Der Erfolg der inzwischen nicht mehr ganz so neuen Informations- und Kommunikationstechnologien sowie die damit verbundene Vervielfachung von Daten und Informationen bedeutet weiterhin eine Herausforderung für die Wissenschaft. Die Option des synchronen Zugriffs auf eine Vielzahl von Informationen, ihre Rasterung mittels Suchmaschinen und Datenbanken dynamisiert und dezentralisiert herkömmliche Wissensspeicher wie Archive, Bibliotheken oder Enzyklopädien. Dies wirft grundlegende Fragen auf: Wie kann zuverlässiges Wissen im Netz generiert, präsentiert und distribuiert werden? Wer bürgt bei einer Vielzahl dezentraler Informationskanäle für deren Validität und Stabilität?
Solchen Fragen kann und will sich auch die Geschichtswissenschaft seit einiger Zeit nicht mehr verschließen. Zwar ist ihre Wissenschaftskultur traditionell eng mit den Printmedien verbunden, doch gehören zahlreiche Angebote der digitalen Fachkommunikation heute zum Standardrepertoire und haben das Experimentalstadium längst verlassen. Trotz der erkennbaren Professionalisierung ist andererseits der Pioniergeist in der Disziplin erhalten geblieben, neue Formen der Wissensproduktion und -präsentation im Netz zu erproben. Grundsatzdiskussionen etwa über kostenpflichtige und/oder kostenlose Zugänge zu Wissen im Netz werden angesichts einer zunehmenden Kapitalisierung von Wissensmärkten mittlerweile zwar nüchterner geführt als noch vor ein paar Jahren. Gleichwohl ist das Leitbild, mit Open Access und kollaborativer Wissensproduktion neue Erkenntnisse zu ermöglichen, gerade auch für die zeithistorische Forschung längst nicht obsolet. Denn die Vorteile elektronischer bzw. netzbasierter Fachinformationsangebote liegen auf der Hand: Sie beschleunigen, flexibilisieren und verdichten den Austausch; eine intensive fachliche Zusammenarbeit erfordert in geringerem Maße als früher eine räumliche und institutionelle Nähe. Die erhöhte Reichweite netzbasierter Wissensvermittlung ist darüber hinaus mit Blick auf die breite Öffentlichkeit und deren Interesse an zeitgeschichtlichen Themen bedeutsam. So lässt sich durch das Internet eine gegenseitige Durchdringung von populär- und fachwissenschaftlichen Diskursen beobachten. Die traditionelle Abgrenzung zwischen Experten und Laien, Wissensproduzenten und -rezipienten wird auf diese Weise nicht völlig aufgehoben, aber durchlässiger gemacht. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für das professionelle Selbstverständnis von Historikerinnen und Historikern? Wie verändern sich wissenschaftliche Methoden und Reflexionsformen, Schreibweisen und Textformate, Zuschreibungen von Autorschaft und Reputation?
In diesem Themenspektrum bewegen sich die folgenden Beiträge, die das Potenzial digitaler Kommunikationsformen für die Geschichtswissenschaft und besonders für die Zeitgeschichte erörtern. Peter Haber analysiert Umbrüche in der universitären Wissensvermittlung und -produktion. Deutlich wird, dass bei aller Habitualisierung im Umgang mit den Informationstechnologien nach wie ein Übergangsstadium herrscht. Die unterschiedlichen Mediennutzungsgewohnheiten von Digital Natives und Digital Immigrants, so Haber, sind markant; sie haben zwar eher außerwissenschaftliche (nämlich generationelle) Ursachen, aber durchaus innerwissenschaftliche Folgen – die Digital Natives zeigen eine größere Selbstverständlichkeit im Umgang mit neuen Medien als die Digital Immigrants, was aber nicht automatisch mit höherer Medienkompetenz gleichzusetzen ist. Idealerweise könnte sich aus dieser doppelten Asymmetrie ein gemeinsamer Lernprozess ergeben. In den Beiträgen von Jan Engelmann (Wikipedia), Lilian Landes (recensio.net) sowie Christine Bartlitz und Achim Saupe (Docupedia-Zeitgeschichte) geht es aus Redaktions- und Entwicklerperspektive um Profile und Potenziale webbasierter Wissensmedien für die Zeitgeschichte. Die Autorinnen und Autoren betonen die Vorteile solcher Angebote, beispielsweise die weitreichenden Distributions- und Austauschmöglichkeiten zeitgeschichtlichen Wissens. Sie sind sich aber auch der Problemfelder bewusst. So gestalten sich etwa Formen kollaborativen Schreibens in der Zeitgeschichte offenbar schwieriger als angenommen.
Gerade in der jetzigen Situation, die vom Neben-, Mit- und teils auch Gegeneinander unterschiedlicher Arbeitstechniken geprägt ist, sollten theoretische Debatten über Stand und Perspektiven der Wissens- und Wissenschaftskommunikation in Anlehnung an die Praxis und in Verbindung mit Praktikern geführt werden. Ebenso wichtig ist, dass geschichtswissenschaftliche Internet-Projekte nicht (mehr) per se als innovativ gelten können, nur weil sie eben im Netz stehen. Vielmehr sollten Praktiker immer auch das Verhältnis von Aufwand und Ertrag im Blick behalten und sich in einem breiteren Diskussionsrahmen über die Leistungen und Grenzen ihrer Projekte verständigen.