if it was unintentional collusion) of the great powers, East and West. Yet the tension, which made this location significant in and for the Cold War depended on local participation that these Great Power actors neither fully understood nor could fully control. […] Ironically, this messiness and the relative freedom for local individuals to act on their own behalf exerted pressure on the symbolic framework (which they also sought to exploit) and tightened its explanatory hold on a battleground for which its actual descriptive power was actually quite minimal.« Ebd., S. 167.

[83] Vgl. Ward, Post-Wall Berlin (Anm. 45), S. 3-25.

[84] Zum Forschungsbedarf im Hinblick auf das Erbe des Kalten Krieges siehe auch Annette Vowinckel/Marcus Payk/Thomas Lindenberger, European Cold War Culture(s)? An Introduction, in: dies. (Hg.), Cold War Cultures. Perspectives on Eastern and Western European Societies, New York 2012, S. 1-20.

[85] »Die Ausstellung verzichtet dabei bewusst auf den Versuch, die 40-jährige Geschichte West-Berlins umfassend zu rekonstruieren. […] Gefragt wird nach der Realität verschiedener Lebenswelten, aber auch nach Mythos und Pathos der ›Insel der Freiheit‹.« Aus dem Flyer zur Ausstellung »West:Berlin. Eine Insel auf der Suche nach Festland«, 14.11.2014 – 28.6.2015 im Ephraim-Palais, <http://www.west.berlin>.

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