»Ich war gerne hier«

Ein Streifzug durch Ausstellungen über den Staatssozialismus: Leipzig, Berlin, Warschau, Prag


  1. Gerettet und sortiert
  2. Im Urlaub besucht: Kontext Tourismus
  3. Assoziationsangebote
  4. Ironisch-konservativ?

Anmerkungen

Einer der kühleren Sommertage im August. Durch eine kleine Passage erreiche ich Steibs Hof, wo früher mit Pelzen gehandelt wurde und heute das N’Ostalgie-Museum Leipzig seine Ausstellung zur »Alltagskultur der DDR« präsentiert. Am Eingangs­tresen, der zugleich als Bar des integrierten Cafés mit dem Namen »1:33« fungiert, begrüßt mich ein Mann: »Guten Tag. Wollen Sie Ihre Erinnerung auffrischen?« Noch bevor ich mein Ticket bezahlt habe, stellt er mir den »jungen Mann« vor, der all die hier präsentierten Objekte zusammengetragen habe. Das Porträt, auf das er weist, zeigt einen älteren Herrn in der Tür eines knallroten Wartburg 311. »In liebevoller Erinnerung« steht darüber, und unter der Fotografie: »Horst Häger. Geb. 24.11.1937, gest. 12.07.2011. Gründete 1999 das N’Ostalgie-Museum und hat über die Zeit bis 2011 alle ausgestellten Exponate zusammengetragen.« Wie ich erfahre, hat eine Enkelin Hägers das Museum 2016 aus Brandenburg an der Havel nach Leipzig überführt. Mit den Worten »Damit Sie wissen, wer Sie heute Abend ins Bett geleitet« überreicht mir der Mann an der Kasse meine Eintrittskarte, auf der das Sandmännchen abgebildet ist, und entlässt mich in die kleine Ausstellung. An diesem Vormittag bin ich die erste Besucherin, doch noch während ich die Objekte im Eingangsbereich betrachte, kommen weitere Gäste. Wie ich werden sie mit der Frage begrüßt, ob sie ihre Erinnerungen »auffrischen« wollen, was jeweils kurze Irritation auslöst. Fast rechtfertigend klingen die Antworten der beiden Paare: »Wir wollen gern das Museum besuchen« und »Wir würden uns gern umschauen«.

Blick in die Ausstellung des N’Ostalgie-Museums Leipzig (Foto: Sabine Stach)
Blick in die Ausstellung des N’Ostalgie-Museums Leipzig
(Foto: Sabine Stach)

Für das Personal des Museums steht offenbar außer Frage, dass es den Besu­cher*innen nicht um Horizonterweiterung oder historische Bildung geht, sondern um Sehnsüchte nach dem Vergangenen. Weniger eindeutig ist jedoch, wessen Erinnerungen eigentlich »aufgefrischt« werden sollen – nur derjenigen, die all die hier versammelten Haushaltsgegenstände, Möbel, Kosmetika, Bücher, Schallplatten, Plakate oder Fahrzeuge noch aus eigener Anschauung kennen, die wissen, was ein VEB war und dass der Café-Name »1:33« auf das Kraftstoff-Öl-Gemisch für Zweitaktmotoren anspielt? Was bietet die Ausstellung dann aber jenen, die dafür zu spät oder auf der falschen Seite des Eisernen Vorhangs geboren wurden? Ist es der Reiz des Fremden, vielleicht Exotischen, der sie lockt? Oder die Suche nach dem Eigenen im Fremden? Welche Erinnerungen – wenn überhaupt – werden hier also anhand materieller Hinterlassenschaften und im Fahrwasser eines allgemeinen Retro-Booms geweckt? Kurz: Inwiefern sind Ausstellungen wie diese »nostalgisch«? Und wie berechtigt ist bei alldem die häufig geäußerte Sorge, hier werde eine Diktatur verharmlost?

Um solche Fragen kreist der folgende Streifzug durch verschiedene »Museen«, die als privatwirtschaftliche Unternehmen ohne Förderung durch die öffentliche Hand das Leben im Staatssozialismus präsentieren.1 Die Rundreise führt zum DDR-Museum in Berlin, zum Muzeum Życia w PRL (Museum des Lebens in der Volksrepublik) in Warschau und zum Museum of Communism in Prag. Außerdem werfen wir einen Blick in zwei kleinere Museen in ehemaligen Prager Bunkern, die zwar nicht explizit den Alltag in der Tschechoslowakei thematisieren, aber doch einiges mit Horst Hägers Sammlung in Leipzig gemeinsam haben. Unter dem Hotel Jalta am Prager Wenzelsplatz befindet sich das Muzeum studené války (Museum des Kalten Krieges), und in einem Park im Stadtteil Žižkov kann im Rahmen von Führungen die Nuclear Bunker Exposition im Bezovka-Bunker besichtigt werden.2

Der Werbetrailer des Berliner DDR-Museums von 2019 zeigt,
wie Besucher*innen die Ausstellung bestaunen und im Wortsinn »begreifen« sollen.

Allen genannten Museen gemeinsam ist ihr Fokus auf das materielle Erbe der Zeit zwischen Zweitem Weltkrieg und Ende der Blockkonfrontation. Das Spektrum reicht von Objekten des alltäglichen Lebens bis hin zu kommunistischen Insignien und Überwachungstechnik. Die Ausstellungsdesigns und der Grad der narrativen Rahmung könnten unterschiedlicher kaum sein: vom hellen, mit vielen multimedialen Angeboten ausgestatteten DDR-Museum in Berlin bis hin zu den scheinbar wahllos auf Regalen ausgebreiteten Schätzen eines privaten Sammlers im Prager Untergrund. Vergleichbar sind die Ausstellungen dennoch. Als »kleine private Nationalmuseen«3 setzen sie jeweils untergegangene Staaten in Szene. Zugleich präsentieren sie eine vergangene mediale Ära und referieren damit auf den transkulturell erfahrenen Bruch eines beschleunigten technischen Wandels: Röhrenradios und Telefone mit Wählscheibe, Plattenspieler und Schwarz-Weiß-Fernseher, Funk- und Morsegeräte erscheinen allesamt als Relikte einer vordigitalen Zeit und in ihrer Obsoleszenz beinahe rührend.

Tonbandgeräte, Kassettenrekorder und andere Audiotechnik im Warschauer Museum des Lebens in der Volksrepublik (Foto: Sabine Stach)
Tonbandgeräte, Kassettenrekorder und andere Audiotechnik
im Warschauer Museum des Lebens in der Volksrepublik
(Foto: Sabine Stach)

Die Rolle zeithistorischer Museen wird in der öffentlichen Debatte fast ausschließlich im Spannungsfeld zwischen Geschichtswissenschaft, nationaler Erinnerung und Gedenken situiert. Dies gilt für den deutschen Fall in besonderem Maße, wo die Diskussion um eine Musealisierung der DDR-Geschichte 2006 ihren Höhepunkt erreichte.4 Die eigens mit Fragen der »Aufarbeitung« und Vermittlung betraute Expertenkommission hatte damals eine stärkere Berücksichtigung des Alltags gefordert, während der Bundestag in seiner Gedenkstättenkonzeption dazu aufrief, das alltägliche Leben »notwendigerweise im Kontext der Diktatur« darzustellen, um so »einer Verklärung und Verharmlosung der SED-Diktatur und jeder ›Ostalgie‹ entschieden entgegenzuwirken«.5 Der warnende Ruf, museale Objekte nie ohne Verweis auf das Repressionssystem zu präsentieren, ist bis heute unangefochtener Referenzpunkt der Reflexion zeithistorischer Ausstellungen zum Staatssozialismus.6 Wer Kinderkrippen zeigt, soll auch Stasi ausstellen, könnte man überspitzt formulieren.

Wenngleich sich auch heute noch die grundsätzliche Frage stellt, ob eine derartige Verknüpfung die Debatte voranbringt, soll es hier nicht darum gehen, zu entscheiden, inwiefern bestimmte Präsentationen des Staatssozialismus »angemessen« sind. Meine teilnehmenden Beobachtungen zielen stattdessen auf die unterhaltende Funktion der Ausstellungen ab. Indem mein Beitrag die Lücke fokussiert, in die solche privatwirtschaftlichen Museen offenbar stoßen, rückt er eine Zielgruppe in den Blick, die trotz ihrer Relevanz oft außen vor bleibt – nämlich Tourist*innen. Denn das Gros des Publikums besucht die genannten Einrichtungen nicht in einem Bildungs-, sondern in einem Urlaubskontext. Weder Einheimische noch Schulklassen sind die Hauptrezi­pient*innen der genannten Museen, sondern Reisende aus dem In- und Ausland. Vom Thema Kommunismus scheint dabei eine besondere Anziehungskraft auszugehen: So vermeldete das DDR-Museum 2020 stolz, laut einer Umfrage der Deutschen Zentrale für Tourismus die beliebteste Attraktion ganz Berlins zu sein (unter den 100 beliebtesten Reisezielen internationaler Gäste in Deutschland).7 Auch das Prager Museum of Communism gehört zu den meistbesuchten Museen seiner Stadt.8 Dass beide Museen hohe Eintrittspreise verlangen, ist offenbar kein Hindernis.9

Nicht »Museum or Tourist Attraction?«10 lautet die Frage also, sondern »Museum as Tourist Attraction?«. Eine solche Perspektivverschiebung negiert nicht die Tatsache, dass Museen Geschichte vermitteln. Mich interessiert hier jedoch weniger, inwiefern sich der Diktaturcharakter im Ausstellungsdesign widerspiegelt, als vielmehr, welche Bedeutung ihm in der konkreten Praxis eines Museumsbesuchs zukommt. Was tun Besucher*innen eigentlich in den Ausstellungen, was interessiert und fasziniert sie? Abschließende Antworten darauf wird dieser Beitrag nicht liefern. Mein Streifzug bestärkt mich jedoch im Eindruck, dass objektbasierte Ausstellungen wie die hier besuchten in erster Linie als Assoziationsangebote fungieren, die auch für jene Menschen individuelle Anknüpfungspunkte bieten, die keine eigenen Erinnerungen an die museal inszenierte Welt mitbringen. Denn auch sie deuten das Gesehene mit Blick auf die eigene Biographie und früheren Medienkonsum.

1. Gerettet und sortiert

Keines der Museen präsentiert ausschließlich Alltagsobjekte. Neben Einrichtungsgegenständen, Haushaltsgeräten, Konsumprodukten, Unterhaltungsmedien und Technik sind – in ganz unterschiedlichem Ausmaß – auch solche Objekte zu sehen, die mit Staatsgewalt und Diktatur verbunden sind: Polizeiuniformen und Schlagstöcke, Verhörräume und ideologische Handreichungen. Sowohl im Warschauer als auch im Prager und im Berliner Museum sind sämtliche Objekte verschiedenen Themenbereichen zugeordnet, darunter Kultur, Industrie, Verkehr, Kindergarten, Urlaub, Sport, aber auch Kirche, Opposition, Stasi, Obrigkeit. Das Prager Museum of Communism gliedert seine Ausstellung in die drei Bereiche »Traum«, »Realität« und »Albtraum«; es verspricht, eine große Bandbreite von »Aspekten des Lebens in der kommunistischen Tschechoslowakei« abzudecken.11

Restaurierte Funktechnik im Prager Museum des Kalten Krieges im Bunker unter dem Hotel Jalta (Foto: Sabine Stach)
Restaurierte Funktechnik im Prager Museum des Kalten Krieges
im Bunker unter dem Hotel Jalta
(Foto: Sabine Stach)

Wenngleich ihr Fokus auf Militär, Polizei und Zivilschutz liegt, weisen auch die Bunkermuseen eine rudimentäre thematische Gliederung auf. So sind in dem kleinen, ursprünglich für die Partei- und Staatsführung bestimmten Schutzbunker im Prager Hotel Jalta heute nicht nur technisches Bunker-Equipment sowie militärische bzw. polizeiliche Ausrüstung zu sehen. Es gibt auch einen Raum mit medizinischem Gerät und eine Sektion zur Grenzpolizei, in der ein offener Koffer Geld, Ausweis, Toilettenpapier, Reiseliteratur und Schmuggelware zeigt. Dasselbe gilt für die Bunkerausstellung in Žižkov: In teils skurrilen Arrangements werden hier Gegenstände des Alltags – Kinderspielzeug, Wecker, Kaffeedosen – mit Militaria und Zivilschutzausrüstung kombiniert. Wieder anders ist die Mischung der Objekte in Leipzig: Das eher auf Konsumartikel fokussierte N’Ostalgie-Museum versammelt in einem Raum Uniformen der Polizei und NVA, außerdem Orden und Auszeichnungen. Dass dieser Aspekt eher eine Art Pflichtübung darstellt, erfährt man in einem Museumsführer: »Weniger gut als die Ausstellungsstücke aus Haushalt und Leben gefällt den Hägers der Raum mit Uniformen und Orden der DDR-Regierung. Aber auch das gehört zur Geschichte.«12

Während das DDR-Museum in Berlin ebenso wie die Kommunismus-Museen in Prag und Warschau durchaus eine an historisch-wissenschaftlichen Kriterien angelehnte Kategorisierung ihrer Ausstellungsobjekte vornehmen, sind die Bunkermuseen und auch die Leipziger Ausstellung eher Demonstrationen einer privaten »Sammelwut«. Sie kommen allesamt ohne Beschriftungen der Objekte, ohne Medienstationen und weiterführende Informationen aus und leben von der Faszination analoger Arrangements.13 Das Design der Ausstellungen folgt, wie in anderen »Amateur­museen«,14 assoziativ-ästhetischen Gestaltungsprinzipien. Sowohl Horst Häger als auch die Betreiber der Bunkermuseen waren lange Zeit Sammler, bevor sie zu Kuratoren wurden. Sie wollten das retten, was in den 1990er-Jahren zunehmend entwertet, aussortiert und weggeworfen wurde: Während Häger sich dabei auf Konsumartikel konzentrierte, widmet sich der Prager Verein Československé ozbrojené složky (Tschechoslowakische Bewaffnete Kräfte), der seine Schätze im Atombunker des Hotels ausstellt, seit 2013 vor allem der Sammlung und Instandhaltung technischer Geräte.15 Anders zeigt sich der Umgang mit Objekten im Falle Ivan Galíks, Tour Operator und Betreiber des Bunkers Bezovka, wo hunderte Gasmasken, Orden, Funkgeräte und andere Gerätschaften präsentiert werden. Die hier versammelte, weder reparierte noch gepflegte Technik scheint direkt vom Flohmarkt zu stammen.

So unterschiedlich die Museen meiner Rundreise sind, vereint sie die Ästhetik des Warenlagers und die Liebe zu inszenierten Objektarrangements. Im Falle der DDR-Museen überwiegt das Prinzip »Grabbelkiste«.16 Selbst wenn es Vitrinen gibt, werden die Objekte in der Regel nicht nach Herkunft, Alter oder ihrer symbolischen Bedeutung sortiert, sondern nach ihrer Funktion oder nach optischen Ähnlichkeiten: Neben den Schallplattenspielern und Tonbandgeräten finden sich Tonbänder und Platten, neben den Praktika-Kameras und dem Orwo-Fotopapier stehen Diaprojektoren und Filmrollen. Von den an einer Wand drapierten kunterbunten Fönen geht es weiter zu Kosmetika, von den Plakaten zu den Schreibwaren usw. Auf die Spitze treibt dieses Prinzip das N’Ostalgie-Museum, das in weiten Strecken wie ein Kaufhaus wirkt, oder besser vielleicht wie ein Secondhandladen.

Babymilch und Kinderseife: Objektpräsentation im N’Ostalgie-Museum Leipzig
(Foto: Sabine Stach)
Das Warschauer Museumscafé ist mit originalen Einrichtungsgegenständen der sozialistischen Zeit möbliert. (Foto: Sabine Stach)
Das Warschauer Museumscafé ist mit originalen
Einrichtungsgegenständen der sozialistischen Zeit möbliert.
(Foto: Sabine Stach)

In einigen Ausstellungen dürfen die Objekte auch berührt oder betreten werden. Insbesondere gilt dies für Installationen wie »typische Wohnzimmer« oder »Kaufhallen«. So besitzt etwa das DDR-Museum einen eigenen Wohnungstrakt und das Warschauer Museum ein Café, das mit seinem Mix aus originaler Gastronomie-Einrichtung als Retro-Bar daherkommt. Die weniger auf den Alltag fokussierten Museen treiben die Inszenierung noch weiter. So sind in den Bunkern keine Wohnungen nachgebildet, sondern Polizeiwachen, Verhörräume und Szenen, die den Grenzübertritt oder die Nutzung einer Dekontaminationsdusche mit lebensgroßen Schaufensterpuppen in teils absurden Posen und Kombinationen nachstellen: Da schrubben zwei Figuren in Schutzanzügen eine nackte Person mit Besen, eine andere sitzt uniformiert inmitten desolater Funktechnik, eine weitere trägt über der Gasmaske eine Weihnachtsmann-Mütze17 – schaufensterartige Arrangements, die ein wenig an die Tradition musealer Dioramen erinnern.

Arrangement mit Schaufensterpuppen in der Nuclear Bunker Exposition in Prag-Žižkov (Bezovka-Bunker) (Foto: Sabine Stach)
Arrangement mit Schaufensterpuppen in der
Nuclear Bunker Exposition in Prag-Žižkov (Bezovka-Bunker)
(Foto: Sabine Stach)

2. Im Urlaub besucht: Kontext Tourismus

Das Warschauer Museum des Lebens in der Volksrepublik, das erst 2019 von einem ehemaligen Fabrikgelände rechts der Weichsel an den zentralen Verfassungsplatz umgezogen ist, war ursprünglich nur im Rahmen touristischer Communism Tours zugänglich, die das Unternehmen Adventure Warsaw anbietet. Fokussierten die Touren selbst eher das Bauerbe der Stadt, sollte das Museum in der Stadttopographie schwer zu verankernde Informationen über den Alltag, aber auch über Opposition und Repression nachliefern. Erst später etablierte das Museum reguläre Öffnungszeiten für Besucher*innen. Auch das DDR-Museum entstammt der Legende nach einem genuin touristischen Kontext: Weil der Freiburger Berlin-Tourist Peter Kenzelmann bei einer Reise in die Hauptstadt zu seiner Enttäuschung kein solches Museum vorfand, habe er kurzerhand einen Sammelaufruf gestartet und 2006 selbst das fehlende Museum gegründet.18

Anders als dies im Falle der vielen kleinen DDR-Museen sein mag,19 sind die Besucher*innen der hier beschriebenen Ausstellungen in der deutlichen Mehrzahl Ortsfremde. Während das Leipziger und das Berliner Museum ganz dezidiert auch ehemalige DDR-Bürger*innen ansprechen, visieren die anderen Ausstellungen in erster Linie Ausländer*innen an. Besonders gilt dies für das Museum of Communism im von Tourist*innen überlaufenen Prager Zentrum. Hier äußert sich die Zielgruppensegmentierung in einer starken Distinktion seitens der Tschech*innen: Spricht man Prager*innen auf das von einem Amerikaner betriebene Museum an, hört man die achselzuckende, manchmal naserümpfende Auskunft, dass dies ein Museum für Ausländer*innen sei. Ein Blick auf das Ausstellungsdesign bestätigt diesen Eindruck: Die tschechische Beschriftung ist der englischen untergeordnet.

Die Erwartungshaltungen und Besuchsmotivationen der Gäste sind freilich so divers wie ihre individuellen Reiserouten und -arten. Individualtourist*innen sind ebenso dabei wie Geschäftsreisende, Reisegruppen und Klassenfahrten. Für einige ist der Museumsbesuch Teil der Reiseplanung im Vorfeld, für andere ergibt er sich aus der spontanen Urlaubsgestaltung vor Ort. Vor allem in Prag spielt hierbei die erwähnte Verquickung mit der Stadtführungsszene eine wichtige Rolle: Während die Bunkermuseen nur im Rahmen von Führungen zugänglich sind, erhält man in einigen auf Zeitgeschichte fokussierten Guided Tours einen Gutschein für das Museum of Communism. Ein Blick auf TripAdvisor und Blogs lässt darüber hinaus erahnen, wie viele Gäste aus einer spontanen Laune heraus, ja zufällig ins Museum gelangen. »What to do in Berlin on a rainy day?«, fragt etwa ein britischer Blog und gibt die Antwort postwendend: »There are 180 museums in Berlin and on average 106 rainy days per year. In other words, with more museums than rainy days, there’s no excuse to be bored when it’s pouring outside! Berlin is so rich in history and culture that museum hopping is the perfect thing to do when it’s raining.«20 Dass auch das DDR-Museum Teil des touristischen »Museum Hopping«, ja sogar ein äußerst beliebter Platz im Trockenen ist, liegt nicht zuletzt an seinem zentralen Standort.21

Auch wenn öffentlich geförderte Einrichtungen keineswegs frei von marktökonomischen Logiken betrieben werden, richten sich die privat betriebenen Museen ungleich stärker an den Bedürfnissen der zahlenden Kundschaft aus. Die Konkurrenzsituation, in der sie sich befinden, ist damit ebenfalls eine andere. Einerseits müssen sie sich mit ähnlichen Museen weltweit vergleichen lassen, andererseits mit den lokalen Touristenattraktionen messen: Wer das Museum of Communism in Prag besucht, war vorher vielleicht im Terror Háza in Budapest oder im lettischen Okkupationsmuseum in Riga. Wer sich für das Prager Museum des Kalten Krieges interessiert, geht später vielleicht ins dort beworbene Museum of Torture Instruments.22 In welcher Gesellschaft das Leipziger N’Ostalgie-Museum sich selbst verortet, wird deutlich, wenn man das anstelle eines Museumsführers am Eingang ausliegende Büchlein erwirbt. Es trägt den Titel »Wenn die Milbe auf den Käse kotzt. Die 33 verblüffendsten Museen Deutschlands«23 und versammelt neben der Leipziger Ausstellung Orte wie das Milbenkäsemuseum in Würchwitz, das Gießkannenmuseum in Gießen oder das Mausefallenmuseum in Güntersberge. Eine solche Einbettung aus Konsument*innensicht lässt erahnen: Der Reiz des Fremden, der dem untergegangenen Staatssozialismus innewohnt, ist für die hier angesprochene Zielgruppe kaum anders als derjenige des Mittelalters. Mit Blick auf die Tourismus-Industrie gilt es deshalb, die Anziehungskraft der genannten Ausstellungen mit der Attraktivität anderer Orte zu kontextualisieren, darunter Folterkammermuseen und Wachsfigurenkabinette.

3. Assoziationsangebote

Dass der Vergleich mit Wachsfigurenkabinetten gar nicht so abwegig ist, zeigt ein Blick auf die Praxis des Fotografierens in den Museen. Eine Fotoerlaubnis wie in manch klassischem Museum ist nirgends nötig. Im Gegenteil scheint vieles als Fotokulisse arrangiert zu sein: Die nachgestellten Wohn- und Bunkerräume, Läden, Kindergärten und Bars, die zum Teil mit Tableaus aus Schaufensterpuppen – etwa als Verkäuferinnen mit Kittelschützen – versehen sind, erhöhen die »Instagramability« der Ausstellungen; ebenso die Fahrzeuge, in die Besucher*innen selbst einsteigen können, die Lenin-Büsten und Honecker-Porträts, vor denen man sich ablichten kann. Der Prager Betreiber des Museum of Communism hat eigens eine Selfie-Kulisse mit Stalin, Lenin und rotem Stern eingerichtet.

Eingebunden sind diese Fotoshootings in Kommunikation. Die wenigsten Besu­cher*innen bummeln allein durch die Ausstellungen. Paare und kleinere Grüppchen lassen sich von Objekt zu Objekt treiben, weisen sich gegenseitig auf Bekanntes oder Ungewöhnliches hin. Da ist zum Beispiel die offenbar ostdeutsche Frau im DDR-Museum, die ihrem Partner auf Englisch erklärt, wie sie ihre Kindergartenzeit in der DDR empfand. Oder die polnische Mutter im Warschauer Museum, die für ihre etwa 13-jährige Tochter sämtliche Kosmetika an einer Wand kommentiert: »Das kenne ich, und das kenne ich, und das, und das und das. […] Das auch. Und das. Und das.« Die Tochter zeigt auf eine Seife und fragt, ob das nicht die ist, die auch Oma immer benutzt hat. Lachend gehen sie weiter, besteigen einen Polski-Fiat und eine Telefonzelle, deren Funktion der Tochter nicht sofort klar ist. Auch die Gesprächsfetzen, die mir in Leipzig zufliegen, sind ganz ähnlich: »Das hatten wir doch mal Opa geschenkt!«, »Auf so einem Moped hab ich das Fahren gelernt.«

Diese Funktion eines Gesprächstriggers zwischen den und innerhalb der Generationen ähnelt der Situation in Heimat- und Freilichtmuseen. Anders als Stefan Wolle es sich für das von ihm mitverantwortete DDR-Museum wünscht, bleibt die Kommunikation dabei allerdings meist auf einen Austausch unter Bekannten bzw. Verwandten begrenzt.24 Keineswegs beschränkt sie sich aber auf Besucher*innen mit eigener Sozialismus-Erinnerung. Dies jedenfalls legt weiteres Lauschen hier und da nahe: Die FKK-Sektion des DDR-Museums, die durch ihre Größe fast den Eindruck erweckt, es habe im ostdeutschen Staat keine andere Form des Urlaubs gegeben, löst ein Gespräch über die zyklische Wiederkehr bestimmter Reform- und Alternativbewegungen aus: »It’s funny. It’s coming back these days«, sagt ein älterer Mann zu seiner jüngeren Begleiterin. Zwei Jugendliche – der eine mit Armeemütze, der andere mit Chapka bekleidet – amüsieren sich in derselben Sektion. Ohne die Ausführungen über die Freikörperkultur als Massenbewegung zur Kenntnis zu nehmen, die daneben zu lesen sind, betrachten sie die zahlreichen Fotos von fröhlich nacktbadenden DDR-Bürger*innen, die durchaus als Ausdruck des Klischees vom »Edlen Wilden« gelesen werden könnten. »Im Osten gab’s keine Hosen«, kommentiert einer der beiden. Ob er damit die exotisierende Darstellungsweise übernimmt oder vielmehr durch eine eigene ironische Reaktion infrage stellt, bleibt offen.

Interaktion in und mit der Ausstellung: Mutter und Tochter im Warschauer Museum des Lebens in der Volksrepublik (Foto: Sabine Stach)
Interaktion in und mit der Ausstellung:
Mutter und Tochter im Warschauer Museum des Lebens in der Volksrepublik
(Foto: Sabine Stach)
Ein Besucher des Berliner DDR-Museums übt sich an der Schreibmaschine. (Foto: Sabine Stach)
Ein Besucher des Berliner DDR-Museums übt sich an der Schreibmaschine.
(Foto: Sabine Stach)
Nachgestellte Grenzkontrolle im Bunker des Hotels Jalta am Prager Wenzelsplatz (Foto: Sabine Stach)
Nachgestellte Grenzkontrolle im Bunker des Hotels Jalta am Prager Wenzelsplatz
(Foto: Sabine Stach)

In jedem Fall wird deutlich, dass sowohl Originalobjekte als auch Bilder relativ unabhängig von ihrer kuratorischen Kontextualisierung zum Ausgangspunkt ganz unterschiedlicher Assoziationen werden können. Hier ließe sich auf Roland Barthesʼ theoretische Unterscheidung zweier prinzipiell differenter Rezeptionsmodi beim Betrachten von Fotografien zurückgreifen: Mit »Studium« bezeichnet er den sprachlich artikulierten Versuch, ein Bild zu dekodieren, mit »Punctum« dagegen den Effekt eines kleinen Details, die Aufmerksamkeit des Betrachters zu fesseln, ihn emotional anzusprechen.25 Einzelne Objekte, Bildfragmente oder andere Elemente einer Ausstellung, so könnte man mit Blick auf nostalgisch-emotionale Aneignungen formulieren, können zu einem solchen Punctum werden. Gesteht man Ausstellungsobjekten einen derartigen Eigenwert als Assoziationsanker zu, rückt die Zufälligkeit und das Unkontrollierte jeder (nicht nur touristischen) Schaulust in den Blick.26

Dieselben Objekte können dabei zu ganz unterschiedlichen Erinnerungstriggern werden, wie ein Beispiel aus einem Prager Bunker illustriert: Nachdem der Guide von Polizeigewalt, Grenzschutz und Armee berichtet und den Besucher*innen Zeit gelassen hat, die Uniformen, Orden, Plakate, Bücher und Büsten in den Regalen zu studieren, führt er uns ans Ende des Bunkers. In einem Spind sind Gewehre, Gasmasken und sogar Handgranaten gelagert, mit denen man sich nun fotografieren darf. Ungeachtet der Zurückhaltung der anderen ergreift eine Amerikanerin um die 50 Jahre das angebotene Gewehr mit den Worten »I love guns!« und beginnt, es sachkundig zu untersuchen. Die Touristin bringt nicht nur ihre Affinität für Waffen zum Ausdruck, sie verknüpft auch das konkrete Gewehr, das einst Angehörige von Polizei oder Bürgermiliz in der Tschechoslowakei trugen, mit ihrer ganz persönlichen Biographie. Zumindest macht sie es bewusst zum Teil ihrer Urlaubserinnerungen. Die nur wenige Minuten früher vom Guide präsentierten Erzählungen über die Opfer der militärischen Intervention von 1968 und über die gewaltsame Niederschlagung von Demonstrationen im Vorfeld der Samtenen Revolution sind für sie offenbar Teil einer völlig anderen Geschichte.

Die assoziative Wirkung bezieht sich also keineswegs immer auf Erinnerungen, die an das konkrete Objekt gebunden sind. Produkte aus der staatssozialistischen Mangelwirtschaft ebenso wie militärisches Gerät können auch bei Betrachter*innen individuelle Erinnerungen wecken, die keinerlei persönlichen Bezug zu diesen spezifischen Gegenständen haben. Eine solche assoziative Aneignung ist offenbar gewollt – und dies, obwohl sie in einigen Fällen augenscheinlich mit der vom Museum intendierten Sinngebung kollidiert. Denn selbst wenn, wie in Warschau, relativ sachliche Informationen geliefert werden, studiert wohl kaum ein*e Besucher*in sämtliche Texte. Im Berliner DDR-Museum wiederum, das laut Stefan Wolle bewusst »assoziativ, auch aphoristisch« sein will,27 stellt sich die Frage, von wem die Gedankenverknüpfungen der Ausstellungsautor*innen überhaupt entschlüsselt werden können.

So sind die meisten Texte im DDR-Museum gespickt mit Anspielungen, ironischen Statements und rhetorischen Fragen, die erstaunlich inhaltsleer daherkommen. Über das Thema »Liebe, Sex und Sozialismus« erfährt man etwa: »Auch in der DDR war das Schlafzimmer der Bereich des Privaten. Die kleinen und großen Geheimnisse des Ehelebens waren den Blicken der Kinder, der Besucher und der Öffentlichkeit entzogen. Doch die Wissenschaft hat inzwischen bestätigt, was schon immer gemunkelt wurde: Im Bett war mehr los als im Westen…« Der Erkenntnisgewinn dieser Sätze ist äußerst gering: Weder lernt man etwas über die Spezifik von Privatheit oder Sexualität in der DDR noch darüber, wer oder was sich hinter »der Wissenschaft« verbirgt.

4. Ironisch-konservativ?

Noch kryptischer wird es im DDR-Museum beim Thema Wirtschaft, wo keine Einführung in das Prinzip der Planwirtschaft gegeben wird, sondern ein spöttischer Kommentar unter dem Titel »Falscher Plan« zu lesen ist: »Die Ökonomen in der DDR waren dazu verdonnert, Hexenmeister zu spielen. Wie Alchimisten an mittelalterlichen Fürstenhöfen experimentierten sie in ihren Kellern, um minderwertiges Metall in Gold zu verwandeln. Manchem schwante wohl, dass all die Mühen vergeblich sein könnten, weil die Grundannahme falsch war. Doch davon wollten die sozialistischen Fürsten wie ihre feudalen Vorgänger nichts hören. So wurden immer neue Mixturen probiert. Doch der Stein der Weisen, die geforderte ›Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik‹, ließ sich nicht finden.«

Es bedarf wohl keiner ausgefeilten Rezeptionsforschung, um zu erahnen, dass »Erläuterungen« wie diese nicht der Vermittlung historischen Detailwissens dienen. Stattdessen macht der Text, der mit Hayden White als Emplotment in Form einer Komödie analysiert werden könnte,28 die Idee und Durchführung einer zentral gelenkten Wirtschaft lächerlich. Hier passiert mit verbalen Mitteln, was mittels lustiger Objektkombinationen an anderen Stellen visuell transportiert wird. Der Schritt zu skurrilen Ensembles aus Zivilschutzgerät und ausrangierten Telefonen wie im Prager Bunker ist nur noch ein kleiner. Die Texte in Berlin karikieren die Kommunisten ebenso, wie es eine unkommentierte Wand aus hunderten dunkelgrünen Gasmasken mit porösen Gummirüsseln im Prager Untergrund tut. Hier soll ganz offensichtlich gemeinsam gestaunt und vor allem gelacht werden – über die Kommunisten, ihre Ideen, ihre Naivität.

Wandgestaltung aus Gasmasken im Prager Bezovka-Bunker (Foto: Sabine Stach)
Wandgestaltung aus Gasmasken im Prager Bezovka-Bunker
(Foto: Sabine Stach)

Es ist das in Spott und Ironie mitschwingende Ungesagte, das die Darstellungen anschlussfähig für unterschiedliche Erinnerungen an den Staatssozialismus (und anderes) werden lässt. Diejenigen, die mit der Propaganda des Westens aufgewachsen sind, finden ein bekanntes, schwarz-weißes Weltbild wieder. Diejenigen, die mit der Propaganda des Ostens großgeworden sind, können sich an den im Spätsozialismus blühenden Humor des Absurden erinnern oder ihren eigenen Umgang mit dem Regime als dauerhafte Bewährungsprobe inmitten eines zunehmend lächerlichen Systems umdeuten.29 Sollte hier also Nostalgie im Spiel sein, ist es nicht so sehr eine Sehnsucht nach dem untergegangenen Regime, sondern vielmehr nach dem klaren Feindbild, dem man – zumindest im Kleinen – widerstand.30 Problematisch ist diese Erzählweise nicht deshalb, weil hier die Diktatur verklärt würde, sondern weil die fehlende Benennung von Akteur*innen dem historischen Subjekt jegliche Entscheidungsfähigkeit und damit Verantwortung abspricht. Die einzigen, die in einer solchen – durchaus ideologischen – Erzählweise kaum auf ihre Kosten kommen, sind diejenigen, die sich tatsächlich für das Potential einer linken Gesellschaftsutopie interessieren.

Diese Offenheit ist kein Rezeptionsunfall, sondern eine bewusste Entscheidung der Initiator*innen, die sich des potentiellen Verklärungsverdachts nur allzu bewusst sind. Im Warschauer Museumscafé sprach ich mit dem Gründer des Museums, der großen Wert auf eine multiperspektivische Darstellung legt, um jeden Vorwurf einer Idealisierung auszuhebeln: »People that [sic] didn’t join our tour or visit our museum think we are […] promoting communism or something like this. […] But we do not promote. […] [It] is not true. We are against. Completely.«31 Vielleicht, um wirklich über jeden Verdacht linker Propaganda erhaben zu sein, änderte das Museum im Kontext seines Umzuges ins Stadtinnere seinen Namen von Czar PRL (Der Zauber der Volksrepublik) in die neutralere Bezeichnung Muzeum Życia w PRL (Museum des Lebens in der Volksrepublik).

Auch das Prager Museum of Communism bietet trotz seines schlechten Rufs bei den Einheimischen einen durchaus vielseitigen Blick auf politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Aspekte der staatssozialistischen Tschechoslowakei. Von einer Verklärung des damaligen Lebens ist das Museum weit entfernt – freilich auch von einer nüchternen Präsentation. Es steht dazu, eine teleologische Geschichte aus US-amerikanischer Sicht zu erzählen, die im Sieg von Demokratie und Marktwirtschaft kulminiert. Auf seiner Website wirbt es mit einem »suggestiven Blick«32 auf verschiedene Aspekte des Lebens in der Tschechoslowakei und spielt dabei mit seiner eigenen, westlich-kapitalistischen Rolle. So hatte das Museum bis 2017 seinen Sitz im selben Gebäude wie eine der ersten McDonaldʼs-Filialen im Land, was zum Running Gag in Führungen ausgebaut, von ungezählten Tourist*innen fotografisch dokumentiert und sogar auf einer Werbepostkarte des Museums marketingstrategisch umgesetzt wurde.33

Eine Prager Stadtführerin stellt das Museum of Communism vor.

Noch weiter wird die spielerische Neukombination von Symbolen des Kommunismus und des Kapitalismus, des Ostens und des Westens, der Macht und der Opposition, der Partei und des Alltags in den Bunkermuseen getrieben. Hier erscheint die teils wahllos anmutende Installation von Objekten vor allem als Ausdruck einer offensiven Aneignung: Weil eine Lenin-Büste das Böse repräsentiert, darf – und soll – sie vom Sockel genommen sowie eingezwängt zwischen zahllosen alten Orden und einem Porträt des Dissidenten und späteren Präsidenten Václav Havel auf dem unteren Boden einer Vitrine ausgestellt werden. Noch weniger als in den überirdischen Museen kann hier von einer Propagierung des Kommunismus die Rede sein. Stattdessen macht das Sammelsurium unterschiedlichster Objekte die Zeit zwischen 1948 und 1989 ohne jegliche Binnendifferenzierung lächerlich und stellt die Kommunisten als weltfremde, groteske Witzfiguren dar.34 Auch wenn sich die Präsentation völlig anderer Mittel bedient, ist die Botschaft im Bunker damit letztlich dieselbe wie diejenige der staatlichen Geschichtspolitik: Die historische Episode des Kommunismus wird externalisiert und en bloc als Zeit der Fremdherrschaft abgelehnt.

Es ist kaum möglich, über Nostalgie und Postsozialismus nachzudenken, ohne von Svetlana Boyms bekannter Unterscheidung zwischen »restaurativer« und »reflexiver« Nostalgie zu sprechen. Die beiden Formen der Sehnsucht unterscheiden sich vor allem im Grad ihrer Selbstreflexivität: Während »restaurative« Nostalgie die Rekonstruktion einer kollektiven Heimat anstrebe, sei sich ihr »reflexives« Gegenstück der Unmöglichkeit bewusst, das Vergangene zurückzuholen. Erstere ziele auf die Erzählung bruchloser Nationalgeschichten ab; letztere sei individuell, humorvoll und kritisch – kurz, eine bessere (nämlich postmoderne) Art der Sehnsucht.35 Die politische Zuordnung der jeweiligen Arten von Nostalgie ist bei Boym recht eindeutig: Restaurative Vergangenheitssehnsucht kennzeichne konservative und vor allem nationalistische Bewegungen.

Meine Reise durch ostmitteleuropäische Kommunismus-Präsentationen belegt jedoch, dass sich eine ironische Distanz und ein antikommunistisches Grundnarrativ, wie es auch die rechts-konservativen Parteien in Tschechien, Polen und Deutschland vertreten, keineswegs ausschließen.36 Im Gegenteil funktioniert die ironische Distanzierung gerade deshalb so gut, weil ein Konsens über den Repressionscharakter der überwundenen Systeme besteht und die Frage nach der Legitimität positiver Erinnerung nicht wie im innerdeutschen Diskurs mit der empfindlichen Frage nach Anerkennung östlicher und westlicher Lebensleistungen aufgeladen ist. Hier soll keine Vergangenheit restauriert werden, hier soll gelacht werden. Boyms eigensinniges, subversives Moment einer »reflexiven Nostalgie« geht dabei allerdings verloren. Es ist also nicht die fehlende Kontextualisierung als Diktatur, die die Gefahr der Bagatellisierung birgt, sondern die spielerische Gleichzeitigkeit von Ablehnung und Faszination, die den hier besichtigten Museen eingeschrieben ist. Aus geschichtsdidaktischer Sicht stellt sich die Frage, warum die Ausstellungen nicht viel stärker das Potential nutzen, das humorvoller Unterhaltung innewohnt: Lachen kann die Fantasie anregen, gewohnte Sichtweisen verunsichern und Gegenwartsbezüge herstellen. Dies ist allerdings nur möglich, wenn hierfür der Standort einer retrospektiven Überlegenheit verlassen wird.

Nicht ob Museen, die das Leben im Staatssozialismus ausstellen, eine Diktatur beschönigen, sondern wie sie die Aufmerksamkeit der Besucher*innen lenken, scheint demnach die eigentlich interessante Frage zu sein. Denn weder ein Ausstellungsnarrativ noch ein Objekt kann als solches »nostalgisch« sein. Sehr wohl aber können einzelne Produkte, Arrangements oder Formulierungen den Blick der Besu­cher*innen fesseln und zur Verknüpfung mit individuellen Erfahrungen einladen. Es wird demnach nirgends gezielt verharmlost, aber es wird zugelassen, dass man das Grundnarrativ der Ausstellung – reflektiert in der Beschilderung, in einer Führung oder im Begleitmaterial – zugunsten harmloser Teilaspekte ignoriert. Der nostalgische Effekt besteht also darin, dass immer wieder Arrangements geschaffen werden, die einzelne Details zum Punctum, zum emotionalen Anker für ganz individuelle Gedanken machen.

In der Kindergarten-Sektion des Berliner DDR-Museums fungieren nicht nur die Spielsachen als Erinnerungstrigger, sondern auch die Schilder am Garderobenregal mit »typischen« DDR-Vornamen. (Foto: Sabine Stach)
In der Kindergarten-Sektion des Berliner DDR-Museums fungieren nicht nur die Spielsachen als Erinnerungstrigger, sondern auch die Schilder am Garderobenregal mit »typischen« DDR-Vornamen.
(Foto: Sabine Stach)

Auch wenn sich das Leipziger N’Ostalgie-Museum mit seinem völligen Verzicht auf Beschriftungen von den anderen Museen unterscheidet, ist seine offene Einladung, die eigenen »Erinnerungen aufzufrischen«, letztlich nur die konsequente Formulierung dessen, was in all diesen Ausstellungen passiert. Irmgard Zündorf hat die Musealisierung des DDR-Alltags durchaus treffend mit »Wühltischen« verglichen, aus denen sich jede*r das kramt, was er oder sie interessant findet.37 Aber hier geht es nicht um den Ausverkauf von Restposten. Eher schon um Souvenirs. Mit Susan Stewart ließe sich Nostalgie dabei als »the desire for desire« verstehen.38 In das Gästebuch des N’Ostalgie-Museums hat eine Frau aus Halle geschrieben: »Ich war gerne hier. Werde ich nie vergessen.« Wir erfahren nicht, was ihr in Erinnerung bleiben wird – ihr Leben in der DDR oder ihr Besuch im Leipziger Museum. In jedem Fall hat sie sich wohlgefühlt.


Anmerkungen:

1 Auch wenn sich fragen ließe, inwiefern die hier betrachteten nicht-gemeinnützigen Institutionen überhaupt als »Museen« zu bezeichnen sind, wird hier der Begriff übernommen, den alle zur Selbstbeschreibung wählen.

2 Besucht habe ich die Museen am Rande meiner Forschung zu Stadtführungen zwischen 2015 und 2020. Leicht ließen sich weitere Ausstellungen jenseits meiner Reiseroute ergänzen. Hier geht es allerdings nicht um einen vollständigen Überblick, sondern eher um den Eindruck, den die Ausstellungen bei mir hinterlassen haben.

3 Diskussionsbeitrag von Andreas Ludwig, in: Katrin Hammerstein/Jan Scheunemann (Hg.), Die Musealisierung der DDR. Wege, Möglichkeiten und Grenzen der Darstellung von Zeitgeschichte in stadt- und regionalgeschichtlichen Museen, Berlin 2012, S. 127.

4 Martin Sabrow u.a. (Hg.), Wohin treibt die DDR-Erinnerung? Dokumentation einer Debatte, Göttingen 2007.

6 Vgl. etwa die jüngsten Dissertationen zur Musealisierung des DDR-Alltags: Christian Gaubert, DDR: Deutsche Dekorative Restbestände? Der DDR-Alltag im Museum, Berlin 2019; Regina Göschl, DDR-Alltag im Museum. Geschichtskulturelle Diskurse, Funktionen und Fallbeispiele im vereinten Deutschland, Berlin 2019.

7 Das Museum wird von jährlich fast einer halben Million Menschen besucht. Vanessa Jasmin Lemke, DDR-Museum ist beliebteste Attraktion Berlins, Pressemitteilung des Museums, 13.10.2020.

8 Národní informační a poradenské středisko pro kulturu (NIPOS), Návštěvnost muzeí a galerií v roce 2019, 20.6.2020, S. 8.

9 Mit 9,80 € und 380 KČ (ca. 14,50 €) sind die Preise im Berliner DDR-Museum und im Prager Museum of Communism besonders hoch. Mit 18 PLN (ca. 4 €) am preiswertesten ist der Eintritt ins Warschauer Museum.

10 Karolína Bukovská, Museum or Tourist Attraction? The Museum of Communism in Prague, in: Cultures of History Forum, 17.4.2020.

11 Genannt werden u.a.: »daily life, politics, history, sports, economics, education, art […] the People’s Militias, the army, the police«. Siehe <https://muzeumkomunismu.cz/en/about/>.

12 N’Ostalgiemuseum Leipzig, in: Chris Ignatzi/Ben Schieler, Wenn die Milbe auf den Käse kotzt. Die 33 verblüffendsten Museen Deutschlands, Stuttgart 2016, S. 80-83, hier S. 82.

13 Zur Bedeutung der körperlich-sinnlichen Aneignung des Analogen in den Bunkern vgl. Sabine Stach, Tracing the Communist Past. Towards a Performative Approach to Memory in Tourism, in: History and Memory 33 (2021) H. 1, S. 73-109.

14 Zur Ausstellungspraxis solcher Museen vgl. Angela Janelli, Wilde Museen. Zur Museologie des Amateurmuseums, Bielefeld 2012.

15 Československé ozbrojené složky, O nás. Muzeum studené války. Krizový štabní kryt, URL: <http://www.muzeum-studene-valky.cz/o-nas/>.

16 Susanne Köstering, Alltagsgeschichte der DDR in aktuellen Ausstellungen, in: Deutschland Archiv 40 (2007), S. 306-312, hier S. 306.

17 Vgl. auch die Abbildungen auf der Website: <https://bunkr-bezovka.webnode.cz/foto-video/>.

18 Vgl. Gaubert, DDR: Deutsche Dekorative Restbestände? (Anm. 6), S. 216f.

19 Allein in Ostdeutschland zählt Gaubert 15 bis 20 private DDR-Museen. Ebd., S. 19.

20 Shereen Sagoo/Darcy King, What to do in Berlin on a rainy day?, 4.10.2018, URL: <https://www.st-christophers.co.uk/travel-blog/what-to-do-in-berlin-on-a-rainy-day>.

21 Vgl. z.B. auch: cbp86, Great activity for a rainy day, 28.10.2016, URL: <https://www.tripadvisor.co.nz/ShowUserReviews-g187323-d619185-r432405616-DDR_Museum-Berlin.html>.

22 Offenbar kooperieren beide Museen. Jedenfalls liegen im Bunker Werbeflyer des Folterinstrumentenmuseums aus.

23 Ignatzi/Schieler, Wenn die Milbe auf den Käse kotzt (Anm. 12).

24 Diskussionsbeitrag von Stefan Wolle, in: Hammerstein/Scheunemann, Die Musealisierung der DDR (Anm. 3), S. 117. Einen Versuch, die Kommunikation über den Museumsbesuch hinauszuführen, unternimmt das DDR-Museum mit der Aufforderung, ein Lieblingsobjekt im Kinderkrippen-Raum unter dem Hashtag »#ddrkind« zu teilen.

25 Roland Barthes, Die helle Kammer. Bemerkung zur Photographie. Übersetzt von Dietrich Leube, Frankfurt a.M. 2009 (frz. Erstausg. 1980). In ihrer Analyse von Spielfilmen mit zeithistorischen Inhalten bedient sich Sabine Moller ebenfalls dieses Konzepts, um die Filmrezeption in ihrem Pendeln zwischen emotional-körperlicher und kognitiver Aneignung zu beschreiben. Vgl. Sabine Moller, Zeitgeschichte sehen. Die Aneignung von Vergangenheit durch Filme und ihre Zuschauer, Berlin 2018, S. 14, S. 129. Auch das Jüdische Museum Berlin hat die Unterscheidung beider Modi zur Entwicklung von Führungen herangezogen. Für diesen Hinweis danke ich Andy Simanowitz.

26 Vgl. zur Materialität der Museumsdinge und ihrer »Erinnerungsveranlassungsleistung«: Gottfried Korff, Zur Eigenart der Museumsdinge [1992], in: ders., Museumsdinge. deponieren – exponieren, hg. von Martina Eberspächer, Gudrun Marlene König und Bernhard Tschofen, Köln 2002, 2., ergänzte Aufl. 2007, S. 140-145. Zur Bedeutung subjektiver und privater Assoziationen in der Deutung von Objekten siehe auch Heiner Treinen, Ausstellungen und Kommunikationstheorie, in: Annette Noschka-Roos/Petra Rösgen (Hg.), Museums-Fragen. Museen und ihre Besucher. Herausforderungen in der Zukunft, Berlin 1996, S. 60-72, hier S. 65.

27 Diskussionsbeitrag von Stefan Wolle, in: Hammerstein/Scheunemann, Die Musealisierung der DDR (Anm. 3), S. 111.

28 Hayden White, Metahistory. Die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa. Aus dem Amerikanischen von Peter Kohlhaas, Frankfurt a.M. 1991, S. 21-25 (amerik. Erstausg. 1973).

29 Zur kulturellen Produktion und Funktion von Witzen im Spätsozialismus vgl. Alexei Yurchak, Everything Was Forever, Until It Was No More. The Last Soviet Generation, Princeton 2006.

30 Zu diesem Urteil kommt auch Veronika Pehe, die von »petty heroism« als Objekt der Nostalgie spricht: Veronika Pehe, An Artificial Unity? Approaches to Post-Socialist Nostalgia, in: Tropos 1 (2014), S. 6-13, hier S. 7.

31 Gespräch mit Rafał Patla am 21.3.2016.

33 Neben einer Darstellung Lenins war auf dem Flyer zu lesen: »We’re above McDonald’s, across from Benetton. Viva la imperialism!«

34 Vgl. auch die Analyse eines Bunkerhotels in Brünn: Petr Gibas/Blanka Nyklová, Staying in a Fallout Shelter: Exploring Ostalgia through Post-Socialist Heterotopia, in: Cultural Geographies 26 (2019), S. 519-526.

35 Svetlana Boym, The Future of Nostalgia, New York 2001, S. xviii, S. 41-55.

36 Darauf hat auch Veronika Pehe anhand von Filmanalysen hingewiesen: Pehe, An Artifical Unity? (Anm. 30), S. 9.

37 Irmgard Zündorf, Vitrine oder Wühltisch. DDR-Alltagsgeschichte im Museum, in: Hammerstein/Scheunemann, Die Musealisierung der DDR (Anm. 3), S. 96-109.

38 Susan Stewart, On Longing. Narratives of the Miniature, the Gigantic, the Souvenir, the Collection, Baltimore 1984, Paperback Durham 1993, S. 23.

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