Abstract

Hans-Georg Hofer

In der westdeutschen Universitätsmedizin galt Stress zunächst als deskriptive Laborbeobachtung und nur wenig origineller Versuch des Hormonforschers Hans Selye, die Regulationsmechanismen des Körpers mit einem ganzheitlichen Konzept zu beschreiben. Selyes in Kanada entwickelte Ansätze fanden in der Bundesrepublik kaum positive Resonanz; das Stresskonzept schien in den 1950er-Jahren keine Zukunft zu haben. Dies änderte sich in den 1960er-Jahren, als Stress über das Risikofaktoren-Modell mit der Diskussion um Herz- und Kreislauferkrankungen verbunden wurde. Stress wurde nun Leitbegriff und Forschungsressource von Disziplinen wie Sozialmedizin, Psychosomatische Medizin, Arbeitsmedizin und Präventivmedizin. Um 1970 trat zu den Bezugsebenen »Zivilisation« und »Gesellschaft« noch »Umwelt« hinzu. Insbesondere drei Bedrohungsszenarien erwiesen sich als Stimuli der medizinischen Stressforschung: Überbevölkerung und Verstädterung, Verkehr und Lärm sowie der Wandel der Arbeitswelt. Weit über wissenschaftliche Verwendungen hinaus wurde der Stressbegriff populär, weil er zeitdiagnostisches Deutungspotential gewann und sich als eine Verständigungsplattform der Verunsicherten eignete.

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Laboratory, Hospital, Society. Stress and Medicine at West German Universities (1950–1980)

 

In medical studies at West German universities, stress was initially viewed as a descriptive laboratory observation and the not particularly original attempt of hormone researcher Hans Selye at a coverall description for the body’s regulatory mechanisms. Selye developed his ideas in Canada; they met with little interest in the Federal Republic of Germany. In the 1950s, the concept of stress seemed destined for the dustbin of history. This all changed in the 1960s, when stress began to be discussed as a risk factor for cardiovascular disease. Stress now became a key concept and research resource in disciplines such as social medicine, psychosomatic medicine, occupational medicine and preventive medicine. Around 1970, ›environment‹ emerged as a third level of reference in addition to ›civilisation‹ and ›society‹. Three threat scenarios in particular were instrumental in driving medical stress research: overpopulation and urbanisation, traffic and noise, and changing work environments. The concept of stress became popular far beyond its scientific applications, because it presented a way of interpreting contemporary developments and served as a basis for communication among the disaffected.

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