Das Jahr der Geisteswissenschaften – Erfolg und Ansporn

Anmerkungen

Die Werbung für die eigene Sache sei für viele Geisteswissenschaftler mit dem Odium des Unseriösen behaftet, schrieb der Germanist und erfahrene Wissenschaftsorganisator Wolfgang Frühwald zu Beginn des Jahres der Geisteswissenschaften 2007. Doch an dessen Ende bilanzierte er positiv: „Wir sind offensichtlich Spätzünder; wenn es aber zündet, läuft es gut [...]. Insgesamt ist das Jahr ein Erfolg.“1 Niemand wird von solch einem „Fokus-Jahr“, wie es das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) jedes Jahr für unterschiedliche Fächer oder Fächergruppen ausschreibt, Wunderdinge erwarten. Viele Historiker behalten überdies ihre Skepsis gegenüber der Kategorisierung als „Geisteswissenschaftler“, denn sie wissen, dass sie sich im Überschneidungsfeld zwischen Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften bewegen. Was die PR-Agentur Scholz & Friends im Auftrag des Ministeriums mit 331 Partnern aus Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft, in 1.064 Veranstaltungen, mit Hilfe von sieben Buchstabeninstallationen im öffentlichen Raum (zum Beispiel D wie Demokratie am Marie-Elisabeth-Lüders-Haus des Bundestages), zahlreichen Ausstellungen, Wettbewerben, Lesungen, Städtepartnerschaften etc. an Diskursen, Präsentationen und Bildern im Lauf des Jahres 2007 in Gang gesetzt hat,2 erscheint aus fachwissenschaftlicher Perspektive oft als laut und oberflächlich, marktschreierisch und abgehoben, d.h. ohne viel Bezug zum eigenen Schaffen. Wer tief vom Selbstwert der eigenen Wissenschaft überzeugt ist, hält solches Buhlen um öffentliche Aufmerksamkeit ohnehin für überflüssig, wenn nicht gar für unwürdig. Und in der Tat: Kaum eine Monographie, Vorlesung oder gelehrte Edition wird durch den Aufwand dieses Jahres der Geisteswissenschaften besser geworden sein.

Doch mit der verbreiteten Geringschätzung solcher Art öffentlichkeitsbezogener Großveranstaltungen machen es sich die praktizierenden Wissenschaftler zu leicht. Das Jahr der Geisteswissenschaften hat für die unter dieser Bezeichnung zusammengefassten Disziplinen viel erbracht. Vor allem wurde mit starkem Engagement besonders des von Annette Schavan geleiteten Bundesministeriums ein Prozess kumulativer öffentlicher Hochschätzung der Geistes-wissenschaften in Gang gesetzt, dessen praktischen Konsequenzen sich die Regierung dann selbst nicht entziehen konnte und wollte. Eine ganze Reihe von Fördermaßnahmen wurde in Gang gesetzt, darunter die neuen Forschungskollegs des BMBF und der Deutschen Forschungsgemeinschaft.3 Dass die langfristige Absicherung der Forschungsinstitute, die - wie das Zentrum für Zeithistorische Forschung - in den frühen 1990er-Jahren als „Geisteswissen-schaftliche Zentren“ gegründet worden waren, in unterschiedlichen Formen der Institutionalisierung 2007 gelang, dürfte der vom Jahr der Geisteswissenschaften ausgelösten Stimmungsdynamik mit zu verdanken sein. Zum Glück gingen die Geisteswissenschaften auch im gleichzeitigen Wettbewerb der Universitäten um den Exzellenz-Status nicht leer aus; Historiker profitierten davon vor allem in Freiburg, Konstanz und (im Hinblick auf die Geschichte Nordamerikas und der islamischen Gesellschaften) an der Freien Universität Berlin. Insgesamt hat das Jahr der Geisteswissenschaften zu neuen und verbesserten Förderungsanstrengungen für diese Disziplinen geführt - auch relativ zu anderen Wissenschaftsbereichen. Allerdings müssen die einzelnen Wissenschaftler bereit sein, zuzugreifen. Die dazu nötigen Anträge sind zugegebenerweise oft aufwändig. Die Gefahr besteht, dass das Kriterium „Drittmitteleinwerbung“ bei der Evaluation von Institutionen und einzelnen Wissenschaftlern - weil scheinbar einfach - überbewertet wird. Trotzdem ist die deutlich gesteigerte Verfügbarkeit von Fördermitteln für unternehmungslustige und kooperationsbereite Wissenschaftler vor allem eine Chance. Auch mehr Zeit zum Forschen und Schreiben kann so gewonnen werden.

Über die Jahre haben die Vertreter der geisteswissenschaftlichen Fächer es zugelassen und dazu beigetragen, dass die Geisteswissenschaften als vernachlässigt, hilfebedürftig und innerlich krisenhaft wahrgenommen wurden. Das „Manifest Geisteswissenschaften“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von 2005 stellte ein problematisches Beispiel dieser Selbstreduzierungsrhetorik dar. Mit der öffentlichen Kritik an diesem Manifest und den vom Wissenschaftsrat 2006 vorgelegten „Empfehlungen zur Entwicklung und Förderung der Geisteswissenschaften in Deutschland“ begann die Korrektur dieser öffentlichen Unterschätzung und Selbstbemitleidung. Das Jahr der Geisteswissenschaften hat diesen Korrekturprozess kräftig fortgesetzt, verstetigt und durchgesetzt. Es wurde öffentlich klar und bewusst, dass die Geisteswissenschaften in Deutschland auf sehr vielen, wenn auch nicht allen Gebieten im internationalen Vergleich relativ leistungsstark sind, dass sie im internationalen Vergleich zudem institutionell gut abgestützt sind und mit öffentlichen Geldern relativ großzügig alimentiert werden. Freilich geht umgekehrt die eklatante Unterfinanzierung unserer Universitäten und damit das unzureichende numerische Verhältnis zwischen Lehrenden und Studierenden vor allem zu Lasten der Geisteswissenschaften, deren Anteil an allen Absolventen hoch ist und überdies wächst: von 41.000 oder 18 Prozent 1995 auf 59.000 oder 22 Prozent im Jahr 2006. An dieser gravierenden Unterfinanzierung hat auch das Jahr der Geisteswissenschaften nichts geändert. Die Besoldungsreform (W-Bezahlung) hat das Problem vielmehr weiter verschärft.

2Pfeil

Zumindest das veröffentlichte Selbstbewusstsein der Geisteswissenschaftler ist dennoch gewachsen, und das öffentliche Bild, das die Geisteswissenschaften abgeben, ist heute deutlicher und positiver als früher. Ins Gewicht fallende Teile der sich für solche Fragen überhaupt interessierenden Öffentlichkeit scheinen derzeit vom - meist sehr indirekten - Nutzen, von der Bedeutung und der Unverzichtbarkeit der Geisteswissenschaften überzeugt. Das ist nicht unwichtig in einer Welt, in der die medial vermittelte Repräsentation der Phänomene deren Existenz immer kräftiger mitdefiniert und über den wissenschaftlichen Erfolg zumindest indirekt mitentscheidet.4 Das Jahr der Geisteswissenschaften hat dazu beigetragen, auch dank so mancher unbescheidener Selbstdarstellung intellektuell und rhetorisch potenter Geisteswissenschaftler wie Horst Bredekamp oder Ulrich Herbert.5 Allerdings wären solche PR-Anstrengungen zum Misserfolg verurteilt, hätten sie nicht reale Trends im Rücken. Tatsächlich bewegt sich in und zwischen den einschlägigen Fächern viel Neues, wobei die Herausforderung durch die Transnationalisierung an erster Stelle zu nennen ist. Von „intellektueller Windstille“6 kann jedenfalls keine Rede sein.

In welchem Maße das Jahr der Geisteswissenschaften in die einzelnen Fächer hineingewirkt hat, ist nicht ohne weiteres zu sagen. Jedenfalls stellte es eine Chance und eine Herausforderung dar, verstärkt das zu tun, was zur Praxis guter Wissenschaft ab und zu ohnehin gehört: nämlich Rechenschaft abzulegen gegenüber Gesellschaft und Politik und zu diesem Zweck zu bilanzieren und Selbstreflexion zu betreiben. Ich sehe nicht, dass es davon zu viel gäbe und die spezialisierte Forschung deshalb zu kurz käme. Auch die Produktion geisteswissenschaftlichen Wissens ändert sich. Der Bezug auf die nicht-spezialisierte Öffentlichkeit wird immer wichtiger. Entsprechende Bemühungen um „Metakommunikation“ über das eigene Fach hinaus sind unverzichtbar.

Anmerkungen:

1 Beides in: „Auch für Erfolgreiche gibt es keine Bestandsgarantie.“ Interview mit Wolfgang Frühwald, in: Beilage zur DUZ, 30.11.2007, S. 15.

2 Vgl. http://www.abc-der-menschheit.de

3 Dazu, wenngleich skeptischer im Urteil, im Einzelnen Annette Vowinckels Einführung zu dieser Debatte.

4 Vgl. als Problemaufriss etwa Peter Weingart, Die Wissenschaft der Öffentlichkeit und die Öffentlichkeit der Wissenschaft, in: ders., Die Wissenschaft der Öffentlichkeit. Essays zum Verhältnis von Wissenschaft, Medien und Öffentlichkeit, Weilerswist 2005, S. 9-33.

5 Vgl. auch Ludger Heidbrink/Harald Welzer (Hg.), Das Ende der Bescheidenheit. Zur Verbesserung der Geistes- und Kulturwissenschaften, München 2007; Jörg-Dieter Gauger/Günther Rüther (Hg.), Warum die Geisteswissenschaften Zukunft haben! Ein Beitrag zum Wissenschaftsjahr 2007, Freiburg 2007.

6 So Hans Ulrich Gumbrecht, Der Luxus des freien Denkens, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 7.1.2007.

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