- Kindliche Durchfall-Erkrankungen als Gegenstand internationaler Zusammenarbeit in der öffentlichen Gesundheitsfürsorge
- Die WHO und das Globale Programm zur
Kontrolle von Durchfall-Erkrankungen ab 1978 - Das Stillen als Gegenstand der
internationalen Gesundheitszusammenarbeit - Mütter als Akteurinnen und Adressatinnen
- Medizinisches Personal als Zielobjekt
- Fazit
[Mein herzlicher Dank gilt Tatjana Tönsmeyer, Heike Wieters und Jan-Holger Kirsch für die wichtigen Kommentare und die inhaltliche Unterstützung.]
»There is no excuse to stop breastfeeding«, schrieb der Pädiater und anerkannte Experte für internationale Gesundheit Norbert Hirschhorn 1980. Er richtete diesen Appell an Angehörige aller Gesundheitsberufe in den »Entwicklungsländern«.1 Die dort – wie schon seit längerer Zeit in den Industrieländern – sinkenden Stillquoten bereiteten internationalen Gesundheitsexpert*innen zunehmend Sorge.2 Hirschhorns Satz erschien in der ersten Ausgabe des in mehreren Sprachen verbreiteten Newsletters »Diarrhoea Dialogue«, dessen Kernthema die Bekämpfung von kindlichen Durchfall-Erkrankungen war.3 Diese Krankheitsgruppe avancierte in den 1970er- und 1980er-Jahren zu einem wichtigen Gegenstand sowohl der medizinischen Forschung als auch der internationalen Zusammenarbeit bei der öffentlichen Gesundheitsfürsorge. Ein Blick auf die entsprechenden Aktivitäten offenbart die engen Verschränkungen mehrerer Themen der globalen Public-Health-Kooperation und der Entwicklungspolitik. So lassen sich anhand der Bekämpfung von kindlichen Durchfall-Erkrankungen zentrale Aspekte und Argumente der Entwicklungspolitik dieser Zeit wie durch ein Prisma erkennen: Gesundheitspolitik, Kindersterblichkeit, Menschenrechte, Mangelernährung und Demographie verbanden sich hier zu einem Problemkomplex, für den händeringend Lösungen gesucht wurden.
Der Prävention kam in diesem Kontext eine erhöhte Bedeutung zu. Dabei gerieten vor allem individuelle Verhaltensweisen und Verantwortlichkeiten in den Fokus; gerade Frauen wurden zu Subjekten – aber auch Objekten – internationaler Entwicklungspolitik. Im vorliegenden Text werden diese Prozesse anhand der Arbeit der World Health Organization (WHO) in den 1970er- und 1980er-Jahren exemplarisch analysiert. In beiden Dekaden erklärte die WHO die Bekämpfung von Mangelernährung bei Kindern, die Behandlung von Durchfall-Erkrankungen sowie besonders auch die Stillförderung als therapeutische und präventive Praxis zu ihren zentralen Arbeitsfeldern. Sie trug damit zu einer langfristigen Verlagerung der (zugeschriebenen) Verantwortlichkeiten für Mangelernährung und Kindergesundheit bei. Der Aufsatz untersucht diese Trends auf Grundlage medizinischer und gesundheitspolitischer Quellen. Wie, warum und in welcher Form wurde gerade das Stillen zu einem relevanten Thema für die Bekämpfung der Kindersterblichkeit? Welche ernährungs-, entwicklungs- und genderpolitischen Konsequenzen zeitigte dies?
1. Kindliche Durchfall-Erkrankungen
als Gegenstand internationaler Zusammenarbeit
in der öffentlichen Gesundheitsfürsorge
Durchfall-Erkrankungen sind so alt wie die Menschheit. In den industrialisierten Gesellschaften ging die Durchfall-Mortalität dank einer Vielzahl von Maßnahmen (Sanitärinfrastrukturen, Lebensmittelhygiene, persönliche Hygiene, besserer Ernährungszustand der Bevölkerung usw.) ab dem 19. Jahrhundert allerdings stark zurück. Trotz weiterhin relativ hoher Prävalenz von – zumeist milden – Diarrhö-Episoden (gerade bei Kindern) galt dies ungefähr ab den 1930er-Jahren nicht mehr als ein drängendes Gesundheitsproblem industrialisierter Länder. In Gesellschaften jedoch, in denen die Voraussetzungen einer wirkungsvollen Kontrolle nicht gegeben waren, blieb die Erkrankung endemisch und epidemisch ein bedeutendes Problem.
Dass Durchfall-Erkrankungen ab den 1970er-Jahren ein relevanter Gegenstand für die Arbeit von Internationalen Organisationen wie der WHO wurden, hatte mehrere Gründe. Der wichtigste war, dass sich ab 1961 mit der Cholera eine der gefährlichsten Durchfall-Erkrankungen erneut ausbreitete. Von Südostasien kommend, schritt die Pandemie rasant fort, erreichte 1970 Afrika und dominierte schnell »the world’s health problems«, wie der zuständige WHO-Experte Dhiman Barua 1972 anmerkte.4 Der daraus resultierende Notstand und die Überlastung der meist erst im Aufbau befindlichen postkolonialen nationalen Gesundheitssysteme wurden bald offensichtlich. Nicht nur die Weltgesundheitsorganisation war bestrebt, eine humanitäre Katastrophe abzuwenden. Aus medizinischen, geopolitischen, humanitären und entwicklungspolitischen Gründen bemühten sich auch die USA verstärkt um eine Kontrolle der Cholera und beteiligten sich ab Mitte der 1960er-Jahre maßgeblich an einschlägigen Forschungsprojekten unter anderem in Indien und in Ostpakistan (ab 1971 Bangladesch).5 Im Ergebnis wurde eine (für die westliche Medizin) neue Behandlungsmethode entwickelt, die sehr gezielt Dehydrierung – als gefährlichstes Symptom aller akuten Durchfall-Erkrankungen – bekämpfen sollte. Bei Feldforschungen in Kolkata und Dhaka hatte sich eine orale Rehydrierung mittels einer Wasser-Zucker-Salz-Lösung als besonders vielversprechend erwiesen.6 Damit knüpften die Teams an Forschungen im Irak, in Lateinamerika und in Südasien an, die bis dato international nur wenig rezipiert worden waren. Tatsächlich revolutionierte die Orale Rehydrierungs-Therapie die Durchfall-Behandlung, und dies umso mehr, als im Zuge des bangladeschischen Unabhängigkeitskrieges von 1971 der Nachweis erbracht werden konnte, dass auch Laien sie erfolgreich und sicher verabreichen konnten. In den Flüchtlingslagern entlang der indisch-bangladeschischen Grenze sank die Sterblichkeit inmitten einer grassierenden Cholera-Pandemie durch den Laieneinsatz bei der oralen Rehydrierung von Kranken ganz erheblich – von gut 30 auf etwa 3 Prozent.7
Entscheidend für die Bewertung der Oralen Rehydrierungs-Therapie und ihrer Relevanz – die Fachzeitschrift »Lancet« sprach 1978 von »potentially the most important medical advance this [i.e. the 20th] century«8 – waren zwei Erkenntnisse: Orale Rehydrierung war unabhängig vom Kausalerreger einsetzbar und damit nicht nur für die Behandlung von Cholera-Kranken ein »Gamechanger«, sondern auch für zahlreiche andere, teils durch noch unbekannte Erreger ausgelöste Erkrankungen. Vor allem aber war sie auch bei Kindern anwendbar, die von der allgemeinen Durchfall-Sterblichkeit am schlimmsten betroffen waren.
Anders als in den Industrienationen war die Kindersterblichkeit aufgrund von Durchfall-Erkrankungen in »Entwicklungsländern« auch während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts weiterhin hoch.9 Mehrere große Mortalitätssurveys, die zunächst Lateinamerika und der Karibik galten, sowie Studien des Diarrhoeal Diseases Advisory Teams der WHO machten seit den 1950er-Jahren zunehmend deutlich, dass Durchfall-Erkrankungen in den Ländern des Globalen Südens unter den Todesursachen eine herausragende Rolle spielten; dies galt vor allem mit Blick auf ihren hohen Anteil an der Kindersterblichkeit. Gleichwohl sahen sich die meisten Forscher*innenteams vorerst nicht in der Lage, belastbare globale Gesamtschätzungen der Fallzahlen abzugeben. Noch 1977 schrieb die Pan-American Health Organization (PAHO, das einflussreiche amerikanische Regionalbüro der WHO): »Sickness, disability and death from the diarrheal diseases produce global statistics which are literally incomprehensible.«10 Mitte der 1970er-Jahre präsentierten die beiden renommierten US-amerikanischen Forscher Jon Rohde und Robert Northrup erste Schätzungen und sprachen hinsichtlich der Durchfall-Mortalität bei Kindern von 5 bis 18 Millionen Toten jährlich; Zahlen, die die WHO in der Folge übernahm. 1982 legten Michael H. Merson und John D. Snyder für die WHO neues Zahlenmaterial vor. Mit einer klarer eingegrenzten Schätzung kamen sie auf knapp 5 Millionen Tote pro Jahr.11 Durchfall-Erkrankungen, dies machten alle Statistiken und Berichte deutlich, mussten somit weltweit als die wichtigste identifizierbare Todesursache von Kindern bis fünf Jahren gelten. Zugleich offenbarten die Befunde jedoch auch erhebliche Wissenslücken hinsichtlich der Erreger, Ursachen, Kontrollmöglichkeiten und Therapie-Optionen. »Literally incomprehensible« waren nicht nur die schockierenden Dimensionen, sondern auch die Informationen über Verbreitungswege, Verläufe, gesundheitliche Folgen und Interventionsmöglichkeiten. Die Orale Rehydrierungs-Therapie versprach hier endlich Abhilfe für ein gravierendes globales Gesundheitsproblem, dessen Ausmaße erst im Zuge der Cholera-Pandemie ganz offensichtlich und zudem »statistisch« greifbar geworden waren.
Nicht nur die hohe (Kinder-)Sterblichkeit, auch die zunehmende Verknüpfung von Infektionskrankheiten und Mangelernährung in der medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Wissensproduktion bildete einen Grund für die gesteigerte Aufmerksamkeit Internationaler Organisationen und Expert*innen. (Mangel-)Ernährung, so schrieb der US-amerikanische Ernährungswissenschaftler und Chief Nutrition Officer der Weltbank Alan D. Berg 1973 mit Bezug auf die Entwicklungspolitik, sei »everybody’s business but nobody’s main responsibility«.12 Denn Mangelernährung galt als ein Querschnittsthema; klare Zuständigkeiten im institutionellen Gefüge der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), der Weltgesundheitsorganisation, des UN-Kinderhilfswerks UNICEF, der immer relevanteren Weltbank und des Welternährungsprogramms (WEP) sowie großer Stiftungen wie der Ford Foundation gab es allerdings kaum.13
Dabei war einschlägiges medizinisches und ernährungswissenschaftliches Wissen zu Mangelernährung und Infektionskrankheiten durchaus vorhanden. So erforschte das Instituto de Nutrición de Centro América y Panamá (INCAP) als ein wichtiges Zentrum14 seit den 1950er-Jahren in Guatemala unter der Ägide des Direktors Nevin S. Scrimshaw den Zusammenhang von Mangelernährung, Infektionen und Mortalität. Die Ergebnisse griff die PAHO als amerikanisches Regionalbüro der WHO wiederholt auf, was sich unter anderem mit Beiträgen im »Bulletin of the World Health Organization« sowie 1968 in der Monographie »Interactions of Nutrition and Infection« niederschlug.15 Zwar waren Durchfall-Erkrankungen bei weitem nicht die einzige Gruppe von Infektionskrankheiten, die am INCAP im Hinblick auf ihr Zusammenspiel mit dem Ernährungszustand von Erkrankten untersucht wurden, doch stachen sie besonders ins Auge.16
Sprachlich setzte sich für den verhängnisvollen Zusammenhang von Mangelernährung und Infektionskrankheiten das Bild des »vicious cycle« durch.17 Ausgedrückt werden sollte damit, dass das genaue Zusammenspiel der Faktoren Mangelernährung und Infektionen unklar war und auch in den kommenden Jahrzehnten umstritten blieb. Die Frage, ob Durchfall Mangelernährung bedingte oder umgekehrt, wurde zum Gegenstand zahlreicher Forschungsprojekte, häufig von WHO oder UNICEF initiiert. Für beide Ansichten fanden sich Belege, abhängig nicht zuletzt vom Design der Feldforschungen, vom Ort und von den Prämissen der Wissenschaftler*innen.18 Dies und die Frage nach der Operationalisierung entsprechender Hilfsprogramme machten die Ausgestaltung und Priorisierung der Maßnahmen Internationaler Organisationen zu einem eminent politischen Feld. Medizinische Wissensproduktion, politische Ziele und die Frage nach der praktischen Durchführbarkeit waren eng verzahnt, wie die Entscheidungen über Hilfsprogramme Ende der 1970er-Jahre zeigen.
2. Die WHO und das Globale Programm zur
Kontrolle von Durchfall-Erkrankungen ab 1978
Die Weltgesundheitsorganisation als Sonderorganisation der Vereinten Nationen hatte seit ihrer Gründung 1948 erhebliche Veränderungen durchgemacht: Im Zuge der Dekolonisierung war die Zahl der Mitgliedsländer stark gewachsen, was sich auf die Machtverhältnisse in den beschlussfassenden Gremien wie auch auf die inhaltlichen Prioritäten auswirkte. So reagierte die WHO seit den 1970er-Jahren auf zentrale Forderungen der »Blockfreien«-Bewegung, etwa nach einer »neuen internationalen Wirtschaftsordnung«, die ihre Entsprechungen im Gesundheitsbereich fand.19 Nicht zuletzt WHO-Generaldirektor Halfdan Mahler schloss sich einer Reihe von Forderungen der »Blockfreien« nach einer Neuausrichtung der WHO an,20 wodurch die Organisation zum Forum und zum Akteur im globalen Nord-Süd-Konflikt wurde.21 Sie fokussierte ihre Arbeit zunehmend auf die technische Hilfe für »Entwicklungsländer« sowie die Bekämpfung von Armut und deren gesundheitlichen Folgen. Immer nachdrücklicher forderte die WHO die Entwicklung und den Einsatz erschwinglicher Therapien für weit verbreitete Krankheiten. Dabei konzentrierte sich die WHO – in Abgrenzung zur urbanen High-Tech-Medizin – auf ländliche, oft unterprivilegierte Schichten.22 Für eine Organisation, in deren Gründungszweck internationale Normen- und Standardsetzung sowie epidemiologische Informationsgewinnung eine wichtige Rolle spielten, war dies eine erhebliche Transformation. Die Erforschung und Bekämpfung von Mangelernährung als Thema mit einem klaren Armutsbezug war bereits ab Mitte der 1970er-Jahre kontinuierlich ausgebaut worden; 1977 erteilte die Weltgesundheitsversammlung dem Generaldirektor dann den Auftrag, auch das Ernährungsprogramm der WHO deutlich zu erweitern.23
Im Zentrum der vertieften Auseinandersetzung mit Mangelernährung standen vor allem Kinder (üblicherweise Babys und Kleinkinder bis fünf Jahren) sowie Schwangere. Mangelernährung wurde auch hier, den internationalen Expert*innendebatten folgend, in einen engen Zusammenhang mit der Kindersterblichkeit gestellt. Dies geschah zum einen aus humanitären Gründen. Darüber hinaus wurde Kindersterblichkeit aber auch immer häufiger als Indikator für den »Entwicklungsgrad« einer Gesellschaft konstruiert.24 Dass Kindersterblichkeit zudem in Modellen wie der Child Survival Hypothesis mit dem zur globalen Bedrohung stilisierten Thema Bevölkerungswachstum verknüpft wurde, schien die Dringlichkeit einer Suche nach Lösungen nur zu erhöhen.25 Globale Aktionen wie das United Nations International Year of the Child 1979 führten zu erheblichen Mobilisierungen in zahlreichen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen. Sie hatten politische wie gesellschaftliche Effekte, indem sie die Rechte und Belange von Kindern weltweit ins Rampenlicht stellten.26
Die inhaltliche Neuausrichtung, gepaart mit der sozialrevolutionären Rhetorik von WHO-Generaldirektor Mahler, führte innerhalb der WHO zu erheblichen Spannungen. Insbesondere die nun zahlenmäßig unterlegenen wichtigsten Geldgeber – allen voran die Vereinigten Staaten, aber auch große westeuropäische Staaten – fürchteten um ihren Einfluss in der WHO. Zwar zogen selbst die USA einen Austritt nicht ernsthaft in Erwägung, doch froren sie als größter Nettozahler ihre Beiträge zu dem im Laufe der 1970er-Jahre stark ansteigenden Gesamtbudget der WHO ein. Der daraus erwachsende Konflikt betraf nicht nur finanzielle Fragen. Es ging vor allem auch um eine Neuausrichtung der Organisation, die die US-Regierung als »Politisierung« skandalisierte und deren Annahmen sie auf der Basis fachwissenschaftlicher Autorität in Zweifel zog.27
Im Zuge dieses Konflikts wurden reguläre Budgetbeiträge der Mitgliedstaaten, über die die Weltgesundheitsversammlung gemeinsam entscheiden konnte, zunehmend durch freiwillige, zweckgebundene Zuwendungen von Mitgliedstaaten, Internationalen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen ersetzt. Die Mittelgeber stärkten so ihren direkten Einfluss auf die Arbeit der WHO und stellten sicher, dass Gelder gemäß den eigenen Prämissen und Prioritäten verwendet wurden.28 Die so entstehenden Sonderprogramme unterlagen zwar in der Regel einer mehrfachen Kontrolle, ihre inhaltlichen und geographischen Konturen wurden jedoch stärker durch die großen Nettozahler bestimmt.
Das galt auch für eines der umfänglichsten und – nach Ansicht vieler Expert*innen – erfolgreichsten dieser Sonderprogramme, das Global Special Programme for the Control of Diarrhoeal Diseases (CDD). Der indische Cholera-Experte der WHO, Dhiman Barua, erkannte früh das Potential oraler Rehydrierung für die Therapie von Durchfall-Erkrankungen und überzeugte Generaldirektor Mahler, ein entsprechendes Sonderprogramm vorbereiten zu lassen. Rasch wurde deutlich, dass ein globales Programm zur Kontrolle von Durchfall-Erkrankungen bei Kindern sowohl die Unterstützung der WHO-Bürokratie als auch ganz unterschiedlicher WHO-Mitgliedstaaten fand; innerhalb kurzer Zeit konnten erhebliche Summen für eine Anschubfinanzierung eingeworben werden. Die USA stachen als früher Förderer hervor und blieben für die kommenden rund anderthalb Jahrzehnte der größte Finanzier. Auch Großbritannien, die skandinavischen Staaten, die Niederlande, die Schweiz, Australien und Kanada unterstützten das geplante Programm in besonderem Maße. Eine ganze Reihe von »Entwicklungsländern« leistete trotz enger Spielräume finanzielle Beiträge.29 Hinzu kamen hohe Zuwendungen von anderen UN-Organisationen (wie UNDP und UNFPA) sowie von großen Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen.
1978 wurde das Programm offiziell gegründet und konnte dank der sofortigen Unterstützung der Geldgeber in den Folgejahren stark expandieren. Von den frühen 1980er-Jahren bis ins erste Drittel der 1990er-Jahre war das CDD ein wichtiges globales Gesundheitsprogramm, das Forschungsförderung und technische Hilfe verknüpfte, nationale Programme beriet und gesundheitspolitische Akzente setzte. Dass die 1980er-Jahre eine Zeit waren, in der die Erforschung von Durchfall-Erkrankungen wichtig und attraktiv erschien, war maßgeblich auch diesem Programm zu verdanken.30 Während der Laufzeit des Globalen Programms sank die Zahl der jährlichen Durchfall-Toten im Alter unter fünf Jahren von rund 5 Millionen auf weniger als 1,5 Millionen (heute liegt dieser Wert bei ungefähr 500.000).31 Neben der Finanzierung oder Durchführung wichtiger Maßnahmen fungierte das Globale Programm mit seinem Sekretariat in Genf vor allem als Kommunikationsknotenpunkt. Es setzte seine wissenschaftliche und politische Autorität dazu ein, auch das Handeln anderer Akteure zu beeinflussen (wie UNICEF, USAID u.v.m.), mit denen es in teils engem Austausch stand.
Das Thema Ernährung spielte im CDD eine zentrale Rolle. Gerade das Bestreben, den erwähnten »Teufelskreis« von Infektion und Mangelernährung zu durchbrechen, resultierte in vielfältigen Bemühungen, Therapien von akutem Durchfall mit Interventionen gegen Mangelernährung zu verknüpfen. So wurde im Umfeld des CDD einerseits eine »Super-ORS (Oral Rehydration Solution)« entwickelt, die neben der Rehydrierungsfunktion durch Zusätze wie in »multi-purpose food« spezifische, weit verbreitete Mängel an Vitaminen oder Spurenelementen ausgleichen sollte. Allerdings gelang es dem CDD nicht, ein entsprechendes Produkt zur Marktreife zu bringen.32 Noch deutlicher wurden die Überschneidungen zwischen der Bekämpfung von Durchfall-Erkrankungen und Mangelernährung bei Kindern in der Prävention als dem zweiten wichtigen Arbeitsschwerpunkt des CDD-Programms, mit dem vor allem die indirekte Sterblichkeit bekämpft werden sollte.33 Das CDD stellte bei diesem Thema von Beginn an direkte Bezüge zwischen Ernährung, Krankheit und Sterblichkeit her. So rückte gute Ernährung als Mittel zur Vorbeugung von Krankheiten in besonderer Weise auf die Agenda.
Streng genommen hatte die WHO bereits seit ihrer Gründung Präventionsdiskurse gefördert, was vor allem an ihrer breiten Definition von Gesundheit lag (als größtmöglichem körperlichem, seelischem und sozialem Wohlbefinden der Menschen).34 Seit den späten 1970er-Jahren gewann das Thema jedoch weiter an Bedeutung und bekam zudem auch politische Implikationen, weil WHO-Mitglieder aus dem Globalen Süden (unter anderem auf den WHO-Konferenzen von Alma-Ata 1978 und Ottawa 1986) immer stärker ihre Skepsis gegenüber der Verquickung von Präventionsprogrammen und Modernisierungstheorien artikulierten. Die Annahme, dass moderne Staatlichkeit und zentrale Infrastrukturen die einzig sinnvolle Lösung seien, wurde zunehmend in Frage gestellt.35 Die konkrete Ausgestaltung von Präventionsprogrammen wurde daher stärker in die Hände global angelegter, aber lokal verankerter Programme übergeben.36
Dies beeinflusste auch die Arbeit des CDD. So stellte das Programm zunächst eine Wissensbasis für die Entscheidung über verschiedene präventive Maßnahmen her. 1982 beauftragte das CDD-Sekretariat deshalb die London School of Hygiene and Tropical Medicine (LSHTM) als eine der weltweit renommiertesten Institutionen zur Erforschung von Tropenkrankheiten mit einer umfassenden Evaluation. Im Ergebnis belegten die Studien folgende Maßnahmen als hocheffektiv, gut durchführbar und kosteneffizient: Stillen und allgemein verbesserte Ernährung von Kleinkindern, Impfstoffentwicklung bzw. Anwendung bekannter Impfstoffe sowie Verbesserung der Wasserversorgung bzw. der Sanitärinfrastrukturen und des Hygieneverhaltens. Diese auf der Auswertung zahlreicher Studien basierende Einschätzung bildete die Grundlage für die anschließenden Aktivitäten des CDD.37 Da der Ausbau von Sanitärinfrastrukturen in »Entwicklungsländern« nach damaliger Einschätzung zu langsam voranging, um kurzfristige Verbesserungen erwarten zu lassen, richteten sich die Bemühungen zunächst auf eine Änderung des individuellen Verhaltens vor allem der Mütter. Empfohlen wurden vor allem Stillen und regelmäßiges Händewaschen, weil beides große Auswirkungen auf die Verbreitung und Schwere von Durchfall-Erkrankungen habe. Nationale und lokale Programme zur Gesundheitserziehung sollten dabei die großen Unterschiede zwischen den Kulturen berücksichtigen, um keine Konflikte »with deeply held convictions« auszulösen; die Ausgestaltung sollte Sozialwissenschaftler*innen obliegen.38 Im Kontext des CDD-Programms entstand somit eine klare Empfehlung zur Förderung des Stillens als effizienter Maßnahme gegen die Durchfall-Sterblichkeit. Mit dem Fokus auf individuelle Verhaltensweisen setzte das Globale Programm sich auch ab von zeitgleichen Initiativen wie der International Drinking Water Supply and Sanitation Decade, die die Infrastruktur-Förderung ins Zentrum stellte.39
3. Das Stillen als Gegenstand der
internationalen Gesundheitszusammenarbeit
Die Ernährung von Babys und Kleinkindern ist ein Thema, bei dem medizinische, kulturelle, soziale, wirtschaftliche und politische Diskurse sehr eng verbunden sind. Dies gilt insbesondere für das 20. Jahrhundert, in dessen Kontext industriell gefertigte Babynahrung massenhaft zugänglich wurde und so Alternativen zum Stillen entstanden.40 Die WHO war von Beginn an eine ausgesprochene Verfechterin des Stillens, und diese Position reichte in die Zeit vor Primary Health Care zurück. Die »long debate on the merits of breast-feeding« wurde ab Mitte der 1950er-Jahre intensiviert, als die Stillquoten in vielen industrialisierten Gesellschaften deutlich sanken,41 und fokussierte zunächst vor allem auf die Sterblichkeitsraten bei gestillten versus flaschengefütterten Babys.42 Hierbei wurde ganz klar zwischen Industrie- und »Entwicklungsländern« unterschieden, da die Qualität des Trinkwassers als entscheidend galt (gefolgt vom Bildungsgrad der Mütter). Ende der 1970er-Jahre galt es als allgemein akzeptiert, dass das Stillen positive Auswirkungen habe, um die Sterblichkeit senken zu können. Zahlreiche damalige Studien maßen um ein Vielfaches höhere Sterblichkeitsraten für »Flaschenkinder« als für Babys, die gestillt wurden.43 An den medizinischen Vorteilen des Stillens für Babys und Kleinkinder in »Entwicklungsländern« gab es für die internationalen Gesundheitsexpert*innen angesichts dieser Befunde wenig Zweifel. Als problematisch galt hingegen die Frage nach der Stillfähigkeit von Müttern, insbesondere als Folge ihrer Mangelernährung.44 Überraschend wenig war lange Zeit von den gesellschaftlichen Bedingungen der Mutterschaft die Rede, beispielsweise der Vereinbarkeit von Stillen und Erwerbsarbeit oder der Arbeitsteilung in Familien.45 Trotz des zunehmenden interdisziplinären Austauschs zwischen Medizin und Sozialwissenschaften in diesem Zeitraum blieb die Perspektive eingeengt.
Die Erhöhung der Stillquoten gerade in »Entwicklungsländern« bekam somit für alle Akteur*innen in der internationalen Zusammenarbeit der öffentlichen Gesundheitsfürsorge Priorität. Neben der WHO engagierte sich UNICEF stark, und bei den bilateralen Entwicklungsorganisationen stach USAID hervor (United States Agency for International Development).46 Konfliktpotential barg jedoch die Frage, wer die relevanten Adressat*innen von Maßnahmen zur Förderung des Stillens waren. Ethnologische Forschungen in einer Reihe von »Entwicklungsländern« hatten seit den 1960er-Jahren gezeigt, dass das Stillverhalten der Frauen sich änderte: Gerade die urbanen, gebildeten Frauen stillten immer weniger und kürzer und vollzogen so den in den meisten Industrienationen bereits etablierten Trend nach.
Der sichtbare Umschwung im Stillverhalten wurde auch auf die zunehmend aggressiven Kampagnen der großen Hersteller von industriell gefertigter Babynahrung zurückgeführt, deren Produkte wegen schlechter Hygienebedingungen als Gefahr für die Ernährung von Kindern angesehen wurden.47 1970 veranstalteten UNICEF und PAHO gemeinsam ein Expert*innen-Meeting zum Thema Stillen. Die daraus hervorgehenden Richtlinien forderten das Verbot fragwürdiger Marketingpraxen für Babynahrung. 1974 verabschiedete die Weltgesundheitsversammlung eine Resolution, in der fallende Stillquoten auch zurückgeführt wurden auf »misleading sales promotion that breast-feeding is inferior to feeding with manufactured breast-milk substitutes«. 1978 wiederholte eine Resolution dieses Anliegen. Im Oktober 1979 fand das Joint WHO/UNICEF Meeting on Infant and Young Child Feeding statt. Dieses Treffen hatten auch die Hersteller von Babynahrung gewünscht, die seit 1973 zunehmend in der Kritik standen.48 Eine transnationale, ausgesprochen diverse Koalition zivilgesellschaftlicher Kräfte (von katholischen Ordensschwestern über feministische Frauenrechtsaktivist*innen und kapitalismuskritische Gruppen bis zu namhaften Expert*innen der internationalen Gesundheitspolitik) hatte 1977 in den USA den Boykott gegen Nestlé begonnen.49 Zwei Jahre später verwies das Joint Meeting auf das Ziel von »Health for All« und empfahl einen internationalen Code zur Regulierung des Marketings für Babynahrung. Die Weltgesundheitsversammlung beauftragte den Generaldirektor, einen solchen Code zu erarbeiten.50
Der aus dieser Initiative erwachsende Entwurf des WHO-Sekretariats wurde 1981 als International Code of Marketing for Breast-Milk Substitutes von den WHO-Mitgliedstaaten nahezu einstimmig angenommen. Ersatzstoffe für Muttermilch sollten nicht durch medizinisches Personal beworben werden dürfen, es sollten keine kostenlosen Proben verteilt werden dürfen, die Labels von Babynahrung sollten auf die Überlegenheit von Muttermilch verweisen und vor den Gefahren falscher Zubereitung warnen.51 Nach der Verabschiedung des Codes argumentierten die großen Lebensmittelhersteller, er sei keineswegs bindend; vielmehr seien die jeweiligen nationalen Gesetze ausschlaggebend, die oft deutlich weniger restriktiv waren. Allerdings zeigte der Nestlé-Boykott langsam Wirkung, und 1984 erklärte der Konzern sich bereit, dem Code zu folgen, wenn der Boykott ausgesetzt würde. Diese Strategie der Industrie hatte Erfolg. Trotz der Dokumentation systematischer Verstöße fand sich nicht noch einmal die politische Koalition und Kraft, einen vergleichbaren Boykott aufzulegen.52
In der WHO war der wichtigste Gegner des Codes die US-Regierung, die eine Verabschiedung dezidiert ablehnte. Die Diskussion um den Code verstärkte den Antagonismus zwischen dem WHO-Sekretariat und dem größten Nettozahler der Organisation. Im Mittelpunkt des Konflikts stand die Frage, welche (gesundheits-)politischen Interventionen zulässig seien, gerade für UN-Organisationen. Die US-Regierung protestierte insbesondere gegen Maßnahmen, die sie als Eingriffe in den Markt durch eine ohnehin zu »politisierte« Organisation betrachtete. Die Hersteller industrieller Babynahrung waren aus Perspektive der USA grundsätzlich nicht der geeignete Adressat für eine Veränderung der Stillquoten. Andere Maßnahmen zur Förderung des Stillens wiederum unterstützten die USA durchaus. Dies galt auch für die Umsetzung des CDD-Programms, das finanziell und personell (etwa in Gestalt des langjährigen Programmdirektors Michael Merson) von den USA stark gefördert wurde.
Im Kontext dieses Programms wurden das Stillen hinsichtlich der Auswirkungen auf die Durchfall-Sterblichkeit sowie die durchfallinduzierte Mangelernährung umfassend erforscht, und im Anschluss wurde eine Vielzahl von Maßnahmen zur Stillförderung propagiert. Die Befunde zum Einfluss des Stillens auf Prävention und Verlauf bzw. Schwere von kindlichem Durchfall waren eindeutig:53 Inzidenz und Sterblichkeit bei Durchfall-Erkrankungen ließen sich in »Entwicklungsländern« stark reduzieren, wenn sich die Stillquoten erhöhten.54 Ausschließliches Stillen lieferte den besten Schutz gerade für Säuglinge. Dagegen verdoppelte die zusätzliche Gabe anderer Flüssigkeiten bei Säuglingen das Sterblichkeitsrisiko. Zudem ließ sich beobachten, dass die Schutzwirkung ausschließlichen Stillens bis zum dritten Lebensjahr des Kindes anhielt und besonders bei Müttern, die über wenig formale Bildung verfügten, sowie an Orten mit schlechten Sanitärinfrastrukturen stark ausgeprägt war. Zusätzlich zur präventiven Wirkung entfaltete das Stillen auch während akuter Durchfall-Episoden eine Schutzfunktion, indem es die Schwere und Dauer sowie die Sterblichkeitsraten der Erkrankungen senkte.55
Aus diesen Ergebnissen entwickelte das Programmsekretariat Empfehlungen zur Ernährung von Säuglingen und Kleinkindern. Es plädierte dafür, dass Kinder in den ersten vier bis sechs Lebensmonaten, wenn möglich, ausschließlich gestillt werden sollten. Auch für die folgenden Lebensmonate des Kindes wurde das Stillen dringend empfohlen, da es sowohl half, Dehydrierung zu behandeln und ihr vorzubeugen, als auch das Immunsystem und den allgemeinen Ernährungszustand zu verbessern.56 In der Perspektive der Mediziner*innen gab es somit keine Zweifel an der Überlegenheit des Stillens und an seinen positiven Wirkungen weit über die Durchfall-Mortalität hinaus. Im Hinblick auf den Zusammenhang von Ernährungszustand und Durchfall-Erkrankungen ließ sich schlussfolgern, dass das Stillen einen Interventionspunkt bot, um den »Teufelskreis« von Mangelernährung und Infektionskrankheiten zu unterbrechen.
Basierend auf diesen Empfehlungen wurden mehrere große entwicklungspolitische Programmlinien aufgelegt, die bei verschiedenen Determinanten des Stillens ansetzten. In ihnen standen nicht die Unternehmen, sondern zwei weitere Gruppen von Akteur*innen im Zentrum des Interesses: erstens die Mütter als diejenige Personengruppe, deren Verhalten geändert werden sollte; zweitens das medizinische Personal mit Schwerpunkt Mutter-Kind-Gesundheit, dem ein Einfluss auf das Verhalten der Mütter zugeschrieben wurde.
4. Mütter als Akteurinnen und Adressatinnen
»Mothers are now regarded as the key to the treatment of diarrhoea«, erklärte Peter McPherson als Vertreter von USAID auf der Second International Conference on Oral Rehydration Therapy (ICORT II) im Dezember 1985 in Washington DC.57 Diese Einschätzung beschränkte sich nicht auf die Behandlung von Durchfall, sondern erstreckte sich auf nahezu alle Bereiche der Gesundheit von Kindern. Auch WHO-Generaldirektor Mahler bezeichnete Mütter als »key health resource«, wobei es ihnen allerdings oft an Bildung, Wissen und Verständnis fehle. Daraus folgerte er: »Women’s contribution to health and development is underestimated (and often completely disregarded in official statistics); furthermore, their potential is grossly underutilized.«58 Wie dieses Potential zur Senkung der Kindersterblichkeit genutzt werden könnte, wurde somit zu einer wichtigen entwicklungspolitischen Frage. Die Antwort des CDD darauf lautete: durch Gesundheitserziehung in großem Stil.
Während Gesundheitserziehung in westlichen Gesellschaften kein neues Feld war und seit den 1970er-Jahren – im Zusammenhang mit den Präventionsgedanken – eine merkliche Professionalisierung und Ausweitung durchlief, galt dies für die Länder des Globalen Südens nicht – oder zumindest nicht im gleichen Maße.59 Insbesondere die Entwicklungshilfe-Behörde USAID setzte jedoch auf eine Ausweitung dieses Betätigungsfeldes und legte mit einem Programm zum »Social Marketing« und zur »Gesundheitskommunikation« eine umfangreiche Förderlinie vor. In diesem Rahmen fand auch eine Übertragung von Annahmen, Methoden und Praktiken aus den Bevölkerungswissenschaften statt, etwa beim Versuch, mittels verhaltenswissenschaftlicher Ansätze tatsächliche Verhaltensänderungen bei Individuen zu erwirken. Das selbsterklärte Hauptziel von USAID war es, den westlichen State of the Art der Gesundheitserziehung auf »Entwicklungsländer« zu übertragen und hierbei medienwissenschaftliche sowie verhaltenswissenschaftliche Prämissen in den Vordergrund zu stellen.
Der Fokus auf das Individuum und sein Verhalten wurde nicht nur mit allgemeinen Modellen begründet, sondern darüber hinaus mit der Situation in den Zielländern: »Because the pace of formal education and cultural imitation as well as of economic development has been too slow to promote better health, the need for focusing directly on people and their behavior – particularly mothers, as agents of significant change – has become urgent.«60 Wieder waren es somit Mütter, die in den Mittelpunkt des Interesses rückten.
Als umfangreiches Pilotvorhaben startete USAID 1978 das Mass Media and Health Practices Project (MM&HP).61 Das einflussreiche Projekt entwarf »Blueprints« für Gesundheitserziehungskampagnen, die Medien, Multiplikatoren und Angehörige aller Gesundheitsberufe einbezogen. Dabei sollte stets das Verhalten von Müttern in Prävention und Behandlung von Durchfall-Erkrankungen beeinflusst werden. Konkret ging es vor allem um die Akzeptanz und Anwendung Oraler Rehydrierungs-Therapien und um das Stillverhalten.
Alle Kampagnen arbeiteten in ihren Darstellungen des Stillens mit einer Art ikonischer Mutterfigur, bildsprachlich umgesetzt als Mutterliebe, die auf Postern durch rote Herzen und Rosen ausgedrückt wurde. In christlichen Gesellschaften wurde diese Mutterfigur oft explizit – in der Tradition der Maria lactans – als eine stillende Mutter Gottes porträtiert. Heroismus und Hingabe waren fast überall die wichtigsten Elemente von Mutterschaft, die in den Kampagnen zum Stillen hervorgehoben wurden, wenn Slogans beispielsweise betonten: »Madre que pecho da es Madre de Verdad« (»Die stillende Mutter ist die wahre Mutter«).62 Die USAID-finanzierten Kampagnen zeichneten sich durch eine Verknüpfung von Moral und Medizin aus, bei der die mütterliche Fürsorge für das (kranke) Kind hervorstach und das Stillen als wichtige Praxis der Mutterliebe betont wurde. Norbert Hirschhorns eingangs zitierte Instruktion »There is no excuse to stop breastfeeding« wurde zu einer vermeintlich kulturübergreifend emotional wirksamen Blaupause ausbuchstabiert, die in Gesundheitserziehungskampagnen verwendet werden konnte.
Dies ließ sich im Übrigen nicht nur in den Ländern des Globalen Südens beobachten, sondern auch in der Gesundheitserziehung, die sich beispielsweise in Großbritannien und den USA an Mütter und Schwangere richtete.63 Der Wiederaufstieg des Stillens in industrialisierten Gesellschaften ab Mitte der 1970er-Jahre war eng mit dem Erstarken von zivilgesellschaftlichen Akteuren wie La Leche League und zahlreichen anderen Gruppierungen verbunden, die – oft im Kontext feministischer medizinkritischer Diskurse – mehr Handlungsoptionen und Kontrolle von Frauen über Geburt, Babypflege und Säuglingsernährung forderten. Die Gründe, die aus Sicht der feministischen Gruppen der Second Wave für das Stillen in Industrieländern sprachen, waren allerdings nicht direkt medizinischer Art, sondern betrafen vor allem das Bonding und die psychische Gesundheit von Mutter und Kind. Ein Zusammenhang zur Kindergesundheit oder gar -mortalität rückte erst später ins Zentrum – mit den Forschungen zum Mikrobiom, zu Allergien und Immunerkrankungen sowie mit Blick auf die Ursachen von Übergewicht.
Für die medizinischen Diskurse um Stillquoten und das Handeln der Public-Health-Akteur*innen war diese Graswurzelbewegung durchaus relevant. Sie leitete die Renaissance des Stillens als »unspektakuläres Alltagsverhalten« der Prävention64 in den USA und in Westeuropa an und beeinflusste auch das Denken in der WHO – nicht nur im Hinblick auf den bereits erwähnten International Code, sondern zugleich für das Feld der Gesundheitserziehung. Deren Erneuerung schien auch angesichts der skizzierten Veränderungen im ideologischen und politischen Klima der späten 1970er- und 1980er-Jahre vordringlich zu sein. Das Globale Programm zur Kontrolle von Durchfall-Erkrankungen nahm innerhalb der WHO eine Vorreiterrolle ein. Dies bedeutete unter anderem, die handlungsanleitenden Motive von Müttern detailliert zu untersuchen,65 über Newsletter wie »Diarrhoea Dialogue« die von USAID initiierten Kampagnen zur Gesundheitserziehung von Müttern an die WHO-Arbeit anzubinden, die Medien in ihrer Funktion als Multiplikatoren zu berücksichtigen und den Kontakt zu zivilgesellschaftlichen Gruppen zu suchen. Gerade letzteres war in den Deutungskämpfen der 1980er-Jahre nicht selbstverständlich, sorgte jedoch für eine erhöhte Sichtbarkeit der Kampagnen sowohl international als auch direkt vor Ort.66
5. Medizinisches Personal als Zielobjekt
Neben den Müttern, die durch die genannten Kampagnen sowohl zu Adressatinnen als auch zu »Instrumenten« globaler gesundheits- und entwicklungspolitischer Ziele gemacht wurden, rückte noch eine weitere Personengruppe in den Blick: das medizinische Personal. Seiner Tätigkeit auf den Entbindungs- und Wöchnerinnenstationen wies die sozialwissenschaftliche Forschung einen messbaren Einfluss auf die Stillbeziehungen zwischen Müttern und Kindern zu. Das CDD konzentrierte sich ab Mitte der 1980er-Jahre zunehmend auf die Schulung medizinischer Praktiker*innen – auch jenseits der Ärzt*innen. Ähnliche Schwerpunkte setzte nicht zuletzt die Ottawa Charter for Health Promotion der WHO von 1986. Sie definierte Health Education als einen Teil der umfassenderen Health Promotion, die alle öffentlichen Aktivitäten bezeichnete, die den Menschen mehr Kontrolle über ihre Gesundheit gaben. Informationskampagnen gehörten hierzu ebenso wie Versuche, soziale Normen zu ändern und die politische Regulierung zu beeinflussen. Für das Stillen bedeutete dies, Gesundheitserziehung von Müttern im Kontext ihrer gesellschaftlichen und sozialen Bezüge zu interpretieren, auch jenseits der individuellen Entscheidungen von Frauen.
Das CDD entwickelte unter dem Stichwort des Lactation Management Interventionen für das medizinische (Hilfs-)Personal und Maßnahmen, die in medizinischen Einrichtungen aller Art durchgeführt wurden. In Brasilien, Honduras, Guatemala, Peru, Pakistan, Bangladesch und weiteren Ländern wurden Schulungsmethoden entwickelt, mittels derer Pfleger*innen und Ärzt*innen Mütter beim Stillen unterstützen konnten. Nach ersten »Feldtests« wurden diese Methoden dann für den möglichst ortsunabhängigen Einsatz verallgemeinert.67 Die Forschungen Mitte der 1990er-Jahre zielten auf die Verbesserung solcher Maßnahmen und die Entwicklung neuer, im Gesundheitssystem verankerter Angebote zur Stillunterstützung ab. Konkrete Probleme des Stillens (wie Schmerzen oder das Anlegen des Kindes) waren Gegenstand ausführlicher Studien.68 Die praxisbezogenen, sozialwissenschaftlichen Forschungen zur Stillförderung erhielten so einen sehr viel höheren Stellenwert als die biomedizinischen und ernährungswissenschaftlichen Forschungen vorheriger Jahre. Hier zeigte sich der wachsende Stellenwert der Sozialwissenschaften für die Public-Health-Arbeit der WHO.
Um die Ergebnisse dieser Forschungen gerade auch zum Verhalten des medizinischen Personals für die Geburtshilfe zu operationalisieren und in den Mitgliedstaaten zur Anwendung zu bringen, entwickelte das CDD 1993 gemeinsam mit UNICEF den Trainingskurs »Breastfeeding Counselling«.69 Diese Weiterbildung dauerte eine Woche und kombinierte theoretische Sitzungen mit praktischem, klinischem Training. Der Kurs richtete sich primär an Hebammen, Krankenschwestern und vergleichbare Berufsgruppen. In den Beschreibungen der Vorzüge des Stillens ging er weit über das Thema der Durchfall-Erkrankungen hinaus. Er hob vor allem die medizinischen Vorteile für die Säuglinge hervor, darunter die Verringerung von Infektionen und Mangelernährung, die Senkung von Allergien und die Reduktion von Übergewicht. Mit Blick auf die Mütter wurde die niedrigere Zahl von Brustkrebserkrankungen ebenso herausgestellt wie positive psychologische Effekte durch das Bonding, ökonomische Vorteile in Form der geringeren Kosten im Vergleich zur Flaschennahrung sowie bevölkerungspolitische Effekte durch die längeren Abstände zwischen zwei Schwangerschaften.70 Der Kurs erläuterte detailliert die Funktionsweise des Stillens und ging auf häufige Probleme ein. Praktische Übungen sollten Müttern helfen, eine gute Stillbeziehung zum Kind zu beginnen.71 Die Kommunikation mit den Müttern wurde zu einer Kernkompetenz erklärt; die gestaltende Rolle der Mütter und ihre Agency wurden hierbei hervorgehoben. Der Aspekt des häuslichen Umfelds fand mehrfach Erwähnung, wenn auch in recht allgemeiner Form: Hauptsächlich sollte bei anderen Familienmitgliedern wie den Vätern um Unterstützung für das Stillen geworben werden.
Der kolumbianisch-amerikanische Anthropologe Arturo Escobar hat die »Community« der Entwicklungspolitik einmal als »Abstraktion« bezeichnet, ein theoretisches Konstrukt, das der technokratischen Intervention politischer Akteure Raum gab.72 Auch die »Familie« der Stillberatung trägt Züge dieser Abstraktion, weil Machtverhältnisse nur am Rande eine Rolle spielten. Gesellschaftliche Kontexte jenseits des Nutzens von Stillgruppen, sozialpolitische Fragen zur Ernährung stillender Mütter oder zu Rechten am Arbeitsplatz fanden wenig Erwähnung.73 Doch als das CDD-Programm Mitte der 1990er-Jahre einen Großteil seiner selbstständigen Drittmittelfinanzierung verlor und mit anderen WHO-Programmen zusammengeführt wurde, blieb der hohe Stellenwert von Müttern für die Kindergesundheit als Leitgedanke erhalten. Die auf die Mütter abzielenden Aktivitäten wie das Breastfeeding Counselling wurden in diesem Zuge um andere Themenbereiche der Kindergesundheit erweitert.74 Das Programm trug damit zu einer professionelleren Gesundheitserziehung bei.
In der Arbeit der WHO gewann zudem die Entwicklung von Normen und Standards zur Förderung des Stillens in Krankenhäusern und sonstigen medizinischen Einrichtungen an Bedeutung. Standardisierung, die in der WHO zunächst vor allem medizinische Methoden betraf, wurde – auch durch das CDD – immer stärker in Richtung sozialwissenschaftlicher und organisationsbezogener Methoden ausgeweitet. Die politische Rahmung des Themas erhielt ebenfalls einen neuen Schub. Ein Resultat dieses Diskurses war die maßgeblich von WHO und UNICEF (unter Beteiligung von CDD-Mitarbeitenden) entworfene, 1990 verabschiedete Innocenti Declaration, die das Kinderrecht auf Stillen propagierte und bei allen Regierungen der Welt eine Verantwortung für die Stillförderung anmahnte.75
Counselling-Aktivitäten wiederum wurden durch WHO und UNICEF verbreitert und institutionalisiert. 1989 stellten beide Organisationen die gemeinsame Baby-Friendly Hospital Initiative vor. Sie betonte die wichtige Rolle, die Krankenhäuser und Geburtsstationen beim Aufbau einer erfolgreichen Stillbeziehung spielten, vergab ein Zertifikat für Krankenhäuser, die die Kriterien des Baby-Friendly Hospital erfüllten, und formulierte »Ten Steps«, die Krankenhäuser für ein entsprechendes Zertifikat umsetzen mussten.76 Insbesondere die Schulung des Personals sowie die aktive Beratung von Frauen zum Stillen spielten hierbei eine Rolle. Zusätzlich wurde die Gründung von Selbsthilfegruppen für stillende Mütter gefordert. Initiativen wie diese – die bis heute besteht – waren bei weitem nicht mehr auf »Entwicklungsländer« beschränkt. Die Renaissance des Stillens betraf auch große Teile der industrialisierten Welt, und die Baby-Friendly Hospital Initiative fasste in nahezu allen Industriestaaten Fuß. Die Verbindungslinien zu feministischen Forderungen nach mehr Selbstbestimmung von Frauen auch vor, während und nach der Geburt eines Kindes sind hier unübersehbar. Aber die Hervorhebung der Relevanz von Frauen für die Kindergesundheit und darüber vermittelt für den »Entwicklungsprozess« von Gesellschaften bedingte keineswegs zwingend eine tiefergehende Reflexion oder bewusste Gestaltung von Geschlechterverhältnissen in gesundheitspolitischen Programmen.77 Ganz im Gegenteil konnte die gebetsmühlenartige Betonung der Rolle von Müttern in der Familie und speziell der kinderbezogenen Care-Arbeit teilweise sogar traditionelle geschlechterpolitische Vorstellungen zementieren, ohne dass die Public-Health-Akteur*innen dies in ihren Handreichungen für Gesundheitspersonal immer reflektiert oder problematisiert hätten.
Mit dem stärkeren Fokus auf Armut als globalem »Entwicklungsdilemma« ab den 1970er-Jahren wurde zunehmend auch der Konnex von Mangelernährung und (Infektions-)Krankheiten zu einem Thema für die WHO. Neben der Therapie und Behandlung klassischer »Armutskrankheiten« – zu denen Durchfall-Erkrankungen zählten – rückte das Thema Prävention ins Zentrum des Interesses. Kindern galt dabei besondere Aufmerksamkeit: Zum einen war die Kindersterblichkeit infolge von Durchfall-Erkrankungen gerade in »Entwicklungsländern« weiterhin hoch; zum anderen zeichnete sich ab, dass Mangelernährung im Kindesalter auch langfristige Folgen zeitigte, die Individuen und Gesellschaften negativ beeinflussten. Der Zusammenhang von Mangelernährung und Krankheiten wurde diskursiv als »Teufelskreis« konzipiert, den es zu durchbrechen galt. Die Frage, ob hierbei krankheitsspezifische Interventionen oder entwicklungspolitische Programme für bessere Ernährung und zur Armutsbekämpfung im Vordergrund stehen sollten, war allerdings – nicht nur innerhalb der WHO – hoch umstritten. Die im vorliegenden Text untersuchten Programme lassen sich in dieser Hinsicht als uneindeutig oder auch zweigleisig beschreiben. Selbst wenn bei der WHO krankheits- bzw. therapiebezogene Programme im Vordergrund standen, spielten auch präventionsorientierte Programme eine Rolle, die auf eine Verbesserung individuellen Hygiene-Verhaltens sowie auf die Bekämpfung von Mangelernährung bereits im Kindesalter zielten. Vor diesem Hintergrund fand insbesondere die Stillförderung bei nahezu allen Akteur*innen der Entwicklungs- und Gesundheitspolitik eine positive Resonanz. Stillförderungsprogramme setzten gleichermaßen bei Infektionskrankheiten und beim Ernährungszustand von kleinen Kindern an; sie verbanden Therapie und Prävention in besonderer Weise.
Im politisch aufgeladenen Klima der 1970er- und 1980er-Jahre verdichtete sich der Nord-Süd-Konflikt auch innerhalb der Weltgesundheitsorganisation. Der vor allem von der WHO propagierte International Code of Marketing for Breast-Milk Substitutes stieß auf den erbitterten Widerstand der USA. Gerade USAID-Programme zur Gesundheitserziehung als Teil der Entwicklungspolitik fokussierten auf das Verhalten von Müttern. Dies war aber zugleich ein grundlegender Baustein des (stark US-finanzierten) Special Programme for the Control of Diarrhoeal Diseases bei der WHO. Darüber hinaus sprachen WHO und UNICEF gezielt die Angehörigen von medizinischen Berufen und das Personal von Geburtskliniken an. Neben der Weiterbildung ging es dabei um die Entwicklung organisatorischer Standards und Praktiken der Geburtsmedizin. Getragen wurde die »Renaissance des Stillens« nicht zuletzt von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen wie Müttergruppen, deren Gründung durch die WHO gefördert wurde.
Frauen erschienen in diesen Programmen sowohl als Akteurinnen wie auch als Interventionsobjekte. In ihrer Ansprache als Mütter verknüpften sich Elemente von Handlungsmacht mit einer Moralisierung ihres Handelns. Den entwicklungspolitischen Akteur*innen galten sie im Untersuchungszeitraum immer stärker als relevante »agents of change«. Gleichzeitig wurde ihre gesellschaftliche Rolle in diesen Diskussionen stark auf Mutterschaft reduziert, während andere Lebensbereiche ausgeblendet blieben. Eine Arbeitsteilung in Familien, die die Rolle von Frauen als Müttern betonte, wurde somit tendenziell gestärkt. Verbindungen zum Diskurs um Frauenrechte ergaben sich durch die Verknüpfung mit dem Recht auf Familienplanung, aber auch durch die Beteiligung von internationalen Frauenrechtsgruppen wie La Leche League. Die Gesundheitserziehungsprogramme zum Stillen spiegeln somit einerseits klassische geschlechterpolitische Leitbilder, andererseits auch jahrzehntealte Debatten um »Entwicklung« und »Modernisierung« wider. Dass Frauen als »neue« Akteurinnen der Entwicklungs- und Gesundheitspolitik in den Blick gerieten, implizierte nicht automatisch, dass ihre Handlungsmacht in der Gestaltung sozialen Wandels reflektiert oder gestärkt wurde.
Auf konzeptioneller Ebene wurden innerhalb der internationalen Gesundheitspolitik unterschiedliche Bereiche enger integriert: Mangelernährung, Krankheiten, Armut, Demographie. Die WHO spielte dabei vor allem eine beratende und forschende Rolle. Es war durchaus das Ziel zentraler Akteur*innen in der WHO, Ernährung und Krankheit, Therapie und Prävention zusammenzudenken, also Programme zu konzipieren, die neue Wege für eine integrative globale Gesundheitspolitik anboten. Welche Resonanz diese Wissens-Arbeit der WHO in den Mitgliedstaaten fand, hing allerdings stets auch von der Finanzierung nationaler Gesundheitssysteme ab, die während der 1980er- und 1990er-Jahre im Zuge von »Umstrukturierungen« öffentlicher Haushalte in verschuldeten Staaten teils empfindlich eingeschränkt wurde. Vor dem Hintergrund sehr unterschiedlich leistungsfähiger Gesundheitssysteme wurde das Stillen von den beteiligten Akteur*innen als universale, globale Praxis gesehen. Diese Haltung spiegelte sich in einigen der Kampagnen wider (etwa durch die immer wiederkehrenden ikonischen Mutterfiguren). Stärker ins Blickfeld gerieten aber auch die konkreten und höchst verschiedenen Umstände, die das Stillverhalten von Müttern beeinflussten. So rückten das medizinische Personal, Unterstützungsgruppen aus sozialen Bewegungen oder multinationale Unternehmen in den Fokus.
Der Begriff des »Fortschritts« ist in den vergangenen Jahrzehnten zu Recht in die Kritik geraten. Die historische Veränderung der Kindersterblichkeit, ihr erheblicher Rückgang seit dem 19. und vor allem im 20./21. Jahrhundert, lassen sich ohne diesen Begriff jedoch kaum fassen. Dass die Kindersterblichkeit insgesamt so deutlich gesunken ist, verdanken wir verschiedenen medizinischen Interventionen (wie der Oralen Rehydrierungs-Therapie), sozialen Praktiken (wie dem Stillen) und dem Aktivismus zahlloser Menschen an vielen Orten, in Gesundheitsberufen und NGOs weltweit.78 Die Förderung des Stillens fügt sich somit in eine Fortschrittsbewegung ein, die ihresgleichen sucht. Sie verdeutlicht aber gleichzeitig die Komplexität eines solchen Narrativs. Die Geschichte medizinischer Innovationen und Interventionen muss immer auch die Geschichte der politischen Auseinandersetzungen mit einbeziehen, in deren Kontext sie entstanden sind. Für die Forschungen zu Mangelernährung und Infektionskrankheiten impliziert dies, dass angesichts unklarer Wissensbestände zu Beginn der 1970er-Jahre vor allem politische Prioritäten beschlossen wurden, die bei den Individuen und speziell bei Frauen in ihrer Rolle als Mütter ansetzten. Während strukturelle Faktoren wie Mangelernährung und Armut als Auslöser von Krankheiten durchaus diskutiert wurden, stand gleichwohl vor allem die Therapie und Prävention vorhandener Infektionskrankheiten im Zentrum der hier analysierten Programme. Internationale Aktivitäten zur Stillförderung können vor diesem Hintergrund als Versuch einer Integration struktureller und individueller Faktoren betrachtet werden. Angesichts der Tatsache, dass weiterhin jedes Jahr Millionen von Kindern an vermeidbaren Krankheiten sterben, bleibt gerade im Kampf gegen Mangelernährung noch viel zu tun – sehr viel.79
Anmerkungen:
1 Norbert Hirschhorn, Diarrhoeal Control… Opportunities and Constraints, in: Diarrhoea Dialogue (bald umbenannt in Dialogue on Diarrhoea), Ausgabe 1, Mai 1980, S. 4-5. »Entwicklungsländer« wird hier als Quellenbegriff verwendet. Vgl. Hubertus Büschel, Geschichte der Entwicklungspolitik, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 11.2.2010.
2 Zu dieser Forscher*innengemeinde gehörten v.a. Angehörige der Fächer Pädiatrie, Tropenmedizin, Epidemiologie, Public Health, Sozialmedizin. Als diskursiver Zusammenhang – durch Fachtagungen und wissenschaftliche Publikationsorgane – klar ausgewiesen, ist diese Gemeinde gleichzeitig nicht exakt abgrenzbar. Wohl aber lassen sich eine Reihe von Personen ausmachen, die aufgrund ihrer fachlichen Expertise und ihres hohen Ansehens eindeutig als Vertreter*innen der »International Health Community« gelten können; Hirschhorn ist zu diesem Personenkreis zu zählen.
3 Die Ausgaben (1980–1995) finden sich online hier: <https://www.rehydrate.org/dd/fullmenu.htm>.
4 Dhiman Barua, The Global Epidemiology of Cholera in Recent Years, in: Proceedings of the Royal Society of Medicine 65 (1972), S. 423-428, hier S. 423. Vgl. z.B. Christopher Hamlin, Cholera. The Biography, Oxford 2009; und von führenden Cholera-Experten u.a. der WHO: Dhiman Barua/William B. Grennough III (Hg.), Cholera, Philadelphia 1974, 2. Aufl. New York 1992. Speziell zu Afrika: Myron Echenberg, Africa in the Time of Cholera. A History of Pandemics from 1817 to the Present, Cambridge 2011, v.a. S. 87-90, S. 109-124.
5 Zum Pakistan-SEATO [South-East Asia Treaty Organization] Cholera Research Laboratory/International Centre for Diarrhoeal Disease Research Bangladesh (ICDDR, B): ICDDR, B/Jean Sack/M.A. Rahim (Hg.), Smriti. ICDDR, B in Memory, Dhaka 2003.
6 Als nützliche, wenn auch teils ungenaue Zusammenfassung siehe Joshua Nalibow Ruxin, Magic Bullet: The History of Oral Rehydration Therapy, in: Medical History 38 (1994), S. 363-397. Zentrale Quellen sind u.a. Richard A. Nash u.a., A Clinical Trial of Oral Therapy in a Rural Cholera-Treatment Center, in: American Journal of Tropical Medicine 19 (1970), S. 653-656; Dilip Mahalanabis u.a., Use of an Oral Glucose Electrolyte Solution in the Treatment of Pediatric Cholera – A Controlled Study, in: Journal of Tropical Pediatrics 20 (1974), S. 82-87.
7 Dhiman Barua, Application of Science in Practice by the World Health Organization in Diarrhoeal Diseases Control, in: Journal of Diarrhoeal Diseases Research 11 (1993), S. 193-196; Dilip Mahalanabis u.a., Oral Fluid Therapy among Bangladeshi Refugees, in: Johns Hopkins Medical Journal 132 (1973), S. 197-205.
8 Water with Sugar and Salt. Editorial, in: Lancet 312, 8084 (1978), S. 300.
9 Louis J. Verhoestraete/Ruth R. Puffer, Diarrhoeal Disease with Special Reference to the Americas, in: Bulletin of the World Health Organization 19 (1958), S. 23-51. Dort war z.B. von einem nur schwer zu lösenden »world problem« die Rede (S. 23).
10 Pan American Health Organization (PAHO), Sixteenth Meeting of the PAHO Advisory Committee on Medical Research (ACMR), Washington, DC, 11-15 July 1977: The Diarrhoea of Travelers, PAHO-Archiv, PAHO/ACMR 16/11, S. 1. Einige Dokumente zu den ACMR-Treffen finden sich in der Datenbank <https://iris.paho.org>, wenn auch (bislang) nicht die hier genannte Quelle.
11 WHO, Development of a Programme for Diarrhoeal Diseases Control. Report of an Advisory Group (Geneva, 2-5 May 1978), WHO-Archiv, WHO/DDC/1978.1; John D. Snyder/Michael H. Merson, The Magnitude of the Global Problem of Acute Diarrhoeal Disease: A Review of Active Surveillance Data, in: Bulletin of the World Health Organization 60 (1982), S. 605-613.
12 Alan D. Berg, The Nutrition Factor, Its Role in National Development, Washington, DC 1973; zit. nach Nicholas Nisbett u.a., Why Worry About the Politics of Childhood Undernutrition?, in: World Development 64 (2014), S. 420-433.
13 Vgl. u.a. Maggie Black, Children First. Story of UNICEF, Past and Present, Oxford 1996; Corinna R. Unger, International Development. A Postwar History, London 2018; Corinne A. Pernet/Amalia Ribi Forclaz, Revisiting the Food and Agriculture Organization (FAO): International Histories of Agriculture, Nutrition, and Development, in: International History Review 41 (2019), S. 345-350.
14 Christiane Berth/Corinne A. Pernet, Wissenstransfer, Experten und ihre Handlungsspielräume am Instituto de Nutrición de Centro América y Panamá (INCAP), 1961–1982, in: Geschichte und Gesellschaft 41 (2015), S. 613-648. Siehe auch den Aufsatz von Christiane Berth und Heike Wieters in diesem Heft.
15 Nevin S. Scrimshaw/Carl E. Taylor/John E. Gordon, Interactions of Nutrition and Infection, Genf 1968.
16 Dies., Interactions of Nutrition and Infection, in: American Journal of Medical Science 237 (1959), S. 367-403; M. Dorthy Beck/J. Antonio Muñoz/Nevin S. Scrimshaw, Studies on Diarrheal Diseases in Central America. I. Preliminary Findings on Cultural Surveys of Normal Population Groups in Guatemala, in: American Journal of Tropical Medicine and Hygiene 6 (1957), S 62-71, und die folgenden Aufsätze dieser Serie; John E. Gordon/Moisés Béhar/Nevin S. Scrimshaw, Acute Diarrhoeal Disease in Less Developed Countries. 3. Methods for Prevention and Control, in: Bulletin of the World Health Organization 31 (1964), S. 21-28; Benjamin Torún, Nutritional and Dietary Considerations in Acute Diarrhea, in: ICORT III, Third International Conference on Oral Rehydration Therapy, Washington, DC 1988.
17 Carl E. Taylor/William B. Greenough III, Control of Diarrheal Diseases, in: Annual Review of Public Health 10 (1989), S. 221-244. Alternativ wurde vom »vicious circle« gesprochen, gelegentlich auch vom »diarrhoea-malnutrition complex«.
18 Das INCAP betonte tendenziell eher die Rolle, die Infektionen für die Verschärfung von Mangelernährung spielten. Eine Reihe von Forschungen des ICDDR, B in Bangladesch schien wiederum Mangelernährung als wichtigeren Risikofaktor für Durchfall anzudeuten als umgekehrt. André Briend, Is Diarrhoea a Major Cause of Malnutrition among the Under-Fives in Developing Countries? A Review of Available Evidence, in: European Journal of Clinical Nutrition 44 (1990), S. 611-628. Während die Betonung auf Mangelernährung als entscheidendem Faktor zu Beginn des 21. Jahrhunderts immer mehr Anhänger fand, konnte dies vorher nicht so eindeutig gelten. Vgl. Laura E. Caulfield u.a., Undernutrition as an Underlying Cause of Child Deaths associated with Diarrhea, Pneumonia, Malaria, and Measles, in: American Journal of Clinical Nutrition 80 (2004), S. 193-198. UNICEF wiederum betonte eher den Stellenwert von Infektionen.
19 Vgl. Jürgen Dinkel, Die Bewegung Bündnisfreier Staaten. Genese, Organisation und Politik (1927–1992), Berlin 2015.
20 Für eine ausführliche Analyse siehe Nitsan Chorev, The World Health Organization between North and South, Ithaca 2012.
21 Für die Analyse von Internationalen Organisationen als Akteuren und Foren wegweisend: Daniel Maul, Menschenrechte, Sozialpolitik und Dekolonisation. Die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) 1940–1970, Essen 2007.
22 Dieses mittlerweile viel beforschte Thema wird analysiert u.a. in Chorev, World Health Organization (Anm. 20); Marcos Cueto/Theodore M. Brown/Elizabeth Fee, The World Health Organization. A History, Cambridge 2019; Kelley Lee, The World Health Organization, New York 2009; Tine Hanrieder, International Organization in Time. Fragmentation and Reform, Oxford 2015; Socrates Litsios, The Fourth Ten Years of the World Health Organization: 1978–1987, Genf 2011. In dem WHO-Bericht »Technical Discussions on The Contribution of Health to The New International Economic Order« wurde die Unterstützung der WHO für die NIEO ausformuliert.
23 Damit nahm die Organisation keine Sonderstellung ein. 1977 wurde das Subcommittee on Nutrition des United Nations Administrative Committee on Coordination gegründet, dem neben der WHO unter anderem auch UNICEF, UNDP, FAO, die Weltbank, UNESCO, der World Food Council und der International Fund for Agricultural Development angehörten, die es ebenfalls als ihre Aufgabe sahen, Mangelernährung zu bekämpfen.
24 Z.B. USAID, Oral Rehydration Therapy. A Revolution in Child Survival, Weston 1988, S. 15.
25 Carl E. Taylor/Jeanne S. Newman/Narindar U. Kelly, The Child Survival Hypothesis, in: Population Studies 30 (1976), S. 263-278; W. Henry Mosley/Lincoln C. Chen, An Analytical Framework for the Study of Child Survival in Developing Countries, in: Population and Development Review 10 (1984), Supplement: Child Survival: Strategies for Research, S. 25-45. Vgl. auch Matthew Connelly, Fatal Misconception. The Struggle to Control World Population, Cambridge, MA 2008; Corinna Unger/Heinrich Hartmann (Hg.), A World of Populations. Transnational Perspectives on Demography in the Twentieth Century, New York 2014.
26 Richard Jolly, UNICEF (United Nations Children’s Fund): Global Governance That Works, New York 2014, S. 59.
27 Thomas Zimmer, Welt ohne Krankheit. Geschichte der Internationalen Gesundheitspolitik 1940–1970, Göttingen 2017. Zimmer spricht von der zunehmend umkämpften »Politik des Unpolitischen« in der WHO.
28 Fiona Godlee, WHO’s Special Programmes: Undermining from Above, in: British Medical Journal 310 (1995), S. 178-182; J. Patrick Vaughan u.a., WHO and the Effects of Extrabudgetary Funds: Is the Organization Donor Driven?, in: Health Policy and Planning 11 (1996), S. 253-264; Gavin Yamey, Have the Latest Reforms Reversed WHO’s Decline?, in: British Medical Journal 325 (2004), S. 1107-1112.
29 Im WHO-Archiv finden sich die Budgets des Programms im WHO/CDD-Bestand.
30 Godlee, WHO’s Special Programmes (Anm. 28); USAID, Oral Rehydration Therapy (Anm. 24).
31 Vgl. z.B. die regelmäßig sehr positiven Evaluationen des Programms, die im WHO-Archiv im CDD-Bestand zu finden sind, etwa die Bewertungen des Management Review Committee, der Technical Advisory Group und des Meeting of Interested Parties. Für die Diskussion im Programm selbst über eine Evaluation der Arbeit siehe Caryn Bern u.a., The Magnitude of the Global Problem of Diarrhoeal Disease: A Ten-Year Update, in: Bulletin of the World Health Organization 70 (1992), S. 705-711; WHO Diarrhoeal Disease Control Programme, Evaluating the Progress of National CDD Programmes: Results of Surveys of Diarrhoeal Case Management, in: Weekly Epidemiological Record 66 (1991) H. 36, S. 265-270. Vgl. auch Jesse B. Bump/Michael R. Reich/Anne M. Johnson, Diarrhoeal Diseases and the Global Health Agenda: Measuring and Changing Priority, in: Health Policy and Planning 28 (2013), S. 799-808.
32 Dilip Mahalanabis/World Health Organization, Development of an Improved Formulation of Oral Rehydration Salts (ORS) with Antidiarrhoeal and Nutritional Properties: A »Super-ORS«. Unpublished document, WHO-Archiv, WHO/CDD/DDM/85.3, 1985; Dilip Mahalanabis/Fakir C. Patra, In Search of a Super Oral Rehydration Solution: Can Optimum Use of Organic Solute-Mediated Sodium Absorption Lead to the Development of an Absorption Promoting Drug?, in: Journal of Diarrhoeal Diseases Research 1 (1983), S. 76-81.
33 Resolution der 31. World Health Assembly, Diarrhoeal Diseases, Resolution WHA31.44 (May 1978), in: Handbook of Resolutions and Decisions of the World Health Assembly and the Executive Board, Vol. 2 (1973–1984), Genf 1985, S. 152-153.
34 Martin Lengwiler/Jeannette Madarász, Präventionsgeschichte als Kulturgeschichte der Gesundheitspolitik, in: dies. (Hg.), Das präventive Selbst. Eine Kulturgeschichte moderner Gesundheitspolitik, Bielefeld 2010, S. 11-28, hier S. 21.
35 Die Declaration of Alma-Ata findet sich unter <https://www.who.int/publications/almaata_declaration_en.pdf>, die Ottawa Charter for Health Promotion unter <https://www.euro.who.int/de/publications/policy-documents/ottawa-charter-for-health-promotion,-1986>.
36 Für einen Überblick vgl. WHO, The Evolution of Diarrhoeal and Acute Respiratory Disease Control at WHO. Achievements 1980–1995 in Research, Development and Implementation, WHO-Archiv, WHO/CHS/CAH99.12.
37 Zusammenfassend für die vielen Einzelberichte: Richard G. Feachem/Robert C. Hogan/Michael H. Merson, Diarrhoeal Disease Control: Reviews of Potential Interventions, in: Bulletin of the World Health Organization 61 (1983), S. 637-640, und Richard G. Feachem/WHO CDD, Preventing Diarrhoea: What Are the Policy Options?, WHO-Archiv, WHO/CDD/87.23, 1987. Im WHO-Archiv sowie im Bulletin der WHO finden sich die Einzelberichte.
38 Richard G. Feachem, Prevention better than Cure, in: World Health, April 1986, S. 18-19.
39 Auch daran war die WHO beteiligt: WHO, Community Water Supply and Sanitation Unit, International Drinking Water Supply and Sanitation Decade: Project and Programme Information System, March 1981, revised ed. March 1983.
40 Amy Bentley, Inventing Baby Food. Taste, Health, and the Industrialization of the American Diet, Oakland 2014.
41 Anne L. Wright/Richard J Schanler, The Resurgence of Breastfeeding at the End of the Second Millennium, in: Journal of Nutrition 131 (2001), S. 421S-425S, mit Zahlen.
42 Richard G. Feachem/Marjorie A. Koblinsky, Interventions for the Control of Diarrhoeal Diseases among Young Children: Promotion of Breast-Feeding, in: Bulletin of the World Health Organization 62 (1984), S. 271-291, hier S. 271.
43 Einen Überblick liefern Andrew S. Cunningham/Derrick B. Jelliffe/Eleonore F. Patrice Jelliffe, Breast-Feeding and Health in the 1980s: A Global Epidemiological Review, in: Journal of Pediatrics 118 (1991), S. 659-666.
44 Diskutiert wurden u.a. die Gabe bestimmter Supplemente wie Vitamin D und Folsäure. Während der Gesundheitszustand und die Rechte von Müttern durchaus Thema waren, standen in der Fachliteratur die Auswirkungen auf den Ernährungszustand der Kinder doch klar im Vordergrund. Vgl. A.M. Thomson/A.E. Black, Nutritional Aspects of Human Lactation, in: Bulletin of the World Health Organization 52 (1975), S. 163-177; vgl. zudem WHO Division of Family Health, The Prevalence and Duration of Breast-Feeding: A Critical Review of Available Information, in: World Health Statistics Quarterly 35 (1982), S. 92-116.
45 Für die Bundesrepublik Deutschland und Schweden hat Verena Limper u.a. analysiert, welche Rolle Großmüttern und Vätern beim Füttern der Babys und Kleinkinder zugesprochen wurde: Verena Limper, Die Säuglingsflasche. Dinghistorische Perspektiven auf Familienbeziehungen in der Bundesrepublik Deutschland und in Schweden (1950–1980), in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 13 (2016), S. 442-465. Arturo Escobar hat für die Entwicklungspolitik die Abstraktion der »Community« beklagt, der durch beteiligte Akteure ohne genauere Analyse (von Machtverhältnissen, aber eben auch Geschlechterverhältnissen) alle möglichen Funktionen zugesprochen werden konnten und die anscheinend den technokratischen Interventionen Internationaler Organisationen offenstand. Arturo Escobar, Encountering Development. The Making and the Unmaking of the Third World, Princeton 1991.
46 Für beide Organisationen war dabei die Child Survival Revolution der relevante programmatische Kontext.
47 Dayanath Jayasuriya/Adrian Griffiths/Raymond Rigoni, Judgement Reversed. Breast-Feeding, Bottle-Feeding, and the International Code, Nawala 1984.
48 Ebd., S. 6-9; Tehila Sasson, Milking the Third World? Humanitarianism, Capitalism, and the Moral Economy of the Nestlé Boycott, in: American Historical Review 121 (2016), S. 1196-1224.
49 Kathryn Sikkink, Codes of Conduct for Transnational Corporations: The Case of the WHO/UNICEF Code, in: International Organization 40 (1986), S. 815-840, hier S. 821; Sasson, Milking the Third World? (Anm. 48).
50 Sikkink, Codes of Conduct (Anm. 49), S. 831.
51 Ebd., S. 822.
52 Jolly, UNICEF (Anm. 26), S. 97.
53 Feachem/Koblinsky, Interventions (Anm. 42).
54 Cesar G. Victora u.a., Evidence for Protection by Breast-Feeding against Infant Deaths from Infectious Diseases in Brazil, in: Lancet 330, 8554 (1987), S. 319-322; Jean-Pierre Habicht/Julie DaVanzo/William P. Butz, Does Breastfeeding Really Save Lives, or Are Apparent Benefits due to Biases?, in: American Journal of Epidemiology 123 (1986), S. 279-290; André Briend/Bogdan Wojtyniak/Michael G.M. Rowland, Breast Feeding, Nutritional State, and Child Survival in Rural Bangladesh, in: British Medical Journal 296 (1988), S. 879-882; John D. Clemens u.a., Breast Feeding as a Determinant of Severity of Shigellosis, in: American Journal of Epidemiology 123 (1986), S. 710-720.
55 Vgl. z.B. Kenneth H. Brown u.a., Infant Feeding Practices and their Relationship with Diarrhoeal and other Diseases in Huascar (Lima), Peru, in: Pediatrics 83 (1989), S. 31-40; Cesar G. Victora u.a., Infant Feeding and Deaths due to Diarrhea: A Case-Control Study, in: American Journal of Epidemiology 129 (1989), S. 1032-1041; John D. Clemens u.a., Breast Feeding and the Risk of Severe Cholera in Rural Bangladeshi Children, in: American Journal of Epidemiology 131 (1990), S. 400-411; Jean-Pierre Habicht/Julie DaVanzo/William P. Butz, Mother’s Milk and Sewage: Their Interactive Effects on Infant Mortality, in: Pediatrics 81 (1988), S. 456-461.
56 WHO, CDD, Oral Rehydration Therapy for Treatment of Diarrhoea in the Home, WHO-Archiv, WHO/CDD/SER/86.9, S. 7.
57 Zit. in: Dialogue on Diarrhoea, Ausgabe 24, März 1986, S. 1.
58 Halfdan Mahler, Women, Health and Development. A Report by the Director-General (WHO Offset Publication No. 90), Genf 1985, S. 10f.
59 Siehe u.a. die Beiträge in Elizabeth Fee/Roy M. Acheson (Hg.), A History of Education in Public Health. Health That Mocks the Doctors’ Rules, Oxford 1991; und Virginia Berridges Forschungen zur Health Education in Großbritannien.
60 Mid-term evaluation of HEALTHCOM. Prepared for the Agency for International Development, S&T/Office of Health, Cooperative Agreement No. DPE-1018-C-00-5063-00, Authors: Abraham Horwitz/Gerald Hursh-César/J. Jude Pansini/Lawrence Wasserman, April 1989, XD-ABA-387-A, S. 1-2, Development Experience Clearinghouse Datenbank.
61 Das Programm wurde bis 1995 fortgesetzt, ab der zweiten Phase in erweiterter Form unter dem Namen HEALTHCOM I und II.
62 HEALTHCOM Preliminary Report on the Results from the 1987 Resurvey in Honduras, February 1988, prepared by Carol Baume for The Academy for Educational Development, PNABH647, Development Experience Clearinghouse Datenbank; William A. Smith/Mark Rasmuson/Academy for Educational Development, Inc. (AED)/USAID. Bur. for Science and Technology. Ofc. of Health/USAID. Bur. for Science and Technology. Ofc. of Education, Mass Media & Health Practices, Project Implementation, Semiannual report no. 9, 1983, Development Experience Clearinghouse Datenbank, Dokument PDAAQ004, S. 5-7.
63 Virginia Berridge, Public Health in the Twentieth Century I: 1900–1945, in: dies./Martin Gorsky/Alex Mold (Hg.), Public Health in History, London 2011, S. 162-178; dies., Public Health in the Twentieth Century II: 1945–2000s, in: ebd., S. 195-210.
64 Lengwiler/Madarász, Präventionsgeschichte als Kulturgeschichte der Gesundheitspolitik (Anm. 34), S. 11.
65 Iain Chalmers/Murray Enkin/Marc J.N.C. Keirse (Hg.), Effective Care in Pregnancy and Childbirth, Oxford 1989; Rafael Pérez-Escamilla u.a., Effect of the Maternity Ward System on the Lactation Success of Low-Income Urban Mexican Women, in: Early Human Development 31 (1992), S. 25-40; ders. u.a., Infant Feeding Policies in Maternity Wards and Their Effect on Breast-Feeding Success: An Overview, in: American Journal of Public Health 84 (1994), S. 89-97; Rukhsana Haider u.a., Breast-Feeding Counselling in a Diarrhoeal Disease Hospital, in: Bulletin of the World Health Organization 74 (1996), S. 173-179.
66 Randa J. Saadeh (Hg.), Breast-Feeding. The Technical Basis and Recommendations for Action, Genf 1993.
67 WHO, Diarrhoeal Diseases Control Programme, Breastfeeding Counselling: A Training Course, WHO-Archiv, WHO/CDR/93.3 – 96.6, 1993.
68 Finanziert wurden sie vom Thrasher Research Fund, von UNICEF, der La Leche League und USAID.
69 WHO, Breastfeeding Counselling (Anm. 67). Der Kurs entstand ungefähr zeitgleich wie derjenige zu »Advising Mothers«, der ebenfalls präventive Komponenten enthielt. WHO, Diarrhoeal Diseases Control Programme, Advising Mothers on Management of Diarrhoea in the Home: A Guide for Health Workers, WHO-Archiv, WHO/CDD/93.1, 1993; WHO, Diarrhoeal Diseases Control Programme, Advising Mothers on Management of Diarrhoea in the Home: Instructions for Facilitators, WHO-Archiv, WHO/CDD/93.2, 1993.
70 WHO, Breastfeeding Counselling (Anm. 67), Participants’ Manual, Session 1.
71 Ebd., Session 3-5.
72 Escobar, Encountering Development (Anm. 45).
73 Erst am Ende gab es sozialpolitische Fragen: »Women’s nutrition, health and fertility« (mit dem Hinweis, dass stillende Mütter zusätzlichen Kalorienbedarf hatten, zahlreiche Medikamente nicht einnehmen sollten und das Stillen eine nächste Schwangerschaft hinausschieben konnte); »Women and work« (mit dem Hinweis, dass Frauen ihre Babys wenn möglich mit zur Arbeit nehmen sollten, Milch abpumpen sollten, mindestens aber abends, nachts und morgens weiterstillen sollten; und Hinweisen zur Vorbereitung von Babynahrung) sowie »Commercial promotion of breastmilk substitutes« (mit den Kernpunkten des International Code sowie Rechnungen zu den Kosten von Babynahrung in Prozent des Durchschnittslohns von Frauen in der Stadt und auf dem Land). Siehe Veronica Valdés, The Impact of a Hospital and Clinic-Based Breastfeeding Promotion Programme in a Middle-Class Urban Environment, in: Journal of Tropical Pediatrics 39 (1993), S. 142-151; Haider u.a., Breast-Feeding Counselling (Anm. 65).
74 Vgl. dafür ab Mitte der 1990er-Jahre das Integrated Management of the Sick Child Framework der WHO.
75 Die Innocenti Declaration war das Ergebnis des WHO/UNICEF-Meeting »Breastfeeding in the 1990s: A Global Initiative« (mitveranstaltet von USAID und SIDA), im Spedale degli Innocenti in Florenz 1990.
76 Protecting, Supporting and Promoting Breastfeeding: The Special Role of Maternity Services. A Joint WHO/UNICEF Statement, 1989.
77 Zu Gender und Entwicklungspolitik vgl. Suzanne Bergeron, Fragments of Development. Nation, Gender, and the Space of Modernity, Ann Arbor 2004.
78 Dazu jüngst pointiert Steven Johnson, How Humanity Gave Itself an Extra Life, in: New York Times Magazine, 27.4.2021.
79 Als kurzer Überblick: Children: Improving Survival and Well-Being, 8.9.2020, URL: <https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/children-reducing-mortality>.