Zeitgeschichte und populäre Geschichtsschreibung

Einführende Überlegungen

Anmerkungen

Die zu keinem Zeitpunkt besonders exklusive Position der akademischen Zeitgeschichte in der Öffentlichkeit wird heute mehr denn je herausgefordert von außerakademischen Beiträgen zur Geschichtsschreibung. Das gestiegene wie auch pluralisierte Bedürfnis nach geschichtlicher Einordnung der Gegenwart findet in den populären Geschichtsformaten ganz offensichtlich eine breite Resonanz. Bei dieser Ausweitung spielen fundamentale politische, sozialgeschichtliche und kulturelle Entwicklungen eine Rolle, namentlich die Aufweichung der nationalgeschichtlichen und nationalkulturellen Rahmenbedingungen, unter denen die moderne Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung seit dem frühen 19. Jahrhundert entstanden waren. Im frühen 21. Jahrhundert verstehen sich vormals undiskutierte Bezugsrahmen einer solchen Geschichtsschreibung nicht mehr von selbst. Vielmehr muss zunehmend klargestellt werden, wer welche Art der Geschichte für welches Publikum darstellen will.

Die in Oxford lehrende kanadische Historikerin Margaret MacMillan hat in einer jüngst erschienenen Reflexion über „The Uses and Abuses of History“ unterschiedliche Entstehungs- und Gebrauchszusammenhänge des Geschichtlichen identifiziert, die in der Gegenwart zusammengenommen eine Art „history craze“ erzeugten.1 Auf immer neuen Wegen sei von unserer Vorgeschichte die Rede, und neue Erkenntnisse der Naturwissenschaften, etwa die Entschlüsselung der DNA oder die Erkenntnisse der Klimaforschung, ließen sehr viel präzisere Aussagen über unsere Vergangenheit zu. Und immer stärker würden solche Befunde dazu genutzt, „Identitäten“ zu formen – oder auch nur dazu, Touristen anzulocken. Geschichte diene zur Bestätigung oder zur Irritation, als Messlatte und als Orientierungshilfe, und die vielfältig nutzbare Macht der Geschichte führe außerdem dazu, dass in der Gegenwart immer mehr „history wars“ geführt würden.

Je weniger „die Geschichte“ also von einer überschaubaren Priesterkaste der Klio verfertigt und für nationalpolitische Zwecke monopolisiert werden kann, umso offener ist das Feld der an Geschichtsschreibung Beteiligten, und umso konfliktbeladener stellt sich die Suche nach einem (zumindest vorläufigen) Konsens über die Deutung des Vergangenen dar. Geschichte ist zu einem Hauptargument der Begründung oder der Abwehr von Ansprüchen jedweder Art geworden (Territorien, Zugehörigkeiten, Wiedergutmachung etc.). Das verleiht ihr nach wie vor eine große Ernsthaftigkeit und eine unmittelbare Relevanz und ist zweifellos eines der tragenden Motive für die Fortschritte der intersubjektiv überprüfbaren historischen Erkenntnis, für welche die akademische Geschichtswissenschaft immer noch steht.

Das ist deshalb wichtig zu betonen, weil die ebenfalls fortschreitende Pluralisierung und Demokratisierung der historischen Forschung Entwicklungen mit sich gebracht hat, die manchem Sorgen bereitet, der an eine gleichsam „volkspädagogische“ Aufgabe der Zeitgeschichte glaubt – und diese stand in der Bundesrepublik schließlich am Beginn der eigenständigen Disziplin „Zeitgeschichte“ in den 1950er- und 1960er-Jahren.2 Seit etwa einer Generation und maßgeblich befördert durch die Bewegung einer (Alltags-)Geschichte von unten haben immer mehr Teilgruppen der Gesellschaft ihre eigene Geschichte erforscht; dabei haben sie auch neue Formen der Recherche, der Aufbereitung und Darstellung entdeckt. Die thematische Breite dessen, was zur „Geschichte“ gerechnet wird, ist auf diese Weise ungemein ausgeweitet worden. Durch den Verweis auf eine vermeintlich überindividuelle „Relevanz“, etwa der vielbeschworenen „Haupt- und Staatsaktionen“, lässt sich inzwischen keine Form der Geschichte mehr ausschließen.

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1. Gegenstände und Methoden der Zeitgeschichte

Potenziell kann heute alles Vergangene zum Gegenstand historischen Fragens werden. Hatte man es in den 1970er-Jahren noch für überaus bemerkenswert gehalten, das Weltbild eines frühneuzeitlichen Müllers zu rekonstruieren,3 so waren spätestens seit den 1990er-Jahren der Originalität bei der Suche nach neuen Themenfeldern kaum noch Grenzen gesetzt. Ein nicht unbeträchtlicher Teil des Interesses gerade auch an der neueren und neuesten Geschichte besteht darin, dass über die klassischen Felder der Politik-, Sozial-, Geistes- und Wirtschaftsgeschichte hinaus ständig neue Fragehorizonte eröffnet worden sind. Dass dies auch mit neuen Methoden und der Entdeckung der zwischen den Dingen und ihrer Geschichte liegenden Ebenen der Wahrnehmung und der „gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit“ (Peter L. Berger/Thomas Luckmann) einherging, hat der historischen Fährtensuche eine zusätzliche Dynamik verliehen. Auch die gestiegene Aufmerksamkeit für neue Quellen – Bilder, Töne etc. – und neue Felder der Historisierung – Gerüche, Emotionen, das Klima, Flora und Fauna etc. – kommt dem detektivischen Spürsinn des (Zeit-)Historikers entgegen und trägt nach wie vor eine große Faszinationskraft in sich.

Die damit einhergehenden Bezüge auf theoretische Modelle dagegen bleiben insbesondere in der methodisch eher traditionell orientierten Zeitgeschichte meist vordergründig, und sie beschränken sich nicht selten auf ein oberflächliches „labeling“ oder auf einführende Bemerkungen. Neue gedankliche Muster – wie etwa dasjenige einer „Selbstorganisation“ moderner Gesellschaften – werden oft nur schleppend aufgegriffen.4 Bewährt haben sich jedoch Theoreme mittlerer Reichweite, die innerhalb der überbordenden Stoffmassen des Überlieferten erste Sortierungen erlauben. Umfassenden „Theorien des gegenwärtigen Zeitalters“ (Hans Freyer) begegnen die postideologisch aufgewachsenen Historiker von heute indes mit einem gesunden Misstrauen. Ohnedies hat es die Zeitgeschichte mit einem reichhaltigen Vorlauf an geistes- und ideengeschichtlichen sowie sozialwissenschaftlichen Zeitdiagnosen zu tun, so dass der Zugriff einer „Intellectual History“ bei Themen aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts besonders stark vertreten ist, um zunächst diese überbordende Deutungsebene zu historisieren.5

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2. Literatur und Geschichte

Auf der darstellerischen Ebene war die akademische Zeitgeschichtsschreibung aus denselben Gründen wie bei der Methodik stets darum bemüht, sich gegenüber konkurrierenden Zugriffen – gerade auch durch gelegentlich erschreckend „populäre“ Geschichtsnarrationen im Umfeld der Militaria oder bei Memoiren aller Art – durch eine demonstrative Seriosität auszuzeichnen. Die Nachbarschaft zur darstellerischen Langeweile war hier freilich aus eben diesen Gründen oft besonders eng. Auch deswegen haben immer wieder „Lücken“ oder gar ein „Versagen“ der akademischen Geschichtsforschung behauptet werden können, wie dies etwa Heinz Höhne 1979 in Bezug auf den „Holocaust“ tat (vgl. dazu den Beitrag von Frank Bösch in diesem Heft). Die wiederkehrende Unterstellung lautete, dass zeitgeschichtliche Prozesse zwar erforscht, aber kaum öffentlichkeitswirksam präsentiert worden seien.

Die darstellerische Konkurrenzlage besitzt zugleich eine sehr viel ältere Tradition, die auf die Zeit zurückgeht, in der sich die literarischen Genres der „schönen“ Literatur und der Geschichte voneinander trennten. Hatte man in der Vormoderne (ein Begriff, der an dieser Stelle unproblematisiert bleiben soll) zwischen Literatur und Geschichte oft keine klare Trennung gezogen (die aristotelische Hochschätzung für die Dichtkunst gegenüber der Geschichtsschreibung einmal unbenommen), so verlor sich seit der europäischen Aufklärung langsam eine Funktion der Geschichtserzählung, die in der Sammlung von exemplarischen, weil überzeitlich gültigen Situationen bestand. „Historia magistra vitae“, die Historie als Lehrmeisterin des Lebens, wurde in diesen Schwellenjahrzehnten der Moderne zunehmend durch den Kollektivsingular „Geschichte“ ersetzt.6 Dennoch war die Trennung von integraler Kunst auf der einen und Wissenschaft mit ihrer fortschreitenden Spezialisierung auf der anderen Seite nicht aufzuhalten. Kunst galt nun meist als ein sinnlicher und individueller Akt der Intuition, Wissenschaft dagegen als arbeitsteiliges Analysieren und Kategorisieren. Mit der Anlehnung der Geschichtswissenschaft an ein „Begreifen über Begriffe“ verlor sie jedoch gegenüber der Fähigkeit der Literatur an darstellerischer Kraft, viele verschiedene, auch logisch widersprüchliche Merkmale zu komplexen und anspielungsreichen Einheiten zusammenzufassen und dabei so etwas wie Lebhaftigkeit, ja Rührung zu erzeugen.7

Die Klärung des Verhältnisses von historischer Forschung, Deutung und darstellerischer Kunst ist seither nicht nur ein Dauerproblem der Geschichtstheorie geblieben, sondern auch ein praktisches Alltagsproblem des Historikers.8 Jede Forschergeneration wächst mit einer eigenen „disziplinären Matrix“ (Jörn Rüsen) auf, die zwischen Fiktion und Realität, dem Erzählen einer Geschichte und der Geschichtserzählung, zwischen Wahrhaftigkeit und Wahrheit je neue Konfigurationen erzeugt. Für das, was als „Zeitgeschichte“ bezeichnet wird, sind besonders einflussreich die enormen Wandlungen der medialen Vermittlung sowie die Allgegenwart von Erzählungen aller Art, die auf den freien Meinungsmärkten miteinander rivalisieren. Die Definition klarer Distinktionskriterien zwischen Literatur und Geschichte ist dabei ungeheuer erschwert worden (vgl. auch den Beitrag von Daniel Fulda in diesem Heft).

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3. Geschichte als Erlösung

Wir sind heute von pluralisierten und internationalisierten Erinnerungskulturen umgeben, die weithin davon ausgehen, dass die offenherzige Rechenschaft, der aktive Bericht und die plastische Erzählung, in welcher Form auch immer, den Königsweg zu einem befreienden, wenn nicht erlösenden Verhältnis zu unserer Vergangenheit darstellen. In dieser Aufgabe sind die professionellen Historikerinnen und Historiker aber längst keine Gralshüter eines exklusiven Wissens mehr. Vielmehr rivalisieren sie heute mehr denn je mit Journalisten, Schriftstellern und den modernen Experten für massenmediale Geschichtsdarstellungen, mit Ausstellungsarchitekten, Spiele-Entwicklern, Computergraphikern und Denkmalgestaltern, kurzum: mit allen, die die Klaviatur der Kulturindustrie virtuos zu spielen und die Popularität des Geschichtlichen für ihre Belange zu nutzen verstehen. Es mehren sich sogar die Diagnosen, dass wir in einem neuen Zeitalter des Historismus leben, das jeder Geschichte ihr Recht einräumt – Hauptsache, sie ist gut erzählt.9

Kindersachbuch von 2005 und „Spiegel“-Titel vom 25.10.1999

In gewissem Grade ist heute die durch Medien vermittelte Geschichte erneut zu einer Art „Lehrmeisterin des Lebens“ geworden wie in der „Vormoderne“. Das zeigt vor allem die medial-populäre Tendenz, die Geschichte des 20. Jahrhunderts als ein unerschöpfliches Reservoir an Tragödien und Komödien zu nehmen, die Helden wie auch Schurken von geradezu antiken Ausmaßen hervorgebracht zu haben scheint. Für „das Böse“ wie „das Gute“ gibt es mittlerweile international ebenso konsensfähige wie verständliche Typologien. Sie werden aber nicht mehr aus der Welt der Götter und Halbgötter bezogen, sondern entspringen dem „Gesicht des 20. Jahrhunderts“ mit seinen „Monstern, Rettern und Mediokritäten“, wie ein Marktstratege dies für ein ansonsten sehr lesenswertes und seriöses Werk der Zeitgeschichte apostrophierte.10 Auch die vielen Dramatisierungen in Kino und Fernsehen lassen darauf schließen, dass sich die Zeitgeschichte mit ihrer zunehmenden Literarisierbarkeit auseinanderzusetzen hat. Man denke nur an die fortlaufende Erwartung, ein bestimmtes geschichtliches Ereignis müsse endlich seine „gültige“ literarische Form finden, etwa den „Wende-Roman“.11

Gerade der Umgang mit der DDR-Vergangenheit liefert zahlreiche Beispiele für die Macht des Erzählens. Denn seit dem Fall der Mauer ist zwar viel geforscht und analysiert, aber wenig erklärt oder gar in einer befreienden Form erinnert worden. In „Sonnenallee“, „Helden wie wir“ oder „Das Leben der Anderen“ brechen dagegen dramatische wie komödiantische Narrative durch, die alle Elemente der klassischen Dramatik in sich tragen: dunkle, im Hintergrund wirkende Kräfte, zwielichtige Charaktere, die das ganze Panorama menschlicher Schwächen abspiegeln, gebrochene Gestalten, aber auch lichte Helden, die sich vor den Herausforderungen des Schicksals bewähren, seien dies „Frauen am Checkpoint Charlie“ oder „Tunnel zur Freiheit“ grabende Männer. Vor realgeschichtlicher Folie – oft quäkt die Zeitgeschichte in diesen Filmen aus einem Radio im Hintergrund – werden allgemeinmenschliche Entscheidungssituationen geschildert, die über ihren zeithistorischen Kontext hinausweisen.

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Zu den erfolgreichsten Genres auf dem Buchmarkt gehören seit vielen Jahren und sicher nicht von ungefähr Texte, die in den USA als miction bezeichnet werden, also Mischformen aus fiction und faction – etwa Truman Capotes „In Cold Blood“ oder Alex Haleys „Roots“. Ein begriffsprägender Vertreter dieser Richtung, der Romancier E.L. Doctorow, bezeichnet historische Romane nach der Art eines Dan Brown demgegenüber als „kitschige Unterhaltungstexte, die mit den ihnen zugrundeliegenden Recherchen prunken, ihre Gestalten passend kostümieren und ihren Lesern weismachen möchten, es wäre wunderbar abenteuerlich gewesen, in der geschilderten Epoche zu leben“.12 Dieser Befund lässt sich ohne weiteres auf historisierende Kino- und Fernsehfilme übertragen. Doch mit einem Verweis auf Daniel Kehlmanns „Vermessung der Welt“ votiert Doctorow zugleich für die Möglichkeiten des Schriftstellers, keiner Disziplin anzugehören und daher imstande zu sein, „frei über die Demarkationslinien zwischen den Disziplinen hinwegzupendeln“. Im Grunde, so Doctorow, sehne sich jeder Romanautor nach einem Zustand zurück, in dem der Akt des Erzählens noch mit einer Wahrheitsvermutung einhergegangen sei. Der Schriftsteller pflege „die universelle Neigung zum Denken in Geschichten als dem allerersten Erkenntnismittel“.13

Dahinter steht die Erwartung von großen Teilen des Publikums, dass man sich mit der Vergangenheit auf eine erzählerisch eingängige und plastische Weise auseinandersetzen sollte. Diese Erwartung rekurriert auf eine traditionelle, aus oralen Kulturen in die Gegenwart reichende Überzeugung, dass nämlich die möglichst gelungene und formgerechte Erzählung eines Ereignisses deren „Wahrheit“ auch am besten zur Geltung bringe (zu Jörn Rüsens „Historik“, die dies theoretisch elaboriert hat, vgl. den Beitrag von Jakob Krameritsch in diesem Heft). Die sinnenferne Theoriesprache, die noch vor einer Generation zu den Erklärungspotenzialen der Geschichtswissenschaft dazuzugehören schien und zur etwas abstrusen Frontstellung zwischen „Analytikern“ und „Narrativisten“ führte,14 ist heute kaum noch vermittelbar. Vielmehr gibt es einen ungeheuren Hunger nach Erzählungen und nach Bildern, und die Historiker müssen zusehen, dass sie hier in ihren medialen Kompetenzen nicht abgehängt werden. Das Verhältnis zwischen Literatur und Geschichte wird gegenwärtig tatsächlich neu vermessen.15 Hybride Genres wie die „Virtual History“ (vgl. den Beitrag von Lorenz Engell in diesem Heft) oder die „kontrafaktische“ Geschichtsschreibung finden begeisterte Konsumenten.16 Und es lässt sich ein deutlich gestiegenes Bewusstsein der Historiker für die Grenz- und Überschneidungsbereiche zwischen „Fakten und Fiktionen“ erkennen, die für eine ältere Generation noch strikt voneinander getrennt waren.17 Die gereizten Stellungskriege, zu denen es zwischen Profi-Historikern und vermeintlich verflachenden Popularisatoren in den Alltagsmedien (für die der Name Guido Knopp zu einem Synonym geworden ist) immer wieder kommt, lassen freilich auch eine Defensive erkennen, derer es nicht unbedingt bedarf.

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4. Konkurrenz und Zusammenarbeit

Guido Knopp steht stellvertretend für die ständig wachsende Konkurrenz von gut ausgebildeten Historikern in den Feuilletons der Zeitungen und Zeitschriften, die besonders im Umfeld von Gedenktagen, aber auch unabhängig davon, den Markt für leicht konsumierbare Geschichte umfassend bedienen. Die in den 1980er- und 1990er-Jahren von den Medien noch stärker umworbenen professionellen Historiker sind dadurch immer weiter an den Rand gedrängt worden. Allenfalls lassen sich populär aufgemachte Geschichtsdokumentationen durch ein eingeschobenes Interview mit gleichsam akademischen Weihen versehen – meist freilich mit einem derjenigen Historiker, die es sowieso zu medialer Präsenz gebracht haben. Die Journalisten-Historiker treten dabei gegenüber ihrem Publikum immer selbstbewusster auf: „Recherchen des Spiegel haben ergeben, dass…“ ist keine seltene Wendung mehr,18 so wie im Fernsehen fortgesetzt „bislang unveröffentlichtes Material“ bzw. „noch nie gezeigte Bilder“ angepriesen werden, um die Seh-Lust und Aufnahme-Bereitschaft auch für abgegriffene Themen neu zu entfachen.

Die Herausforderung durch außeruniversitäre Geschichtsproduzenten ist teilweise hausgemacht: Deren wachsende Zahl (und Qualität) beruht auf dem in den 1980er- und 1990er-Jahren gestiegenen Interesse am Geschichtsstudium. Der höheren Absolventenzahl stand und steht kein in gleichem Maße gestiegenes Angebot von Arbeitsplätzen auf den klassischen Feldern gegenüber (Schule, Universität, Archiv, Museum etc.). Zahllose Absolventen haben sich deshalb als freie Publizisten oder in Geschichtsagenturen betätigt und daneben einen Geschichtsjournalismus etabliert, der weniger dem Bedürfnis nach historischer Bildung nachkommt als vielmehr dem Interesse an aufsehenerregenden Forschungsfunden oder Deutungs-Kontroversen. Gerade dieser Aspekt der zeithistorischen „Streitgeschichte“ stößt jedoch zunehmend an Grenzen. Nicht nur sieht hier manche Kontroverse allzu sehr nach medialer Kampagne aus (etwa die spät entdeckten Mitgliedschaften Prominenter in NS-Verbänden), sondern es kommt auch eine mit Pluralisierung, wachsender Toleranz und internationaler Einbettung einhergehende Differenzierung von Urteilen in Anschlag. Ein „Historikerstreit“ mit relativ klaren, politisch polarisierten Fronten wie vor 20 Jahren wäre heute – zumindest in seinem langwierigen Verlauf – kaum noch denkbar.

Zeithistoriker werden sich damit abfinden müssen, dass ihr Wissensvorsprung weiter dahinschmelzen wird, zugunsten konkurrierender Forschungs- und Darstellungsformen. Schon lange kommen wichtige Impulse zur Erforschung der Zeitgeschichte (auch) von außerhalb der akademischen Zunft.19 Man könnte hier optimistisch von einer Demokratisierung des Wissens sprechen. Wichtig ist zugleich indes eine Konkurrenz um die Ressource „Aufmerksamkeit“ sowie um pluralisierte Meinungsmärkte, aber auch die Aufweichung zünftischer Selektions- und Kontrollverfahren innerhalb der geschichtswissenschaftlichen Profession. Klassische Standortvorteile, etwa an renommierten Universitäten oder Instituten, verschleifen sich zugunsten mehr oder weniger gut funktionierender Vernetzungen, auch und gerade in die Medien hinein. Dass die Allgegenwart des Vergangenen und dessen (zumindest scheinbar) immer leichtere Zugänglichkeit die aus methodisch reflektiertem Wissen herrührende Autorität der Zeithistoriker herausfordert und teilweise untergräbt, ist dennoch nicht unproblematisch. Man kann sich heute aus vielfältigen Quellen geradezu beliebige Geschichtsbilder zusammenzimmern und wird für ein breites Spektrum an Deutungsmöglichkeiten jeweils Bestätigungen finden.

Das berührt für die Zeitgeschichte Fragen des „Sagbaren“, und diese werden in unterschiedlichen Ländern je unterschiedlich beantwortet, bisweilen sogar mit strafrechtlicher Ahndung.20 Dass die bestehende Vielfalt aber nicht nur zur Kakophonie führen muss, sondern auch eine gelungene Kumulation des Wissens ermöglichen kann, belegt die insgesamt überaus erfolgreiche Plattform „Wikipedia“,21 der mit „Docupedia-Zeitgeschichte“ jetzt ein akademisch kontrolliertes Pendant zur Seite gestellt wird. Dem Sog solcher Synthesen aus dem Geist des vernetzten Wissens kann sich kaum jemand entziehen, der den technischen wie kulturellen Möglichkeiten unvoreingenommen gegenübertritt. Nicht zuletzt spiegeln diese Techniken im Grunde den bewährten kollaborativen Ansatz der Geschichtswissenschaften wider und heben ihn auf ein neues Niveau. Nicht von ungefähr sind daher auch die Enzyklopädien und Nachschlagewerke des bibliophilen Zeitalters längst von dem Trend mitgerissen worden. Vom „Brockhaus“ bis zur „Encyclopaedia Britannica“ hat man sich dem gestiegenen Bedarf an leicht zugänglichem Wissen wie auch dessen geschrumpfter „Halbwertszeit“ gebeugt und setzt nun auf elektronische Ausgaben, die sich fortlaufend erneuern und ergänzen. Das geschieht nicht zum Nachteil der Inhalte, wenn auch zum Schaden der innehaltenden Empfindung, über halbwegs gesichertes, kanonisches Wissen zu verfügen.

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5. Wandlungen des Wissens-Managements

Natürlich haben die eingespielten Wege der Veröffentlichung noch lange nicht ausgedient, aber sie sehen neben den multimedialen Möglichkeiten doch gelegentlich recht „alt aus“. Und sie stehen eindeutig gegen den Trend der nachwachsenden Generationen, die scheinbar „verzopften“ Printmedien zugunsten der elektronischen Medienwelten zu vernachlässigen. Die universitäre Ausbildung ist daran nicht unschuldig. Das Schreiben als Kulturtechnik blieb im Geschichtsstudium stets unterbelichtet oder wurde sogar despektierlich als ein ebenso vordergründiges wie erkenntnisfernes „Aufpolieren“ angesehen. Lehrern und Dozenten fällt es gelegentlich schwer zu begreifen, wie fundamental demgegenüber die Rezeptionswege von Schülern und Studenten inzwischen durch veränderte mediale Vorerfahrungen, spezifische Narrative und ästhetische Erwartungshaltungen bestimmt werden. Aufgrund der ubiquitären Verfügbarkeit von Informationen nimmt das Denken bei jüngeren Generationen teilweise andere, sehr viel assoziativere Wege, wie sie in der Hypertextualität der neuen Medien angelegt sind. Hier steht die schulische wie akademische Ausbildung unter einem massiven Veränderungsdruck wie auch vor der drängenden Aufgabe, weiterhin für das historisch-genetische Denken als einer spezifischen Analytik der menschlichen Umwelt zu werben.

Auch der Publikationsmarkt wurde von diesen Veränderungen affiziert und reagiert unter anderem mit einer erhöhten Umsatzgeschwindigkeit. Das ist inzwischen vielfach beschrieben und teilweise auch als Qualitätsverlust beklagt worden. Freilich muss man in Rechnung stellen, dass sich im Zuge der neuen Geschichtsbewegungen, der Alltagsgeschichts-Welle und der geschichtskulturellen Debatten der vermeintlichen „geistig-moralischen Wende“ in den 1980er- und frühen 1990er-Jahren eine außergewöhnliche Offenheit für zeitgeschichtliche Erkenntnisse aller Art eingestellt hatte, die auf diesem hohen Niveau nicht dauerhaft fortzusetzen war. Nach der Wiederentdeckung der Opferperspektive und der Erfahrungswelten unter der „braunen Diktatur“ konnten insbesondere auch die Täterforschung sowie die klassische Politik- und Institutionen-Geschichte während der 1990er-Jahre noch eine ganze Weile vom Interesse am vorläufigen Abschluss des ideologischen Zeitalters in den Jahren 1989–1991 zehren. Inzwischen hat sich eine bisweilen ermüdende, multimedial abfeuernde Jahrestags-Maschinerie an deren Stelle gesetzt, die mit entsprechender Vorbereitung und Nachlese einzelne Publikationsorgane teilweise anderthalb bis zwei Jahre lang thematisch zu binden vermag. Ob dies eine gute Entwicklung darstellt, ist ebenso zweifelhaft wie der neue Verlagstrend zu handbuchartigen Übersichtsreihen, die teilweise aus der Feder frisch promovierter „Experten“ fließen (vgl. den Beitrag von Olaf Blaschke in diesem Heft).

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6. (Zeit-)Geschichte für Leser

Schiere Masse erzeugt auf dem Buchmarkt wohl eher Überdruss als Umsätze. Nur wenige, oft etwas außerhalb der historischen Zunft stehende Zeithistoriker wie Götz Aly oder Jörg Friedrich vermochten zu trademarks der zeithistorischen Provokation zu avancieren. Mit feinem Gespür für kontroverse Themen haben sie das Erbe von im besten Sinne „feuilletonistischen“ Historikern wie Friedrich Heer, Heinz Höhne, Bernt Engelmann, Sebastian Haffner, Golo Mann oder Joachim Fest angetreten. Freelancer wie Wolfgang Schivelbusch oder Gerd Koenen vermögen sich gleichfalls zu behaupten, ohne qualitative Kompromisse einzugehen. Dabei können sie ihrerseits auf eine Tradition der Geschichtsschreibung „für Leser“ nach der Art eines Emil Ludwig oder eines Stefan Zweig zurückblicken – und auch diese sind von der historischen Zunft ihrer Zeit ebenso misstrauisch wie neidvoll gemustert worden.22 Eine weitere Form der „Geschichte für Leser“ stellt das historische Sachbuch dar, das seit C.W. Cerams „Götter, Gräber und Gelehrte“ (1949) auf eine ungebrochene Konjunktur zurückblicken kann (vgl. in diesem Heft auch David Oels’ Beitrag über Jürgen Thorwald).

„ZEIT Geschichte“ 1/2009

Das Feuilleton der Qualitäts-Zeitungen und Magazine, das jahrelang als Forum zeithistorischer Deutungs-Debatten diente, hat die historische Erzählung inzwischen selbst für sich entdeckt. Von konkreten Anlässen unabhängige Seiten wie die „Zeitläufte“ in der „ZEIT“ gibt es seit längerem. Von den Redaktionen ausgegründete und eigenständige Periodika wie „Geo Epoche“ , „ZEIT Geschichte“, „SPIEGEL Geschichte“, „Spektrum der Wissenschaft Epoc“ usw. sind dagegen ganz offensichtlich ein Wachstumsmarkt, der sich an den lange Zeit eher randständigen populären Geschichtsmagazinen wie „Damals“, „G/Geschichte“ (ehemals: „Geschichte mit Pfiff“), „P.M. History“ usw. orientiert.23 Hierbei mag außerdem eine Rolle spielen, dass die Zunahme an Freizeit gerade auch für ältere Menschen zu gestiegenen Möglichkeiten der Rückerinnerung geführt hat. Sie werden etwa durch interaktive Initiativen wie das „SPIEGEL-online“-Forum „einestages“ angesprochen (vgl. den Beitrag von Felix Wiedemann in diesem Heft). Schon ist von „Public History“, „Histotainment“ oder einem organisierten „Histourismus“ die Rede.24 History goes pop and sells.25

7. Zeitgeschichte als Wissenschaft: Ethos und Experiment

Nicht nur die Bilderflut, der erhöhte Produktionsdurchsatz oder die Gedenkbranche, sondern auch der Evaluationsdruck, die Rankings und der Einzug von ökonomischen Kategorien in das Bildungswesen erzeugen heute eine der Forschung nicht bekömmliche Hast und Getriebenheit. Dies wirkt sich eindeutig zu Ungunsten der konzentrierten Entwicklung neuer kohärenter Gedanken aus (oder auch nur des kritischen Nachvollzugs schon vorhandener Gedanken). Studenten klagen heute fortgesetzt darüber, keine Zeit mehr für Vertiefungen zu finden. Fortlaufender Termindruck und enge Abgabefristen für Hausarbeiten würden das Nachdenken geradezu systematisch unterlaufen. Die Lehrenden ihrerseits beklagen die Unmöglichkeit zur Forschung, zur Durchdringung von Themen und zum Schreiben von Büchern. Man muss annehmen, dass selbst das konzentrierte Rezipieren von Büchern im Alltag kaum noch möglich ist – es sei denn zum wiederum funktionalen Zweck ihrer Rezension, mit der anderen die Lektüre erspart wird. Ob hier freilich der pauschale Hinweis auf eine Entschleunigung weiterhilft, kann man mit Fug und Recht bezweifeln. Doch muss immer wieder darauf hingewiesen werden, dass historisches Forschen, Lehren und Lernen keine Angelegenheit des quantitativen Umsatzes darstellt.

In dieselbe Richtung zielt, dass die „Speichermedialisierung“ des verfügbaren Wissens teilweise sicher zu einer Auslagerung des „Bemerkens-“ und „Wissenswerten“ führt und weniger zu einem konsistenten „Geschichtsbild“. Es bedarf nicht nur verstärkter Reize, um in eher assoziativ strukturierten Wissenshorizonten noch so etwas wie ein produktives Erstaunen hervorzurufen (zur Zeitgeschichte im Medienzeitalter vgl. den Beitrag von Knut Hickethier in diesem Heft). Es bedarf auch verstärkter Anstrengungen, sich und anderen klarzumachen, wieso eine chronologisch und linear argumentierende Auseinandersetzung überhaupt notwendig ist und dass sie sich teils in Konkurrenz, teils in Ergänzung zur literarisch-narrativen Assoziationstechnik durchaus bewährt hat. Schließlich gibt es das Problem einer Überfülle an emotionsgeladenen und -generierenden Publikationen, die von vornherein darauf zielen, vorgefasste Meinungen zu affirmieren oder vermeintliche Tabus zu brechen. Dies ist für die deutsche Zeitgeschichtsforschung nun wiederum keine unvertraute Konstellation: Bereits bei der Etablierung in den 1950er-Jahren galt es als ihre Aufgabe, der Flut an verzerrenden Deutungen des „Dritten Reiches“ mit gesicherten Fakten und dem „Pathos der Nüchternheit“ zu begegnen.26 Dieses Pathos ist inzwischen selber historisiert worden,27 hat sich damit aber nicht gänzlich erledigt.

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Gegenüber der Allgegenwärtigkeit des Geschichtlichen und seiner ästhetischen Verwendung kann die Fachdisziplin Zeitgeschichte wohl in der Tat nur als eine kritische Wissenschaft bestehen. Der Gral, den es dabei zu hüten gilt, ist nichts weniger als die möglichst „sachgerechte“ Erkenntnis. Auf dem Weg dorthin haben sich die tragenden Elemente der „Wissenschaftlichkeit“, also der skrupulöse Umgang mit möglichst unterschiedlichen Quellen, die intersubjektive Überprüfbarkeit und die kritische Begutachtung der Erkenntniswege bewährt. Aus diesem – zugegebenermaßen etwas „kalten“ – Ethos heraus kann die Zunft gut leben, auch wenn es bisweilen „Auflage“ kostet.

Dass darstellerisch dennoch experimentiert werden darf und sollte, steht dem nicht entgegen. Der Historiker Johannes Süßmann hat argumentiert, dass die Geschichtsschreibung in der Wahl ihrer Mittel relativ frei sei. Selbst von der fiktionalen Literatur könne der Historiker manches lernen, vom nouveau roman ebenso wie vom stream of consciousness, vom Thriller oder der Montagetechnik, aber auch vom Film oder anderen Medien, „sofern sie mit dem Erzählen zugleich ihr Material und Verfahren offenlegen, sofern sie den durch das Erzählen konstituierten Gegenstand als methodisch reguliertes, hypothetisches Geschichtsdenken kennzeichnen“.28 Für die Geschichtsforschung sei es also legitim, sich in der Er- und Vermittlung ihrer Wissensbestände aller Medien und Methoden zu bedienen. Freilich sollte man dabei zu seinen Fähigkeiten und seinen Grenzen stehen. Nicht jeder ist ein gleich guter Forscher, nicht jeder hat die Gabe zur gelungenen Darstellung, zur autoritativen „Verkörperung“ oder zur rhetorisch versierten Vermittlung von Wissen. Schüler, Studierende, das Publikum allgemein wie auch Medienschaffende haben für derlei Gaben meist ein intuitives Sensorium. Daher sind Arbeitsteilung und Teamarbeit geboten, aber natürlich auch der „Feinschliff“ am Auftritt sowie die Steigerung von „Medienkompetenz“.

Zeitgeschichte zu schreiben wird einerseits leichter; so vereinfacht etwa der Trend zur Digitalisierung wichtiger Quellenbestände das Forschen erheblich.29 Andererseits – und mit gewichtigeren Gründen – wird es auch schwieriger: Früher für selbstverständlich gehaltene Bezugsgrößen lösen sich auf und müssen komplexen Konfigurationsanalysen weichen. Es koexistiert heute eine räumliche, zeitliche und methodische Vielfalt, die kaum noch auf „kanonische“ Verbindlichkeiten hin zu zähmen ist. Hinzu kommt die Problematik einer durch ihre Internationalisierung noch einmal deutlich anspruchsvoller gewordenen Forschungslage. Sie ermöglicht selbst für einzelne Spezialisten kaum noch sichere Übersichten, erzwingt aber auch neue Formen der Zusammenarbeit, etwa in internationalen Netzwerken und Forschungsverbünden. Das bringt neue Qualifikations-Anforderungen mit sich – nicht nur sprachlicher, sondern auch sozialer und interkultureller Art. Beim Blick auf die globalisierten Horizonte wie die räumliche Flexibilität vieler heutiger Schüler und Studenten sollte man hier freilich durchaus optimistisch sein.

Anmerkungen: 

1 Margaret MacMillan, The Uses and Abuses of History, London 2009.

2 Vgl. etwa Anselm Doering-Manteuffel, Deutsche Zeitgeschichte nach 1945. Entwicklungen und Problemlagen der historischen Forschung zur Nachkriegszeit, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 41 (1993), S. 1-29; Gabriele Metzler, Einführung in das Studium der Zeitgeschichte, Paderborn 2004, S. 19ff.

3 Carlo Ginzburg, Der Käse und die Würmer. Die Welt eines Müllers um 1600, Frankfurt a.M. 1979, 6. Aufl. Berlin 2007 (zuerst ital. 1976).

4 Vgl. etwa Ludolf Herbst, Komplexität und Chaos. Grundzüge einer Theorie der Geschichte, München 2004.

5 Vgl. etwa Andreas Rödder, Die Bundesrepublik Deutschland 1969–1990, München 2004.

6 Reinhart Koselleck, Historia Magistra Vitae. Über die Auflösung des Topos im Horizont neuzeitlich bewegter Geschichte [1967], in: ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a.M. 1989, S. 38-66.

7 Johannes Süßmann, Geschichtsschreibung oder Roman? Zur Konstruktionslogik von Geschichtserzählungen zwischen Schiller und Ranke (1780–1824), Stuttgart 2000, S. 262.

8 Daniel Fulda und Silvia Serena Tschopp sprechen sogar von einer „Literatur- und Geschichte-Forschung“; vgl. dies. (Hg.), Literatur und Geschichte. Ein Kompendium zu ihrem Verhältnis von der Aufklärung bis zur Gegenwart, Berlin 2002, Einleitung, S. 3. Vgl. auch Ruth Klüger, Dichter und Historiker: Fakten und Fiktionen, Wien 2000.

9 Dirk Schümer, Unerschöpfliche Geschichte. Warum wir verschämte Historisten sind, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9.9.1995, Beilage „Bilder und Zeiten“; Ernst Osterkamp, Alles authentisch, alles fiktiv. Wir leben im Zeitalter des Neohistorismus. Eine Diagnose, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.7.2008, Beilage „Bilder und Zeiten“.

10 Hans-Peter Schwarz, Das Gesicht des 20. Jahrhunderts. Monster, Retter und Mediokritäten, Berlin 1998.

11 Nach Ansicht von Wolfgang Hardtwig gelingt es der Belletristik tatsächlich oft sehr viel besser als der professionellen Zeitgeschichte, die Ebenen der persönlichen Erinnerung zu treffen und damit einen authentischeren, humaneren und machtkritischeren Anspruch einzulösen; vgl. ders., Fiktive Zeitgeschichte? Literarische Erzählung, Geschichtswissenschaft und Erinnerungskultur in Deutschland, in: Konrad H. Jarausch/Martin Sabrow (Hg.), Verletztes Gedächtnis. Erinnerungskultur und Zeitgeschichte im Konflikt, Frankfurt a.M. 2002, S. 99-123.

12 E.L. Doctorow, Roman und Geschichte. Über die Blutsverwandtschaft zwischen Erzählern und Historikern, in: Lettre International 80 (Frühjahr 2008), S. 67-71, hier S. 67.

13 Ebd., S. 68.

14 Noch vor kurzem hat Hans-Ulrich Wehler die so genannten Narrativisten gegenüber den eher analytisch schreibenden Historikern als „rundum gescheitert“ bezeichnet; vgl. Hans-Ulrich Wehler, Literarische Erzählung oder kritische Analyse? Ein Duell in der gegenwärtigen Geschichtswissenschaft, Wien 2006, S. 43. In vielerlei Hinsicht dürfte jedoch das genaue Gegenteil von Wehlers Behauptung der Fall sein.

15 Vgl. Martin Baumeister/Moritz Föllmer/Philipp Müller (Hg.), Die Kunst der Geschichte. Historiographie, Ästhetik, Erzählung, Göttingen 2009. Angekündigt sind: Johannes Hürter/Jürgen Zarusky (Hg.), Epos Zeitgeschichte. Romane des 20. Jahrhunderts in zeithistorischer Sicht, München 2010, sowie Dirk van Laak (Hg.), Literatur, die Geschichte schrieb, Göttingen 2010.

16 Als erfolgreiches Muster kontrafaktischer Geschichte vgl. etwa Ralph Giordano, Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte. Die Pläne der Nazis nach dem Endsieg, München 1991. Neuerdings: Dieter Kühn, Ich war Hitlers Schutzengel. Fiktionen, Frankfurt a.M. 2009. Klassisch in methodischer Hinsicht: Alexander Demandt, Ungeschehene Geschichte. Ein Traktat über die Frage: Was wäre geschehen, wenn...?, 2., verbesserte Aufl. Göttingen 1986. Als literarischer Geheimtipp des Genres gilt: Stephen Fry, Making History, London 1996.

17 Vgl. etwa Richard Evans, Fakten und Fiktionen. Über die Grundlagen historischer Erkenntnis, Frankfurt a.M. 1998, der gegen „postmoderne“ Grenzverwischungen zu Felde zog. Dafür offen hingegen: Barbara Korte/Sylvia Paletschek (Hg.), Geschichte und Krimi. Beiträge aus den Kulturwissenschaften, Köln 2009; Achim Saupe, Der Historiker als Detektiv – der Detektiv als Historiker. Historik, Kriminalistik und der Nationalsozialismus als Kriminalroman, Bielefeld 2009. Als lange einsam gebliebener Vorreiter kann hierbei Michael Salewski gelten, vgl. ders., Zeitgeist und Zeitmaschine. Science Fiction und Geschichtswissenschaft, München 1986. Siehe auch Hans-Peter Schwarz, Phantastische Wirklichkeit. Das 20. Jahrhundert im Spiegel des Polit-Thrillers, München 2006.

18 Beispielsweise Klaus Wiegrefe u.a., Lenin und der Kaiser, in: Spiegel Special Geschichte, Heft 4/2007: Experiment Kommunismus. Die Russische Revolution und ihre Erben, S. 38-50, hier S. 40: „Der SPIEGEL […] ist bei Recherchen in mehr als einem Dutzend Archiven in ganz Europa auf bislang unbekanntes oder nicht ausgewertetes Material gestoßen […].“

19 Man denke hier nur an Debatten, die Schriftsteller wie Rolf Hochhuth („Der Stellvertreter“, 1963) angestoßen haben, oder an disziplinäre und mediale Grenzgänger wie Alexander Kluge (vgl. dazu den Beitrag von Wolfgang Reichmann in diesem Heft).

20 Vgl. Winfried Schulze, Erinnerung per Gesetz oder „Freiheit für die Geschichte“?, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 59 (2008), S. 364-381.

21 Als kritische Auseinandersetzung aus geschichtswissenschaftlicher Sicht vgl. aber Maren Lorenz, Wikipedia. Zum Verhältnis von Struktur und Wirkungsmacht eines heimlichen Leitmediums, in: WerkstattGeschichte 43 (2006), S. 84-95; dies., Repräsentation von Geschichte in Wikipedia. Oder: Die Sehnsucht nach Beständigkeit im Unbeständigen, in: Barbara Korte/Sylvia Paletschek (Hg.), History Goes Pop. Zur Repräsentation von Geschichte in populären Medien und Genres, Bielefeld 2009, S. 289-312.

22 Wolfgang Hardtwig/Erhard Schütz (Hg.), Geschichte für Leser. Populäre Geschichtsschreibung in Deutschland im 20. Jahrhundert, Wiesbaden 2005.

23 Dazu zählen auch Publikationen wie etwa: Zeitverlag Gerd Bucerius (Hg.), Welt- und Kulturgeschichte. Epochen, Fakten, Hintergründe in 20 Bänden. Mit dem Besten aus der ZEIT, Hamburg 2006.

24 Vgl. neuerdings etwa Sabine Horn/Michael Sauer (Hg.), Geschichte und Öffentlichkeit. Orte – Medien – Institutionen, Göttingen 2009; Paul Nolte, Öffentliche Geschichte. Die neue Nähe von Fachwissenschaft, Massenmedien und Publikum, in: Michele Barricelli/Julia Hornig (Hg.), Aufklärung, Bildung, „Histotainment“? Zeitgeschichte in Unterricht und Gesellschaft heute, Frankfurt a.M. 2008, S. 131-146; Frank Bösch/Constantin Goschler (Hg.), Public History. Öffentliche Darstellungen des Nationalsozialismus jenseits der Geschichtswissenschaft, Frankfurt a.M. 2009. (Auf die eigenständige amerikanische Tradition der Public History kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden.)

25 Vgl. Korte/Paletschek, History Goes Pop (Anm. 21).

26 Klaus-Dietmar Henke/Claudio Natoli (Hg.), Mit dem Pathos der Nüchternheit. Martin Broszat, das Institut für Zeitgeschichte und die Erforschung des Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. 1991.

27 Nicolas Berg, Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Erforschung und Erinnerung, Göttingen 2003.

28 Süßmann, Geschichtsschreibung (Anm. 7), S. 265.

29 Hier sei als Beispiel nur der „European Navigator“ angeführt: http://www.ena.lu/.

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