- Die gesunde Gesellschaft:
Sozialstaatlichkeit und Wirtschaftlichkeit - Ambivalenzen: Privatisierung und Regulierung
- Gesundheitsmärkte: Lebensstile und Körperkonzepte
»So darf es nicht weitergehen«, forderten im September 2019 hunderte deutsche Ärzte und Verbände des Gesundheitssektors. Sie formulierten eine flammende Anklage gegen »das Diktat der Ökonomie« und gegen eine »Enthumanisierung der Medizin« in Krankenhäusern und Arztpraxen.1 Dieser »Ärzte-Appell« ist ein aktueller Beitrag zu einer langjährigen intensiven Debatte um das Verhältnis von Gesundheit und Ökonomie. In der Öffentlichkeit stehen die »Folgen der Ökonomisierung des Gesundheitswesens« meist als Menetekel für eine »Medizin ohne Empathie«2 und für die Verschärfung sozialer Ungleichheiten am Krankenbett: Kinder, aber auch Migranten, Alte und Arme seien die Leidtragenden, wenn es »an Geld, Ärzten und Pflegern« fehle.3 Die Binnenperspektive eröffnet nicht minder alarmierende Einblicke. In einer Studie wurden 2018 zahlreiche Geschäftsführer und Ärzte an Kliniken zu betriebswirtschaftlichen Einflüssen auf ihre Arbeit befragt. Sie zeichneten ein bedrückendes Bild, das die Autoren der Studie wie folgt zusammenfassten: »Die Krankenhausmedizin nimmt fabrikmäßige Züge an, die medizinische Arbeit wird für das ärztliche und pflegerische Personal tendenziell als fremdbestimmt erlebt. [...] Insofern verändert die Ökonomisierung auch mittelbar den Charakter der Medizin.«4
Unabhängig davon, ob man diese Äußerungen für bare Münze nimmt oder sie als interessengeleitete Urteile über das eigene Berufsfeld betrachtet, machen sie doch eines deutlich: Beim Verhältnis von Gesundheit und Ökonomie geht es nie nur um medizinische und wirtschaftliche Fragen, sondern immer auch um Grundsätzliches. Der Gesundheitsmarkt steht im Spannungsfeld von Patientenwohl, Allgemeinwohl und wirtschaftlichen Interessen. In Krisenzeiten wird dieses Spannungsfeld besonders gut sichtbar. So wirft die Corona-Pandemie seit dem Frühjahr 2020 die fundamentalen Fragen auf, wer eigentlich die Daseinsfürsorge leistet und in welcher Gesellschaft wir überhaupt leben wollen. Staaten, in denen das öffentliche Gesundheitssystem unter einem scharfen Spardiktat nur minimale Klinikkapazitäten zur Verfügung hat, beklagten überproportional hohe Todesziffern.5 Die zeitweiligen Überlastungen medizinischer Strukturen und die angespannten Arbeitsbedingungen des medizinischen Personals stellen dem Sozialstaat aus Sicht von Kritikern auch in Deutschland ein schlechtes Zeugnis aus. So spricht sich der Soziologe Sighard Neckel angesichts der Corona-Krise für einen »Infrastruktursozialismus« aus, um die Wirkungen jahrzehntelanger Privatisierungsbestrebungen in Kliniken und Krankenhäusern aufzufangen.6
Die Aktualität solcher Debatten lässt schnell vergessen, wie lange schon – nicht nur in Deutschland – über das Verhältnis von Gesundheit und Ökonomie diskutiert wird. Politiker, Mediziner und Unternehmer streiten seit mehr als 150 Jahren darüber, wer für die Gesundheit des Einzelnen und für die »Volksgesundheit« verantwortlich sei, wie der Zugang zu Heilberufen sowie die Verteilung von Gewinnen und Kosten zu organisieren seien. Medizin war schon immer eine Ware, häufig sogar im eigentlichen Wortsinne: Apotheker, reisende Händler und der Versandhandel verkauften noch um 1900 Arzneien, Chirurgen boten ihre Dienstleistungen auf Jahrmärkten an, und Friseure waren für Zahnextraktionen zuständig – oft unter großem Publikumsinteresse.7 Seit dem späten 19. Jahrhundert traten größere Unternehmen auf die Bühne. Der Aufstieg von Pharmaunternehmen wie Hoechst und Schering in den 1890er-Jahren in Deutschland, Hoffmann-La Roche und Sandoz in der Schweiz, Merck & Co. und Bristol-Myers in den USA gab dem Gesundheitsmarkt im heutigen Sinne seine ersten Konturen.8 Seither stehen nicht nur Unternehmen miteinander im Wettbewerb, sondern ebenso Unternehmer und staatliche Akteure im Austausch. So wurde der Ausbau des deutschen Sozialstaates von unternehmerischen Angeboten flankiert. Umgekehrt banden staatliche Kranken- und Unfallversicherungen, Vorsorgeuntersuchungen und Impfprogramme Wirtschaftsunternehmen in Kernaufgaben staatlicher Daseinsfürsorge ein. In seinem Aufsatz zu Patenten der bundesdeutschen Pharmabranche hinterfragt Robert Bernsee in diesem Heft gar die gängige Vorstellung einer sukzessiven Vermarktlichung des Gesundheitswesens seit den 1970er-Jahren. Schließlich mutierten Behörden für Pharmaunternehmen zu Gatekeepern, die einerseits hohe Auflagen für die Zulassung von Medikamenten definierten und damit zu höheren Kosten beitrugen, andererseits eben dadurch Marktzutrittsbarrieren verstärkten und die Machtposition der Großunternehmen steigerten.
Die Expansion europäischer Wohlfahrtsstaaten seit den 1950er-Jahren ebenso wie ihre Krisen seit den 1970er-Jahren verschärften die Auseinandersetzungen um das »richtige« Verhältnis von Politik und Ökonomie. In der Rubrik »Neu gelesen« erinnert Winfried Süß an Ivan Illich als wichtigen Wegbereiter solcher Kritik. Heiner Geißler (CDU) warnte 1974 vor einer »Kostenexplosion« im Gesundheitswesen.9 Auch Magazine wie der »Spiegel« forderten die Orientierung an Wirtschaftlichkeitskalkülen und die Bereitschaft, privaten Unternehmen bislang staatliche Domänen zu überlassen. Den Pharmakonzernen und großen Klinikgruppen wie Asklepios, Rhön-Klinikum AG oder Helios wurde vor allem in den Reformdebatten der 1980er- und 1990er-Jahre eine tragende Rolle zugesprochen. Aber wie viel Wettbewerb vertrugen Gesundheitspolitik und öffentliches Gesundheitswesen? Wie ließ sich der Gesundheitsmarkt kontrollieren? Welche Freiräume und Sicherheiten sollten Pharmaunternehmen zustehen? Wie eng durften Politik und Ökonomie, wie eng auch medizinische Wissenschaft und Wirtschaft miteinander verflochten sein?
Diesen und weiteren Fragen spürt unser Themenheft nach, um neue Einblicke in die jüngere und jüngste Zeitgeschichte zu gewinnen. Immerhin ging es bei diesen Debatten stets auch um Existentielles – um Menschenbilder und Marktkonzepte, Gesundheitsvorstellungen und Gesellschaftsentwürfe. Veränderte Konsum- und Lebensstile, neue demographische Entwicklungen und Migrationsbewegungen, Verschärfungen sozialer Ungleichheit und die Krisen des Sozialstaates sowie ordnungspolitische und ideologische Leitbilder bildeten den Hintergrund, vor dem um das Verhältnis zwischen Politik und Ökonomie gerungen wurde.
Solche Debatten begannen nicht erst in den 1970er-Jahren. So hat die vor allem seit den 1990er-Jahren stark forcierte Entwicklung eines »Pflegemarktes« eine deutlich längere Vorgeschichte, die Nicole Kramer in ihrem Beitrag anhand von Entwicklungen in England und in der Bundesrepublik Deutschland nachzeichnet. Auch das Versprechen von Fertilität ist nicht erst eine Erfindung der letzten Jahrzehnte. Denise Lehner-Renken zeigt in ihrem Beitrag zur Vermarktung und Nutzung neuerer Methoden der Reproduktionsmedizin seit den 1970er-Jahren, dass im Namen des medizinischen Fortschritts und des Patientenwohls bis dahin geltende Grenzen überschritten wurden, was zeitgenössisch vielfach als »Tabubruch« galt. Die Entwicklung wurde maßgeblich im Ausland vorangetrieben, während die Bundesrepublik zögerlich und nur partiell folgte. Die wachsende Bedeutung von Ethikkommissionen steht für das öffentliche Interesse an dieser Diskussion um das Machbare und das Vertretbare.
Schon diese einführenden Überlegungen machen die Potentiale zeithistorischer Forschungen zum Spannungsfeld von Gesundheit, Ökonomie und Politik deutlich. Nur drei dieser Potentiale möchten wir kurz skizzieren. Erstens ist das Thema eine Problemgeschichte der Gegenwart par excellence. Gegenwärtige Debatten um »Gesundheit als Ware«, nicht erst seit der Corona-Pandemie, sondern zum Beispiel im Vorfeld der Bundestagswahl von 2017, zeigen sowohl die Aktualität des Themas als auch die Notwendigkeit, politische Debatten zu versachlichen und historische Hintergründe auszuleuchten. Zweitens sind Wandlungen des Gesundheitsmarktes ein Themenfeld, das der zeithistorischen Forschung im Allgemeinen neue Impulse geben kann. Eine Zeitgeschichte der Medizin bzw. der Gesundheit öffnet den Blick auf wichtige gesellschaftliche Handlungsfelder und transnationale Verflechtungen sowie damit für neue Ansätze zur Historisierung der Gegenwart.10 So werfen die Expansion des Gesundheitsmarktes und die Privatisierung öffentlicher Gesundheitseinrichtungen als Forschungsgegenstände neue Schlaglichter auf die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts; mitunter gängige Periodisierungsmuster und Entwicklungslinien müssen überprüft werden. Dadurch ist das Thema in hohem Maße anschlussfähig für aktuelle Forschungen zur Geschichte der Sicherheit, zur Zukunftsgeschichte, zur Verflechtungsgeschichte im Kalten Krieg oder zur Geschichte der Vorsorge. Drittens eröffnen Forschungen zum Werden und zum Wandel des Gesundheitsmarktes auch in methodischer Hinsicht ein weites Konvergenzfeld. Hier lassen sich soziale, politische und rechtliche Transformationsprozesse unter wirtschafts-, unternehmens-, medizin-, sozial- und kulturgeschichtlichen sowie nicht zuletzt körper- und geschlechtergeschichtlichen Perspektiven verfolgen. In diesem Sinne möchten wir sowohl neue Wege einer »Wirtschaftsgeschichte als Kulturgeschichte«11 eröffnen als auch für eine engere Verbindung zwischen Medizin- und Zeitgeschichte plädieren.12 Im Folgenden konkretisieren wir diese Potentiale an einigen Beispielen zum Verhältnis von Gesundheit, Ökonomie und Politik. Zugleich präsentieren wir zentrale Befunde des Themenheftes.
1. Die gesunde Gesellschaft:
Sozialstaatlichkeit und Wirtschaftlichkeit
Gesundheit ist immer beides, individuelles und öffentliches Gut. Es sind primär die Einzelnen, die von Gesundheit oder Krankheit betroffen sind, und ihnen obliegt die je individuelle Fürsorge für ihr Wohlergehen, soweit sie dazu in der Lage sind. Gesundheit ist aber zugleich eine Frage des Allgemeinwohls, dessen Schutz und Pflege der Gesellschaft obliegt. Die Gesundheit der Einzelnen war daher schon immer auch Verpflichtung gegenüber dem Kollektiv, dem »Volkskörper«, der »Volksgemeinschaft« bzw. später der »Solidargemeinschaft« – und nicht zuletzt gegenüber der »Volkswirtschaft«. Wie die Forschung der letzten Jahre bereits gezeigt hat, wäre es zu kurz gegriffen, die Geburt des »präventiven Selbst«,13 die individuelle Optimierung durch Diäten, Fitness- und Vorsorgeprogramme, als reinen Individualisierungsprozess zu deuten. Vielmehr sind Praktiken der Selbstoptimierung das Ergebnis einer Verkoppelung von Individualgut und Allgemeinheit auf dem Feld der Gesundheit. Besonders offensichtlich wird diese Doppeldeutigkeit von Gesundheit im Falle von Infektionskrankheiten. »Seuchen sind die sozialsten aller Krankheiten«,14 weil sie nicht nur den Einzelnen, sondern immer auch dessen Mitmenschen bedrohen. Maßnahmen wie Impfprogramme, Isolations- und Quarantänemaßnahmen machen somit das Spannungsverhältnis zwischen Individual- und Allgemeinwohl sichtbar. Mark Harrison, Peter Baldwin und andere haben den Kampf gegen Seuchen daher mit guten Gründen als Katalysator für die Entwicklung von Nationalstaaten gesehen.15 Allerdings spielen in diesem Prozess nicht nur staatliche Akteure eine Rolle, sondern ebenso privatwirtschaftliche. Deren Rolle bei der Aushandlung von Gesundheitskonzepten und Gesellschaftsmodellen sollte daher stärker in den Blick geraten.
Der Gesundheitszustand des Bürgers hat aber auch jenseits großer Epidemien Implikationen für die Gesellschaft. Er entscheidet über die ökonomische und militärische Leistungsfähigkeit einer Nation sowie über wirtschaftliche Belastungen durch Kosten für das Gesundheitssystem. Diese Kosten hängen mit der Festschreibung von Gesundheit als Kernaufgabe staatlicher Daseinsfürsorge zusammen. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland erhebt Gesundheit gar zum Staatsziel. In Artikel 2 Absatz 2 heißt es: »Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.« Doch schon sehr viel früher, spätestens seit den Anfängen der »Medizinalpolicey« im 18. Jahrhundert, übernahm die Obrigkeit Verantwortung für die Gesundheit der Bürger.16 Seit dem 19. Jahrhundert wurde diese Tendenz durch eugenische und rassenbiologische Diskurse verstärkt. Ihren grausamen Höhepunkt fand diese Entwicklung bekanntlich mit der nationalsozialistischen Volksgesundheitslehre, derzufolge die Stärkung des »Volkskörpers« gegenüber der Sorge um einzelne Patienten Priorität besaß und »kranke Volksschädlinge« auszumerzen seien.17 Einerseits darauf aufbauend, andererseits sich scharf vom »Dritten Reich« abgrenzend, befindet sich die Fachrichtung Public Health seit den 1980er- und 1990er-Jahren im Aufschwung, wobei die Bundesrepublik aufgrund der NS-Geschichte weit hinter den angelsächsischen Ländern zurückliegt.18
Bis heute wird die Leistungskraft von Sozialstaaten immer auch am Gesundheitszustand ihrer Gesellschaften gemessen, wie populäre nationale Rankings von Lebenserwartung und Krankheitshäufigkeiten belegen.19 Allerdings ist Daseinsfürsorge angesichts der raschen Alterung der Bevölkerung und des medizinisch-technischen Fortschritts teuer und somit eine steigende finanzielle Belastung aller Bürger. Kosten für das Gesundheitswesen stehen daher stets unter besonderem Rechtfertigungsdruck. Programme zur Versorgung und Rehabilitation von Krankheitsfällen, zur Pflege alter oder behinderter Menschen, aber auch zur Behandlung chronischer Erkrankungen hängen folglich nicht allein von medizinischen Möglichkeiten ab, sondern mehr noch von ökonomischen Rahmenbedingungen und Vorstellungen von Wirtschaftlichkeit. Auch deshalb gingen Ökonomie und Gesundheit in modernen Sozialstaaten eine untrennbare Verbindung ein. Zugleich bilden sie ein Spannungsfeld, auf dem soziale Normen und Ordnungen sowie Hierarchien – gerade zwischen Wirtschaft und Politik – verhandelt werden. Richard Kühl und Henning Tümmers zeichnen in ihrem Beitrag zu diesem Heft nach, dass der ökonomische Handlungsdruck auf Krankenhäuser nicht nur die individuelle Gesundheitserhaltung im Speziellen, sondern auch das Konzept »Krankenhaus«, ja das öffentliche Gesundheitswesen im Allgemeinen veränderte. »Privatisierung« und »Flexibilisierung« waren demnach Konzepte zur Strukturierung von Ressourcen und Arbeitsprozessen, darüber hinaus jedoch Aushandlungen von sozialer Teilhabe und Wertigkeit.
In einer vergleichenden Perspektive wird deutlich, dass sich Vorstellungen von »Wirtschaftlichkeit« selbst innerhalb Europas angesichts »heterogener politischer Erfahrungen, staatsinterventionistischer Traditionen und akuter Sanierungsfälle«20 mitunter stark unterschieden. Der komparative Blick bewahrt damit einmal mehr vor vereinfachenden Meistererzählungen vom »Neoliberalismus« als allmächtigem Basisprozess. Für die sozialistischen Staaten in der Zeit bis 1989/90 machen die Beiträge von Jutta Braun und Anja Laukötter zur DDR außerdem klar, dass ökonomische Betrachtungen von Gesundheit auch dort eine große Rolle spielten, allerdings unter ganz anderen Vorzeichen.
2. Ambivalenzen: Privatisierung und Regulierung
Die Beiträge des Heftes weisen nach, dass Privatisierungen von Krankenhäusern, Pflegebetrieben und Medikamentenproduktion Hand in Hand gingen mit neuen Praktiken staatlicher Regulierungen und mit erhöhten Kontrollmaßnahmen. In historischer Perspektive lässt sich dieser Zusammenhang bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Schon im deutschen Kaiserreich wurden frühe Gründungen pharmazeutischer Unternehmen flankiert von Prüf- und Kontrollmaßnahmen staatlicher Einrichtungen wie dem Reichsgesundheitsamt (seit 1876), dem Robert-Koch- und dem Paul-Ehrlich-Institut (seit 1891 bzw. 1896).21 Dass das Wechselspiel zwischen Regulierung und Privatisierung bis heute nicht an Bedeutung verloren hat, unterstreicht Robert Bernsees Fazit in diesem Heft: »Nicht nur globaler Wettbewerb oder eine marktorientierte Wirtschaftspolitik formten demnach den Kapitalismus des 21. Jahrhunderts, sondern – paradoxerweise – auch verschärfte nationalstaatliche Gesetze.« Selbst für das populäre Paradebeispiel einer Privatisierungspolitik, den britischen National Health Service (NHS), hat Martin Lengwiler auf eine Zunahme von Regulierungsmechanismen seit den 1980er-Jahren verwiesen: »Reformen, die auf eine Stärkung der Markt- und Wettbewerbsmechanismen im Gesundheitswesen zielten, waren häufig mit einer Re-Regulierung der Spielregeln auf dem zu schaffenden Gesundheitsmarkt verbunden.«22 Dieser Befund trifft sich mit der allgemeinen Beobachtung von Ralf Ahrens, Marcus Böick und Marcel vom Lehn, dass selbst im »europäischen Mutterland intensiver Vermarktlichungsbemühungen [...] ›neue Kompromisse‹ zwischen Marktprinzipien und staatlicher Regulierung«23 gefunden werden mussten.
Die klassische Gesundheitsversorgung, die in der Bundesrepublik größtenteils durch gesetzliche und private Krankenversicherung finanziert wird, geriet seit den 1970er-Jahren verstärkt in den Sog einer Ökonomisierung. Die Debatten um die »Überforderung« der Sozialsysteme und die »Explosion« der Gesundheitskosten sowie das Vordringen neoliberaler Denkmuster stießen hochgradig kontroverse Reformen an, die vom Verkauf von Krankenhäusern an private Medizinkonzerne bis zur Umgestaltung von Prozessen der Patientenbetreuung nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen reichten. Da Patienten in deutschen Krankenhäusern signifikant länger verweilten als in vielen anderen Ländern üblich, wurde 2003/04 in der Bundesrepublik nach internationalem Vorbild ein System von Fallpauschalen eingeführt, das die Kosten der Krankenhäuser für bestimmte Behandlungen unabhängig vom tatsächlichen Aufwand mit festen Sätzen erstattet und somit Anreize für eine schnelle Entlassung gibt. Diese Reform war stark umstritten und führte zu vielfachen Protesten. Das »Ärzteblatt« überschrieb 2006 einen Artikel mit der These: »Die ökonomische Logik wird zum Maß der Dinge«; berichtet wurde dort über eine Verschlechterung der Patientenversorgung und eine Demotivation des medizinischen Personals. »Der Patient wird zum Produktionsfaktor, der möglichst gewinnbringend eingesetzt werden muss.«24 Durch Fallpauschalen und Budgetierungen halbierte sich die durchschnittliche Verweildauer in Krankenhäusern nahezu, nämlich von 13,3 Tagen (1992) auf 7,3 Tage (2017) – »mit einer weiter sinkenden Tendenz«.25 Die Zahlen der Pflegekräfte wurden drastisch reduziert und defizitäre Krankenhausabteilungen geschlossen. Kliniken und Praxen erhielten den Rat, sich in Profitcenter zu verwandeln.
Wie das unrühmliche Ende der Deutschen Klinik für Diagnostik AG belegt, hatten es privatwirtschaftlich organisierte Krankenhäuser in den frühen 1970er-Jahren noch schwer. In den 1980er- und 1990er-Jahren änderte sich dies, wie die Geschichte der Rhön-Klinikum AG zeigt. Die Klinik war in den 1970er-Jahren zunächst als GmbH aus einem konkursbedrohten Kur- und Therapiezentrum hervorgegangen, das schrittweise in den Kliniksektor expandierte. 1988 kam es zur Umwandlung in eine Aktiengesellschaft, die 1989 als erster bundesdeutscher Klinikbetreiber an die Börse ging. In der Folgezeit erwarb die Rhön-Klinikum AG mehrere vormals öffentliche Krankenhäuser. Aufsehen erregte 2006 der Kauf von 95 Prozent der zuvor fusionierten Uni-Kliniken in Marburg und Gießen für 112 Millionen Euro. Beim Land Hessen verblieben nur noch 5 Prozent der Anteile, sodass es keinerlei Einfluss auf die Kliniken mehr hat. Die Rhön-Klinikum AG gehört heute zu den größten deutschen Gesundheitsdienstleistern, wurde aber 2020 von dem Konkurrenten Asklepios nach einer monatelangen Bieterschlacht übernommen. 2019 setzte sie 1,3 Mrd. Euro um, machte einen Gewinn von 44,5 Mio. Euro und behandelte 860.528 Patienten. Das Unternehmen verspricht eine »hochwertige und bezahlbare medizinische Versorgung« sowie eine konsequente Ausrichtung an den »Bedürfnissen unserer Patienten«.26
Während die einen die aus Privatisierung und Ökonomisierung erwachsenden Effizienzgewinne lobten, beklagten die anderen Verstöße gegen medizinethische Standards und gegen das Verfassungsgebot sozialstaatlich garantierter Gesundheitsfürsorge. Mit letzterem unvereinbar ist zumindest die Tatsache, dass es nach wie vor einen robusten Zusammenhang zwischen sozialer Lage und Gesundheitszustand gibt. Laut einer Untersuchung des Robert-Koch-Instituts von 2014 sterben Männer des unteren Einkommensviertels in der Bundesrepublik durchschnittlich rund 10,8 Jahre früher als diejenigen im oberen Einkommensviertel. Bei Frauen beträgt der Unterschied 8,4 Jahre.27 Obwohl nicht klar ist, ob die Ökonomisierung des Gesundheitswesens die soziale Benachteiligung verschärft hat, werden beide Erscheinungen oftmals in einen Zusammenhang gebracht.28
Allen Ökonomisierungs- und Privatisierungstendenzen zum Trotz sind weite Teile des Gesundheitsmarktes bis heute hochgradig reguliert. In ihnen gibt es keinen freien Preismechanismus, sondern administrierte Preise. Andere Teile gehorchen dem Marktmechanismus geradezu lehrbuchmäßig. Privatpatienten werden bevorzugt behandelt. Zusatzleistungen erhält nur, wer sie bezahlen kann. Wer nicht versichert ist, wie 44 Mio. Amerikaner unter 65 Jahren (2013) bzw. 26,7 Mio. (2016), wird in den USA bei nicht unmittelbar lebensgefährlichen Erkrankungen nur dann behandelt, wenn er die oft exorbitanten Kosten selber trägt.29 Zumeist verlangen Ärzte und Krankenhäuser Vorkasse oder erhebliche Anzahlungen. Die Kreditkarte öffnet buchstäblich die Tür zum Operationssaal. Das überfordert die meisten dieser Menschen, denen der US-amerikanische Medizinmarkt eine elementare Fürsorge verwehrt.
Die Patienten befinden sich in allen Gesundheitssystemen auf regulierten und unregulierten Medizinmärkten gegenüber den Anbietern in einer schwächeren Position, denn wegen der Informationsasymmetrien können sie den Nutzen und die Qualität offerierter Leistungen in der Regel nicht einschätzen. Leistungserbringer dagegen können Nachfrage selber induzieren, etwa zusätzliche Prozeduren und Medikamente verordnen. Jahrzehntelang erhielten bundesdeutsche Ärzte von Pharmaunternehmen für die Verschreibung ihrer Medikamente versteckte Umsatzprovisionen, sodass die medizinische Indikation oft unklar blieb. Seit 2016 sind solche Umsatzprovisionen für Ärzte illegal und werden in Deutschland als Straftaten verfolgt. Gleichwohl bleibt die Verflechtung zwischen der Pharmaindustrie und dem medizinischen Betrieb eng. 2015 zahlte die Industrie in der Bundesrepublik 575 Mio. Euro an mehr als 71.000 Ärzte und Apotheker sowie an 6.200 medizinische Einrichtungen.30 Sobald Krankenkassen bestimmte medizinische Leistungen höher vergüten, werden diese signifikant häufiger ausgeführt.
Gerade in historischer Perspektive wird die Komplexität des Verhältnisses zwischen Gesundheit, Ökonomie und Politik nachvollziehbar. Privatisierungen und Regulierungen sind nicht (nur) als zeitlich aufeinanderfolgende Reaktionen in dem Sinne zu verstehen, dass erst der Rückzug aus zuvor staatlichen Domänen ein stärkeres privatwirtschaftliches Engagement erlaubte – oder umgekehrt, dass privatwirtschaftliches Engagement staatliche Regulierungen provozierte. Das populäre Narrativ für die Zeit »nach dem Boom«, »vom Staat zum Markt«,31 bedarf also einer Differenzierung. Privatisierungen und Regulierungen beförderten sich unmittelbar und wechselseitig, sodass beispielsweise eine stärkere staatliche Regulierung einen größeren privatwirtschaftlichen Einfluss mit sich brachte, wie Nicole Kramer in diesem Heft für den Bereich der Pflege zeigt. Zudem war die »Rezeption betriebswirtschaftlichen Wissens [...] nicht erst eine Folge der finanzpolitischen Wende«, wie Kramer an anderer Stelle betont hat: Schon lange vorher forderten »sozialpolitische Experten [...] eine Ökonomisierung der Pflege, um einheitliche Leistungsniveaus zu garantieren und soziale Dienste zu vereinheitlichen«.32 Solche Befunde erweitern letztlich auch unser Verständnis für das Akteursfeld in Ökonomisierungsprozessen. Treibende Kräfte waren nicht nur Finanzexperten und Pharmaunternehmer, sondern ebenso Gesundheitspolitiker, Gesundheitsbehörden, Universitäten, Ärztekammern und -verbände, ja mehr noch: Mitunter spielten einzelne Personen sogar zur selben Zeit mehrere Rollen, wie Denise Lehner-Renken in ihrem Beitrag zu den Reproduktionsmedizinern zeigt.
3. Gesundheitsmärkte: Lebensstile und Körperkonzepte
Gesundheit ist auch ein Wirtschaftsgut, das auf Märkten mit Gewinnerzielungsabsicht angeboten und von öffentlichen oder privaten Nachfragern gekauft wird. Dieser Markt ist heutzutage gigantisch groß. Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums erbrachte die Gesundheitsökonomie 2017 in Deutschland eine Wertschöpfung in Höhe von 349,8 Mrd. Euro, was rund 12 Prozent des Bruttoinlandsprodukts oder fast 1 Mrd. Euro pro Tag entspricht. In der Gesundheitswirtschaft arbeiteten 2017 nicht weniger als 7,3 Mio. Menschen. Dieser Markt wächst rasant – und zwar schneller als die deutsche Volkswirtschaft als Ganze. Allein in den Jahren zwischen 2006 und 2017 nahm der Sektor – allen Banken- und Wirtschaftskrisen zum Trotz – 1,3 Millionen neue Erwerbstätige auf. 2017 spielte er Exporteinnahmen von 126 Mrd. Euro ein, was 8,4 Prozent der bundesdeutschen Exporte ausmacht. Diese Einnahmen wuchsen seit 2006 um durchschnittlich 6,6 Prozent pro Jahr.33
Betrachtet man die Hintergründe dieses außerordentlichen Wachstums genauer, begegnet einem zunächst die bereits genannte Gemengelage von individueller Eigenvorsorge, Gemeinschaftsversorgung und privatwirtschaftlichen Angeboten. Ein stetig wachsender Teil der Umsätze wird indes auf dem sogenannten »zweiten Gesundheitsmarkt« erzielt, der frei verkäufliche Arzneimittel, individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) sowie Fitness, Ernährung und Wellness umfasst. Mittlerweile fällt in Deutschland ca. ein Viertel der gesamten Gesundheitskosten in diesen Bereich und wird somit privat getragen.34 Die Entwicklungen des zweiten Gesundheitsmarktes sind für zeithistorische Forschungen zum Wandel von Lebensstilen und Körperkonzepten von großem Interesse, natürlich auch über Deutschland und Europa hinaus. Entsprechende Konsummuster lassen sich vor dem Hintergrund einer Popularisierung des »präventiven Selbst« zum subjektiven Leitbild in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verstehen.35 Auf dem zweiten Gesundheitsmarkt werden somit Prozesse der Individualisierung von Präventionspraktiken und das wachsende Bedürfnis nach Selbstoptimierung besonders gut nachvollziehbar.36 So steht der Boom dieses Marktes seit den 1980er-Jahren auch für die Popularisierung des Wunsches, die Pflege der Gesundheit in die eigene Hand zu nehmen und die Medizin von einer kurativen zu einer wunscherfüllenden Instanz umzudeuten.37 Sie bedient eine konsumorientierte »Nachfrage nach Vitaloptimierung und Lebensplanung«. »Schönheits-Chirurgie, Anti-Aging und Life-Style-Medizin« befinden sich im Aufwind. Allerdings lässt sich dies wiederum mindestens bis in die 1920er-Jahre zurückverfolgen, wie Benjamin Glöcklers Quellen-Beitrag exemplarisch nachzeichnet.38
Wandlungen des Gesundheitsmarktes machen jedenfalls fundamentale Veränderungen von Gesundheits- und Körperkonzepten sichtbar, eine »Verschiebung von der Heilung zur Perfektionierung«.39 Der steile Aufstieg der Reproduktionsmedizin, den Denise Lehner-Renken darstellt, bietet dafür ein beeindruckendes, zuweilen beklemmendes Beispiel. Die Reproduktionsmedizin verspricht Gebärzeitpunkt, Geschlecht, Intelligenz und Gesundheit von Babys, die auf natürlichem Wege nicht entstanden wären, zu optimieren. Der Gesundheitsmarkt hat sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte also weit über die Prävention, Heilung und Linderung von Krankheiten und die »Vermeidung eines vorzeitigen Todes« hinaus ausgedehnt. An die Stelle bisheriger Angebote in Apotheken und Drogerien tritt ein »Supermarkt der médecine du désir«.40
Hochentwickelte Konsumgesellschaften zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Entgrenzung des Machbaren und eine Vervielfältigung der Optionen versprechen – und teilweise auch ermöglichen. Der Wandel des Gesundheitsmarktes ließe sich damit letztlich in den Säkularisierungsprozess des 20. Jahrhunderts einordnen. So hat Jakob Tanner argumentiert, dass das »Streben nach biologischer Selbstüberbietung« auch als Kompensation für einen fortschreitenden Glaubensverlust in »westlichen« Gesellschaften zu verstehen sei. Elisabeth Beck-Gernsheim brachte den Zusammenhang von Säkularisierung, Gesundheits- und Körperkonzepten schon vor 20 Jahren auf den Punkt: »In modern society, for more and more people this faith in God, eternity and salvation has become brittle. What remains is the individual in the here and now and his or her physical condition. When faith in a world beyond has been dissolved, health gains in significance and value, it turns into the expectation of earthly salvation.«41
Der anhaltende Boom des Gesundheitsmarktes ist also nicht allein als Folge oder Effekt eines allgemeinen »Wertewandels« bzw. Wandels von Lebensstilen zu verstehen.42 Darüber hinaus war Ökonomisierung im Gesundheitsbereich ein Katalysator dieser Wandlungsprozesse, dessen Wirkung nicht zu unterschätzen ist. Britta-Marie Schenk und Dirk Thomaschke haben beispielsweise für den Bereich der Humangenetik nachgewiesen, wie sehr neue Verfahren und Angebote der Reproduktionsmedizin Sexualitätsvorstellungen, Familienmuster und Körperkonzepte veränderten.43
Die gewaltige Wachstumsdynamik des Gesundheitssektors, die sich auch aus der Alterung der Bevölkerung in den Industriestaaten, dem besseren Zugang der Menschen zu medizinischen Dienstleistungen in den »Emerging Economies« vor allem Asiens und dem medizintechnischen Fortschritt speist, veranlasst einige Wachstumstheoretiker sogar, in gesundheitsbezogenen Basisinnovationen den Treiber für den sechsten Kondratjew-Zyklus zu sehen. Der Gesundheitsmarkt würde also einen langanhaltenden gesamtwirtschaftlichen Aufschwung auslösen, vergleichbar mit der industriellen Revolution oder der Informations- und Kommunikationsrevolution seit den 1990er-Jahren.44 Dabei handelt es sich zwar um Spekulationen, doch sind diese nicht gänzlich aus der Luft gegriffen.
Die Geschichte des Spannungsverhältnisses von Politik, Ökonomie und Gesundheit wird uns auch weiterhin intensiv beschäftigen. Dieses Heft möchte Perspektiven eröffnen für künftige Forschungen beispielsweise zu transnationalen Verflechtungen und grenzüberschreitenden Ökonomien, wie sie etwa im Gesundheitstourismus oder in den Fusionen großer Pharmaunternehmen seit den 1980er-Jahren sichtbar werden. Zu diesem Themenfeld gehören auch der Wandel von Körperbildern und Konsumnormen, von Arbeitswelten im Gesundheitssektor oder die Konjunkturen der Kritik am Gesundheitswesen. Die Frage nach dem Nutzen und Schaden der Ökonomisierung von Gesundheit und Medizin wird für diese Forschungen zweifelsohne von zentraler Bedeutung sein.
Anmerkungen:
1 Rettet die Medizin. Der Ärzte-Appell, in: stern, 5.9.2019, S. 34-35, hier auch die Zitate.
2 Lucia Schmidt, Medizin ohne Empathie, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.9.2019, S. 1.
3 Kristiana Ludwig, Kinderkliniken in Not, in: Süddeutsche Zeitung, 21.12.2019, S. 1. In diesem Zitat wie in unserem eigenen Text wird das generische Maskulinum verwendet. Sofern nicht ausdrücklich anders angegeben, sind sämtliche Geschlechtsidentitäten gemeint.
4 Heinz Naegler/Karl-Heinz Wehkamp, Medizin zwischen Patientenwohl und Ökonomisierung. Krankenhausärzte und Geschäftsführer im Interview, Berlin 2018, S. 76.
5 Siehe aus der Tagespresse etwa: Chaos in den Krankenhäusern. Wo sich in Europa die Sparwut im Gesundheitswesen rächt, in: Westdeutsche Zeitung, 7.4.2020.
6 Hamburger Soziologe Sighard Neckel: »Polarisierungen werden zunehmen«, in: Berliner Zeitung, 24.3.2020.
7 Vgl. als Überblick mit weiterführender Literatur William Bynum, Geschichte der Medizin, Stuttgart 2010, bes. S. 39-45.
8 Axel C. Hüntelmann, Pharmaceutical Markets in the German Empire. Profits Between Risk, Altruism and Regulation, in: Historical Social Research/Historische Sozialforschung 36 (2011) H. 3, S. 182-201.
9 Vgl. Aurelio Vincenti/Gerhard Igl, Gesundheitswesen und Sicherung bei Krankheit und im Pflegefall, in: Martin H. Geyer (Hg.), Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 6: Bundesrepublik Deutschland 1974–1982, Baden-Baden 2008, S. 515-564; das Zitat Geißlers findet sich auf S. 521.
10 Thomas Schlich, Zeitgeschichte der Medizin: Herangehensweise und Probleme, in: Medizinhistorisches Journal 42 (2007), S. 269-298; Malte Thießen, Gesunde Zeiten. Perspektiven einer Zeitgeschichte der Gesundheit, in: Frank Bajohr u.a. (Hg.), Mehr als eine Erzählung. Zeitgeschichtliche Perspektiven auf die Bundesrepublik. Festschrift für Axel Schildt, Göttingen 2016, S. 259-272.
11 Hartmut Berghoff/Jakob Vogel, Wirtschaftsgeschichte als Kulturgeschichte. Ansätze zur Bergung transdisziplinärer Synergiepotenziale, in: dies. (Hg.), Wirtschaftsgeschichte als Kulturgeschichte. Dimensionen eines Perspektivenwechsels, Frankfurt a.M. 2004, S. 9-42.
12 Vgl. dazu neben den o.g. Beiträgen auch Hans-Georg Hofer/Lutz Sauerteig, Perspektiven einer Kulturgeschichte der Medizin, in: Medizinhistorisches Journal 42 (2007), S. 105-141, bes. S. 116-131; Malte Thießen, Medizingeschichte in der Erweiterung. Perspektiven für eine Sozial- und Kulturgeschichte der Moderne, in: Archiv für Sozialgeschichte 53 (2013), S. 535-599.
13 Martin Lengwiler/Jeannette Madarász, Präventionsgeschichte als Kulturgeschichte der Gesundheitspolitik, in: dies. (Hg.), Das präventive Selbst. Eine Kulturgeschichte moderner Gesundheitspolitik, Bielefeld 2010, S. 11-28.
14 Malte Thießen, Immunisierte Gesellschaft. Impfen in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 2017, S. 355.
15 Mark Harrison, Disease and the Modern World, Cambridge 2004; Peter Baldwin, Contagion and the State in Europe, 1830–1930, Cambridge 1999.
16 Vgl. als Überblick zuletzt Matthias Leanza, Die Zeit der Prävention. Eine Genealogie, Weilerswist 2017.
17 Einführend Robert Jütte in Verbindung mit Wolfgang U. Eckart, Hans-Walter Schmuhl und Winfried Süß, Medizin und Nationalsozialismus. Bilanz und Perspektiven der Forschung, Göttingen 2011.
18 Vgl. Winfried Süß, Gesundheitspolitik, in: Hans Günter Hockerts (Hg.), Drei Wege deutscher Sozialstaatlichkeit. NS-Diktatur, Bundesrepublik und DDR im Vergleich, München 1998, S. 55-100.
19 Vgl. Malte Thießen, Vergleichende, verfeindete und verflochtene Gesellschaften. Transnationale Zusammenhänge einer bundesdeutschen Geschichte der Gesundheit, in: Sonja Levsen/Cornelius Torp (Hg.), Wo liegt die Bundesrepublik? Vergleichende Perspektiven auf die westdeutsche Geschichte, Göttingen 2016, S. 124-141.
20 Dietmar Süß, Idee und Praxis der Privatisierung. Eine Einführung, in: Norbert Frei/Dietmar Süß (Hg.), Privatisierung. Idee und Praxis seit den 1970er Jahren, Göttingen 2012, S. 11-31, hier S. 14.
21 Hüntelmann, Pharmaceutical Markets (Anm. 8).
22 Martin Lengwiler, Versicherungen und die Ökonomisierung des Gesundheitswesens, in: Rüdiger Graf (Hg.), Ökonomisierung. Debatten und Praktiken in der Zeitgeschichte, Göttingen 2019, S. 166-187, hier S. 186. Siehe auch Lengwilers Beitrag im vorliegenden Heft.
23 Ralf Ahrens/Marcus Böick/Marcel vom Lehn, Vermarktlichung. Zeithistorische Perspektiven auf ein umkämpftes Feld, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 12 (2015), S. 393-402, hier S. 396 (mit Verweis auf Colin Crouch).
24 Jens Flintrop, Auswirkungen der DRG-Einführung: Die ökonomische Logik wird zum Maß der Dinge, in: Deutsches Ärzteblatt 103 (2006), S. A 3082-A 3085, Zitat S. A 3085. »DRG« steht für »Diagnosis Related Groups«.
25 AOK-Lexikon, Art. »Verweildauer«. Ein nicht näher bestimmbarer Teil der Verkürzung ist jedoch dem medizinischen Fortschritt zuzurechnen.
26 <https://www.rhoen-klinikum-ag.com/konzern/konzern-im-ueberblick.html>. Zur Übernahme siehe <https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/kliniken-uebernahme-von-rhoen-klinikum-ag-durch-asklepios-abgeschlossen/25990146.html> (dpa-Meldung vom 9.7.2020).
27 Robert-Koch-Institut, Gesundheitsberichterstattung des Bundes kompakt 2-2014, Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung.
28 Vgl. als Überblick Uwe H. Bittlingmayer/Diana Sahrai, Gesundheitliche Ungleichheit. Plädoyer für eine ethnologische Perspektive, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 60 (2010) H. 45, S. 25-31.
29 Der starke Rückgang der Zahl der nicht versicherten Amerikaner war eine Folge des Affordable Care Act (ACA) der Obama-Regierung. Vgl. Henry J. Kaiser Family Foundation, Key Facts about the Uninsured Population, 13.12.2019.
30 Christina Elmer/Markus Grill/Stefan Wehrmeyer, Pharmahonorar für Ärzte. Vielen Dank für die Millionen!, in: Spiegel Online, 14.7.2016.
31 Anselm Doering-Manteuffel/Lutz Raphael, Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, Göttingen 2008, S. 45-52.
32 Nicole Kramer, Der Wert der Pflege. Der Reiz der Ökonomisierung und der Wohlfahrtsstaat der Möglichkeiten, in: Graf, Ökonomisierung (Anm. 22), S. 383-412, hier S. 410f.
33 Einbezogen sind die medizinische Versorgung, die industrielle Gesundheitswirtschaft und andere Bereiche wie Wellness. Vgl. Bundeswirtschaftsministerium für Wirtschaft und Energie, Themenseite Gesundheitswirtschaft.
34 Andreas Mihm, Deutsche geben 100 Milliarden für Wellness & Co. aus, in: FAZ.NET, 9.3.2017.
35 Lengwiler/Madarász, Präventionsgeschichte (Anm. 13).
36 Vgl. Jakob Tanner, Lebensmittel und neuzeitliche Technologien des Selbst: Die Inkorporation von Nahrung als Gesundheitsprävention, in: Lengwiler/Madarász, Das präventive Selbst (Anm. 13), S. 31-54, hier bes. S. 46-50.
37 Vgl. Jakob Tanner, Historische Anthropologie, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 3.1.2012.
38 Zahlreiche Beispiele auch in Hartmut Berghoff/Thomas Kühne (Hg.), Globalizing Beauty. Consumerism and Body Aesthetics in the Twentieth Century, New York 2013.
39 Tanner, Lebensmittel (Anm. 36), S. 50.
40 Die Zitate stimmen von Matthias Kettner, »Wunscherfüllende Medizin« – zwischen Kommerz und Patientendienlichkeit, in: Ethik in der Medizin 18 (2006), S. 81-91.
41 Elisabeth Beck-Gernsheim, Health and Responsibility: From Social Change to Technological Change and Vice Versa, in: Barbara Adam/Ulrich Beck/Joost van Loon (Hg.), The Risk Society and Beyond. Critical Issues for Social Theory, London 2000, S. 122-135, hier S. 124.
42 Bernhard Dietz/Christopher Neumaier/Andreas Rödder (Hg.), Gab es den Wertewandel? Neue Forschungen zum gesellschaftlich-kulturellen Wandel seit den 1960er Jahren, Berlin 2014.
43 Britta-Marie Schenk, Behinderung verhindern. Humangenetische Beratungspraxis in der Bundesrepublik Deutschland (1960er bis 1990er Jahre), Frankfurt a.M. 2016; Dirk Thomaschke, In der Gesellschaft der Gene. Räume und Subjekte der Humangenetik in Deutschland und Dänemark, 1950–1990, Bielefeld 2014.
44 Vgl. Leo Nefiodow, Der sechste Kondratieff. Wege zur Produktivität und Vollbeschäftigung im Zeitalter der Information, Sankt Augustin 1996; Erik Händeler, Kondratieffs Welt. Wohlstand nach der Industriegesellschaft, Moers 2005. Die Existenz der Kondratjew-Zyklen ist umstritten und bislang nicht nachgewiesen worden.