Unfreundliche Häme schüttete sich noch Ende des letzten Jahres in der Öffentlichkeit über einem vormals so vielgerühmten Berufsstand aus. Die Ökonomen wurden sehr unverblümt dafür kritisiert, dass sie vor der Wirtschaftskrise ahnungslos und in der Wirtschaftskrise orientierungslos gewesen seien. Lisa Nienhaus, Wirtschaftsredakteurin der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ), bezeichnete sie als kollektive „Blindgänger“.1 Als „Starökonomen“ wurden plötzlich Wissenschaftler gelobt, die dem Fach zuvor als Außenseiter und Schwarzseher galten, wie der vor der Finanzkrise noch als „Dr. Doom“ verspottete Nouriel Roubini, der sich nun in Medien und Fachorganen zu Wort melden durfte, dabei aber nicht mehr als Vertreter der Zunft galt, sondern als in der Vergangenheit gegen die Wirtschaftswissenschaften angehender Einzelkämpfer.2 Gleichzeitig erhoben sich wortgewaltige Verfechter der Mainstream-Ökonomie wie der Münchener Wirtschaftswissenschaftler Hans-Werner Sinn: Er habe – ließ er die „FAZ“ und durch sie die Öffentlichkeit wissen – seit längerem auf die Probleme des Finanzmarktes hingewiesen und Veränderungen gefordert, und letztlich sei es das Problem der Journalisten, dass sie lieber über börsliche Höhenflüge als über mahnende wissenschaftliche Expertise berichtet hätten.3 Die Krise sei also gerade dadurch entstanden, dass die Welt nicht auf die Ökonomen gehört habe.
Andere Wirtschaftswissenschaftler gaben sich dagegen selbstkritisch. Insbesondere die Ordnungstheoretiker unter den deutschen Volkswirten, die Erben der Sozialen Marktwirtschaft, führten die Finanzkrise als Argument in ihrem wissenschaftsimmanenten Streit um Anerkennung an: Die Disziplin habe sich in den vergangenen Jahren zu weit von der Wirklichkeit entfernt, sich der reinen mathematischen Modelltheorie und hochartifiziellen Fragen zugewandt, die in Spielsituationen im Experimentallabor simuliert werden; hingegen habe sie zu den Gegenwartsproblemen nichts mehr zu sagen. Die Volkswirtschaftspolitik, die Institutionenlehre und das politische Handeln sollten künftig wieder eine größere Rolle in der universitären Ausbildung spielen.4 Nur Zyniker unter den empirischen Ökonomen gaben sich insgeheim der schelmischen Hoffnung hin, dass die Ordnungstheoretiker tatsächlich in der Disziplin die Oberhand gewinnen könnten und dann in der nächsten Krise die Überlegenheit ihres Ansatzes unter Beweis zu stellen hätten.
Der in der Geschichte der Wirtschaftstheorie geschulte Beobachter ist angesichts dieser Debatten abwechselnd zu Tränen gerührt und von Entsetzen geschüttelt: Rührung kommt auf, weil die Diskussionen der letzten 100 Jahre über die „Mathematisierung“ und „Formalisierung“ der Wirtschaftswissenschaften in schöner Vollständigkeit und wortgleicher Rekonstruktion wie im Zeitraffer am Zeitgeist vorüberzogen. Fast schien es, als wollte die Disziplin eine unfreiwillige Gedenkveranstaltung jener legendären Wiener Tagung des „Vereins für Socialpolitik“ im Jahr 1909 feiern, auf der Max Weber und andere den Werturteilsstreit zwischen deutscher Historischer Schule der Nationalökonomie und Wiener Grenznutzenschule, zwischen historisch-empirischer und „reiner“ mathematischer Methode neu entfachten.5 Diese Rührung und stille Freude über die Bedeutung der Geschichte schlägt aber gleichzeitig immer wieder in Entsetzen um, wenn deutlich wird, dass hinter all dem nichts anderes steckt als eine besondere Form der Geschichtsvergessenheit, die die Disziplin insgesamt in einen von Umwelteinflüssen gänzlich unbeeindruckten, autopoietischen Prozess der Selbstreflexion getrieben hat.
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Die modernen Wirtschaftswissenschaften6 bauen auf der Fiktion auf, dass es eine überzeitlich, gleichsam naturgesetzlich funktionierende Wirtschaft gebe und der Fortschritt der Wirtschaftstheorie darauf abziele, deren Funktionsweise immer besser zu erkennen. Dieser Logik folgen faktisch alle ausgetauschten Meinungen über die Leistungen und das Versagen des Faches in der aktuellen Wirtschaftskrise: Es ist eine Debatte über die Frage, welche Methode oder welches wissenschaftliche Paradigma bessere oder schlechtere Beschreibungen des Funktionssystems Wirtschaft liefere. Dabei wird aber vergessen, dass das Fach selbst die Wirtschaft permanent verändert, dass jedes neue Modell der Finanzmarktbeziehungen, jede Theorie über die Effekte der Währungspolitik, jeder ökonometrisch manifestierte Zusammenhang zwischen zwei volkswirtschaftlichen Größen die Funktionsweise der Wirtschaft beeinflussen. Jedes wissenschaftliche Instrument dient eben nicht nur der Analyse eines Gegenstands, sondern verwandelt sich unmittelbar in einen Bestandteil des Gegenstands selbst, zumal in so anwendungsbezogenen Disziplinen wie den Wirtschaftswissenschaften. Die „Theorie der rationalen Erwartung“ reflektierte bereits in den 1970er-Jahren diese Einflussnahme der Theorie auf die „Realität“. Den Konsumenten wurde in Abkehr von früheren Ansätzen genau dieselbe rationale Erwartungsbildung zugesprochen wie den Wirtschaftstheoretikern und den politischen Entscheidern, so dass beispielsweise der Preiseffekt einer Zinssenkung der Zentralbank von den Konsumenten sofort antizipiert wurde und zu einer entsprechenden Verhaltensänderung führen musste. Geldpolitik – so die Schlussfolgerung – konnte lediglich stabilisierend wirken, aber keine Wachstumsimpulse auslösen. Wiederum wurden aus diesem Lehrsatz aber lediglich Rückschlüsse für die Theorie gezogen, während man im Hinblick auf die Realität glaubte, der Wahrheit des als unveränderlich gedachten Funktionssystems Wirtschaft wieder ein Stück näher gekommen zu sein.
In einer derart epistemologisch verfassten Disziplin (etwas altmodisch könnte man auch von einem „Verblendungszusammenhang“ sprechen), die den historischen Wandel des Gegenstands als Erkenntnismöglichkeit definitorisch ausschließt, müssen Wirtschaftskrisen zwangsläufig dazu führen, dass die vorherrschende Realitätsbeschreibung lediglich als zu wenig adäquat hinterfragt wird. Dauert die Krise an, beginnt daher ein Prozess der Selbstüberprüfung und Selbstevaluierung, der die naturalistische Fiktion der Disziplin7 unangetastet lässt und letztlich zu einer Rückbesinnung auf ad acta gelegte Reali-tätsbeschreibungen führt, deren einst widerlegte Leitsätze die Realität plötzlich besser abzubilden scheinen als moderne Theorien. An dieser Stelle entflammte in der aktuellen Krise eine alte Liebe der Wirtschaftswissenschaften zu neuem Leben: Keynes und viele seiner Epigonen feiern erstaunliche späte Siege, wenn auch zuweilen in der engen Interpretation der 1950er-Jahre, nach der der Keynesianismus die Theorie der Depression sei, also die Wirtschaft in einer Ausnahmesituation beschreibe, während für den Normalzustand die neoklassische Interpretation die adäquate sei.8 Es wird eine kurze und heftige Affäre sein, die die gegenwärtige Wirtschaftstheorie in die Arme von Keynes und des postkeynesianischen Krisentheoretikers Hyman Minsky treibt, und danach wird sie sich – so steht nach dem folgenden, schnellen Blick auf die Debatten der Ökonomen über ihre eigenen „Krisen“ zu vermuten – in den ebenso sicheren wie langweiligen Hafen der Ehe mit Milton Friedman und Robert Lucas zurückziehen, also mit dem Monetarismus und der Kritik staatlicher wirtschaftspolitischer Intervention, bis in der nächsten Krise die unbändigen Triebe der Jugend erneut an die Oberfläche drängen.
Der Wirtschaft gelang es in der Vergangenheit nur selten, die ansonsten soliden und wenig sprunghaften Wirtschaftswissenschaften derart zu verunsichern. Das 20. Jahrhundert brachte im Grunde nur zwei ähnliche Situationen hervor: die Weltwirtschaftskrise 1929/31 sowie die Währungs- und Ölpreiskrise des Jahres 1973. Beide Krisen veränderten grundlegend die Außenwahrnehmung und das Selbstverständnis der modernen Wirtschaftswissenschaften.
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In Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre verfasste bekanntlich John Maynard Keynes sein Hauptwerk „The General Theory of Employment, Interest and Money“, das nach seinem Erscheinen Anfang 1936 zunächst die anglo-amerikanischen Wirtschaftswissenschaften revolutionierte. Häufig wird der Inhalt von Keynes’ legendärem Buch auf die antizyklische Konjunkturpolitik reduziert, die nach dem Entwurf einer neuen Wirtschaftstheorie in 22 Kapiteln als Beispiel für eine durch staatliche Investition beschleunigte Krisenüberwindung in weiteren drei Kapiteln entfaltet wird. Kern des Buches ist und bleibt aber eine allgemeine Theorie: Keynes beschrieb einen umfassenden „makroökonomischen“ Anpassungsprozess, der partielle Ungleichgewichte auf den unterschiedlichen Märkten zum Ausgleich bringt, gleichsam den Verlauf eines Dominoeffektes, der vom Arbeitsmarkt über die Gütermärkte bis zum Geld- und Kapitalmarkt wirkt, mithin alle Bereiche der Volkswirtschaft erfasst und damit auch jegliche Vorstellung einer Trennung von „realer“ Wirtschaft auf der einen Seite und „Finanzwirtschaft“ auf der anderen Seite absurd erscheinen lässt. Wenn dieser Anpassungsmechanismus in einer Wirtschaftskrise unterbrochen wird, treten Ungleichgewichte in Erscheinung (beispielsweise Arbeitslosigkeit), die mittelfristig stabil sein können. Dabei ist das Unterbrechen von Anpassungsmechanismen grundsätzlich nicht mathematisch kalkulierbar. Wenn also unternehmerische Investitionen ausbleiben (auch für Keynes ein zentrales Charakteristikum ökonomischer Krisen), so wird dies nicht unmittelbar und automatisch durch niedrige Zinssätze korrigiert. Investitionen hängen nämlich von unternehmerischen Erwartungen ab, was irrationale Aspekte einschließt. Daher seien – so schreibt Keynes – „die Nerven und die Hysterien, sogar die Verdauung und die Wetterabhängigkeit“ der Investoren zu berücksichtigen.9 Insgesamt war Keynes skeptisch, was die bereits wenige Monate nach dem Erscheinen seines Buches begonnene Übertragung seiner Gedanken in mathematische Gleichungssysteme anbelangte.10 1938 schrieb er an den befreundeten Ökonomen Roy Harrod, eine Darstellung ökonomischer Zusammenhänge in der Sprache der Physik wäre so, „als würde die Tatsache, dass der Apfel zu Boden fällt, von den Motiven des Apfels abhängen, von der Frage, ob es sich lohnt zu Boden zu fallen, von der Frage, ob der Boden das Fallen des Apfels wünscht, schließlich von irrigen Berechnungen des Apfels über seine Entfernung zum Erdmittelpunkt“.11
Dieses Moment der Zukunftsoffenheit und der Erwartungsunsicherheit, durch das ansonsten mathematisch gut abbildbare Anpassungsmechanismen zum Ausgleich partieller Marktungleichgewichte unterbrochen werden können, geriet in der Keynes-Rezeption im Verlauf der 1940er-Jahre immer mehr in Vergessenheit. Während der Erholung von der Weltwirtschaftskrise galt „der Keynesianismus“ als die maßstabgetreue Abbildung einer großen Wirtschaftsmaschine; es erschien nicht nur möglich, die produktive Wirkung staatlicher Investition theoretisch zu begründen, sondern sogar den Wachstumseffekt jeder zusätzlichen Geldeinheit staatlicher Ausgaben exakt zu bestimmen. Der bastard Keynesianism, wie die bedeutendste Keynes-Schülerin Joan Robinson diese Auslegung der „General Theory“ verächtlich nannte, bewährte sich in den stets an der Grenze zur Planwirtschaft stehenden Kriegswirtschaften und auch im globalen „Wirtschaftswunder“ der Nachkriegszeit scheinbar überall. Viele seiner Leitsätze wurden empirisch ergänzt und ökonometrisch fundiert.12 Paul A. Samuelson, der Ende 2009 verstorbene wichtigste Vertreter dieses Ansatzes, prägte in den 1950er-Jahren die Selbstbezeichnung „Neoklassische Synthese“, weil diese Spielart der mathematischen keynesianischen Makroökonomie auf einer konventionellen neoklassischen Mikroökonomie aufbaute.13 In Deutschland wurde die Rezeption der 1930er-Jahre durch die nationalsozialistische Wissenschaftspolitik und den Weltkrieg gestört.14 Dies führte aber letztlich zu einem umso umfassenderen Sieg des bastard Keynesianism bereits in der frühen Nachkriegszeit, also deutlich vor dem unter Wirtschaftsminister Karl Schiller betriebenen Experiment der „Globalsteuerung“ in der Bundesrepublik der späten 1960er-Jahre.15
Die schnelle Übernahme der mathematisierten Wirtschaftstheorie der westlichen Siegermächte des Zweiten Weltkriegs war dabei von einem epistemologischen Generationenkonflikt begleitet, in dem fast wörtlich dieselben Meinungen über die fatale Wirkung des Formalismus und der Mathematik ausgetauscht wurden, wie sie sich auch heute in der Tagespresse finden. Gerhard Weisser, ein 1898 geborener, der SPD nahestehender Volkswirt der Universität Köln, äußerte sich auf der Tagung des „Vereins für Socialpolitik“ im Jahr 1964: „Mit gewisser Sorge muß aber doch wohl gefragt werden, ob es zu einer Verarmung der Wirtschaftswissenschaft in Bezug auf bestimmte Bereiche kommt, wenn die Nachwuchsgeneration in so intensiver Weise wie heute bei der Ausbildung auf die Probleme konzentriert wird, für deren Lösung die Mathematik nützlich ist.“16 Mit dieser Aussage hätte es Weisser noch 45 Jahre später ohne weiteres in die „FAZ“-Debatte geschafft.17 Dasselbe gilt für die überwiegend jüngeren Vertreter einer verstärkten, wenn auch stets kritischen Anwendung der Mathematik, die nach ihrer Meinung allein zu einer von Klientelismus und Willkür unabhängigen Wissenschaft führen könne.18 Dabei handelte es sich keineswegs um eine isolierte Diskussion einer vermeintlich typisch deutschen, methodenschweren und letztlich ewig nörgelnden Volkswirtschaftslehre. Vielmehr wurde auch in den USA nach dem Abbau der kriegsbedingten staatlichen Wirtschaftsplanung über die „Grenzen der Mathematik“ in den Wirtschaftswissenschaften diskutiert. Die Integration der keynesianischen Makroökonomie in die „freie“ Marktwirtschaft schien diese Diskussionen freizusetzen, scheinbar als die nachträgliche methodologische Begleitmusik eines durch die Weltwirtschaftskrise ausgelösten wissenschaftlichen Paradigmenwechsels. Der Beitrag des Mitbegründers der ökonomischen Spieltheorie Oskar Morgenstern zu dieser Debatte wirkt aus heutiger Sicht regelrecht von den gegenwärtigen Einlassungen abgeschrieben: „As far as the use of mathematics in economics is concerned, there is an abundance of formulas where such are not needed. They are frequently introduced, one fears, in order to show off. The more difficult the mathematical theorem, the more esoteric the name of the mathematician quoted, the better.“19
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Das sich abzeichnende Ende des globalen „Wirtschaftswunders“ nach dem Zweiten Weltkrieg und die Gefährdung des 1944 in Bretton Woods vereinbarten Systems fester Wechselkurse durch die Dollarinflation ließen in den 1960er-Jahren die ersten Risse im Gerüst der Neoklassischen Synthese entstehen. Joan Robinson diagnostizierte schon 1972, also noch vor dem endgültigen Zusammenbruch des Systems von Bretton Woods im Frühjahr 1973 und der Ölpreiskrise im Oktober desselben Jahres, eine „zweite Krise der Wirtschaftstheorie“.20 Nun wurde erneut über Formalisierung und Mathematisierung gestritten, zumal die „monetaristische Gegenrevolution“ eine ebenso interessante wie einflussreiche Symbiose mit Karl Poppers „kritischem Rationalismus“ einging. Der wirtschaftstheoretische Paradigmenwechsel der 1970er-Jahre reagierte eben nicht nur auf die wirtschaftspolitisch induzierte Krise der Neoklassischen Synthese und die fundamentale Veränderung der Rahmenbedingungen nationaler Wirtschaftspolitik im Übergang zum System flexibler Wechselkurse, sondern war mit einem von Milton Friedman und Karl Brunner sehr bewusst initiierten wissenschaftstheoretischen Richtungswechsel verbunden, der die mit Keynes zumindest im Prinzip ins Wanken geratene naturalistische Fiktion der Wirtschaftstheorie wieder geraderückte und zementierte.21
Wird die gegenwärtige Wirtschaftskrise die geheimen Leidenschaften und Sehnsüchte der Wirtschaftswissenschaften also dauerhaft zur Entfaltung bringen, wie es kurzfristig den Anschein hatte? Oder entpuppt sich der zweite Frühling der Keynes’schen Theorie als eine kurze stürmische Affäre? Die Verleihung der Wirtschaftsnobelpreise 2009 an Elinor Ostrom und Oliver Williamson war in dieser Hinsicht fast auffallend langweilig – eine Konzession an eine weniger mathematisierte Richtung der Wirtschaftstheorie, die freilich bereits seit Jahrzehnten zum Kern der neoklassischen Mainstream-Ökonomie gehört. Die vorschnell ausgerufene „Krise der Wirtschaftswissenschaften“22 entpuppt sich in der gegenwärtigen Situation noch viel mehr als während der historischen Wirtschaftskrisen als ein Ablenkungsmanöver, ein akademischer Seitensprung ohne Folgen für die disziplinäre Selbstfindung – und damit als sehr charakteristische Krisenstrategie einer Disziplin, die permanent mit der Paradoxie konfrontiert ist, anwendungsbezogenes Wissen zu produzieren, das auch seine temporäre Nichtanwendbarkeit überleben muss. Beruhigend, dass wenigstens die Wirtschaftswissenschaften die Krise unbeschadet überstanden zu haben scheinen.
1 Lisa Nienhaus, Die Blindgänger. Warum Ökonomen auch künftige Krisen nicht erkennen werden, Frankfurt a.M. 2009.
2 Z.B. in diesem Interview: „Kreditausfälle von mehr als 3 Billionen Dollar“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.1.2009.
3 In einem Leserbrief, mit dem er auch auf einen Artikel von Lisa Nienhaus über „Die Ökonomen in der Sinnkrise“ reagierte: Hans-Werner Sinn, Lächerlich, in: Frankfurter Allgemeine Sonntags-Zeitung, 12.4.2009, S. 30. Vgl. auch die revidierte Darstellung bei Nienhaus, Blindgänger (Anm. 1), S. 40f.
4 Rettet die Wirtschaftspolitik an den Universitäten!, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.4.2009 (Aufruf von 83 Professoren der Volkswirtschaftslehre).
5 Dieter Lindenlaub, Richtungskämpfe im Verein für Socialpolitik. Wissenschaft und Sozialpolitik im Kaiserreich vornehmlich vom Beginn des „Neuen Kurses” bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1890–1914, Wiesbaden 1967.
6 Ich gebrauche den Ausdruck „moderne Wirtschaftswissenschaften“ für die in den 1930er-Jahren in England und den USA (unter maßgeblichem Einfluss europäischer Emigranten) entstandene Denkweise, die auf der „neoklassischen Wirtschaftstheorie“ aufbaut und axiomatisch ist, d.h. formale Modelle entwirft, welche mit empirischen Daten getestet werden. Vgl. hierzu Mary S. Morgan, Economics, in: Theodore Porter/Dorothy Ross (Hg.), The Cambridge History of Science, Bd. 7: The Modern Social Science, Cambridge 2003, S. 275-305; Michel Beaud/Gilles Dostaler, Economic Thought Since Keynes. A History and Dictionary of Major Economists, Aldershot 1995; Jan-Otmar Hesse, Wirtschaft als Wissenschaft. Die Volkswirtschaftslehre in der frühen Bundesrepublik, Frankfurt a.M. 2010.
7 Diese Sichtweise ist an den älteren Aufsätzen von Hans Albert orientiert. Vgl. insbes. Hans Albert, Nationalökonomie als Soziologie. Zur sozialwissenschaftlichen Integrationsproblematik [1960], in: ders. (Hg.), Marktsoziologie und Entscheidungslogik. Ökonomische Probleme in soziologischer Perspektive, Neuwied 1967, S. 470-509; sowie Urs Stäheli, Ökonomie. Die Grenzen des Ökonomischen, in: Stephan Moebius/Andreas Reckwitz (Hg.), Poststrukturalistische Sozialwissenschaften, Frankfurt a.M. 2008, S. 295-311.
8 Paul Krugman, The Return of Depression Economics and the Crisis of 2008, New York 2008.
9 John Maynard Keynes, Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes [1936]. Übersetzung von Fritz Waeger, verbessert und ergänzt von Jürgen Kromphardt und Stephanie Schneider, 11., erneut verbesserte Aufl. Berlin 2009, S. 138.
10 Vgl. zusammenfassend Harald Hagemann/Otto Steiger, Keynes’ „General Theory“ nach fünfzig Jahren, in: dies. (Hg.), Keynes’ General Theory nach fünfzig Jahren, Berlin 1988, S. 9-61.
11 Aus einem Brief John Maynard Keynes’ an Roy Harrod vom 16.7.1938; zit. nach Donald E. Moggridge, John Maynard Keynes, München 1977, S. 22.
12 Vgl. zur durchaus umstrittenen Rezeptionsgeschichte des Keynesianismus: John Edward King, A History of Post Keynesian Economics Since 1936, Aldershot 2002 (Robinson-Zitat S. 10), sowie die kritische Rezension hierzu: Paul Davidson, Setting the Record Straight on a History of Post Keynesian Economics, in: Journal of Post Keynesian Economics 26 (2003), S. 245-272.
13 Roger E. Backhouse, The Stabilization of Price Theory, 1920–1955, in: Warren J. Samuels/Jeff Biddle/John B. Davis (Hg.), A Companion to the History of Economic Thought, Oxford 2003, S. 308-324.
14 Harald Hagemann, Zur frühen Rezeption der General Theory durch deutschsprachige Wirtschaftswissenschaftler, in: ders./Gustav Horn/Hans-Jürgen Krupp (Hg.), Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht. Festschrift für Jürgen Kromphardt, Marburg 2008, S. 71-104.
15 Vgl. Hesse, Wirtschaft (Anm. 6); sowie Bertram Schefold, Wissenschaft als Gegengabe – Neugründung und Aktivitäten des Theoretischen Ausschusses im Verein für Socialpolitik von 1949–1973, in: Schmollers Jahrbuch 124 (2004), S. 579-608; Alexander Nützenadel, Die Stunde der Ökonomen. Wissenschaft, Politik und Expertenkultur in der Bundesrepublik 1949–1974, Göttingen 2005.
16 Gerhard Weisser, Das Verhältnis der Soziologie zur Wirtschaftswissenschaft, in: Ludwig Raiser/Heinz Sauermann/Erich Schneider (Hg.), Das Verhältnis von Wirtschaftswissenschaft zur Rechtswissenschaft, Soziologie und Statistik, Berlin 1964, S. 243-258, hier S. 255.
17 Vgl. z.B. die Zusammenfassung von Philip Plickert, Gefangen in der Formelwelt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5.1.2009.
18 Pars pro toto der 1916 geborene, neben Erich Schneider wohl wichtigste westdeutsche Nachkriegsökonom Wilhelm Krelle, Mathematik in der Nationalökonomie. Zu dem Buch von Heinz B. Brand, in: Ordo. Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft 12 (1960/61), S. 349-353.
19 Oskar Morgenstern, Limits of the Use of Mathematics in Economics, in: James C. Charlesworth (Hg.), Mathematics and the Social Science. The Utility and Inutility of Mathematics in the Study of Economics, Political Sciences and Sociology, Philadelphia 1963, S. 12-29, hier S. 18.
20 Joan Robinson, The Second Crisis of Economic Theory, in: American Economic Review 62 (1972), S. 1-10.
21 Hierzu ausführlicher: Hauke Janssen, Milton Friedman und die „monetaristische Revolution“ in Deutschland, Marburg 2006, S. 80f., S. 102ff.
22 Vgl. hierzu auch Gebhard Kirchgässner, Die Krise der Wirtschaft: Auch eine Krise der Wirtschaftswissenschaften?, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik 14 (2009), S. 439-468, der eine grundsätzliche Krise der Wirtschaftswissenschaften ebenfalls verneint.