- Leitperspektiven des Themenhefts
- Geschichte und Soziologie der Männlichkeiten
- Männer, Männlichkeiten, hegemoniale Männlichkeit
- Männlichkeiten in der Zeitgeschichtsschreibung
[Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) – Projektnummer 181750155 – Sonderforschungsbereich (SFB) 948: Helden – Heroisierungen – Heroismen, Freiburg im Breisgau.]
Das ägyptische Körperkultur-Magazin »al-Abṭāl« (»Die Champions« oder »Die Helden«; beide Übersetzungen sind möglich) berichtete im Februar 1933 über eine öffentliche athletische Leistungsschau in Kairo. Angesichts der beeindruckenden Performance ägyptischer Männer und ihrer trainierten Körper feierte es eine »sportliche arabische Renaissance« (an-nahḍa ar-riyāḍiyya).1 Diese Leistungsschau zu Ehren des Besuchs Viktor Emanuels III., des Königs von Italien, war nur denkbar in einem politischen und gesellschaftlichen Kontext, in dem der männliche Körper zur Projektionsfläche ägyptischer Selbstbehauptung gegenüber dem britischen Kolonialismus auserkoren wurde. Der Historiker Wilson Chacko Jacob hat in seinem Buch »Working Out Egypt« dargelegt, wie sich die Bemühungen einer aufstrebenden Mittelschicht, ein »unverwechselbares modernes und ägyptisches Selbst vom kolonialen Blick (colonial gaze) zu befreien«, in Diskursen über Geschlecht und Sexualität äußerten, bei welchen einer performativen, auf den athletischen Körper bezogenen Männlichkeit ein zentraler Stellenwert zukam.2 Eine solche Fokussierung auf den virilen männlichen Körper hatte bereits zur Jahrhundertwende eine globale Dimension erreicht. Dies war eng mit den kolonialen Hierarchien und dem Prozess der Nationsbildung verknüpft, wie Sebastian Conrad feststellt.3 Beide Aspekte sind auch für den ägyptischen Fall in der Zwischenkriegszeit von Bedeutung, wo vergleichbare Prozesse nicht zuletzt als Reaktion auf den Orientalismus zu sehen sind, hier verstanden als eine diskursive Strategie zur Beherrschung des Orients, der das koloniale Ausgreifen Europas auf die islamische Welt und damit die Region immer auch geschlechtlich codierte. Edward Said hatte dies bereits in seiner heute klassischen Studie »Orientalism« von 1978 konstatiert.4 Zwar ist die Polemik Saids seit ihrem Erscheinen vielfach kritisiert worden; seiner grundsätzlichen Beobachtung aber, der Orientalismus konstruiere einen feminisierten und als passiv verstandenen Orient, dem das maskuline kolonisierende Subjekt gegenüberstehe, wird weitgehend zugestimmt.5
Die auffällige Fokussierung der aufstrebenden ägyptischen Mittelschicht (aus dem Osmanischen hat hierfür das Wort effendiyya ins Arabische Eingang gefunden6) auf eine körperliche Männlichkeit bleibt analytisch und politisch allerdings ambivalent. Einerseits konzentriert sie sich auf die privilegierte Figur des maskulinen westlichen Subjekts, das als heroische Erlöserfigur auftrat und herrschte;7 andererseits arbeitet sie sich am angesprochenen colonial gaze mit seiner effeminierenden Wirkung auf ägyptische Männer ab. Der Kult um den männlichen Körper, der sich in den 1930er- und 1940er-Jahren im gemeinsamen Sport, im Bodybuilding und in Körperkult-Magazinen Ausdruck verschaffte, kann daher zugleich als Affirmation von und als Auflehnung gegenüber jenen geschlechtlich konnotierten kolonialen Vorstellungen begriffen werden, mit denen die Imperial- bzw. später Mandatsmächte die Völker des Nahen Ostens disziplinierten. Vergleichbare Bestrebungen sind in der gesamten Region zu beobachten.8
Eine performative Form der Auflehnung lockte nicht nur mit der Befreiung vom colonial gaze und dessen effeminierender Absicht. Für all jene, die sich als Männer verstanden, schwang dabei auch ein Versprechen mit, weitere soziale Distinktionsmerkmale zu überwinden: Im ägyptischen Fall stand die sich so extensiv auf den männlichen Körper beziehende effendī masculinity nicht zuletzt Angehörigen marginalisierter sozialer Gruppen offen, da jedermann diese Männlichkeit geltend machen konnte, wenn er denn seinen Körper in der als angemessen verstandenen Weise formte.9 Auch dieses Phänomen blieb nicht auf Ägypten beschränkt.10 In einer transnationalen syrischen Diaspora etwa fanden sich der Historikerin Stacy D. Fahrenthold zufolge zur selben Zeit ähnliche Diskurse. »As a fraternal organization«, so Fahrenthold, »[they] stressed philanthropy, education, and physical discipline as the highest callings of the young male patriot. Each characteristic built on the others, forging an organic whole that would transform Syrian political society, creating an empowered generation of Syrian men ready for the challenges of a modern, civics-minded citizenship.«11
Männlichkeit erscheint hier als Versprechen auf eine bessere Zukunft, als ein positiv konnotiertes Instrument des Empowerments marginalisierter Gruppen. Dieser Befund greift jedoch zu kurz, wie wir im Folgenden ausführen werden, denn das Beispiel des Körperkults der Zwischenkriegszeit in der arabischen Welt zeigt auch: Das Versprechen der Männlichkeit bleibt stets paradox und kann nicht eingelöst werden, ohne die Geschlechterverhältnisse zu ordnen und zu hierarchisieren. Die ägyptische Geschichte verdeutlicht, dass die nationale Unabhängigkeit zwar maßgeblich durch eine neue starke Mittelschicht möglich wurde, die auch von der beschriebenen Aufweichung sozialer Distinktionsmechanismen profitierte. Jacob weist allerdings darauf hin, dass dies nun auf Kosten anderer Gruppen geschah. Zum einen wurde erst durch die Manifestation dieser spezifischen Männlichkeit ein Diskurs über subordinierte Männlichkeiten geschaffen und eine identifizierbare Unterschicht konstruiert, die es zuvor so nicht gegeben hatte und die ihrerseits konkurrierende Männlichkeiten formulierte (arab. futuwwa).12 Zum anderen wurde Frauen, welche die Bedingungen dieser Arbeit am Körper nicht erfüllen konnten, eine soziale und politische Teilhabe erschwert oder sogar gänzlich versperrt.13 Und schließlich wurde durch die Kultivierung eines (Männer-)Körpers, der als healthy and desirable galt, eine heteronormative Binarität vorangetrieben, die auch die Unterdrückung queerer Subjekte legitimierte.14
1. Leitperspektiven des Themenhefts
Das genannte historische Beispiel verdeutlicht, worum es in diesem Heft gehen soll. Die Herausbildung der hier beschriebenen Männlichkeit, die sich auf einen athletisch-maskulinen Körper bezog, ist nur vor dem Hintergrund einer hierarchischen Geschlechterordnung zu verstehen. Andere Männlichkeiten wurden dadurch abgewertet, und tiefgreifend waren auch die Effekte auf Frauen und auf das, was als Weiblichkeit verstanden wurde. Das Beispiel unterstreicht zudem, dass die vielfach unterstellte Binarität der Geschlechterordnung selbst historisiert werden muss und der Blick auf Männlichkeiten – hier bewusst im Plural – zum Verständnis von Prozessen der Binarisierung und Vereindeutigung in der Geschlechterordnung beitragen kann. In dieser Perspektive stehen queere Individuen, die derzeit größere Aufmerksamkeit erfahren, für eine von vielen möglichen Erweiterungen der binären Unterscheidung von Männern und Frauen. In einer intersektionalen Sicht betrifft dies zum Beispiel auch Ethnizität, Herkunft, Religion, Klassenunterschiede, körperliche Leistungsfähigkeit, Alter und mehr. Wir schließen uns daher den im Folgenden skizzierten Positionen an, die Männlichkeit als eine mehrfach relationale Kategorie verstehen. Dies lädt dazu ein, die Frage nach Männlichkeiten in spezifischen historischen Konstellationen zu verkomplizieren, aus einer Perspektive »von den Rändern her«, die Einsichten in die (vermeintliche) Stabilisierung durch und von Geschlechterordnungen verspricht.
Ein solcher Zugang bietet auch Erklärungen für gegenwärtige gesellschaftliche Prozesse und Debatten an, bei denen die Frage nach Männlichkeiten in sozialen Hierarchien Konjunktur hat. Die öffentliche Kritik an überkommenen männlichen Verhaltensmustern, an Repräsentationen und Vorstellungen davon, was als »männlich« galt oder weiter gilt, ist unüberhörbar geworden. Sowohl diese Verhaltensmuster und Repräsentationen als auch die entsprechenden Gegenpositionen, welche sie als erhaltenswert reklamieren, stehen im Fokus gesellschaftlicher Debatten, so in der #MeToo-Bewegung seit 2017 oder auch dort, wo es um die Verschärfung strafrechtlicher Vorschriften bezüglich sexualisierter Gewalt geht. Unter dem Begriff der toxic masculinity wird Einspruch erhoben gegen Machtmissbrauch, männliche Gewalt und Misogynie. Streit bleibt dabei nicht aus; Behauptungen männlicher Überlegenheit und die Kritik daran finden sich nebeneinander, wie etwa die zeitliche Nähe von #MeToo und der Wahl Donald Trumps trotz oder vielleicht sogar wegen seiner misogynen Provokationen während der Wahlkampagne 2016 zeigt.15 Auch die im deutschsprachigen Raum oft unversöhnlich geführte Auseinandersetzung über eine geschlechtergerechte(re) Diktion, auf die der Essay von Cornelia Brink zur gendersensiblen Sprache in der historischen Forschung rekurriert, ist hier zu nennen.
Die Entwicklungen der vergangenen Jahre und die aktuellen Kontroversen um Geschlechter(un)gerechtigkeiten machen deutlich, dass Männer und Vorstellungen von dem, was Männer ausmacht, nicht außerhalb der Geschlechterordnung stehen. Im Gegenteil lässt sich das Subjekt »Mann«, in der Geschichte – und auch in der Geschichtsschreibung – lange Zeit als quasi geschlechtsloses Neutrum objektiviert, als Teil einer vielfältigen Geschlechterordnung untersuchen.16 Dass Aushandlungsprozesse um Männlichkeiten die Geschlechterordnung maßgeblich prägen, gilt für die Gegenwart wie für vergangene Zeiten. Dies macht zeithistorische Fragen nach sich verändernden Vorstellungen, Repräsentationen und Praktiken sowie nach Gründen für weiterhin bemerkenswerte Beharrungskräfte interessant und notwendig. Man könnte meinen, dass derartige Aussagen inzwischen Common Sense seien, aber viele öffentliche und auch wissenschaftliche Debatten zeigen, dass eine solche Annahme verfrüht wäre.
In diesem Themenheft interessieren Akteure, die zeitgenössisch als »Männer« gefasst wurden, erstens als soziale, und das heißt immer auch als geschlechtliche Wesen in sehr unterschiedlichen zeitlichen, räumlichen und gesellschaftlichen Kontexten. Zweitens betrachten wir vor allem solche Gruppen von Männern, die spezifische Erfahrungen von Marginalisierung und Subordination machten: im Zweiten Weltkrieg geschlagene deutsche Männer, deren Ideale nach der Niederlage desavouiert waren; britische Bergarbeiter in den 1970er-Jahren, denen die Arbeitslosigkeit drohte; iranische Männer auf der Suche nach kultureller Authentizität in Abgrenzung von westlicher Hegemonie; muslimische Männer in einer sich als laizistisch verstehenden Türkei; obdachlose Männer in der Bundesrepublik Deutschland seit den 1980er-Jahren; an Aids erkrankte homosexuelle Männer in verschiedenen Ländern; schwarze Männer in einer rassistisch strukturierten nordamerikanischen Gesellschaft; Männer, die in politischen Umbruchzeiten ihren Platz in einer veränderten Gesellschaft finden mussten.
Folgende Fragen leiten die im Heft versammelten Hauptbeiträge: In welcher Weise boten hegemoniale Vorstellungen von Männlichkeit solchen Männern, die diesen Idealen selbst nicht entsprachen, vordergründig einen Ausweg aus der eigenen Erfahrung von Marginalisierung und Subordination? Inwiefern perpetuierten sie – in der Absicht, mit der eigenen Randständigkeit klarzukommen – ein mit ihrer Position in der Geschlechterordnung (vermeintlich) verbundenes Privileg? In diesem Sinn steht das »paradoxe Versprechen« der Männlichkeit im Titel unserer Einleitung empirisch für eine Perspektive von aus diversen Gründen unterprivilegierten Männern, die sich über historische Studien sichtbar machen lässt. Zugleich steht die Formulierung für eine (historische) Geschlechter- und Männlichkeitsforschung, die auf die einflussreichen Arbeiten der Sozialwissenschaftlerin Raewyn Connell Bezug nimmt. Die Beiträge in diesem Heft reflektieren das Versprechen der Männlichkeit für solche Gruppen von Männern, welche die Erfahrung machten, dass sie nicht an der Spitze sozialer Hierarchien standen, und sie fragen danach, wie und warum dennoch gerade auch jene hegemonialen Männlichkeiten affirmiert wurden, welche selbst zum unterprivilegierten Status beigetragen hatten.
2. Geschichte und Soziologie der Männlichkeiten
Trotz zahlreicher Impulse aus der internationalen Forschung und eines in den Gender Studies während der 1990er-Jahre einsetzenden Interesses an Männern und Männlichkeiten als historischem Forschungsgegenstand17 erkannten Bernhard Gotto und Elke Seefried noch 2017 eine erhebliche Disproportionalität in der deutschen Zeitgeschichtsschreibung als Geschlechtergeschichte. Wo auf der einen Seite die »Beschäftigung mit Männern als geschichtsträchtigen Personen eine ungebrochene Hochkonjunktur« erfahre, fristeten »Männer als soziale Gruppe und als geschlechtliche Wesen historiografisch ein Schattendasein«.18 Bei Frauen hingegen verhalte es sich genau umgekehrt. Ob diese Beobachtung aus den einleitenden Überlegungen zum Sammelband »Männer mit ›Makel‹« auch wenige Jahre später noch gilt, kann zumindest in Frage gestellt werden. Gotto und Seefried publizierten ihr Buch bereits in ein sehr lebhaftes und dynamisches Forschungsfeld der Soziologie und der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft hinein.19
Das soziologische und historiographische Interesse an Männern und Männlichkeiten folgt dabei nicht allein dem Bedürfnis, die von Gotto und Seefried angesprochene Disproportionalität aufzulösen und nun umgekehrt einerseits nach Frauen mit besonderer Agency zu fragen und andererseits die spezifischen Lebensbedingungen und Rollenmuster von Männern in der Weise zu untersuchen, wie es für Frauen in der Vergangenheit seit längerem üblich ist.20 Die in den 1970er- und 1980er-Jahren populär gewordene Frage »Wann ist ein Mann ein Mann?«21 kann der Analyse heute allerdings keine hinreichenden Antworten mehr bieten.22 Die früheren Männerstudien sind kaum an eine feministische Frauen- und Geschlechterforschung anschlussfähig, weil sie zwar nach Geschlechterrollen, aber selten nach Machtverhältnissen innerhalb der Geschlechter und zwischen ihnen fragten.23
Über das Konzept der Geschlechterrollen können Machtverhältnisse und die mit ihnen einhergehenden Formen der Unterdrückung allenfalls dort ermittelt werden, wo eine Rolle bei Männern wie bei Frauen Druck auf das Ich ausübt. Näher ausgeführt hat dies Raewyn Connell, die schon genannte Pionierin der Masculinity Studies (oder eben einer feministisch ausgerichteten Männlichkeitsforschung, die von hermetischen, nur Männer im Blick habenden Männerstudien zu unterscheiden ist).24 Ein derartiger Druck »war tatsächlich zentrales Thema in den Männerbüchern der 70er Jahre«, so Connells Befund für westliche Gesellschaften. »Sie waren voller Anekdoten über den Würgegriff von Sportreportern, schweigsamen Vätern und prahlerischen Peer-groups, dem sich die männliche Jugend des Landes ausgesetzt sah.«25 Nicht nur mit Connells Studien hat sich der Fokus zunächst der soziologischen, dann auch der historischen Forschung im Blick auf Männlichkeiten grundsätzlich verschoben.26 Daran knüpfen wir an.
3. Männer, Männlichkeiten, hegemoniale Männlichkeit
Connell bietet einen Ausweg aus der Selbstreferenzialität der Männerstudien: Der Begriff der »hegemonialen Männlichkeit« betont die gesellschaftliche Verknüpfung von Männlichkeit und Macht; er bezieht hetero- wie homosoziale Dimensionen ein.27 Connell hatte ihn 1987 in ihrem Buch »Gender and Power« in einem nur wenige Seiten umfassenden Abschnitt erstmals produktiv gemacht.28 In der neueren Männlichkeitsforschung hat das Konzept eine bemerkenswerte Karriere erlebt und nimmt, wie die Soziologin Sylka Scholz anmerkt, inzwischen selbst »einen hegemonialen Status in der interdisziplinären Geschlechterforschung ein«.29
Hegemoniale Männlichkeit, so die Idee, unterscheidet sich von anderen Männlichkeiten und steht zu diesen in einem hierarchischen Verhältnis. Sie wird indes, folgt man Connell, nur von den wenigsten Männern tatsächlich verkörpert und gelebt. Die normierende Wirkung der hegemonialen Männlichkeit als die in einem bestimmten historischen Moment angesehenste Weise, ein Mann zu sein, fordert allerdings von allen Männern, sich zu ihr zu verhalten.30 Für die Männlichkeitsforschung ergeben sich damit zwei Denkrichtungen, die miteinander in Relation zu setzen sind: Einerseits wird Männlichkeit als Analysekategorie erst produktiv, wenn »männlich« als komplementärer Begriff zu »weiblich« verstanden und über diese Relationalität mit der jeweiligen Geschlechterordnung verbunden wird. Andererseits sind die Konkurrenzbeziehungen mit »männlich« vs. »weiblich« noch nicht erschöpft, sondern es stehen immer auch unterschiedliche Männlichkeiten im Wettbewerb zueinander. Über den Begriff der hegemonialen Männlichkeit kann die Hierarchisierung beider Bezugsebenen erfasst werden: »Das Männlichkeitsmodell an der Spitze dieser Hierarchie […] vereint Eigenschaften, die im Vergleich zu anderen Männlichkeitsausprägungen das höchste Sozialprestige, die größten materiellen Gratifikationen und die Nutzung von politischen Machtressourcen ermöglichen. Dieser hegemonialen Männlichkeit sind alle Ausprägungen von Weiblichkeit untergeordnet, ebenso wie alle anderen Formen der Männlichkeit.«31
Die Soziolog:innen Michael Meuser und Ursula Müller weisen in ihrem Geleitwort zu Connells Buch »Der gemachte Mann« darauf hin, dass hegemoniale Männlichkeit nicht als starres Gebilde verstanden werden dürfe.32 Dasselbe ist für nicht-hegemoniale Männlichkeiten zu betonen, denn Männlichkeit ist keine feste Größe, die im Körper oder in den Persönlichkeitsmerkmalen von Individuen, von Männern also, verankert wäre: Männlichkeiten lassen sich mit Connell als Konfigurationen von Praktiken verstehen, die in sozialem Handeln vollzogen werden und sich daher je nach den Geschlechterbeziehungen in einem bestimmten sozialen Umfeld unterscheiden können.33 Damit ist die Frage, welche Männlichkeitsvorstellungen als hegemonial verstanden werden, welche herabgesetzt werden und/oder zu Effeminierungserfahrungen führen können, kontextabhängig und gesellschaftsbezogen immer wieder neu zu stellen. Vor allem müssen auch jene Aushandlungsprozesse betrachtet werden, in welchen diese Muster der Geschlechterordnung diskutiert, herausgefordert oder angeeignet werden. Ein solcher Perspektivwechsel, der auf randständige Männlichkeiten fokussiert, aber nicht allein die Dynamiken von Marginalisierung oder Subordination untersucht, sondern umgekehrt danach fragt, wie die Akteure sich an hegemonialen Männlichkeiten ausrichten, hat uns besonders interessiert. Dies soll im vorliegenden Heft für ausgewählte europäische und nicht-europäische Gesellschaften seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts exemplarisch verfolgt werden.
4. Männlichkeiten in der Zeitgeschichtsschreibung
Vier Aspekte greifen wir hier heraus, die sich für eine kritische Zeitgeschichtsschreibung fruchtbar machen lassen: Intersektionalität, Internationalität, der Bezug auf den Körper sowie die Widersprüchlichkeit eines Handelns, das Muster fortschreibt, die auch in Phasen des politischen, gesellschaftlichen und/oder kulturellen Wandels Konstanz in der Geschlechterordnung zu versprechen scheinen.
Sich allein auf Männlichkeit als analytische Kategorie zu beschränken würde zu kurz greifen, denn »Geschlecht ist niemals allein wirksam«.34 Der britische Bergarbeiter im Aufsatz von Jörg Arnold macht seine Erfahrungen als Mann immer auch als Angehöriger seiner Klasse. Der migrierte oder geflüchtete Mann, von dem Mostafa Kazemian im interdisziplinären Gespräch berichtet, sieht sich mit einer gegenüber seinem Leben im Herkunftsland veränderten sozialen Position konfrontiert. Der international erfolgreiche iranische Ringer in Olmo Gölzʼ Beitrag erfährt sein Mannsein in der Konstellation einer globalisierten Welt. Anke Ortlepp erinnert in ihrer Neulektüre von Michele Wallaces »Black Macho and the Myth of the Superwoman« (1979) daran, dass die Autorin sich besonders für die intersektionalen Verflechtungen von Race, Geschlechter- und Klassenzugehörigkeit interessierte, die afroamerikanische Frauen und Männer auf unterschiedliche Art und Weise marginalisierten. Kategorien von Klasse, Herkunft, Race, Sexualität oder Alter, ebenso instabil und dynamisch wie die Kategorie »Geschlecht«, sind miteinander verschränkt und beeinflussen sich – stützend oder auch unterminierend.35
Aufschlussreich für die Zeitgeschichte – da es aktuelle Veränderungen des Gegenstandes betrifft, denen sich die Gesellschaftswissenschaften und mit ihr die (historische) Männlichkeitsforschung zu stellen haben –, ist darüber hinaus die wachsende Bedeutung transnationaler und globaler Aushandlungsprozesse von Männlichkeiten: »Lokale Männlichkeitsmuster – wobei ›lokal‹ durchaus auch ›national‹ heißen kann – mögen nach wie vor unterscheidbar sein, aber in Connells Sichtweise bleibt heute keine lokale Konfiguration von Praktiken, mit denen Männlichkeiten konstruiert werden, unberührt von den globalen Kräften, die auch den einzelnen Staat bzw. die einzelne nationale Gesellschaft im Ganzen tangieren und verändern.«36
Diese Perspektive motiviert die Mehrzahl der Beiträge in diesem Heft: Olmo Gölz schildert in seinem Aufsatz über die Heroisierung des Ringers Gholamreza Takhti im vorrevolutionären Iran, wie die heroische Männlichkeit des Athleten als eine autochthone Antwort auf die Diagnose der »Westbefallenheit« Irans erschien, wie Männlichkeit also gleichsam als Antidot gegen den angeblichen Verlust kultureller Authentizität präsentiert wurde. Ähnlich analysiert Jan-Markus Vömel in seinem Aufsatz über islamistische Strömungen in der türkischen Republik, wie muslimisch gerahmte männliche Verhaltensnormen in der Auseinandersetzung mit türkisch-säkularen Männlichkeiten, westlichen Perspektiven auf die Geschlechterordnung und idealisierten muslimisch-weiblichen Verhaltensnormen formuliert und habitualisiert wurden. Vera Marstallers Beitrag zur Zeitschrift »Er«, dem ersten Männermagazin der jungen Bundesrepublik, zeigt, wie in einer heute weitgehend vergessenen Illustrierten der 1950er-Jahre den im Krieg und auch moralisch besiegten deutschen Männern neue Entwürfe von Männlichkeit angeboten wurden, die sich mit dem »Gentleman« und dem »Agenten« unter anderem an britischen Vorbildern orientierten, aber die NS-Vergangenheit weiter mitschleppten.
Die Aufsätze von Britta-Marie Schenk und Jörg Arnold fokussieren dagegen stärker eine lokale bzw. nationale Ebene. Schenk fragt nach Veränderungen der Selbstrepräsentationen obdachloser Männer in der Bundesrepublik seit den 1980er-Jahren, die sie in den »Berber-Briefen« und in neueren Straßenmagazinen findet. Arnold diskutiert die muscular masculinity britischer Bergarbeiter in den 1970er- und 1980er-Jahren; er differenziert ein bis heute gängiges Stereotyp des Bergarbeiters als »Underdog« einer schrumpfenden Industrie. Benno Gammerls Relektüre von Eve Kosofsky Sedgwicks Buch »Epistemology of the Closet« (1990 erschienen und bis heute nur in Teilen ins Deutsche übersetzt) erinnert mit der Autorin daran, »grobschlächtige Kategorisierungen wie weiblich-männlich oder homo-heterosexuell zu überdenken«. Im interdisziplinären Gespräch zwischen dem Historiker Jürgen Martschukat, der Soziologin Sylka Scholz sowie dem Arzt und Psychoanalytiker Mostafa Kazemian wiederum werden verschiedene Lebenswelten und -wege von Männern im Blick auf ihre Erwerbstätigkeit und die mit »Arbeit« verbundenen Vorstellungen von männlicher Identität behandelt, die in politisch-sozialen Umbruchzeiten durch Erfahrungen von Arbeitslosigkeit oder Migration in Frage gestellt wurden. Wie in den anderen Beiträgen wird in diesem Gespräch offenkundig, dass die Männer, von denen die Rede ist, ihre Vorstellungen und Praktiken von Männlichkeit immer wieder auf diejenigen von Weiblichkeit beziehen.
Auffällig ist, dass und wie in einigen der hier vorgestellten Fälle die Selbstversicherung der eigenen Männlichkeit über einen Bezug auf den männlichen Körper bewusst gemacht wird. Auch im wörtlichen Sinn besonders sichtbar wird dies in den Beiträgen über Quellen einer Zeitgeschichte der Männlichkeiten: zu den internationalen Aids-Plakaten, die Mona Leinung vorstellt, und zur westdeutschen Zeitschrift »Er«, von der bereits die Rede war. Ein impliziter oder expliziter Bezug auf den Körper findet sich auch in den übrigen Beiträgen. Der männliche Körper fungiert, stellt Martschukat in unserem Gespräch fest, als »eine Art letztes Refugium eines Versprechens von Stabilität«, eine Vorstellung, die bis heute virulent ist und zur Restabilisierung gesellschaftlicher Machtstrukturen beiträgt. Im Deutschen ist meist von »Maskulinität« als Rekurs auf einen »männlichen« Körper die Rede; der maskuline Körper ist gleichsam automatisch der männliche Körper. Connells Verständnis ist umfassender: »Masculinity is not a fixed entity embedded in the body or personality traits of individuals. Masculinities are configurations of practice that are accomplished in social action and, therefore, can differ according to the gender relations in a particular social setting.«37 Die Beiträge im Heft folgen der konstruktivistischen Auffassung vom doing masculinity, die hier angesprochen ist, analog zum doing gender der Gender Studies und der historischen Geschlechterforschung.38
In der Gesamtschau der Beiträge und in der Perspektive des Theorieangebots, das Connell macht, werden schließlich Widersprüche deutlicher, die sich in historisch und kulturell differenten Kontexten männlicher Vorherrschaft zwischen einzelnen Gruppen von Männern sowie zwischen unterschiedlichen Verhaltensanforderungen an Männer ergeben können. Dabei zeigt sich: Nicht in allen Fällen marginalisierter und subordinierter Männlichkeit wird die jeweils hegemoniale Vorstellung kritisch herausgefordert. Der eigene Kampf gegen sozialen Abstieg oder Ausschluss richtet sich eben nicht zwingend gegen Geschlechterungerechtigkeit; teils wird er mit antifeministischen und frauenfeindlichen Zielen und Mitteln geführt – entweder ganz offen oder implizit durch die Affirmation von Männlichkeiten als Versprechen für sozialen Aufstieg. »Männer können direkt von ihrer Vorherrschaft profitieren, sie können Komplizen sein, aber auch sich unterordnen müssen; sie können von der Machtausübung ihrer hegemonialen Geschlechtsgenossen marginalisiert werden oder in Opposition zu ihnen stehen.«39 Die jeweils hegemoniale Vorstellung kann unterprivilegierten Männern mithin auch als Ressource der Hoffnung auf sozialen Aufstieg dienen.40 Mit Connell gesprochen: Als Männer partizipieren sie an der »patriarchalen Dividende«, die die Vormachtstellung von Männern gegenüber Frauen in den hier angesprochenen Kulturen zunächst allen Männern verspricht. Mit einer Dividende beteiligt eine Aktiengesellschaft ihre Anleger am Gewinn. Wenn Connell wiederholt die Metapher von der »patriarchalen Dividende« stark macht (die breit rezipiert wird), kann das dazu führen, dass die Kosten aus dem Blick geraten, die mit der Ausrichtung an hegemonialen Vorstellungen eben auch verbunden sind. Als Opfer von Ausschluss, Stigmatisierung oder gar Verfolgung sollen diese Gruppen darum aber nicht betrachtet werden. Wie Gotto und Seefried suchen auch wir nach Impulsen, die »von randständigen Männlichkeitsentwürfen ausgingen und auf die Geschlechterordnung insgesamt« wirkten.41 Wir haben – metaphorisch gesprochen – die Schraube jedoch eine Drehung weiter angezogen und fragen nach dem Zugriff auf hegemoniale Männlichkeitsvorstellungen als erhofftem Ausweg aus derartigen Erfahrungen von Marginalisierung sowie nach der Motivation, so zu agieren.
Darüber hinaus wird in der von uns eingenommenen transnationalen Perspektive deutlich, dass die Frage nach fehlenden Privilegien nicht mit jenem Begriff des »Makels« gefasst werden kann, der sich für eine lokale bzw. nationale Perspektive produktiv zeigen mag. Das eingangs präsentierte Beispiel verdeutlicht dies. Die Männer, die sich dem effeminierenden colonial gaze über eine performative Männlichkeit zu widersetzen suchten, gehörten nicht zum Rand der ägyptischen Gesellschaft, sondern repräsentierten gerade deren Mitte. Ihre »Randständigkeit« ist vielmehr in einer transnationalen Beziehung anzunehmen, in welcher der britische Kolonialismus als hegemonialer Referenzpunkt konstruiert wurde.42 Ähnliche Konstellationen können auch für die in diesem Heft angestellten Reflexionen zu iranischen und türkischen Kontexten beobachtet werden. Ohne marginalisierte Minderheiten in lokalen historischen Konstellationen aus dem Blick zu verlieren – Obdachlose in Deutschland gehören ebenso dazu wie Geflüchtete –, zeigen die hier versammelten Beiträge, dass Subordinationserfahrungen sich nicht auf lokale Auffassungen von dem, was ein Makel ist, beschränken.
Die Feststellung, dass das Gefühl der Randständigkeit selbst in Mehrheitskonstellationen – in der Mitte der Gesellschaft also – Einzug halten kann, ist auch aufschlussreich für die Untersuchung von Prozessen des gesellschaftlichen Wandels und einer damit einhergehenden individuellen Furcht vor Bedeutungs- und Privilegienverlust. Die lebensgeschichtlichen Erfahrungen derjenigen, von denen im Heft die Rede ist, unterscheiden sich teils gravierend. Gemeinsam ist den Arbeits- oder Obdachlosen, den Migranten, den Verlierern eines Krieges und denen, die Rassismus oder Homophobie ausgesetzt sind, dass sie in ihrer Identität als Männer tangiert sind – gemessen an den hegemonialen Vorstellungen der jeweiligen Zeit und Kultur. Es ist nichts Ungewöhnliches, daran erinnert Andreas Reckwitz in seinem Vorschlag für eine »Soziologie des Verlusts«,43 wenn in der sozialen Welt Entitäten verschwinden, beispielsweise Statuspositionen an Bedeutung verlieren, die an das Geschlecht gebunden sind. Als Verlust, so Reckwitz, werde ein solches Verschwinden nur wahrgenommen, wenn das Verschwundene für das individuelle oder kollektive Selbstverständnis zentral (gewesen) sei, mit dem Verschwinden also ein Machtverlust einhergehe.
In diesem Punkt scheinen sich die Reaktionen von Männern, die an den Rand geraten sind oder dies befürchten, und derjenigen, die an der Spitze stehen, nur wenig zu unterscheiden: Beide Gruppen können an einer binären Geschlechterordnung festhalten und am Erhalt dieser Ordnung mitarbeiten. Aber den Verlusterfahrungen der einen können soziale Gewinne von anderen gegenüberstehen, etwa von Frauen oder von queeren Menschen. Externe Beobachter:innen dieser Veränderung – eine weitere Position, auf die Reckwitz verweist – gibt es hier jedoch nicht: Die Erfahrung oder Erwartung (sei es als Angst, sei es als Hoffnung), dass die patriarchale Geschlechterordnung erodieren könnte, berührt alle und damit auch die zeithistorisch Forschenden.
Anmerkungen:
1 Vgl. Murat C. Yildiz, Mapping the ›Sports Nahda‹. Towards a History of Sports in the Modern Middle East, in: Danyel Reiche/Tamir Sorek (Hg.), Sport, Politics, and Society in the Middle East, Oxford 2019, S. 11-40, hier S. 13. In seinem grundlegenden Beitrag zur transnationalen Geschichte des Sports im Nahen und Mittleren Osten zeichnet Yildiz auch die Publikationsgeschichte von Illustrierten für Sport und Körperkultur nach. In den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wurden zahlreiche solcher Magazine in der Region publiziert, darunter auch »al-Abṭāl«. Diese meist monatlich erscheinenden Illustrierten wurden zudem durch Sportausgaben von Wochenmagazinen ergänzt. Vgl. ebd., S. 22-33.
2 Wilson Chacko Jacob, Working Out Egypt. Effendi Masculinity and Subject Formation in Colonial Modernity, 1870–1940, Durham 2011, S. 4 (unsere Übersetzung).
3 Sebastian Conrad, Globalizing the Beautiful Body. Eugen Sandow, Bodybuilding, and the Ideal of Muscular Manliness at the Turn of the Twentieth Century, in: Journal of World History 32 (2021), S. 95-125, hier S. 97.
4 Edward W. Said, Orientalism, New York 1978. Siehe auch Felix Wiedemann, Orientalismus, Version: 2.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 19.5.2021.
5 Reina Lewis, The Harem. Gendering Orientalism, in: Geoffrey P. Nash (Hg.), Orientalism and Literature, Cambridge 2019, S. 166-184, hier S. 166.
6 Michael Eppel, The Elite, the Effendiyya, and the Growth of Nationalism and Pan-Arabism in Hashemite Iraq, 1921–1958, in: International Journal of Middle East Studies 30 (1998), S. 227-250, hier S. 228.
7 Jacob, Working Out Egypt (Anm. 2), S. 27.
8 Dylan Baun, Lebanon’s Youth Clubs and the 1936 Summer Olympics. Mobilizing Sports, Challenging Imperialism and Launching a National Project, in: International Journal of the History of Sport 34 (2017), S. 1347-1365; Stacy D. Fahrenthold, Sound Minds in Sound Bodies. Transnational Philanthropy and Patriotic Masculinity in al-Nadi al-Homsi and Syrian Brazil, 1920–32, in: International Journal of Middle East Studies 46 (2014), S. 259-283.
9 Jacob, Working Out Egypt (Anm. 2), S. 4.
10 Vgl. nur Issam Khalidi, Body and Ideology. Early Athletics in Palestine (1900–1948), in: Jerusalem Quarterly 27 (2006), S. 44-58; Mikiya Koyagi, Moulding Future Soldiers and Mothers of the Iranian Nation. Gender and Physical Education under Reza Shah, 1921–41, in: International Journal of the History of Sport 26 (2009), S. 1668-1696; Cyrus Schayegh, Sport, Health, and the Iranian Middle Class in the 1920s and 1930s, in: Iranian Studies 35 (2002), S. 341-369; Murat C. Yildiz, Strengthening Male Bodies and Building Robust Communities. Physical Culture in the Late Ottoman Empire, phil. Diss. University of California, Los Angeles 2015.
11 Fahrenthold, Sound Minds in Sound Bodies (Anm. 8), S. 278.
12 Jacob, Working Out Egypt (Anm. 2), S. 261.
13 Ebd., S. 170f.
14 Ders., Overcoming ›Simply Being‹. Straight Sex, Masculinity and Physical Culture in Modern Egypt, in: Gender & History 22 (2010), S. 658-676, hier S. 659.
15 Robert G. Boatright/Valerie Sperling, Trumping Politics as Usual. Masculinity, Misogyny, and the 2016 Elections, Oxford 2020.
16 Eine prägnante Formulierung dafür hat der britische Historiker John Tosh gefunden: »Als Faustregel läßt sich festhalten, daß jene Aspekte der Männlichkeit, die am direktesten der Aufrechterhaltung dieser Macht dienen, mit größter Wahrscheinlichkeit nicht betont werden.« John Tosh, Was soll die Geschichtswissenschaft mit Männlichkeit anfangen? Betrachtungen zum 19. Jahrhundert in Großbritannien, in: Christoph Conrad/Martina Kessel (Hg.), Kultur & Geschichte. Neue Einblicke in eine alte Beziehung, Stuttgart 1998, S. 160-206 (Übersetzung eines englischen Aufsatzes von 1994).
17 Einen guten aktuellen Überblick bieten Lucas Gottzén/Ulf Mellström/Tamara Shefer (Hg.), Routledge International Handbook of Masculinity Studies, London 2020. Für die Wege der Forschung seit den 1990er-Jahren vgl. auch Jeff Hearn/David H.J. Morgan (Hg.), Men, Masculinities & Social Theory, London 1990; Michael S. Kimmel/Jeff Hearn/R.W. Connell (Hg.), Handbook of Studies on Men and Masculinities, Thousand Oaks 2005.
18 Bernhard Gotto/Elke Seefried, Von Männern und »Makeln«. Einleitende Überlegungen zur Gesellschaftsgeschichte der Bundesrepublik in geschlechterhistorischer Perspektive, in: dies. (Hg.), Männer mit »Makel«. Männlichkeiten und gesellschaftlicher Wandel in der frühen Bundesrepublik, Berlin 2017, S. 7-23, hier S. 7.
19 Neben zahlreichen Aufsätzen und dem genannten Sammelband von Gotto/Seefried vgl. u.a. Jürgen Martschukat/Olaf Stieglitz, Geschichte der Männlichkeiten, Frankfurt a.M. 2008; 2., aktualisierte u. erweiterte Aufl. 2018; Manuel Borutta/Nina Verheyen (Hg.), Die Präsenz der Gefühle. Männlichkeit und Emotion in der Moderne, Bielefeld 2010; Raewyn Connell, Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. Übersetzung von Christian Stahl. Hg. u. mit einem Geleitwort versehen von Ursula Müller, Opladen 1999, 4., durchgesehene Aufl. Wiesbaden 2015; Stefan Horlacher/Bettina Jansen/Wieland Schwanebeck (Hg.), Männlichkeit. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2016; Michael Meuser, Geschlecht und Männlichkeit. Soziologische Theorie und kulturelle Deutungsmuster, Opladen 1998, 3. Aufl. Wiesbaden 2010; Sylka Scholz, Männlichkeitssoziologie. Studien aus den sozialen Feldern Arbeit, Politik und Militär im vereinten Deutschland, Münster 2012, 2., korrigierte Aufl. 2015. Wichtige Erweiterungen brachten seit 2017 u.a. Lothar Böhnisch, Der modularisierte Mann. Eine Sozialtheorie der Männlichkeit, Bielefeld 2018; Sylka Scholz/Andreas Heilmann (Hg.), Caring Masculinities? Männlichkeiten in der Transformation kapitalistischer Wachstumsgesellschaften, München 2019. Seit einigen Jahren wird zudem stärker über Männer als Väter geforscht. Siehe u.a. Jürgen Martschukat, Die Ordnung des Sozialen. Väter und Familien in der amerikanischen Geschichte seit 1770, Frankfurt a.M. 2013; Laura King, Family Men. Fatherhood and Masculinity in Britain, c. 1914–1960, Oxford 2015; Mirijam Schmidt, Bericht zur Tagung »›Alltagsväter?‹ Männliche Sorgebeziehungen in historischer Perspektive seit 1950«, in: H-Soz-Kult, 30.11.2021.
20 Vgl. Gotto/Seefried, Von Männern und »Makeln« (Anm. 18), S. 7.
21 So eine Refrain-Zeile des überaus erfolgreichen Songs »Männer« von Herbert Grönemeyer (1984), die die Herausgeber:innen eines geschichtswissenschaftlichen Sammelbandes 1997 leicht abgewandelt übernahmen: Walter Erhart/Britta Hermann (Hg), Wann ist der Mann ein Mann? Zur Geschichte der Männlichkeit, Stuttgart 1997. Doris Dörries Komödie »Männer«, in dem die Regisseurin zeigt, wie Männer um ihre Rolle und Identität rangelten, war 1985 ein großer Kinoerfolg.
22 Vgl. die Kritik von Martschukat/Stieglitz, Geschichte der Männlichkeiten (Anm. 19), S. 43-45.
23 Vgl. Sylka Scholz, Männlichkeitsforschung: die Hegemonie des Konzeptes »hegemoniale Männlichkeit«, in: Beate Kortendiek/Birgit Riegraf/Katja Sabisch (Hg.), Handbuch interdisziplinäre Geschlechterforschung, Wiesbaden 2019, S. 419-428, hier S. 420.
24 Connell, Der gemachte Mann (Anm. 19), S. 72.
25 Ebd.
26 Zu den ersten historisch Forschenden, die Connell rezipiert haben, gehörte Tosh, Was soll die Geschichtswissenschaft mit Männlichkeit anfangen? (Anm. 16), S. 169.
27 Michael Meuser/Ursula Müller, Zum Geleit. Männlichkeiten und Gesellschaft, in: Connell, Der gemachte Mann (Anm. 19), S. 9-20, hier S. 10.
28 Raewyn Connell, Gender and Power. Society, the Person, and Sexual Politics, Stanford 1987, S. 183-189.
29 Scholz, Männlichkeitsforschung (Anm. 23), S. 420.
30 Raewyn Connell/James W. Messerschmidt, Hegemonic Masculinity. Rethinking the Concept, in: Gender & Society 19 (2005), S. 829-859, hier S. 832.
31 Gotto/Seefried, Von Männern und »Makeln« (Anm. 18), S. 9f.
32 Meuser/Müller, Zum Geleit (Anm. 27), S. 12.
33 Connell/Messerschmidt, Hegemonic Masculinity (Anm. 30).
34 Martschukat/Stieglitz, Geschichte der Männlichkeiten (Anm. 19), S. 56.
35 Zum Begriff der Intersektionalität siehe grundlegend Gabriele Winker/Nina Degele, Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten, Bielefeld 2009, 2. Aufl. 2010. Aus geschichtswissenschaftlicher Sicht: Falko Schnicke, Terminologie, Erkenntnisinteresse, Methode und Kategorien – Grundfragen intersektionaler Forschung, in: Christian Klein/Falko Schnicke (Hg.), Intersektionalität und Narratologie. Methoden – Konzepte – Analysen, Trier 2014, S. 1-32; Jürgen Martschukat, Geschichte der Männlichkeiten. Akademisches Viagra oder Baustein einer relationalen und intersektionalen Geschlechtergeschichte?, in: LʼHomme 26 (2015) H. 2, S. 119-127.
36 Meuser/Müller, Zum Geleit (Anm. 27), S. 13.
37 Connell/Messerschmidt, Hegemonic Masculinity (Anm. 30), S. 836.
38 Vgl. dazu in Anlehnung an Connell auch Gotto/Seefried, Von Männern und »Makeln« (Anm. 18), S. 9.
39 Walter Hollstein, Der Mythos vom starken Geschlecht, in: Badische Zeitung, 30.4.2001, S. IV.
40 Zur »Krise der Männlichkeit« als Erfahrung (und nicht als Zeitdiagnose) vgl. die Hinweise bei Martschukat/Stieglitz, Geschichte der Männlichkeiten (Anm. 19), S. 65-74.
41 Gotto/Seefried, Von Männern und »Makeln« (Anm. 18), S. 9.
42 Zu dieser Thematik vgl. Mrinalini Sinha, Colonial Masculinity. The ›Manly Englishman‹ and the ›Effeminate Bengali‹ in the Late Nineteenth Century, Manchester 1995.
43 Andreas Reckwitz, Verlust und Moderne – eine Kartierung, in: Merkur 76 (2022) H. 1, S. 5-21.