Startseite (April 2005)
Cold War International History Project (CWIHP) (http://www.wilsoncenter.org/cwihp)
Der Kalte Krieg ist zu Ende. Unabhängig davon, auf welches Jahr man seinen Beginn datiert - auf 1943, 1945, 1946 oder das Jahr der „offiziellen Kriegserklärung“ 1947: Der Untergang der Sowjetunion 1991 markiert das Ende eines fast fünfzigjährigen Konflikts. Man kann sich wohl am ehesten darauf einigen, dass dieser Konflikt primär eine Auseinandersetzung zwischen zwei unvereinbar erscheinenden Weltanschauungen mit jeweils konkurrierenden Gesellschaftsentwürfen war, die rasch den Charakter einer „totalen“ Auseinandersetzung annahm und nahezu alle Bereiche des öffentlichen und zum Teil auch des privaten Lebens okkupierte. Mit Ausnahme der atomaren Waffen, die sich aufgrund ihres langfristigen Zerstörungspotenzials als nicht einsetzbar erwiesen, kam alles Verfügbare zur Anwendung, um diesen Konflikt zu gewinnen. Der Kalte Krieg, so kann man zusammenfassen, war eine weltweite politisch-ideologische, ökonomische, technologisch-wissenschaftliche und kulturell-soziale Auseinandersetzung, die ihre Auswirkungen bis in den Alltag zeigte.1 Nur in der „Dritten Welt“ wurde der Kalte Krieg schließlich auch als konventionelle militärische Auseinandersetzung geführt.2
Angesichts des umfassenden Charakters der Auseinandersetzung liegen die analytischen Schwierigkeiten einer Beschäftigung mit der Geschichte des Kalten Krieges auf der Hand; sie sind bereits vielfach diskutiert worden. Die globale Dimension, die Totalität der Auseinandersetzung und die atemberaubende Dynamik des wellenartig durch Eskalations- und Entspannungsphasen laufenden kontinuierlichen Konflikts haben besondere Probleme zur Folge: Sie betreffen unter anderem den Quellenzugang, die Komplexität der Fragestellungen, die Notwendigkeit von Interdisziplinarität und nicht zuletzt die Sprachkompetenz.
Der Zugang zu den Primärquellen im „Ostblock“ blieb bis zum Ende des Kalten Krieges eines der gravierendsten Probleme der Forschung. Archivmaterialien wurden zwar immer wieder veröffentlicht, aber auch sie waren häufig nur das Ergebnis der Auseinandersetzung innerhalb der Fronten des Kalten Krieges. Vielfach blieb die Geschichtswissenschaft auf Vermutungen angewiesen, selbst wenn Überläufer aus dem sowjetisch kontrollierten Machtbereich hin und wieder bestimmte Fragen beantworten konnten. „Terra incognita“ blieben nicht zuletzt auch Quellen zur Tätigkeit vieler westlicher Geheimdienste und bis heute natürlich viele Archivalien der so genannten Dritten Welt.
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Mit dem Ende des Kalten Krieges 1991 und der politischen Euphorie der ersten „Nachkriegsjahre“ kam tatsächlich eine neue Offenheit in einen Teil der bisher verschlossenen Archive des ehemaligen Ostblocks, aber auch des Westens. Verschiedene Projektverbünde und Programme entstanden mit dem Ziel, nun einige der seit langem ungeklärten Fragen des Kalten Krieges mit neuen Materialien anzugehen. Zu diesen gehört auch das in Washington D.C. angesiedelte „Cold War International History Project“ (CWIHP), das 1991 mit Unterstützung der MacArthur Foundation gegründet wurde und sich inzwischen zu einer festen Institution der Forschungen zum Kalten Krieg entwickelt hat. Organisatorisch ist das CWIHP dem renommierten, 1968 gegründeten Woodrow Wilson International Center for Scholars angegliedert, das weitere Programme dieser Art unterhält - beispielsweise zu Asien, Afrika, Brasilien, Lateinamerika und dem Mittleren Osten. Aber die über die CWIHP-Website verfügbare Liste der Projektpartner führt zudem zu mehr als 20 anderen bekannten oder auch eher unbekannteren „Groups“ und „Centers“, die sich ebenfalls mit dem Kalten Krieg beschäftigen. Hier finden sich unter anderem das National Security Archive in Washington, das Norwegian Institute for Defence Studies, das Cold War Studies Centre in London, das Cold War Museum in Fairfax, das Cold War History Research Center in Budapest und das Machiavelli Center for Cold War Studies in Italien. Eine solche Vernetzung, die mittlerweile von fast allen auf diesem Feld tätigen Forschungseinrichtungen versucht wird, ist eine der wesentlichen Voraussetzungen, um der Komplexität der interdisziplinären Fragestellungen zur regionalen und globalen Geschichte des Kalten Krieges gerecht zu werden.
Das nach fast 14 Jahren Bestehen international bekannte CWIHP hat es sich unter seinem Direktor Christian F. Ostermann (zusammen mit Project Associate Mircea Munteanu und Production and Web Editor Richard Thomas) zur Aufgabe gemacht, bislang nicht zugängliche, vor allem diplomatiegeschichtliche Quellen der „anderen Seite“ des Konflikts in englischer Übersetzung weltweit und schnell der Forschung zugänglich zu machen. Dies ist doppelt verdienstvoll: Die Archivmaterialien stammen nicht nur aus den unterschiedlichsten, bislang häufig nicht frei zugänglichen Archiven, sondern auch aus den unterschiedlichsten Sprachräumen: der ehemaligen Sowjetunion, China, Polen, Ungarn, der DDR, Rumänien, Bulgarien, Albanien, Äthiopien, Kuba etc. Gleichzeitig wird damit einer übermäßigen Spezialisierung der Forschung entgegengewirkt.
Als Forum für Quellenveröffentlichungen dient vor allem das in unregelmäßigen Abständen erscheinende, sowohl online als auch gedruckt publizierte „Cold War International History Project Bulletin“. Dieses mittlerweile sehr umfangreich gewordene Forum unterteilt sich jeweils in einen Quellenteil zu unterschiedlichen Themen und eine kurze Einführung. Bislang wurden zehn Ausgaben des Bulletins vorgelegt, deren Titel jeweils das Schwerpunktthema widerspiegelt: „Inside the Warsaw Pact“ (1992), „From the Russian Archives“ (1993), „Soviet Nuclear History“ (1994), „Cold War Crisis“ (1995), „The Cold War in Asia“ (1995/96), „The Cold War in the Third World and the Collapse of Détente“ (1996/97), „Leadership Transition in a Fractured Bloc“ (1998), „Cold War Flashpoints“ (1998), „The End of the Cold War“ (2001), „New Evidence on North Korea“ (2003/04). Wie breit gefächert die Themen in den einzelnen Ausgaben sind, lässt sich anhand des aktuellen Bulletins verdeutlichen. Das Thema Nordkorea, das beim CWIHP von Kathryn Weathersby betreut wird, macht lediglich knapp 140 Seiten der über 440 Seiten starken Ausgabe aus. Die restlichen 300 Seiten werden durch Artikel und Quellenveröffentlichungen zum sowjetischen Krieg in Afghanistan, zu den Vorgängen in der Tschechoslowakei 1968, zur Frage der sowjetischen Atomwaffen auf Kuba 1962 und eine Reihe kleiner „Archive Updates“ gefüllt. Glücklicherweise wurde in den neuen Ausgaben das zunächst etwas verwirrende Format des Bulletins aufgegeben, alle Themen bereits auf der Titelseite in wenigen Zeilen aufzumachen und im Zeitungsstil auf die weiter hinten folgende Fortsetzung zu verweisen. Damit hat das Bulletin deutlich an Übersichtlichkeit gewonnen.
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Ein weiteres Forum des CWIHP sind darüber hinaus die „Working Papers“, die ebenfalls über die Website abrufbar sind. Sie dienen zur relativ kurzfristigen Veröffentlichung aktueller Forschungsergebnisse und sollen besonders jüngeren Forschern aus Staaten des ehemaligen Ostblocks offenstehen, die in den dortigen Archiven gearbeitet haben und neue Interpretationen zur Diskussion stellen. Bisher sind in dieser Reihe mehrere Dutzend Einzeltitel vorgelegt worden; sie richten sich eher an spezialisierte Leser.
Ein überaus nützliches Forum sind zudem die „e-Dossiers Series“ des CWIHP, die jeweils auch mit unterschiedlichen Schwerpunktthemen aufwarten. Verfügbar sind unter anderem die Themen: „The Soviet Bloc and the Aftermath of the June 1967 War: Selected Documents from Polish and Romanian Achives“ (Nr. 13), „China and the Warsaw Pact in the 1970-1980s“ (Nr. 12), „Was Oppenheimer a Soviet Spy? A Roundtable Discussion with Jerrold and Leona Schecter, Gregg Herken and Hayden Peak“ (Nr. 11), „Poland and the Sino-Soviet Rift, 1963-1965“ (Nr. 10), „East German Spying Reveals NATO War Plans“ (Nr. 9), „The Soviet Union and the Six Day War: Revelations From The Polish Archives“ (Nr. 8), „Operation Manuel: Czechoslovakia and Cuba“ (Nr. 7), „New Evidence on Romania and the Warsaw Pact, 1955-1989“ (Nr. 6), „New Evidence on the 1989 Crisis in Romania“ (Nr. 5) sowie „New Evidence on the Soviet Invasion of Afghanistan“ (Nr. 4). Einige dieser e-Dossiers verweisen gleichzeitig auf themenverwandte Websites. Die Quellen des e-Dossiers „China and the Warsaw Pact in the 1970-1980s“ (Nr. 12) sind zum Beispiel gleichzeitig als Faksimiles auf der Website des Parallel History Project on NATO and the Warsaw Pact (PHP) abrufbar.3
Darüber hinaus präsentiert sich das CWIHP durch regelmäßige Vorträge und Konferenzen in der Öffentlichkeit. Im Jahr 2004 fanden unter anderem Veranstaltungen zum Einfluss der westlichen Rundfunkstationen im Kalten Krieg, zur Kongo-Krise, zum Iran-Irak-Krieg und zu den osteuropäisch-chinesischen Beziehungen statt. Neben Konferenzen zum Wirtschaftskrieg im Kalten Krieg und zu Nordkorea wurde im Jahr zuvor aber auch eine Tagung zur Erinnerungskultur des Kalten Krieges (mit)veranstaltet, die thematisch Neuland betrat. Zu allen Veranstaltungen lassen sich auf der Website die Konferenzberichte einsehen.
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Zusammenfassend bleibt ein positives Fazit: Die Website des Cold War International History Project ist benutzerfreundlich angelegt, bietet brauchbare Suchfunktionen und wird regelmäßig aktualisiert. Alle im „Virtual Archive“ angebotenen Primärquellen lassen sich problemlos und kostenlos herunterladen und ausdrucken. Wem das nicht reicht, kann Materialien als Papierkopie anfordern. Natürlich lassen sich auch Kritikpunkte finden. So ist das Themenspektrum weitgehend auf diplomatiegeschichtliche Aspekte begrenzt, während man andere Fragestellungen vermissen mag. Den Ergebnissen einzelner Konferenzen (etwa zu „Cold War Memory“, 2003) wäre mehr Verbreitung zu wünschen gewesen. Ein anderer Kritikpunkt betrifft das Problem der Vergleichstexte. Viele Benutzer würden es sicherlich begrüßen, den Originaltext jeweils mitgeliefert zu bekommen, um bei Unklarheiten (und bei entsprechender Sprachkompetenz) die Übersetzung nachprüfen zu können. Doch das sind nur Marginalien. Das CWIHP leistet für die Erweiterung und Verbreitung von Kenntnissen über den Kalten Krieg eine wichtige Arbeit.
1 Vgl. u.a. Jost Dülffer, Europa im Ost-West-Konflikt 1945-1991, München 2004; Bernd Stöver, Der Kalte Krieg, München 2003.
2 Vgl. u.a. Robert J. McMahon, Heiße Kriege im Kalten Krieg. Überlegungen zu einem Paradox, in: Mittelweg 36 14 (2005) H. 1, S. 5-21.
3 Zur Website des PHP vgl. die Rezension von Stephanie Zloch, online unter URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/type=rezwww&id=83