2. Die Sammlung „Zeitgeschichtliche Dokumente“
3. Die Suche nach zeitgeschichtlichen Dokumenten
4. Was kommt nicht in die Sammlung?
5. Ausblick
Das Deutsche Historische Museum (DHM) ist Teil einer vernetzten Erinnerungslandschaft, die aus Museen, Gedenkstätten, Mahnmalen und anderen Gedenkorten besteht. Für die Geschichte des 20. Jahrhunderts ist diese Erinnerungslandschaft nicht nur in Berlin und seinem Umland besonders vielgestaltig. Während die meisten Museen und Gedenkstätten Objekte bzw. Dokumente zu ihrem jeweiligen Spezialgebiet sammeln, hat das DHM den Auftrag, zur gesamten deutschen Geschichte im europäischen Kontext zu sammeln.1 Da die Bestückung der Dauerausstellung mit Originalen das vorrangige Sammlungsziel ist,2 wird am DHM nicht ganz so detailliert gesammelt wie an den thematischen Spezialmuseen und Gedenkstätten. Gesucht werden vielmehr aussagekräftige und anschauliche Originale, die einen historischen Sachverhalt exemplarisch verdeutlichen.
„Wann kommt der Tag, wo die Friedenshelden höher gewertet werden als die Kriegshelden?“ Hellmut von Gerlachs Notiz aus dem Jahr 1926 ist ein historisch interessantes Dokument, als Ausstellungsstück aber eher unscheinbar (Autograph, Papier, 9,8 cm x 15 cm; Quelle: DHM).
Doch selbst wenn Objekte historische Aussagekraft haben, so sind sie deswegen als Exponate nicht immer „Eyecatcher“: Seinen Ausspruch „Wann kommt der Tag, wo die Friedenshelden höher gewertet werden als die Kriegshelden?“ notierte der Publizist und Politiker Hellmut von Gerlach 1926 auf einem unscheinbaren Blatt Papier, das in einer Ausstellung neben einem großformatigen Plakat von Käthe Kollwitz kaum auffällt. Zusätzlich zur historischen Relevanz von Objekten spielt deren Anschaulichkeit für ein Museum beim Objekterwerb eine entscheidende Rolle. Am Beispiel der Sammlungen und Sammlungsstrategien des DHM soll im Folgenden erläutert werden, was die klassische Museumsaufgabe „Sammeln“ speziell im Hinblick auf die Zeitgeschichte heute bedeutet. Die herausgehobene Stellung und Größe des DHM bringt einige Besonderheiten mit sich; die grundsätzliche Problematik der Relevanzkriterien ist auf kleinere Museen jedoch durchaus übertragbar.
Antikriegsplakat von Käthe Kollwitz für den Mitteldeutschen Jugendtag 1924 (Lithographie, 95,2 cm x 72,3 cm; Quelle: DHM)
1. Struktur und Umfang der DHM-Sammlungen
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Der Herausforderung seines die gesamte deutsche Geschichte umfassenden Sammelgebiets begegnete das DHM mit der Errichtung von Teilsammlungen, die hinsichtlich der betreuten Objektgattungen und/oder der verschiedenen Epochen voneinander abgegrenzt werden: Neben drei Sammlungen zu verschiedenen Bereichen der Alltagskultur gibt es zwei Militaria-Sammlungen, eine Gemäldesammlung bis zum 19. Jahrhundert und eine für die Zeit danach, eine Plakat- und eine Fotosammlung, eine für Kunstgewerbe und Graphik sowie eine für den Rara-Bestand der Bibliothek. Schließlich hat das Museum noch zwei Sammlungen für Dokumente, wobei der 1. August 1914 hier die Zäsur bildet.3 Die Teilsammlungen ermöglichen die gemeinsame Lagerung von Objekten gleicher Gattungsart in entsprechend eingerichteten Depots unter konservatorisch optimalen Bedingungen. Zudem erlauben sie den Mitarbeitern auch die erforderliche fachliche Spezialisierung, denn ein Experte für mittelalterliche Buchmalerei ist in der Regel kein ausgewiesener Kenner moderner Fotografie.
Der derzeitige Gesamtbestand des DHM dürfte bei weit über 800.000 Objekten liegen.4 Schätzungsweise mehr als 600.000 dieser Objekte stammen vom Ost-Berliner Museum für Deutsche Geschichte (MfDG), dessen Sammlungsbestand dem DHM zum 3. Oktober 1990 übertragen wurde.5 Daneben übernahm das DHM im Laufe der Jahre eine Reihe weiterer Sammlungen, die zu einem schnellen Anwachsen der Zahl von Objekten zur Zeitgeschichte führten: Die Sammlung des „Heimkehrerverbands“ mit ihren Objekten zur Kriegsgefangenschaft, das „Archiv des Deutschlandhauses“ mit seiner deutschlandpolitischen Sammlung sowie alle vorher im Bundesarchiv gelagerten nicht-archivalischen Materialien der Massenorganisationen der DDR werden mitt-lerweile vom DHM betreut. Daneben erhielt das Museum mehrere Hundert Gemälde aus dem so genannten Reichsbesitz sowie jüngst einige Tausend Graphiken der „German War Art Collection“ als Rückführung aus den USA. Aber auch andere zeitgeschichtliche Objekte wie die Transparente der Demonstration vom 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz, ein großer Teil des „APO-Archivs“ der Freien Universität aus den 1960er- und 1970er-Jahren sowie eine Stiftung von einigen Tausend Aktien deutscher Wirtschaftsunternehmen aus dem 19. und 20. Jahrhundert haben ihren Platz in den Depots des Museums gefunden. Einen gewissen Wendepunkt hinsichtlich der Erwerbungen zur Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts brachte die Übernahme einer überaus umfangreichen Privatsammlung aus Ostwestfalen mit zahlreichen Objekten zur Geschichte der Weimarer Republik und des „Dritten Reichs“. Damit ist der „Chronistenpflicht“ des Museums für diese beiden Epochen vorerst Genüge getan, und die Phase des Erwerbs oder der Übernahme größerer Dokumenten-Konvolute zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kann als beendet gelten. Wenngleich es bei Themen wie dem Widerstand gegen das NS-Regime wohl noch lange beim Wunsch nach weiteren Objekten bleiben wird,6 geht es inzwischen stärker um die Suche nach „Highlights“ zur Geschichte der DDR7 und der Bundesrepublik.8
Vom Ankaufsetat, aus dem zugleich alle Kosten für die Ausstattung der Depots und für notwendige Objektrestaurierungen bestritten werden müssen, fließt in der Regel nur ein kleiner Anteil in Erwerbungen zur Zeitgeschichte. Dieser Anteil steigt signifikant, wenn etwa Gemälde oder kunstgewerbliche Objekte erworben werden, die stets teurer sind als Produkte der so genannten Massenware. Generell gilt die Regel, dass öffentlich geförderte Museen bei Auktionen nicht gegeneinander antreten und nicht den Preis in die Höhe treiben. Das bedingt bei Objekten zur Zeitgeschichte eine enge Abstimmung insbesondere mit dem Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn. Gibt es Interessensüberschneidungen, erhält mal die eine, mal die andere Institution den Vorrang. Es ist gerade bei Objekten von „nationaler Bedeutung“ nicht so entscheidend, welches Museum den Zuschlag erhält, sondern wichtiger ist, dass möglichst viele Stücke des nationalen Kulturerbes überhaupt in den Besitz der öffentlichen Hand gelangen. An ihre Grenzen stößt diese Maxime musealer Erwerbungspolitik bei hochpreisigen Autographen von Wissenschaftlern und Literaten aus dem 20. Jahrhundert: Die geringe Anschaulichkeit dieser Schriftstücke steht aus der Perspektive eines breit sammelnden Museums in einem kaum vertretbaren Verhältnis zur Höhe des gängigen Marktpreises. Hier bleibt auch dem DHM nur die Möglichkeit, solche „Highlights“ als Dauerleihgaben aus Familienbesitz einzuwerben - oder auf preiswertere Printprodukte auszuweichen, denen dann allerdings das Fluidum des Singulären fehlt.
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2. Die Sammlung „Zeitgeschichtliche Dokumente“
Diese Sammlung deckt den Zeitraum vom Kriegsbeginn 1914 bis zur Gegenwart ab und enthält vor allem die im Museumsjargon als „Flachware“ bezeichneten Objekte, denen in Ausstellungen eher vertiefende Aufgaben zukommen. Zu den wichtigsten Objektgruppen dieser Sammlung zählen Ausweise und andere Personaldokumente, Autographen, Broschüren, periodische Druckschriften, Flugblätter, Manuskripte, Briefe und Tagebücher, Landkarten, Werbeprospekte sowie Fotoalben. Ein großer Teil der im Oktober 1990 übernommenen MfDG-Objekte entspricht leider nicht den eigentlichen Sammlungskriterien des DHM: So haben die allermeisten der rund 40.000 Zeitungen dieser Sammlung kaum eine Chance, jemals ausgestellt zu werden. Angesichts des umfangreichen Bestands an Zeitungen aus der Weimarer Republik und dem „Dritten Reich“ mag das Herz manches Sammlers höher schlagen; für das Museum hingegen bindet dieser Bestand zunächst einmal Arbeitskraft und Depotfläche. In absehbarer Zeit wird deshalb eine Revision des Zeitungsbestands erfolgen müssen, um weniger anschauliche und von ihrem Erhaltungszustand her problematische Exemplare aus der Sammlung auszugliedern und Platz für Neuzugänge zu schaffen.9 Dabei besteht das Dilemma, dass einzelne Zeitungsexemplare durchaus von Bedeutung für die historische Forschung sein können, für Ausstellungen aber weit weniger brauchbar sind: Zeitungen mit großaufgemachten Bildberichten zum „Geschäftsboykott“ 1933 eignen sich nun einmal besser für Ausstellungen als die kleinen Berichte im Lokalteil wenige Tage zuvor, die sich mit den Vorbereitungen des Boykotts beschäftigen und dem Historiker viel über die nationalsozialistische Propagandaarbeit vermitteln. Die Diskrepanz zwischen der historischen Aussagekraft einer Quelle für den Fachwissenschaftler und ihrer Aussagekraft als Exponat in einer für ein breiteres Publikum konzipierten Ausstellung lässt sich kaum aufheben.
Mit dem zahlenmäßigen Umfang einer Sammlung steigt zwangsläufig das Ausmaß der notwendigen Bestandsarbeit. Für die Sammlung Zeitgeschichtliche Dokumente am DHM bedeutet dies, dass vorrangig alle noch nicht formal erfassten Objekte aus dem ehemaligen MfDG-Bestand und den größeren Übernahmen inventarisiert, katalogisiert und umgelagert werden müssen. Hinzu kommt eine hohe Zahl von Neuzugängen, deren Bearbeitung für das jährlich zu erstellende Inventarbuch des Museums zeitnah abgeschlossen sein muss. Die Beantwortung von Leihanfragen, die Betreuung externer Besucher sowie Recherchen für die vielen an die Sammlung gerichteten Fragen aus dem In- und Ausland und die Mitwirkung an Ausstellungsprojekten lassen kaum Zeit für eine intensivere inhaltliche Erschließung des vorhandenen Bestands.10 Eine tiefergehende Bearbeitung erfolgt vor allem, wenn ein Objekt als Exponat in eine Ausstellung kommen soll und näher erläutert werden muss. Bis zum Abschluss der formalen Erfassung des gesamten Altbestands werden die Mitarbeiter der Sammlung Zeitgeschichtliche Dokumente mehr mit der Verwaltung und Lagerung der Objekte als mit deren inhaltlicher Erforschung beschäftigt sein.11 Dieser Sachverhalt beschreibt die Arbeitssituation in den meisten deutschen Museen. Selbst eine intensivere Beschäftigung mit den herausragenden Objekten der Zeitgeschichtlichen Sammlung ist nicht absehbar, denn auch zur Gegenwart muss ständig weiter gesammelt werden, um der „Chronistenpflicht“ gerechtzuwerden.
Objekte können als Ankauf, als Stiftung, als Dauerleihgabe oder als Schenkung in das Museum gelangen. Voraussetzung für jegliche Form des Objektzugangs ist ein entsprechender Provenienznachweis, denn nur Objekte, die „frei von Rechten Dritter sind“, sollen in die Sammlung übernommen werden.12 Von Händlern, Sammlern und anderen Privatpersonen werden dem DHM oft Konvolute oder einzelne Objekte zum Kauf angeboten. Eine andere Quelle für mögliche Erwerbungen sind die Kataloge von Antiquariaten und Auktionshäusern. Ob ein Objekt tatsächlich angekauft wird, hängt von seiner historischen Bedeutung und Aussagekraft, seinem Zustand und Preis sowie von der Höhe verfügbarer Ankaufsmittel ab.13 Möchte sich jemand von Objekten mit einem bestimmten Wert trennen, ohne sie zu verkaufen, so kann er sie dem Museum „stiften“. Er erhält dann eine am gängigen Marktpreis orientierte steuerwirksame Spendenbescheinigung. Die Möglichkeit einer Stiftung ist insbesondere für Privatpersonen interessant, die sich von Familienbesitz trennen möchten, ihn aber vor allem aus ethischen Gründen nicht verkaufen wollen. Eine andere Form der Übergabe von Objekten an das Museum sind Dauerleihgaben, bei denen das Eigentumsrecht bei den Besitzern verbleibt. Sie überlassen dem Museum ein oder mehrere Objekte in dem Wissen, dass deren sachgerechte Lagerung auf Dauer gewährleistet ist. Häufigste Form des Objekt-zugangs in der Zeitgeschichtlichen Sammlung sind jedoch Schenkungen, bei denen die Objekte ohne jeglichen Eigentumsvorbehalt in den Besitz des Museums übergehen.
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Nahezu täglich werden dem Museum ganze Nachlässe oder verschiedenste Objekte aus Nachlässen angeboten. Meistens sind es schon „betagte Kinder“, die einen Teil der Hinterlassenschaft ihrer Eltern „sinnvoll“ unterbringen wollen. Hinter solchen Angeboten steht oft die Furcht, die „Enkelgeneration“ könnte später mit dem Familiennachlass nichts anfangen und würde ihn möglicherweise dem Trödelhandel überlassen, über den dann Teile aus dem Familienbesitz „in falsche Hände“ geraten könnten. Im Großen und Ganzen ähneln sich die Nachlässe sehr: Briefe und Postkarten, oft auch Feldpostbriefe von Eltern oder Großeltern, Ausweise und Versicherungsnachweise, Bücher, Broschüren und Zeitungen sowie - häufig unbeschriftete - Fotos zur Familiengeschichte. Angesichts nur begrenzter Depotflächen, hoher Personalkosten für die Objekterschließung und sehr hoher Materialkosten für die Lagerung kann das DHM bei weitem nicht alle angebotenen Nachlässe übernehmen.14 Das macht eine gezielte Durchsicht von Nachlässen oder anderen Schenkungen notwendig. Mitunter finden sich dann herausragende Einzelstücke, die in die Dauerausstellung integriert werden. So gelangten 2005 aus einem Nachlass Dokumente einer in der NS-Zeit als „geistig behindert“ eingestuften jungen Stuttgarterin an das Museum, die im Zuge der „Euthanasie“ 1940 in Grafeneck ermordet wurde. Dieses Konvolut enthielt auch die von der „Landesanstalt Hartheim“ gefälschte Todesurkunde, die den Eltern der 22-Jährigen zusammen mit einem fingierten Bericht der Landesanstalt über die Art des Todes zugestellt wurde. Ein anderes Beispiel betrifft die Akten, die kürzlich die Tochter eines verstorbenen Strafverteidigers dem Museum zuschickte. Darunter befand sich ein mehr als 1.000 Seiten umfassendes Urteil des Schwurgerichts Münster aus dem Jahr 1968 gegen „Krüger und andere“ wegen NS-Gewaltverbrechen: In allen Einzelheiten hatte das Gericht hier in Zusammenarbeit mit der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen über Jahre hinweg minutiös ermittelt, wie Mitglieder des Sicherheitsdienstes der SS, der Sicherheitspolizei und der Ordnungspolizei die jüdische Bevölkerung im südöstlichen Galizien systematisch ermordet hatten. Die detaillierte Schilderung dieser Mordaktionen und die im Urteil niedergelegten Biographien der Täter entsprechen auch nach 40 Jahren noch dem allgemeinen Forschungsstand.
3. Die Suche nach zeitgeschichtlichen Dokumenten
Das DHM sammelt nicht wie Briefmarkensammler auf Vollständigkeit,15 sondern gesucht wird immer das Exponat, das einen historischen Zusammenhang oder ein Ereignis versinnbildlicht und möglichst das Kriterium der Einmaligkeit erfüllt: Ein Unikat ist in der Regel dem Massenprodukt vorzuziehen. Diese Kriterien würde in geradezu idealer Weise der Zettel erfüllen, von dem Günter Schabowski am 9. November 1989 vor laufenden Kameras die neuen Ausreiseregelungen der DDR ablas. Trotz aller Recherchen und Nachfragen blieb dieses Notizblatt bislang jedoch unauffindbar. Hinsichtlich der Bedeutung der „Agenda 2010“ macht es für einen Historiker zwar keinen Unterschied, ob eine gedruckte Textfassung die Unterschrift des damaligen Bundeskanzlers trägt oder nicht. Für das Museum hingegen hat die Fassung mit der Unterschrift eine ungleich größere Bedeutung, denn sie ist ein Unikat mit eigener Ausstrahlung. Objekten mit unverwechselbaren Merkmalen wächst im Zeitalter der papierlosen Kommunikation ein besonderer Stellenwert zu. Eine digital verbreitete Information kann unendlich oft kopiert werden: Jede Kopie entspricht dem Original und hat damit keine Eigenschaften mehr, die sie als Museumsobjekt auszeichnen könnte.16
Selbst wenn das Museum zu bestimmten Ereignissen keine Objekte bekommen kann, die dem musealen Selbstverständnis entsprechen, so hat es doch die „Chronistenpflicht“, etwa zum G-8-Gipfel in Heiligendamm Zeitungen und Zeitschriften aus unterschiedlichen Ländern mit ansprechend aufgemachten Berichten zu sammeln. Vielfach kommen aber nicht mehr die kompletten Zeitungen - samt Immobilien-, Auto- und Reiseteil - in die Sammlung, sondern nur noch die ausstellungsrelevanten Titelseiten. Auch hier liegt ein bezeichnender Unterschied zwischen einer Museumssammlung und einem Archiv. Von graphisch interessant aufgemachten Magazinheften werden vor allem die Cover gesammelt. Fast schon den Charakter einer „Ikone“ zur Veranschaulichung der polnisch-deutschen Beziehungen nach der Jahrtausendwende hat das polnische Politmagazin „wprost“ (2003, Nr. 38) mit der Karikatur von Bundeskanzler Gerhard Schröder und der Vorsitzenden des Vertriebenenverbands Erika Steinbach auf der Titelseite, denn selten wurden polnische Traumata bezüglich seines westlichen Nachbarn so deutlich zum Ausdruck gebracht.
Das polnische Magazin „wprost“ zeigte Erika Steinbach im Jahr 2003 in SS-Uniform und Herrschaftspose - ein Cover, das die deutsch-polnischen Kontroversen über das Thema Flucht und Vertreibung weiter anheizte (Quelle: DHM).
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Mitschnitte von Fernseh- oder Rundfunkaufnahmen sammelt das DHM nur in sehr begrenztem Umfang. Diese wichtigen Quellen zur Zeitgeschichte werden in der Regel von den Sendeanstalten sowie dem Deutschen Rundfunkarchiv systematisch gesammelt und können von dort im Bedarfsfall jederzeit entliehen werden. Kein Museum kann es sich von den Arbeitskraftressourcen und der Lagerfläche her leisten, eine zu große Menge von Objekten in der vagen Hoffnung zu sammeln, sie später irgendwann einmal ausstellen zu können. Das Problem der Reduktion von Masse stellt sich besonders deutlich, wenn man auf die Warenwelt unserer Gegenwart und ihre unzähligen Werbeblätter schaut: Welche Prospekte zu welchen Produkten sollen für spätere Generationen im DHM aufbewahrt werden? Was kann heute kostenlos gesammelt werden, ohne es später kaufen zu müssen?
Um etwa Werbematerial aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu bekommen, lässt das Museum von Zeit zu Zeit Praktikanten durch Berlin schwärmen und Material einsammeln, das anschließend im Museum gesichtet wird, um die interessantesten Stücke für die Sammlung auszuwählen. Flankierend dazu werden gezielt Institutionen verschiedenster Art und politische Parteien mit der Bitte um Zusendung von Werbe- und Informationsmaterialien angeschrieben. Das Museum sammelt natürlich auch zu Ereignissen wie Fußballweltmeisterschaften und Olympischen Spielen. Nur schwer festzulegen sind Kriterien für die Objektauswahl, wenn es sich um langfristige Entwicklungsprozesse handelt, die in die Zukunft weisen: Mit welchen Dokumenten lassen sich beispielsweise der demographische Wandel, die Klimaveränderung oder die Ausweitung der EU anschaulich darstellen? Da es auf diese Fragen keine eindeutigen Antworten gibt, wird - trotz der beschriebenen Maßnahmen zur Materialreduktion - noch immer relativ breit gesammelt. Nur mit zeitlicher Distanz zur Entstehungszeit der Objekte wird es möglich sein, die wichtigen von den weniger wichtigen Stücken zu trennen. Das bedeutet, dass die Sammlung der zeitgeschichtlichen Dokumente in bestimmten Intervallen immer wieder nach weniger bedeutsamen Stücken durchforstet werden muss.17
4. Was kommt nicht in die Sammlung?
Das DHM ist prinzipiell nicht bereit, sich an Bietergefechten zu NS-Devotionalien zu beteiligen. Da private Sammler auf beiden Seiten des Atlantiks etwa für signierte Abbildungen von Ritterkreuz-Trägern sehr hohe Summen zu zahlen bereit sind, wird der entsprechende Bestand im DHM auf lange Sicht ausgesprochen lückenhaft bleiben. Für Objekte mit NS-Provenienz ist schon seit vielen Jahren ein deutlicher Preisanstieg zu verzeichnen, wobei augenfällig ist, dass die Höhe des Preises etwa für signierte Autogrammkarten von NS-Funktionsträgern mit dem Grad ihrer Beteiligung an den NS-Verbrechen ansteigt. Als dem Museum vor längerer Zeit über den Handel die Schreibmaschine angeboten wurde, auf der Rudolf Heß Hitlers „Mein Kampf“ getippt haben sollte, hat das DHM dieses Angebot abgelehnt: Es entspricht nicht dem Selbstverständnis des aus öffentlichen Mitteln geförderten Museums, für Objekte aus dem Kreis der NS-Täter einen hohen Preis zu zahlen.18
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Seit Öffnung der europäischen Grenzen tauchen im Handel vermehrt Fälschungen („Fakes“) insbesondere zur NS-Geschichte auf, die dem Vernehmen nach vor allem aus Ost- und Südost-Europa auf den westeuropäischen Markt kommen. Dabei handelt es sich ebenso um nachgemachte „Judensterne“ wie beispielsweise um gefälschte Sterbeurkunden aus verschiedenen Konzentrationslagern. Die Legenden, mit denen diese Fakes angedient werden, besagen, dass in dem Museum „xy“ die Angestellten seit Wochen kein Gehalt mehr erhalten hätten und deshalb bestimmte Objekte aus dem Bestand des genannten Museums verkaufen dürften. In der Regel sind diese „professionell“ erzeugten Nachbildungen nur mit großem Zeitaufwand als Fälschung zu entlarven. Verglichen damit war die Überprüfung von angeblichen Flugblättern der „Weißen Rose“, die dem Museum angeboten wurden, etwas leichter: Beim Abgleich mit den Originalen im Bundesarchiv stellte sich heraus, dass die angebotenen Flugblätter ein wenig schmaler waren als die Originale: Ihnen fehlte der ca. einen Zentimeter breite Streifen, auf dem die Gedenkstätte Deutscher Widerstand vermerkt hatte, dass es sich um Nachdrucke handele. Aber auch die offenbar nachträglich gebräunten und zerknitterten Flugblätter waren auf den ersten Blick nicht als Fälschung zu erkennen.
Ein Transparent der Demonstration vom 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz griff einen westdeutschen Musiktitel auf („Neue Männer braucht das Land“, Ina Deter 1982) und bezog ihn auf die Machteliten in der DDR. Der Stuhl der SED-Herrschaft brach bereits zusammen (weißer Karton/Holzkleister, handgeschrieben, gemalt, 105 cm x 74,3 cm; Quelle: DHM).
Unter dem Titel „Finderglück - Ein Jahr Sammeln für das Deutsche Historische Museum“ wurde am 6. Dezember 1988 eine kleine Ausstellung mit den vom Museum bis dahin erworbenen Objekten im Bonner Bundeskanzleramt eröffnet. Heute sind ausgewählte Sammlungsstücke in den zwei Geschossen der Ständigen Ausstellung im Zeughaus zu betrachten, und nebenher kann das Museum auch noch die eine und andere Wechselausstellung mit eigenen Objekten bestücken. Das zum Zeitpunkt der Gründung des DHM 1987 in diesem Umfang nicht absehbare „Sammlerglück“ beruht zu einem Gutteil auch auf dem politischen Umbruch von 1989, in dessen Folge das DHM die Liegenschaften und den Objektbestand des Ost-Berliner Museums für Deutsche Geschichte übernahm. Zum Aufbau der in vielen Bereichen hochkarätigen Sammlung trug auch die kontinuierliche Ankaufsförderung durch den Bund ganz wesentlich bei. Nicht zuletzt aber wurde das Museum seit seiner Gründung von breiten Kreisen der Bevölkerung durch Schenkungen, Stiftungen und Dauerleihgaben unterstützt.
In den 20 Jahren nach Museumsgründung ist insbesondere der Bestand zeitgeschichtlicher Dokumente zahlenmäßig stark angewachsen. Die inzwischen größere Distanz zu Teilen der Geschichte des 20. Jahrhunderts sollte es nun ermöglichen, historisch weniger bedeutsame Objekte aus der Sammlung herauszufiltern und sich neuen zeitgeschichtlichen Sammelschwerpunkten zuzuwenden. Die deutsche Ratspräsidentschaft der EU in der ersten Jahreshälfte 2007 hat nachhaltig vor Augen geführt, dass die nationalen Aspekte politischer Entscheidungen zunehmend von transnationalen Entscheidungen überlagert werden. Der politischen und wirtschaftlichen Integration der europäischen Staaten mit all ihren Problemen und Widersprüchen wird die Sammlung Zeitgeschichtliche Dokumente am DHM ebenso Rechnung tragen müssen wie der fortschreitenden „Globalisierung“ und der verstärkten Auseinandersetzung unterschiedlicher Kulturen weltweit. Nur wenn die Erwerbungspolitik des Museums die aktuellen Entwicklungen berücksichtigt, kann seine Sammlung auch nach weiteren 20 Jahren auf der Höhe der Zeit sein.
1 Der Sammlungsauftrag leitet sich aus der 1987 verabschiedeten Konzeption des Museums ab. Sie ist abgedruckt in Christoph Stölzl (Hg.), Deutsches Historisches Museum. Ideen - Kontroversen - Perspektiven, Frankfurt a.M. 1988, S. 609-636. Nur wenn keine Originale beschaffbar sind, behilft sich das Museum mit Repliken oder Faksimiles.
2 Auch Wechselausstellungsprojekte bieten gelegentlich Anlass zum gezielten Objekterwerb.
3 Eine ausführlichere Beschreibung findet sich unter http://www.dhm.de/sammlungen/. Dort werden auch beispielhaft Objekte aus den einzelnen Sammlungen vorgestellt. Im Organigramm des DHM sind zwölf Stellen für Sammlungsleiter/Innen ausgewiesen.
4 Genauere Zahlenangaben werden erst nach Abschluss der EDV-gestützten Objekterfassung möglich sein. Zurzeit (2007) sind rund 350.000 Objekte digital erfasst und online abrufbar; etwas mehr als die Hälfte von ihnen ist mit einer Abbildung hinterlegt (http://www.dhm.de/datenbank/). Rund 300 externe Nutzer recherchieren pro Jahr in den Sammlungen, aus denen jährlich bis zu 1.000 Objekte als Leihgaben in Ausstellungen weltweit verschickt werden (http://www.dhm.de/sammlungen/index_new.html).
5 Erwähnenswert sind aus dem MfDG-Bestand vor allem die alte Zeughaus-Sammlung (soweit sie nicht dem Kriegsgeschehen zum Opfer fiel) und eine umfangreiche Plakat-Sammlung. Die meisten der vom MfDG übernommenen Objekte sind jedoch der „Geschichte der Arbeiterbewegung“ zuzurechnen, deren Traditionen die DDR in ihrem Selbstverständnis verkörperte.
6 Das MfDG verfügte über eine Reihe bedeutender Objekte zum Widerstand aus den Reihen der Arbeiterbewegung. Um aber auch Objekte des bürgerlichen und des militärischen Widerstands zu erhalten, wurde 1996 am DHM ein entsprechendes Bittschreiben verfasst, das in 700 Exemplaren einem Mitglieder-Rundbrief der „Stiftung 20. Juli 1944“ beigelegt wurde. Die Reaktion auf dieses DHM-Bittschreiben war sehr positiv. Das Museum erhielt eine Reihe von Objekten aus dem Kreis der Familienangehörigen des Widerstands.
7 Mit Objekten zum „offiziellen Geschichtsbild der DDR“ war das MfDG gut bestückt, Objekte zur Opposition in der DDR fehlten im Bestand jedoch gänzlich.
8 Als „Highlight“ lässt sich z.B. die mehrere Hundert Blatt umfassende Korrespondenz der Quäker (Pennsylvania) mit den Empfängern von CARE-Paketen in Mitteleuropa bezeichnen, die das DHM vor einigen Jahren aus den USA erhielt: Kaum ein anderer Quellenstand bringt das persönliche Elend in der Nachkriegszeit so augenfällig zum Ausdruck.
9 Gleiches gilt für den vom MfDG übernommenen Bestand an Flugblättern aus den 1920er- und 1930er-Jahren.
10 Besonders augenfällig zeigt sich das Problem der inhaltlichen Erschließung bei den vielen Feldpostbriefen der Sammlung, denn mehr als deren formale Beschreibung ist seitens der Museums-Mitarbeiter nicht zu leisten. So kommt es dem Museum durchaus entgegen, wenn z.B. ein Konvolut von Feldpostbriefen Grundlage einer Examensarbeit wird. Vgl. etwa die von Veronika Gottwald 2006 an der Humboldt-Universität zu Berlin eingereichte MA-Arbeit „Die Fronterfahrung im Ersten Weltkrieg am Beispiel von Briefen eines Soldaten aus dem Bürgertum“.
11 In dieser Sammlung sind ein Wissenschaftler und ein Sachbearbeiter für schätzungsweise 150.000 Dokumente zuständig. Eine halbtags tätige studentische Mitarbeiterin ist vor allem mit dem Scannen der Objekte beschäftigt.
12 Vgl. dazu insbesondere Punkt 3 der vom International Council of Museums (ICOM) 1986 verabschiedeten und 2001 ergänzten „Ethischen Richtlinien für Museen“ (http://www.icom-deutschland.de/schwerpunkte-ethische-richtlinien-fuer-museen.php).
13 Auf einen Erwerb von Objekten wird in der Regel verzichtet, wenn das Museum bereits über vergleichbare Stücke verfügt. In diesen Fällen wird im DHM überlegt, welche andere Einrichtung für einen Erwerb infrage kommen könnte. Häufig übernimmt das Museum Objekte nur unter der Maßgabe, sie an andere Einrichtungen weiterreichen zu dürfen.
14 Jedes Objekt - ob Ankauf, Stiftung, Dauerleihgabe oder Schenkung - wird zunächst von der Zentralen Dokumentation „formal“ beschrieben, d.h. die unveränderlichen Eigenschaften des Objekts werden in einer Datenbank erfasst. Anschließend gelangt das Objekt in diejenige (Teil-) Sammlung, in der es dauerhaft aufbewahrt und inventarisiert wird. Alle Dokumente werden einzeln in säurefreien Pergamyn-Tüten gelagert, deren Etiketten aus der Datenbank erzeugt werden. Die einzelnen Dokumente werden thematisch geordnet in Mappen abgelegt, die wiederum nach einem festgelegten Ordnungsprinzip in Graphikschränken aufbewahrt werden. Bedeutende Einzelstücke werden zudem in Seidenpapier eingewickelt.
15 So steht etwa der 1964 von der Bundespost herausgegebene Briefmarkenblock mit den Porträts von acht Widerstandskämpfern für die zögerliche Anerkennung des Widerstands gegen das NS-Regime in der Bundesrepublik. Die von Philatelisten gesuchten Abarten mit Farb- oder Zähnungsunterschieden spielen für die Sammlung des DHM keine Rolle.
16 Mit zunehmender Verbreitung digitaler Informationen auch in der öffentlichen Verwaltung stellt sich nicht nur für Archive, sondern immer mehr auch für Museen die Frage nach dem Umgang mit digitalen Quellen und ihrer dauerhaften Archivierung.
17 Bei einer auf die Zukunft und zukünftige Museumsbesucher ausgerichteten Sammlung zur Zeitgeschichte ist es nicht auszuschließen, dass einige der heute gesammelten Dokumente zu einem späteren Zeitpunkt ausgesondert werden, weil sie die ihnen heute zugedachte Aussage entweder nicht vermitteln oder weil andere Objekte diese Botschaft besser transportieren.
18 Gelegentlich übernimmt das Museum Objekte, die im rechtsradikalen Milieu beschlagnahmt worden sind.