Im Juli 1959 erklärte das Bundesverfassungsgericht den so genannten „väterlichen Stichentscheid" für verfassungswidrig. Mit dieser Entscheidung verwarf es zwei Paragraphen des Gleichberechtigungsgesetzes von 1957, in denen sich ein patriarchalisches Verständnis elterlicher Autorität niedergeschlagen hatte. Diese Entscheidung des Gerichts lässt sich als ein Durchbruch einer emanzipatorischen Geschlechterpolitik interpretieren. Die Argumentation der Richter entsprach einem in der westdeutschen Öffentlichkeit verbreiteten Bedürfnis, väterliche Autorität nicht mehr als ein natürliches Entscheidungsrecht des Mannes und ein hierarchisches Verhältnis von Befehl und Gehorsam zu interpretieren. Die Suche nach neuen Formen der Vaterschaft war in der frühen Bundesrepublik ein zentrales Thema der allgemeineren Selbstverständigung über Autorität und Demokratie. In der Debatte um den „demokratischen Vater" experimentierten die Westdeutschen mit einem Lebensgefühl, das es ihnen erlaubte, die Bundesrepublik nicht nur als Schicksal, sondern als Chance zu begreifen.
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On 29 July 1959, the Federal Constitutional Court of West Germany declared that the "paternal casting vote" was unconstitutional. This ruling annulled two elements of the family law reform of 1957 which had codified a patriarchal conception of parental authority. Within the bounds of civil law, fathers no longer had the final word. This essay interprets the court’s ruling as the emergence of emancipatory gender policies. In addition, it analyses criticism of the "paternal casting vote" during the 1950s in relation to contemporaneous debates over the meaning of paternal authority. The search for new kinds of fatherhood was not merely an obsession of the West German public between the early 1950s and the mid-1960s; it also played a key role in the process of democratisation in a society whose citizens were emerging from a murderous past and striving to steer a course, marked by tensions between democracy and authority, in order to construct a better polity.
Der Beitrag untersucht die Genese des Weltkultur- und Naturerbes der UNESCO im breiteren Kontext der Auseinandersetzungen um eine Neujustierung der internationalen Ordnung in den 1960er- und 1970er-Jahren. Die politischen Debatten um die Definition und Auswahl eines „Erbes der Menschheit“ dienen als analytische Sonde, um Veränderungen im Verhältnis von Partikularismus und Universalismus auszuloten. Anhand exemplarischer Konfliktfälle wird gezeigt, dass sich das Kultur- und Naturverständnis zwischen 1950 und 1980 gravierend veränderte, so dass zwei konkurrierende Rationalitäten in das Welterbeprogramm eingingen. Zudem werden die Erwartungen analysiert, die sich an die neue Governance-Institution und ihren weltweiten Anspruch richteten. Aus beiden Aspekten lässt sich die ungleiche regionale Verteilung der Welterbestätten und das bis heute unausgewogene Verhältnis von Kultur- und Naturerbestätten erklären. Der Aufsatz leistet damit auch einen Beitrag zur Historischen Semantik der Begriffe „Kultur“, „Natur“ und „Erbe“ im 20. Jahrhundert.
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The origins and development of the World Heritage Convention are closely related to the conflicts which accompanied the revision of the postwar international order in the 1960s and 1970s. This article examines political debates about what constituted the ‘heritage of mankind’ in order to explain the shifting notions of particularism and universalism. Exemplary conflicts show that understandings of the categories ‘culture’ and ‘nature’ changed between 1950 and 1980, as a result of which two different rationalities underpinned the World Heritage Programme. In addition, the article analyses the expectations expressed in anticipation of the worldwide influence which this governance institution was to acquire. These shifting categories and public expectations may explain why the regional allocation of World Heritage Sites and the relation between cultural and natural heritage on the World Heritage List are uneven and inconsistent. The article makes a contribution towards the historical semantics of the concepts of ‘culture’, ‘nature’ and ‘heritage’ in the twentieth century.
Klaus Theweleits literaturwissenschaftliche Dissertationsschrift „Männerphantasien“ von 1977/78 wurde in fünf Sprachen übersetzt und mehr als zweihunderttausend Mal verkauft. Der Aufsatz ordnet dieses außergewöhnliche Erfolgsbuch in seinen Zeitkontext ein - in das linksalternative Milieu der Bundesrepublik der späten 1970er-Jahre. Sechs Faktoren dürften zur Resonanz auf die „Männerphantasien“ beigetragen haben: Erstens vollzog das Buch den Wandel von klassisch marxistischer zu psychologisch-postmoderner Theoriebildung nach; zweitens lieferte es mit der Faschismusdeutung einen Beitrag zu dem zentralen Milieuthema; drittens verstand sich das Buch als ein Beitrag zur damals hochaktuellen Geschlechterdiskussion; viertens begleitete und förderte es den Wandel zu einer „Politik der ersten Person“; fünftens bediente Theweleit die linksalternative Ästhetik, und sechstens schrieb er über Gewalt und Terrorismus als hochaktuelles Thema. Im zweiten Teil des Aufsatzes werden die „Männerphantasien“ als historiographische Leistung zur Körper- und Geschlechtergeschichte des Faschismus aus der Perspektive der heutigen Geschichtswissenschaft kritisch gewürdigt.
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Klaus Theweleit’s book ‘Male Fantasies’ (Männerphantasien, 1977/78), with which he obtained a doctorate in literary studies, has been translated into five different languages and has sold over 200,000 copies. In order to explain this remarkable success, the article contextualises and historicises the book as an expression of the sub- and counterculture of the new German left during the late 1970s. There are approximately six reasons why ‘Male Fantasies’ provoked such a broad response: first, it brought about a switch from classical Marxist to psychological and postmodern theories; second, it dealt with the most prominent topic of the 1970s - the fascination with fascism; third, it addressed highly topical gender issues; fourth, it expressed a new form of politics - relinquishing pure political theory in favour of the politics of everyday experiences; fifth, it adopted a style and aesthetics that were typical of the counterculture of the 1960s and 1970s; and sixth, it was a book about violence and terror, published shortly after the ‘German Autumn’ of 1977. The second part of the article evaluates the way in which ‘Male Fantasies’ contributed towards the historiography of fascism as body and gender history.
In dem letztlich gescheiterten Bemühen, seine Existenz zu sichern, zeigt das Osmanische Reich Ähnlichkeiten zum Habsburger- und zum Zarenreich. Einen deutlich imperialen Status besaß das Osmanische Reich vor allem vom 15. bis zum 18. Jahrhundert, während der imperiale Charakter osmanischer Herrschaft im 19. und frühen 20. Jahrhundert weniger ausgeprägt war. Eine islamisch-christliche Konfrontation zur Erklärungsgrundlage des Verständnisses zwischen dem Osmanischen Reich und den anderen europäischen Großmächten machen zu wollen würde in eine Sackgasse führen; so zeigte die von Sultan Abdülhamid II. um 1900 verfolgte Option eines Panislamismus deutlich machtstrategisch-utilitaristische Züge. Nach wie vor wird in der internationalen Geschichtsforschung jedoch debattiert, wie die Elemente einer Gleichrangigkeit oder einer Marginalisierung des Osmanischen Reichs im Verhältnis zu den europäischen Großmächten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zu bewerten sind. Das imperiale Erbe der Osmanen in Südosteuropa und in den arabischen Nachfolgestaaten ist umstritten und bisher nicht ernsthaft erforscht worden; ob es zu einer Erklärung der heutigen Konfrontation von Islamismus und amerikanischem Imperium beitragen könnte, wäre noch zu untersuchen.
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As in the case of the Hapsburg Empire, the last two decades of the Ottoman Empire effectively belong to the 19th century. The ultimate downfall of the Ottoman Empire is strikingly similar to that of the Hapsburg and the Tsarist empires. The strictly imperial status of the Ottoman Empire was confined to the period between the 15th and 18th centuries. Any attempt to allege that Islamic-Christian confrontation provides a basis for understanding the relationship between the Ottoman Empire and other European powers would lead to a heuristic dead end. The Panislamic policy pursued by Sultan Abdulhamid II, for example, was largely utilitarian. International historiography still focuses on the extent to which Ottoman-European relations in the late 19th and early 20th centuries can be described in terms of equal rank vs. marginality. The imperial legacy of the Ottoman Empire in South East European successor states is disputed and has to this day not been researched in a consistent manner. The question whether further insight into the Ottoman legacy might contribute to an understanding of the present-day confrontation between Islamic fundamentalism and the American Empire is open to debate.