2. Debatten und Proteste 1964 bis 1966
3. Ein internationaler Skandal?
4. Fazit
Filme waren seit ihrer Entstehung um 1900 ein „kommunikatives Ereignis“; sie faszinierten und polarisierten, riefen begeisterte Zustimmung und scharfe Ablehnung hervor.1 Die Entwicklung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts - von den frühen Wanderkinos auf Jahrmärkten zu den großen innerstädtischen Filmtheatern - etablierte den Film als Kunst und als Kommerz im kulturellen Feld. Zugleich beschäftigte die suggestive Kraft der bewegten Bilder staatliche Stellen, mobilisierte soziale Gruppen und rief die Kirchen auf den Plan. Fragen der Förderung, Instrumentalisierung und Kontrolle des Films standen immer wieder im Mittelpunkt kulturpolitischer Debatten und Entscheidungen. Es ist gerade das Beziehungsgeflecht von ökonomischen, kulturellen und politischen Aspekten, das die Gesellschaftsgeschichte des Spielfilms zu einem interessanten und ertragreichen Thema für eine historische Analyse moderner Gesellschaften macht. Die audiovisuellen Medien haben allerdings erst in den letzten Jahren verstärkt die Aufmerksamkeit von Historikerinnen und Historikern gefunden, und dementsprechend sind auch viele Aspekte des Themenkomplexes Film ein Desiderat zeithistorischer Forschung. 2
Spielfilme sind grundsätzlich aus zwei Perspektiven für die Geschichtswissenschaft von Interesse: einerseits im Sinne einer Geschichte des Films und andererseits bezüglich des Verhältnisses von Geschichte und Film.3 In ihnen werden erstens „wirkungsmächtige Bildwelten“ entworfen, „die den öffentlichen Raum und somit die Wahrnehmungswelt der Bürger nachhaltig prägen“ (auch wenn die Art dieser Prägung meist schwer zu belegen ist). Spielfilme haben eine große Bedeutung, weil sie „als narrative, erzählende Kommunikationsgattung in ästhetisch ver-dichteter [sic] Form ganze politische Ontologien zu inszenieren [vermögen]“.4 Sie sind jedoch nicht nur an der Konstruktion politisch-kultureller Normalität beteiligt, sondern haben diese vermeintliche Normalität zugleich immer wieder in Frage gestellt und gesellschaftliche Konventionen herausgefordert. Spielfilme verdienen daher zweitens besondere Aufmerksamkeit, weil sie wie kaum ein anderes modernes Medium Grenzen überschritten und dadurch Kontroversen und Skandale hervorgerufen haben: „Die wirkliche Nagelprobe auf den Stand der öffentlichen Tabus war immer der narrativ-mimetische Spielfilm.“5
Letzteres gilt auch für die Geschichte des Spielfilms in der Bundesrepublik, die ich am Beispiel von Ingmar Bergmans „Das Schweigen“ (1963) als Konfliktgeschichte vorstellen möchte.6 Spielfilme waren in Westdeutschland von 1949 bis in die 1980er-Jahre immer wieder Gegenstand von Aushandlungsprozessen, Auseinandersetzungen und Skandalen, die nicht allein auf Feuilletons und Fachzeitschriften beschränkt waren, sondern vielmehr in verschiedenen Zusammenhängen und Foren von unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteuren und Gruppen öffentlich ausgetragen wurden. Verhandelt und gestritten wurde unter anderem über Fragen der Moral, der Sitten und des Jugendschutzes, über Religion und über die gesellschaftliche Position der Kirchen, über das Verhältnis von „sittlicher Ordnung“, Kunst und Rechtsordnung, über Zensur, die Freiheit der Meinung und der Kunst sowie über das Grundgesetz. Dabei ging es im Kern immer um das Selbstverständnis der bundesdeutschen Gesellschaft.
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Schlagzeile der Bild-Zeitung, 23.3.1964
Nach Willi Forsts „Die Sünderin“ (1950)7 war Ingmar Bergmans „Das Schweigen“ (1963)8 einer der Höhepunkte dieser filmischen Konflikt- und Skandalgeschichte der Bundesrepublik. Schon vor der bundesdeutschen Premiere Ende Januar 1964 gab es zahlreiche Diskussionen. Nachdem der Film im Frühjahr auch in kleineren Städten angelaufen war, hatte sich die Empörung nahezu über die ganze Republik ausgebreitet. Zu diesem Zeitpunkt veröffentlichte der Journalist Gert H. Theunissen im Mai 1964 eine Dokumentation der bisherigen Debatte. Eine seiner einleitenden Thesen lautete, die französische Öffentlichkeit habe auf „Das Schweigen“ im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland „normal“ reagiert.9 Auch andere Kommentatoren sahen in der bundesdeutschen Rezeption eine Besonderheit. Ernst Haft merkte im „Vorwärts“ resümierend an, dass fast alle europäischen Länder von der „zeitgemäßen Erregung“ betroffen seien, „daß es aber nirgendwo zu einer Debatte im Parlament kommt wie bei uns, zu wiederholten scharfen Erklärungen höchster kirchlicher Autoritäten, zu Boykottmaßnahmen, zu Verboten und gerichtlichen Auseinandersetzungen“.10
Auf den ersten Blick sind diese zeitgenössischen Beobachtungen teilweise zutreffend; sie werden jedoch besser verständlich, wenn man sie in breitere Zusammenhänge einordnet. Im Folgenden möchte ich zunächst anhand des Forschungsstandes einige übergeordnete Fragestellungen skizzieren und in einem zweiten Abschnitt einen Überblick zu den Debatten um „Das Schweigen“ und die Aktion „Saubere Leinwand“ in der Bundesrepublik geben. Drittens sollen die internationalen Reaktionen auf „Das Schweigen“ betrachtet werden.
1. Zur Geschichte von Spielfilmen in der Bundesrepublik
Die Gefährdung der „sittlichen Ordnung“ durch Sexualität und Gewalt auf der Leinwand war ein beherrschendes Thema seit der Jahrhundertwende. Die Formel, mit der bereits die so genannte Kinoreformbewegung vor dem Ersten Weltkrieg gegen das neue Medium Kino vorging, lautete Kampf gegen „Schmutz und Schund“.11 Dieses Begriffspaar tauchte bis in die 1960er-Jahre immer wieder in den Debatten auf, und die Schmutz-Semantik findet sich augenfällig in der Aktion „Saubere Leinwand“ gegen Ingmar Bergmans „Das Schweigen“. Die Skepsis, die dem Medium Film in der Bundesrepublik entgegengebracht wurde, war also zu Beginn der 1960er-Jahre nicht neu, ebensowenig wie Warnungen davor, dass Filme die Gesellschaft durch zu viel Sexualität „verderben“ oder durch zu viel Gewalt „verrohen“ könnten. Die Filmgeschichtsschreibung hat sich unter Berücksichtigung geschlechtergeschichtlicher Fragestellungen bereits vor einigen Jahren mit der Darstellung von Sexualität im frühen Kino befasst, und inzwischen gibt es auch für die Bundesrepublik erste Arbeiten zu den Themen Sexualität und Gewalt im Film.12
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Karikatur der Berliner Morgenpost, 4.7.1965
Zur allgemeinen Filmgeschichte der Bundesrepublik liegen einige Sammelbände und Überblicksdarstellungen sowie eine Reihe von Aufsätzen vor allem zu den 1950er-Jahren vor.13 Eine zumeist dekadische Einteilung der bundesdeutschen Filmgeschichte („Film der 1950er-Jahre“, „Film der 1960er-Jahre“ etc.), wie sie mitunter auch für die Zeitgeschichte insgesamt zu konstatieren ist, mag zwar dem Datum archivarischer Sperrfristen oder pragmatischen Überlegungen angesichts der zu bewältigenden Materialfülle geschuldet sein, verstellt allerdings den Blick für langfristige Entwicklungen. Für die Nachkriegszeit wird häufig das „Oberhausener Manifest“ von 1962 als historische Zäsur von weiter gesellschaftlicher Bedeutung gesehen, welche die „muffigen“ Fünfziger vom gesellschaftlichen Aufbruch der Sechziger scheidet.14 Heide Fehrenbach hat beispielsweise - wie bereits die Einleitung „Cinema and National Identity 1945-1962“ ihrer grundlegenden Studie andeutet - die Proklamation des „Neuen Deutschen Films“ als Endpunkt der Untersuchung gewählt. Durch diese Periodisierung entgeht ihr jedoch der zweite große deutsche Filmskandal um Bergmans „Das Schweigen“, der unmittelbar an den „hochpolisierten Status“ des Kinos in der Nachkriegszeit anknüpft und für eine geschlechtergeschichtliche Analyse des Inhalts und der Rezeption von Filmen eigentlich von zentraler Bedeutung ist.15
Ein weiterer wichtiger Themenkomplex neben Sexualität und Gewalt ist die nationalsozialistische Vergangenheit. Ihre Inszenierung auf bundesdeutschen Leinwänden war bis in die 1990er-Jahre besonders kontrovers; diskutiert wurden die Möglichkeiten und Grenzen der Darstellung des Nationalsozialismus, des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust im Film. Im Zuge des allgemeinen Interesses am Thema Erinnerungskultur hat sich die Forschung in den vergangenen Jahren intensiv mit diesem Feld beschäftigt.16 Daneben haben die für die Filmgeschichte der Bundesrepublik spezifischen Genres und Strömungen, vor allem der Heimatfilm und der Neue Deutsche Film, zuletzt stärkere Beachtung gefunden.17 Andere Bereiche wie die Filmwirtschaft oder das Verhältnis der Kirchen zum Film sind demgegenüber bislang wenig erforscht worden.18 Intensiver haben sich viele Autoren mit dem Thema der Filmkontrolle bzw. der Filmzensur beschäftigt. Für die Bundesrepublik existiert hierzu und zur zentralen Institution der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) allerdings mit Ausnahme einer schlanken Dissertation von Dieter Geißler noch keine sozial-, film- oder geschichtswissenschaftliche Monographie.19 Vergleichsweise umfangreich ist die rechtswissenschaftliche Literatur, die insbesondere die Frage diskutiert hat, ob die Konstruktion der FSK mit dem Grundgesetz (Art. 5: Meinungs-, Informations-, Pressefreiheit; Kunst und Wissenschaft) vereinbar sei.20
Fragt man nach der Geschichte von Tabus und Skandalen, von Kontrolle und Zensur, so sind vor allem die vorliegenden sozial- und medienwissenschaftlichen Arbeiten zur Filmzensur und zur Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft unbefriedigend. Der Tenor der Veröffentlichungen lautet, dass es sich bei der FSK „ganz im Sinne der Tradition zentralisierter Filmzensur“ mehr oder weniger um eine Form von Staatszensur handelte.21 Dass einer solchen These bis heute empirisch nicht näher nachgegangen wurde, mag daran liegen, dass die Freiwillige Selbstkontrolle erst vor kurzem entschieden hat, ihr Archiv für die Forschung zu öffnen.22 Kritisch zu prüfen ist jedoch vor allem die enge Konzeptualisierung von Zensur, die diese Studien tendenziell nur als Herrschaftsinstrument des Staates und seiner Repräsentanten in den Blick nehmen. Theoretische und methodische Anknüpfungspunkte bietet demgegenüber die Diskussion um „New Censorship“ in der angloamerikanischen Forschung, die sich auf die Arbeiten Michel Foucaults und Pierre Bourdieus stützt. Die diskursiven Regeln, so die Argumentation im Anschluss an Bourdieu, besitzen bereits durch ihre strukturierende Wirkung eine zensorische Qualität.23 In die deutschsprachigen Arbeiten zur Filmzensur haben diese Überlegungen jedoch bislang keinen Eingang gefunden.
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2. Debatten und Proteste 1964 bis 1966
Der „hochpolitisierte Status“ des Kinos, den Heide Fehrenbach in ihrer Studie für die Nachkriegszeit konstatiert, hatte auch noch in den 1960er-Jahren Bestand. Der vermeintliche Sieg des „christlichen (demokratischen) Westens“, vertreten durch den Staat der Adenauer-CDU und die Kirchen, war nur von kurzer Dauer.24 Vor allem der Kampf kirchlicher Kreise gegen die „Verletzung des sittlichen Empfindens“ und die „entsittlichende Wirkung“ von Spielfilmen stellte sich spätestens im Verlauf der 1960er-Jahre als Sisyphusarbeit heraus. Bereits im Fall von „Die Sünderin“ konnte nicht verhindert werden, dass der Film ein Erfolg wurde - denn nicht zuletzt wegen der Skandalisierung war er 1951 ein Kassenschlager.25 Als am 24. Januar 1964 Ingmar Bergmans „Das Schweigen“ in Westdeutschland ungekürzt anlief, regte sich erneut insbesondere seitens der Kirchen massiver Protest gegen einen Spielfilm. „Das Schweigen“ wurde von der FSK ab 18 Jahren freigegeben und erhielt von der Filmbewertungsstelle der Länder das Prädikat „besonders wertvoll“. Die folgende Kritik richtete sich zwar auch gegen den Regisseur, aber im Mittelpunkt stand die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK).26
Die FSK nahm am 18. Juli 1949 in Wiesbaden ihre Tätigkeit auf. Sie löste damit die Filmzensur der Alliierten in den drei westlichen Zonen ab, die am 28. September 1949 offiziell ihre Kontrollbefugnis auf die neue Institution übertrugen. Grundlage der Arbeit der FSK ist seitdem die Jugendschutzgesetzgebung. Die FSK prüft auf freiwilliger Basis Filme sowie seit 1985 auch Videokassetten und sonstige Bildträger (z.B. DVDs), die öffentlich vorgeführt bzw. zugänglich gemacht werden sollen. Für die Jugendfreigabe ist eine gesetzlich vorgeschriebene Kennzeichnung erforderlich, die von der FSK im Auftrag der Obersten Landesjugendbehörden vorgenommen wird. Das erste Jugendschutzgesetz der Bundesrepublik trat 1951 in Kraft und sah die Einstufung von Filmen nach den Altersgruppen „bis zu 10 Jahren“, „von 10 bis 16 Jahren“ und „ab 16 Jahren“ vor. Für die Kennzeichnung sind bis heute die Grundsätze der FSK maßgebend, welche die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen berücksichtigen. Insbesondere in den 1950er- und 1960er-Jahren unterlagen diese Grundsätze, auch bedingt durch häufige Novellierungen des Jugendschutzgesetzes, einem permanenten Revisionsprozess.27 Die Filmprüfung erfolgt durch Vertreterinnen und Vertreter der Filmwirtschaft und der Öffentlichen Hand, d.h. der Länder und des Bundes, der beiden christlichen Kirchen und der jüdischen Kultusgemeinde sowie des Bundesjugendrings. In strittigen Fällen kann ein Film dabei bis zu drei Instanzen durchlaufen: den Arbeitsausschuss, den Hauptausschuss als Berufungsinstanz und eine abschließende Appellationsinstanz.
Im Fall von „Das Schweigen“ entschied sich der Arbeitsausschuss der FSK in seiner Prüfsitzung vom 10.12.1963 einstimmig für die Freigabe des Films ab 18 Jahren. Im Sitzungsprotokoll heißt es: „Dieser Film von allerhöchstem künstlerischen Rang, wurde in der internen Beratung angeführt, sei mit äusserster [sic] formaler Ökonomie ausgestattet, das bedeute: nichts Unwesentliches geschehe, jeder Szenenteil habe seinen tiefen Sinn, nichts ereigne sich als Selbstzweck, Aufgesetztes oder Spekulatives könne nicht unterstellt werden.“28 „Das Schweigen“ handelt von den beiden Schwestern Esther (Ingrid Thulin) und Anna (Gunnel Lindblom) sowie Annas Sohn Johan (Jörgen Lindström), die mit dem Zug auf dem Heimweg nach Schweden sind. Da es Esther gesundheitlich schlecht geht, unterbrechen sie die Reise in einer Stadt, in der die Menschen (wie bereits der Zugschaffner) eine ihnen unbekannte Sprache sprechen. Das Geschehen dreht sich in einer Art Kammerspiel um das Verhältnis der Schwestern, die einen stillen Krieg führen: Esther, die ältere, ist sterbenskrank und sehnt sich offenbar nach einem lesbischen Verhältnis zur jüngeren Anna. Diese jedoch stürzt sich, angewidert von den latenten, zu keiner Zeit ausgesprochenen Lüsten der Älteren, in sexuelle Abenteuer mit einem Fremden, um durch Abweisung und Verachtung zu strafen. Währenddessen wandert der Junge alleine durch das große, ausgestorbene Hotel, in dem er nur auf eine Gruppe kleinwüchsiger Künstler und den Zimmerkellner trifft. Dies alles spielt sich in einer Atmosphäre schwül-heißer Sommertage ab, die bedrückend wirkt. Nachts rollen Panzer durch die Straßen der Stadt, und Esther wird von Hustenkrämpfen geschüttelt. Nach einem letzten Gespräch zwischen den Schwestern reist Anna mit ihrem Sohn ab und lässt Esther in der fremden Stadt zurück.
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Die Kritiker empörten sich besonders über drei Szenen von insgesamt 118 Sekunden Länge, denen man vorwarf, überflüssig, kalkuliert skandalös und schlicht pornographisch zu sein: erstens eine kurze Szene, in der sich Esther auf ihrem Hotelbett selbst befriedigt, zweitens sieht Anna bei einem Theaterbesuch einem Pärchen beim Liebesakt in der Loge zu, und drittens nimmt Anna den Kellner eines Cafés mit auf ihr Zimmer. Es waren vor allem diese drei Sexszenen, die den Film zu einem Tabubruch machten. Hinzu kam, dass Ingmar Bergman „Das Schweigen“ selber als letzten Teil einer Trilogie bezeichnete und somit eine Deutung vorgab. In „Wie in einem Spiegel“ (1961), dem ersten der drei als „Glaubenstrilogie“ bezeichneten Filme, scheitert der Gedanke eines Gottes der Liebe, während Bergman mit „Licht im Winter“ (1962) seine generelle Abkehr von einem Gottesgedanken vollzieht. Im Film „Das Schweigen“ (1963), der anfangs „Das Schweigen Gottes“ heißen sollte, schließt Bergmann auch die Möglichkeit einer Hoffnung aus.29 Die zeitgenössische Kritik folgte dem Deutungsangebot des Regisseurs mit überwiegend religiösen Interpretationen des Werks. Verstärkt wurde diese Rezeption dadurch, dass die in der Bundesrepublik verliehene Fassung einen Vorspann mit der Erklärung enthielt, „Das Schweigen“ schildere eine Welt, „in der es Gott nicht mehr gibt. Und eine Welt, in der Gott schweigt, ist die Hölle.“
Die Auswirkung dieser religiösen Interpretation auf die Rezeption kann als ambivalent bezeichnet werden. Auf der einen Seite entschärfte sie den provozierenden Inhalt, weil die problematischen Szenen als Teile eines künstlerischen Ganzen gesehen werden konnten, das der Behandlung des Themas angemessen ist. Auf der anderen Seite konnte die Behauptung, es handle sich bei den Szenen um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit religiösen Fragen, von Gläubigen als zusätzliche Provokation aufgefasst werden. Vor allem kirchliche Amtsträger waren hinsichtlich des künstlerischen Gehalts des Dargestellten gänzlich anderer Meinung als der Arbeitsausschuss der FSK - und folglich auch anderer Meinung als die kirchlichen Vertreter in diesem Gremium. Die Differenzen zwischen den katholischen Filmexperten auf der einen Seite und der kirchlichen Hierarchie sowie vielen Laien auf der anderen Seite, ausgelöst vom Streit um „Das Schweigen“, markieren eine Zäsur in der katholischen Filmbewertung, weg von einer milieugebundenen Filmarbeit und hin zu einer gesellschaftlichen Medienarbeit.30
Bereits nach kurzer Zeit lagen gegen den Film mehr als einhundert Strafanzeigen wegen Verbreitung „unzüchtiger Darstellungen“ vor. Die Anzeigen, die sich auf die drei beschriebenen Szenen bezogen, wurden von der Duisburger Staatsanwaltschaft (die zuständig war, weil der Verleih in Duisburg seinen Sitz hatte) nicht weiter verfolgt, da sie aufgrund der positiven Würdigung des Films durch die Filmbewertungsstelle als unbegründet angesehen wurden. Nach der ersten Aufregung und nachdem der Film auch in vielen kleineren deutschen Städten angelaufen war, formierte sich im Spätsommer 1964 ausgehend vom bayerischen Schweinfurt in vielen Kommunen die so genannte Aktion „Saubere Leinwand“.31 Ziel der Schweinfurter Initiative, die von der katholischen und der evangelischen Kirche sowie fast allen lokalen Organisationen und Parteien vor Ort getragen wurde, war laut eines Aufrufs, „gegen die steigende Flut der schmutzigen Filme“ vorzugehen. Hierzu wurden Unterschriften gesammelt, die Bundespräsident Heinrich Lübke mit der Bitte übergeben wurden, „seine Autorität dafür einzusetzen, daß sich die Verantwortlichen der Filmselbstkontrolle und der Filmbewertungsstelle ihrer Pflicht wieder bewußt werden und ihre Entscheidungen in strikter Einhaltung der Grundsätze ihrer Institutionen fällen“.32
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„Das Schweigen“ hatte aus Sicht der Protestierenden nur das Fass zum Überlaufen gebracht, und die sich in der Folge ausbreitenden Unterschriftenaktionen richteten sich nicht allein gegen Ingmar Bergmans Film, sondern gegen das Filmangebot insgesamt. Grundsätzlich beklagte man „den Mißbrauch der Freiheit durch die Massenmedien“.33 Die Adressaten und der Wortlaut der Eingaben unterschieden sich dabei von Ort zu Ort leicht, zielten aber grundsätzlich in die gleiche Richtung. Ein Beispiel ist eine Eingabe aus Bad Driburg an das Kultusministerium in Düsseldorf:
Aufruf Bad Driburg, Juni 1965
Solche lokalen Aktionen korrespondierten auf bundespolitischer Ebene mit dem Kampf des CDU-Bundestagsabgeordneten Adolf Süsterhenn gegen die „Diktatur der Unanständigkeit“. In diesem Kontext beschäftigte sich auch der Bundestag am 19. März 1964 mit dem Film. Anlass waren Fragen zweier CDU/CSU-Abgeordneter an den Justiz- und den Innenminister. Süsterhenn brachte im weiteren Verlauf der Debatten einen Antrag zur Änderung des Art. 5 Abs. 3 GG ein, der zunächst von 142 der insgesamt 250 Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion unterstützt wurde, jedoch nicht zum Fraktionsantrag erhoben wurde. Auf den ersten Satz von Art. 5 Abs. 3 „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei“ sollte nicht mehr der Satz folgen „Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung“, sondern der Satz „Diese Freiheit entbindet nicht von der Treue zur Verfassung und gilt im Rahmen der allgemeinen sittlichen Ordnung“. Süsterhenn konnte sich mit seinem Anliegen, die Kunst an „das Sittengesetz“ zu binden, jedoch nicht durchsetzen. Der Gesetzentwurf wurde von der CDU im Ältestenrat im Juni 1964 zurückgezogen und danach in der fünften Wahlperiode auch nicht erneut eingebracht.
Die Fronten pro und contra „Saubere Leinwand“ gingen mitten durch die gesellschaftlichen Gruppen. Insbesondere Süsterhenns eigene Partei war gespalten. Sowohl die Junge Union als auch der Hamburger CDU-Vorsitzende Erik Blumenfeld wandten sich scharf gegen die Aktion „Saubere Leinwand“. Die Presse berichtete über „Bestürzung und Spott“ bei der Hälfte der CDU/CSU-Fraktion. Dort sei die Rede gewesen von einem „Rückfall ins finstere Mittelalter“ und von Methoden, wie sie von Nazis und Kommunisten praktiziert wurden und werden. Hauptkritiker war der besagte Hamburger Bundestagsabgeordnete Blumenfeld, der seine Kollegen „Eiferer“ nannte, deren Bestrebungen an kommunistische Vorstellungen grenzten. In den Bundeshaus-Fluren, so die Berliner Zeitung, werde gespottet: „Kräht die Süsterhenne dreimal auf dem Mist, ändert sich die Moral - oder sie bleibt, wie sie ist.“34
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Auch innerhalb der kirchlichen Hierarchie gab es keine einhellige Unterstützung der Aktion „Saubere Leinwand“. Mit zunehmender Dauer wurden einzelne kritische Stimmen laut, die sich gegen die Forderungen nach einer stärkeren Kontrolle bzw. Zensur durch den Staat wandten. Beispielsweise schrieb Pfarrer Albert Stutte zum Buß- und Bettag 1965 einen bilanzierenden Artikel in den Essener „Ruhr-Nachrichten“, in dem er den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland kritisierte. Ein Jahr zuvor hatte der Rat in den Kirchen einen Text verlesen lassen, der in der Warnung gipfelte: „Wir sind in der Gefahr, unter die Diktatur der Unanständigkeit zu geraten.“ Niemand werde bestreiten können, so Pfarrer Stutte, dass es berechtigt sei, gegen „ein bestimmtes Gefälle in unserem öffentlichen Leben“ durch Unterschriften zu protestieren. Bedenklich werde eine solche Aktion aber dann, wenn sie mit moralischen Forderungen an den Staat appelliere und ihn zur Zensur auffordere.35
Frau vor Plakat in Mönchengladbach, Katholisches Sonntagsblatt, Stuttgart, 18.4.1965
In Nordrhein-Westfalen zog Kultusminister Mikat von der CDU im Juni 1965 Unverständnis und Zorn auf sich, weil er sich in einem Zeitungsartikel gegen die Aktion „Saubere Leinwand“ aussprach. Mikat wandte sich gegen ein „zu schnelles Eingreifen des Staates mit Verbotsnormen“. Es sei besser, dem Schlechten das Gute entgegenzuhalten, als eine „Kultur-Zensur“ zu dulden. Die Reaktionen auf diese Äußerungen blieben jedoch begrenzt und lösten keine nachhaltige Debatte in Nordrhein-Westfalen aus. In einer Notiz eines Referenten für den Minister vom 1. Oktober 1965 heißt es: „Mit Rücksicht darauf, daß die Diskussion um die ‚Aktion saubere Leinwand’ eingeschlafen ist, empfehle ich, von einer Beantwortung der in dieser Sache vorliegenden 25 Eingaben abzusehen und die Sache einstweilen als erledigt zu betrachten.“36
Anfang 1966 wurde die Aktion „Saubere Leinwand“ schließlich offiziell für beendet erklärt. Bei einem Treffen in Frankfurt beschlossen 142 Vertreter aus dem Bundesgebiet, keine weiteren Unterschriftensammlungen und Kundgebungen zu veranstalten. Stattdessen beabsichtigten die Delegierten, eine Bundesarbeitsgemeinschaft „Guter Film“ mit Sitz in München zu gründen, deren Aufgabe es unter anderem sein sollte, Kurse für die Fortbildung eines Filmprogramms zu veranstalten und Filmtheatern Preise zu verleihen, die sich um besondere Filme bemühten. Auf dem abschließenden Treffen mussten die Vertreter eingestehen, dass die Resonanz der Aktion letztlich begrenzt war. Laut Pressemitteilung sammelte die Aktion „Saubere Leinwand“ im Bundesgebiet und in Westberlin 1.294.000 Unterschriften; es unterzeichneten 19 Bundestagsmitglieder und 42 Landtagsabgeordnete. „Bei der Mehrheit der Bevölkerung aber fand die Aktion keinen Anklang.“37 Die weitaus größere Resonanz erreichte im Vergleich zu den Protestaktionen der Film selbst, dessen Vorführung und Besuch man eigentlich hatte verhindern wollen. Es kann angesichts der Skandalisierung nicht überraschen, dass „Das Schweigen“ ein großer Erfolg an den Kinokassen war und von rund elf Millionen Bundesbürgern gesehen wurde.
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Dass die reine Besucherzahl jedoch weder etwas über „die“ Rezeption in der Bundesrepublik noch über „die“ bundesdeutsche Öffentlichkeit aussagt, muss vor dem Hintergrund der neueren historischen Forschungen zum Thema Öffentlichkeit nicht besonders betont werden. Entgegen dem emphatisch besetzten Begriff der einen, unteilbaren Öffentlichkeit ist in den vergangenen Jahren die Differenzierung der Gesellschaft in unterschiedliche Teilöffentlichkeiten herausgearbeitet worden.38 Auf die einzelnen Akteure bzw. Akteursgruppen, die in verschiedenen Medien miteinander kommunizierten, sowie auf die Räume und Felder dieser Kommunikation kann im Rahmen dieses Beitrags nicht ausführlicher eingegangen werden. Filmkritiken der überregionalen Tages- und Wochenzeitungen sowie Radio- und Fernsehdiskussionen waren ebenso Teil der öffentlichen Debatten über „Das Schweigen“ wie Berichte und Leserbriefe in den Lokalzeitungen. Informationsabende und Podiumsdiskussionen fanden in Gemeindehäusern, in Theatern und Universitäten statt. Filmkritiker und Politiker, Geistliche und Juristen beschäftigten sich aus ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Position heraus mit dem Film.
3. Ein internationaler Skandal?
Die eingangs zitierte Feststellung Gert H. Theunissens, dass sich die bundesdeutsche Öffentlichkeit im Unterschied zur französischen nicht „normal“ verhalten habe, blieb nicht unwidersprochen. Im „Handelsblatt“ protestierte Günter Deuren: „Was heißt: Unter uns Deutschen? Es wird mal wieder der alte Vorwurf gegen die Teutonen erhoben, sie seien erotisch stutzerhaft und unterentwickelt.“ Theunissen gehe mit einer Handbewegung über die Tatsache hinweg, dass der Film im Frankreich de Gaulles zunächst verboten gewesen sei.39 Dieser Einwand war berechtigt, denn er verweist indirekt auf die methodischen Schwierigkeiten eines solchen Vergleichs. Ein Spielfilm ist in vielen Fällen als tertium comparationis problematisch, wenn es darum geht, Zuschauerreaktionen in verschiedenen Ländern zu untersuchen, weil sich geschnittene und synchronisierte Verleihfassungen oftmals deutlich unterscheiden.40 Zunächst muss beachtet werden, wie die zuständigen Stellen jeweils auf den Film reagierten, d.h. ob er verboten wurde bzw. Schnitte angeordnet wurden, oder ob er ungekürzt freigegeben wurde. Erst in einem zweiten Analyseschritt kann dann der Frage nachgegangen werden, wie die Öffentlichkeiten der verschiedenen Länder auf diese Entscheidung und auf die in ihrem Land gezeigte Version des Films reagierten. Auch wenn an dieser Stelle kein wirklicher Vergleich mehrerer Länder geleistet werden kann, so ist doch festzuhalten, dass die öffentliche Empörung offenbar in denjenigen Ländern am größten war, in denen „Das Schweigen“ ohne jegliche Schnitte in die Kinos kam: in Schweden und in der Bundesrepublik Deutschland.41
In Schweden erklärten drei Vertreter der staatlichen Zensurbehörde zu ihrer Entscheidung, dass man sich nicht als eine Instanz für Erwachsenenmoral sehe, und der Direktor Erik Skoglund stellte fest, dass es nicht Aufgabe sei, Kunstwerke zu verstümmeln. „Sonst könnte man sich ja gleich an den Unfug machen, etwa griechische Skulpturen mit Feigenblättern zu versehen oder gewisse Abschnitte in Shakespeares Dramen auszumerzen.“42 Der Chef stellte sich vor seine Mitarbeiter, weil er zum Zeitpunkt der Prüfung im Urlaub war und, wie zumindest der Korrespondent der „Welt“ berichtete, nach eigener Aussage vermutlich im Gegensatz zu seinen stellvertretenden Kollegen Kürzungen vorgeschlagen und auch Berater hinzugezogen hätte.43 Nach der Uraufführung am 23. September 1963 stand die schwedische Filmzensur im Brennpunkt der Debatten. In der Auseinandersetzung, die nach der Premiere entstand, wurden bereits grundlegende Positionen formuliert, die auch die bundesdeutsche Diskussion bestimmen sollten. Auf der einen Seite war sich die Filmkritik einig, dass der Film eines der größten und interessantesten Werke Bergmans sei, und lobte ihn als den „sinnlichsten Film, der je gedreht wurde“. Auf der anderen Seite zeigte sich das Premierenpublikum schockiert, und einzelne Kritiker verdammten zugleich die „ungehemmte Offenheit“ und „neurotische Perversität“ des Films.44
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In der Folge wurden in Schweden sowohl die Justiz als auch das Parlament in die Auseinandersetzungen einbezogen. Beim Justizombudsmann, einer vom Parlament ernannten, unabhängigen Vertrauensperson, ging eine Vielzahl von Beschwerden gegen die Filmzensur ein, weil diese den Film ungekürzt freigegeben hatte. Anfang November 1963 wurde die staatliche Stelle von Kirchenvertretern beim Ombudsmann für die Justiz wegen Pflichtversäumnissen angeklagt. Man kritisierte, so ein Bericht der deutschen Wochenzeitung „Die Tat“, dass der Film keine positive Linie besitze, sich im Negativismus erschöpfe und seine ganze Atmosphäre und die gewagten Szenen als Darstellung perverser Handlungen zu betrachten seien. „Außerdem wurde der Verdacht geäußert, daß bei der Beurteilung des Filmes der Name des bekannten Regisseurs schwerer gewogen habe als die Qualität des zu beurteilenden Werkes.“45 Auch im schwedischen Parlament wurde über „Das Schweigen“ debattiert. Ein Abgeordneter der Volkspartei fragte den Kultusminister in einer Reichstagsinterpellation, ob er es für richtig halte, dass die Filmzensur den Bergman-Film zugelassen habe.46
Im Frühjahr 1964, als der Film in die bundesdeutschen Kinos kam, hatte sich die Aufregung in Schweden gelegt, und denjenigen, die von einer weiteren Meisterleistung Bergmans sprachen, wurde nur noch selten widersprochen.47 Die Auswirkungen auf die schwedische Parteienlandschaft waren indessen nachhaltiger als in den meisten anderen Ländern. Als unmittelbare Reaktion auf „Das Schweigen“ gründete sich Anfang 1964 die „Kristen Demokratisk Samling“ („Christliche Demokratische Sammlungsbewegung“), der Vorläufer der heutigen Christdemokraten („Kristdemokraterna“).48 Die Auseinandersetzungen in Schweden waren keineswegs friedlich und harmlos. Ingmar Bergman berichtete, dass er und seine Frau durch anonyme Anrufer mit dem Tode bedroht worden seien und man ihm in einem Päckchen schmutziges Toilettenpapier geschickt habe.49
Vergleicht man die schwedische Rezeption mit der bundesdeutschen, so ist das eingangs zitierte Resümee Ernst Hafts zu relativieren - die westdeutsche „Erregung“ war nicht signifikant stärker als die schwedische. Hier wie dort protestierten kirchliche Autoritäten, gab es juristische Auseinandersetzungen und wurde die Debatte ins Parlament getragen. Als Unterschied fällt auf, dass Petitionen und Boykottmaßnahmen in der Bundesrepublik in Gestalt der Aktion „Saubere Leinwand“ möglicherweise breiter, jedoch letztlich erfolglos waren, während der Protest in Schweden in Form einer Parteigründung institutionalisiert wurde. Die bundesdeutschen Reaktionen auf „Das Schweigen“ fielen jedenfalls nicht aus dem Rahmen und waren keineswegs singulär. Der direkte Vergleich ist in diesem Fall möglich, weil in beiden Ländern, abgesehen von dem erwähnten Vorspann der bundesdeutschen Verleihfassung, im Wesentlichen identische Filme gezeigt wurden. Ein weiterer wichtiger Faktor, den es zu berücksichtigen gilt, ist die diachrone Dimension eines solchen Vergleichs. In allen Ländern, in die „Das Schweigen“ exportiert werden sollte, war gewissermaßen bekannt, dass es sich hierbei (potenziell) um einen skandalösen Film handelte. Viele Zeitungen vermuteten nach der Uraufführung beispielsweise, dass man „Das Schweigen“ außerhalb Schwedens nicht „unverstümmelt“ zu sehen bekommen werde.50
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Die Rezeption eines Spielfilms ist selten voraussetzungslos und unvorbereitet. Neben die cineastische Biographie jedes einzelnen Zuschauers, d.h. dessen Erfahrungs- und Erwartungshorizont, treten in der Regel unterschiedliche Vermittlungsinstanzen, die einen Film dem Publikum bekannt machen. Hierzu zählen in erster Linie die Medien. Aber sobald ein Film angelaufen ist, spielt auch Mundpropaganda eine wichtige Rolle. Ein Charakteristikum nicht nur der inter-nationalen, sondern auch der intra-nationalen Filmrezeption ist deshalb die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. International ist dies in unserem Beispiel die viermonatige Zeitspanne zwischen der Uraufführung in Schweden und der Premiere in der Bundesrepublik. Im nationalen Kontext entsteht dadurch eine Ungleichzeitigkeit, dass, abhängig von der Anzahl der Kopien, mit der ein Film gestartet wird, dieser zunächst in der Regel einige Wochen in den Premierenkinos der Großstädte läuft, bevor er danach in kleineren Städten gezeigt wird. Die Debatte über den Film ist den Startterminen immer einen Schritt voraus - er läuft in gewissem Sinne schon, obwohl noch kein Bild zu sehen ist. Bezüglich des „Schweigens“ hat die Filmkritikerin Karena Niehoff diesen Umstand beschrieben: „Buchstäblich also kein einziger Meter war in dem Film zu finden, der nicht ‚wiederzuerkennen‘ war, wie es einem zuweilen mit neuen Menschen oder neuen Erlebnissen geht, die man - eine sehr verwirrende Erfahrung - schon einmal ‚irgendwie‘ geträumt zu haben meint. [...] ich hatte Kritiken und Meditationen der anderen gelesen, dabei nur bescheidene Bruchstücke von dem feuerspeienden Berg, den Deutschlands Cinéasten, Theologen, Psychologen, Soziologen seit Monaten in den Redaktionen, den Rundfunk- und Fernsehstationen abladen.“ 51
In Norwegen wurde der Film bereits auf der Grundlage der schwedischen Kritik zensiert. Man beschloss, „Das Schweigen“ nur nach Streichung „stärkster erotischer Szenen“ zu zeigen und entfernte aus „diesem Schockfilm, der die Sexmauer durchbrach“, insgesamt 14 Meter.52 In Norwegen bewegte der Film die Menschen daraufhin auf sehr konkrete Weise, denn die Schnitte der norwegischen Filmzensur führten zu einem erhöhten Reiseaufkommen an der Grenze zu Schweden. Allabendlich gingen Hunderte von Norwegern über die Grenze in die schwedische Stadt Strömsand, weil der Film dort in der Originalfassung gezeigt wurde. „Von den rund 300 Plätzen sind 250 bis 280 jeden Abend von norwegischen Besuchern besetzt, die den 50 Kilometer langen Weg nicht gescheut haben, um die 62 Sekunden auf der Leinwand zu erleben, die ihnen die norwegische Zensur vorenthalten hat.“53 Die Angaben darüber, wie umfangreich die Schnitte in den jeweiligen Ländern genau waren, weichen zum Teil voneinander ab und lassen sich auf die Sekunde und den Meter nicht überprüfen. Im norwegischen Fall würden 62 Sekunden gut die Hälfte der drei Sexszenen ausmachen.54
Stärkerer Grenzverkehr war auch an der Schweizer Grenze zur Bundesrepublik zu verzeichnen. Die eidgenössischen Behörden äußerten sich zunächst nicht, während der Film in der Bundesrepublik bereits lief, und riefen so das Misstrauen mancher der Schweizer Bürger hervor, denn „wer sich hier in Schweigen hüllt, kommt glatt in den Verdacht, die Zensurschere im Gewande zu führen. Unverschnitten und makellos, mit allen Stellen, kurbeln die Kopien derweil in deutschen Kinos an der Grenze.“ Die Skepsis der Eidgenossen war berechtigt, weil etwa die Züricher Filmzensurkommission schließlich Schnitte von insgesamt 45 Sekunden vornahm. „Viele Schweizer fuhren nach Konstanz und anderen süddeutschen Städten, um den ungekürzten Film dort zu sehen.“55
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Wie sah schließlich die Rezeption des schwedischen Skandalfilms in Frankreich aus? Die Zensurkommission des französischen Kultusministeriums beabsichtigte zunächst, „Das Schweigen“ komplett zu verbieten. Daraufhin ließ sich der Minister, Alain Peyrefitte, den Film vorführen und übernahm alleine die Verantwortung, ihn freizugeben, allerdings erst ab 18 Jahren und mit Schnittauflagen.56 Außerdem nahm man bei der Übersetzung der Untertitel offenbar Rücksicht auf das religiöse Empfinden christlicher Kreise. In einer Szene, in der Anna ihr erstes (nicht bildlich dargestelltes) Abenteuer Esther erzählt, übersetzt der Untertitel „Portalvorbau“ („porche“) als Ort der sexuellen Handlung, obwohl es sich im Original um eine Kirche („église“) handelt.57 Die französische Kritik lobte „Das Schweigen“ überwiegend als ein Kunstwerk, das sich „an der extremen Grenze dessen bewegt, was man in einem öffentlichen Kinosaal sehen kann“.58 Viele Kommentatoren sahen dementsprechend auch die Entscheidung als vertretbar an, das Werk erst ab 18 Jahren freizugeben. Der Vorwurf der Pornographie sei jedoch absurd, und durch die Schnitte werde dem Publikum ein verstümmelter Film präsentiert.59 Von öffentlichen Protesten wurde in der Presse nicht berichtet. „Das Schweigen“, so Paul Giannoli, habe nur in zwei Häusern einen Skandal hervorgerufen: bei Herrn Peyrefitte in der Avenue de Friedland und bei Herrn Pompidou im Matignon, d.h. im Kultusministerium und am Sitz des Premierministers. Schreie und Proteste habe es bei den Besuchern der Pariser Kinos, in denen der Film lief, nicht gegeben.60
Dass der Film zumindest in Paris nicht schockierte - denn nur hierauf beziehen sich die vorliegenden Zeitungsartikel -, ist allerdings nicht überraschend. Das großstädtische Publikum mag einerseits aufgeschlossener gegenüber der Darstellung von Sexualität gewesen sein, andererseits bekam es aber auch nicht alles zu sehen. In diesem Sinne waren die Reaktionen in Frankreich vermeintlich ebenso „normal“ wie in den anderen betrachteten Ländern. Bringt man die Publikumsreaktionen auf eine sehr einfache Formel, so war die Erregung umso größer, je mehr zu sehen war. Wurde der Film demgegenüber geschnitten und zusätzlich nur in geringer Kopienzahl zur Aufführung gebracht, wie zum Beispiel in Großbritannien, so regte sich kaum Protest.61
Die Frage, ob eine Besonderheit des westdeutschen Protests gegen „Das Schweigen“ möglicherweise - im Anschluss an die jüngste Studie Dagmar Herzogs - in der impliziten Erinnerung an den Nationalsozialismus zu sehen ist, kann abschließend nur angerissen werden. Die öffentliche Auseinandersetzung mit Sexualität, so eine der zentralen Thesen Herzogs, habe sich als ein „Schlüsselinstrument“ des Umgangs mit der nationalsozialistischen Vergangenheit herauskristallisiert.62 Während in der unmittelbaren Nachkriegszeit niemand die Auffassung vertreten habe, das „Dritte Reich“ sei generell sexfeindlich gewesen, stellt Herzog ab Mitte der 1950er-Jahre einen Umschwung fest, der auf einem christlichen Konsens basiert habe. Dieser habe die Überzeugung beinhaltet, „dass zwischen der Verlockung zu Verbrechen und der Verlockung zu sexuellem Vergnügen in der NS-Zeit ein Zusammenhang bestanden hatte“.63 Ein nicht repräsentativer Blick auf die Quellen scheint das zunächst zu bestätigen: Hermann Kraemer, CDU-Landrat des Kreises Bernkastel und ehemaliger Sturzkampfflieger des Zweiten Weltkriegs, forderte im Juni 1964 ein Verbot von „Das Schweigen“ und verstieg sich zu einem Vergleich des Films mit Auschwitz: „Nackt und geschunden, mußten die Häftlinge im KZ Auschwitz vor ihren Peinigern antreten. Die Entwürdigung des Menschlichen wird im Augenblick nirgends so deutlich wie in diesem Prozeß [d.h. dem Frankfurter Auschwitz-Prozess]. Diese Entwürdigung des Menschlichen findet ihre Fortsetzung in der Sexualakrobatik des schwedischen Regisseurs. Im Grunde haben wir es hier mit der gleichen Geisteshaltung zu tun.“64 Auf der anderen Seite hat die Analyse aber auch veranschaulicht, dass die Proteste gegen „Das Schweigen“ nicht in erster Linie mit dem Rückbezug auf den Nationalsozialismus zu erklären sind und keineswegs ein ausschließlich westdeutsches Phänomen waren.
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Eine skizzenhafte Betrachtung der bundesdeutschen und der internationalen Reaktionen auf „Das Schweigen“ verdeutlicht, dass die Erregung in der Bundesrepublik mit Blick auf den internationalen Kontext „zeitgemäß“ war. Bergman rüttelte mit seinem Film ganz offensichtlich an einem Tabu, der Darstellung von Sexualität, das in dieser Form in einer Vielzahl von Ländern gleichermaßen existierte. Zum Skandal wurde der Film in Schweden und in der Bundesrepublik deshalb, weil die zuständigen Kontrollinstanzen aus Sicht der Protestierenden eine moralische Normüberschreitung zuließen.65 Diese Normüberschreitung, so meine These, bestand jedoch nicht ausschließlich - wie auch schon im Fall von „Die Sünderin“ - in den sexuellen Darstellungen, die eher eine notwendige Voraussetzung des Skandals waren. Hinzu kam, dass „Das Schweigen“ einen künstlerischen Anspruch besaß und auch als Kunstwerk rezipiert wurde. Dieser Umstand provozierte und verunsicherte zugleich, weil der Film nicht eindeutig als ein „Machwerk“ mit „eindeutigen Absichten“ zu identifizieren war. Die Kunst, so ließe sich formulieren, war und ist eines der zentralen Felder, auf dem die Grenzen des öffentlich Zeigbaren verhandelt werden.66
Mit Blick auf die weitere Geschichte der Bundesrepublik können die Proteste gegen „Das Schweigen“ als Widerstand gegen einen Dammbruch gesehen werden, der spätestens mit der Sexfilmwelle Ende der 1960er- und Anfang der 1970er-Jahre nicht mehr aufzuhalten war. Durch die sexuelle Revolution verbreiterte sich zwar das Angebot an bewegten Bildern von Nacktheit und Sexualität, die deutlich über die 118 Sekunden hinausgingen, die bei Bergman zu sehen waren. Ein vergleichbares skandalöses Potenzial besaßen diese Filme dennoch offensichtlich nicht. Es waren vielmehr auch weiterhin Spielfilme mit künstlerischem Anspruch, die weiterreichende Proteste hervorriefen - wie etwa Bernardo Bertoluccis „Der letzte Tango von Paris“ (1972), Pier Paolo Pasolinis „Die 120 Tage von Sodom“ (1975) oder Nagisa Oshimas „Im Reich der Sinne“ (1976). Inwieweit sich die Deutungsmuster und Konfliktlinien dabei änderten oder sich bestimmte Haltungen der 1960er-Jahre trotz des gesellschaftlichen Wandels wiederholten, wäre noch zu untersuchen.
1 Lothar Mikos, Der erinnerte Film. Perspektiven einer Filmgeschichte als Rezeptionsgeschichte, in: Knut Hickethier/Eggo Müller/Rainer Rother (Hg.), Der Film in der Geschichte. Dokumentation der GFF-Tagung, Berlin 1997, S. 143-153, hier S. 147.
2 Thomas Lindenberger hat zu Recht die Nachrangigkeit der audiovisuellen Medien als konstitutivem Gegenstand und Quelle der Zeitgeschichte beklagt: Vergangenes Hören und Sehen. Zeitgeschichte und ihre Herausforderung durch die audiovisuellen Medien, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 1 (2004), S. 72-85.
3 Vgl. die Unterscheidung zwischen „histoire du cinéma“ und „histoire et cinéma“ bei Michèle Lagny, De l’histoire du cinéma. Méthode historique et histoire du cinéma, Paris 1992. Einen guten Überblick bieten die Aufsätze von Günter Riederer, Den Bilderschatz heben. Vom schwierigen Verhältnis zwischen Geschichtswissenschaft und Film, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 31 (2003), S. 15-39, und ders., Film und Geschichtswissenschaft. Zum aktuellen Verhältnis einer schwierigen Beziehung, in: Gerhard Paul (Hg.), Visual History. Ein Studienbuch, Göttingen 2006, S. 96-113.
4 Vgl. Andreas Dörner, Das politische Imaginäre. Vom Nutzen der Filmanalyse für die politische Kulturforschung, in: Wilhelm Hofmann (Hg.), Visuelle Politik. Filmpolitik und die visuelle Konstruktion des Politischen, Baden-Baden 1998, S. 199-219, hier S. 205.
5 Jutta Brückner, Blick über den Zaun, in: Rudolf Joos (Red.), Das verbotene Bild. Tabu und Gesellschaft im Film, Frankfurt 1986, S. 10-18, hier S. 15.
6 Bedauerlicherweise hat die Produktionsfirma AB Svensk Filmindustri sowohl die Veröffentlichung kurzer Filmausschnitte als auch die Veröffentlichung von Standbildern in diesem Beitrag abgelehnt. Einige Materialien finden sich auf der Website der Ingmar Bergman Foundation: http://ingmarbergman.se/en/production/silence
7 Vgl. Kirsten Burghardt, Werk, Skandal, Exempel. Tabudurchbrechung durch fiktionale Modelle: Willi Forsts „Die Sünderin“ (BR Deutschland, 1951), München 1996. Siehe auch die Informationen zum Film unter http://www.filmportal.de/df/ee/Uebersicht,,,,,,,,C86F8BA2F87E40E2909853A121778FEE ,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,,.html
8 Vgl. die Informationen zum Film auf der Website der Ingmar Bergman Stiftung (Anm. 6).
9 Das Schweigen und sein Publikum. Ein Versuch von Gert H. Theunissen, in: ders. (Hg.), Das Schweigen und sein Publikum. Eine Dokumentation, Köln 1964, S. 7-16, hier S. 8.
10 Ernst Haft, Viel Gerede um „Das Schweigen“. Der Wirbel hat sich gelegt, aber die Folgen stehen noch aus, in: Vorwärts, 10.2.1965.
11 Vgl. Volker Schulze, Frühes kommunales Kino und die Kinoreformbewegung in Deutschland bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, in: Publizistik 22 (1977), S. 61-71; Kaspar Maase, Prädikat wertlos. Der lange Streit um Schmutz und Schund, Tübingen 2001.
12 Vgl. u.a. Annette Kuhn, Censorship and Sexuality, 1909-1925, London 1988; Heide Schlüpmann, Unheimlichkeit des Blicks. Das Drama des frühen deutschen Kinos, Basel 1990; Werner Faulstich/Andreas Vogel (Hg.), Sex und Gewalt im Spielfilm der 70er und 80er Jahre, Bardowick 1991; Thomas Hausmanninger/Thomas Bohrmann (Hg.), Mediale Gewalt. Interdisziplinäre und ethische Perspektiven, München 2002; Annette Miersch, Schulmädchen-Report. Der deutsche Sexfilm der 70er Jahre, Berlin 2003.
13 Vgl. u.a. die beiden von Hilmar Hoffmann und Walter Schobert herausgegebenen Bände Zwischen Gestern und Morgen. Westdeutscher Nachkriegsfilm 1946-1962, Frankfurt 1989 und Abschied von gestern. Bundesdeutscher Film der sechziger und siebziger Jahre, Frankfurt 1991, sowie zuletzt Tim Bergfelder/Erica Carter/Deniz Göktürk (Hg.), The German Cinema Book, London 2002.
14 Der Text der Erklärung, die in einer Pressekonferenz mit dem Titel „Papas Kino ist tot“ von 26 Filmemachern am 28. Februar 1962 anlässlich der „8. Westdeutschen Kurzfilmtage“ Oberhausen abgegeben wurde, findet sich unter: http://www.oberhausener-manifest.com
15 Vgl. Heide Fehrenbach, Cinema in Democratizing Germany. Reconstructing National Identity After Hitler, Chapel Hill 1995, S. 5.
16 Vgl. aus der Vielzahl der Publikationen Anton Kaes, Deutschlandbilder. Die Wiederkehr der Geschichte als Film, München 1987; Waltraud Wende (Hg.), Geschichte im Film. Mediale Inszenierungen des Holocaust und kulturelles Gedächtnis, Stuttgart 2002; Bernhard Chiari/Matthias Rogg/Wolfgang Schmidt (Hg.), Krieg und Militär im Film des 20. Jahrhunderts, München 2003; Peter Reichel, Erfundene Erinnerung. Weltkrieg und Judenmord in Film und Theater, München 2004.
17 Vgl. Carol Flinn, The New German Cinema. Music, History, and the Matter of Style, Berkeley 2004; Julia Knight, New German Cinema. Images of a Generation, London 2004; Johannes von Moltke, No Place like Home. Locations of Heimat in German Cinema, Berkeley 2005.
18 Zur Filmwirtschaft vgl. Michael Dost/Florian Hopf/Alexander Kluge, Filmwirtschaft in der BRD und Europa, München 1973; Claudia Dillmann-Kühn, Artur Brauner und die CCC. Filmgeschäft, Produktionsalltag, Studiogeschichte 1946-1990, Frankfurt 1990; Peter Stettner, Vom Trümmerfilm zur Traumfabrik. Die „Junge-Film-Union“ 1947-1952. Eine Fallstudie zur westdeutschen Filmproduktion, Hildesheim 1992; zur katholischen Kirche vgl. Thomas Schatten, 50 Jahre film-dienst. Ein Beispiel für das Verhältnis von Kirche und Kultur in der Bundesrepublik Deutschland, Düsseldorf 1997, sowie jetzt Christian Kuchler, Kirche und Kino. Katholische Filmarbeit in Bayern 1945-1965, Paderborn 2006.
19 Dieter Geißler, Filmzensur in Nachkriegsdeutschland, Göttingen 1986; vgl. außerdem die Aufsätze von Gunar Hochheiden, Filmzensur, in: Michael Kienzle/Dirk Mende (Hg.), Zensur in der BRD. Fakten und Analysen, München 1981, S. 188-211; Martin Loiperdinger, Filmzensur und Selbstkontrolle, in: Wolfgang Jacobsen/Anton Kaes/Hans Helmut Prinzler (Hg.), Geschichte des deutschen Films, 2., aktualis. u. erw. Aufl. Stuttgart 2004, S. 525-544; ders., State Legislation, Censorship and Funding, in: Bergfelder/Carter/Göktürk, Cinema Book (Anm. 13), S. 148-157.
20 Vgl. u.a. Johanne Noltenius, Die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft und das Zensurverbot des Grundgesetzes, Göttingen 1958; Horst von Hartlieb, Grundgesetz, Filmzensur und Selbstkontrolle, Baden-Baden 1959; Peter Bär, Die verfassungsrechtliche Filmfreiheit und ihre Grenzen. Filmzensur und Filmförderung, Frankfurt 1984; Anne Suffert, Rechts- und Verfassungsmäßigkeit Freiwilliger Selbstkontrolle bei Film und Fernsehen unter besonderer Beachtung des Zensurverbotes, Jena 2002.
21 Geißler, Filmzensur (Anm. 19), S. 105.
22 Für das Dissertationsprojekt, auf dem dieser Beitrag basiert, können erstmals Unterlagen der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft und der Freiwilligen Selbstkontrolle genutzt werden.
23 Vgl. den Überblick von Beate Müller, Über Zensur: Wort, Öffentlichkeit und Macht. Eine Einführung, in: dies. (Hg.), Zensur im modernen deutschen Kulturraum, Tübingen 2003, S. 1-30.
24 Vgl. Fehrenbach, Cinema (Anm. 15), S. 118-147; eine frühere Version des Kapitels ist abgedruckt in dies., The Fight for the „Christian West“. German Film Control, the Churches, and the Reconstruction of Civil Society in the Early Bonn Republic, in: German Studies Review 24 (1991), S. 39-63.
25 Vgl. die Erfolgsrangliste für 1951 in Klaus Sigl/Werner Scheider/Ingo Tornow, Jede Menge Kohle? Kunst und Kommerz auf dem deutschen Filmmarkt der Nachkriegszeit. Filmpreise und Kassenerfolge 1949-1985, München 1986, S. 125.
26 Vgl. http://www.fsk.de, zur Geschichte http://www.spio.de/index.asp?SeitID=16
27 Die sechste Fassung der Grundsätze vom 1.3.1960 ist abgedruckt in Wilfried von Bredow/Rolf Zurek (Hg.), Film und Gesellschaft in Deutschland. Dokumente und Materialien, Hamburg 1975, S. 308-315. Die aktuelle Fassung der Grundsätze kann von der Website der FSK heruntergeladen werden: https://www.spio-fsk.de/?seitid=17&tid=473
28 Archiv der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), „Das Schweigen“, Prüf.-Nr. 31307, Protokoll der Prüfsitzung vom 10.12.1963.
29 Vgl. Hanjo Sauer/Monika Leisch-Kiesl, Religion und Ästhetik bei Ingmar Bergman und Luis Buñuel. Eine interdisziplinäre Auseinandersetzung mit dem Medium Film, Frankfurt 2005, S. 313.
30 Vgl. Kuchler, Kirche und Kino (Anm. 18), S. 287.
31 Am 28. August 1964 kam mit „491“ von Vilgot Sjöman ein weiterer schwedischer Film in die bundesdeutschen Kinos (FSK ab 18 Jahren), der durch ebenfalls explizite Sexszenen zur Verschärfung der Proteste beitrug.
32 „Aktion saubere Leinwand“, in: Wiesbadener Kurier, 8.9.1964.
33 Bittschrift an den Bundestag. 33.000 Unterschriften bei der Bürgeraktion für gute Filme und Illustrierte, in: Westfälische Nachrichten, 13.1.1966.
34 Karl Heinz Kirchner, 142 Tugendwächter wollen es wissen. Krach in der CDU/CSU-Fraktion wegen Professor Süsterhenns neuem „Moral-Gesetz“, in: B.Z. (Berliner Zeitung), 29.6.1965.
35 Pfarrer Albert Stutte, Ein Jahr Kampf gegen Unmoral. Versuch einer Bilanz zum Buß- und Bettag, in: Ruhr-Nachrichten - Essener Tageblatt, 17.11.1965.
36 Hauptstaatsarchiv Düsseldorf (HStAD), NW 122, Nr. 35.
37 Die „Saubere Leinwand“ wird „eingerollt“. Ende der Aktion - Wenig Anklang bei der Bevölkerung, in: Rhein-Zeitung, Koblenz, 3.1.1966.
38 Vgl. Jörg Requate, Öffentlichkeit und Medien als Gegenstände historischer Analyse, in: Geschichte und Gesellschaft 25 (1999), S. 5-32; Werner Faulstich/Knut Hickethier (Hg.), Öffentlichkeit im Wandel. Neue Beiträge zur Begriffsbestimmung, Bardowick 2000; Karl Christian Führer/Knut Hickethier/Axel Schildt, Öffentlichkeit - Medien - Geschichte. Konzepte der modernen Öffentlichkeit und Zugänge zu ihrer Erforschung, in: Archiv für Sozialgeschichte 41 (2001), S. 1-38; Axel Schildt, Das Jahrhundert der Massenmedien. Ansichten zu einer künftigen Geschichte der Öffentlichkeit, in: Geschichte und Gesellschaft 27 (2001), S. 177-206; Bernd Weisbrod (Hg.), Die Politik der Öffentlichkeit - Die Öffentlichkeit der Politik. Politische Medialisierung in der Geschichte der Bundesrepublik, Göttingen 2003.
39 Günter Deuren, Abschweifung in die Intimsphäre. Die deutsche Kritik und „Das Schweigen“, in: Handelsblatt, 6.6.1964.
40 Vgl. Guido Marc Pruys, Die Rhetorik der Filmsynchronisation. Wie ausländische Spielfilme in Deutschland zensiert, verändert und gesehen wurden, Tübingen 1997.
41 Auch in Dänemark lief „Das Schweigen“ ohne Schnitte. Zur dänischen Rezeption konnten jedoch für diesen Beitrag keine Quellen herangezogen werden.
42 Vgl. Günter Dallmann, Die Filmzensur kapituliert vor Bergman, in: Tagesspiegel, 6.10.1963.
43 Georg Ramseger, Kunstwerk oder Pornographie?, in: Welt, Ausgabe Berlin, 23.11.1963.
44 Vgl. „Das Schweigen“ uraufgeführt: Bergman schockiert die Stockholmer, in: Abendzeitung, München, 25.9.1963; Streit um Bergman-Film, in: Hamburger Abendblatt, 31.10.1963.
45 Vgl. Welt, 31.10.1963; Alarm um Bergmans Film „Die Stille“ [sic!], in: Tat, 9.11.1963. „Tystnaden“ wurde von den bundesdeutschen Zeitungen zunächst mit „Die Stille“ übersetzt.
46 Vgl. Bergman-Film vor dem Reichstag, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1.11.1963.
47 Vgl. „Das Schweigen“. Bergman-Film größter schwedischer Erfolg, in: Frankfurter Rundschau, 24.1.1964.
48 Partei gegen „Das Schweigen“, in: Berliner Morgenpost, 18.4.1964.
49 Ingmar Bergman mit dem Tode bedroht, in: Frankfurter Rundschau, 15.5.1964.
50 Vgl. etwa: Schiere Lust, in: ZEIT, 8.11.1963.
51 Karena Niehoff, Ein Schweigen, und das kreischt. Resümee eines sehr lauten Ereignisses, in: Tagesspiegel, 25.3.1964.
52 Vgl. Kritikersturm um Ingmar Bergman, in: Tat, 30.11.1963; Hamburger Abendblatt, 1.12.1963; Ramseger, Kunstwerk oder Pornographie? (Anm. 43).
53 Norweger wollen „Schweigen“ ungeschnitten sehen, in: Welt, Ausgabe Berlin, 25.1.1964.
54 In Österreich wurde „Das Schweigen“ auf Vorschlag einer Kommission des Wiener Justizministeriums um dreieinhalb Meter gekürzt, und in den Niederlanden wurden ca. 25 Meter des Films geschnitten; vgl. Berliner Morgenpost, 3.5.1964; Schweigen ist Geld, in: Spiegel, 22.1.1964, S. 76; Die Nackten und die Losen, in: Stern, 2.2.1964.
55 PWJ, Kleiner Grenzverkehr, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.4.1964; 45 Sekunden wurden weggeschnitten. Ingmar Bergmans Film „Das Schweigen“ in der Schweiz zugelassen, in: Freie Presse, 5.5.1964.
56 Claude Mauriac, [Le Silence,] in: Le Figaro Littéraire, 18.3.1964.
57 Silence, in: Cahiers du Cinéma, Nr. 154/1964, S. 48.
58 Michel Duran, „Le Silence“. Deux Suédoises qui ont du soufre, in: Le canard enchaîné, 18.3.1964.
59 Jean de Baroncelli, „Le Silence“, in: Le Monde, 18.3.1964. Als Ausnahmemeinung vgl. dagegen Robert Benayoun, Bergman fait dans le porno, in: Le France Observateur, 19.3.1964.
60 Paul Giannoli, Bergman dans le monde du „Silence“, in: Candide, 26.3.1964.
61 Vgl. James C. Robertson, The Hidden Cinema. British Film Censorship in Action, 1913-1975, London 1993, S. 126ff.
62 Dagmar Herzog, Die Politisierung der Lust. Sexualität in der deutschen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts, München 2005, Zitat S. 83. Herzog geht allerdings nur recht knapp und oberflächlich auf das Thema Film ein (S. 175ff.) und rezipiert die Studie von Heide Fehrenbach (Anm. 15) nicht.
63 Ebd., S. 95.
64 Bernkastels Landrat vergleicht „Das Schweigen“ mit Auschwitz, in: Frankfurter Rundschau, 24.6.1964.
65 Vgl. Frank Bösch, Historische Skandalforschung als Schnittstelle zwischen Medien-, Kommunikations- und Geschichtswissenschaft, in: Fabio Crivellari u.a. (Hg.), Die Medien der Geschichte. Historizität und Medialität in interdisziplinärer Perspektive, Konstanz 2004, S. 445-464, hier S. 446.
66 Vgl. auch Amos Vogel, Film als subversive Kunst. Kino wider die Tabus - von Eisenstein bis Kubrick, Hamburg 2000. Die obige These ließe sich für andere Kunstsparten überprüfen und weiter ausarbeiten, etwa für die Kunst im öffentlichen Raum.