The American evangelist Billy Graham held several revival meetings – so-called crusades – in West Germany in the 1950s and 1960s. Many thousands of Germans came to hear him. This article explores the reasons for Graham’s success in the Federal Republic in the context of a transatlantic religious and cultural history. Graham’s campaigns were embedded in the discourse of rechristianization and secularization after the end of the Second World War. Leading Protestant bishops such as Otto Dibelius and Hanns Lilje supported him. Furthermore, Graham’s campaigns played an important role in the West German culture of the Cold War as political stagings of the Free World consensus. In addition, the orchestration of the crusades reconciled religion and consumerism. Billy Graham’s crusades are a prism through which to explore important modernization processes in German Protestantism in the first two decades of the Federal Republic.
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Der amerikanische Evangelist Billy Graham hielt in den 1950er- und 1960er-Jahren mehrere Erweckungsveranstaltungen in Westdeutschland ab. Tausende Deutsche nahmen daran teil. Der Aufsatz analysiert die Gründe für Grahams Erfolg in der Bundesrepublik und betrachtet seine Mission im Kontext einer transatlantischen Religions- und Kulturgeschichte. Grahams als „crusades“ bezeichnete Kampagnen standen im Zusammenhang der Rechristianisierungs- und Säkularisierungsdebatten der Nachkriegszeit; sie fanden die Unterstützung führender protestantischer Bischöfe wie Otto Dibelius und Hanns Lilje. Die Veranstaltungen hatten jedoch weitergehende politische und kulturelle Bedeutungen: Zum einen waren sie Inszenierungsräume des Konzeptes der Freien Welt. Zum anderen trugen sie zur Aussöhnung des Protestantismus mit der aufstrebenden Konsumkultur bei. Die Analyse von Billy Grahams Erweckungsveranstaltungen lenkt den Blick auf wichtige Modernisierungsprozesse im westdeutschen Protestantismus der ersten beiden Nachkriegsjahrzehnte.
3/2010: Religion in der Bundesrepublik Deutschland
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Religion in der Bundesrepublik Deutschland
Eine Einleitung
Aufsätze | Articles
In konfessionsvergleichender Perspektive behandelt der Beitrag das Verhältnis der christlichen Großkirchen zu den sozialen Bewegungen in der Bundesrepublik. Genauer untersucht werden die Interaktionen mit den frühen Protestbewegungen, der Studentenbewegung, der „Dritte-Welt“-Bewegung sowie der Friedensbewegung. Die Abgrenzungs- und Transferprozesse zwischen Kirchen und Bewegungssektor werden als Reaktionen des kirchlich verfassten Christentums auf die Wandlungsprozesse der bundesdeutschen Gesellschaft verstanden. Es wird gezeigt, dass die beiden Kirchen aus strukturellen, kirchenpolitischen und theologischen Gründen bei ähnlichen Herausforderungen verschieden agierten. Als Bindeglieder zu den sozialen Bewegungen werden die Bewegungsgruppen innerhalb und am Rande der Kirchen ausgemacht, die oft transkonfessionell handelten. Sie beförderten innerhalb der Bewegungen eine Moralisierung der Politik und in ihren Kirchen eine Politisierung der Religion.
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The following essay is a comparative study of relations between the main Christian confessions and social movements in West Germany. Interactions of the churches with early protest movements, student activism, the ‘Third World’ movement as well as the peace movement are examined in detail. Demarcation and transfer processes between churches and movements are considered in terms of reactions of Christian confessions to transformation processes in West German society. As will be shown, the two main churches, though confronted with similar challenges, have operated rather differently with respect to structural, ecclesiastic political and theological considerations. Movements within the churches and on the periphery of churches, which often operated ‘transconfessionally’, are perceived to provide links to social movements. They have been promoting the moralisation of politics within movements and a politicisation of religion within their churches.
Tobias Freimüller
Mehr als eine Religionsgemeinschaft
Jüdisches Leben in Frankfurt am Main nach 1945
Mehr als eine Religionsgemeinschaft
Jüdisches Leben in Frankfurt am Main nach 1945
Am Beispiel der Stadt Frankfurt am Main untersucht der Aufsatz vor allem die Zeit zwischen den frühen 1950er- und frühen 1980er-Jahren, also die von der Geschichtswissenschaft noch kaum betrachtete Phase jüdischen Lebens zwischen der Auswanderung der meisten „Displaced Persons“ und dem vermeintlichen „Coming Out“ der Juden in der Bundesrepublik. Der Fokus liegt auf den Konstitutionsbedingungen und Transformationen der kleinen, keineswegs homogenen jüdischen „Gemeinschaft“. Betrachtet werden insbesondere die individuellen Suchbewegungen, die die Angehörigen der zweiten Generation von Juden in der Bundesrepublik seit den 1960er-Jahren unternahmen – nicht nur, um ihren Platz zu finden in der Gesellschaft der ehemaligen Täter und Mitläufer, sondern auch im Verhältnis zur älteren Generation der Überlebenden. Dabei wird deutlich, dass die Geschichte jüdischen Lebens in der Bundesrepublik nicht allein als Religionsgeschichte zu betrachten ist, sondern ebenso als Migrations-, Sozial- und Mentalitätsgeschichte.
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Taking the example of Frankfurt am Main, this article explores Jewish life in the period from the early 1950s to the early 1980s, that is, the interval from the years in which most of the displaced persons left Germany to the time identified with the so-called ‘coming out’ of the Jewish community in the 1980s. The focus is on the constitution of the small, rather heterogeneous Jewish ‘community’ and its transformations. The author outlines the ‘search movements’ made by the second generation of Jews in the Federal Republic, who aimed to find their place not only within the society of former perpetrators and followers of the Nazi regime, but also in relation to the elder generation of Holocaust survivors. The article demonstrates how the history of Jewish life in the Federal Republic may not be seen exclusively in terms of the history of religion, for it must also be conceived in terms of the history of migration, social history and the history of mentalities.
Zentrales Thema des Beitrags ist die Geschichte der „Moscheen in umfunktionierten Räumen“. Diese etwas irreführend oft als „Hinterhofmoscheen“ bezeichneten Räume sind seit den 1980er-Jahren verstärkt durch Neubauten abgelöst worden, mit denen eine größere öffentliche Sichtbarkeit des Islams und dadurch nicht selten auch ein höheres Konfliktpotenzial verbunden ist. Der Blick auf sonstige soziokulturelle Räume des Islams bildet einen weiteren Schwerpunkt des Aufsatzes – ausgehend von der Beobachtung, dass sich „der Islam“ nicht sinnvoll allein mit „der Moschee“ assoziieren lässt. Die verschiedenen Strömungen des Islams haben sich auch in Vereinen, Wohlfahrts- und Bildungseinrichtungen ausgedrückt, bei denen religiöse und andere Funktionen unterschiedlich eng verbunden waren und sind. Es ist ein Anachronismus, dass die nichtmuslimische Gesellschaft vielfach erst durch Moschee-Neubauten die Existenz des Islams in der Bundesrepublik zur Kenntnis nimmt. Genauere zeitgeschichtliche und religionswissenschaftliche Forschung könnte das Bewusstsein für die gesellschaftliche, auch innerislamische Pluralität schärfen.
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The article deals with mosques and other socio-cultural spaces of Islam in Germany. It covers the history of mosques from the eighteenth century with a particular focus on mosques housed in reused buildings or in ‘backyards’, which have been increasingly replaced with modern mosque buildings since the 1980s, and whose greater public visibility has been accompanied by a heightened potential for conflict over Islam. By drawing attention to various socio-cultural spaces of Islam, the author shows that ‘Islam’ may not be exclusively associated with ‘the mosque’. The various currents of Islam have also found expression in associations, welfare and educational institutions, which are connected to both religious and non-religious functions to varying degrees. The fact that non-Muslims in Germany have largely become aware of the existence of Islam only since the creation of new mosque buildings is an anachronism. Hence further research in contemporary history and religious studies could help to raise awareness of pluralism within both Islam and society at large.
Debatte | Debate
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Thomas Großbölting, Klaus Große Kracht
Religion und Zeitgeschichte. Neuere Ansätze der Forschung
Einleitung
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Detlef Pollack
Rekonstruktion statt Dekonstruktion
Für eine Historisierung der Säkularisierungsthese
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Benjamin Ziemann
Kirchen als Organisationsform der Religion
Zeithistorische Perspektiven
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Frank Bösch
Die Religion der Öffentlichkeit
Plädoyer für einen Perspektivwechsel der Kirchen- und Religionsgeschichte
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Heike Bungert, Jana Weiß
Die Debatte um „Zivilreligion“ in transnationaler Perspektive
Quellen | Sources
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Peter Bubmann
Das „Neue Geistliche Lied“ als Ausdrucksmedium religiöser Milieus
Besprechungen | Reviews
Ausstellungen
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Eva-Maria Schrage
Ein Museum lässt Migranten sprechen
Die Wege jüdischer Zuwanderer in die Bundesrepublik Deutschland
Neu gelesen
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Nicole Priesching
Zwischen Heilsgeschichte und Faktenpositivismus
Hubert Jedins Standardwerk der Kirchengeschichte
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Mark Edward Ruff
Eine Streitschrift
Klaus Scholder und die Kirchen im „Dritten Reich“
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Pascal Eitler
Die „New-Age-Bibel“
Marilyn Ferguson und „Die sanfte Verschwörung“