1. Die Kirchen und die Frühformen der Protestkultur
2. Die Kirchen und die Studentenbewegung
3. Die Kirchen und die „Dritte-Welt“-Bewegung
4. Die Kirchen und die Friedensbewegung
5. Fazit
Dem Soziologen José Casanova zufolge wandelte sich die katholische Kirche mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) „from a state-centered to a society-centered institution“.1 Überträgt man diese These eines kirchlichen Orientierungswandels hin zur zivilgesellschaftlichen Präsenz auf die gemischtkonfessionelle Bundesrepublik, so ist zu klären, wie sich die beiden Großkirchen zu wichtigen Organisationselementen der westdeutschen Zivilgesellschaft verhielten. Im vorliegenden Beitrag soll daher das Verhältnis der Kirchen zu den Protestbewegungen der jungen Bundesrepublik sowie zu den Neuen Sozialen Bewegungen der 1970er- und frühen 1980er-Jahre analysiert werden. Der Schwerpunkt liegt auf der „Reformzeit“ und den „Krisenjahren“ der Bundesrepublik,2 den Jahren voller Zukunftsutopie und Zukunftsangst, die von einem wachsenden zivilgesellschaftlichen Engagement und einer vielfältigen Protestkultur geprägt waren. Kirchlich gesehen war diese Zeit durch eine „beschleunigte Ablösung von kirchlichen Vorgaben“,3 durch Reformprozesse sowie eine breite „Krisensemantik“ bestimmt.4
Genauer untersucht werden im Folgenden die Interaktionen zwischen den Kirchen und den frühen Protestbewegungen, der Studentenbewegung, der „Dritte-Welt“-Bewegung sowie der Friedensbewegung; gefragt wird nach Akteuren, Themen, Organisations- und Aktionsformen, Symbolen und Semantiken.5 Die Abgrenzungs- und Transferprozesse zwischen Kirchen und Bewegungssektor werden dabei als Reaktionen des kirchlich verfassten Christentums auf die Wandlungsprozesse der bundesdeutschen Gesellschaft dieser Zeit verstanden, d.h. auf die Zunahme funktionaler Differenzierung, politischer Demokratisierung, kultureller Pluralisierung und religiöser Individualisierung. In den Blick genommen werden neben der „Amtskirche“ auch kirchliche Verbände, Laienorganisationen, Bewegungsgruppen sowie einzelne kirchennahe Akteure in ihrer Verflechtung mit politischen Gruppen und Diskursen. Im Sinne einer „shared history“6 behandelt der Beitrag das Agieren beider Großkirchen angesichts identischer gesellschaftlicher Herausforderungen. Dabei ist auch zu fragen, inwiefern gerade Transferprozesse zwischen den beiden Großkirchen und dem Bewegungssektor entkonfessionalisierende Tendenzen förderten. Ebenso aber sind differierende protestantische und katholische Entwicklungen sowie unterschiedliche Opportunitätsstrukturen zu untersuchen. Neigte der „weltfrömmige“ Protestantismus7 stärker zu Interaktionen mit den sozialen Bewegungen und deren Moralisierung von Politik?
2
1. Die Kirchen und die Frühformen der Protestkultur
In den Aufbaujahren der Bundesrepublik entzündete sich außerparlamentarischer Protest vornehmlich an sicherheits- und bündnispolitischen Fragen. Die Bundesregierung und die meisten politischen Parteien begegneten dem Protest mit Argwohn; sie beschworen die Gefahr einer kommunistischen Unterwanderung des jungen Weststaates herauf. Wie aber verhielten sich die Kirchen zu diesen Bewegungen?
„Krieg soll nach Gottes Wille nicht sein“, postulierte die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) 1948. In Einklang mit dieser friedensethischen Neuorientierung auf ökumenischer Ebene beschäftigte sich die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) vor dem Erfahrungshintergrund des Zweiten Weltkrieges fortan dauerhaft mit Friedensfragen. Als Voraussetzung für eine Sicherung des Weltfriedens galt den Protestanten bis Ende der 1950er-Jahre die Überwindung der deutschen Teilung. Eine kirchenfeindliche Politik in der DDR und der Verlust ihrer Position als Leitkonfession in der Bundesrepublik ließ die gesamtdeutsch organisierte EKD schon aus kirchen- und konfessionspolitischen Gründen am Ziel der Wiedervereinigung festhalten. Vor diesem Hintergrund war der Protestantismus in der Frage der militärischen Westintegration der Bundesrepublik politisch und theologisch zutiefst gespalten.8 Grundfragen der politischen Ethik verwoben sich mit friedensethischen Überlegungen und national-humanitären Motiven. Der minoritäre bruderrätliche Flügel der EKD forderte, im Bewusstsein der deutschen „Schuld“ am Zweiten Weltkrieg, die zu einer politisch konkret praktizierten „Umkehr“ zwinge, sowie um der Menschen in der DDR willen auf eine militärische Westintegration zu verzichten. Politisch unterstützte er die heterogene „Ohne-mich“-Bewegung, in der sich die Gegner eines westdeutschen Wehrbeitrags sammelten.9 Ihr prominentester Exponent war der hessische Kirchenpräsident Martin Niemöller, der aufgrund seines Widerstands im „Dritten Reich“ national wie international hoch angesehen war. Weitere bekannte protestantische Wehrgegner waren der Politiker Gustav Heinemann und der Theologe Helmut Gollwitzer. Die kirchliche Mehrheit lehnte es indes auf der Grundlage der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre ab, eine politische Frage wie die Wiederbewaffnung mit der Autorität der Bibel zu beantworten und als Kirche zu vertreten. Der Konflikt wurde für die EKD existenziell und führte dazu, dass sie sich immer weniger eindeutig positionieren konnte. Im Winter 1954/55 brach der Streit um die militärische Westintegration erneut aus und führte zur Formation der breiten außerparlamentarischen Paulskirchenbewegung. Deren intensive Unterstützung durch die stark angewachsene „evangelische Pfarrer-Opposition“ sorgte auch im katholischen Lager für Unruhe.10
Die katholische Kirche stand relativ geschlossen hinter Adenauers Sicherheits- und Bündnispolitik und trug zu deren Durchsetzung bei.11 Angesichts der kirchenfeindlichen Politik im kommunistischen Osteuropa hatte Papst Pius XII. bereits 1948 Recht und Pflicht der christlichen Völker zur Verteidigung betont. Damit legte er die Basis für die Zustimmung der katholischen Kirche zu einem westdeutschen Wehrbeitrag im Kalten Krieg, die im Laufe des Jahres 1951 auf allen Ebenen des bundesdeutschen Katholizismus durchgesetzt wurde. Die katholische Presse bekämpfte eine Ausweitung der „Ohne-mich“-Haltung intensiv, so dass die Ablehnung der Wiederbewaffnung unter Katholiken zwischen März 1951 und Februar 1952 von 39 auf 28 Prozent sank.12 Gegen katholische Remilitarisierungsgegner wurde hart vorgegangen. Helene Wessel, Mitbegründerin der „Notgemeinschaft für den Frieden Europas“, klagte Ende 1952 nach ihrem Austritt aus der Zentrumspartei, die Kirche formuliere einen „Zwang zu einer Einheitsmeinung des Christen“.13 Mehrere Vorgänge deuten in diese Richtung. So fasste die Führung des Bundes Deutscher Katholischer Jugend (BDKJ) einen Unvereinbarkeitsbeschluss gegen den „Arbeitskreis der Katholischen Jugend gegen die Remilitarisierung“, woraufhin sich der Arbeitskreis Anfang 1954 auflöste. Ähnlich erging es dem „Friedensbund Deutscher Katholiken“, der sich als politisch agierende katholische Friedensbewegung verstand. Die kirchennahe Pax-Christi-Bewegung, die einen religiös geprägten Pazifismus vertrat, schwieg offiziell zur Remilitarisierung. Eine Kooperation von katholischen Organisationen und Protestbewegungen wurde demnach von der Amtskirche erfolgreich unterbunden.
Die zweite sicherheitspolitische Debatte der 1950er-Jahre drehte sich um die atomare Bewaffnung der Bundeswehr. Der öffentliche Widerstand gegen die Rüstungspläne der Regierung formierte sich 1957/58 in der Bewegung „Kampf dem Atomtod“.14 Organisiert und getragen wurde sie von der SPD, den Gewerkschaften und evangelischen Theologen. Hunderttausende beteiligten sich an Demonstrationen, Schweigemärschen, Fackelzügen, Protestkundgebungen sowie Mahnwachen. In der Bewegung „Kampf dem Atomtod“ verband sich das ethische Motiv einer grundsätzlichen Ablehnung von Massenvernichtungsmitteln mit dem nationalen Motiv, durch den Verzicht auf Atomwaffen eine Wiedervereinigung zu ermöglichen. Zum Symbol des ethischen Protests wurde der evangelische Theologe und Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer.
3
Im gesamtdeutschen Protestantismus setzte bereits 1957 eine Diskussion über die Stationierung von Atomwaffen in der Bundesrepublik ein, auf die auch die DDR-Führung Einfluss zu nehmen versuchte.15 Lutherische Theologen machten gegen die Bruderschaften um Niemöller und den Herausgeber der Zeitschrift „Junge Kirche“ Heinz Kloppenburg und deren Unterstützung der Bewegung „Kampf dem Atomtod“ mobil. Im April 1958 konstatierte die EKD-Synode, dass die theologischen und kirchenpolitischen Gegensätze vorerst nicht zu überbrücken seien. Mit den „Heidelberger Thesen“ konnte dann 1959 ein friedensethischer Minimalkonsens erreicht werden, indem einander ausschließende Gewissensentscheidungen als „komplementäres Handeln“ in eine konstruktive Spannung gebracht wurden.16
Die innerkatholische Debatte über die Sicherheitspolitik der Adenauer-Regierung war deutlich schwächer.17 Die politisch oder religiös-moralisch argumentierende Opposition, die nun als lockere Einheit auftrat, kam aus Teilen des BDKJ sowie von „Linkskatholiken“ wie Walter Dirks und Eugen Kogon.18 Die Absetzbewegung dieser Kreise von der CDU beschleunigte sich und schritt fort zur Kritik des diese Partei stützenden Katholizismus und der Amtskirche. Gegen die moralische Verurteilung der Atomwaffen seitens des Linkskatholizismus erklärten namhafte katholische Moraltheologen in einem Gutachten, dass die Verwendung bzw. Androhung atomarer Kampfmittel „nicht in jedem Fall Sünde“ sei.19 Die katholischen Bischöfe hielten sich aus dieser Moralisierung der Politik weitgehend heraus und stützten damit faktisch Adenauers Position.
In den 1960er-Jahren sammelten sich die Gegner atomarer Bewaffnung in der so genannten Ostermarsch-Bewegung.20 Sie war die erste langjährig und auf breiter sozialer Basis arbeitende Neue Soziale Bewegung.21 Die Idee des Ostermarsches wurde von einer Gruppe Hamburger Quäker aus England übernommen. Der erste westdeutsche Marsch an den Osterfeiertagen fand 1960 mit ca. 1.000 Atomwaffengegnern statt, der zunächst letzte 1968 mit 300.000 Teilnehmern. Die zentrale Forderung der Bewegung, in der Christen durchgängig vertreten waren, war die atomare, später auch die allgemeine Abrüstung. Um sich vor der Vereinnahmung durch linke Organisationen zu schützen und zugleich die heterogene Ostermarsch-Bewegung zu integrieren, dominierte in ihrer Frühphase der religiös-moralische Appell an das Gewissen des Einzelnen. Die „Politisierung der Moral“ und die „Moralisierung der Politik“ innerhalb der Bewegung zeigten sich in der Betonung individueller Verantwortung für globale Probleme, einer apokalyptischen Analyse der Gegenwart, der Betonung grenzübergreifender Bruderschaft als Sicherheitsstrategie sowie der Bedeutung des Gewissens als Legitimationsgrundlage der Argumentation.22 Religiöse Riten wie Gebete und Gottesdienste waren Bestandteile der Aktionen.
4
Demonstration verschiedener Frankfurter Jugendverbände am Vorabend des 1. Mai 1959
(Foto: Manfred Tripp)
Ostermarsch in Frankfurt am Main, 30. März 1964.
In der Bildmitte ist Martin Niemöller zu erkennen.
(Foto: N.N./© Institut für Stadtgeschichte Frankfurt a.M.)
Als prominente evangelische Unterstützer der Ostermarsch-Bewegung traten erneut Niemöller, Kloppenburg und Gollwitzer auf. Sie gehörten dem Kuratorium an, das in der Öffentlichkeit für die politische Unabhängigkeit der Bewegung bürgen sollte. Die Kirchlichen Bruderschaften waren im Führungsgremium vertreten. Sie hatten jedoch zwischenzeitlich innerprotestantisch an Resonanz verloren.23 Hintergrund waren interne Konflikte, die mit dem sicherheitspolitischen Kurswechsel der SPD 1959/60 zusammenhingen. Partiell wandten sich Laien und Pfarrer nun der kommunistisch dominierten Deutschen Friedensunion zu. Während Heinemann dafür warb, sich weiter für die SPD und in der parlamentarischen Demokratie zu engagieren, nahm Niemöller eine kompromisslose, parteienfeindliche Haltung ein. Die Enttäuschung über die SPD beförderte unter Protestanten die Hinwendung zu außerparlamentarischen Bewegungen. So wurde der Ostermarsch-Aufruf für 1963 von über 600 evangelischen Pfarrern unterschrieben.24
Auf katholischer Seite waren vornehmlich Linkskatholiken in der Ostermarsch-Bewegung aktiv. So war die kirchenkritisch eingestellte Katholikin Christel Beilmann Organisatorin des Ostermarsches Ruhr und Redakteurin der „Informationen zur Abrüstung“, dem Informationsdienst der Bewegung.25 Seitens der Amtskirche wurde die Ostermarsch-Bewegung nicht weiter wahrgenommen.
Das Verhältnis der beiden Großkirchen zur frühen Friedensbewegung differierte somit signifikant. Eine Ursache hierfür liegt in der jeweiligen institutionellen Struktur. Im Unterschied zur katholischen war die evangelische Kirche weniger hierarchisch angelegt; sie verfügte nicht über die organisatorischen oder theologischen Mittel, um die Konflikte über Friedensfragen durch auto-ritative Entscheidungen einzuhegen oder stillzulegen. Veränderungen in der Friedensethik, der Schulddiskurs, die Situation als eine Kirche in zwei deutschen Staaten, eine tradierte Distanz zur Parteiendemokratie sowie der Verlust der Stellung als Leitkonfession in der Bundesrepublik – all dies zusammen ermöglichte Friedensakteuren während der 1950er- und frühen 1960er-Jahre eine starke Resonanz innerhalb des Protestantismus. Die katholische Kirche hatte sich hingegen schneller auf den Weststaat eingelassen und sah in der antikommunistischen Regierung Adenauer die Vertreterin ihrer Interessen. So opponierten Protestanten sichtlich aktiver gegen die Wiederbewaffnung und atomare Rüstung und prägten die Friedensbewegung stärker mit.
5
2. Die Kirchen und die Studentenbewegung
Wie an anderen Orten der westlichen Welt gingen in den 1960er-Jahren auch in der Bundesrepublik Tausende junger Menschen auf die Straße. Sie protestierten unter anderem gegen die Zustände an den Hochschulen, die Notstandsgesetze, den Vietnamkrieg, die defizitäre Aufarbeitung des Nationalsozialismus sowie eine rigide Sexualmoral. Einige dieser Anliegen wurden auch von anderen außerparlamentarischen Gruppen vertreten. So kämpften Niemöller und Gollwitzer sowie zahlreiche evangelische Pfarrer seit Mitte der 1960er-Jahre gegen die Notstandsgesetze und den Krieg in Vietnam. Die Studentenbewegung mit ihrer Verknüpfung von politisch-strategischen und kulturkritisch-spontaneistischen Elementen entwickelte sich aber in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts auch dank der Medien zum Motor der Protestdynamik.26
Das Aufkommen der Neuen Linken und der mit ihr verbundenen Studentenbewegung ging an den Großkirchen nicht spurlos vorbei. Erneut schlugen die Wellen im protestantischen Bereich höher, doch war nun auch der Katholizismus stärker betroffen. Hauptträger von Interaktionen und Transfers zwischen den Kirchen und der Studentenbewegung waren die Studentengemeinden. Im Laufe der 1960er-Jahre vollzog sich in vielen evangelischen Studenten-gemeinden (ESG) eine (Links-)Politisierung, die von den überregionalen Gremien und einigen Studentenpfarrern gefördert wurde.27 Die Hochschulgemeinden suchten nach Verbindungen zwischen Sozialismus und Christentum, zwischen Kritischer Theorie und Theologie sowie zwischen Sozialwissenschaften und Seelsorge. Sie übernahmen Elemente der Theologie der Hoffnung, der Theologie der Revolution oder der Gott-ist-tot-Theologie, rezipierten aber auch die katholische Befreiungstheologie. Gemeinsam war diesen theologischen Entwürfen, dass sie ein aktives, die Gesellschaft veränderndes Christentum propagierten. Die Studentengemeinden hinterfragten zudem kirchliche Traditionen und Hierarchien und trieben ihre Institutionenkritik teilweise bis zur Forderung nach Auflösung der Volkskirche. Rückhalt fanden sie beim Christlichen Studentenweltbund mit seiner prosozialistischen Option. Mobilisierend für das Protestverhalten der Studentengemeinden wirkte – wie für die Gesamtbewegung – die Erschießung von Benno Ohnesorg, einem engagierten ESG-Mitglied. Einige Studentengemeinden pflegten fortan intensive Kontakte zum Sozialistischen Deutschen Studentenbund, öffneten ihm ihre Räumlichkeiten, distanzierten sich aber auch punktuell von ihm.28
Innerkirchlich stieß die Fundamentalopposition der Studentenbewegung auf Widerhall und Widerstand. Für einen Teil der Protestanten verband sie sich mit Impulsen, die von der Vollversammlung des ÖRK im Juli 1968 ausgegangen waren.29 In Uppsala war die Verantwortung der Christen für eine „Erneuerung der Welt“ markiert und die Kirche zu einer progressiven Gruppe der Gesellschaft erklärt worden. „Gerechtigkeit“ wurde für die kommenden Jahre sowohl auf transnationaler wie auf nationaler Ebene zu einem Leitbegriff in der Moralkommunikation. Dabei erschien vielen das sozialistische Gesellschaftsmodell als das gerechtere. Der Großteil der protestantischen Christen aber lehnte die von den Studenten oftmals mit dem Verweis auf das kirchliche Versagen im „Dritten Reich“ angemahnte Politisierung von Religion und Kirche ab. Theologen aus den Reihen der sich formierenden Bekenntnisbewegung bestritten entschieden eine Nähe von evangelischen Glaubensgrundlagen und Zielen der Studentenbewegung.30 In vielen Ortsgemeinden mit konservativ geprägten Gemeindekirchenräten kam es über das antiautoritäre Aufbegehren der Jungen zum Streit. In den teils medial befeuerten Debatten entluden sich bereits gärende Konflikte über einen Linksruck der evangelischen Kirche.31 Der Nationalsozialismus war dabei argumentativer Bezugspunkt für die Studenten wie für ihre Gegner, die eine Ideologisierung nun von links befürchteten. Langfristig führten die Auseinandersetzungen zu einer stärkeren kirchlichen Fraktionierung sowie einem Pluralismus der theologischen Positionen.
6
Eine Vermittlerrolle zwischen Studenten, Kirche und Gesellschaft nahmen der Berliner Bischof Kurt Scharf, der Pfarrer und ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin Heinrich Albertz sowie Helmut Gollwitzer ein. Letzterer war politisch, theologisch und persönlich mit der Studentenbewegung am stärksten verbunden.32 Er verkörperte die Brücke zu den opponierenden Protestanten in der frühen Bundesrepublik. Im Unterschied zu dem älteren Niemöller löste sich der Universitätstheologe Gollwitzer aus dem linken Nationalprotestantismus, öffnete sich für die Neue Linke und beteiligte sich an der Entwicklung einer Neuen Politischen Theologie. Im Gewaltdiskurs der Studentenbewegung widersprach er aus moralischen und politisch-strategischen Gründen einem Übergang von der Gewalt gegen Sachen zur Gewalt gegen Menschen. Der öffentlich stark umstrittene Theologe war eng mit Rudi Dutschke befreundet. Der Protestant Dutschke verstand gelebtes Christentum als Nachfolge des für die Gerechtigkeit und Befreiung aller Menschen eintretenden Jesus.33 Zunehmend schien ihm aber der Sozialismus für den angestrebten Weg der Freiheit das bessere Instrumentarium zu bieten. Bei seinen Auftritten als Studentenführer kam sein christliches Selbstverständnis selten zum Vorschein.
Die Studentenbewegung beeinflusste auch Teile der katholischen Studierenden. So wirkte sie als „Katalysator“ für die „Entwicklung zur stark fragmentierten, offenen und zum Teil hoch politisierten Studentengemeinde“.34 Die antiautoritäre Revolte beschleunigte in den politisierten Gemeinden den Prozess einer Ablösung von religiösen Traditionen und Autoritätsstrukturen. Im Zuge von „68“ erweiterte sich das Kritikspektrum dieser Gemeinden, und es veränderten sich deren Artikulationsformen. Anknüpfungspunkte für die Forderungen nach Strukturveränderungen in Kirche und Gesellschaft waren in den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) zu finden, das aber nicht der entscheidende geistige Kontext war.35 Die starke Politisierung vor allem der Spitze der Katholischen Deutschen Studenteneinigung (KDSE) führte 1973 zu einem Bruch mit der Bischofskonferenz; die KDSE wurde aufgelöst.36 Insgesamt hatte sich aber lediglich eine Minderheit der katholischen Hochschulgemeinden an der Studentenbewegung aktiv beteiligt.
„Kritischer Kat(h)olizismus“: Szene beim Abschlussgottesdienst des Katholikentags im September 1968 in Essen, der unter dem Motto „Mitten in dieser Welt“ stand.
(Foto: KNA-Bild)
Der dynamisierende Impuls der antiautoritären Studentenbewegung wirkte nicht nur auf die junge Generation. Eine Plattform für den sich schon länger anbahnenden „Aufstand der Basis“ war der Katholikentag 1968. Medienwirksam inszenierte sich hier die vornehmlich aus Theologiestudenten bestehende, kleine Katholische Außerparlamentarische Opposition. In Essen brach aber auch der materielle Dissens vieler Laien zu den Positionen der Bischöfe offen aus.37 Auslöser war die im Juli 1968 veröffentlichte päpstliche „Pillen-Enzyklika“ Humanae Vitae; zur Diskussion stand in der „(nach)konziliaren Aufbruchstimmung“38 jedoch generell das Verhältnis von Autorität und Freiheit in der katholischen Kirche. Im Katholizismus fielen 1968 und in den Folgejahren die Erosion des traditionellen katholischen Milieus, die Rezeption sowie Umsetzung des Zweiten Vatikanums, der breite Durchbruch einer Krisensemantik sowie die katholische Variante der Studenten- und Protestbewegung zusammen.
7
Die Studentenbewegung beförderte auch ökumenische Tendenzen. So wurde an einigen Hochschulorten versucht, die Studentengemeinden beider Konfessionen zu vereinigen. In Göttingen wurde der Zusammenschluss vollzogen, woraufhin der Hildesheimer Bischof die Pfarrstelle nicht mehr besetzte. Im Wintersemester 1975/76 endete das Experiment; die beiden Gemeinden trennten sich wieder.39 Überkonfessionell war auch das „Politische Nachtgebet“ angelegt, das anfänglich zu einem spektakulären Konflikt mit den Kirchenleitungen führte. Die 35 Nachtgebete, die zwischen 1968 und 1972 in Köln stattfanden, können als „gottesdienstlicher Beitrag der Kirchen zur 68er-Bewegung“ verstanden werden.40 Schon der Name war Programm: Eine individuell-private Frömmigkeitsform wurde mit einem radikalen politisch-theologischen Anspruch verbunden. Die Gottesdienste zu politischen Themen folgten einer einfachen Struktur: Information, Meditation, Diskussion, Aufweis konkreter Aktionsmöglichkeiten. Zur Symbolfigur der Nachtgebete wurde die evangelische Theologin Dorothee Sölle mit ihrer eindrucksvollen prophetischen Radikalität.
Nach „68“ machten sich kirchliche Reformgruppen auf ihren eigenen „Marsch durch die Institutionen“. Sie zielten auf eine stärkere Demokratisierung kirchlicher Strukturen und setzten sich für entwicklungs- und gesellschaftspolitische Themen ein.41 Andere, die diesen Weg nicht gehen wollten, verließen die Kirche und suchten neue religiöse Ausdrucksformen.
Fragt man nach den Auswirkungen der Studentenrevolte auf Religion und Kirche, so ist zunächst festzuhalten, dass ein religiöser und kirchlicher Wandel schon früher eingesetzt hatte, durch die Protestbewegung aber teilweise beschleunigt wurde. Sodann sollte zwischen kurzfristigen Veränderungen und einem langfristigen Wandel unterschieden werden. Langfristige Auswirkungen hatte vor allem im Protestantismus der Austausch der dogmatischen Bestimmung des wesenhaft Christlichen durch eine ethische Orientierung.42 Gravierende Strukturänderungen ergaben sich im Zeichen der Mitbestimmung in den evangelisch-theologischen Fakultäten und Ausbildungsstätten.43 In den evangelischen Landeskirchen kam es zu einigen verfassungsrechtlichen Veränderungen, doch spielten auch hierbei ältere Entwicklungen eine Rolle.44 Nicht zu vernachlässigen sind schließlich die Verhaltens- und Umgangsformen, die kulturellen Grundüberzeugungen und die Semantik – hier vollzog sich ein elementarer Wandel, der mit „68“ Gestalt gewann.45
8
3. Die Kirchen und die „Dritte-Welt“-Bewegung
Die fließendsten Grenzen zwischen Kirchen und sozialen Bewegungen finden sich auf dem Feld der Solidarität mit dem „fernen Nächsten“. Christliche „Dritte-Welt“-Arbeit fand sowohl im Raum verfasster Kirchlichkeit als auch im Bewegungssektor statt46 und war oft transkonfessionell angelegt.
Die Entwicklungshilfe wurde von den Kirchen Ende der 1950er-Jahre als ein neues Arbeitsfeld entdeckt.47 Die humanitär-diakonisch motivierte Hilfe setzte mit der Gründung von „Misereor“ und „Brot für die Welt“ ein. Leitlinie war dabei die in der Nachkriegszeit dominierende Vorstellung einer nachholenden Entwicklung durch den Transfer von Kapital und praktischem Wissen. Materielle Voraussetzung für die Hilfe war der wirtschaftliche Aufschwung der Bundesrepublik. Bei ihrer Arbeit konnten beide Kirchen auf die Kontakte aus der Mission aufbauen; dauerhaft kontrovers blieb jedoch, inwieweit Mission und Entwicklungshilfe vereinbar seien. Von 1962 an förderte die Bundesregierung die kirchliche Entwicklungshilfe. In der noch gesamtdeutschen EKD war die Annahme der Staatsgelder umstritten, da man eine politische Einflussnahme befürchtete. Für die Entsendung von Entwicklungshelfern wurden 1959 die katholische „Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe“ und 1960 die evangelischen „Dienste in Übersee“ gegründet.
Vor dem Hintergrund des Dekolonialisierungsprozesses vollzog sich eine Umorientierung in der Entwicklungshilfedebatte. Wichtige Etappen waren dabei Großveranstaltungen, auf denen die „jungen Kirchen“ aus Asien, Afrika und Lateinamerika ihre Stimme erhoben. Auf katholischer Seite geschah dies beim Zweiten Vatikanischen Konzil, auf evangelischer Seite 1966 auf der Weltkonferenz über Kirche und Gesellschaft. Ostern 1967 forderte dann Papst Paul VI. in der Enzyklika Populorum Progressio eine Entwicklungspolitik, die statt des Wirtschaftswachstums die Entwicklung des ganzen Menschen in den Blick nehme.48 Er sprach sich für Entwicklungssteuern und die „Errichtung eines großen Weltfonds“ aus. Gleichzeitig warnte er sowohl vor Markt- als auch vor Revolutionsgläubigkeit. Unter dem Leitbild einer gerechteren Welt-Gesellschaft wurde 1968 auf der Vollversammlung des ÖRK hart mit der bisherigen Entwicklungspolitik ins Gericht gegangen. Der ÖRK forderte die Kirchen auf, politische Lobbyarbeit zu betreiben und selbst steigende Anteile ihrer Haushalte für die Entwicklungshilfe aufzuwenden. In Uppsala wurde auch das Programm zur Beseitigung des Rassismus diskutiert, das in der Bundesrepublik bald zu heftigen Kontroversen über die „Gewaltfrage“ führte.49
9
Angestoßen durch die Entwicklungsdebatte in der Ökumene und begünstigt durch ein gesellschaftliches Reformklima orientierte sich die evangelische Entwicklungsarbeit neu: Das humanitär-diakonische Engagement für die „Dritte Welt“ wurde durch ein advokatorisch-politisches Engagement ergänzt.50 In Reaktion auf die Forderungen von Uppsala rief die Synode der EKD die Landeskirche und die Gemeindeglieder dazu auf, einen Teil ihrer Finanzmittel für die Entwicklungshilfe bereitzustellen. Fragen nach dem weltwirtschaftlichen Hintergrund der Unterentwicklung wurden auf der Synode nicht diskutiert, was Helmut Gollwitzer scharf kritisierte. Institutionell kam jedoch einiges ins Rollen: 1968 wurde der Kirchliche Entwicklungsdienst gegründet, 1969 die Kammer für Kirchlichen Entwicklungsdienst und 1970 die Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Entwicklungsdienst berufen. 1973 erschien die EKD-Denkschrift „Der Entwicklungsdienst der Kirche – ein Beitrag zu Frieden und Gerechtigkeit in der Welt“.51 Den Autoren zufolge sollte sich kirchliche Entwicklungsverantwortung künftig am Ziel der „sozialen Gerechtigkeit“ orientieren. Überzeugt von einer notwendigen Neuordnung der Weltwirtschaft erklärten sie die Wirtschafts-, Handels-, Sozial- und Innenpolitik der Industrie-länder zum Handlungsfeld kirchlicher Entwicklungspolitik. Ein Schwerpunkt wurde bei der Öffentlichkeitsarbeit gesehen.52 Entsprechend gab der Evangelische Pressedienst die in der „Dritte-Welt-Szene“ geschätzte Zeitschrift „epd-Entwicklungspolitik“ heraus.
Im westdeutschen Katholizismus schlug das entwicklungspolitische Thema weniger Wellen, auch wenn die wirtschaftspolitischen Aussagen Pauls VI. zunächst für einige Aufregung sorgten.53 Im November 1968 bat das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken die katholische Bevölkerung, jährlich ein Prozent ihres Einkommens zu spenden. Ab 1969 leiteten die katholischen Bischöfe 20 bis 30 Mio. DM im Jahr aus dem Kirchensteueraufkommen in die „Dritte Welt“ weiter.
Kritik an der bisherigen Entwicklungshilfe kam außer von den Kirchen auch von der Studentenbewegung. Der „Dritte-Welt“-Bezug war ein „treibender Motor“ des radikalen studentischen Protests.54 Elend und Ungerechtigkeiten in der „Dritten Welt“ standen durch das Fernsehen allen vor Augen; zugleich übten die militanten Befreiungsbewegungen eine große Faszination auf die Studierenden aus, da sie sich als Projektionsflächen für die Utopie eines globalen revolutionären Prozesses eigneten.55 Aus Sicht der linken Studenten verschleierte die westliche Entwicklungshilfe nur das spätkapitalistische Ausbeutungssystem; der SDS bekämpfte sie daher unter der Parole „Zerschlagt die Entwicklungshilfe“. Innerhalb der Studentenbewegungen beschäftigten sich aber auch reformerische Kräfte mit Fragen des Nord-Süd-Konflikts.
10
Das Bindeglied zwischen den studentischen und kirchlichen Aktivitäten auf dem Gebiet der Entwicklungspolitik waren die christlichen Studenten- und Jugendorganisationen. Auf dem Kirchentag 1969 vertraten ESG-Mitglieder offensiv ihre entwicklungspolitischen Ansichten, wurden aber vom Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und EKD-Synodalen Erhard Eppler für ihre Radikalität kritisiert.56 Zum Erntedankfest desselben Jahres organisierten Kieler Vertreter der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Jugend in Deutschland (AEJ) und des Bundes Deutscher Katholischer Jugend (BDKJ) den ersten „Hungermarsch“, bei dem die Teilnehmer von Sponsoren Kilome-tergeld zugunsten der Deutschen Welthungerhilfe sammelten. Diese Aktionsform wurde im Mai 1970 von einer breiteren Plattform aufgegriffen. Mit 30.000 Teilnehmern in 60 Städten handelte es sich um die größte koordinierte Solidaritätsaktion für die „Dritte Welt“ in der Geschichte der Bundesrepublik.57 Auch das Projekt eines fairen Handels war eine Initiative kirchlicher Jugendgruppen.58 1970 gründeten AEJ und BDKJ nach niederländischem Vorbild gemeinsam die „Aktion Dritte-Welt-Handel“. Aus den Verkaufsaktionen ging eine steigende Anzahl fester „Dritte-Welt“-Läden hervor. 1975 wurde die „Gesellschaft zur Förderung der Partnerschaft mit der Dritten Welt mbH“ (GEPA) gegründet, mit der Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Entwicklungsdienste als einem der Hauptgesellschafter.
Seit Ende der 1960er-Jahre bildeten sich im Umfeld der Studentenbewegung sowie innerhalb und jenseits herkömmlicher Kirchlichkeit mehrere hundert kleine entwicklungspolitische Basisinitiativen aus.59 Sie reichten von Solidaritätsgruppen, die Elemente der religiösen und ethischen Praxis der Basisgemeinden der „Dritten Welt“ in das eigene Gemeindeleben überführen wollten, über Gruppen im studentischen Milieu und in der Ladenszene bis zu Projekten alternativer Lebensgemeinschaften.60 Auch viele Kirchengemeinden pflegten Projektpartnerschaften mit der „Dritten Welt“.
In den sich politisierenden Gruppen der „Dritte-Welt“-Bewegung wurde die staatliche Entwicklungspolitik einer Fundamentalkritik unterworfen, wobei ein entwicklungstheoretisches Paradigma Anwendung fand, das Ende der 1960er-Jahre aus Lateinamerika kam: die Dependenztheorie. Deren theologisches Pendant war die Theologie der Befreiung, die in den Basisgruppen intensiv rezipiert wurde,61 innerhalb der katholischen Kirche aber auch auf heftigen Widerspruch stieß.62 Theologische Bezugspunkte der christlichen „Dritte-Welt“-Gruppen waren überdies die Politischen Theologien von Johann Baptist Metz, Jürgen Moltmann und Helmut Gollwitzer. In und mit diesen Theologien wurde auch nach Kriterien für eine Beteiligung von Christen an sozialrevolutionärem Gewaltgebrauch gesucht.
11
Die evangelische Kirche begrüßte die Entstehung der Basisgruppen. In ihrer Denkschrift von 1973 wurden die „ökumenischen und entwicklungspolitischen Aktionsgruppen und Friedensdienste“ sowie ihr Beitrag zur „Schaffung einer entwicklungspolitisch informierten und kritisch-interessierten Öffentlichkeit“ explizit gewürdigt.63 Dabei übernahmen die Aktionsgruppen zum Teil denjenigen Part, den die Kirchen und ihre Organisationen auf Grund struktureller Bedingungen nicht übernehmen konnten: moralische entwicklungspolitische Forderungen mit Konfliktfähigkeit und -bereitschaft gegenüber politischen Institutionen und gesellschaftlichen Interessensgruppen zu vertreten.64 Die EKD unterstützte die Gruppen finanziell durch einen Teil der seit 1969 für Entwicklungshilfe eingesetzten Kirchensteuermittel. Die Gruppen profitierten davon jedoch auch immateriell: Die Förderung durch den etablierten Akteur EKD erschwerte Delegitimierungsversuche gegen sie und eröffnete ihnen Zugänge zum politischen Entscheidungsprozess.65 Von Seiten der katholischen Kirche fanden die Gruppen hingegen wenig Anerkennung und materielle Unterstützung.66
Durch die staatliche und kirchliche Förderung sowie das Engagement der Aktivisten stabilisierten sich die entwicklungspolitischen Aktionsgruppen zu einer der Neuen Sozialen Bewegungen der 1970er-Jahre.67 Die bundesdeutsche „Dritte-Welt“-Bewegung war gekennzeichnet durch ein diffuses ideologisches Profil, eine heterogene Zusammensetzung und labile Strukturen. Teilweise arbeitete sie mit kirchlichen Hilfswerken zusammen, verstand sich jedoch nicht als deren Basis. Radikalen Systemgegnern mit sozialistischen Orientierungen standen mehrheitlich Engagierte mit christlichen oder eher allgemein-humanistischen Ansätzen gegenüber. Im Unterschied zu anderen sozialen Bewegungen waren die Akteure von ihrem „Anliegen“ nicht unmittelbar betroffen; es ging ihnen vielmehr um eine konkrete Umsetzung von Wertvorstellungen. Sie entwickelten einen „Bürgersinn mit Weltgefühl“,68 das Bewusstsein einer individuellen, internationalen Verantwortung und Solidarität. Die selbstgewählten Gruppen und ihre Netzwerke bildeten die Sozialform, um diese neue, entgrenzte Solidarität zu praktizieren.
12
4. Die Kirchen und die Friedensbewegung
Die 1970er-Jahre waren nicht von großen sicherheitspolitischen Debatten bestimmt. Durch die Aufstellung sowjetischer SS-20-Raketen und den NATO-Doppelbeschluss zur Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen in Europa vom 12. Dezember 1979 entstand jedoch ein neues, massive Ängste auslösendes Bedrohungsszenario, das in der Bundesrepublik zur bislang größten außerparlamentarischen Protestbewegung führte.69 Die neue Friedensbewegung rekrutierte ihre Anhänger – wie auch andere Neue Soziale Bewegungen – vornehmlich aus dem Bevölkerungssegment der Mittelschicht, mit höherer Bildung, jüngerem Alter, postmaterialistischer Orientierung und Bereitschaft zu unkonventionellen Aktionsformen. Sie war sehr heterogen, verfügte dadurch aber über vielfältige Beziehungen in die Gesellschaft hinein. Während sie für die Mitglieder der politischen Parteien, Gewerkschaften und Kirchen offen war, schloss sie mit diesen selbst keine Bündnisse.70
In beiden deutschen Staaten setzte in der evangelischen Kirche bereits Mitte der 1970er-Jahre eine intensivere Auseinandersetzung mit Friedensfragen ein. Wichtige Impulse hierfür kamen 1975 von der Vollversammlung des ÖRK. Dort wurde an die Kirchen appelliert, ihre Bereitschaft zu zeigen, ohne den Schutz von Waffen zu leben, und auf eine wirksame Abrüstung zu drängen. Dieser Anstoß wurde in der Bundesrepublik von der Gruppe „Ohne Rüstung leben“ aufgenommen. Eine wichtige Initiativfunktion übernahm auch „Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste“ zusammen mit dem niederländischen Interkirchlichen Friedensrat. Durch Unterschriftenkampagnen und Friedenswochen bekamen sie Zugang zu kirchlichen Institutionen und Gemeinden. Die erste Friedenswoche fand unter dem Motto „Frieden schaffen ohne Waffen“ im November 1980 an etwa 350 Orten statt. 1981 riefen bereits 14 der 17 evangelischen Landeskirchen zur Beteiligung an den Friedenswochen auf, die sich als eine Form eigenständiger christlicher Friedensarbeit etablierten.
Der evangelische Kirchentag wiederum entwickelte sich zu einem Kooperationsraum für Rüstungsgegner.71 Auf ihm hatte seit den 1970er-Jahren die Behandlung weltpolitischer Probleme und eine basisbezogene Kommunikation Einzug gehalten.72 Die Initialzündung für die Friedensbewegung erfolgte auf dem Kirchentag 1981 in Hamburg.73 Mit der Demonstration am 20. Juni unter dem Motto „Fürchtet Euch, der Atomtod bedroht uns alle“ wurde die Demonstrationsphase der Bewegung eingeleitet, die ihren ersten Kulminationspunkt mit der Friedensdemonstration am 10. Oktober 1981 in Bonn mit 300.000 Teilnehmern erreichte. Die Demonstration war auf dem Kirchentag verabredet worden und wurde von der „Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste“ und der „Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden“ verantwortet. Kern christlicher Friedensarbeit waren aber nicht Großdemonstrationen, sondern die Bewusstseinsbildung und Aufklärung. Hierfür wurden Informationsreihen sowie Stellungnahmen zu Einzelfragen herausgegeben. „Ohne Rüstung leben“ initiierte zudem Fasten- und Schweigeaktionen, die vornehmlich von Christen durchgeführt wurden, aber auch außerhalb christlicher Kreise Zuspruch fanden. In ihrer Friedensethik bezogen sich die christlichen Friedensgruppen stark auf die Bergpredigt, wobei konkrete Entscheidungen oft mit relativ direktem Rückgriff auf biblische Aussagen begründet wurden.74 Die Gruppen vertraten einen umfassenden Friedensbegriff, der neben den militärischen Aspekten auch Fragen der globalen Friedensordnung durch soziale Gerechtigkeit in der „Dritten Welt“, Umweltfragen, aber auch individuelle Verhaltensänderungen beinhaltete. Mehrheitlich befürworteten sie einseitige kalkulierte Abrüstungsvorleistungen, um einem dogmatischen Gleichgewichtsdenken zu entkommen.75
In der Friedensbewegung bildeten die christlichen Positionen nur einen Teil des pluralistischen Spektrums. So waren etwa in den Demonstrationsaufrufen der Aktionskonferenzen spezifisch christliche Argumentationsfiguren oft nur mit Hintergrundwissen wiederzuerkennen.76 Das Mischungsverhältnis von Religion und Moral in der Friedenssemantik hatte sich seit den 1960er-Jahren deutlich gewandelt. So enthielt zum Beispiel der Topos der „Apokalypse“ in der Bewegungssprache keine religiösen Elemente mehr, sondern diente als Metapher für die in wissenschaftlicher Sprache beschriebenen Folgen einer Nuklearwaffenexplosion. Nur die Friedenssemantik christlicher Gruppen blieb religiös konnotiert.77
13
Trotz des rückläufigen semantischen Einflusses spielten die Gruppen, Institutionen und Einzelpersonen aus dem kirchlichen Bereich für die neue Bewegung eine wichtige Rolle. Da einzelne christliche Gruppen schon seit Mitte der 1970er-Jahre sicherheitspolitische Fragen thematisiert hatten, konnten sie sofort profund in die Diskussion eingreifen. Christen waren für die Durchführung der großen Demonstrationen 1981 verantwortlich; bei den Folgedemon-strationen gehörten sie zum Kern der Organisatoren. Evangelische Akademien boten den Rahmen für Dialoge zwischen Bewegungsakteuren und ihren Kritikern. Aus dem Protestantismus kamen auch einige Integrations- und Symbolfiguren der Friedensbewegung, die dieser in bürgerlichen Schichten Gehör verschafften – zu ihnen zählten erneut Gollwitzer, Albertz und Eppler. Letzterer war in der Hochphase des Friedensprotestes auch Kirchentagspräsident. Unter den Aktivisten der Friedensbewegung machten die Protestanten im September/Oktober 1981 65,7 Prozent aus, wobei der Radius von kirchennahen bis zu kirchenfernen Christen reichte.78 In der evangelischen Bevölkerung unterstützten zwischen Oktober 1981 und Mai 1983 durchschnittlich 24,3 Prozent die Friedensbewegung, 21,25 Prozent sympathisierten mit ihr, aber 54,45 Prozent standen ihr distanziert gegenüber.79 Denn auch innerhalb der evangelischen Kirche waren die Positionen und das Vorgehen der Friedensbewegung umstritten. In Fortsetzung der Debatten der 1950er-Jahre ging es erstens um die Frage, ob nukleare Abschreckung mit christlicher Ethik vereinbar sei, und zweitens um die Frage der Relevanz christlicher Ethik für das politische Handeln des Einzelnen wie für politische Entscheidungsträger.
Friedensdemonstration auf dem Evangelischen Kirchentag in Hannover, Juni 1983 – vorn in der Mitte ist Helmut Gollwitzer zu erkennen.
(Foto: epd-bild/Norbert Neetz)
Großes Aufsehen erregte 1982 eine Erklärung des Moderamens (= Vorstands) des Reformierten Bundes, in der die Haltung zur Nuklearrüstung in eine Bekenntnisfrage transformiert wurde: Es könne für Christen nur ein bedingungsloses Nein zu Massenvernichtungsmitteln geben. Damit war kein Sachdiskurs mehr möglich. Die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche in Deutschland unterstrich hingegen, dass politische Vernunft und Evangelium getrennt werden müssten. Eine bereits 1980 von prominenten Protestanten wie Wolf Graf von Baudissin und Kurt Sontheimer gegründete Gegeninitiative „Sicherung des Friedens“ unterstützte ausdrücklich den NATO-Doppelbeschluss. Wie schon in den 1950er-Jahren versuchte die EKD die widerstreitenden Gruppen miteinander im Gespräch zu halten. Sie selbst bestand 1981 in einer Denkschrift auf dem Primat des Politischen gegenüber den Fragen von Rüstung und Militärstrategie.80 Auf dem Höhepunkt der friedenspolitischen Auseinandersetzungen im Jahr 1983 demonstrierte beim Kirchentag in Hannover eine Mehrheit der Teilnehmer mit lila Tüchern und der Aufschrift „Die Zeit ist da für ein Nein ohne jedes Ja zu Massenvernichtungswaffen“ ihre Position.81 In einem „Wort zur Friedensdiskussion im Herbst 1983“ bat der Rat der EKD die an der Friedensdebatte in Kirche und Öffentlichkeit beteiligten Christen, diskussionsfähig und in ihren Aktionsformen gesetzeskonform zu bleiben. Dezidiert wandte er sich gegen die Legitimation von Protesthandlungen durch den Verweis auf den Widerstand gegen den Nationalsozialismus.82
Die katholische Kirche war von den Auseinandersetzungen über die Friedensfrage weniger betroffen, obgleich auch in ihr kein geschlossenes Einverständnis mit der staatlichen Sicherheitspolitik mehr herrschte. Die bundesdeutsche Sektion von Pax Christi verabschiedete 1980 nach heftigen Diskussionen eine umfangreiche Plattform zu „Abrüstung und Sicherheit“, in der das bisherige Abschreckungssystem kritisiert und eine gradualistische Abrüstungspolitik kalkulierter einseitiger Vorleistungen gefordert wurde. Im Mai 1981 machte der BDKJ „Frieden und Gerechtigkeit“ für drei Jahre zu seinem Schwerpunktthema. Beide Organisationen lehnten die Nachrüstung ab. Weitergehende Forderungen nach einseitiger nuklearer Abrüstung formulierten die „Christen gegen Atomrüstung“ und die „Initiative Kirche von unten“. Letztere und Pax Christi waren die einzigen katholischen Gruppen, die im Koordinierungskomitee der Friedensbewegung vertreten waren. Die katholischen Friedensinitiativen erreichten, dass die Katholikentage zu Diskussionsforen über sicherheitspolitische Fragen wurden. 1980 wurde im Rahmen des von Oppositionsgruppen gestalteten „Katholikentags von unten“ eine von 6.000 Menschen besuchte Kundgebung gegen die Atomrüstung abgehalten, auf der der Protestant Albertz als Hauptredner auftrat.83 Auch sonst kooperierten die katholischen Gruppen häufig mit evangelischen Friedensinitiativen.
Von ihrer Amtskirche erhielten die katholischen Friedensaktivisten keinen Rückhalt. Die Deutsche Bischofskonferenz kritisierte zwar, dass der Rüstungswettlauf zum Schaden der „Dritten Welt“ geführt werde, und verlangte allseitige, multilaterale Abrüstung. Das Recht des Staates auf Selbstverteidigung wurde aber ausdrücklich anerkannt. 1983 plädierte die Bischofskonferenz für eine Fortsetzung der Entspannungspolitik und äußerte Skepsis gegenüber der Abschreckung. Konkrete Bezüge zur aktuellen sicherheitspolitischen Debatte wurden indes vermieden. Keine der katholischen Diözesen rief offiziell zu den ökumenischen „Friedenswochen“ auf; folglich beteiligten sich auch deutlich weniger katholische als evangelische Kirchengemeinden an ihnen.84 Der katholische Klerus reagierte längst nicht mit der gleichen Offenheit auf die Friedensgruppen wie viele evangelische Pfarrer. Scharfe Kritik an der Friedens-bewegung innerhalb und außerhalb der Kirche übte das Zentralkomitee Deutscher Katholiken; mit seiner sicherheitskonservativen Position ignorierte es selbst Beschlüsse des Vatikanischen Konzils.85 Es unterstützte die Politik der Abschreckung und hielt einen möglichen Einsatz von Nuklearwaffen nicht grundsätzlich für ethisch inakzeptabel. Die Friedensbewegung wurde von der katholischen Laienvertretung nicht als ernstzunehmender Dialogpartner akzeptiert – ein deutlicher Unterschied zur Situation in der evangelischen Kirche.
14
5. Fazit
Die beiden christlichen Großkirchen agierten seit den 1960er-Jahren zwar zunehmend als „dialogische Institution[en]“86 und artikulierten ihre politisch-theologischen Ambitionen in der zivilgesellschaftlichen politischen Arena in Konfrontation oder Kooperation mit sozialen Bewegungen. Gleichwohl erhielten sie in der Bundesrepublik auf der Grundlage eines partnerschaftlichen Verhältnisses ihre Nähe zum Staat, blieben mit dem politischen Raum der Parteien verflochten und versuchten auch durch nicht-öffentliches Einwirken auf das politische System, ihre Positionen durchzusetzen.87 Dies taten sie während der 1960er- und 1970er-Jahre insbesondere in Bereichen, wo ihr Einfluss auf die Gesellschaft rapide schwand: in Fragen der privaten Moral.88 Auf dem Gebiet der öffentlichen Moral gab es – auch infolge transnationaler Einflüsse – thematische Schnittmengen mit den sozialen Bewegungen. Den Anliegen der „Dritte-Welt“-Bewegung und der Friedensbewegung verschafften die Kirchen zusätzliche moralische Reputation. Auch kam es hier zur Bereitstellung von kirchlichen materiellen, personellen und organisatorischen Ressourcen. Gegenüber staatlichen Kräften übernahmen Kirchenvertreter mitunter eine Vermittlerrolle; teilweise gerieten sie dabei aber auch zwischen die Fronten. Mit ihrem Engagement – vor allem in der Friedensfrage – steigerten sie temporär ihre eigene zivilgesellschaftliche Präsenz. Dies alles schlug sich aber nicht in einer erhöhten institutionellen Bindekraft der Kirche innerhalb der Nachkriegsgeneration nieder, welche die Neuen Sozialen Bewegungen vornehmlich trug.
Wie sich gezeigt hat, reagierten die beiden Kirchen aus strukturellen, kirchenpolitischen und theologischen Gründen unterschiedlich auf die sozialen Bewegungen. So trifft das oben Gesagte stärker auf den evangelischen Bereich zu. Dort steigerte die partielle Öffnung gegenüber Impulsen der sozialen Bewegungen angesichts der heterogenen Positionen der Kirchenmitglieder aber auch das innerkirchliche Konfliktniveau. Seit den 1960er-Jahren zeigte sich der Katholizismus ebenfalls pluriformer und damit offener für Austauschprozesse mit den sozialen Bewegungen. Seitens der katholischen Amtskirche erhielten die Bewegungen zwar keine offizielle Anerkennung und Unterstützung, doch waren explizite Abschließungsprozesse rückläufig. Traditionelle kirchliche Organisationen und Verbände kooperierten teilweise mit den Bewegungen. Bindeglieder waren die Bewegungsgruppen innerhalb und am Rande beider Kirchen, die oft auch transkonfessionell agierten. Ihre Mitglieder wählten in Reaktion auf Individualisierungsprozesse neue, religiöse Gemeinschaftsformen und engagierten sich in universellen Solidaritätsbezügen. Sie beförderten innerhalb der Bewegungen eine Moralisierung der Politik und in ihren Kirchen eine Politisierung der Religion. Für die Neuen Sozialen Bewegungen bildete das christliche Segment einen durchaus wichtigen Bestandteil, was je nach Opportunitätslage betont oder ignoriert wurde.
1 José Casanova, Public Religions in the Modern World, Chicago 1994, S. 71ff.
2 Eckart Conze siedelt die „Reformzeit“ von 1966 bis 1974 und die „Krisenjahre“ von 1974 bis 1982 an. Vgl. ders., Die Suche nach Sicherheit. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis in die Gegenwart, München 2009.
3 Karl Gabriel, Kirchen, Religion und Religiosität in Deutschland, in: Tobias Mörschel (Hg.), Macht Glaube Politik? Religion und Politik in Europa und Amerika, Göttingen 2006, S. 103-114, hier S. 106.
4 Benjamin Ziemann, Zwischen sozialer Bewegung und Dienstleistung am Individuum. Katholiken und katholische Kirche im therapeutischen Jahrzehnt, in: Archiv für Sozialgeschichte 44 (2004), S. 357-393, hier S. 361.
5 Die Frauenbewegung und die Ökologiebewegung sind hier aus Umfangsgründen ausgespart.
6 Siehe zuletzt Friedrich Wilhelm Graf, Die Wiederkehr der Götter. Religion in der modernen Kultur, München 2007, S. 30–50.
7 Ders., Protestantismus. Geschichte und Gegenwart, München 2006, S. 96.
8 Vgl. Johanna Vogel, Kirche und Wiederbewaffnung. Die Haltung der Evangelischen Kirche in Deutschland in den Auseinandersetzungen um die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik 1949–1956, Göttingen 1978.
9 Vgl. Michael Werner, Die „Ohne-mich“-Bewegung. Die bundesdeutsche Friedensbewegung im deutsch-deutschen Kalten Krieg (1949–1955), Münster 2006.
10 Anselm Doering-Manteuffel, Katholizismus und Wiederbewaffnung, Mainz 1981, S. 244.
11 Vgl. zum Folgenden ebd., S. 117-122, sowie Eckart Dietzfelbinger, Die westdeutsche Friedensbewegung 1948 bis 1955. Die Protestaktionen gegen die Remilitarisierung der Bundesrepublik Deutschland, Köln 1984, S. 260-263.
12 Hans-Adolf Jacobsen, Zur Rolle der öffentlichen Meinung bei der Debatte um die Wiederbewaffnung 1950–1955, in: Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hg.), Aspekte der deutschen Wiederbewaffnung bis 1955, Boppard 1975, S. 61-117, hier S. 76.
13 Zit. nach Josef Müller, Die Gesamtdeutsche Volkspartei. Entstehung und Politik unter dem Primat nationaler Wiedervereinigung 1950–1957, Düsseldorf 1990, S. 221.
14 Vgl. Holger Nehring, Politics, Symbols and the Public Sphere: The Protests against Nuclear Weapons in Britain and West Germany, 1958–1963, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 2 (2005), S. 180-202; Axel Schildt, „Atomzeitalter“ – Gründe und Hintergründe der Proteste gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr Ende der 50er Jahre, in: Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (Hg.), „Kampf dem Atomtod!“. Die Protestbewegung 1957/58 in zeithistorischer und gegenwärtiger Perspektive, Hamburg 2009, S. 39-56.
15 Ausführlicher: Claudia Lepp, Tabu der Einheit. Die Ost-West-Gemeinschaft der evangelischen Christen und die deutsche Teilung (1945–1969), Göttingen 2005, S. 269-277.
16 Vgl. Ulrich Möller, Im Prozeß des Bekennens. Brennpunkte der kirchlichen Atomwaffendiskussion im deutschen Protestantismus 1957–1962, Neukirchen-Vluyn 1999, S. 344.
17 Alice Holmes Cooper, The West German Peace Movement and the Christian Churches: An In-stitutional Approach, in: Review of Politics 50 (1988), S. 71-98, hier S. 89.
18 Heinz Hürten, Zur Haltung des deutschen Katholizismus gegenüber der Sicherheits- und Bündnispolitik der Bundesrepublik Deutschland 1948–1960, in: Albrecht Langer (Hg.), Katholizismus im politischen System der Bundesrepublik 1949–1963, Paderborn 1978, S. 83-102, hier S. 99.
19 Abdruck des Gutachtens in: Herder-Korrespondenz 12 (1957/58), S. 395ff.
20 Vgl. Karl A. Otto, Vom Ostermarsch zur APO. Geschichte der außerparlamentarischen Opposition in der Bundesrepublik 1960–1970, Frankfurt a.M. 1982.
21 Vgl. Andreas Buro, Friedensbewegung, in: Roland Roth/Dieter Rucht (Hg.), Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945. Ein Handbuch, Frankfurt a.M. 2008, S. 267-291, hier S. 273.
22 So Holger Nehring, Die eigensinnigen Bürger. Legitimationsstrategien im politischen Kampf gegen die militärische Nutzung der Atomkraft in der Bundesrepublik der frühen 60er Jahre, in: Habbo Knoch (Hg.), Bürgersinn mit Weltgefühl. Politische Moral und solidarischer Protest in den 60er und 70er Jahren, Göttingen 2007, S. 117-137, hier S. 126.
23 Vgl. Martin Greschat, Protestantismus und Evangelische Kirche in den 60er Jahren, in: Axel Schildt/Detlef Siegfried/Karl Christian Lammers (Hg.), Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften, 2. Aufl. Hamburg 2003, S. 544-581, hier S. 547-552.
24 Vgl. Otto, Ostermarsch (Anm. 20), S. 119.
25 Ebd., S. 87, S. 211.
26 Dieter Rucht, Soziale Bewegungen der 1960er und 70er Jahre in der Bundesrepublik, in: Siegfried Hermle/Claudia Lepp/Harry Oelke (Hg.), Umbrüche. Der deutsche Protestantismus und die sozialen Bewegungen in den 1960er und 70er Jahren, Göttingen 2007, S. 91-107, hier S. 101.
27 Zum Politisierungsprozess vgl. allgemein: Pascal Eitler, „Gott ist tot – Gott ist rot“. Max Hork-heimer und die Politisierung der Religion um 1968, Frankfurt a.M. 2009.
28 Vgl. Angela Hager, Westdeutscher Protestantismus und Studentenbewegung, in: Hermle/Lepp/Oelke, Umbrüche (Anm. 26), S. 111-130, hier S. 115f.
29 Vgl. Reinhard Frieling, Die Aufbrüche von Uppsala 1968, in: Hermle/Lepp/Oelke, Umbrüche (Anm. 26), S. 176-188.
30 Vgl. Hager, Protestantismus (Anm. 28), hier S. 115f.
31 Für die „Frontstadt“ West-Berlin zeigt dies Sven Daniel Gettys, Wie politisch darf die Kirche sein? Politisierungsdiskurse in protestantischen Zeitschriften (1967/68), in: Klaus Fitschen u.a. (Hg.), Die Politisierung des Protestantismus. Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland während der 1960er und 70er Jahre, Göttingen 2010, S. 221-242.
32 Vgl. ausführlicher Claudia Lepp, Helmut Gollwitzer als Dialogpartner der sozialen Bewegungen, in: Hermle/Lepp/Oelke, Umbrüche (Anm. 26), S. 226-246.
33 Vgl. zu Dutschkes Frömmigkeit Angela Hager, Rudi Dutschke: Radikal fromm, in: Gudrun Litz/Heidrun Munertz/Roland Liebenberg (Hg.), Frömmigkeit, Theologie, Frömmigkeitstheologie. Contributions to Europan Church History, Leiden 2005, S. 779-796.
34 Thomas Großbölting, Vom „akademischen Bieresel“ zum „theophilen Revoluzzer“? Konfliktebenen und Protestformen katholischer Studierender in der Studentenbewegung, in: Bernd Hey (Hg.), Kirche, Staat und Gesellschaft nach 1945. Konfessionelle Prägung und sozialer Wandel, Bielefeld 2001, S. 213-225, hier S. 223.
35 Vgl. ebd.
36 Näheres ebd., S. 221. Vgl. zum Gesamtkomplex auch Christian Schmidtmann, Katholische Studierende 1945–1973. Ein Beitrag zur Kultur- und Sozialgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, Paderborn 2006, S. 353-367.
37 Klaus Schatz, Zwischen Säkularisation und Zweitem Vatikanum. Der Weg des deutschen Katholizismus im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1987, S. 323; Ziemann, Bewegung (Anm. 4), S. 365f.
38 Thomas Großbölting, Zwischen Kontestation und Beharrung. Katholische Studierende und die Studentenbewegung, in: Westfälische Forschungen 48 (1998), S. 157-189, hier S. 158.
39 Vgl. ebd., S. 182f.
40 Vgl. auch zum Folgenden Peter Cornehl, Dorothee Sölle, das „Politische Nachtgebet“ und die Folgen, in: Hermle/Lepp/Oelke, Umbrüche (Anm. 26), S. 265-285, hier S. 265.
41 Zu den Gruppen in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern vgl. Angela Hager, Ein Jahrzehnt der Hoffnungen. Reformgruppen in der bayerischen Landeskirche 1966–1976, Göttingen 2010.
42 Vgl. Wolf-Dieter Hauschild, Kontinuität und Wandel. Die Evangelische Kirche in Deutschland und die sog. 68er Bewegung, in: Bernd Hey/Volkmar Wittmütz (Hg.), 1968 und die Kirchen, Bielefeld 2008, S. 35-54, hier S. 37.
43 Siehe ebd.
44 Vgl. ebd., S. 53.
45 Vgl. Größbölting, „Bieresel“ (Anm. 34), S. 214, und ders., Kontestation (Anm. 38), S. 183ff., der dies am Beispiel der katholischen Studentengemeinden ausführt.
46 Franz Nuscheler u.a., Christliche Dritte-Welt-Gruppen. Praxis und Selbstverständnis, Mainz 1995, S. 27.
47 Ulrich Willems, Evangelische Kirche und Solidaritätsbewegung. Aktionsformen und Konflikt-linien „advokatorischer Politik“ am Beispiel des Pharmahandels, in: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen 3/4 (1993), S. 99-109, hier S. 99. Ausführlich zur Geschichte des evangelischen Entwicklungsdiensts: ders., Entwicklung, Interesse und Moral. Die Entwicklungspolitik der Evangelischen Kirche in Deutschland, Opladen 1998, S. 225-396.
48 Vgl. Bastian Hein, Die Westdeutschen und die Dritte Welt. Entwicklungspolitik und Entwicklungsdienste zwischen Reform und Revolte 1959–1974, München 2006, S. 136.
49 Vgl. Claudia Lepp, Gewalt und gesellschaftlicher Wandel. Protestantische Kontroversen über politisch motivierte Gewaltanwendung in den 1960er und 1970er Jahren, in: Historisches Jahrbuch 128 (2008), S. 523-539.
50 Siehe Willems, Kirche (Anm. 47), S. 99.
51 Abgedruckt in: Die Denkschriften der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bd. 1: Frieden, Versöhnung und Menschenrechte, Gütersloh 1978, S. 135-188.
52 Vgl. Jörg Ernst, Die entwicklungspolitische Öffentlichkeitsarbeit der evangelischen Kirchen in Deutschland und der Schweiz, Münster 1999.
53 Vgl. Hein, Die Westdeutschen (Anm. 48), S. 139.
54 Siehe Ingo Juchler, Die Studentenbewegungen in den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland der 60er Jahre. Eine Untersuchung hinsichtlich ihrer Beeinflussung durch Befreiungsbewegungen und -theorien aus der Dritten Welt, Berlin 1996, S. 82, S. 17.
55 Claudia Olejniczak, Dritte-Welt-Bewegung, in: Roth/Rucht, Bewegungen (Anm. 21), S. 319-345, hier S. 325.
56 Vgl. Hein, Die Westdeutschen (Anm. 48), S. 139.
57 Vgl. ebd., S. 144.
58 Vgl. ebd., S. 145.
59 Vgl. ebd., S. 145, S. 241.
60 Vgl. Karl Gabriel u.a., Handeln in der Weltgesellschaft: Christliche Dritte-Welt-Gruppen, hg. von der Wissenschaftlichen Arbeitsgruppe für weltkirchliche Aufgaben der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 1995, S. 23.
61 Vgl. Roland Spliesgart, Theologie und „Dritte Welt“, in: Hermle/Lepp/Oelke, Umbrüche (Anm. 26), S. 189-209.
62 Vgl. Ziemann, Bewegung (Anm. 4), S. 377.
63 Denkschriften (Anm. 51), S. 172.
64 Willems, Entwicklung (Anm. 47), S. 486f.
65 Ders., Kirche (Anm. 47), S. 106.
66 So zumindest der Befund für die 1990er-Jahre. Vgl. Gabriel u.a., Handeln (Anm. 60), S. 99.
67 Vgl. Olejniczak, Dritte-Welt-Bewegung (Anm. 55), S. 319-345.
68 Knoch, Bürgersinn (Anm. 22).
69 Vgl. Eckart Conze, Modernitätsskepsis und die Utopie der Sicherheit. NATO-Nachrüstung und Friedensbewegung in der Geschichte der Bundesrepublik, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 7 (2010), S. 220-239.
70 Buro, Friedensbewegung (Anm. 21), S. 278.
71 Vgl. Rüdiger Schmitt, Die Friedensbewegung in der Bundesrepublik Deutschland. Ursachen und Bedingungen der Mobilisierung einer neuen sozialen Bewegung, Opladen 1990, S. 152.
72 Zum Kirchentag vgl. Harald Schroeter-Wittke, Der Deutsche Evangelische Kirchentag in den 1960er und 70er Jahren – eine soziale Bewegung? in: Hermle/Lepp/Oelke, Umbrüche (Anm. 26), S. 213-225.
73 Vgl. Helmut Zander, Die Christen und die Friedensbewegungen in beiden deutschen Staaten. Beiträge zu einem Vergleich für die Jahre 1978–1987, Berlin 1989, S. 344.
74 Vgl. ebd., S. 353.
75 Vgl. ebd., S. 358.
76 Vgl. ebd., S. 351.
77 Vgl. Holger Nehring, Sicherheitstherapien. Religiöse und moralische Semantiken des Friedens in den britischen und westdeutschen Protesten gegen Atomwaffen 1957–1983, in: Helke Stadtland (Hg.), „Friede auf Erden“: Religiöse Semantiken und Konzepte des Friedens im 20. Jahrhundert, Essen 2009, S. 231-254, hier S. 244.
78 Schmitt, Friedensbewegung (Anm. 71), S. 300.
79 Ebd., S. 156.
80 Frieden wahren, fördern und erneuern, in: Die Denkschriften der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bd. 1,3: Frieden, Menschenrechte, Weltverantwortung, Gütersloh 1993, S. 15-110.
81 Rüdiger Runge/Margot Käßmann (Hg.), Kirche in Bewegung. 50 Jahre Deutscher Evangelischer Kirchentag, Gütersloh 1999, S. 155.
82 In: Denkschriften (Anm. 80), S. 119-127, hier S. 124f.
83 Vgl. Lutz Lemhöfer, Zögernder Aufbruch aus dem Kalten Krieg. Die katholische Kirche und die bundesdeutsche „neue Friedensbewegung“, in: Reiner Steinweg (Red.), Die neue Friedensbewegung. Analysen aus der Friedensforschung, Frankfurt a.M. 1982, S. 245-257, hier S. 245.
84 Schmitt, Friedensbewegung (Anm. 71), S. 154.
85 Lemhöfer, Aufbruch (Anm. 83), S. 251f.
86 Detlef Pollack, Der Protestantismus in Deutschland in den 1960er und 70er Jahren. Forschungsprogrammatische Überlegungen, in: Mitteilungen der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte 24 (2006), S. 103-125, hier S. 122.
87 So auch Gabriel in Korrektur zu Casanova. Vgl. Gabriel, Kirchen (Anm. 3), S. 114.
88 Vgl. z.B. zur Einflussnahme in der Abtreibungsfrage Simone Mantei, Nein und Ja zur Abtreibung. Die evangelische Kirche in der Reformdebatte um § 218 StGB (1970–1976), Göttingen 2004.