Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb, GB/USA 1964, 94 Min., Regie und Produktion: Stanley Kubrick, Drehbuch: Stanley Kubrick/Peter George/Terry Southern, Musik: Laurie Johnson, Kamera: Gilbert Taylor, Schnitt: Anthony Harvey.
Man muss dabei gewesen sein. Wer heute »Dr. Strangelove« einem Publikum von unter Dreißigjährigen zeigt, einer Altersgruppe also, die den Kalten Krieg bestenfalls vom Hörensagen kennt, wird vermutlich gelangweilte oder verständnislose Kommentare hören. Oder die Frage, was es denn um Himmels willen zu lachen geben soll in dieser »schwarzen Satire« über die atomare Vernichtung der Welt, die seit ihrer Uraufführung am 29. Januar 1964 hartnäckig als eine der besten Komödien aller Zeiten gehandelt wird und dem virtuosen, gleich in drei Rollen auftretenden Hauptdarsteller Peter Sellers einen Logenplatz in der cineastischen Ruhmeshalle gesichert hat.
Gewiss, es fallen Sätze von zeitloser Komik. »Gentlemen, you can’t fight in here. This is the War Room!« dürfte ein Klassiker bleiben. Aber der Rest des Drehbuchs? Dass sich eine »Miss Foreign Affairs« im Bikini abmüht, das Dummchen zu geben und von einem General im ewigen Testosteronrausch auch als solches behandelt wird – nun ja. Dass militärische Allmachtphantasien mit sexuellen Potenzgelüsten verschwistert sind – auch das hat sich herumgesprochen; und wer es immer noch nicht verstanden hat oder verstehen will, ist auch von der im gesamten Film triefenden Sex-Symbolik kaum zu beeindrucken. Dass ein machttrunkener Militär eine B-52 im Bombenanflug mimt, von gerösteten Hühnern faselt und in der Karikatur seiner selbst zu sich findet – gewiss gut gemacht, aber kein Angriff auf die Lachmuskeln. Dass Dr. Strangelove, ein in Deutschland geborener Exilant, seinen auf den Hitlergruß programmierten rechten Arm nicht unter Kontrolle bringt und einen amerikanischen Präsidenten fortlaufend mit »Mein Führer« anraunzt – wer Billy Wilder, Monty Python oder Ihresgleichen kennt, weiß, dass es auch subtiler geht. Dass der sowjetische Staatschef mal wieder betrunken ist, wenn es darauf ankommt und wie ein Kleinkind betüttelt werden will – dito. Und dass der Kommandant eines Atombombers »Major Kong« heißt und von allen »King Kong« genannt wird – man muss, wie gesagt, dabei gewesen sein.
So sehr »Dr. Strangelove« ein in seiner Zeit verkapselter Film ist, so eindrucksvoll bringt er den Geist dieser Zeit zum Ausdruck,[1] genauer gesagt die Logik der militärischen Abschreckungsdoktrin. Niemand hat je gezählt, wie viel tausende Seiten Papier bedruckt worden sind, um die einschlägigen Gedankenmodelle von »defense intellectuals«, wie sich die Präzeptoren der »deterrence« gerne nannten, unter die Leute zu bringen. Stanley Kubrick benötigt nur einen einzigen Satz, um die Strategie zu verdeutlichen – vorgetragen von Dr. Strangelove in seiner Funktion als Wissenschaftsberater des Präsidenten: »Deterrence is the art of producing in the mind of the enemy the F-E-A-R to attack.« Um das Schüren von Ängsten geht es also und um das Aufstellen von Angstkulissen. Allein, die Sache hat einen Haken. Wer nämlich derart viele Atomwaffen anhäuft, dass ein Feind aus Furcht vor der Vergeltung nicht mehr den Mut zum Angriff hat, provoziert eine spiegelbildliche Antwort. In anderen Worten: Sobald sich die Gegenseite ebenfalls das Potential für einen alles vernichtenden Gegenschlag zugelegt hat, läuft Abschreckung unwiderruflich auf Selbstabschreckung hinaus. Im Zweifel stehen sich dann zwei überrüstete Giganten wie Sumo-Kämpfer gegenüber und tun – nichts.
Das genau ist die ironische Pointe der Abschreckungslogik: Statt ein Problem zu lösen, setzt sie zig neue in die Welt. Vor allem stellt sie eine Glaubwürdigkeitsfalle. Eine Großmacht, die darauf verzichtet, ihre Macht stets aufs Neue zu beglaubigen, mithin auch militärisch einzusetzen, ist die längste Zeit Großmacht gewesen. Soviel lehrt jeder noch so flüchtige Blick in die Geschichtsbücher. Und je länger dieser Machtverzicht währt, desto größer werden die Zweifel: Kommen Politiker, denen die Angst vor dem roten Knopf zur zweiten Natur geworden ist, überhaupt noch gegen ihre Selbstlähmung an? Werden sie nicht jeder Art der Erpressung nachgeben, egal, was auf dem Spiel steht? Darauf gibt es nur eine immanent logische Antwort, genial in ihrer Einfachheit und gespenstisch in der Konsequenz: die Weltvernichtungsmaschine. Sie nimmt menschliche Akteure komplett aus dem Spiel und generiert einen mechanischen Automatismus jenseits unberechenbarer Emotionen oder eigensinniger Selbsterhaltungstriebe. Sobald Staat X eine Atombombe über dem Territorium von Staat Y abwirft, werden dort in Geheimverstecken deponierte Vergeltungswaffen von Computern zu einer Explosion gebracht, deren nuklearer Fallout alles Leben garantiert ausradiert. Wie Dr. Strangelove mit einem sardonischen Grinsen bemerkt: »And so, because of the automated and irrevocable decision-making process which rules out human meddling, the Doomsday machine is terrifying. It’s simple to understand. And completely credible, and convincing.«
Warum aber sollte man glauben, dass die Gegenseite tatsächlich eine Weltvernichtungsmaschine installiert hat? Könnte man nicht mit ebenso guten Gründen von einem durchtriebenen Bluff ausgehen? Von einer Kriegslist, die den Verwundbaren stärker aussehen lässt, als er in Wirklichkeit ist? Und würde in diesem Fall der Atomkrieg nicht wieder zu einer beherrschbaren Option? Stanley Kubricks Film handelt von der intellektuellen und emotionalen Überforderung, die sich angesichts dieser Fragen einstellt – ja einstellen muss, weil es keine überzeugenden Antworten, sondern bestenfalls das Arrangement mit einem unkalkulierbaren Restrisiko geben kann. Unter solchen Voraussetzungen aber keimt die Versuchung, endlich reinen Tisch zu machen und die unerträgliche Komplexität mittels einer Flucht nach vorn auf ein zumutbares Maß zu reduzieren.
Der Offizier, der einer Staffel von B-52-Bombern den Angriff auf die Sowjetunion befiehlt, weiß zwar zu diesem Zeitpunkt nichts von der »Doomsday machine«; aber er hätte sich, weil er den Russen grundsätzlich nicht glaubt und die eigenen Politiker für Schwächlinge hält, von einer entsprechenden Information auch nicht abschrecken lassen. »Today, war is too important to be left to politicians. They have neither the time, the training, nor the inclination for strategic thought.« Ihm geht es nur darum, den gordischen Knoten zu durchschlagen und mit einem großen Knall wieder überschaubare Verhältnisse zu schaffen. Kurz: eine Welt ohne selbst gestellte Fallen, in der Macht wieder rücksichtslos ausgeübt werden kann, eine von der Abschreckungslogik befreite Welt. Damit hat er einen Nerv getroffen; kein Geringerer als der Stabschef der Luftwaffe macht sich die Idee in einer hitzigen Debatte mit dem Präsidenten zu Eigen und schwärmt von den Vorteilen eines nuklearen Präventivkriegs. »I’m not saying we wouldn’t get our hair mussed. But I do say no more than ten to twenty million killed, tops, uh, depending on the breaks.«
25 Millionen Tote im eigenen Land und ein Vielfaches davon auf Seiten des Gegners, bloß weil man der Politik misstraut und unterstellt, dass das Dilemma der Abschreckung auf lange Sicht größeren Schaden anrichtet als ein zur rechten Zeit angezettelter Krieg: Im Grunde war der Film mit diesem Szenario näher an der Realität, als viele Zuschauer, professionelle Historiker eingeschlossen, noch heute wahrhaben wollen. Vom Abwurf der ersten Atombombe bis in die frühen 1960er-Jahre riet eine ebenso meinungsstarke wie einflussreiche Gruppe amerikanischer Luftwaffenoffiziere wiederholt zu einem »vorbeugenden Atomschlag«, um konkurrierende Atommächte wie die UdSSR oder die VR China an weiterer Aufrüstung zu hindern und um das »Gleichgewicht des Schreckens« durch eine »Pax Americana« zu ersetzen. Während des Korea-Kriegs wurde über diese Option gar im Nationalen Sicherheitsrat gestritten;[2] und im Laufe der Kuba-Krise drängte der Stabschef des Strategischen Luftkommandos, Curtis LeMay, unablässig zu Luftangriffen gegen sowjetische Raketenstellungen auf der Insel – wobei unklar blieb, ob er die Gefahr einer weiteren Eskalation für illusorisch oder für tragbar hielt.[3] Wann und wie sich sowjetische Militärs dieses Schlages zu Wort meldeten, ist nicht hinreichend dokumentiert. Dass es sie gab, steht indes fest. Hier wie dort haben sie die Debatte über vermeintlich akzeptable Kosten eines Atomkriegs jahrzehntelang am Leben gehalten und nicht zuletzt dazu beigetragen, dass man im Rahmen von »Zivilschutzprogrammen« Unsummen zur Minimierung eventueller Schäden ausgab.
Dass Stanley Kubrick seine Protagonisten mehrheitlich als Psychopathen in Szene setzt, ist die Geschäftsidee des Films – und zugleich dessen größte Schwäche. Allein die Namensgebung versprüht den Charme und die Subtilität eines Holzhammers. Der General, der im Alleingang den Weltuntergang auslöst, hört auf den Namen Jack D. Ripper; der Chef der Luftwaffe heißt »Buck« Turgidson, was man wahlweise als »angeschwollener Rammler« oder »schwülstiger Bock« übersetzen kann; Dr. Strangelove schließlich firmiert in der deutschen Fassung des Films als Dr. Seltsam, eine naheliegende Nachbesserung des manierierten »Merkwürdigliebe« im amerikanischen Original. Wie auch immer: Wer von den dreien der Verrückteste ist, bleibt im Grunde offen. Vielleicht der »Ripper«, der seinen Whiskey nur mit Regenwasser oder destilliertem Wasser verdünnt, weil die Russen mit verseuchtem Trinkwasser angeblich einen geruchs- und geschmacklosen Großangriff auf das Genmaterial der Amerikaner gestartet haben – auf »our precious bodily fluids«. Weil Paranoia und Allmachtphantasien allzu oft als Zwillinge auftreten, steht ihm »Buck« Turgidson im Grunde kaum nach. Aber den Vogel schießt am Ende doch der diabolische Strangelove ab, der die Halbwertszeit des nuklearen Fallouts mit Hilfe einer mathematischen Drehscheibe manuell auf 100 Jahre taxiert und in dieser Zeit durch ein ausgeklügeltes Zuchtprogramm in unterirdischen Stollen der amerikanischen »Rasse« das Überleben sichern will – sofern jedem erbgesunden Mann zehn gleichermaßen reine Frauen zur Seite gelegt werden können. Dass man mit klinisch Derangierten eine filmische Handlung zusammenhalten kann, ist nicht die Frage; wohl aber, ob eine politische Satire, egal zu welchem Gegenstand, dieses Stilmittels tatsächlich bedarf.
Mit etwas Mut zum interpretativen Risiko könnte man Stanley Kubrick eine hintergründige Absicht unterstellen: den Versuch nämlich, einem amerikanischen Publikum mittels ungebremster Überspitzung die Anfälligkeit der eigenen Gesellschaft für totalitäres Denken und Handeln buchstäblich vor Augen zu führen. Sollte er es darauf tatsächlich angelegt haben, müsste man in der altbewährten Art amerikanischer Trainer für Highschool-Basketball antworten: »Nice try! Try again!« Viel eher ist davon auszugehen, dass Kubrick in erster Linie die Erwartungen seiner Zeit bediente. Wenn im damaligen Kino etwas auf groteske oder bedrohliche Art aus dem Ruder lief, dann musste ein unzurechnungsfähiger Nazi dahinterstecken – sei es in der Rolle des Trottels, des Verbrechers oder eben des wahnsinnigen Wissenschaftlers. Zwar hätten die Zeitgenossen im deutschstämmigen Dr. Strangelove auch mühelos den damaligen Superstar amerikanischer »defense intellectuals« erkennen können: Herman Kahn, der in Diensten der RAND Corporation ein hundertfach abgestuftes Modell des führ- und gewinnbaren Atomkriegs ausgetüftelt hatte.[4] (Wem die Parallele beim ersten Hinsehen entgangen war, der wurde mit dem Zaunpfahl auf die richtige Spur gewinkt: Strangelove arbeitete für einen Think Tank namens BLAND Corporation.) Aber Kahn hatte – wie Wernher von Braun, Edward Teller und Henry Kissinger, denen Strangelove auf entfernte Art gleichfalls ähnelte – europäische Wurzeln, entstammte einer für totalitäres Denken anfälligen Kultur und konnte mithin ohne weiteres als »unamerikanischer« Exot mental ausgegrenzt werden. Mag sein, dass Kubrick diese Lesart gar nicht intendierte; mit der Art seiner Darstellung bediente er sie aber aufs Trefflichste.
Damit aber verschenkt der Film die Pointe der Abschreckungspolitik. Es bedurfte keiner verrückten Einzelgänger, um das »Gleichgewicht des Schreckens« aus der Balance zu bringen. Das System war aus sich heraus labil und störanfällig genug.[5] Im Falle einer krisenbedingten Unterbrechung der Kommunikationswege und Befehlsketten beispielsweise hatten untergeordnete Kommandeure die Erlaubnis, zum Zweck der Selbstverteidigung die ihnen anvertrauten Nuklearwaffen einzusetzen; dass sowjetische U-Boot-Kommandanten während der Kuba-Krise davon keinen Gebrauch machten, war eher individueller Intuition als präventiven Sicherungsmechanismen geschuldet. Davon abgesehen lässt sich mit guten Gründen behaupten, dass die hauptsächliche Gefahr der Zeit nicht von kriegslüsternen Militärs ausging, sondern von ungleich risikobereiteren, weil um ihre Glaubwürdigkeit besorgten Politikern – siehe John F. Kennedy, der im Frühsommer 1963 in Moskau wegen eines nuklearen Entwaffnungsschlages gegen die VR China vorfühlen ließ; siehe Richard Nixon, der anlässlich des Yom-Kippur-Kriegs die amerikanischen Atomstreitkräfte in erhöhte Alarmbereitschaft versetzte; siehe Juri Andropow, der im Herbst 1983 Anzeichen eines unmittelbar bevorstehenden Atomkriegs zu erkennen glaubte und einen von Berufs wegen nervösen Militärapparat zusätzlich in Aufregung versetzte.[6] Obwohl es unzulässig ist, von einem Künstler historische Akkuratesse zu verlangen – dass einzig der amerikanische Präsident in »Dr. Strangelove« das positive Gegenbild zu einer Horde verrückter Offiziere abgibt, spiegelt ein naives Wunschdenken.
Trotz alledem bleibt »Dr. Strangelove« ein sehenswerter Film. Und sei es nur, weil er im Modus der hemmungslosen Zuspitzung nicht zuletzt eine Hinterlassenschaft des Kalten Kriegs dokumentiert – ein im Sicherheitswahn befangenes Denken, das nicht mehr zwischen Risiko, Gefahr und Bedrohung unterscheiden kann und im Kampf gegen reale, potentielle oder imaginierte Feinde jedes Augenmaß verliert. »I want to impress upon you the need for extreme watchfulness. The enemy may come individually, or in strength. He may even appear in the form of our own troops. […] Trust NO one, whatever his uniform or rank. […] If in doubt, shoot first then ask questions later.« Die Kämpfer gegen die Monster unserer Tage, denen dieses Zitat von Jack D. Ripper ebenfalls zugeschrieben werden könnte, sind mühelos identifizierbar und allseits bekannt.[7] Man muss folglich keineswegs Zeitzeuge des Kalten Kriegs sein, um mit Gewinn über »Dr. Strangelove« nachdenken, reden oder streiten zu können.
P.S.: Von Ronald Reagan wird behauptet, dass er nach seiner Amtseinführung den »War Room« des Weißen Hauses zu besichtigen wünschte. Und dass er den Hinweis auf dessen Nicht-Existenz zunächst nicht wahrhaben wollte – er habe die Kommandozentrale doch schon einmal mit eigenen Augen gesehen. Im Film.
[1] Für ein ausführliches Porträt der zeitgenössischen USA vgl. Margot A. Henrikson, Dr. Strangelove’s America. Society and Culture in the Atomic Age, Berkeley 1997.
[2] Eine konzise Zusammenfassung bietet jüngst Marc Trachtenberg, The Cold War and After. History, Theory, and the Logic of International Politics, Princeton 2012.
[3] Bernd Greiner, Die Kuba-Krise. Die Welt an der Schwelle zum Atomkrieg, München 2010.
[4] Philip Rocco, Wissensproduktion in der RAND Corporation, in: Bernd Greiner/Tim B. Müller/Claudia Weber (Hg.), Macht und Geist im Kalten Krieg, Hamburg 2011, S. 301-321.
[5] Vgl. Scott D. Sagan, The Limits of Safety. Organizations, Accidents, and Nuclear Weapons, Princeton 1993.
[6] Vgl. Bernd Greiner, Krisen im Kalten Krieg. Bilanz und Ausblick, in: ders./Christian Th. Müller/Dierk Walter (Hg.), Krisen im Kalten Krieg, Hamburg 2008, S. 7-24.
[7] Vgl. Ira Chernus, Monsters to Destroy. The Neoconservative War on Terror and Sin, New York 2006.