- »Moral«: Eine Begriffsbestimmung
- Die Zeitgeschichte und das Moralische
- Untersuchungsbereich I:
Das Moralische als Wissenskultur - Untersuchungsbereich II:
Das Moralische als Prozess öffentlichen Aushandelns - Untersuchungsbereich III:
Das Moralische als individuelle und soziale Praxis - Zusammenfassung
Seit einiger Zeit erfreuen sich Themen wie »Gerechtigkeit«, »Würde« oder das »richtige« Leben großer Popularität.[1] Auch in der Geschichtswissenschaft floriert die Erforschung von Moral: »Menschenrechte«, »Transitional Justice« oder »Humanitarismus« sind als neue Themenfelder erschlossen worden.[2] In Frankfurt am Main und Berlin beschäftigen sich größere Forschungsverbünde mit der Analyse normativer Ordnungen moderner Gesellschaften.[3] Unter dem Schlagwort »NS-Moral« geht es um Inhalte und Geltungsmacht einer partikularen Moral des Nationalsozialismus.[4] Zeitlich übergreifende Darstellungen zur Geschichte der »Menschheit« oder des »Westens« verfolgen selbst das Ziel, eine bestimmte (politische) Moral zu rechtfertigen.[5]
Trotz dieser Ansätze, die in einer längeren Tradition von Arbeiten zum 18. und 19. Jahrhundert stehen, stößt Moral als Forschungsgegenstand in der Geschichtswissenschaft schnell auf Vorbehalte. Der Begriff erscheint unscharf, wird mit Moralphilosophie gleichgesetzt, oder es wird ein illustrativer, anekdotischer Gebrauch von Geschichte für die Erörterung moralischer Prinzipien befürchtet.[6] In dieser verbreiteten Skepsis lebt nicht zuletzt Max Webers Postulat der »Wertfreiheit« fort.[7] Dabei dürfte unbestritten sein, dass auch in der Geschichtswissenschaft eine begründungspflichtige Moral durch heuristische Interpretationshorizonte und einen Grundkonsens des wissenschaftlichen Diskurses immer präsent ist. Schon Hayden White hat argumentiert, dass die Geschichtswissenschaft ihre Perspektiven und Darstellungsweisen eher ästhetisch und moralisch als epistemologisch auswähle.[8]
Wir schlagen vor diesem Hintergrund aus drei Gründen vor, im Rahmen einer »Moral History« einen vielfältig präsenten, aber bislang unzureichend konzeptualisierten Gegenstandsbereich der Geschichtswissenschaft genauer zu untersuchen: Epistemologisch soll eine Bestimmung von Moral als Begriff und Konzept zu einer präziseren Analyse semantischer Werkzeuge, grundlegender Vorannahmen und historischer Konstruktionen des Verhältnisses von Normen, Werten und Rechten beitragen. Systematisch versteht sich Moral History als Angebot, neuere Studien oder Leitfragen aus Teilbereichen der Geschichtswissenschaft – neben den genannten Themen etwa der Emotions-, Religions- oder Umweltgeschichte – zusammenzudenken und weitere Themenfelder zu erschließen.
Darüber hinaus begründen wir das besondere zeitgeschichtliche Charakteristikum der hier skizzierten Moral History historisch mit der These, dass seit dem 19. Jahrhundert im Zuge der stärkeren, aber keineswegs teleologischen Vergesellschaftung individueller und kollektiver Fundamentalrechte zunehmende Spannungen zwischen rechtlichen, moralischen und sozialen Normen zu konstatieren sind. Deren Aushandlung im Zusammenspiel von Diskursen, Institutionen und Praktiken betrachten wir als eine historisch neuartige Sphäre des Moralischen, die aus der grundsätzlichen Herausforderung erwächst, jenseits »natürlicher«, transzendentaler oder konventioneller moralischer Ordnungen die Verpflichtungsgründe individuellen oder kollektiven Handelns im Prozess gesellschaftlicher Verständigung zu bestimmen, zu legitimieren und diese Möglichkeit auch gegen ihre Infragestellung durch antiliberale Denkhaltungen, Regime und Handlungen zu verteidigen.
Im Folgenden werden wir das Moralische nach einer kurzen Begriffsbestimmung (1.) zunächst in der Zeitgeschichte situieren (2.), bevor wir drei Untersuchungsbereiche einer Moral History vorschlagen: das Moralische als Wissenskultur (3.), die öffentliche Aushandlung des Moralischen (4.) sowie das Verhältnis von moralischen Diskursen und individuellem oder kollektivem Handeln (5.).
1. »Moral«: Eine Begriffsbestimmung
In einer neueren psychologischen Studie haben die Befragten jede dritte ihrer Handlungen und Erfahrungen als »moralisch relevant« beurteilt.[9] Die Zuordnung der Ereignisse erfolgte in Anlehnung an die »Moral Foundations Theory«: Sie geht von sechs im Menschen universal angelegten emotionalen Parametern aus, die das moralische Koordinatensystem bestimmen.[10] Demnach werden Handlungen nach oppositionalen Kategorien wie »care« und »harm«, »fairness« und »cheating« oder »loyalty« und »betrayal« als »richtig« oder »falsch« bewertet. Solche psychologischen, biologischen oder neurowissenschaftlichen Begründungen von Moral als einer überhistorischen, interkulturellen, anthropologischen Eigenschaft des Menschen haben seit einigen Jahren Konjunktur.[11]
Demgegenüber unterscheiden wir zum einen zwischen Normen und Moral, zum anderen zwischen verschiedenen Dimensionen von Moral.[12] Normen begreifen wir als umfassende Kategorien für innergesellschaftliche Handlungsvorgaben, die mit unterschiedlicher Geltungsintensität von informellen Erwartungen und Konventionen über dezidiert an Individuen herangetragene, mit sozialen Sanktionen verbundene Regeln bis zu rechtlich festgeschriebenen Verboten reichen.[13] So ging es noch der frühneuzeitlichen »Moralistik« oder »Sittenlehre« vor allem um die Ausformulierung und Vermittlung sozialer Normen als einer verbindlichen, per Erziehung vermittelbaren »Moral«, die den einzelnen Menschen verbessern sollte.
Waren hier Normen und Moral noch im Prinzip deckungsgleich, geriet dies beim Voranschreiten der Aufklärung zunehmend in Konflikte mit dem Postulat individueller Autonomie und einem damit einhergehenden reflexiven Verständnis moralischer Werte. Damit waren im 18. und 19. Jahrhundert Distanzierungen von einer allein heteronom verbindlichen »Sitte« verbunden, nach der man sich, so Ferdinand Tönnies 1909, »nur [...] zu richten« brauche.[14] Armin Nassehi hat die Loslösung der Moral von einer sozial überwachten Sitte einerseits und einer religiösen Fundierung andererseits als spezifisch modernes Phänomen der »Ethisierung der Moral« beschrieben.[15] Philosophiehistorische Bezugspunkte einer Moral History, deren Wirkung im Horizont einer Vergesellschaftung von Fundamentalrechten und deren Grenzen zu historisieren ist, sind dabei die Entdeckung »moralischer Gefühle« durch die britischen Moralisten im 18. Jahrhundert[16] oder Immanuel Kants Begründung der moralischen Urteilskraft des menschlichen Verstandes.[17] Der Prägung durch dem Grunde nach »restriktive« Normen wurde damit die individuelle Bindung an »attraktive« moralische Werte zur Seite und zugleich entgegen gestellt.[18]
So haben sich in der Neuzeit drei wesentliche Bedeutungen von Moral entfaltet: erstens als Synonym für die Gesamtheit der sozialen Normen einer Gruppe, Gesellschaft oder Kultur, zweitens als das zu diesen in Gestalt einer reflexiven Moral oder Ethik ins Verhältnis gesetzte »Gute«, drittens als motivierende Übereinstimmung mit Praktiken und Zielen von Kollektiven (im Englischen »morale«), wie sie in Begriffen wie »Kampfmoral« oder »Arbeitsmoral« zum Ausdruck kommt. Die dritte Bedeutung werden wir hier nicht weiter berücksichtigen, sondern uns auf die beiden erstgenannten beziehen – genauer auf die seit dem 19. Jahrhundert zunehmenden öffentlichen Aushandlungsprozesse zwischen gesetzten Normen einerseits und reflexiver Moral andererseits sowie auf die damit einhergehende diskursive und politisch immer wieder prekäre Ermächtigung moralischer Verpflichtungsgründe mit universalem Anspruch.
Zwischen drei Dimensionen von Moral zu unterscheiden – einer präskriptiven, einer reflexiven und einer praktischen – ist deshalb selbst das Ergebnis eines neuzeitlichen Entwicklungsprozesses. »Moral« in einem präskriptiven Sinn meint die Einforderung von Werten und deren Ableitungen für das Verhalten gegenüber und mit anderen mit dem Anspruch, so das »Gute« und »Richtige« zu tun.[19] Ein partikularer Ursprung und ein universaler Geltungsanspruch schließen sich hierbei – wie im Fall der »bürgerlichen« oder der »sozialistischen« Moral – nicht aus. Ein reflexiver Gebrauch von Moral liegt vor, wenn die Gültigkeit oder Letztbegründung kollektiver Verpflichtungsgründe zum Gegenstand gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse wird, was die grundsätzliche Möglichkeit eines solchen Austauschs voraussetzt. Schließlich lässt sich Moral in ihren praktischen Manifestationen als Motivation oder Legitimation von Handlungen in deren Relation zu präskriptiven oder reflexiven moralischen Ordnungen ausmachen.
Die Gesamtheit der präskriptiven, reflexiven und praktischen Dimensionen von Moral betrachten wir als das Moralische – eine diskursiv, rechtlich und sozial verankerte Sphäre der Konfrontation partikularer, heteronomer Normensysteme mit als universal proklamierten, reflexiven Moralvorstellungen, die insbesondere auf dem Postulat individueller Autonomie und ihrer Gewährleistung durch Fundamentalrechte beruhen.[20] Im Rahmen einer Moral History geht es gleichwohl nicht primär um eine normative Verteidigung des Rechts auf moralische Autonomie, sondern um dessen historische Genese, seine Umsetzungen und deren Grenzen – mithin aber auch um die ihrerseits zu historisierenden Bedingungen der Möglichkeit einer reflexiven Moral als unverzichtbarer Grundlage einer kritischen Geschichtswissenschaft selbst.
2. Die Zeitgeschichte und das Moralische
Ging Kant noch von universalen moralischen Gesetzmäßigkeiten aus, die der Mensch in sich trage und nur zu erkennen habe, etablierte sich Moral im reflexiven Sinne als ein nicht auf transzendentalen Prinzipien gründendes Orientierungssystem für individuelles und kollektives Handeln erst im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts. Zunehmend wurden vergangene, gegenwärtige und zukünftige Handlungen dabei von Individuen und Kollektiven für diese selbst und für eine imaginierte Gesamtheit der Menschen im Licht von Maßstäben beurteilt, deren Legitimationsgründe sich nicht oder nicht allein aus Grundsätzen des Glaubens, des Rechts oder der politischen Macht ergaben und die nun selbst Gegenstand öffentlicher Aushandlungen wurden. Im Kern ging es dabei um die Konstituierung, Verhandlung und Aneignung so fundamentaler Prinzipien wie »Würde«, »Anerkennung« oder »Autonomie« durch eine bestimmte Form der Kommunikation, die »Hinweise auf Achtung oder Mißachtung mitführt«.[21]
Seit dem 19. Jahrhundert hat so die Berufung auf eine reflexive Moral einen besonderen Differenzwert gegenüber anderen Perspektivierungen sozialer Normen gewonnen. Doch lässt sich die Geschichte des Moralischen nicht als Erfolgsgeschichte schreiben. Vielmehr geht es mit ihr – neben den Gefährdungen ihrer Möglichkeit – immer auch um die »Ambivalenz des Guten« (Jan Eckel), die Mehrdeutigkeiten moralischer Wertungen sowie deren – oft strategische oder instrumentelle – Gebrauchsformen, selbst wenn aus ihnen weder überhaupt etwas noch unbedingt etwas universal »Gutes« folgte.[22] Nur ein Beispiel: Das Plädoyer der schwedischen Pädagogin und Schriftstellerin Ellen Key gegen die Prügelstrafe und für eine Reform der Erziehung gründete 1900 zwar auf der Anerkennung universaler Schutzrechte von Kindern, war aber bis zur Fürsprache für »Euthanasie« durch einen sozialdarwinistisch beeinflussten Ansatz sozialer Optimierung geprägt.[23]
Entstehung und Expansion des Moralischen waren und sind dabei insbesondere von konfliktiven Ansprüchen sozialer Bewegungen und einzelner Protagonisten geprägt, neue, als universal begründete und transnational geltende Normen zu etablieren, mit denen Individual- und Kollektivrechte gegenüber bestehenden Institutionen wie nationalen Gemeinschaften, Staaten, Kirchen und ökonomisch Mächtigen geltend gemacht wurden – zunächst beispielsweise in Gestalt der Anti-Sklaverei- und der Frauenbewegung, im Zuge von Kolonialskandalen oder der Grundlegung eines humanitären Völkerrechts, der Menschenrechte und sozialer Schutzrechte.[24]
Gleichzeitig kam es in der westlichen Welt zu einer fundamentalen Relativierung jener absoluten Moralvorstellungen, die sich auf Religion, Gesetze oder Konventionen, Sitten und Traditionen stützten.[25] So relativierte und historisierte Friedrich Nietzsche mit seiner Streitschrift »Zur Genealogie der Moral« von 1887 den Absolutheitsanspruch insbesondere der christlichen Moral.[26] Einige Jahre später legte Emile Durkheim seiner Soziologie den Befund einer grundlegenden moralischen Krise der modernen Gesellschaft zugrunde. Der Verfall traditioneller, kollektiver Regelungssysteme und ihrer bindenden Werte ging ihm zufolge mit der Ausbreitung von Individualismus und Anomie einher.[27] Dies bahnte auch einer Verwissenschaftlichung von Moral jenseits der Philosophie den Weg.
Wie Nietzsche vertrat Durkheim einen moralsoziologischen Relativismus, da er Moral als etwas verstand, das nur historisch konkret in, durch und für bestimmte Gesellschaften vorkommen könne. Auch die frühen amerikanischen Pragmatisten wie Charles Sanders Peirce, William James oder John Dewey wandten sich gegen jede erkenntnistheoretische Ableitung von moralischen Geltungsansprüchen und sahen diese nur durch den praktischen Umgang der Menschen untereinander legitimiert.[28] Die wachsende Skepsis gegenüber transzendental begründeten Moralsystemen seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts beendete jedoch keineswegs die öffentliche Debatte über die intersubjektive Gültigkeit moralischer Normen.[29] Vielmehr ging die Anerkennung einer historischen und kulturellen Relativität von Moral mit einer gesteigerten Relevanz und Konkurrenz moralischer Konzepte und Semantiken einher.
Zugleich folgten keineswegs alle wissenschaftlichen Ansätze dieser Zeit dem Prinzip des Relativismus: Der Neukantianismus suchte Kants Metaphysik mithilfe der modernen Naturwissenschaft neu zu begründen. Der Ethnologe Victor Cathrein wollte durch seine Feldforschungen vor dem Ersten Weltkrieg belegen, dass bestimmte ethische Normen sehr wohl universal und anthropologisch fundiert seien.[30] Kolonialer Rassismus und imperiale »Erziehungsmissionen« basierten auf der Annahme einer absoluten »weißen« Überlegenheit.[31] Dieser antirelativistischen Haltung ist auch der breite kulturkritische Diskurs im Zeichen von Dekadenzängsten, Degenerationsfurcht und Untergangsbeschwörungen um 1900 zuzurechnen, dessen zutiefst antiliberales Potential einen dauernden Gegenspieler zur Möglichkeit reflexiver Moral und ihrer Grundlagen im 20. Jahrhundert darstellte und weiterhin darstellt.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Rufe nach »moral guidance« für eine vermeintlich »immoral society« immer lauter.[32] Der teils nur kurzlebige Siegeszug demokratischer Systeme und die Vision einer transnationalen Friedensordnung im Europa der Zwischenkriegszeit waren zwar von einem universalmoralischen Optimismus mitgetragen, konnten sich zunächst aber weder gegenüber den absoluten Wertvorstellungen des Faschismus und des Nationalsozialismus noch denen des Sozialismus behaupten. So fand die Verabsolutierung partikularer, essentialistischer und gemeinschaftsmobilisierender Moralkonzepte ihren extremen Ausdruck in der pseudoreligiösen Aufladung und messianischen Erwartung eines antidemokratischen Führertums, das mit gewaltsam umgesetzten Vorstellungen exklusiver und ethnifizierter Gesellschaften einherging.[33]
Vor allem nach 1945 wurde der reflexive Rekurs auf eine universal verstandene Moral aufgrund der vorherigen fundamentalen Infragestellung ihrer Geltungsansprüche zu einer zentralen politischen und gesellschaftlichen Argumentations- und Legitimationsressource – etwa für die Forderung nach Menschenrechten, für Emanzipationsansprüche oder für das Bemühen um ökologische Nachhaltigkeit. So stand besonders die mittlere Phase des 20. Jahrhunderts im Zeichen des Konflikts zwischen Ansprüchen, die Substanz und Geltung universaler, liberaler Moralprinzipien und Rechtsansprüche zu erweitern, sowie einer damit verbundenen prekären Expansion demokratischer und liberaler politischer Ordnungen einerseits und deren retardierender Negation durch partikularmoralische, insbesondere politisch totalitäre Ordnungen andererseits.[34]
Für das letzte Drittel des 20. Jahrhunderts lässt sich eine weitere Zunahme öffentlicher Moraldebatten beobachten. Neue Formen der zivilgesellschaftlichen Artikulation von moralischem Dissens, die Politisierung von Lebensstilen und die hiermit verbundene Aufweichung der Grenzen zwischen politischen Fragen und moralischen Grundsatzkonflikten sowie nicht zuletzt Themenfelder wie ökologische Zukunftsszenarien, Folgeprobleme des technischen Wandels und die Prozesse der globalen ökonomischen Verflechtung haben öffentliche Auseinandersetzungen über gemeinsam geteilte moralische Grundsätze in einer neuen Intensität generiert.[35]
Mit diesem Aufstieg des Moralischen war unter anderem die Entstehung eines global ausgerichteten moralischen Diskurses, Bewusstseins und Handelns verbunden. So haben Luc Boltanski mit seinem Konzept des »distant suffering« oder Henning Ritter mit seinem »Versuch über das Mitleid« die Chancen und Ambivalenzen einer vor allem durch audiovisuelle Massenmedien erweiterten Wahrnehmung der Anderen thematisiert.[36] Mit der räumlichen kam es seit den 1970er-Jahren auch zu einer zeitlichen Expansion moralischer Verantwortung, etwa im Umweltschutzdiskurs oder in einer auf »zukünftige Generationen« verweisenden »Zukunftsethik«.[37] Daran anknüpfend hat zuletzt Valentin Beck versucht, aus der Tatsache einer politischen, kulturellen und ökonomischen Verflechtung der gesamten Welt eine philosophische »Theorie der globalen Verantwortung« abzuleiten.[38]
Wie die trotz allem nach wie vor ausgeprägt ungleichgewichtige Wahrnehmung und faktische Gewichtung »eigener« Leiden und des Leidens »anderer« jedoch zeigt,[39] ist immer auch nach den historischen Grenzen moralischer Relevanz und Aufmerksamkeit zu fragen: Welche Akteure und Lebensbereiche wurden überhaupt und durch wen zum Gegenstand öffentlicher Moralisierung, welche Formen der Implementierung und Durchsetzung moralischer Forderungen galten zeitgenössisch als legitim, und wie haben sich die Grenzen von Moral- und Normvorstellungen verschoben, an denen sich die Individuen bei ihrem Handeln orientierten? Nicht zuletzt knüpft hier eine Globalgeschichte in postkolonialer Perspektive an, die einerseits globale Verflechtungsbeziehungen gegenüber der Nationalgeschichtsschreibung betont, andererseits die Fortsetzung einer Geschichte unter den Prämissen einer »westlichen« Moral hinterfragt.[40]
Um diesen hier nur in aller Kürze skizzierten Prozess der Etablierung des Moralischen zu historisieren, schlagen wir drei Untersuchungsbereiche vor: die Wissenskultur (3.), das öffentliche Aushandeln (4.) sowie die individuelle und soziale Praxis des Moralischen (5.). Alle drei Bereiche sind immer auch hinsichtlich ihrer Einbettung in die jeweiligen – insbesondere politischen – Ordnungen zu betrachten, die einerseits Möglichkeiten und Spielräume des Moralischen eröffnet, diese andererseits aber auch fundamental in Frage gestellt haben.
3. Untersuchungsbereich I: Das Moralische als Wissenskultur
Der erste Untersuchungsbereich widmet sich der diversifizierenden Produktion des Wissens und der Konzepte von Moral. Mit der Relativierung und Politisierung sozialer und moralischer Normen setzte auch deren Verwissenschaftlichung ein. Moral wurde über die Ethik hinaus zum Forschungsgegenstand verschiedener Disziplinen – von der Biologie über die Sozialwissenschaften und die Psychologie bis zur Neurowissenschaft. Auch als Reaktion auf den Legitimationsverlust normativer Ethiken versprach zum Beispiel die Verhaltensforschung, sich auf ein beobachtbares menschliches Verhalten zu konzentrieren, verzichtete aber letztlich selbst nicht auf normative Setzungen.[41] So wurde seit den 1950er-Jahren mit ökonomischen Modellen versucht, moralische Motivationen in individuell-zweckrationale Handlungsmotive aufzulösen.[42]
Wissenschaftliche Ansätze zur Bestimmung von »Moral« sind deshalb erstens politisch, ökonomisch und kulturell zu kontextualisieren. So stellen beispielsweise die diskurs- und verfahrensethischen Positionen von Jürgen Habermas und Karl-Otto Apel nicht allein Reaktionen auf die Delegitimierung essentialistischer Moralvorstellungen dar. Vielmehr schloss das Postulat einer demokratischen Ethik auch an Forderungen nach einer »Kultur des besseren Arguments« an und stand somit im Kontext einer »Demokratisierung« der bundesrepublikanischen Gesellschaft.[43] In ähnlicher Weise sind die Neuformulierungen des Utilitarismus Anfang der 1970er-Jahre in die zeitgenössischen Globalisierungsprozesse einzuordnen. So hat Peter Singer sein »Drowning-child«-Argument, mit dem er der globalen humanitären Hilfe dieselbe moralische Verbindlichkeit zusprach wie der Nothilfe für ein vor unseren Augen ertrinkendes Kind, 1971 in direkter Reaktion auf die Hungerkatastrophe in Bangladesch entwickelt.[44]
Zweitens sind konkrete Akteure und Institutionen in den Blick zu nehmen, die moralisches Wissen produziert und popularisiert haben: Institutionen von Staat und Politik, Kirchen und andere Religionsgemeinschaften, Erziehungsinstanzen wie Schulen und Universitäten, mediale Akteure und Multiplikatoren sowie private Kommunikationsräume wie die Familie. Auch hier spielte die Wissenschaft eine wichtige Rolle als Mediator moralrelevanten Wissens. So kam es im Kontext der Devianzforschung zu einer sozialwissenschaftlichen Befassung mit kollektiven, massenmedial geschürten Ängsten vor einer »Ansteckung« durch »abweichende« Verhaltensformen (»moral panic«).[45] Im Gewand finanzwissenschaftlicher Arbeiten zur »Psychologie des Geldes« wurde in den 1980er-Jahren die »Steuermoral« zum Konjunkturthema sozialer Normdebatten.[46]
Drittens ist nach den Formen der Vermittlung und öffentlichen Produktion von moralrelevantem Wissen zu fragen. So haben sozialwissenschaftliche Experimente seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend zur wissenschaftlichen Plausibilisierung anthropologischer Moralkonzepte beigetragen.[47] Mit Hilfe computerbasierter Statistiken sollte – wie im Fall des »Limits to Growth«-Berichts des Club of Rome – moralische Verantwortung auf vermeintlich objektiv messbare Daten und Zukunftsprognosen gegründet werden.[48] Auch (audio)visuelle Repräsentationen haben im 20. Jahrhundert durch den Aufschwung von Fotografie und Film eine grundlegende Bedeutung für das kollektive moralische Bewusstsein erlangt.[49]
4. Untersuchungsbereich II:
Das Moralische als Prozess öffentlichen Aushandelns
Den zweiten Untersuchungsbereich der Moral History bildet die öffentliche Aushandlung von moralischen Argumenten, Prinzipien und Normen. Für das 20. Jahrhundert ist hierbei erstens eine Ambivalenz und Gleichzeitigkeit konkurrierender moralischer Deutungsmuster charakteristisch. So ist die Geschichte moderner Gewalt immer auch als Spannungsverhältnis zwischen ihrer moralischen Legitimierung und Delegitimierung zu schreiben. Die Bezugnahme auf Kriegserfahrungen konnte einerseits als Beschwörung eines notwendigen »Opfers für das Vaterland« dazu dienen, Kriege zu rechtfertigen; andererseits ließen sich mit diesen Erfahrungen pazifistische Proteste begründen. Insbesondere Kinder dienten im 20. Jahrhundert als medial globalisierte Ikonen der Schutzlosigkeit – aus heutiger Sicht oft unter Missachtung ihrer Würde – sowohl zur politischen Rechtfertigung wie zur moralischen Kritik militärischer Interventionen.[50]
Auch der Wandel von Subjektkulturen und Lebensstilen war mit einem intensiven Aushandlungsprozess gesellschaftlicher Konventionen und individueller Handlungsspielräume verbunden, wie die Geschichte der Pille[51] oder der für die USA der post-1960er-Jahre geprägte Begriff der »Culture Wars« zeigen.[52] Und um ein Beispiel für die antiautoritäre Wende dieser Zeit zu nennen: Alexander und Margarete Mitscherlich kritisierten 1967 nicht nur die anhaltende »Abrichtung zur Moral«, sondern forderten eine »Erziehung zur Antimoral« – dies aber gerade als Befähigung zur kritischen und autonomen Reflexion gesellschaftlich etablierter Moralvorstellungen.[53]
In diesem Zusammenhang sind jedoch auch dezidierte Gegenpositionen zur Ausweitung moralischer Geltungsansprüche zu berücksichtigen. So kritisierte Arnold Gehlen schon in den 1960er-Jahren eine vermeintliche »Hypermoralisierung« oder »Überdehnung der Moral«.[54] Die von der amerikanischen Rechten in den 1980er-Jahren initiierte Debatte über »Political Correctness« oder die für den deutschen Kontext charakteristischen Konjunkturbegriffe wie »Moralkeule« oder »Gutmenschentum« medialisierten einen vorgeblichen Überdruss an Moral und Moralisierung, der sich selbst moralisch gab, und dienten als abschätzige Instrumente politischer Rhetorik.[55] Darüber hinaus sahen sich universale Moralproklamationen mit dem Vorwurf konfrontiert, die moralische Pluralität zu bedrohen.[56]
Zweitens ist der Einsatz moralischer Argumente als oftmals konfliktreiche Verhandlung von Machtressourcen zu analysieren, die mit widersprüchlichen moralischen Bewertungen einherging. Begriffe wie »Gleichheit«, »Gerechtigkeit« oder »Freiheit« bildeten trotz und wegen der mit ihnen erhobenen Objektivitätspostulate »essentially contested concepts«,[57] in denen sich divergierende Gesellschafts- und Menschenbilder widerspiegeln. Der Rekurs auf »Rechte« konnte sowohl – wie bei den Menschenrechten – dazu beitragen, bestimmte Moralvorstellungen zu kodifizieren, als auch – wie bei weltanschaulich begründeten partikularen Moralvorstellungen – zur Außerkraftsetzung von universalen Rechtsnormen und Rechtsordnungen führen. Selbst Fundamentalrechte zeigen sich eben nicht allein durch Wissenskulturen, Diskurse oder Praktiken als ausreichend bewehrt, sondern sind auf politische Ordnungen angewiesen, die ihre Geltung garantieren. Zudem hatten nicht-transzendentale Fundierungen moralischer Werte mit universalem Anspruch – etwa durch persistierende religiöse Deutungsmuster – wirkungsvolle Widerlager, deren Analyse den Blick für die Heterogenität von Moralvorstellungen in transnationaler und globaler Perspektive schärft.[58]
Drittens sind die jeweiligen Konjunkturen von Referenzen, Konzepten und Themen sowie diskursiven und symbolischen Formen des Aushandelns moralischer Leitperspektiven herauszuarbeiten. Welche Entwicklungsphasen lassen sich etwa in der Geschichte der transnationalen Etablierung von Menschenrechten unterscheiden? Neben den Einschnitten durch Weltkriege, Massengewalterfahrungen oder Regimewechsel sprechen nicht wenige Indizien für einen beträchtlichen Schub in den 1970er-Jahren.[59]
So verweist die eng mit Hans Jonas verbundene Renaissance des Konzepts »Verantwortung« auf eine kritische Auseinandersetzung mit den Implikationen der technologischen und ökonomischen Moderne.[60] Auch die ersten Ethikkommissionen der Bundesrepublik gehen auf die 1970er-Jahre zurück. Transnationale Bezüge gewannen an Bedeutung und äußerten sich nicht zuletzt in Solidaritätsaktionen[61] und Antikriegsdemonstrationen. Über solche längerfristig zu betrachtenden Aushandlungsprozesse hat sich eine moralische Reflexivität als Kern des modernen Selbstkonzepts etabliert – wie auch die diskursive Verfügbarkeit moralischer Legitimationsfiguren bis hin zu ihrer moralisierenden Instrumentalisierung.[62]
5. Untersuchungsbereich III:
Das Moralische als individuelle und soziale Praxis
Den dritten Untersuchungsbereich bildet das Verhältnis von moralischen Legitimationsfiguren und individuellem oder kollektivem Handeln. Denn sowohl Wissenskulturen der Moral als auch Konjunkturen öffentlicher Moraldebatten waren und sind eng mit Konzepten, Begründungen und Praktiken eines »guten« oder »richtigen« Lebens verbunden. Vom marxistisch inspirierten Paradigma der »Entfremdung« des Subjekts durch Arbeitswelt und Konsumgesellschaft bis zur kommunitaristischen Rekonstruktion einer spezifisch neuzeitlichen »Kultur der Authentizität« des Selbst bei Charles Taylor durchzieht das 20. Jahrhundert dabei ein ungelöstes Spannungsverhältnis zwischen strukturellen Zwängen, subjektivem Eigensinn und moralischer Reflexivität.[63]
Dabei ist eine klare Trennlinie zwischen öffentlichen Aushandlungen und individuellen Handlungsgründen oder deren emotionalem Korrelat kaum zu ziehen, zumal letztere in hohem Maße durch soziale Erwartungen und Routinisierungen geformt werden. Der amerikanische Soziologe Charles Wright Mills hat bereits 1940 argumentiert, dass ein Verweis auf moralische Motive überhaupt erst Bedeutung erlange, wenn das eigene Handeln von anderen Personen in Frage gestellt werde. Motive erscheinen hier nicht als auslösende Faktoren menschlichen Handelns, sondern als dessen rückblickende Legitimierung und Rationalisierung.[64]
Deshalb geht es der Moral History nicht um nachträgliche moralische Qualifizierungen individuellen Handelns in einem präskriptiven Sinn. Vielmehr ist erstens genauer auszuweisen, wie Individuen und Kollektive ihre eigenen Handlungen im Horizont moralischer Ordnungen und Argumente imaginiert und begründet haben.[65] Dem Aufklärungspostulat der moralisch autonomen Entscheidungskompetenz steht dabei zum Beispiel die mit den Staatsverbrechen des 20. Jahrhunderts gewachsene Rechtfertigungsfigur des »Befehlsgehorsams« gegenüber. Bestritten wurde mit ihr nicht nur der Spielraum für eigene Entscheidungen, sondern – wie auch bei der Berufung auf heteronom gesetzte Prinzipien wie »Ehre« oder »Loyalität« – deren handlungsrelevante Beurteilbarkeit nach moralischen Kriterien überhaupt.[66]
Zweitens ist zu fragen, wie Emotionen in Verbindung mit moralischen Postulaten historisch relevant wurden – etwa, um für bestimmte Verhaltensweisen zu mobilisieren, oder wenn sie als Beweggrund für Handlungen angeführt werden: Die Handlungswirkung moralischer Emotionen ist nicht aus ihren Repräsentationen selbst zu erklären. Dennoch bieten psychologische und soziologische Forschungen wichtige Anknüpfungspunkte, auch wenn die Frage, welche Rolle moralische Emotionen im Verhältnis zu moralischen Urteilen spielen, nicht durch einen moralgeschichtlichen Ansatz gelöst werden kann – sie lässt sich aber als eine Interpretationsachse des Moralischen historisieren.
Sind moralische Begründungen historischer Akteure somit kritisch zu reflektieren, greifen gleichwohl Deutungsansätze zu kurz, die solche Begründungen gar nicht berücksichtigen. Deshalb ist drittens zu analysieren, wann und warum ein bestimmtes Handeln von den Akteuren als »moralisch« qualifiziert und individualisiert wird. So lassen sich die im Kontext von »fairem Handel« oder »ökologischer Nachhaltigkeit« seit den 1970er-Jahren entstehenden Konsumpraktiken nicht allein aus Logiken von Angebot und Nachfrage herleiten. Vielmehr ist erklärungsbedürftig, warum sich ein als »moralisch« verstandenes Engagement in so starkem Maße auf das Feld des Konsums fokussierte und wie es sich zu konkurrierenden Moralisierungen verhielt oder gegen sie durchsetzte.[67]
Moral History interessiert sich für Phänomene, bei denen etwas im Sinne bestimmter wechselseitiger, überindividueller Verpflichtungen als moralisch kommuniziert und zum Zweck einer bewertenden Herstellung von Differenz als geltungsberechtigt und überlegen in Anschlag gebracht wird.[68] Sie zielt nicht auf eine Moralisierung durch Geschichte, sondern auf eine Historisierung des Moralischen: Wie kam es seit dem 19. Jahrhundert zum Aufstieg moralischer Begründungsfiguren, die nicht in Rechts- und Wirtschaftsordnungen, Religionen oder politischem Handeln aufgingen, sondern eine eigene, dauerhafte Qualität als Referenzsystem und Mobilisierungsinstanz gewonnen haben, zugleich aber weder unumstritten noch universal gültig waren oder sind?
Dazu ist Moral History erstens als ein Syntheseangebot zu verstehen, mit dem aktuelle Forschungsfelder im Hinblick auf gemeinsame theoretisch-methodische Fragen zueinander in Dialog gesetzt werden. So lässt sich über etablierte Themengrenzen hinweg – etwa der Menschenrechtsgeschichte, Bürgertums- und Nationalismusforschung – nach den Mechanismen individueller und kollektiver moralischer Mobilisierungen fragen. Dies lenkt den Blick auf die öffentliche Aushandlung und Medialisierung von Moral und verlangt nach Erklärungen für moralische Paradigmenwechsel und deren Interdependenzen mit politischen, sozialen, ökonomischen oder technologischen Transformationsprozessen.
Zweitens erschließt Moral History neue Themenfelder und perspektiviert etablierte Fragestellungen auf neue Weise. Aktuelle Diskussionen über ein vermeintlich angebrochenes »Anthropozän« etwa bieten zahlreiche zeithistorische Anknüpfungspunkte, um umwelt- und gesellschaftsgeschichtliche mit moralgeschichtlichen Fragen zu verbinden.[69] Ein von der Moral History inspirierter Forschungsansatz rückt in diesem Kontext die Frage ins Zentrum, wann und unter welchen gesellschaftlichen und politischen Bedingungen es überhaupt attraktiv wurde, »Umwelt« mit moralischem Sinn aufzuladen. Ebenso können neuere Ansätze einer Integration von kultur- und wirtschaftshistorischen Forschungszugängen produktiv weiterentwickelt werden, wenn statt einer selbst normativen Sympathie für eine »Moral Economy« die Normkonflikte und reziproken moralischen Erwartungen innerhalb ökonomischer Systeme zum Ausgangspunkt der Analyse gemacht werden.[70] Schließlich liegen auch für die historische Gewaltforschung die Chancen einer systematischen Analyse des Moralischen und seiner Grenzen auf der Hand, zumal mit Hannah Arendt zu fragen bleibt, ob womöglich die einzige Neuerung der Moralgeschichte nicht gerade die »Negation« von Moral durch die Genozide des 20. Jahrhunderts war.[71]
Moral History verweist drittens auf die Notwendigkeit einer Reflexion theoretisch-methodischer Grundfragen der Geschichtswissenschaft. So stellt sich ähnlich wie bei der Emotionsgeschichte die Frage nach der Abhängigkeit moralischer Einstellungen und Motive von einem sozial konstruierten Vokabular. Individuelle Moralvorstellungen lassen sich nur im Kontext zeitgenössischer Konventionen der Sag- und Darstellbarkeit von Moral verstehen. Hiermit ist verbunden, jenseits diskursgeschichtlicher Analysen neu über die Möglichkeiten einer historischen Beschäftigung mit individuellen Handlungsmotiven nachzudenken. Dies gilt letztlich auch für moralische Vorannahmen und Wertsetzungen, die in die historische Forschung selbst einfließen.
Bislang verfügt die Geschichtswissenschaft für das Moralische über kein vergleichbar feines Sensorium wie für die Analyse politischer Entscheidungsprozesse, ökonomischer Interessen, sozialer Ungleichheiten, kultureller Manifestationen oder religiöser Motive. Moral History kann und will dabei – mit den Worten Kants – weder eine absolute Moral als »bestirnten Himmel über mir« noch das »moralische Gesetz in mir« zutage fördern. Denn der Bedeutungszuwachs des Moralischen folgt weder Gesetzen, noch ist er teleologisch oder gar unumkehrbar. Seine geschichtswissenschaftliche Analyse hat daher eine ausgesprochene Aktualität – erst recht, wenn Zygmunt Baumans Beobachtung zutreffen sollte, dass gegenwärtig gerade jene Handlungsbereiche wieder schrumpfen, die im Lauf des 19. und 20. Jahrhunderts erstmals und zunehmend im Sinne einer universal wechselseitigen Verpflichtung für moralisch relevant gehalten wurden.[72]
Anmerkungen:
[1] Vgl. Michael Sandel, Gerechtigkeit. Wie wir das Richtige tun, Berlin 2013; Peter Bieri, Eine Art zu leben. Über die Vielfalt menschlicher Würde, München 2013; Rainer Erlinger, Moral. Wie man richtig gut lebt, Frankfurt a.M. 2011; Hartmut Rosa, Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin 2016. – Für hilfreiche Kommentare zu früheren Versionen des vorliegenden Textes danken wir den Redaktionsmitgliedern dieser Zeitschrift, besonders unserer Kölner Kollegin Nina Verheyen.
[2] Im Rahmen dieses Essays müssen wir uns auf exemplarische Hinweise zur Forschungsliteratur beschränken. Vgl. Stefan-Ludwig Hoffmann (Hg.), Moralpolitik. Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert, Göttingen 2010; Michael Barnett, Empire of Humanity. A History of Humanitarianism, Ithaca 2011; Samuel Moyn, Die neue Historiographie der Menschenrechte, in: Geschichte und Gesellschaft 38 (2012), S. 545-572; Jan Eckel, Die Ambivalenz des Guten. Menschenrechte in der internationalen Politik seit den 1940ern, Göttingen 2015. Anm. der Red.: Für Beiträge zum Thema »Menschenrechte« in dieser Zeitschrift siehe <http://www.zeithistorische-forschungen.de/thematische-klassifikation/menschenrechte>.
[3] Vgl. das interdisziplinäre Exzellenzcluster »Normative Orders« an der Goethe-Universität Frankfurt und die internationale Graduiertenschule »Moral Economies of Modern Societies« am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin.
[4] Raphael Gross/Werner Konitzer (Hg.), Moralität des Bösen. Ethik und nationalsozialistische Verbrechen, Frankfurt a.M. 2009.
[5] Vgl. Jared Diamond, Arm und Reich. Die Schicksale menschlicher Gesellschaften, Frankfurt a.M. 1999; Heinrich August Winkler, Geschichte des Westens, 4 Bde., München 2009–2015.
[6] Exemplarisch für den bloß illustrativen Gebrauch historischer Fallbeispiele: Steven M. Cahn/Peter Markie, Ethics. History, Theory, and Contemporary Issues, New York 1998, 6. Aufl. 2015. Diskussionswürdig hingegen: Jonathan Glover, Humanity. A Moral History of the Twentieth Century, New Haven 2001.
[7] Vgl. Max Weber, Der Sinn der »Wertfreiheit« der soziologischen und ökonomischen Wissenschaften [1917], in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hg. von Johannes Winckelmann, Tübingen 1988, S. 489-540.
[8] Hayden White, Metahistory. The Historical Imagination in Nineteenth-Century Europe, Baltimore 1973, S. xii.
[9] Wilhelm Hofmann u.a., Morality in Everyday Life, in: Science 345 (2014), S. 1340-1343.
[10] Vgl. Jesse Graham u.a., Moral Foundations Theory. The Pragmatic Validity of Moral Pluralism, in: Advances in Experimental Social Psychology 47 (2013), S. 55-130.
[11] Vgl. Jan Verplaetse, Der moralische Instinkt. Über den natürlichen Ursprung unserer Moral, Göttingen 2011; Michael Tomasello, Eine Naturgeschichte der menschlichen Moral, Berlin 2016.
[12] Vgl. Bernard Gert, Die moralischen Regeln. Eine neue rationale Begründung der Moral, Frankfurt a.M. 1983; Micha H. Werner, Moral, in: Jean-Pierre Wils/Christoph Hübenthal (Hg.), Lexikon der Ethik, Paderborn 2006, S. 239-248.
[13] Für ein deutlich weiteres Verständnis von Normen als Modus der Distanzsetzung zur Welt vgl. Christoph Möllers, Die Möglichkeit der Normen. Über eine Praxis jenseits von Moralität und Kausalität, Berlin 2015.
[14] Ferdinand Tönnies, Die Sitte, Frankfurt a.M. 1909, S. 63.
[15] Armin Nassehi, Geschlossenheit und Offenheit. Studien zur Theorie der modernen Gesellschaft, Frankfurt a.M. 2003, S. 264-283.
[16] Vgl. Francis Hutcheson, An Essay on the Nature and Conduct of the Passions and Affections. With Illustrations on the Moral Sense, London 1728; David Hume, An Enquiry Concerning the Principles of Morals, London 1751; Adam Smith, The Theory of Moral Sentiments, London 1759. »Moralische Emotionen« werden erst seit wenigen Jahren in Abgrenzung zum kognitivistisch ausgerichteten Ansatz von Lawrence Kohlberg intensiver untersucht. Vgl. ders., Stage and Sequence. The Cognitive-Developmental Approach to Socialization, in: David A. Goslin (Hg.), Handbook of Socialization Theory and Research, Chicago 1969, S. 347-480; Jonathan Haidt, The Emotional Dog and its Rational Tail. A Social Intuitionist Approach to Moral Judgment, in: Psychological Review 108 (2001), S. 814-834; Joshua D. Greene u.a., The Neural Bases of Cognitive Conflict and Control in Moral Judgment, in: Neuron 44 (2004), S. 389-400.
[17] Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft, Riga 1788.
[18] Vgl. diese Unterscheidung bei Hans Joas, Die Entstehung der Werte, Frankfurt a.M. 1997.
[19] Die Frage, wann etwas als »gut« und »richtig« gilt, hat im 20. Jahrhundert nicht zuletzt aus tugendethischer wie aus sprachphilosophischer Sicht kontroverse Bestimmungen erfahren, die hier nicht nachvollzogen werden können. Mit der dem Folgenden zugrundeliegenden Auffassung von Moral als Äußerungssystem individuell reflektierter, selbstverpflichtender sowie zugleich universale Geltung beanspruchender Verhaltensforderungen lehnen wir uns methodisch u.a. an den »universellen Präskriptivismus« von Richard M. Hare an, zuerst entwickelt in The Language of Morals, Oxford 1952.
[20] Detlev Peukert hat diese ambivalente Dynamik der Moderne in zahlreichen Schriften aufgegriffen. Als eines seiner letzten und unvollendet gebliebenen Projekte arbeitete er an einem Beitrag zur »Geschichte als historischer Moralwissenschaft«, der dieser Ambivalenz eine geschichtstheoretische Fundierung geben sollte. Vgl. Frank Bajohr, Detlev Peukerts Beiträge zur Sozialgeschichte der Moderne, in: ders./Werner Johe/Uwe Lohalm (Hg.), Zivilisation und Barbarei. Die widersprüchlichen Potentiale der Moderne. Detlev Peukert zum Gedenken, Hamburg 1991, S. 7-16, hier S. 13.
[21] Niklas Luhmann, Paradigm lost, Frankfurt a.M. 1990, S. 17f. Vgl. den Diskurs um »Würde« und »Anerkennung«; u.a. Avishai Margalit, Politik der Würde. Über Achtung und Verachtung, Frankfurt a.M. 1999; Judith Butler, Kritik der ethischen Gewalt, Frankfurt a.M. 2002; Axel Honneth, Das Ich im Wir. Studien zur Anerkennungstheorie, Berlin 2010.
[22] Als Kritik an einer teleologischen Lesart der Menschenrechte vgl. Samuel Moyn, On the Genealogy of Morals, in: ders., Human Rights and the Uses of History, London 2014, S. 1-18.
[23] Ellen Key, Das Jahrhundert des Kindes [1900], Berlin 1902.
[24] Stellvertretend, auch für die inzwischen breite empirische Forschungsliteratur, siehe die von Hans Joas vertretene »affirmative Genealogie« der Menschenrechte: ders., Die Sakralität der Person. Eine neue Genealogie der Menschenrechte, Berlin 2011; ders., Sind die Menschenrechte westlich?, München 2015.
[25] Zum »ethischen Relativismus« in der Gegenwartsphilosophie vgl. Steven Lukes, Moral Relativism, London 2008.
[26] Friedrich Nietzsche, Zur Genealogie der Moral. Eine Streitschrift, Leipzig 1887. Vgl. Lars Niehaus, Das Problem der Moral. Zum Verhältnis von Kritik und historischer Betrachtung im Spätwerk Nietzsches, Würzburg 2009.
[27] Emile Durkheim, Le suicide. Étude de sociologie, Paris 1897.
[28] Vgl. William James, The Moral Philosopher and the Moral Life, in: ders., The Will to Believe and other Essays in Popular Philosophy, London 1896, S. 184-215; John Dewey, Reconstruction in Philosophy, New York 1920, S. 161-186.
[29] Exemplarisch für die Moraldebatten der Jahrhundertwende vgl. Detlef Briesen, Warenhaus, Massenkonsum und Sozialmoral. Zur Geschichte der Konsumkritik im 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 2001; Habbo Knoch, Grandhotels. Luxusräume und Gesellschaftswandel in New York, London und Berlin um 1900, Göttingen 2016.
[30] Victor Cathrein, Die Einheit des sittlichen Bewußtseins der Menschheit. Eine ethnographische Untersuchung, Freiburg 1914.
[31] Vgl. etwa Alexander Lion, Die Kulturfähigkeit des Negers und die Erziehungsaufgaben der Kulturnationen, Berlin 1908.
[32] Reinhold Niebuhr, Reflections of an End of an Era, New York 1932, S. ix. Vgl. ders., Moral Man and Immoral Society, New York 1934.
[33] Vgl. Fritz Stern, Kulturpessimismus als politische Gefahr. Eine Analyse nationaler Ideologie in Deutschland, Bern 1963; Harald Welzer, Massenmord und Moral. Einige Überlegungen zu einem mißverständlichen Thema, in: Kristin Platt (Hg.), Genozid und Moderne, Bd. 1: Strukturen kollektiver Gewalt im 20. Jahrhundert, Opladen 1998, S. 254-272; Raphael Gross, Anständig geblieben. Nationalsozialistische Moral, Frankfurt a.M. 2010.
[34] Vgl. Moyn, Human Rights and the Uses of History (Anm. 22), S. 87-98.
[35] So ließe sich der »Neoliberalismus« als Entbindung ökonomischer Konkurrenz von moralisch reflexiven Regulierungen verstehen. Vgl. Ralph Jessen (Hg.), Konkurrenz in der Geschichte. Praktiken – Werte – Institutionalisierungen, Frankfurt a.M. 2014.
[36] Luc Boltanski, Distant Suffering. Morality, Media, and Politics, Cambridge 1999; Henning Ritter, Nahes und fernes Unglück. Versuch über das Mitleid, München 2004; ders., Die Schreie der Verwundeten. Versuch über die Grausamkeit, München 2013; Susan Sontag, Das Leiden anderer betrachten, München 2003.
[37] Dieter Birnbacher, Verantwortung für zukünftige Generationen, Stuttgart 1988.
[38] Valentin Beck, Eine Theorie der globalen Verantwortung. Was wir Menschen in extremer Armut schulden, Berlin 2016.
[39] Vgl. Martin Pfaffenzeller, Flugzeugabsturz in Afrika? Mir doch egal!, in: Spiegel Online, 12.10.2016; Susan D. Moeller, Compassion Fatigue. How the Media Sell Disease, Famine, War and Death, London 1999; Judith Butler, Krieg und Affekt, Zürich 2009.
[40] Vgl. Ulrike Lindner, Neuere Kolonialgeschichte und Postcolonial Studies, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 15.4.2011; Sebastian Conrad, Globalgeschichte. Eine Einführung, München 2013.
[41] Vgl. Floris Heukelom, Behavioral Economics. A History, Cambridge 2014; Rüdiger Graf, »Heuristics and Biases« als Quelle und Vorstellung. Verhaltensökonomische Forschung in der Zeitgeschichte, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 12 (2015), S. 511-519.
[42] Vgl. Gary S. Becker, The Economic Approach to Human Behaviour, Chicago 1976.
[43] Vgl. Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, Frankfurt a.M. 1992, S. 349-397; Nina Verheyen, Diskussionslust. Eine Kulturgeschichte des »besseren Arguments« in Westdeutschland, Göttingen 2010.
[44] Vgl. Peter Singer, Famine, Affluence, and Morality, in: Philosophy & Public Affairs 1 (1972), S. 229-243; John Rawls, A Theory of Justice, Cambridge 1971.
[45] Vgl. Stanley Cohen, Folk Devils and Moral Panics, London 1972.
[46] Vgl. Günter Schmölders, Psychologie des Geldes, Reinbek bei Hamburg 1966; Stephan Burgdorff, Wirtschaft im Untergrund, Reinbek bei Hamburg 1983.
[47] Vgl. Stanley Milgram, Obedience to Authority. An Experimental View, London 1974; Thomas Sandkühler/Hans-Walther Schmuhl, Milgram für Historiker. Reichweite und Grenzen einer Übertragung des Milgram-Experiments auf den Nationalsozialismus, in: Analyse & Kritik. Zeitschrift für Sozialwissenschaften 20 (1998), S. 3-26.
[48] Denis Meadows u.a., The Limits to Growth. A Report for the Club of Rome’s Project on the Predicament of Mankind, London 1972. Vgl. Nils Freytag, »Eine Bombe im Taschenbuchformat«? Die »Grenzen des Wachstums« und die öffentliche Resonanz, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 3 (2006), S. 465-469.
[49] An der Universität zu Köln entsteht im Rahmen des Forschungsprojekts »Die moralische Ikonographie des 20. Jahrhunderts« dazu u.a. eine Bilddatenbank. Vgl. Habbo Knoch, Grausame Bilder. Gewalt in der Fotografie des 20. Jahrhunderts, in: Martin Sabrow (Hg.), Das Jahrhundert der Gewalt, Leipzig 2014, S. 65-92; ders., Schockierende Bilder. 1945 und die moralische Ikonographie des 20. Jahrhunderts, in: Neue Politische Literatur 61 (2016), S. 63-77; Heide Fehrenbach/Davide Rodogno (Hg.), Humanitarian Photography. A History, Cambridge 2014.
[50] So unterläge die Vorführung eines unbekleideten neunjährigen Napalm-Opfers aus Vietnam vor dem »Russell-Tribunal« in Stockholm im Mai 1967 heute ungleich strengeren Maßstäben, was die Dynamik des Moralischen ebenso widerspiegelt wie die lange Dauer kolonialistischer Wahrnehmungsmuster.
[51] Vgl. Eva-Maria Silies, Liebe, Lust und Last. Die Pille als weibliche Generationserfahrung in der Bundesrepublik, 1960–1980, Göttingen 2010.
[52] James Davison Hunter, Culture Wars. The Struggle to Define America, New York 1991.
[53] Alexander und Margarete Mitscherlich, Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens, München 1967, S. 158-224.
[54] Arnold Gehlen, Moral und Hypermoral. Eine pluralistische Ethik, Frankfurt a.M. 1969, bes. S. 79-94.
[55] Vgl. Allan Bloom, The Closing of the American Mind, New York 1987; Geoffrey Hughes, Political Correctness. A History of Semantics and Culture, Chichester 2009; Gerd Wiegel/Johannes Klotz (Hg.), Geistige Brandstiftung? Die Walser-Bubis-Debatte, Köln 1999; Gerhard Müller, Guter Mensch – und Gutmensch. Anmerkungen zu einem aktuellen Reizwort, in: Sprachspiegel 67 (2011), S. 2-9.
[56] Richard Rorty, Contingency, Irony, and Solidarity, Cambridge 1989, S. 189-198.
[57] Vgl. Walter Bryce Gallie, Essentially Contested Concepts, in: Proceedings of the Aristotelian Society 56 (1956), S. 167-198.
[58] Vgl. Henning Hahn, Globale Gerechtigkeit. Eine philosophische Einführung, Frankfurt a.M. 2009; Karen M. Sykes, Ethnographies of Moral Reasoning. Living Paradoxes of a Global Age, New York 2009.
[59] Vgl. Jan Eckel/Samuel Moyn (Hg.), Moral für die Welt? Menschenrechtspolitik in den 1970er Jahren, Göttingen 2012.
[60] Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technische Zivilisation, Frankfurt a.M. 1979; Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt a.M. 1986; Zygmunt Bauman, Liquid Modernity, Cambridge 2000.
[61] Siehe exemplarisch den Aufsatz von Frank Bösch in diesem Heft zur Aufnahme vietnamesischer »Boat People«.
[62] Vgl. Pascal Eitler/Jens Elberfeld (Hg.), Zeitgeschichte des Selbst. Therapeutisierung – Politisierung – Emotionalisierung, Bielefeld 2015; Maik Tändler, Das therapeutische Jahrzehnt. Der Psychoboom in den siebziger Jahren, Göttingen 2016; Uffa Jensen/Maik Tändler (Hg.), Das Selbst zwischen Anpassung und Befreiung. Psychowissen und Politik im 20. Jahrhundert, Göttingen 2012.
[63] Vgl. Rahel Jaeggi, Entfremdung. Zur Aktualität eines sozialphilosophischen Problems, Frankfurt a.M. 2005; Charles Taylor, Das Unbehagen an der Moderne, Frankfurt a.M. 1995; ders., Quellen des Selbst. Die Entstehung der neuzeitlichen Identität, Frankfurt a.M. 1996.
[64] Charles Wright Mills, Situated Actions and Vocabularies of Motive, in: American Sociological Review 5 (1940), S. 904-913.
[65] Vgl. Heinz D. Kittsteiner, Die Entstehung des modernen Gewissens, Frankfurt a.M. 1991.
[66] Vgl. Rainer E. Wiedemann, Treue und Loyalität im Prozess gesellschaftlichen Wandels. Eine soziologische Skizze, in: Nikolaus Buschmann/Karl Murr (Hg.), Treue. Politische Loyalität und militärische Gefolgschaft in der Moderne, Göttingen 2008, S. 36-71.
[67] Vgl. Benjamin Möckel, Gegen die »Plastikwelt der Supermärkte«. Konsum- und Kapitalismuskritik in der Entstehungsgeschichte des »fairen Handels«, in: Archiv für Sozialgeschichte 56 (2016), S. 335-352; David Kuchenbuch, »Eine Welt«. Globales Interdependenzbewusstsein und die Moralisierung des Alltags in den 1970er und 1980er Jahren, in: Geschichte und Gesellschaft 38 (2012), S. 158-184.
[68] Vgl. Ernst Tugendhat, Zum Begriff und zur Begründung von Moral [1989], in: ders., Philosophische Aufsätze, Frankfurt a.M. 1992, S. 315-333.
[69] John Robert McNeill/Peter Engelke, The Great Acceleration. An Environmental History of the Anthropocene since 1945, Cambridge 2014; Franz Mauelshagen, »Anthropozän«. Plädoyer für eine Klimageschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 9 (2012), S. 131-137.
[70] Vgl. Hartmut Berghoff/Jakob Vogel (Hg.), Wirtschaftsgeschichte als Kulturgeschichte. Dimensionen eines Perspektivenwechsels, Frankfurt a.M. 2004; Christof Dejung/Monika Dommann/Daniel Speich Chassé (Hg.), Auf der Suche nach der Ökonomie. Historische Annäherungen, Tübingen 2014; Norbert Götz, Moral Economy. Its Conceptual History and Analytical Prospects, in: Journal of Global Ethics 11 (2015), S. 147-162.
[71] Hannah Arendt, Über das Böse. Eine Vorlesung zu Fragen der Ethik, München 2006, S. 13. Vgl. Bettina Stangneth, Böses Denken, Reinbek bei Hamburg 2016; Susan Neiman, Das Böse denken. Eine andere Geschichte der Philosophie, Frankfurt a.M. 2004.
[72] Zygmunt Bauman, Die Angst vor den anderen. Ein Essay über Migration und Panikmache, Frankfurt a.M. 2016, S. 77f.