2/2010: Sicherheit

Aufsätze | Articles

Die „innere Sicherheit“ ist seit den 1970er-Jahren zu einem Leitbegriff der politischen Kultur der Bundesrepublik geworden. Ziel des vorliegenden Aufsatzes ist es, den Begriff und die Politik der „inneren Sicherheit“ in zweifacher Weise zu historisieren. Erstens wird „innere Sicherheit“ als ein politisches Schlagwort verstanden, welches in einer langfristigen Perspektive den Topos „Ruhe und Ordnung“ abgelöst hat. Zweitens wird anhand des kritischen politischen Diskurses der 1970er-Jahre auf die psychologische Dimension der Semantik der „inneren Sicherheit“ aufmerksam gemacht, die als neue Konzeption des Verhältnisses zwischen Staat und Individuum wahrgenommen wurde. Während mit „Ruhe und Ordnung“ die Vorstellung einer disziplinär-militärisch und obrigkeitsstaatlich verfassten Ordnung einherging, kann das neue Sicherheitsdispositiv neben seinem stabilitätsbetonenden und repressiven Charakter auch ein zivilgesellschaftliches Verständnis implizieren, welches Sicherheit weniger garantiert, sondern sie als Abwägung von Freiheiten und Risiken versteht.
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Since the 1970s, innere Sicherheit (internal security) has become a key concept in the political culture of West Germany. The article examines the term and the politics of innere Sicherheit in two ways. First, it contends that innere Sicherheit has gradually supplanted the German topos Ruhe und Ordnung (tranquillity and order). Secondly, the article emphasises the psychological dimensions of the discourse about innere Sicherheit which, according to critical commentators in the 1970s, underpinned a new conception of the relationship between the state and the individual. While Ruhe und Ordnung denotes the idea of a disciplinary and military order linked with an authoritarian state, the new discourse about innere Sicherheit may imply, besides its basic notion of stability and its repressive character, a concept of civil society in which security is understood in relation to freedom and risks.

Die moderne Versicherungswirtschaft entstand als Reaktion auf die vielfältigen neuen Risiken, die sich mit der Industrialisierung entwickelten. Die verstärkte Risikoabsicherung war verbunden mit einem Denken in Wahrscheinlichkeiten und deren rechnerischer Bestimmung. Ende des 19. Jahrhunderts war die Versicherungsindustrie bereits voll entwickelt, und der Staat erklärte das Versicherungsprinzip zur Leittechnik der Risikovorsorge. Heute stößt die Versicherungswirtschaft aufgrund der global wirksamen ökologischen, ökonomischen und terroristischen Risiken jedoch an ihre finanziellen Grenzen; sie kann mit der raschen Expansion der Risiken kaum noch Schritt halten. Der Aufsatz skizziert die Anfänge von Versicherungen sowie die Durchsetzung des Versicherungsprinzips vor allem im Laufe des 19. Jahrhunderts. Er gibt einige Hinweise zur weiteren Entwicklung von Versicherungen im 20. Jahrhundert und lenkt den Blick schließlich auf die neuartigen Probleme, denen sich Versicherungen in der „Weltrisikogesellschaft“ des beginnenden 21. Jahrhunderts ausgesetzt sehen.
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The modern insurance industry emerged as a reaction to the various new risks which developed in the course of industrialisation. Increased hedging was coupled with think-ing in terms of probabilities and their arithmetic determination. At the end of the nineteenth century the insurance industry was already fully developed, and the state declared insurance to be the guiding principle of protection against risk. Today, however, the insurance industry has reached its financial limits as a result of globally effective ecological, economic and terrorist risks; it can hardly keep up with the rapid expansion of risks. This essay outlines the beginnings of the insurance industry and the growing acceptance of the principle of insurance, primarily in the course of the nineteenth century. It offers insight into how insurance further developed in the twentieth century, and ends by drawing attention to new problems to which insurance is exposed in the ‘world risk society’ of the early twenty-first century.

Different factors have been proposed to explain the longevity of the communist system in Romania: social control by the secret police, external pressures, or foreign control. However, the most common explanation is that of the Romanian people’s ‘passivity’. Many commentators distinguish between two groups in Romanian society, victims and collaborators, and hold the entire Romanian nation responsible for communism since it did not oppose the system and its authorities. Over the last few years, Romanian sociologists have begun to study communist society more systematically. They have developed new interpretations of the causes of the longevity of the system in terms of the transformation of social identity under communism and general fear. This article advances a complementary explanation, focusing on the perception of social security, and draws on a series of interviews conducted in the summer of 2009 in Romania and a number of public surveys conducted between 1999 and 2009.
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Um die Langlebigkeit des kommunistischen Systems in Rumänien zu erklären, sind verschiedene Faktoren genannt worden: die Rolle der Geheimpolizei bei der Überwachung der Gesellschaft oder auch Druck und Kontrolle von außen. Die häufigste Erklärung aber ist die angebliche rumänische „Passivität“. Viele Beobachter haben die rumänische Gesellschaft in zwei Gruppen geteilt – Opfer und Kollaborateure. So wurde die gesamte rumänische Nation für den Kommunismus verantwortlich gemacht; sie habe gegen das System und seine Autoritäten nichts unternommen. In den letzten Jahren haben rumänische Soziologen nun begonnen, die kommunistische Gesellschaft genauer zu untersuchen. Sie weisen darauf hin, dass die Umformung sozialer Identitäten und die generelle Furcht wesentlich zur Absicherung des Systems beigetragen hätten. Demgegenüber wird hier eine ergänzende Erklärung angeboten, die die Wahrnehmung sozialer Sicherheit betont. Dies stützt sich auf eine Reihe eigener, im Sommer 2009 durchgeführter Interviews in Rumänien sowie auf verschiedene Meinungsumfragen aus dem Zeitraum 1999–2009.

Die Transformationsprozesse im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts waren begleitet von einem tiefgehenden Wandel des Sicherheitsverständnisses. Das Vertrauen in die sicherheitsstiftende Funktion des Staates schwand, und neue Krisendiskurse entstanden. Der Aufsatz untersucht dies am Beispiel der NATO-Nachrüstung und der Friedensbewegung in der Bundesrepublik Deutschland um 1980. In der damaligen Auseinandersetzung spiegelt sich ein scharfer Streit über das Verständnis von Sicherheit. Darüber hinaus artikulierte sich in der Kritik der Friedensbewegung am System der nuklearen Abschreckung ein massives Unbehagen an jener technisch-industriellen Modernität, die sich seit dem späten 19. Jahrhundert ausgeformt hatte. Daher ist die „nukleare Krise“ der Zeit um 1980 auch als eine Modernitätskrise zu verstehen. Absolute Sicherheit kann es in der Moderne nicht geben; sie bleibt ein letztlich unerreichbares Ziel – eine Utopie. Gleichwohl entzog der Protest der Friedensbewegung – nicht nur in der Bundesrepublik – der nuklearen Abschreckung ihre politische und moralische Legitimität. Trotz der 1983 durchgesetzten Nachrüstung war die frühere Akzeptanz der Abschreckung in der Endphase des Kalten Kriegs nicht wiederherzustellen.
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Transformations which took place during the final third of the twentieth century were accompanied by a fundamental modification of the idea and understanding of ‘security’. Societies lost trust in the state and its ability to provide security. At the same time, new perceptions and discourses of crisis emerged. This article analyses these developments, taking the question of NATO nuclear armament and the West German peace movement of the period around 1980 as an example. The conflicts over NATO’s so-called ‘double track decision’ of 1979 and the prospect of deploying new nuclear weapons in West Germany and other European countries reflected heated controversy concerning the idea of security. Moreover, the peace movement’s criticism of the system of nuclear deterrence reflected considerable unease with technical-industrial modernity, which had arisen from the late nineteenth century. In this regard, the ‘nuclear crisis’ of the years around 1980 can be seen as a crisis of modernity. In modern societies it is not possible to achieve absolute security; security remains an unobtainable objective, a utopia. Nevertheless, it was not only in Germany that the peace movement’s protest shattered the political and moral legitimacy of nuclear deterrence. In spite of the decision to continue armament in 1983, the initial acceptance of this policy could not be restored in the final years of the Cold War.

Der Beitrag untersucht Motive und Voraussetzungen des Engagements west- bzw. gesamtdeutscher zivilgesellschaftlicher Initiativen in Belarus nach der Katastrophe von Tschernobyl. Gefragt wird, welche Wahrnehmungen und Maßstäbe von Sicherheit und Verunsicherung die Akteure leiteten. Die Fundamente des Engagements lagen in den Neuen Sozialen Bewegungen der 1970er- und 1980er-Jahre – vor allem in der Anti-AKW- und der Friedensbewegung. Die zunehmende Sensibilisierung für ökologische Schäden, das sinkende Vertrauen in die schützende Rolle des Staates und wachsende Zweifel an der Autorität von „Experten“ verbanden sich mit einem Wandel in der Kommunikation von Emotionen. Angst und Verunsicherung wurden in der Spätphase des Kalten Krieges zum Mobilisierungspotenzial für ein zivilgesellschaftliches Handeln, das zum Teil bis heute andauert und vielfältige Kontakte zwischen Deutschland und Belarus etabliert hat.
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The article examines the motives of and conditions underlying the commitment of German civil society initiatives in Belarus after the Chernobyl disaster. What perceptions and criteria of security and insecurity guided the initiatives? The foundations of this commitment may be traced back to the new social movements of the 1970s and 1980s – in particular to the anti nuclear power movement and the peace movement. The population’s increasing awareness of ecological threats, the growing doubts about the protective role of the state, along with doubts about the authority of ‘experts’ were accompanied by a change in the communication of emotions. Fear and insecurity be-came potential ways of mobilising people to take action in civil society in the latter phase of the Cold War, a situation which is still valid today and which has led to a large number of contacts between Germany and Belarus.

Debatte | Debate

  • Ralf Ahrens

    Die große Unsicherheit. Überlegungen zur Historisierung der jüngsten Weltwirtschaftskrise

    Einleitung

  • Harald Wixforth

    Managerversagen, Marktversagen, Politikversagen?

    Die deutschen Finanzkrisen 1931 und 2007/08 im Vergleich

  • Jan-Otmar Hesse

    Keynes’ zweiter Frühling

    Leiden und Leidenschaft der Wirtschaftswissenschaften in der Wirtschaftskrise

  • Tim Schanetzky

    Ereignis, Skandal und Legitimation

    Zum kommunikativen Umgang mit Unsicherheit in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise

Quellen | Sources

  • Jens Gieseke

    „Different Shades of Gray“

    Denunziations- und Informantenberichte als Quellen der Alltagsgeschichte des Kommunismus

  • Nora Helmli

    Unterhaltung, aber sicher!

    Mediale Repräsentationen von Sicherheit und Ordnung in der DDR-Fernsehkriminalreihe „Blaulicht“ (1959–1968)

  • Dietmar Kammerer

    „Looking Out For You“

    Überwachungsbilder als Technologien und Spuren

Besprechungen | Reviews

Neu gesehen

  • Marcus M. Payk

    Globale Sicherheit und ironische Selbstkontrolle

    Die James-Bond-Filme der 1960er-Jahre

Neu gelesen

  • Gabriele Metzler

    Demokratisierung des Risikos?

    Ulrich Becks „Risikogesellschaft“

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