Die Geschichte der „Chinesenviertel“ und chinesischer Migranten in europäischen Metropolen demonstriert, wie „Fremde“ zur Gefahr für die nationale Arbeit und für die Großstädte stilisiert wurden; sie zeigt aber auch, wie Migranten wirtschaftliche Nischen besetzen und schließlich als kulturelle Bereicherung akzeptiert werden konnten. In Hamburg präfigurierte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein ausgeprägter Hygiene-Diskurs die vehemente Ablehnung, während sich die Behörden in Rotterdam anfangs indifferent verhielten und die dortige Bevölkerung in den frühen 1930er-Jahren durchaus Empathie mit arbeitslosen Chinesen zeigte. In London wiederum schlug die anfängliche Toleranz seit dem Ersten Weltkrieg in Abwehr um. Ab den 1950er- und 1960er-Jahren setzte mit dem großen Erfolg chinesischer Gastronomie eine neue Phase chinesischer Migration ein, die nun als kulinarische Bereicherung der urbanen „Konsumgesellschaft“ allgemein anerkannt wurde. Während ein kosmopolitischer Charakter von westeuropäischen Metropolen seit den 1970er-Jahren als mehr oder minder selbstverständlich gilt, ist die Geschichte chinesischer Migranten in Westeuropa ein gutes Beispiel für den langen und unebenen Weg zur multikulturellen und multiethnischen Gesellschaft.
∗ ∗ ∗
The history of ‘Chinese quarters’ and of migration from China to western European metropolises reveals how migrants have been perceived as a threat to national labour forces and to urban centres. In reality, Chinese people set up economic niches and were eventually accepted as a valuable cultural addition to society. During the first half of the twentieth century, opposition to the presence of Chinese migrants in Hamburg was vehemently articulated in terms of social hygiene. While the authorities in Rotterdam were initially indifferent, local inhabitants were sympathetic towards unemployed Chinese people who arrived in the early 1930s. In London, the initially tolerant attitude towards these migrants turned into hostility after the First World War. The 1950s and 1960s saw a new phase of Chinese migration in Europe following the success of the Chinese catering trade, which became a key aspect of urban consumer society. Although the cosmopolitan character of western European metropolises has been well-established since the 1970s, this article offers an insight into the long and bumpy path towards a multicultural and multiethnic society.
3/2007: Offenes Heft
Aufsätze | Articles
Obwohl die 1952 gegründete „Bild“-Zeitung seit Jahrzehnten die größte westdeutsche Tageszeitung ist, hat sich die Zeitgeschichtsforschung mit ihr bisher höchstens am Rande befasst. Der Aufsatz untersucht die Bedeutung von „Bild“, indem er die Entwicklung des Blatts in den 1950er-Jahren analysiert. In diesem Jahrzehnt errang die Zeitung ihre überragende Stellung auf dem publizistischen Markt der Bundesrepublik; in dieselbe Zeit fällt auch der erste Versuch des Verlegers Axel Springer, das Blatt mit konkreten politischen Aufträgen zu lenken. Geprüft wird, wie die „Bild“-Redaktion die Direktiven des Verlegers in den Jahren 1957/58 umgesetzt hat. Dabei wird erkennbar, dass die Boulevardzeitung als bereits etablierter Markenartikel selbst von ihrem Eigentümer nur begrenzt verändert oder in eine bestimmte politische Richtung gelenkt werden konnte. Der Beitrag plädiert dafür, die Macht von „Bild“ eher auf der lokalen Ebene zu suchen, und demonstriert diesen Ansatz am Beispiel von Hamburg. Dies ermöglicht auch allgemeinere Zugänge zur Mentalitäts- und Gefühlsgeschichte der Bundesrepublik.
∗ ∗ ∗
This article explores the history of Bild, West Germany’s best-selling tabloid. During the 1950s, Bild rapidly achieved a dominant position in West Germany’s newspaper market; during the same decade, Axel Springer, the paper’s publisher, began to determine the political bias of Bild. By drawing attention to marked differences between Springer’s instructions and the paper’s content in 1957/58, the author argues that the character of Bild limited Springer’s capacity to use the paper for political purposes. The article suggests that the powerful impact of Bild on politics and society can be best observed on a local level, and demonstrates this by focusing on Hamburg as a case study. On a broader level, the case of Bild offers insight into the history of mentalities and emotions in the Federal Republic of Germany.
Im offiziellen Selbstverständnis von Staat und Partei war die DDR eine Arbeitsgesellschaft - die (Aufbau-)Arbeit für den Sozialismus bildete eine zentrale Sinnressource. Wer sich diesem übergreifenden Prinzip nicht unterordnen wollte, aus welchen Gründen auch immer, sah sich oft beruflich diskriminiert. Besonders in den 1970er- und 1980er-Jahren versuchte der SED-Staat berufliche Ausgrenzung als politisches Kontroll- und Erziehungsmittel einzusetzen. Vielfach führte diese Strategie jedoch zum Gegenteil des Gewünschten: Beruflich Benachteiligte wurden gerade durch die Praxis der Ausgrenzung stärker politisiert und schufen sich neue widerständige Handlungsräume. Anhand von zwei Beispielen des individuellen Umgangs mit beruflicher Diskriminierung wird das Wechselverhältnis zwischen dieser Diskriminierung und politischer Gegnerschaft untersucht - ein Aspekt, der in bisherigen Forschungen zur DDR-Opposition kaum berücksichtigt wurde und der zu einer stärker gesellschaftsgeschichtlichen Fundierung solcher Forschungen beitragen kann.
∗ ∗ ∗
East Germany’s workers represented the ideological foundation of a social system that was based on labour. Those who chose not to participate in this system were excluded from employment opportunities and confronted with labour discrimination. Especially during the seventies and eighties, the communist leaders used labour discrimination as an oppressive instrument. But they often did not achieve what they originally intended. Political opponents who were forced to carry out unskilled labour even intensified and improved their resistance. By focusing on two examples, this article explores ways in which forced unskilled labour and political opposition may be interpreted, and applies a method based on the combination of social and political history with sociology.
Debatte | Debate
-
Annette Vowinckel
Dialog der Disziplinen. Rückblicke auf das Jahr der Geisteswissenschaften
Vorwort
-
Jürgen Kocka
Das Jahr der Geisteswissenschaften – Erfolg und Ansporn
-
Bernhard Waldenfels
Das Fremde denken
-
Michael Wildt
Das Fremdmachen als historischer Prozess
Kommentar zu Bernhard Waldenfels
-
Aleida Assmann
Die Last der Vergangenheit
-
Martin Sabrow
Die Lust an der Vergangenheit
Kommentar zu Aleida Assmann
-
Annette Vowinckel
Zeitgeschichte und Kulturwissenschaft
Quellen | Sources
-
Christopher Görlich
Berlin, die geteilte Stadt: Ein Topos in deutschen Reiseführern des 20. Jahrhunderts
-
Ignacio Farías
Destination Berlin: Orderings of City-Identity in Contemporary Tourist Guidebooks
-
Stefan Rahner, Sandra Schürmann
Turban und Friedenspfeife
Werbefotografien in den Reemtsma-Archiven im Museum der Arbeit
Besprechungen | Reviews
CD-ROMs und DVDs
-
Kay Hoffmann
Mut zur Lücke
Zur Studienfassung des Klassikers „Metropolis“
Neu gelesen
-
Johannes Novy
Die Entdeckung der „Mannigfaltigkeit“
Wie Jane Jacobs’ „Tod und Leben großer amerikanischer Städte“ die Stadtforschung veränderte
-
Łukasz Stanek
Methodologies and Situations of Urban Research
Re-reading Henri Lefebvre’s ’The Production of Space’
-
Ulrich Schmid
Wie bolschewistisch ist der „Sowjetmensch“?
Klaus Mehnert erkundet die russische Mentalität
-
Wolfgang Lambrecht
Deutsch-deutsche Reformdebatten vor „Bologna“
Die „Bildungskatastrophe“ der 1960er-Jahre