Zwischen Event und Aufklärung. Zeitgeschichte ausstellen

Vorwort

Anmerkungen

Zeitgeschichte selbst kann man genauso wenig „ausstellen“ wie Geschichte an sich; Museen und Ausstellungen können nur bestimmte historische Artefakte präsentieren und tragen dadurch zur (Re-)Konstruktion von „Geschichte“ bei.1 Eine Debatte über die Kriterien der Sammlung und Präsentation, wie sie hier angeregt wird, ist dabei zugleich eine über das heutige Museum bzw. die moderne kulturhistorische Ausstellung. Das Museum ist nicht mehr allein die alte „Wunderkammer“, baut aber in seinen Sammlungen historisch und systematisch immer noch auf diesem Prinzip auf. Hinzugetreten ist seit dem 19. Jahrhundert ein zunehmend historisch und an nationalen Konstruktionen orientiertes Präsentations- und Deutungsmuster der Ausstellungen, das eng verknüpft ist mit der Professionalisierung der Ausstellungsmacher. Darüber hinaus sind Museen neuerdings „Informations- und Dienstleistungszentren“ geworden, die die Rekonstruktion von Geschichtsfragmenten mittels Objektarrangements und Textinformationen inszenieren.2

Die Institution Museum ist in den letzten beiden Jahrhunderten und noch einmal mit dem in den 1970er-Jahren beginnenden Museumsboom umfänglichen Veränderungen ausgesetzt gewesen. Zusätzlich zu öffentlichen Einrichtungen entstehen immer mehr private Gründungen, die sich stärker an kommerziellen Gesichtspunkten orientieren. Aber auch die staatlich finanzierten Institutionen müssen sich der Konkurrenz alternativer Freizeiteinrichtungen und Geschichtspräsentationen etwa in Spielfilmen, Dokumentationen, Romanen und Computerspielen stellen und sich fragen, wo ihre spezifischen Möglichkeiten liegen. Zu den Kriterien für eine gute Ausstellung gehört neben den wissenschaftlichen Qualitätsstandards besonders die Attraktivität der Präsentation, die sich am einfachsten, wenn auch nicht hinreichend in den Besucherzahlen messen lässt. Damit stehen die Museen insgesamt und speziell zeitgeschichtliche Ausstellungen zwischen „Event und Aufklärung“.

Die Erforschung und breitere kulturpolitische Diskussion dieses Phänomens steckt noch in den Anfängen. Die Museologie ist - zumindest in Deutschland - relativ schwach institutionalisiert und beschäftigt sich meist nicht in erster Linie mit Geschichtsmuseen. In der Geschichtswissenschaft und -didaktik wiederum fristen Museumsfragen - in krassem Gegensatz zum öffentlichen Stellenwert von Museen - lediglich eine Nischenexistenz. Wie die Museen „die Geschichte“ nach 1945 sammeln, bewahren und ausstellen sollen, wird bislang primär - und auf durchaus hohem Niveau - in der Praxis der Museumsarbeit entschieden. Doch lassen die täglichen Aufgaben den Museumsleitern und -mitarbeitern selten den nötigen Raum für allgemeinere Überlegungen. Die Redaktion von „Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History“ möchte mit der hier publizierten Debatte eine grundsätzliche Reflexion des Themas anregen und dafür erste Bausteine liefern. Dabei sind wir uns bewusst, das viele einschlägige Fragen (und Antworten) nicht völlig neu sind.3 Im Hinblick auf die Erkenntnisinteressen der Zeitgeschichte und auf die aktuelle Situation verdienen sie aber erneut aufgegriffen zu werden.

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Was ist das Besondere an einer zeithistorischen Ausstellung, was unterscheidet den musealen Umgang mit der Geschichte der ägyptischen Pharaonen oder der mittelalterlichen Stadt von Präsentationen etwa der Konsumgeschichte der Bundesrepublik oder der Alltagsgeschichte der DDR? Eine erste Antwort liegt unmittelbar auf der Hand: Die Bundesrepublik oder die DDR sind Ausstellungsmachern und Rezipienten „näher“ als beispielsweise das Reich der Pharaonen, weil die heutigen Akteure Teile davon selbst miterlebt haben. Wie die Zeitgeschichte insgesamt als „Geschichte der Mitlebenden“ bezeichnet werden kann (Hans Rothfels), so sind auch zeithistorische Ausstellungen von diesen „Mitlebenden“ geprägt - hinsichtlich der Vorannahmen und Fragestellungen, der Gestaltungsweise, der Objektauswahl, der Interpretationslinien und der Rezeptionsmuster. „Zeitzeugen“ kommen in solchen Ausstellungen als Interviewpartner, Leihgeber und zugleich als Besucher vor; die Ausstellungsmacher wiederum haben an der dargestellten Geschichte unter Umständen selbst teilgenommen, so dass die Abgrenzungen zwischen den Akteuren verschwimmen.

Darüber hinaus ist auf drei weitere Besonderheiten zeithistorischer Ausstellungen hinzuweisen. Auf der objektpragmatischen Ebene betrifft dies zunächst die Verwendung audiovisueller Medien. Film- und Tondokumente sowie inzwischen auch Websites sind Objekte neueren Datums und bieten sich zur Präsentation besonders an, weil sie zeitgeschichtliche Atmosphären wieder aufleben lassen. Der Umgang mit diesen Objekten in einer Ausstellung ist jedoch ein gänzlich anderer als derjenige etwa mit einem Gemälde, einem Buch oder einer Ritterrüstung. Zudem sind diese Medien nicht nur historische Objekte, sondern häufig auch Mittel der Installation. Multimediastationen werden, als wichtige Bestandteile des Konzepts, eigens für die Ausstellung angefertigt. Über die angemessene Präsentation audiovisueller Medien in einer Ausstellung (Anzahl, Art der Wiedergabe und Länge von Ton- oder Bildausschnitten etc.) besteht bislang kaum Einigkeit. Die Frage nach der Präsentation des „Originals“ ist bei Digitalfotografien und vor allem bei Filmaufnahmen schwierig zu beantworten. Ist der Film nur als Ganzes und nur mit dem Originalton zu zeigen? Stellt die Reduktion auf Filmausschnitte nicht bereits eine Verformung oder gar Zerstörung des Werks dar? Ist die Präsentation des Films ohne den Ton überhaupt verständlich? Wird der Film mit Ton womöglich zum Störfaktor des Ausstellungsbesuchs? Ist die Wiedergabe eines Kinofilms auf einem kleinen Bildschirm in einer Ausstellung noch sinnvoll? Die Fragen nach dem Umgang mit dem „Original“ im digitalen Zeitalter beginnen zudem nicht erst bei der Vorbereitung einer Ausstellung, sondern bereits bei der Sammlung: Wenn der Papier-Brief weitgehend durch die elektronische Post ersetzt wird, geht entweder ein Teil der Dokumentation von Kommunikations- und Entscheidungsprozessen verloren, oder die Sammlung muss auch virtuelle Objekte aufnehmen.

Zweitens ist bereits die reine Masse der vorhandenen Objekte ein Phänomen, dem sich beispielsweise ein Museum für mittelalterliche Geschichte in weit geringerem Maße stellen muss. Sammlungen zu länger zurückliegenden Epochen umfassen schon deshalb nur eine begrenzte Anzahl an Objekten, weil die Geschichte selbst bereits eine Objekt-Auswahl getroffen hat. Nur selten tauchen noch neue, bislang vollkommen unbekannte Stücke auf. Vor allem in der jüngsten Zeitgeschichte ist die Sammlung hingegen offen, denn alles, was uns gegenwärtig umgibt, könnte als Exponat bewertet werden. Was wird aber auch noch in zehn oder hundert Jahren für das Verständnis unserer Zeit bedeutsam sein? Zeitgeschichtliche Sammlungsexperten müssen also Entscheidungen für die Zukunft treffen, und die Qual der Wahl ist wesentlich größer als hinsichtlich jeder anderen Epoche.

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Drittens ist die historische Erforschung früherer Jahrhunderte gewöhnlich distanzierter und abgeklärter als diejenige der Zeitgeschichte. Trotz mancher Fachkontroversen sind bestimmte Grundstrukturen der älteren Epochen unstrittig, und vor allem lassen sich die Endpunkte historischer Prozesse markieren. Die neueste Zeitgeschichte hingegen reicht nicht nur in die Gegenwart hinein; sie verweist auch bereits auf die Zukunft. Die „Geschichte, die noch qualmt“ (Barbara Tuchman) birgt deshalb zugleich die Gefahr der politischen Instrumentalisierung.4 Dies betrifft sowohl die Forschung als auch die Museumsarbeit, denn beide haben heute eine relativ große öffentliche Wirkung. Die Zeitgeschichte steht im Konfliktfeld von Wissenschaft, Medien, Politik, Päd-agogik, „Zeitzeugen“ und allgemeiner Öffentlichkeit. Ihr besonderer Charakter als „Streitgeschichte“ muss daher stets mitreflektiert werden.5 Darüber hinaus ist die Zeitgeschichte eben nicht nur große Politikgeschichte, sondern auch Teil individueller Geschichte(n) und entsprechend zahlreicher Perspektiven und Interpretationsmöglichkeiten.

In dieser Vielzahl von Aspekten müssen sich Ausstellungsmacher bei zeitgeschichtlichen Themen positionieren. Die folgenden Beiträge von Zeithistorikern und Ausstellungspraktikern6 wenden sich auf verschiedenen Wegen den genannten Fragen zu. Sie beschäftigen sich mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Konjunkturen zeithistorischer Ausstellungen, analysieren die speziellen Herausforderungen für Sammlungsleiter und Ausstellungsmacher in der Zeitgeschichte sowie die spezifischen Erkenntnismöglichkeiten der Objektinszenierung und betrachten schließlich einen „Sonderfall des Besonderen“, nämlich Zeitgeschichte in und von Jüdischen Museen.

Eingangs liefert Hans-Ulrich Thamer einen knappen Überblick zur Geschichte des historischen Ausstellungswesens in der Bundesrepublik und verdeutlicht dabei den stark gestiegenen Anteil zeithistorischer Themen. Diese keineswegs selbstverständliche Schwerpunktverlagerung hänge eng mit der verstärkten öffentlichen Aufmerksamkeit für die NS-Zeit und deren historische Ereignisorte zusammen. Das Nebeneinander von Gedenkstätten und herkömmlichen Museen ohne bestimmten Ortsbezug stellt Thamer als ein Charakteristikum der zeithistorischen Ausstellungslandschaft heraus. Burkhard Asmuss geht vor dem Hintergrund seiner Arbeit am Deutschen Historischen Museum der schon erwähnten Frage nach, wie und aufgrund welcher Kriterien Objekte der Zeitgeschichte (speziell auch der jüngsten Zeitgeschichte) gesammelt bzw. ausgewählt und aufbewahrt werden. Neben Schenkungen, Ankäufen und Leihgaben werden die Objekte auch im wahrsten Sinne des Wortes „eingesammelt“. Wie eine Ausstellung mittels der vorhandenen oder noch zu sammelnden Objekte entsteht, erläutert Kristiane Janeke. Dabei wird deutlich, wie sehr sich die heutige Museumsarbeit zwischen den nicht ohne weiteres zu vereinbarenden Rationalitäten von Wissenschaft, Kulturmanagement, Gestaltung und Politik bewegen muss. Detlef Hoffmann fordert einen verstärkten quellenkritischen Umgang mit Bildern und Objekten in zeitgeschichtlichen Ausstellungen. Der historische Kontext der Bildentstehung und -überlieferung solle besonders verdeutlicht werden. Die Hintergründe, die zur Entstehung des Bildes oder Objektes, aber auch zu seiner Aufbewahrung, eventuellen Verlagerung oder Beschädigung und schließlich zur erneuten Ausstellung geführt haben, ergeben erst die ganze Geschichte bzw. lassen neue (Zeit-)Geschichten entstehen - verstanden auch als eine Ablagerung von (Zeit-)Schichten, die oft aufschlussreicher sein kann als das bloße „Original“. Eine spezielle Form der zeitgeschichtlichen Ausstellungen beschreibt schließlich Katrin Pieper, indem sie die „neuen Jüdischen Museen“ betrachtet. Gemeint sind Museen, die neben der Auseinandersetzung mit dem Holocaust versuchen, „Brücken“ zur Zeit nach 1945 und in die Gegenwart jüdischer Kultur zu bauen. Konzeptionell verbunden ist damit der aus den USA stammende Typ des „narrativen Museums“. Fragmente oder Ausschnitte werden in einer Erzähllinie präsentiert, doch auf die Illusion von Abbildbarkeit und Vollständigkeit „der“ Geschichte wird bewusst verzichtet; der rekonstruktive Charakter der Institution Museum wird offengelegt.7

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Die hier eröffnete Debatte soll dazu beitragen, die Besonderheiten und Probleme zeithistorischer Museumsarbeit herauszustellen sowie die Ausstellungen und Museen im 20. Jahrhundert in den Blick der zeithistorischen Forschung zu rücken.8 Ausstellungen sind abhängig von den überlieferten Fragmenten, dem allgemeinen Wissensstand, der Perspektive der Ausstellungsmacher, den Absichten der ausstellenden Institution und nicht zuletzt dem aktuellen Interesse der Gesellschaft, die gerade bei zeitgeschichtlichen Ausstellungen verstärkten Einfluss auf die individuelle Wahrnehmung des Gezeigten nimmt. Im Folgenden werden diese verschiedenen Einflüsse diskutiert, um zu verdeutlichen, dass Ausstellungen als eigenständiges Medium ernstzunehmen sind und einer theoretisch-methodischen Reflexion bedürfen. Ihr gesellschaftlicher Stellenwert, die in ihnen behandelten Themen und ihre Gestaltung unterliegen einem Wandel, der als zeithistorisches Forschungsfeld vielfältige Einblicke bietet.

 
Anmerkungen:

1 Vgl. auch Christoph Stölzl, Kann man Geschichte ausstellen?, in: Dieter Sauberzweig/Bernd Wagner/Thomas Röbke (Hg.), Kultur als intellektuelle Praxis. Hermann Glaser zum 70. Geburtstag, Essen 1998, S. 329-335, hier S. 329.

2 Gottfried Korff, Omnibusprinzip und Schaufensterqualität. Module und Motive der Dynamisierung des Musealen im 20. Jahrhundert, in: Michael Grüttner/Rüdiger Hachtmann/Heinz-Gerhard Haupt (Hg.), Geschichte und Emanzipation. Festschrift für Reinhard Rürup, Frankfurt a.M. 1999, S. 728-754, hier S. 747.

3 Vgl. die umfangreichen Literaturhinweise bei Heinrich Theodor Grütter, Zur Theorie historischer Museen und Ausstellungen, in: Horst Walter Blanke/Friedrich Jaeger/Thomas Sandkühler (Hg.), Dimensionen der Historik. Geschichtstheorie, Wissenschaftsgeschichte und Geschichtskultur heute. Jörn Rüsen zum 60. Geburtstag, Köln 1998, S. 179-193.

4 Als eine Fallstudie siehe etwa Vera Zolberg, Museums as contested sites of remembrance. The Enola Gay affair, in: Sharon Macdonald/Gordon Fyfe (Hg.), Theorizing Museums. Representing Identity and Diversity in a Changing World, Oxford 1996, S. 69-82.

5 Martin Sabrow/Ralph Jessen/Klaus Große Kracht, Einleitung: Zeitgeschichte als Streitgeschichte, in: dies. (Hg.), Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Große Kontroversen nach 1945, München 2003, S. 9-18.

6 Die fünf beteiligten Autorinnen und Autoren sind sowohl Zeithistoriker als auch Ausstellungspraktiker, allerdings mit unterschiedlichen Tätigkeitsschwerpunkten. Eine scharfe Trennung der beiden Kategorien lässt sich hier kaum noch ziehen.

7 Vgl. auch Karl Heinrich Pohl, Wann ist ein Museum „historisch korrekt“? „Offenes Geschichtsbild“, Kontroversität, Multiperspektivität und „Überwältigungsverbot“ als Grundprinzipien musealer Geschichtspräsentationen, in: Olaf Hartung (Hg.), Museum und Geschichtskultur. Ästhetik - Politik - Wissenschaft, Bielefeld 2006, S. 273-286.

8 Das Interesse an einer Diskussion über Museums- und Ausstellungskonzepte zeigt sich auch in anderen Zeitschriften; vgl. jüngst etwa das Themenheft „Museen und Gesellschaft“, Aus Politik und Zeitgeschichte 57 (2007) H. 49, und das Themenheft „Historische Wirklichkeitskonstruktion und künstlerische Gestaltung im Museum“, Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 18 (2007) H. 1.

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