Im Schatten der Geschichte

Die (vergessene) »Gewaltkommission« der Bundesregierung (1987–1990)

  1. Historischer Kontext und Vorgeschichte: Die Interpretations- und Deutungskrise angesichts neuer Formen politischer Gewalt
  2. Zusammensetzung, Arbeitsweise und Konflikte der Gewaltkommission
  3. Themenfelder und Vorschläge
  4. Wirkungen und Wirkungsdefizite der Kommissionsarbeit
  5. Die Relevanz der Gewaltkommission für die Entwicklung der wissenschaftlichen Politikberatung

Anmerkungen

Im Februar 2016 fand in der Alice Salomon Hochschule Berlin ein Symposion statt zum Thema »25 Jahre Gewaltprävention im vereinten Deutschland – Bestandsaufnahme und Perspektiven«, das von den Veranstaltern Stephan Voß und Erich Marks auf über 1.000 Seiten dokumentiert worden ist.[1] Das Symposion hat gezeigt, dass der Gedanke der Gewaltprävention sich mittlerweile hochprofessionell auf zahllose Kontexte ausdifferenziert hat, in denen Menschen leben und handeln. »25 Jahre Gewaltprävention«, dieser Titel deutet auf den Januar 1990 hin, als der einstimmig verabschiedete Endbericht der »Unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt«[2] nach zweijähriger Arbeit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl übergeben wurde. Doch weder die fachliche Arbeit in der Kommission noch die Bereitschaft der politischen Akteure zur stärkeren Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse bei politischen Entscheidungen konnten verhindern, dass der eigentliche Anlass für die Einsetzung der Kommission in dem vorgelegten Bericht nur noch eine untergeordnete Rolle spielte. Durch die aktuelle politische Agenda des Jahres 1990 gerieten die Empfehlungen weitgehend aus dem Blick. Im Abstand von fast 30 Jahren lohnt es sich, den Kommissionsbericht als Quelle der bundesdeutschen Gewaltgeschichte und der Bemühungen um eine Verminderung von Gewalt zu lesen. Dies geschieht im Folgenden aus soziologischer Perspektive, jedoch in der Hoffnung, auch der Geschichtswissenschaft Impulse zur Beschäftigung mit solchen Dokumenten zu geben.

Die Einsetzung einer »Gewaltkommission« wurde 1987 in den Koalitionsvereinbarungen zwischen CDU/CSU und FDP beschlossen. Auslöser waren unter anderem Überlegungen zur Verschärfung des Demonstrationsstrafrechts, nachdem 1986 während der Demonstrationen und Blockaden gegen die Startbahn West in Frankfurt a.M. zwei Polizeibeamte erschossen worden waren. Diesem Druck begegnete die FDP mit dem Vorschlag, eine Kommission zu gründen, um aufgrund der Arbeitsergebnisse fundierte Entscheidungen treffen zu können. Anlass und Ausgangspunkt war also die Eskalation politisch motivierter Gewalt im Kontext der Neuen Sozialen Bewegungen der 1980er-Jahre. Das Programm der Kommission erweiterte sich allerdings rasch: Ihr Auftrag bestand am Ende vor allem in der »Sekundäranalyse der Ursachen politisch motivierter Gewalt, Gewalt im öffentlichen Raum, in Schule und Familie«.[3] In einem Rückblick aus dem Jahr 2000 heißt es: »Darüber hinaus wurde die Entwicklung von Konzepten erwartet, die so praxisnah und handlungsorientiert gefasst sein sollten, dass sie von der Gesetzgebung, Verwaltung und Justiz auch möglichst kurzfristig umgesetzt werden könnten.«[4]

Die Kommission begann ihre Arbeit im Februar 1988 unter der Leitung des Kriminologen Hans-Dieter Schwind (CDU) und des Strafrechtswissenschaftlers Jürgen Baumann (FDP). Der 1990 präsentierte Bericht wurde nicht nur der Regierung zur Verfügung gestellt, sondern auch publiziert – er war damit für jedermann zugänglich und kritisierbar. Die Ergebnisse der Arbeit wurden in einem vierbändigen Werk auf mehr als 2.500 Seiten dokumentiert. Darüber hinaus wurden eine Kurzversion mit 178 Seiten und eine Zusammenfassung mit 47 Seiten erstellt. Der Vorschlagskatalog enthielt zwölf Leitgrundsätze (Empfehlungen) und 158 Vorschläge zur Gewalteindämmung mit konkreter Adressatenangabe,[5] über die in der Schlusssitzung einzeln abgestimmt worden war.

1. Historischer Kontext und Vorgeschichte: Die Interpretations- und Deutungskrise angesichts neuer Formen politischer Gewalt

Anders als in den soziologischen Modernisierungstheorien vorausgesehen, wurden die industriell hoch entwickelten Demokratien Westeuropas und Amerikas seit Anfang der 1960er-Jahre mit einer Vielzahl von politischen Protesten und sozialen Unruhen konfrontiert. Politiker und Wissenschaftler waren gleichermaßen überrascht. Ungeachtet der Klagen über die »Halbstarken«[6] hatte für die »nivellierte Mittelstandsgesellschaft«,[7] für die »affluent society«[8] niemand gewaltsame Proteste vorhergesehen. Auch in der Bundesrepublik hatten die empirischen Jugend- und Studentenuntersuchungen während der frühen 1960er-Jahre zunächst keinerlei Anzeichen für Protest- und Gewaltbereitschaft ausmachen können; sie hatten vielmehr die »Entpolitisierung« bzw. »Integration der Jugendlichen in eine autoritär antikommunistische Gesellschaftsideologie« befürchtet.[9] So gab es auch kaum wissenschaftliche Theorien und Konzepte, die in der Lage gewesen wären, die Entstehung und Entwicklung neuer Protestbewegungen und der damit einhergehenden politischen Gewalt bis hin zum Terrorismus zu erklären.

Viele Wissenschaftler und Politiker griffen auf schnell verfügbare Erklärungsmuster und Theorien zurück, um die neuen und verunsichernden Phänomene einordnen zu können. Einige Beispiele: Die »Ghettounruhen« in den USA Mitte der 1960er-Jahre, aber auch die ethnischen »riots« in Großbritannien während der 1980er-Jahren wurden zunächst als das Werk von Verschwörern, als irrationaler Ausbruch des Pöbels (»riffraff«) oder als kriminelle Akte interpretiert und damit zugleich diskreditiert. Protestierende Jugendliche waren für viele Beobachter »rebels without a cause«, denen manche daher das Recht auf Empörung und Kritik absprechen wollten. Wohlmeinendere legten sie kollektiv auf die Couch – wahlweise mit der Diagnose »Vaterkonflikt«[10] oder speziell für die Ökologie- und Friedensbewegung: Ausbruch aus dem »Getto der Innerlichkeit«.[11] All dies verdeutlicht, dass weder die institutionellen und strukturellen Ursachen noch die Eskalationsdynamik der Konflikte in den Blick genommen wurden, von den Motiven und Zielen der Bewegungen ganz zu schweigen.

Dies war die Stunde der Kommissionen. Zahlreiche Kommissionen in den USA, Großbritannien, der Bundesrepublik – aber auch in Frankreich, der Schweiz, in Neuseeland, in Schweden – gingen der Frage nach, was die Ursachen der Unruhen und der Gewalt seien, wie eine angemessene staatliche Reaktion aussehen solle und wie der innere Frieden wiederhergestellt werden könne. Sie bündelten gleichsam die Selbstreflexion der politischen und intellektuellen Repräsentanten westlicher Gesellschaften angesichts unerwarteter Herausforderungen und lieferten meist eine offizielle »Zusammenschau und Interpretation von konsensfähigem Wissen«.[12] Es begann in den späten 1960er- und frühen 1970er-Jahren in den USA mit der von Lyndon B. Johnson eingesetzten Kerner Commission (1967), der ebenfalls von Johnson eingesetzten Eisenhower Commission (1968) und der von Nixon eingesetzten Scranton Commission (1970). In Großbritannien berief 1981 der Innenminister Whitelaw nach den Unruhen im Londoner Stadtteil Brixton die Scarman Commission. Als die Unruhen sich in ganz England ausbreiteten, folgte eine Vielzahl kommunaler und kirchlicher Kommissionen.[13] In der Bundesrepublik kam es zeitgleich zu der parlamentarischen Enquête-Kommission »Jugendproteste im demokratischen Staat« (1981–1983).[14] 1987 wurde angesichts der Eskalation der Proteste dann die »Gewaltkommission« eingesetzt.

2. Zusammensetzung, Arbeitsweise und Konflikte der Gewaltkommission

Als Mitglieder der Kommission berief die Bundesregierung Wissenschaftler, Richter, Staatsanwälte, Beamte aus Justizministerien, Polizeibeamte und einen freiberuflichen Sicherheitsberater. Es wurden acht Unterkommissionen gebildet mit insgesamt 39 Kommissionsmitgliedern, denen unterschiedliche Aufgaben zugeordnet wurden.[15] Aktive Politiker gehörten der Kommission nicht an. Das Spektrum der wissenschaftlichen Disziplinen reichte von Kriminologie, Soziologie, Psychiatrie und Psychologie (AG A) bis zu Öffentlichem Recht, Strafrechtstheorie, Strafrechtspraxis und Polizeipraxis (AG B). Jede dieser disziplinär definierten Unterkommissionen erstellte ein Erstgutachten, das im Plenum diskutiert wurde. Die Gutachter wurden aufgrund von Vorschlägen einzelner Fachwissenschaftler durch die Bundesregierung bestellt.

Das Spektrum der politischen Orientierungen reichte – soweit erkennbar – von konservativen bis hin zu linksliberalen Positionen, zu denen auch einige den Sozialausschüssen der CDU oder der SPD nahestehende Wissenschaftler/innen gerechnet werden können. Dezidiert rechtskonservative oder linke (marxistische) rechtspolitische oder gesellschaftstheoretische Positionen waren nicht vertreten. Ebenso gab es keine Vertreter von Protestgruppen (etwa der Ökologie-, Friedens- und Bürgerrechtsbewegung) in der Kommission, sie wurden aber in der soziologischen Unterkommission einbezogen.

Nimmt man die nicht den Unterkommissionen angehörenden, aber stimmberechtigten Mitglieder der Kommission hinzu, die die Zwischenberichte der beiden Arbeitsgruppen schrieben, dominierten die Juristen gegenüber den Sozialwissenschaftlern, Psychologen und Psychiatern. Den Kriminologen mit ihrer Doppelqualifikation kam die prekäre Aufgabe zu, eine Brücke zu bilden. Zusätzlich eingeladen wurden Polizei- und Kriminalbeamte (19), externe Wissenschaftler (8), Richter (5), Psychologen und Politologen als Polizeiberater (4), Staatsanwälte (3), Vertreter der Neuen Sozialen Bewegungen (2), Ministerialbeamte (2) sowie ein Anwalt, ein Psychiater und eine Vertreterin von Frauen- und Kinderschutzhäusern. Die Unterkommission Psychiatrie veranstaltete zudem Anhörungen in Stockholm und Wien.

Vorgegeben war der Kommissionsarbeit eine »Delphi-Methode« der Konsensbildung.[16] Divergierende Einschätzungen sollten durch Diskussionen, Kompromissformulierungen und schlussendliche Abstimmungen zu einem gemeinsamen Votum führen. Sondervoten waren nicht zugelassen. Die Kommission arbeitete über zwei Jahre intensiv an der Erstellung eines Berichts zu durchaus heterogenen Phänomenen der Gewalt und den Möglichkeiten ihrer Prävention.

Ohne Frage ging es den staatlichen Auftraggebern bei der Einsetzung der Gewaltkommission darum, möglichst eindeutige Ergebnisse zu bekommen. Diese Aufgabe war jedoch nicht einfach zu erfüllen. Die letztendlich im Bericht veröffentlichten Ergebnisse wurden auch nicht ohne Konflikte (vor allem in den Plenarberatungen der Gesamtkommission) verabschiedet. Es waren Konflikte verschiedenster Art, die einerseits durch unterschiedliche politische Grundannahmen zustande kamen, mehr noch aber durch die unterschiedlichen Paradigmen verschiedener Berufsgruppen und wissenschaftlicher Disziplinen. Das normative Paradigma der Jurisprudenz und das empirische Paradigma der Sozialwissenschaften waren den jeweiligen Kollegen teilweise schwer zu vermitteln. Hinsichtlich der Frage nach der Entwicklung von Gewalt standen das subjektive Erfahrungswissen der Polizeipraktiker sowie die Ergebnisse von Statistiken und Umfragen oft im Widerspruch zueinander. Polizeipraktiker waren etwa davon überzeugt, dass die Gewalt quantitativ und qualitativ in den letzten Jahren und Jahrzehnten zugenommen habe. Darin waren sie auch durch die entgegenstehenden Daten der Kriminologen, der Soziologen und sogar der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) nicht zu beirren.

Schließlich spielte der Gewaltbegriff selbst eine konfliktträchtige Rolle. Soziologen und Kriminologen plädierten für einen operationalisierbaren Begriff und wollten daher beispielsweise die »strukturelle« oder »kulturelle Gewalt« (Johan Galtung) zwar in die Überlegungen zur Genese von Konflikt und Gewalt einbeziehen, aber nicht mit dem Gewaltbegriff selbst konfundieren, den sie für physische Verletzung oder die Drohung mit ihr reserviert hatten. Strafrechtstheoretiker beharrten dagegen darauf, auch Verhaltensmuster ohne physische Verletzungsabsicht unter den Gewaltbegriff zu subsumieren, und zwar durch den Begriff der Nötigung. Das Interesse, die Skandalisierungswirkung des Gewaltbegriffs mit Hilfe seiner Ausweitung zu nutzen, bestand gleichermaßen in ganz unterschiedlichen politischen Lagern und wissenschaftlichen Disziplinen. Die Kommission konnte sich schließlich auf einen eingeschränkten Gewaltbegriff einigen, »die zielgerichtete, direkte physische Schädigung von Menschen durch Menschen«, und forderte mit großer Mehrheit eine Einengung des Gewaltbegriffs auch für den Gesetzgeber und die Rechtsprechung.[17] Im Ausgleich dafür wurde der Vorschlag verabschiedet, die so entstehende Strafrechtslücke durch den Tatbestand eines »vergleichbar schweren psychischen Zwanges« zu schließen.[18]

Eine weitere Herausforderung bestand in dem Konflikt um die wissenschaftliche Legitimierbarkeit der Empfehlungen. Insbesondere Sozialwissenschaftler hatten damit Schwierigkeiten. Kompliziert war aber vor allem eine andere Trennlinie zwischen Wissenschaft und Praxis: Praktische Empfehlungen können aus wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht unmittelbar deduziert werden, sondern werden nur in dem Maße konkret, wie immer mehr Zusatzannahmen in die Argumentation eingestellt werden, für die dann aber vielfach keine spezielle fachliche Legitimation mehr vorliegt. So beharrten einige sozialwissenschaftliche Kommissionsmitglieder darauf, dass sie zu dem Gefahrenpotential von Kernkraftwerken keine Aussage treffen könnten und dieses daher auch nicht in die Ursachenanalyse der Proteste einbauen könnten. In den Unterkommissionen, für die dieses Problem besonders virulent war, setzte sich schließlich die Auffassung durch, dass das Deduktionsproblem prinzipiell nicht lösbar sei, es nichtsdestoweniger der sozialen Verantwortung von Wissenschaftlern entspreche, einerseits die Grenzen der Fachkompetenz zu markieren, sich aber andererseits doch in die Rolle von Politikern und Praktikern hineinzuversetzen und auf der Basis ihrer – wie immer auch beschränkten – Sachkunde zu überlegen, was getan werden solle. Die Ergebnisse der Kommission, wie sie im Endbericht ausgewiesen sind, sind also die Resultante der auf diesen Endbericht einwirkenden Kräfte, d.h. der Zusammensetzung der Kommission und der damit vorgegebenen oder von vornherein verhinderten Einsichten.

Wenn man von dieser Anfangskonstellation einmal absieht, ist in fast allen Unterkommissionen überaus gründlich gearbeitet und im Plenum intensiv diskutiert worden, bis der Endbericht schließlich Absatz für Absatz zur Abstimmung gelangte. Der Konsensdruck, der durch die Delphi-Methode eingebaut war, dürfte allerdings dazu geführt haben, dass das Bild der Wirklichkeit durch Kompromissformulierungen gelegentlich unschärfer und weniger kontrovers erschien, als es dem Stand in den verschiedenen Wissenschaften entsprochen hätte.

3. Themenfelder und Vorschläge

Die Einschätzung der tatsächlichen Entwicklung von Gewalt erwies sich als schwierig. Als Hellfeld wurden die Informationen der polizeilichen Kriminalstatistik herangezogen, die aber immer auch eine Statistik der Arbeit der Polizei ist, während das Dunkelfeld weitgehend unberücksichtigt bleibt. Die Einschätzung der Sicherheitslage durch Polizei- und Strafrechtspraxis sowie vereinzelte Umfragen zur Einschätzung der inneren Sicherheit durch die Bevölkerung sind in der Summe erheblichen Verzerrungsfaktoren ausgesetzt. Insgesamt ergab sich 1988 mit den amtlich verfügbaren Zahlen für die vorausgehenden Jahre eher ein Rückgang der Gewalt in der Gesellschaft.

Vielfach waren die Zusammenhänge der Gewalttaten weniger durch quantitative Zeitreihen als durch phänomenologische Beschreibung und Analyse zu erhellen. Darauf stützten sich auch die meisten Vorschläge, die die Kommission ausarbeitete und in einem Abstimmungsmarathon verabschiedete. Empfehlungen für die »Verhinderung und Bekämpfung« von Gewalt wurden auf der Basis eingehender Analysen zu folgenden Themen erarbeitet:

  • »Gewalt in der Familie: Hilfe statt Strafe«;
  • »Gewalt in der Schule«;
  • »Gewalt auf Straßen und Plätzen« (darunter wurden auch »Gewalt im Straßenverkehr« und »Gewalt mit ethnischem Hintergrund« subsumiert);
  • »Gewalt im Stadion« (und seinem Umfeld);
  • »politisch motivierte Gewalt« (Gewalt zur Erzwingung oder Verhinderung von Entscheidungen, die für die oder von der Gesellschaft getroffen werden, oder gegen Zustände/Entwicklungen, die diesen Entscheidungen angelastet werden[19]);
  • »Gewaltdarstellungen in (Massen-)Medien«;
  • »Verhinderung und Kontrolle von Gewalt als länder- und ressortübergreifende Aufgabe«.

Zu jedem dieser Felder wurden Thesen entwickelt, die die Probleme zusammenfassend benennen sollten, sowie 158 praxisbezogene Vorschläge, auf die die Kommission sich mehrheitlich einigen konnte. So plädierte sie für kleinere Schuleinheiten und kleinere Klassen (V. 30) sowie für die Rückbesinnung der Schule auf ihren Erziehungsauftrag (V. 33); sie empfahl ein Alkoholverbot in Stadien (V. 60) und die Förderung von Kontakten zwischen Fanclubs und der Polizei (V. 69b), den Ausbau der Jugendarbeit (V. 44), mehr Berufsförderungsprogramme für sozial gescheiterte Jugendliche (V. 45) und die stärkere Präsenz von Polizeikräften im öffentlichen Raum (V. 52). Schließlich wurden im Bericht sowohl allgemeine Forschungsdefizite angesprochen (»Forschungsbedürfnisse bestehen vor allem über Verbreitung, Strukturen, Ursachen und Bedingungen von Gewalt, über Täter und Opfer sowie über die Möglichkeiten wirksamer Eindämmung und Vorbeugung von Gewalt«) als auch Forschungsdefizite in spezifischen Gewaltbereichen genannt (Familie, Schule, Stadien etc.).[20] Das Gesamtergebnis der Analysen ist durch die nahezu flächendeckende Bearbeitung der Felder, in denen Gewalt auftritt, und durch die Präzision bei der Erfassung der Probleme sehr eindrucksvoll. Es stellt eine auch im internationalen Vergleich herausragende Leistung dar. Unberücksichtigt blieben jedoch »die Gewaltkriminalität ausländischer Extremisten sowie die Gewaltakte der organisierten Kriminalität«.[21] Ebenso wurde nicht auf religiös motivierte Gewalt eingegangen – mit der Begründung, dass diese zurzeit keine bedeutsame Rolle einnehme. Bereits damals wurde jedoch prognostiziert (aus heutiger Sicht zutreffend), dass deren Relevanz sich erhöhen könnte.

4. Wirkungen und Wirkungsdefizite der Kommissionsarbeit

Erstaunlich ist, dass die gesellschaftlichen Konflikte und politischen Auseinandersetzungen, die mit der Ermordung zweier Polizeibeamter an der Startbahn West zur Bestellung der Kommission geführt hatten, zwar intensiv bearbeitet wurden, im Gesamtergebnis aber nur eine begrenzte Rolle spielten. Die wichtigsten gesetzgeberischen Initiativen, die die Kommission anstoßen konnte, bezogen sich auf die Gewaltprävention in der Familie: die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe und die Abschaffung des elterlichen Züchtigungsrechts (durch die Reform des Kindschaftsrechts bezüglich der Unzulässigkeit entwürdigender Erziehungsmaßnahmen, die von der Unterkommission der Psychiater mit Hinweis auf gut dokumentierte skandinavische Erfahrungen vorangetrieben worden war). Betrachtet man aber die zeit- und kostenintensive Arbeit und Kooperation der Mitglieder der Gewaltkommission, so stellt sich gleichwohl die Frage nach den Wirkungen und der Effektivität.

Zunächst kann die Erstellung eines auf Konsens beruhenden Berichts als erfolgreiche Ausführung des erhaltenen Auftrags gesehen werden.[22] Doch darüber hinaus gilt es auch nach der Wirksamkeit des Berichts als Instrument der Politikberatung zu fragen: In welchem Umfang konnten die Ergebnisse der Kommission politische Entscheidungen beeinflussen? Der ehemalige Vorsitzende, der seit der Übergabe des Berichts an den Bundeskanzler alle Umsetzungsspuren aufmerksam verfolgte, zog ein eher positives Fazit.[23] Er gab zu bedenken, dass der Erfolg nicht allein daran zu messen sei, wie rasch eine Umsetzung in der Praxis stattfinde.[24] Genau diese baldige Umsetzung war aber mit der Kommission und ihren sehr detaillierten Vorschlägen beabsichtigt. Generell sollte man das Augenmerk bei der wissenschaftlichen Politikberatung nicht nur auf die direkte Umsetzung von Empfehlungen legen, sondern darüber hinaus die Weiterentwicklung der öffentlichen Meinungsbildung betrachten.[25] Diese kann langfristig auch politische Strategien beeinflussen, wie nach 1990 am Beispiel der Schulung von Polizeieinheiten im Sinne der von der Kommission empfohlenen Deeskalationsstrategie deutlich wurde.

Arbeit und Ergebnisse der Kommission wurden unmittelbar nach der Übergabe des Berichts an die Bundesregierung in einer Presseerklärung von nicht beteiligten Wissenschaftlern scharf kritisiert. Im selben Jahr schoben diese Wissenschaftler eine Gegenpublikation nach, in der sie der Kommission eine einseitige und »paternalistische«, staatsnahe Perspektive vorwarfen.[26]

Es mag sein, dass die Umsetzung vieler konkreter Vorschläge der Kommission ohnedies an politischen Opportunitäten gescheitert wäre, weil die Empfehlungen parteipolitisch nicht kongruent oder aber gesellschaftlich nicht akzeptabel erschienen. Auch Probleme der Finanzierbarkeit von präventiven Maßnahmen spielen immer eine Rolle, weil Ausgaben für Prävention zunächst einmal Kosten sind, die sich nicht in einem direkt messbaren Gewinn niederschlagen. Und sicher wären viele Vorschläge überhaupt nicht bis zu möglichen Entscheidungen vorgedrungen. Aber weder die öffentliche Kritik noch die Schwerfälligkeit der politischen Umsetzung oder die mit der Prävention verbundenen Kosten behinderten die Realisierung der Vorschläge so sehr wie die historische Wende 1989/90.

Während einer der letzten Sitzungen der Kommission konnten die Teilnehmer unmittelbar beobachten, wie die »Mauerspechte« die Berliner Mauer in einzelne Andenkenteile zerklopften. Noch bevor die Ergebnisse der Gewaltkommission in den öffentlichen Diskurs Eingang finden konnten, wandelten sich der weltpolitische Rahmen und die mit ihm verbundenen Konfliktszenarien durch die Auflösung der Sowjetunion, das Ende der SED-Diktatur und den Zerfall Jugoslawiens grundlegend. Dies veränderte nicht nur die politische Agenda der beteiligten Akteure, sondern hatte auch innenpolitische Konsequenzen, weil neue Konfliktlinien aufbrachen, die zuvor nicht absehbar waren. Die Nichtverlängerung der »Vertragsarbeiter«, die aus Afrika und aus Vietnam in die DDR gekommen waren; die Bürgerkriege im ehemaligen Jugoslawien; die Übersiedlung von Russlanddeutschen und Juden aus der Sowjetunion – sie summierten sich zu einer starken und im weiteren Verlauf schwer prognostizierbaren neuen Einwanderung. Gerade in ländlichen und ostdeutschen Gebieten, die zuvor kaum mit Zuwanderung konfrontiert waren und in denen das Phänomen ethnischer Heterogenität wenig vertraut war, entstanden Ängste, Proteste und damit auch neue Gewaltbereitschaften. So stellte sich Anfang der 1990er-Jahre das Problem der Gewalt im Rahmen politischer Konfliktlinien auf ganz andere Weise, aber mit vermehrter Dringlichkeit. Es ging jetzt nicht mehr um »Vietnam« und »Lateinamerika«, wie in den späten 1960er- und den 1970er-Jahren; es ging auch nicht mehr um »Atomkraftwerke«, »Häuserkampf«, »Startbahn West« und »Nachrüstung« wie in den 1980er-Jahren, sondern um vermeintliche »Überfremdung« und »deutsche Identität«. Xenophobe Gewalt bestimmte mit den Pogromen in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Hünxe und Mölln zunehmend die Szene.[27]

Ein besonderes Augenmerk verdient die Entwicklung der Gewaltprävention. Im Vergleich zur Ausgangslage der Kommissionstätigkeit Ende der 1980er-Jahre hat sich die Präventionsarbeit später eindrucksvoll verstärkt, aber auch verschoben. Sie geht immer mehr weg von einer »verhältnisorientierten« hin zu einer »verhaltensorientierten« Prävention. Die makrosoziologischen Ausgangsbedingungen und hier besonders die sich verändernden Konfliktlinien der Gesellschaft sind mittlerweile an den Rand gerückt, Individualprävention bestimmt das Geschehen. Dieser Wandel ist in der Dokumentation des eingangs erwähnten Symposions vom Februar 2016 deutlich zu erkennen.[28] Was könnte der Grund sein?

Gesellschaftliche Strukturen zu verändern bzw. auf sie Einfluss zu nehmen ist weitaus komplizierter, kontroverser und riskanter, als wenn man sich auf einzelne »verführbare« oder »verführte« Individuen konzentriert. Obendrein ist die Plausibilität eines makrosozialen Kausalzusammenhangs schwerer zu begründen. Schließlich kann durch die Art der empfohlenen Prävention auch eine verdeckte Schuldzuweisung vorgenommen werden. Werden Menschen durch die gesellschaftlichen Strukturen derart beeinflusst, dass kriminelles Handeln bzw. Radikalisierungstendenzen entstehen, oder ist dieses Handeln eher durch individuelle Probleme verursacht? Letztlich sind beide Möglichkeiten im Blick zu halten und verlangen gleichermaßen nach entsprechenden Formen der Prävention.

In den vielfältigen Versuchen der Gewaltkommission, eine sichere Datenlage zu erarbeiten, sind auch grundlegende Probleme deutlich geworden. Diese bestehen wohl nicht primär in der unterstellten Auftragsabhängigkeit (die gewiss konfliktträchtig ist und häufig zu rhetorischen Rechtfertigungen nach der einen oder anderen Seite führt) und schon gar nicht darin, dass die Forschung sich weniger den Gewaltakten selbst als deren individuellen und sozialen Vorbedingungen widmet.[29] Das fundamentale Problem liegt vielmehr im Gegenstand selbst. Bereits im Auftrag an die Kommission wurde unterstellt, dass Konfliktereignisse und das in entsprechenden Situationen gezeigte Gewaltverhalten über Einstellungen prognostizierbar und ex post erklärbar wären, wenn man nur die in den Einstellungen enthaltene Gewaltbereitschaft hinreichend lokalisieren und die Bedingungen erkennen könnte, unter denen sie den Hiatus zur Handlung überspringt. Dies mag für solche Fälle, in denen es regelmäßig zu Gewalttaten kommt, auch zutreffen. Bezogen auf politisch motivierte Gewalt hat sich die prognostische Valenz der Ableitung von Handlungen aus zuvor quantitativ messbaren Einstellungen dagegen kaum bewährt. Wer nur Einstellungen und Meinungen erfragt, gerät leicht in die Gefahr, diese mit den eigentlichen Ursachen der Gewaltaktionen zu verwechseln; und wer nur Zeitungsartikel auszählt, glaubt schließlich, dass die Gewalt »herbeigeschrieben« worden sei. Meist fehlen in solchen Studien die »Triangulation« mit anders gewonnenen Daten und vor allem eine sorgfältige historische Anamnese der Eskalationsprozesse. Erst diese kann zeigen, ob bestehende Einstellungen die Taten oder dramatische Ereignisse die Einstellungen nach sich gezogen haben. Jedenfalls ist die mediale Verbreitung der Dramatik von Ereignissen, die zu »copycat riots« (Nachahmungsunruhen) führt, ein zentraler Faktor, der die Quantität der Gewalttaten beeinflusst.[30]

Survey-Methodiker können an dieser Stelle einwenden, dass die letztlich fehlgehenden Einstellungsstudien wahrscheinlich nicht die richtigen Indikatoren hatten. Die Validität der Indikatoren wäre bis zu einem gewissen Maß theoretisch und bei ausreichender Varianz auch empirisch zu klären. Aber selbst wenn dies geschehen sollte, können Zweifel an der Erklärungskraft oder Prognosefähigkeit aufgrund von Einstellungsstudien angebracht sein. Im Falle der bei Jürgen Habermas und Ludwig von Friedeburg nicht einmal in Betracht gezogenen Einstellungsänderungen in den 1960er-Jahren ist der »Linksruck« in Teilen der Studentenschaft und der bildungsbürgerlichen Jugend den Ereignissen nicht vorangegangen, sondern durch diese selbst provoziert worden. Civil Rights Movement, Free Speech Movement und die Anti-Vietnam-Demonstrationen haben – mit unfreiwilliger Unterstützung durch die Repressionspolitik der Regierungen – einen Einstellungswandel auf breiter Front zu Wege gebracht, der in keinen zuvor erhobenen Daten abzusehen war. Nicht Einstellungen, sondern Ereignisse stehen oft am Anfang des Wandels. Es sind die identitätsrelevanten – zumeist medienvermittelten – gesellschaftlichen Konflikte und ihre Repräsentation in spektakulären Ereignissen, die über »Empörung« zu Einstellungsänderungen führen. So war es auch 1967, als die antiimperialistische Studentenbewegung den Schah von Persien bei seinem Besuch in Berlin als Symbol der Ausbeutung der »Dritten Welt« brandmarkte und dessen »Jubelperser« gewalttätig dagegenhielten. Die Tötung eines Demonstranten durch einen Polizeibeamten hat damals eine Radikalisierung bis in den Terrorismus hinein ausgelöst. Aus einem singulären Ereignis wurde so über mehrere Stufen hinweg eine interaktive Sequenz. Signifikante Ereignisse können – geplant oder ungeplant – als »Beweise« für eine Realität fungieren, die sie überhaupt erst herstellen. »Ereignisse« – wer immer sie schafft, auswählt und zu Nachrichten formiert – fungieren als »Basissätze« für Annahmen von Menschen über »die« Wirklichkeit.[31] Damit produzieren sie selbst eine neue Wirklichkeit im Sinne des berühmten Thomas-Theorems: Wenn Menschen eine Situation für real halten, ist diese real in ihren Konsequenzen.[32]

Für das Phänomen, dass sich aus singulären Ereignissen neue Strukturen entwickeln, hat sich im soziologischen Neulatein der Begriff »Emergenz« eingebürgert. Ereignisse, die zunächst nur idiographisch zu erfassen sind, können neue Strukturen konstituieren, die dann mehr sind als die Summe ihrer Teile. So hat der »Bloody Sunday« (30. Januar 1972), an dem britische Einheiten in Nordirland auf gewaltfreie Demonstranten schossen, den dortigen Bürgerkrieg neu entfacht; und nach dem unvorhergesehenen Ende des Ost-West-Konflikts hat die Zuwanderung um per Saldo rund fünf Millionen Aussiedler, Flüchtlinge und Asylbewerber nach Deutschland zwischen 1988 und 1992 eine fremdenfeindliche Bewegung mit auf den Weg gebracht, die uns (verbunden mit vielen weiteren Ereignissen) bis heute in Atem hält. Wenn schließlich inzwischen vier Fünftel der Deutschen den Islam mit Terrorismus assoziieren, hat das nicht notwendig mit Vorurteilen zu tun, sondern mit spektakulären Verbrechen, die im Namen »des Islam« begangen wurden und die – logisch falsch und politisch verhängnisvoll – auf »die Muslime« generalisiert werden.

Nicht nur bestehende Einstellungen und Identitäten führen also zu Konflikten, sondern Konfliktereignisse selbst können neue Identitäten und Einstellungen produzieren. Man kann zweifellos die weltbildgenerierenden Wirkungen von Ereignissen kritisieren und insbesondere die Generalisierung von Einzelfällen als Fehlschluss brandmarken. So laufen die Dinge aber nun einmal. Weil »Ereignisse« aufgrund der unaufhebbaren Kontingenz menschlichen Handelns nur beschränkt prognostizierbar sind, gilt dies auch für die von ihnen ausgelösten Generalisierungen. Die Öffentlichkeit erwartet von den Experten oft eindeutigere Aussagen, als die Kontingenz faktischer Abläufe es zulässt.

5. Die Relevanz der Gewaltkommission für die Entwicklung der wissenschaftlichen Politikberatung

Die Berichterstattung zur Kriminalentwicklung und -prävention sowohl in Form der Gewaltkommission von 1990 als auch in Form der »Periodischen Sicherheitsberichte« von 2001 und 2006[33] kann die politische Entscheidungslage durch die Berücksichtigung wissenschaftlich kontrollierter Zusammenhänge ergänzen und die öffentliche Wahrnehmung, die zunächst meist von spektakulären Ereignissen gesteuert wird, korrigieren. Zu diesem Zweck wurde der Bericht der Gewaltkommission nicht nur einem begrenzten Personenkreis von Amtsträgern und Experten, sondern allen Interessierten zugänglich gemacht. In erster Linie freilich hatte der interdisziplinär erarbeitete Wissenspool der Bereitstellung von fachspezifischen Erkenntnissen zur politischen Debatte und Entscheidungsfindung auf allen staatlichen Ebenen zu dienen. Beim politischen Entscheiden stellt wissenschaftlich erarbeitetes Wissen indes nur einen von vielen Faktoren dar, die letztendlich berücksichtigt werden. Die eigentliche Leistung der Kommission bestand in der Aufbereitung einer Vielzahl von Daten, der Auswertung von Forschungsergebnissen zur Ursachenanalyse von Gewalt und Kriminalität sowie zu deren justizieller und sozialpädagogischer Bearbeitung. Auf der breiten Basis der Kommissionsarbeit waren Empfehlungen, die von der Verwaltung, der Justiz und von zivilgesellschaftlichen Einrichtungen wie der Straffälligenhilfe oder den Opferhilfeverbänden umgesetzt werden konnten, besser zu begründen als durch isolierte Einzelfallanalysen.

Politikberatung seitens wissenschaftlicher Experten ist heute ein nahezu selbstverständliches Vorgehen. Die Gründung von Kommissionen und Ausschüssen zu spezifischen, politisch bedeutsamen Themen sowie das Heranziehen von Expertenwissen und staatlich finanzierter Auftragsforschung haben sich mittlerweile auch in der Kriminalitätsbekämpfung zu Standardverfahren entwickelt.[34] Hierbei kann die Einsetzung der Gewaltkommission 1987/88 durch die Bundesregierung als ein Meilenstein auf dem Weg zu einem geplanten, strukturierten und zielorientierten Dialog zwischen den Ministerien, den Bundes- und Landeskriminalämtern sowie Vertretern aus unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen betrachtet werden. Die Einsetzung eines Gremiums zur Erstellung von »Periodischen Sicherheitsberichten« durch die rot-grüne Bundesregierung in den Jahren 2001 und 2006 lässt sich als Fortführung der geschilderten Arbeit der Gewaltkommission sehen. Nun werden auch die mittlerweile praktizierten Dunkelfelduntersuchungen bei Jugendlichen ausgewertet sowie die strafrechtlichen Reaktionen und ihre Wirkungen anhand der Strafverfolgungsstatistiken bis hin zur Rückfallstatistik umfassend bearbeitet. Derartige Berichte liefern einen fundierten Beitrag zur politischen Entscheidungsfindung; sie geben der Politik eine Legitimation aufgrund objektivitätsorientierter wissenschaftlicher Darstellungen. Der Zeitgeschichtsforschung bieten nicht nur die Berichte als solche, sondern auch ihre Vor- und Nachgeschichten Einblicke in zeitgenössische Debatten, Aufmerksamkeitsverschiebungen und mögliche Blindstellen.

Anmerkungen:

[1] Stephan Voß/Erich Marks (Hg.), 25 Jahre Gewaltprävention im vereinten Deutschland – Bestandsaufnahme und Perspektiven, 2 Bde., Berlin 2016.

[2] Hans-Dieter Schwind u.a. (Hg.), Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt. Analysen und Vorschläge der Unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt (Gewaltkommission), 4 Bde., Berlin 1990.

[3] Rudolf Egg/Werner Sohn, Von der Gewaltkommission zum Periodischen Sicherheitsbericht, in: Thomas Feltes/Christian Pfeiffer/Gernot Steinhilper (Hg.), Kriminalpolitik und ihre wissenschaftlichen Grundlagen, Heidelberg 2006, S. 35-56, hier S. 39.

[4] Hans-Dieter Schwind, Hat die (Anti-)Gewaltkommission vergeblich gearbeitet? Zur Akzeptanz und zum Stand der Implementierung ihrer 158 Vorschläge zur primären und sekundären Kriminalprävention, in: Die Kriminalprävention 4 (2000), S. 45-54, hier S. 45.

[5] Ebd.

[6] Vgl. Sebastian Kurme, Halbstarke. Jugendprotest in den 1950er Jahren in Deutschland und den USA, Frankfurt a.M. 2006.

[7] Helmut Schelsky, Wandlungen der deutschen Familie in der Gegenwart, Stuttgart 1955, S. 218.

[8] Kenneth Galbraith, The Affluent Society, Boston 1958.

[9] Vgl. z.B. Jürgen Habermas u.a., Student und Politik. Eine soziologische Studie zum politischen Bewußtsein Frankfurter Studenten, Neuwied 1961.

[10] Herbert Jäger/Gerhard Schmidtchen/Lieselotte Sülwold, Analysen zum Terrorismus, Bd. 2: Lebenslaufanalysen, Wiesbaden 1981, S. 213.

[11] Horst-Eberhard Richter, Zur Psychologie des Friedens, Reinbek bei Hamburg 1982, S. 141.

[12] Eva Barlösius/Barbara M. Köhler, Öffentlich Bericht erstatten. Repräsentationen gesellschaftlich umkämpfter Sachverhalte, in: Berliner Journal für Soziologie 9 (1999), S. 549-565, hier S. 554.

[13] Siehe zusammenfassend Helmut Willems/Marianne Wolf/Roland Eckert, Soziale Unruhen und Politikberatung. Funktion, Arbeitsweise, Ergebnisse und Auswirkungen von Untersuchungskommissionen in den USA, Großbritannien und der Bundesrepublik, Opladen 1993.

[15] Egg/Sohn, Gewaltkommission (Anm. 3), S. 40.

[16] Thomas Seeger, Die Delphi-Methode – Expertenbefragungen zwischen Prognose und Gruppenmeinungsbildungsprozessen: Überprüft am Beispiel von Delphi-Befragungen im Gegenstandsbereich Information und Dokumentation, Mainz 1979; Michael Häder (Hg.), Delphi-Befragungen. Ein Arbeitsbuch, Wiesbaden 2002.

[17] Schwind u.a., Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Bd. 1 (Anm. 2), S. 36.

[18] Ebd., S. 39.

[19] Ebd., S. 52.

[20] Ebd., S. 226-237.

[21] Ebd., S. 35.

[22] Egg/Sohn, Gewaltkommission (Anm. 3), S. 42.

[23] Hans-Dieter Schwind, Zu Akzeptanz und Umsetzungsstand der Vorschläge der (Anti-)Gewaltkommission der Bundesregierung. Ein Überblick auf dem exemplarischen Wege, in: ders. u.a. (Hg.), Festschrift für Hans-Joachim Schneider zum 70. Geburtstag am 14. November 1998. Kriminologie an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, Berlin 1998, S. 813-846, hier S. 844; ders., Hat die (Anti-)Gewaltkommission vergeblich gearbeitet? (Anm. 4).

[24] Vgl. Egg/Sohn, Gewaltkommission (Anm. 3).

[25] Willems/Wolf/Eckert, Soziale Unruhen (Anm. 13).

[26] Peter-Alexis Albrecht/Otto Backes (Hg.), Verdeckte Gewalt. Plädoyer für eine »Innere Abrüstung«, Frankfurt a.M. 1990.

[27] Helmut Willems u.a., Fremdenfeindliche Gewalt. Einstellungen, Täter, Konflikteskalation, Opladen 1993.

[28] Voß/Marks, 25 Jahre Gewaltprävention (Anm. 1).

[29] Zur Scheinkontroverse um »Mainstream« vs. »innovative Gewaltforschung« siehe Jörg Hüttermann, Dichte Beschreibung oder Ursachenforschung der Gewalt?, in: Wilhelm Heitmeyer/Hans-Georg Soeffner (Hg.), Gewalt. Entwicklungen, Strukturen, Analyseprobleme, Frankfurt a.M. 2004, S. 107-124; Peter Imbusch, Mainstreamer versus Innovateure der Gewaltforschung, in: ebd., S. 125-150.

[30] Helmut Willems, Jugendunruhen und Protestbewegungen. Eine Studie zur Dynamik innergesellschaftlicher Konflikte in vier europäischen Ländern, Opladen 1997.

[31] Roland Eckert/Helmut Willems, Eskalation und Deeskalation sozialer Konflikte: Der Weg in die Gewalt, in: Wilhelm Heitmeyer/John Hagan (Hg.), Internationales Handbuch der Gewaltforschung, Wiesbaden 2002, S. 1457-1480.

[32] William Isaac Thomas/Dorothy Swaine Thomas, The Child in America. Behavior Problems and Programs, New York 1928.

[33] Bundesministerium des Innern/Bundesministerium der Justiz (Hg.), Erster Periodischer Sicherheitsbericht, Berlin 2001; dies. (Hg.), Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht, Berlin 2006.

[34] Egg/Sohn, Gewaltkommission (Anm. 3).

Lizenz

Copyright © Clio-online – Historisches Fachinformationssystem e.V. und Autor/in, alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist zum Download und zur Vervielfältigung für nicht-kommerzielle Zwecke freigegeben. Es darf jedoch nur erneut veröffentlicht werden, sofern die Einwilligung der o.g. Rechteinhaber vorliegt. Dies betrifft auch die Übersetzungsrechte. Bitte kontaktieren Sie: <kirsch@zzf-potsdam.de>.

Für die Neuveröffentlichung von Bild-, Ton- und Filmmaterial, das in den Beiträgen enthalten ist, sind die dort jeweils genannten Lizenzbedingungen bzw. Rechteinhaber zu beachten.