Produktionsjubiläen werden gefeiert, seit es Massenproduktion gibt. Sie sind Selbstdarstellung erfolgreicher Arbeit und Inszenierung gesellschaftlicher Bedeutung, beides in der Hoffnung, dass die quantitative Größe der Produktion in eine qualitative Aufwertung des Produkts umschlägt. Die Form dieser Feiern folgt dabei medialen Vorgaben und ist etwa bei der Großserien-Fertigung von Automobilen direkt mit der Geschichte des Mediums Fotografie verbunden – wie es scheint, mit dessen Aufstieg und Ende gleichermaßen.
Doch zunächst ein Blick zurück: Die Entnahme einer Bronzeskulptur aus der Gussform oder der Abschluss eines Gemäldes durch das Firnissen im Beisein des Auftraggebers sind wichtige Rituale, seit es Kunst gibt.1 Kultiviert wurden derlei Vorgänge und ihre Inszenierungen vor allem in feudalen Gesellschaften, bei der Indienstnahme von Kunst und Künsten zu religiösen Überhöhungen von Machtverhältnissen.2 Die Gründung neuer dynastischer Verhältnisse durch Heiraten oder Eroberungen und die Ablösung einer Herrschaft durch Tod und Trauerfeier waren Anlässe zur Schaffung von Denkmälern auf Zeit, für die sich seit der Antike ein relativ fester Kanon monumentaler Formen etabliert hat.3 Grundlage dieser Formen ist der Triumph des Imperators, der römische Festzug bei der Rückkehr von einer siegreichen Schlacht.4 Der Kern des Triumphes lag im Überschreiten einer Stadtgrenze, möglichst durch einen eigens errichteten Bogen hindurch, der zudem als dauerhaftes Zeichen eines vergangenen Festes erhalten blieb. Diese Form des Adventus hat sich bis in rituelle Feste des deutschen Kaiserreichs ab 1871 erhalten – nicht nur im politischen Kontext, sondern auch an den Schnittstellen zwischen Industrie und gesellschaftlicher Repräsentation.5
Als 1911 die 10.000. Panzerplatte aus dem Krupp’schen Hammer rauschte, standen Seine Majestät Kaiser Wilhelm II. mit den Herren von Krupp auf der Seite der Zuschauer.6 Produktionsjubiläen wurden im 20. Jahrhundert mit ähnlichem Putz und Blumenschmuck begangen wie die monarchischen Feiern früherer Jahrhunderte. Und wie es den einfachen Soldaten im römischen Triumphzug erlaubt war, durchaus deftige Kritik an den Imperatoren zu üben, erscheinen auf manchen Bildern von Produktionsjubiläen demonstrative Texttafeln, die soziale Verbesserungen anmahnen. Vom Aufbau und Ablauf der Inszenierung her besitzen die Erinnerungsfeste für Herrscher und diejenigen für Industrieprodukte starke Analogien.
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Wenn der römische Imperator die Schwelle zur Stadt überschritt, verlor er alle Gewalt und Würde seines Amts und wurde zum einfachen Bürger, hatte sich auch in die einfache Tunika zu kleiden und die Waffen abzulegen. Triumphbögen hatten daher vor oder an der Stadtgrenze zu stehen und die Schwelle des Ruhms wie seine Vergänglichkeit zu versinnbildlichen. Für Industrieprodukte gilt Vergleichbares: Sobald sie das Werk verlassen, müssen sie sich am Markt bewähren, müssen verkauft und benutzt werden. Die Bewegungsrichtung der Inszenierung von Triumphzug und Produktionsjubiläum ist gleich geblieben: aus dem geschützten Raum klarer Befehlsgewalt und militärisch wie industriell organisierter Arbeitsabläufe hinaus in die raue und ungeordnete Welt des Wettbewerbs um Aufmerksamkeit, Einfluss und Gewinn.7
Allzu weit sollten derlei Vergleiche jedoch nicht getrieben werden. Im Folgenden seien am Beispiel des Volkswagenwerks und seiner Automobile einige Formen der Inszenierung von Produktionsjubiläen sowie deren fotografischer Aufzeichnung dargestellt, bevor anhand der Zahlenmystik auf spezielle Anlässe und Produkte eingegangen wird. Schließlich wird das Umkippen dieser Inszenierung im Totenkult wie auch für die jeweils letzten Produkte einer Serie oder eines Werks geschildert.8
Über die Rampe am Ende des Fließbandes, von der ein fertig montiertes Auto auf den Parkplatz gefahren wird, ist ein einfaches Tor aus Holzbalken gebaut und mit Tannenzweigen sowie einem Holzschild dekoriert worden. Solche Zweige hängen auch als Girlande auf einem Fahrzeug, das von zwei Personen über die Rampe gefahren und nur für die Aufnahme kurz angehalten wird; der Fahrer – ein Vertreter der britischen Militärverwaltung des Werks, der auf dem nächsten Bild in Uniform wiederzuerkennen ist – schaut aus dem geöffneten Fenster heraus. Die Rampe, über die der Wagen fährt, markiert die Grenze zwischen Innen und Außen der Fabrik. Der knappe Bildausschnitt zeigt die tatsächliche Montagelinie an; der Wagen hinter dem Festauto ist gut erkennbar, mit geöffneter Haube und Reserverad. Neben Tor und Rampe stehen einige Männer, teilweise als Arbeiter, manche auch als Meister zu erkennen (im Kittel) oder als Manager (im Anzug). Die Körperhaltung dieser Männer wirkt abweisend; man kann nur vermuten, dass dies mit den gelegentlichen Spannungen zwischen britischer Verwaltung und deutscher Werksleitung zu tun haben mag.9 Die Beschriftung des Holzschildes am oberen Torbogen ist vollständig in Englisch gehalten und verweist auf den 1000. Volkswagen, der im März 1946 vom Band gelaufen ist.
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Für den 10.000. Volkswagen, der im Oktober 1946 aus der Produktion kam, gibt es gleich zwei Bilder: Das eine entspricht von Raumsituation und Gerüst weitgehend dem Bild vom 1000. VW. Allerdings sind der Abstand des Fotografen, das Holzschild mit Beschriftung (nun in deutscher Sprache) und die Menge der Fotografierten ungleich größer. Die Pose ist etwas lockerer, die Menschen sind neben und hinter dem Auto aufgestellt; vom Fotografen waren sie instruiert worden, über den Moment des Blitzens hinaus ruhig stehenzubleiben. Damit konnte trotz der begrenzten Reichweite des Blitzlichts wenigstens etwas von der Größe des Raums im Bild eingefangen werden. Kurz vor diesem offiziellen Foto war offensichtlich ein anderes aufgenommen worden, das das Auto zwar an derselben Stelle auf der Rampe stehend zeigt, ansonsten in seinem engeren Ausschnitt aber eine ganz andere Szene: Rund 30 bis 40 Werksangehörige, darunter viele Frauen, sind neben, hinter und auf dem Wagen postiert, dazu fünf teilweise zerbrochene Kreidetafeln mit Aufschriften, die auf die schlechte Versorgungslage der im Werk arbeitenden Menschen verweisen. Im Vordergrund deutet eine Art Rebus an, dass die Chef-Etage sehr viel besser mit Bier, Zigarren und Speisen versorgt wird als diejenigen, die das Auto gebaut haben. Zur Verdeutlichung des Protestes wird die Szene stärker von der Seite aufgenommen, was nicht nur die auf dem Auto sitzenden Arbeiterinnen zeigt, sondern auch als Dekonstruktion des monumentalen Aufbaus der offiziellen Jubiläumsfeier verstanden werden kann. Unbewusst greifen die Arbeiterinnen und Arbeiter dieses Bildes die alte Tradition des Triumphzugs auf, bei dem die Soldaten mit skandierten Sprüchen Kritik am Feldherrn üben durften.
Inszenatorisch ist mit diesen beiden Bildern des Jahres 1946 das Muster für die nächsten Produktionsjubiläen und damit auch für deren fotografische Dokumentation festgelegt worden. Allein die Menschenmenge wächst, die Festredner bedienen sich des Mikrofons, der Schmuck und die Nummernschilder werden größer und aufwändiger. In der Bilderfolge zum millionsten Volkswagen kulminiert diese Reihe der Gleichartigkeit. Immerhin hat es ein solches Bild des Jahres 1955 in einen zeithistorischen Bildatlas geschafft und gilt mithin als Symbol des wirtschaftlichen Wiederaufstiegs in der Bundesrepublik.10
Von diesem Bild, das einen „Käfer“ an einem undefinierten Ort der Werkshalle inmitten einer riesigen Menge von Journalisten und Würdenträgern zeigt, gibt es zahlreiche Varianten – zumeist von oben aufgenommen und mit einem Schriftzug „1 Million“ im oberen Bildbereich, der offensichtlich in nachträglichen Retuschen seiner Trägerkonstruktion beraubt wurde. Zum selben Anlass existiert ein „echtes“ Bild vom Bandablauf mit dem damaligen Generaldirektor Heinrich Nordhoff11 am Fahrzeug. Außerdem wurden diverse Varianten mit geparkten Fahrzeugen vor dem Wolfsburger Werk aufgenommen, die das Logo des Konzerns oder den Schriftzug „EINE MILLION“ formen. Diese automobilen Rangierkunststücke für die Kamera zeigen jeweils eine der damaligen Tagesproduktionen – ein netter PR-Gag nach US-amerikanischem Vorbild.12
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Ab Januar 1953 besaß das Volkswagenwerk eine eigene Fotoabteilung, die bis Juli 1974 vom ehemaligen Schiffsbautechniker Willi Luther geleitet wurde.13 Als zunächst „engagierter Amateur“ mit eifrigem Besuch in Abendkursen berühmter Fotografen repräsentierte Luther eine fotografische Tradition aus präziser Sachlichkeit und moderater wie monumentaler Modernität, die für die Fotografie in Deutschland zwischen 1920 und 1960 bestimmend war.14 Seine Arbeitsweise war durch große Effizienz im Einsatz der technischen Mittel gekennzeichnet, also dem Auftrag im Werk adäquat: Für Architektur- und Industriebilder arbeitete man mit dem Großformat zwischen 9 cm x 12 cm und 13 cm x 18 cm, die Pressebilder werden im Mittelformat 6 cm x 6 cm angefertigt, und die Nachbearbeitung im hauseigenen Fotolabor erlaubte auch Retuschen wie die Entfernung des Gerüstes am Schriftzug „1 Million“.15 Etwa zu dieser Zeit beginnen die Bilder auch farbig zu werden, damit man sie größeren Magazinen und Titelseiten anbieten konnte; allerdings blieben die Druckvorlagen für die Tages- und Werkszeitungen noch für mehrere Jahre schwarzweiß. Bei den Aufnahmen von Produktionsjubiläen hatte der Fotograf allein die Aufgabe, eine gegebene Inszenierung ins Bild zu bringen; mehr als kleine Korrekturen am Aufbau der Szenerie konnte er nie durchsetzen. Auch hieraus ergibt sich eine bildliche Kontinuität unabhängig von der Person des Fotografen und seinen stilistischen Prägungen. Differenzen ergaben sich allenfalls noch aus der Zusammensetzung der Menschengruppen, denen ab 1960 selbstverständlich auch Arbeitnehmer aus dem Ausland angehörten – selten stehen sie ganz vorn auf den Bildern, aber sichtbar sind sie fast immer.
Mit ähnlichem Pomp wie der millionste wurde 1965 der 10-millionste Volkswagen gefeiert, während die Inszenierung des Produktionsweltrekords, bei dem der „Käfer“ die Zahl der jemals gebauten Ford-T-Modelle überholte, wieder stärker auf den klassischen Montageband-Ablauf zurückgriff. Dabei wurde mit moderner Schrift, bunter Blumendekoration und großem Rednerpult einerseits das bekannte Muster der triumphalen Feier verfolgt; andererseits standen die Männer um das Auto und seinen Nachfolger in Arbeitskleidung herum – sicher ein sorgfältig inszenierter Farbklang aus blausilbernem Festwagen, gelbem Folgefahrzeug sowie den Männern in Blaumann und Blaukittel daneben. Das war 1972, und werksintern wie in der Weltwirtschaft ahnte man schon, dass es nicht so weitergehen konnte. Gerade als die Ford’sche Produktion überholt worden war, begannen sich der Fordismus selbst und auch seine bildliche Darstellung grundlegend zu verändern. Ab den 1970er-Jahren wurden in der bundesdeutschen Industrie sämtliche firmeneigenen Werksfoto-Ateliers geschlossen, und die Arbeit wurde auf Fotografen von außen verlagert.16 Spätere Inszenierungen führen vom industriellen Ambiente ganz weg, etwa bei der Präsentation des 100-millionsten Volkswagens in einem vor allem mit Markenzeichen geschmückten Foyer (2005): Die Anwesenden tragen keine Arbeitskleidung, sondern Abendgarderobe.
Zudem hat sich das Montageband verändert, und damit die Schwelle von Drinnen nach Draußen. Die industrielle Fertigung ist kein schmutziges Geschäft mehr – das überlässt man den Robotern. Der 25-millionste „Golf“ verlässt im Jahr 2007 das Werk über eine wohnlich saubere Arbeitsstraße (siehe oben); die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in weiße Kittel und hellblaue Hemden gekleidet, der Vorstand trägt farbige Krawatten. Auch die Haltung und das Minenspiel haben sich verändert: Der Ernst der Nachkriegszeit und die Monumentalität der 1950er-Jahre sind einer kollektiven Fröhlichkeit gewichen. Selbstverständlich gibt es hier keinen Torbogen mehr, und die Schrifttafeln wurden zur Notiz auf der Windschutzscheibe. In einem transparenten, von virtuellen Abläufen geprägten Produktionsprozess gibt es kein Innen und Außen des Werks mehr.
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Bei Produktionsjubiläen gibt es zwei hauptsächliche Anlässe zum Feiern: eine irgendwie runde Zahl oder die Überholung eines historischen, hausinternen oder fremden Konkurrenzprodukts – wie im oben erwähnten Beispiel des Ford-T-Modells. Runde Zahlen lassen sich durch reine Produktion generieren oder aber durch besondere Verkaufserfolge. Hier kommen die Exportziffern ins Spiel: Wenn besonders viele Fahrzeuge in ein Land oder auf einen Kontinent verkauft werden, ist dies allemal einen kurzen Festakt und ein Foto wert. Für die 1950er- und 1960er-Jahre sind zwei Varianten erkennbar: Der 3000. „Käfer“, der 1955 nach Luxemburg verkauft wurde, steht auf der Verladerampe neben einem Zug mit anderen Fahrzeugen desselben Typs. Dekoriert ist er mit einer einfachen Girlande rund um ein Schild, auf dem das Jubiläum vermerkt ist. Das Bild ist menschenleer. Beim 10.000. VW für Schweden im Jahr 1957 steht das Fahrzeug noch auf dem Förderband, das die fertigen Autos zur Verladung bringt. Der andere Bildtypus dieser Art Jubiläum ist die Übergabe eines ebenso dekorierten Wagens auf einem Parkplatz im Beisein von Generalimporteuren und Firmenvertretern. Beim 100.000. VW für Australien, einem Transporter, ging der Fotograf 1960 gar ein wenig in die Knie, um Wagen wie Akteure der Übergabe miteinander auf Augenhöhe zu bringen und ein wenig zu monumentalisieren.
Was der Endmontage recht war, musste der Teilefertigung billig sein: Für einzelne Baugruppen und vor allem für deren Herstellungsbetriebe waren Produktionsjubiläen ebenso wichtiger Bestandteil von innerbetrieblichen Identifikationsstrategien wie der Pressearbeit nach außen. Selbstverständlich waren die Feiern entsprechend kleiner als diejenigen des ganzen Fahrzeugs, aber ihre fotografische Inszenierung enthielt manche Elemente des Triumphzugs: ein Podest am Ende des Montagebands oder mindestens eine geschmückte Umrandung, dazu das Werkstück mit einigen Schildern und die Arbeiter in sauberen Kleidern. Die Schilder waren meist handgeschrieben oder schabloniert; manche Sprüche auf ihnen waren gereimt, aber Kritik an den Arbeitsbedingungen enthielten sie nicht mehr. Mit größerer Zahl fiel die Besonderheit des Produktionsjubiläums weniger auf. So reichte es bei der 300.000. Vorderachse im Werk Braunschweig um 1953, den Werksfotografen anzurufen, ein Schablonenschild mit Ziffern aufzustellen, kurz von der Arbeit hochzublicken – und weiter ging es in der Produktion.17 Erst wenn eine Produktion zu Ende ging, war die erreichte Zahl noch einmal bemerkenswert.
Wieder ein kleiner Aufbau am Ende eines Montagebandes, wieder ein wenig Grüngirlande und Blumenschmuck, wieder Männer in sauberen Blaumännern, aber diese schon mit eher skeptischem Blick und einer leicht abwehrenden Körperhaltung: Dies scheint ein nicht so fröhlicher Anlass zu sein wie die Feier eines Produktionsjubiläums. Zwei blaue Metallschilder geben Auskunft – das vordere: „Die letzte Typ [...] Tragrohrvorderachse 9. Dez. 1977“, das hintere: „Gesamt gefertigt: 14.782.596 Stck.“ Das letzte Objekt eines industriellen Typs deutet immer auch auf eine veränderte Fertigung hin. Während der Aufnahmezeit wurde das Braunschweiger Werk, wo diese Aufnahme entstand, in Fertigungstechnik und Arbeitsorganisation erheblich modernisiert, was nicht ohne tarifliche Auseinandersetzungen vonstatten ging.18 Insofern markiert diese Aufnahme noch nicht den endgültigen Abschied von einem Produkt oder einer Maschine wie etwa die letzte Aufnahme des Hammers „Fritz“ im Krupp-Werk von 1911, für die noch einmal alle Arbeiten rund um die Maschine in Szene gesetzt wurden.19
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In räumlicher Inszenierung wie fotografischer Aufzeichnung ist den letzten Produktionsbildern eine Aufnahme erstaunlich ähnlich: die Totenwache des Volkswagen-Vorstands für den früheren Generaldirektor und späteren Vorstandsvorsitzenden Heinrich Nordhoff im Jahr 1968.20 In die Versuchshalle des Wolfsburger Werks wurde ein schwarzer Vorhang eingezogen, davor der klassisch monumentale Aufbau eines Totengedenkens arrangiert. Doch die Herren neben dem Leichnam, die Aufbahrung auf einem textil verkleideten Sockel und die pyramidal aufgestellten Kerzen lassen den Übergang zwischen dem Fetisch Industrieprodukt21 und der Endlichkeit des Herrschenden schmal werden. Sobald ein Patriarch aus der Zeit genommen wird – und bei Nordhoff reichten die Ehrentitel von „Mr. VW“ bis „König Heinrich“ –, fungiert das Bild als Denkmal. Doch besteht ein entscheidender Unterschied zu den Inszenierungen von Produktionsjubiläen und Produktionseinstellungen: Das Trauerfest dient der medialen Transformation. Das Bild der Erinnerung an einen Menschen bleibt ein grundsätzlich anderes als dasjenige der Erinnerung an einen Triumph in Krieg, Politik oder industrieller Produktion.
Dass sich durch den Überfluss der Bilder in den letzten Jahrzehnten die tradierten Formen des Gedenkens und seiner Aufzeichnung radikal verändert zu haben scheinen, steht auf einem anderen Blatt. Mit dieser Entwicklung des Gedenkens hat sich auch die Feier von Produktionsjubiläen vollkommen gewandelt: In einer postfordistisch geprägten Industrie sind Jubiläen allein Anlässe zu Werbeaktionen, etwa Rabatten oder Neuauflagen von Produkten. Insofern mag dieser Bilderreigen mit einer symptomatischen Aufnahme abgeschlossen werden: der Übergabe des 15-millionsten Objektivs der Optischen Werke Josef Schneider in Bad Kreuznach an den Fotokünstler Andreas Gursky während der Messe „photokina 2008“ in Köln.22
Das Bild ist ein ebenso ephemeres Produkt wie sein Anlass und einzig als PR-Aktion angelegt: Eine eher unscharfe Aufnahme unter Messebeleuchtung, schnell bei einem kurzen Besuch von Vorstand und Künstler produziert, muss digital noch so bearbeitet werden, dass die Urkunde mit dem Schriftzug „Das 15-millionste Objektiv“ lesbar wird. Der Stolz des Machens, wie er sich in der Körperhaltung von Arbeitern des VW-Werks manifestierte, ist hier der Sicht über Schulter und Arm auf Objekt und Urkunde gewichen, ohne Bezug zur Produktion oder zum Produkt. Selbst der Beschenkte schaut mäßig interessiert, und was seine Bilder mit dem Objektiv zu tun haben, wird nicht ersichtlich. Die Zeit des Stolzes auf ein Produkt als Grundlage einer Industrie ist offenbar endgültig vorbei und lässt sich auch durch die Klage über den Verlust des Handwerks nicht mehr zurückholen.23
Abbildungen (sofern nicht anders angegeben):
Abteilung Historische Kommunikation der Volkswagen AG
1 Hans Belting, Das unsichtbare Meisterwerk. Die modernen Mythen der Kunst, München 1998, S. 56-60.
2 Martin Warnke, Hofkünstler. Zur Vorgeschichte des modernen Künstlers, Köln 1996.
3 Werner Oechslin/Anja Buschow, Festarchitektur. Der Architekt als Inszenierungskünstler, Stuttgart 1984, S. 19-53.
4 Klaus Bringmann, Der Triumph des Imperators und die Saturnalien der Sklaven in Rom, in: Uwe Schultz (Hg.), Das Fest. Eine Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart, München 1988, S. 50-58; Tanja Itgenshorst, „Tota Illa Pompa“. Der Triumph in der römischen Republik, Göttingen 2005, S. 13-41.
5 Klaus Tenfelde, Adventus. Zur historischen Ikonologie des Festzugs, in: Historische Zeitschrift 235 (1982), S. 45-84.
6 Hartmut Pogge von Strandmann, Krupp in der Politik, in: Klaus Tenfelde (Hg.), Bilder von Krupp. Fotografie und Geschichte im Industriezeitalter, München 1994, S. 181-199, hier S. 199 (Abb. 21).
7 Richard Bachinger, Assoziationen zur Unternehmenskultur und Stammeskultur, in: Uta Brandes/Richard Bachinger/Michael Erlhoff (Hg.), Unternehmenskultur und Stammeskultur. Metaphysische Aspekte des Kalküls, Darmstadt 1988, S. 63-73.
8 Für die Zusammenstellung von eindrucksvollem Bildmaterial, das hier nur in Teilen präsentiert werden kann, danke ich der Abteilung Historische Kommunikation der Volkswagen AG, insbesondere Dr. Manfred Grieger und Dr. Dirk Schlinkert.
9 Vgl. dazu Markus Lupa, Das Werk der Briten. Volkswagenwerk und Besatzungsmacht 1945–1949, Wolfsburg 2005.
10 Erhard Schütz, Der „Käfer“. Die Ikone des Wirtschaftswunders, in: Gerhard Paul (Hg.), Das Jahrhundert der Bilder. Bildatlas Bd. II: 1949 bis heute, Göttingen 2008, S. 122-129, hier S. 123.
11 Vgl. Heidrun Edelmann, Heinz Nordhoff und Volkswagen. Ein deutscher Unternehmer im amerikanischen Jahrhundert, Göttingen 2003.
12 Siehe auch die Abbildung bei Schütz, Der „Käfer“ (Anm. 10), S. 124.
13 Dirk Schlinkert, Zwischen Dokumentation, Kommunikation und Repräsentation. Fotografien aus dem Volkswagenwerk 1948–1974, in: Manfred Grieger/Dirk Schlinkert (unter Mitwirkung von Sonja Meldau), Werkschau 1. Fotografien aus dem Volkswagenwerk 1948–1974, Wolfsburg 2004, S. 4-15, hier S. 9f.
14 Henrike Junge-Gent (Hg.), Willi Luther. Ausschnitte aus dem fotografischen Werk, Gifhorn 2001.
15 Zur Ikonografie, Praxis und Soziologie der Industriefotografie in den 1950er-Jahren vgl. Mirelle Thijsen, Het Bedrijfsfotoboek 1945–1965. Professionalisering van fotografen in Nederland, Rotterdam 2002. Eine entsprechende Untersuchung für Deutschland steht noch aus. Als Anleitungsbuch post quem vgl. Joachim Giebelhausen, Industriefotografie für Technik und Wirtschaft, München 1966.
16 Reinhard Matz (Hg.), Industriefotografie. Aus Firmenarchiven des Ruhrgebiets, Essen 1987, S. 44.
17 Ulrike Gutzmann/Markus Lupa, Vom „Vorwerk“ zum FahrWerk. Eine Standortgeschichte des Volkswagen-Werks Braunschweig, Wolfsburg 2008, S. 38.
18 Ebd., S. 77ff.
19 Jürgen Hannig, Fotografien als historische Quelle, in: Tenfelde, Bilder von Krupp (Anm. 6), S. 269-287. Zur Einbindung dieser Inszenierung in die Firmengeschichte vgl. auch Klaus Tenfelde, Im Zenit industriepolitischer Macht: Die Jahrhundertfeier der Fried. Krupp AG 1912, in: Paul Münch (Hg.), Jubiläum, Jubiläum… Zur Geschichte öffentlicher und privater Erinnerung, Essen 2005, S. 109-143.
20 Zum Folgenden vgl. auch Edelmann, Heinz Nordhoff (Anm. 11).
21 Vgl. Hartmut Böhme, Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne, Reinbek bei Hamburg 2006.
22 Pressemitteilung, 23.9.2008: http://www.pressebox.de/pressemitteilung/jos-schneider-optische-werke-gmbh/SCHNEIDER-KREUZNACH-ueberreicht-sein-15-Millionstes-Objektiv-an-Andreas-Gursky/boxid/205975.
23 Vgl. Richard Sennett, Handwerk, Berlin 2007.