Vergangenheitssehnsucht und Rechtspopulismus

Drei disziplinäre Perspektiven auf die politischen Effekte von Nostalgie. Einleitung

Nostalgie wird oft in kulturellen und, mehr noch, popkulturellen Kontexten diskutiert. Gelegentlich – und gerade in den letzten Jahren wieder – findet sich der Begriff jedoch auch in politischen Zusammenhängen. So wird er dazu verwendet, politische Entwicklungen zu erklären: etwa das britische EU-Referendum, die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA, das Erstarken der AfD in Deutschland oder den Aufstieg neuer Autoritarismen im östlichen Europa. Viele Beobachter*innen stellen einen in ihren Augen alarmierenden Zusammenhang zwischen Politik und Vergangenheitssehnsucht her. Aus ihrer Sicht resultieren die Effekte einer ungebremsten Globalisierung in einer gefährlichen Rückwärtsgewandtheit. Statt über sozioökonomische Konstellationen und Interessen erklären sie Politik emotional und psychologisch, wobei sie Nostalgie repathologisieren.

Der folgende Debattenteil beleuchtet den Zusammenhang zwischen Nostalgie und Politik aus unterschiedlichen Perspektiven. Mit der Psychologie, der Soziologie und der Zeitgeschichte kontrastiert er drei Fachdisziplinen, die sich der Nostalgie auf ganz verschiedene Weise nähern: Während die Psychologie Nostalgie als analytischen Begriff benutzt und in ihr eine Emotion sieht, die unter Laborbedingungen erzeugt und gemessen werden kann, stellt sich die Frage nach Sinn und Funktion der Kategorie »Nostalgie« für Soziologie und Geschichtswissenschaft prinzipieller: Besitzt der Terminus überhaupt das Potential zum Analysebegriff? Und wenn ja, wie stellt sich dann das Verhältnis zwischen Vergangenheitssehnsucht und Rechtspopulismus dar?

Nostalgie-Forschungen der Psychologie präsentieren hier Tim Wildschut, Constantine Sedikides und Anouk Smeekes. Ihr Beitrag basiert auf empirischen Studien aus unterschiedlichen Ländern und porträtiert auf diese Weise ein Forschungsfeld, das sich in den letzten 15 Jahren dynamisch entwickelt hat. Auch die Frage nach einem möglichen Zusammenhang zwischen nostalgischen Gefühlen und politisch rechten Einstellungen stand darin verschiedentlich im Fokus. Welche Art von Nostalgie hat positive, welche hat negative Auswirkungen für ein freiheitlich-demokratisches Gemeinwesen? Was trägt zur Verringerung von Ressentiments bei, was zur übersteigerten Stärkung einer Gruppenidentität? Wie die Autor*innen zeigen, basiert die Operationalisierung von Nostalgie in psychologischen Studien auf einer Unterscheidung zwischen individueller und kollektiver Nostalgie einerseits sowie situativen und langfristigen Gefühlen andererseits. Diese Differenzierung spiegelt sich auch in einem zentralen Ergebnis der Untersuchungen wider: Während persönliche Nostalgie Vorurteilen gegenüber Migrant*in­nen entgegenwirken könne, erweise sich die gemeinschaftlich geteilte Sehnsucht nach der Vergangenheit (oder nach einzelnen Elementen aus ihr) als ein begünstigender Faktor für rechtsradikale und ethnozentrische Haltungen.

Einen Zusammenhang zwischen der »Gegenwart von Vergangenheit« und dem Erstarken der extremen Rechten beobachten auch die Soziolog*innen Alexander Leistner und Julia Böcker. Allerdings sehen sie in Nostalgie vor allem einen »Schleierbegriff«, der den Blick auf »rechtspopulistische Landnahmen« eher verstelle als erhelle. Auch wenn sie jüngst durch die Emotionssoziologie als analytisches Konzept fruchtbar gemacht werde, sei Nostalgie als zeitdiagnostisches Schlagwort problematisch, wie Leistner und Böcker insbesondere mit Blick auf Ostdeutschland zeigen: Um die Instrumentalisierung von Verlustängsten und Vergangenheitsprojektionen zu verstehen, gelte es nicht die DDR als Sehnsuchtsort der Ostdeutschen zu entschlüsseln, sondern zu fragen, wie aus dem Osten ein Sehnsuchtsort der extremen Rechten werden konnte. Die »Umweg-Nostalgie« mit DDR-Verweisen sei als politische Strategie zu begreifen.

Ebenfalls skeptisch reflektiert Martin Sabrow das analytische Potential des Nostalgiebegriffs aus zeithistorischer Sicht. Seine kurze Begriffsgeschichte führt ihn zum aktuellen Geschichtsboom, dem die Erkenntnis der Uneinholbarkeit der Vergangenheit eingeschrieben sei. Als Erklärung für Rechtspopulismus und -extremismus tauge Nostalgie folglich nicht. Wenngleich auf anderem Wege, gelangt er wie Leistner und Böcker zu dem Schluss, dass der Wunsch nach einer Begegnung mit dem Gestern keineswegs als Hoffnung auf eine Rückkehr zu vergangenen Zeiten missverstanden werden sollte. Die eigentliche Gefahr – und damit auch eine Schieflage der Debatte um »rechte Räume« – bestehe gerade in der Ausblendung dieses Unterschiedes.

Trotz der heterogenen Begriffsbestimmungen und Zugriffe – weitere ließen sich ergänzen, etwa aus der Medien- oder der Politikwissenschaft – zeigen die drei Beiträge eines ganz deutlich: Nostalgie ist auch in politischen Kontexten virulent und muss als Ressource politischen Handelns ernstgenommen werden. Welche gesellschaftlichen Leitbilder, Ordnungsvorstellungen und Utopien verbinden sich jeweils mit nostalgischen Deutungsmustern? Gerade weil das Konzept, wie Leistner/Böcker und Sabrow argumentieren, problematisch ist, verdient es Aufmerksamkeit. Denn unabhängig vom gewählten Begriff berührt die Debatte nicht nur die politische Inanspruchnahme der Vergangenheit selbst, sondern auch das zunehmend spannungsgeladene Verhältnis forschungsbasierter und außerwissenschaftlicher Diskurse. Die Pluralität wissenschaftlicher Zugänge kann für die politische Auseinandersetzung durchaus nützlich sein, um Blindstellen und Alternativen zu erkennen.

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