2. Elia Kazan und die Funktion der Denunziation für das liberale Subjekt
3. Denunziation und Gouvernementalität - Fazit und Ausblick
Im Januar 1999 kündigte die amerikanische Motion Picture Academy an, den damals beinahe 90-jährigen Regisseur Elia Kazan für sein Lebenswerk mit einem Ehren-Oscar auszuzeichnen. Diese Entscheidung löste aus verschiedenen Gründen Kopfschütteln unter Kommentatoren aus: zum einen deshalb, weil solche Ehrungen im Regelfall an Personen verliehen werden, die in den Jahren ihres einflussreichsten Wirkens bei den Preisvergaben zu kurz kamen - derartige Lifetime Achievement Awards sind mithin oft späte Wiedergutmachungen. Davon konnte bei Kazan aber keine Rede sein. Zweimal hatte er den Oscar für die beste Regieleistung erhalten, und weitere Filme, an denen er beteiligt war, wurden ebenfalls ausgezeichnet; Kazan war 1999 eine hoch dekorierte Legende Hollywoods. Die Verwunderung und manchmal gar Empörung, die die Academy unter Filmschaffenden und Publikum auslöste, hatte indes einen anderen Grund. Den Regisseur Elia Kazan verbanden viele nicht nur mit seinen Filmen, sondern auch mit seiner Rolle als kooperativer Zeuge (friendly witness) vor dem House Committee on Un-American Activities (HUAC) im Jahr 1952. Vor diesem Untersuchungsausschuss des US-Repräsentantenhauses hatte Kazan die Namen von acht Kollegen einer linken Theatergruppe preisgegeben, die wie er in den 1930er-Jahren Mitglieder der Kommunistischen Partei der USA (CPUSA) gewesen waren. Diese Aussage hatte der Regisseur über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten mehrfach öffentlich verteidigt - in einem offenen Brief in der „New York Times“ unmittelbar nach seiner Stellungnahme vor dem HUAC, zwei Jahre später in einem seiner berühmtesten Filme, „On the Waterfront“ (dt.: „Die Faust im Nacken“), in der Folge selten explizit, aber oft versteckt in Interviews, und schließlich in seiner 1988 publizierten Autobiographie mit dem Titel „A Life“.1
Obwohl beinahe 50 Jahre vergangen waren, hatten ihm zum Zeitpunkt der Oscar-Verleihung viele seine als Denunziation angesehene Tat nicht verziehen. Gerade Betroffene der faktischen Berufsverbote („schwarzen Listen“) in Hollywood während der 1950er-Jahre organisierten umfangreiche Kampagnen gegen Kazan und die Academy, bei denen das Stichwort der Wiedergutmachung aus ganz anderem Blickwinkel aufgeworfen wurde. Aus Anlass von Kazans Tod wiederholte sich im Jahr 2003 diese mediale Gemengelage aus Ehrung, Verurteilung und Rechtfertigung. Kaum ein Nachruf kam ohne eine ausführliche Behandlung seiner „unrühmlichen Rolle“ bei den HUAC-Anhörungen aus.2
Diese Geschichte mag ein anschauliches Beispiel dafür sein, welche tiefen und lang anhaltenden Verwerfungen und Wunden durch Denunziationen verursacht werden können. Elia Kazan war der herausgehobene celebrity informer in den Auseinandersetzungen um den kommunistischen Einfluss in Hollywood; und seine Rolle während und vor allem nach seinen Aussagen vor dem Kongressausschuss eröffnet interessante Perspektiven auf den Stellenwert, der Vorstellungen vom Denunzieren bzw. von der Figur des Denunzianten in der US-amerikanischen Kultur zukommt. Nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch hierzulande sind es durchweg negative Assoziationen, die mit Spitzeln und Denunzianten verbunden werden. Nach gängigem Urteil hintergehen sie Vertrauensverhältnisse, üben Verrat trotz scheinbar enger Bande von Loyalität, zersetzen Familienverbände, Freundschaften sowie berufliche Kollegialität und politische Solidarität. Diese pejorative Bedeutungsdimension bezieht sich auf eine weit zurückreichende und tief wirkende kulturelle Tradition, in der um die Unterscheidung zwischen einer legitimen Anzeige als staats-bürgerlicher Pflicht und einer verwerflichen, womöglich aus einer niederen Gesinnung heraus motivierten Denunziation gestritten wurde und wird.
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Denunziationen sind in den letzten Jahren sowohl in den Geschichtswissenschaften als auch im politischen und sozialen Leben verstärkt diskutiert worden.3 An diese Debatten anschließend, fragt der vorliegende Aufsatz nach der historischen Stellung des Denunzierens und der Figur des Denunzianten innerhalb der Kultur der Vereinigten Staaten. Mit der Ära des McCarthyism kommt dabei diejenige Epoche der US-Geschichte in den Blick, die ohne Zweifel am häufigsten unter diesem Gesichtspunkt betrachtet wurde. Doch beschränkt sich die Forschung bislang im Wesentlichen auf zwei Aspekte: Erstens geht es nicht selten allein darum, möglichst viele und möglichst prominente „Täter“ bzw. deren „Opfer“ bekanntzumachen, um diese anschließend auf einer moralischen Skala bewerten zu können. Zweitens wurde die systematische Ausbildung eines Überwachungsapparates thematisiert, in dem vor allem das Federal Bureau of Investigation (FBI) als Behörde gekennzeichnet wurde, die verschiedene Formen der Denunziation zur Kontrolle und Eindämmung als subversiv bzw. kriminell eingeschätzter Personen und Gruppen nutzte.4
Schon 1949, also vor McCarthys Kampagne, verdeutlichte dieser Cartoon die Gefahren, die der hysterische Antikommunismus für die amerikanischen Grundrechte und Freiheiten heraufbeschwöre. Dieser und die folgenden beiden Cartoons stammen von Herbert L. Block („Herblock“), der auch den Begriff „McCarthyism“ prägte (aus: Washington Post, 17.6.1949).
Diese Zugänge möchte ich kulturhistorisch erweitern und dabei nach den Subjektivierungsprozessen fragen, mit denen denunziatorisches Handeln verknüpft ist. Mit Hilfe der von Michel Foucault entwickelten Theorie der Gouvernementalität soll herausgearbeitet werden, wie Denunzianten in dieser umkämpften Phase der US-Geschichte als handelnde Subjekte wahrnehmbar und wirkungsmächtig werden konnten. Dies geschah in einem aufeinander bezogenen Netz von Eigen- und Fremdzuschreibungen, bei denen das Denunzieren als positiv bewerteter Teil liberalen Regierens seinen Platz erhielt. Aus einer solchen Perspektive gerät eine Textform in den Fokus, der gerade bei der Frage nach Subjektivierungsprozessen eine immense Bedeutung zukommt - die Rechtfertigungen. Von diesen kursierten während der 1950er-Jahre auffallend viele, und so erlangte die Figur des Denunzianten eine besondere Stellung im zeitgenössischen Loyalitätsdispositiv.5
Der Beitrag ist in zwei Abschnitte gegliedert. Ein erster, darstellender Teil gibt zunächst einen Überblick zur Epoche des McCarthyism in den Vereinigten Staaten. Dabei soll vor allem dargelegt werden, welche Rolle als Denunziationen begriffene Handlungen darin spielten bzw. wie sowohl zeitgenössisch als auch in der späteren Historiographie um diese Zuschreibung gestritten wurde. Schließlich soll in diesem Teil auch Foucaults Theorie der Governementalität kurz eingeführt und in eine Beziehung zu Denunziationen gesetzt werden. Der zweite Abschnitt kommt dann auf Elia Kazan zurück. An seinem Beispiel wird diskutiert, welcher Stellenwert der Rechtfertigung als Textgattung im Aushandlungsprozess dessen zukommt, was seinerzeit als legitime oder aber nicht-legitime Aussage gelten konnte. Dazu werden drei Entlastungstexte Kazans untersucht - nämlich sein Brief in der „New York Times“, der Film „On the Waterfront“ sowie Aussagen aus seiner Autobiographie. Durch Rückbezug auf ähnliche Texte sollen Muster erkennbar werden, mit deren Hilfe die Figur des Denunzianten gesellschaftlich positiv besetzt werden konnte. Darüber hinaus blickt dieser Teil auf Kazans Sprache und Rhetorik und versucht so, typische Elemente einer prozesshaften Subjektivierung zum liberalen Staatsbürger und Denunzianten auszumachen. Ein kurzes Fazit mit einem Ausblick auf künftige Forschungen schließt den Beitrag ab.
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1. McCarthyism - Geschichte und Geschichtsschreibung
Die Zeit des McCarthyism gehört nach wie vor zu den zentralen Bezugspunkten der politischen und kulturellen Geschichte der Vereinigten Staaten im 20. Jahrhundert. Der populäre und akademische Buchmarkt der USA produziert immer neue Gesamtschauen und Interpretationen einzelner Gestalten, Ereignisse oder Zusammenhänge.6 Universitätsseminare zum Thema ziehen sowohl in den USA als auch hierzulande große Gruppen von interessierten Studierenden an, und dazu tragen nicht zuletzt mediale Repräsentationen bei, in denen an diese Zeit erinnert oder auf sie verwiesen wird.7 Darüber hinaus ist der Begriff des McCarthyism nach wie vor stets wiederkehrender Bestandteil politischer Debatten in den USA. Gerade die nach dem 11. September 2001 geführten Auseinandersetzungen um den Erhalt bzw. die Aussetzung von Bürgerrechten im Angesicht von Bedrohung machten dies einmal mehr sehr deutlich.8 Thomas Mergel hat zu Recht darauf hingewiesen, dass diese Zentralität des McCarthyism in der politischen Kultur mit einem geringen Maß an Historisierung einhergeht - der Begriff ist eine dankbare Metapher in der politischen Auseinandersetzung und vielfältig einzusetzen.9
Der republikanische Senator Joseph R. McCarthy aus Wisconsin gab einer breiten und facettenreichen politischen Bewegung des entschiedenen Antikommunismus seinen Namen. Er markierte durch seine medienwirksamen Auftritte und seine gezielten Attacken zwischen Anfang 1950 und Ende 1954 ihren Höhepunkt.10 Doch es wäre eine unzulässige Verkürzung, die antikommunistische Bewegung allein mit der Politik ihrer bekanntesten Gestalt zu identifizieren. Der gezielte Antikommunismus ging zeitlich und inhaltlich weit darüber hinaus. Seine Wurzeln reichen bis in die gewaltsamen Arbeitskämpfe des ausgehenden 19. Jahrhunderts sowie in die Zeit der Gründung der CPUSA 1919 zurück - beides, die Streikwellen wie die Parteigründung, wurde vorwiegend von Immigranten und Immigrantinnen getragen und schuf so die enge und wirkungsvolle Verknüpfung von Subversion und Fremdheit sowie die Etikettierung des „Un-Amerikanischen“.11 Eine institutionelle Zuspitzung erfolgte spätestens 1938 mit der Einrichtung des Kongressausschusses gegen un-amerikanische Aktivitäten, der es sich in dieser frühen Phase nicht zuletzt zur Aufgabe machte, einen kommunistischen Einfluss innerhalb der demokratisch geführten Regierung Präsident Franklin Roosevelts anzuprangern.12 Während der Hochphase des Antikommunismus, zwischen 1947 und 1954, hat das HUAC das politische, gesellschaftliche und kulturelle Klima in hohem Maße geprägt.13 Und selbst wenn die offensichtlichsten Repressionen gegen Ende der 1950er-Jahre weniger und Opfer rehabilitiert wurden, so sind die Folgen auch für die Geschichte der sozialen Protestbewegungen der 1960er-Jahre von nicht zu unterschätzender Bedeutung.14
Dieser Cartoon führte den Begriff „McCarthyism“ ein - er zeigt den Elefanten, das Symboltier der Republikanischen Partei, der sich dagegen sträubt, von konservativen Republikanern wie Kenneth S. Wherry, Robert A. Taft, Styles Bridges und Guy Gabrielson vereinnahmt zu werden (aus: Washington Post, 29.3.1950).
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Zum Konsens wurde der McCarthyism vor dem Hintergrund der Bedrohungsszenarien des Kalten Kriegs und deren eindringlichsten Manifestationen (etwa der ersten sowjetischen Atombombe, der kommunistischen Revolution in China, dem Koreakrieg) vor allem aus dem Zusammenspiel vieler unterschiedlicher Protagonisten - alle mit eigenen Vorstellungen, Zielen und Methoden. Zu diesem antikommunistischen „Netzwerk“ zählt die Historikerin Ellen Schrecker etwa die Republikanische Partei, die mit ihrem Vorwurf, namentlich die demokratische Administration Präsident Harry Trumans sei „soft on Communism“, auch die Argumentationsgrundlage McCarthys selbst vorgab. Dessen Hauptkritik war stets die angebliche „kommunistische Unterwanderung“ des Regierungsapparats, besonders des Außenministeriums.15 Aber auch Demokraten rechnet Schrecker dem Netzwerk zu, denn deren Bemühungen, auf die genannten Vorwürfe zu reagieren, trugen deutlich antikommunistische Züge - so etwa die Anordnung einer obligatorischen Sicherheitsüberprüfung aller Regierungsmitarbeiter 1947 oder die Kriminalisierung der CPUSA durch speziell erlassene Gesetze.16
Durch die umfassende Charakterisierung nicht-konformer politischer Meinungen als illoyal wurde das Spektrum akzeptierter politischer Partizipation drastisch eingeengt. Ausdruck dieser Repression waren nicht allein die bekannten Parlamentsausschüsse, die Prozesse und Anhörungen gegen vermeintliche oder tatsächliche Atomspione oder auch die Praxis der „schwarzen Listen“, die im Übrigen ebenfalls bereits deutlich vor dem Auftreten McCarthys begann. Darüber hinaus entwickelte sich ein enges Geflecht von Kontrollausschüssen, die in allen Bereichen der öffentlichen Verwaltung, auf Bundes-, Einzelstaats- und lokaler Ebene sowie in der Privatwirtschaft die politische Gesinnung ihrer Bediensteten auf eventuelle Sicherheitsrisiken und Loyalitätsdefizite hin prüften. Im Zuge dieser Verfahren verloren Tausende Menschen ihren Arbeitsplatz, und nach Schreckers Schätzung wurden etwa 200 Personen zu Gefängnisstrafen verurteilt.17
All dies soll freilich nicht bedeuten, dass sich in den Jahren des McCarthyism keine kritischen Gegenstimmen hätten erheben können. Dass dies möglich war, wird ob der scheinbaren Wucht der Repression oft übersehen.18 Erinnert sei hier in erster Linie an die vielen „unfreundlichen Zeugen“, die vor den Komitees und Ausschüssen ausgesagt haben und deren öffentliche Statements eben auch Teil der politischen Kultur waren. Hinzu kamen die zahlreichen oppositionellen Pressebeiträge dieser Zeit, angefangen bei den satirischen Cartoons Herbert L. Blocks („Herblock“) in der „Washington Post“, auf den auch der Begriff McCarthyism zurückgeht (Abb. 2). Auch der Fernsehjournalist Edward R. Murrow ist hier zu nennen oder der demokratische Senator William Burnett Benton. Viele diese Kritiker verstanden sich als Liberale, denen es angesichts der wahrgenommenen doppelten Bedrohung von Seiten der antikommunistischen Rechten einerseits sowie der Sowjetunion andererseits schwer-fiel, sich angemessen zu positionieren. Bei der Beschäftigung mit Elia Kazans Rechtfertigungen wird auf diese Konstellation zurückzukommen sein.19
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Die geschichtswissenschaftliche Literatur zum McCarthyism ist umfangreich und hat sich in den letzten Jahren mit großer Produktivität auch neuen, bislang eher vernachlässigten Aspekten zugewandt. So sind etwa die vielschichtigen Zusammenhänge zwischen dem Antikommunismus und den Gegnern der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung von der jüngeren Forschung deutlicher als zuvor angesprochen worden.20 Ferner wurden Fragen der Geschlechter- und Sexualitätengeschichte an den Themenkomplex herangetragen; dem Red Scare wurde der Lavender Scare zur Seite gestellt.21 Damit wurden Wege in die neuere kulturhistorische Forschung hinein eröffnet. Die Betrachtung denunziatorischen Verhaltens und denunziatorischer Rede markiert in dieser historiographischen Auseinandersetzung einen wesentlichen Eckpunkt.
Ein bedeutendes Instrument der politischen Konflikte dieser Zeit in den USA war das bereits angesprochene enge Geflecht von Ausschüssen. Fragt man nun nach Rolle und Bedeutung von Denunziationen innerhalb der Verfahren vor solchen Institutionen, stößt man rasch auf ein Perspektivenproblem.
Dieser Cartoon widmet sich dem Niedergang Senator McCarthys, der 1954 zu weit ging, als er auch die Armee der USA bezichtigte, von Kommunisten unterwandert zu sein. Dargestellt ist der Senator während der so genannten „Army-McCarthy-Hearings“ und mit gefälschten Dokumenten, die er bei dieser Gelegenheit verwandt hatte (aus: Washington Post, 7.5.1954).
Im Mittelpunkt sowohl zeitgenössischer als auch historiographischer Auseinandersetzungen mit dem so genannten naming names stehen die Aussagen der kooperationsbereiten Zeugen, die, wann immer sie mit der Preisgabe von Namen Dritter einhergingen, auch als Denunziationen betrachtet und etikettiert werden konnten. Dieses naming names hatte in aller Regel jedoch nicht den Zweck der Informationsgewinnung.22 In den meisten Fällen lagen den Ausschussmitgliedern Informationen vor, die klar deutlich machten, welche politischen Kontakte ein Zeuge hatte und über welche möglicherweise kontroverse Person in seinem oder ihrem Umfeld geredet werden konnte. Diese Informationen stammten entweder aus Ermittlungen des FBI oder anderer Polizeibehörden oder aber von einer der verschiedenen kursierenden Namenslisten.23 Dies hatte zwei Konsequenzen: Erstens reduzierte es die Bedeutung „klassischer“ Denunziationen im Sinne der freiwilligen und spontanen Zuträgerschaft, von der Sheila Fitzpatrick und Robert Gellately in ihrer Definition ausgehen und die für weite Teile der jüngeren europäischen Denunziationsforschung leitend wurde.24 Zweitens produzierten die Ausschüsse das, was Victor Navasky als das informer principle dieser Jahre gekennzeichnet hat - nämlich die relative Bedeutungslosigkeit des naming names zur Informationsgewinnung und ihre demgegenüber massiv aufgewertete Relevanz als Charaktertest. In der öffentlichen, formalisierten, rollenhaften Kommunikation zwischen Kontrollausschuss und Zeugen knüpften sich die Bewertung sowie der Beweis von Loyalität an die im Grunde unnötige Bereitschaft, Namen zu nennen.25
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Den Beteiligten und Betrachtern solcher ritualisierter Verfahren waren diese Spielregeln zumeist bewusst - und ein flüchtiger Blick in die zahllos überlieferten Protokolle allein der bundesstaatlichen Kongressausschüsse veranschaulicht eindrucksvoll, wie hart und zum Teil verzweifelt um etwaige Manövrierchancen und so etwas wie persönliche Würde innerhalb des Settings gekämpft wurde.26 Diese Konstellation, dazu die sehr große öffentliche und mediale Aufmerksamkeit gerade der großen Hearings, die Prominenz vieler der an ihnen direkt oder indirekt beteiligten Menschen sowie nicht zuletzt die hohe emotionale Aufladung der Frage nach der Legitimität von Aussage oder Nicht-Aussage ließen das bedeutsame Textkorpus der Rechtfertigungen entstehen. Zeitgenössisch und auch noch einige Jahre nach Abklingen des McCarthyism entstand eine Fülle von Texten - und darunter sind sowohl Autobiographien, Interviews oder Verlautbarungen als auch Romane und auch Filme zu fassen -, die sich aus individualisierender Sicht mit dem jeweils eigenen Auftreten und Verhalten bei Rechtfertigungen beschäftigten. Hier sollen nun diejenigen Texte dieser Kategorie angesprochen werden, die von Menschen verfasst wurden, welche von anderen der Denunziation bezichtigt wurden.27 Die Existenz einer ganzen Reihe solcher Dokumente ist eine große Ausnahme, denn zumeist schweigen die „Täter“ ja aus Angst vor Entdeckung oder Scham - nur selten finden sich in anderen Konstellationen bekennende Denunzianten. Bei der Lektüre dieser Stellungnahmen interessieren nun weniger die geäußerten Motive für die Handlung. Dies ist ohne Zweifel eine bedeutsame Frage, die sich aufgrund ihrer zumeist engen Verknüpfung mit dem Argumentationsgang auch gar nicht ausklammern lässt. Im Vordergrund stehen soll hier jedoch die strategische Rolle dieser Texte bei der Konturierung einer positiven Figur des Denunzianten als eines patriotischen, die Gesellschaft stabilisierenden Helden. In derartigen Texten vollzog sich ein zweiter Akt zur Charakterisierung des Denunzianten als des besseren Staatsbürgers. Waren es auf einer ersten Ebene Wachsamkeit und Bereitschaft zur Anzeige als Grundbedingungen zur patriotischen Teilhabe am Gemeinwesen, so zeigte sich in den Rechtfertigungen darüber hinausgehend die Bereitschaft zu öffentlicher Reflexion und somit der Wille, das eigene Verhalten aktiv und verantwortungsvoll als vorbildhaft in die Gesellschaft zu tragen.28
Niemandem gelang dies besser oder einflussreicher als Whittaker Chambers - dem Mann, der in einem der spektakulärsten und bekanntesten Verfahren jener Jahre Alger Hiss, einen Mitarbeiter im Außenministerium, als Spion anzeigte oder denunzierte - je nachdem, aus welcher Perspektive man auf die Sache blickt.29 Sein Erfolgsbuch, die Autobiographie „Witness“, gilt heute als Klassiker eben dieses Genres der Rechtfertigungen und beschreibt den inneren Kampf des Autors um die Frage, ob er Hiss anzeigen solle oder nicht, in melodramatischer Weise als eine persönliche Tragödie: „On the road of the informer it is always night. I who have traveled it from end to end, and knows its windings, switchbacks and sheer drops - I cannot say at what point the ex-Communist must make his decision to take it [...].“30 Denunziation, so Chambers’ Fazit, beschmutze, beschädige, verwunde den „Täter“, den Denunzianten, mehr als das „Opfer“, den Denunzierten, doch sie sei die unausweichliche Hölle gewesen, durch die jeder Ex-Kommunist - wie er - auf dem Weg zurück zu Selbstrespekt, Würde und staatsbürgerlicher Rollenerfüllung habe gehen müssen. Diese Berufung auf die kathartische Funktion der patriotischen Denunziation findet sich immer wieder, so auch bei Elia Kazan.
Es ist dieses Entstehen und Sichtbarwerden des loyalen Staatsbürgers als eines Denunzianten, das den Kern des hier verfolgten Erkenntnisinteresses ausmacht. Michel Foucaults Theorie der Gouvernementalität bietet dafür ein nützliches Instrumentarium. Nachdem der Begriff der Gouvernementalität bereits in Soziologie, Kriminologie und Wirtschaftswissenschaften seinen Platz gefunden hat, beginnt nun auch die Geschichtswissenschaft damit, dieser Weiterführung Foucaultscher Machtanalyse Aufmerksamkeit zu schenken. Der vorliegende Aufsatz schließt an eine Debatte an, die im vergangenen Jahr in dieser Zeitschrift eröffnet wurde.31
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In seinen Texten zur Gouvernementalität entwirft Foucault eine Geschichte und Theorie der liberalen Regierung. „Regieren“ wird darin umfassend als Ensemble unterschiedlicher Formen der Menschenführung verstanden.32 Diese Beschreibung der Genese des modernen Staates ist untrennbar mit der Genealogie des modernen Subjekts verbunden.33 Die liberale Regierung im Sinne Foucaults setzt ebenso auf Zwang wie auf Freiheit: „In der weiten Bedeutung des Wortes ist Regierung nicht eine Weise, Menschen zu zwingen, das zu tun, was der Regierende will; vielmehr ist sie ein bewegliches Gleichgewicht mit Ergänzungen und Konflikten zwischen Techniken, die Zwang sicherstellen und Prozessen, durch die das Selbst durch sich selbst konstruiert oder modifiziert wird.“34 Liberales Regieren versucht, den „freien Handlungen“ von Menschen eine gewünschte Richtung zu geben. Es baut auf rationale Einsicht in die Richtigkeit von Handeln. Fremdführung wird dabei durch Techniken der Selbstführung ergänzt, welche es Menschen erlauben, „selbst eine Reihe von Operationen mit ihrem Körper, ihrer Seele, ihren Gedanken, ihrem Verhalten vor-zunehmen, sie auf diese Weise zu verwandeln oder zu verändern und einen bestimmten Zustand der Vollkommenheit, des Glücks, der Reinheit oder der übernatürlichen Macht zu erreichen“.35
Denunziationen sollen im Folgenden als eine solche Technik der Selbstführung verstanden und als Teil liberaler Regierung untersucht werden. Damit verlässt der Aufsatz den dominanten Forschungsrahmen, der denunziatorisches Verhalten in erster Linie mit autoritären Staaten oder Diktaturen verbindet. Betont wird zum anderen die Bedeutung von Techniken der Selbstführung für die Subjektwerdung von Personen. Mit dem Begriff der Gouvernementalität kommen „unterhalb von Zwang, Gewalt, Anreiz und Interesse die Selbstdisziplinierungen und -stilisierungen der Subjekte in den Blick, die sich selbst erst zu dem formen, was sie im Machtgefüge jeweils sind: Herrscher und Beherrschte, Funktionäre, Bürger, Untergebene, zivilgesellschaftliche Akteure“.36 Es gilt mithin, das moderne Subjekt nicht als historisch gegeben zu betrachten, sondern als erklärungsbedürftig. Im Aushandeln von Loyalität, in der Anzeige, ihrer Selbstrechtfertigung als legitimer Handlung bzw. in der Fremdkennzeichnung als Denunziation entstehen historisch wahrnehmbare und historiographisch in ihrem kulturellen Bezugsrahmen „lesbare“ Subjekte. Es sind dies Konstellationen, so die Soziologin Susanne Krasmann, „in denen Menschen zu Subjekten gemacht werden und sich selbst als Subjekte begreifen; in denen das Vermögen der Menschen geformt und aktiviert wird und in denen sie als Subjekte dazu angeleitet werden, sich in bestimmter Weise selbst zu regieren“.37 Im Akt der Denunziation, so die zentrale These dieses Beitrags, entstand und entfaltete sich in den USA der späten 1940er- und frühen 1950er-Jahre eine historisch spezifische Subjektposition - diejenige des im eigenen Selbstverständnis verantwortungsbewussten, liberalen und antikommunistischen Staatsbürgers. Denunzianten agierten innerhalb des kulturellen Sicherheitsdispositivs, das ihr Mitwirken einforderte und sinnvoll erscheinen ließ. Ein jeder dieser Sprechakte reproduzierte das Dispositiv aufs Neue, erhöhte so die Dichte seiner Aussagen und machte sie umso wahrscheinlicher.
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2. Elia Kazan und die Funktion der Denunziation für das liberale Subjekt
Elia Kazan wurde 1909 in Konstantinopel geboren. Seine griechische Familie emigrierte wenige Jahre später in die USA.38 1934 schloss er sich dem linken Group Theatre in New York City an, das sich vor allem durch Aufführungen der Stücke Clifford Odets’ (zum Beispiel „Waiting for Lefty“) einen Namen machte. Odets, Kazan und weitere Angehörige dieses Theaterprojekts waren Mitglieder der CPUSA; Kazan verließ die Organisation jedoch bereits 1936 wieder, weil er sich der Parteidisziplin nicht länger unterwerfen wollte. Er engagierte sich indes weiterhin in der „linken Szene“ New Yorks, vor allem durch seine sozialkritische Theaterarbeit. Einen Namen machte er sich zunächst als preisgekrönter Theaterregisseur, der unter anderem Stücke von Tennessee Williams („A Streetcar Named Desire“, 1947) und Arthur Miller („All My Sons“, 1947; „Death of a Salesman“, 1949) erfolgreich auf die Bühne brachte und so den Ruf dieser beiden Autoren mit begründete. Gerade mit Miller verband ihn damals eine sehr freundschaftliche Kollegialität.
Seit 1945 betätigte sich Kazan zugleich als Filmregisseur, wobei er nicht weniger erfolgreich war. Auch dabei machte er durch Sozialkritik auf sich aufmerksam. In „Gentleman’s Agreement“ (1947) thematisierte er den Antisemitismus, in „Pinky“ (1949) den Rassismus im Süden der USA. Andere bekannte Arbeiten Kazans sind die Filmversion von „A Streetcar Named Desire“ (1951), „Viva Zapata!“ (1952), „East of Eden“ (1955), „A Face in the Crowd“ (1957) und eben „On the Waterfront“ (1954), von dem später noch die Rede sein wird.
Nach seiner Vorladung - die aufgrund seiner bekannten Vergangenheit und seines Rufs als Kritiker zu erwarten gewesen war - erschien der Regisseur zwei Mal vor dem HUAC, im Januar und im April 1952.39 Aus heutiger Perspektive und vor dem Hintergrund der nun bekannten Kontroversen wirkt es mehr als verwunderlich, aber viele Linke erwarteten seinerzeit, dass Kazan dem Ausschuss die Stirn bieten werde, ja dass er geradezu prädestiniert für diese Aufgabe war - wie kaum jemand sonst hatte er das Prestige, die Integrität und die finanzielle Unabhängigkeit dazu. Auf eine „schwarze Liste“ zu kommen, so dachten viele, könne ihm nichts anhaben, zumal er weiterhin am Broadway Theaterstücke produzierte und die Auswirkungen der Berufsverbote dort weniger zu spüren waren als in anderen Branchen der Unterhaltungsindustrie.40
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Bei seinem ersten Auftreten vor dem Ausschuss am 14. Januar 1952 sagte Kazan freimütig über seine Vergangenheit als Parteimitglied aus, weigerte sich aber, über andere Personen zu reden. Im April übersandte er den HUAC-Mitgliedern ein Schreiben mit der Ankündigung, seine Meinung geändert zu haben und seine erste Aussage ergänzen zu wollen. Daraufhin verlas er am 10. April 1952 ein vorbereitetes Statement, in welchem er ausführlich auf die Gründe für seinen Austritt aus der CPUSA einging41 und darüber hinaus die Namen von Kommunisten innerhalb des Group Theatre sowie einiger Parteifunktionäre preisgab. Bedeutsam ist ferner, dass Kazan seiner Aussage eine kommentierte Liste mit von ihm produzierten Stücken und Filmen beifügte, um entweder deren antikommunistischen Inhalt hervorzuheben oder deutlich zu machen, wie ein bestimmter Film oder ein Theaterstück von der Partei attackiert wurde.42 Statement und Liste zusammen ergeben ein erstes Rechtfertigungsdokument, in welchem Kazan den autoritären und diktatorischen Charakter der CPUSA sowie deren erklärte Feindschaft ihm gegenüber hervorhob.
Am Tag darauf wurde Kazans Aussage vor dem HUAC publik gemacht, und einen weiteren Tag später, am 12. April 1952, veröffentlichte er in der „New York Times“ einen Offenen Brief - er hatte den Platz dafür als Anzeige gekauft.43 Im ersten Teil erläuterte er die Gründe für seinen Eintritt in die Partei 1934 sowie diejenigen für seinen Austritt eineinhalb Jahre später. Im weiteren Verlauf trat dann die Frage ins Zentrum, warum er mit seiner Aussage gezögert habe. Wie Chambers’ Autobiographie „Witness“ und viele andere Texte arbeitete sich auch Kazans Statement zunächst an der negativen Aufladung des Denunzierens ab. Der Verrat ehemaliger Freunde und Genossen bleibe eine hässliche Sache, und Zeit sei ein wesentlicher Faktor dabei, die Falschheit des anti-denunziatorischen Reflexes zu erkennen. Die Zeit bis zu dieser Erkenntnis ist als Periode von Gewissensqualen markiert, die aber schließlich der Einsicht gewichen sei, dass Schweigen und der auf diese Weise gewährte Schutz der Meinungsfreiheit von CPUSA-Mitgliedern ein Fehler, ja eine Lüge sei: „Secrecy serves the Communists. [...] Liberals must speak out.“44 Mit diesem Verhältnis von Schweigen und Reden ist ein weiterer wesentlicher Baustein zur positiven Neubestimmung einer Denunziation als notwendiger Aussage genannt. Während das Schweigen für Schuld und Verstrickung steht, wird die Aussage zur Befreiung, der Sprechakt zur Selbsterfindung, hier als echter Cold War Liberal und Staatsbürger.
Kazans Sprache in seinem Brief ist weit weniger metaphorisch, seine Argumentation deutlich präziser als diejenige von Chambers in „Witness“. Die Argumentationen der beiden Texte sind indes ähnlich: Die Entscheidung zur Aussage sei belastend; sie zu treffen bedürfe zunächst eines langen Gewissenskonflikts und schließlich einer mutigen, rationalen Entscheidung. Aber sie sei richtig und enthülle sich schlussendlich als einzig akzeptable, staatsbürgerliche Tat. Kazan ordnet sich durch seine Handlung einem politischen Lager zu - er beschreibt den Sprechakt der Aussage, den seine Kritiker und Kritikerinnen als Denunziation betrachten, als liberal. Damit verweist er zunächst auf die seinerzeit heftig umstrittene und komplexe Position von Liberalen zwischen hysterischem und möglicherweise eher schädlichem Antikommunismus à la Joe McCarthy und einer in seinen Augen grundfalschen Solidarität mit dessen linken Opfern. Zugleich wirkt er durch seine Anzeige aber genau daran mit, den Subjektstatus eines besorgten, verantwortungsvollen, antikommunistischen, amerikanischen Staatsbürgers zu kreieren. Die durch den Charakter des Offenen Briefs geschaffene Öffentlichkeit ist bedeutsam, denn sie erschließt eine wesentliche Dimension dieser Subjektposition. Der liberale Sprechakt darf sich nicht allein an die Autorität wenden; er muss sich appellativ an ein größeres Publikum richten. Das liberale Subjekt spricht, agiert notwendig im öffentlichen Raum.
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„On the Waterfront“ ist ein Film über einen Mann, der zur rechten Zeit das Richtige tut - dies antwortete Kazan selbst stets auf die Frage, wie viel diese Produktion mit seiner eigenen Geschichte zu tun habe.45 1954 mit insgesamt acht Oscars ausgezeichnet, erzählt „On the Waterfront“ die Geschichte Terry Malloys (gespielt von Marlon Brando) und seines langen Wegs zur Einsicht in die Notwendigkeit, ja Ehrenhaftigkeit der Denunziation. Der Film ist auf dichte Weise in den Rechtfertigungsdiskurs der Zeit eingebunden. Gerade durch die Vielschichtigkeit der filmischen Repräsentationsmöglichkeiten gelang es ihm auch, erweiterte Aussagen in die zeitgenössischen Diskurse hineinzutragen.46
Der Plot ist rasch zusammengefasst. Das Leben der Werftarbeiter und ihrer Familien in Hoboken, New Jersey, ist dominiert durch die korrupte Gewerkschaft und deren kompromissloses, brutales Regime, das auch vor Mord nicht zurückschreckt. Der junge Malloy ist zunächst einerseits Teil der Werftarbeitergemeinschaft, in der das Schweigen gegenüber staatlichen Autoritäten Teil ihrer selbstverständlichen Ethik ist: „No matter how much we hate the torpedos, we don’t rat“, wie es einer der betroffenen Arbeiter im Film pointiert ausdrückt. Außerdem ist Malloy bereits ein kleines Rad im Getriebe des Mobs; er selbst ist einer der „Torpedos“, die den Frieden der gerechten, einfachen Arbeiter fortwährend stören, ohne dass diese sich mit so empfundenen Denunziationen zur Wehr setzen würden. Malloys langer, dunkler Weg - um noch einmal Whittaker Chambers’ Metapher aufzugreifen - zum Denunzianten beginnt nach dem Mord an einem jungen Docker und seiner Liebe zur Schwester des Opfers, Edie (Eva Marie Saint). Sie und der Priester Father Barry (Karl Malden) sind Malloys Leuchttürme auf dem Weg zu seiner Entscheidung, die Namen der kriminellen Gewerkschaftsführer und deren Taten - beides im Übrigen wohlbekannte Fakten für alle Protagonisten - vor der kommunalen Crime Commission zu enthüllen, deren Sitzung gegen Ende des Films analog zu den bekannten Szenen der großen Hearings in Washington inszeniert ist.
Hier wie in vielen anderen Texten ist es in erster Linie der beschwerliche Weg zur denunziatorischen Handlung, der ihre moralische, menschliche und schließlich politische Größe markiert. Brandos Schauspiel gelingt es, diese „Hölle“ in so intensiver Weise zu repräsentieren, wie dies weder Chambers’ Bildsprache noch Kazans gradlinige Argumentation in der „Times“ vermögen. Und am Ende obsiegt erneut die Loyalität zum größeren Ganzen über die Partikularinteressen falscher Freunde. Dass dabei neben dem Staat auch zwei weitere sehr bedeutsame Referenzrahmen verhandelt werden, nämlich Religiosität (durch Father Barry und auch durch Analogie der physischen Leiden Malloys mit der Passionsgeschichte Christi) sowie Familie (durch Edie, aber auch durch Malloys schwierige Beziehung zu seinem eigenen Bruder als Mitglied des Mobs), ist offensichtlich und bereits mehrfach diskutiert worden.47 Hier soll abschließend noch auf einen weiteren Diskursstrang eingegangen werden, der im Zusammenhang mit den Rechtfertigungsdiskursen der Zeit in „On the Waterfront“ ebenfalls zu erkennen ist. Der Film beschreibt Malloys Wandel als Erwachsenwerden, als Weg zu einer erwachsenen Männlichkeit. Er positioniert sich somit auch in den damaligen Debatten um den Zustand der männlichen amerikanischen Jugend und deren staatsbürgerliches Pflichtbewusstsein, über Momism, Juvenile Delinquency und Homosexualität.48 Terry Malloy kommt zu sich selbst, er beginnt nachzudenken, hört auf seine Ratgeber und nicht zuletzt auf sein Gewissen; schließlich trifft er bewusste Entscheidungen. Vom Jungen, für den die Loyalität zur Gruppe, zu den Freunden alles bedeutet, reift er zum erwachsenen Mann, der Verantwortung für seine Taten und für das Wohlergehen des großen Ganzen übernimmt. Am Ende des Films steht Malloy für Verantwortung und erwachsene Sexualität - „Informing is positively therapeutic“, wie der Filmkritiker Peter Biskind treffend bemerkte.49
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Kazans filmische Darstellung des staatsbürgerlichen Akts der Denunziation erweitert den Subjektivierungsprozess um wesentliche psychologische Aspekte, die über die zwei Jahre zuvor in der „Times“ geäußerten Statements hinausweisen. In seiner Autobiographie, geschrieben über 30 Jahre nach der HUAC-Aussage, hatte Kazan sowohl den zeitlichen Abstand als auch genügend Raum, seine Rechtfertigung in allen Facetten darzulegen. „A Life“ insgesamt und vor allem die umfangreichen Abschnitte zu den Ereignissen zwischen Mitte der 1930er- und Mitte der 1950er-Jahre finden ihren Platz unmittelbar neben Chambers’ „Witness“ in der Bibliothek der kanonischen Rechtfertigungen.
Darin bedient sich Kazan einer ähnlich düsteren Metaphorik. Über die Wochen unmittelbar vor seiner Vorladung schreibt er: „It was beginning to happen. A terrible threat was in the air and moving closer - as it does before a great thunderstorm when, with the day darkening, the clouds not grey but black, lightning bolts thrust through the heavy overcast and no one can be sure where they will strike next. Let it come, I felt; I can’t stop it anyway.“50 Kazan ist sich zu diesem Zeitpunkt noch sicher, dass er sich dem geforderten Ritual des naming names nicht unterwerfen will. Doch seine Erfahrungen während des ersten HUAC-Hearings ließen einen latent vorhandenen Konflikt offen hervortreten, den er als massiv krisenhaft schildert: „So I was in the clutch of a dilemma, between two emotions, swaying one way, then the other, and the squeeze was just beginning. I didn’t want to co-operate with this committee. On the other hand, I didn’t want to defend the Party by a silence on critical points of their inquiry.“51 Diese emotionale Zwickmühle ist der Schlüssel zum Verständnis der Subjektwerdung des liberalen Denunzianten. Ihr Ausgangspunkt ist stets das kulturelle Tabu gegenüber der Denunziation.52 Es wird eingestanden und auf diese Weise eingehegt und entschärft; der anti-denunziatorische Reflex ist nachvollziehbar und zunächst richtig, muss indes überwun-den werden. Dieser eingeklagte Tabubruch legt sich bedrohlich über die Entscheidungsfindung. Im Anschluss sind es drei Faktoren, denen eine zentrale Rolle zukommt: erstens die Zeitdimension und mit ihr die beständige Unsicherheit darüber, wie das Resultat schlussendlich ausfällt; zweitens die Dichotomie zwischen (kindlicher, unreifer, auch als weiblich besetzter) Emotion und (erwachsener, verantwortungsbewusster, eben auch männlicher) Ratio; und drittens schließlich das Überwinden des Schweigens zugunsten des Akts der öffentlichen Rede.
Alle drei genannten Aspekte vereinen sich in einem rhetorischen Mittel, welches ein kennzeichnendes Merkmal des Rechtfertigungsgenres darstellt - in der Frageformel. Mit ihr kann pointiert auf die lange Zeitspanne zwischen ersten Bedenken und der Entscheidung verwiesen werden: „After seventeen years of watching the Soviet Union turn into an imperialist power, was that truly what I wanted here? Hadn’t I been clinging to once held loyalties that were no longer valid?“53 Kleidet man die Rechtfertigung in eine Frageform, lassen sich so auch rationale Meinungsfindung und ein auf Gedankenaustausch mit Gleichgesinnten oder Ratgebern basierender Reifungsprozess suggerieren, was gerade für den in vielfältige Zusammenhänge eingebundenen Künstler enorm bedeutsam erscheint: „If I truly wanted to fight the CP’s influence in the arts, didn’t I have to listen to everything?“54 Schließlich wird mit der Frage der Kontakt zum lesenden Publikum geschaffen und somit die Rechtfertigung selbst zum Sprechakt der Aufklärung. Die Überwindung des Schweigens verbindet sich mit der Einsicht in die Falschheit, in den „un-amerikanischen“ Charakter des Tabuisierens einer Denunziation: „Why had I taken so long to even consider telling the country - that’s what it amounted to - everything I knew? Was it because of the moral injunction against ‘informing’, which was respected only depending on which side you were on?“55
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Die Subjektwerdung des Liberalen als eines Denunzianten zeichnet sich wesentlich durch ihre Prozesshaftigkeit aus; Zeit und Einsicht in die Notwendigkeit von Rationalität wie Tabubruch markieren dabei notwendige Etappen. In „A Life“ kann Elia Kazan diese bereits in seinen früheren Rechtfertigungen zentralen Elemente breit darlegen und vollendet so gleichsam seine eigene Rolle als Vorbild. Er hat seine persönliche Hölle durchlaufen und ist nun bereit und in der Lage, den Finger auf die wirklich Schuldigen zu richten: „Reader, I don’t seek your favour. I’ve been telling you only some of the things I was asking myself on the way ‘down’. But if you expect an apology now [...], you’ve misjudged my character. The ‘horrible, immoral’ thing I would do, I did out of my true self. Everything before was seventeen years of posturing. The people who owe you an explanation (no apology expected) are those who [...] held the Soviets blameless for their crimes.“56
3. Denunziation und Gouvernementalität - Fazit und Ausblick
„What I’d done was correct, but was it right?“57 Diese Frage Kazans veranschaulicht erneut, wie nachhaltig der Denunziant mit sich, der an seinem Sprechakt angehefteten Fremd- wie Selbstzuschreibung und seiner Subjektposition haderte; die Frage mag als Überleitung zu einem Fazit dienen. Welche methodischen Schlussfolgerungen sind aus dem „Fall“ Elia Kazan und der an diesem Beispiel festgemachten Analyse des Genres der Rechtfertigungen zu ziehen?
Dieser Beitrag hat versucht zu zeigen, dass denunziatorisches Reden und Handeln in der US-Geschichte gewinnbringend mit Hilfe eines Theorierahmens beschrieben werden kann, der die Frage nach dem Subjektstatus eines Denunzianten in den Vordergrund der Betrachtung rückt. Dabei ging es nicht darum zu demonstrieren, wer wen wann aus welchem Anlass auf welche Weise und warum denunziert oder angezeigt hat. Auch eine so bedeutsame, bekannte Person wie Kazan ist nicht so sehr als prominenter „Täter“ interessant, der aus bestimmten, womöglich niederen Motiven zum Denunzianten wurde. Diese Fragen sind immer wieder gestellt worden - handelte er aus politischer Überzeugung, oder weil er den Weg des geringsten Widerstands gehen wollte, oder gar, weil er zu große finanzielle Einbußen befürchtete? All das mag zutreffen, und die Antworten darauf sind auch gar nicht geringzuschätzen. Wichtiger ist aber, dass sich Kazans Aussagen und Handlungen in einem Feld verorten lassen, in dem sie sinnvoll, wahr und wirkungsmächtig werden konnten. Sie waren produktiv in einem Ensemble von Diskursen, Praktiken und Institutionen, die den freien Entscheidungen Einzelner eine gewünschte Richtung geben sollten. Kazans Aussagen konnten sich aufgrund seiner Persönlichkeit und seiner exponierten Stellung prägend in das Dispositiv einschreiben, doch dies erst im sprachlichen Rahmen vieler Rechtfertigungstexte, die nur insgesamt, unintendiert und überindividuell den Denunzianten als besseren Staatsbürger, als Liberalen und Patrioten, sinnvoll entstehen lassen konnten. Folglich kann es auch nicht darum gehen, die gefundenen Aussagen auf einer Skala von gut oder böse, richtig oder falsch einzusortieren. Das heißt andererseits nicht, konkrete Macht, gerade auch politische Macht, zu vernachlässigen - im Gegenteil. Zu fragen ist nach dem Platz des Denunzierens in den Kommunikationsprozessen einer Kultur, in ihren Aushandlungsprozessen um soziales Wissen und soziale Macht, in ihren Identitätspolitiken und Subjektbildungsprozessen. Dabei steht die Frage nach den Wirkungsweisen von Macht im Zentrum des Interesses, und zwar in einem weit gedachten politischen Sinne. Foucaults Ansichten zur Gouvernementalität erlauben es, die Kräfteverhältnisse der Macht - zwischen einzelnen Personen ebenso wie zwischen Personen und (staatlichen) Autoritäten sowie stets in multiplen Richtungen verlaufend - gerade auch in liberal verfassten Gesellschaften auszuloten. Dabei können sich Denunziationen als handhabbare Linse für einen Blick in die Psyche der Macht erweisen, um einen Ausdruck Judith Butlers aufzunehmen.58
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Die historische Denunziationsforschung ist dabei, Gerhard Pauls Forderung nach einer inter- und intrakulturellen Betrachtung dieses Phänomens umzusetzen.59 Eine solche Ausweitung des Blicks wird eines kulturgeschichtlich erweiterten Theorierahmens bedürfen, um das komplexe Zusammenspiel aller Akteure erfassen zu können. Dabei kann sie einerseits den Diktaturenvergleich ausbauen; hier stehen nach wie vor umfangreiche Forschungsoptionen offen.60 Außerdem ist daran zu denken, sich zeitlich weniger weit entfernten Epochen zu widmen und die IM-Systeme des Staatssozialismus so zu untersuchen, dass es weniger um eine (nach wie vor sicher notwendige) Aufarbeitung von Schuld und Verantwortung geht, sondern eher um eine präzise Analyse von Machtbeziehungen. Nicht zuletzt aber ist eine Perspektivenerweitung nötig, die liberal konstituierte Gesellschaften mit einschließt. Dies kann vergleichend oder in einer Transferanalyse geschehen,61 doch auch einzelne Gesellschaften bieten lohnende Konstellationen, an denen sich das Denunzieren bzw. die Auseinandersetzung um legitimes und nicht-legitimes Anzeigeverhalten sinnvoll als Zugang zur Betrachtung von Loyalitäts- wie Sicherheitsdispositiven erforschen lässt. Foucaults Gouvernementalitätstheorie kann hierfür einen brauchbaren Referenzrahmen liefern.
1 Zu Kazan und den Vorfällen von 1999 lohnt ein Blick in verschiedene damalige Zeitungen und Zeitschriften; dort finden sich die kontroversen Positionen wieder. Eine Artikelserie in der linksliberalen Zeitschrift The Nation im Frühjahr des Jahres 1999 enthält u.a. Beiträge von Victor S. Navasky und Arthur Miller. Als Gegenbeispiel zu diesen eher kritischen Stimmen mag ein Text von Alan Wolfe dienen, der am Tag der Oscar-Verleihung erschien: Revising a False History, in: Los Angeles Times, 21.3.1999. Vgl. auch Richard Schickel, Elia Kazan. A Biography, New York 2005, S. xiii-xxviii, S. 448ff.- Eine erste Version dieses Aufsatzes entstand aus Anlass von Vorträgen im Sommer 2006, die der Verfasser in Kolloquien an den Universitäten Köln, Erfurt sowie der FU Berlin gehalten hat. Allen Teilnehmern und Teilnehmerinnen dieser Veranstaltungen sei herzlich für Anmerkungen und Kommentare gedankt.
2 Siehe etwa Mark Steyn, The Crucible of Hollywood’s Guilt: Elia Kazan, in: Atlantic Monthly 292 (Dez. 2003), S. 38; Maurice Yacowar, Elia Kazan (1909-2003), in: Queen’s Quarterly 110 (2003), S. 535.
3 Die neuesten Diskussionen zur deutschen und europäischen Denunziationsgeschichte sind zusammengefasst in Friso Ross/Achim Landwehr (Hg.), Denunziation und Justiz. Historische Dimensionen eines sozialen Phänomens, Tübingen 2000; Inge Marszolek/Olaf Stieglitz (Hg.), Denunziation im 20. Jahrhundert. Zwischen Komparatistik und Interdisziplinarität, Köln 2001.
4 Einige jüngere Beispiele für Literatur zum Denunzieren während des McCarthyism sind etwa Katherine A.S. Sibley, Red Spies in America. Stolen Secrets and the Dawn of the Cold War, Lawrence 2004; Athan G. Theoharis, The FBI & American Democracy. A Brief Critical History, Lawrence 2004.
5 Ein Dispositiv ist ein „entschieden heterogenes Ensemble“ und umfasst „Gesagtes ebensowohl wie Ungesagtes“; mit diesem Begriff sind mithin auch nicht-diskursive Praktiken fassbar. Vgl. Michel Foucault, Dispositive der Macht: Über Sexualität, Wissen und Wahrheit, Berlin 1978, S. 119f.
6 Neuere populäre Gesamtdarstellungen bieten Ted Morgan, Reds. McCarthyism in Twentieth-Century America, New York 2003, sowie Tom Wicker, Shooting Star: The Brief Arc of Joe McCarthy, New York 2006. Für wichtige wissenschaftliche Neuerscheinungen siehe die nachfolgenden Ausführungen.
7 Der Film „Good Night, And Good Luck“ von und mit George Clooney (2005) mag hierfür als jüngstes Beispiel dienen.
8 Für Bewertungen seitens nordamerikanischer Historiker und Historikerinnen siehe das Themenheft von Radical History Review 93 (2005) mit dem Titel „Homeland Securities“: http://rhr.dukejournals.org/content/2005/93.toc (Inhaltsverzeichnis).
9 Thomas Mergel, „The Enemy in Our Midst“. Antikommunismus und Amerikanismus in der Ära McCarthy, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 51 (2003), S. 237-257, hier S. 238.
10 David M. Oshinsky, A Conspiracy So Immense: The World of Joe McCarthy, New York 1983; Thomas C. Reeves, The Life and Times of Joe McCarthy: A Biography, New York 1982.
11 Allgemein siehe David H. Bennett, The Party of Fear. From Nativist Movements to the New Right in American History, Chapel Hill 1988.
12 Dies war nicht nur im Interesse der Republikanischen Partei, sondern passte auch der südstaatlichen Opposition innerhalb der Demokraten gut ins Konzept.
13 Es gibt inzwischen einige sehr gute Kulturgeschichten der USA während der frühen Jahre des Kalten Kriegs; vgl. etwa Stephen J. Whitfield, The Culture of the Cold War, 2. Aufl. Baltimore 1996, sowie Cyndy Hendershot, Anti-Communism and Popular Culture in Mid-Century America, Jefferson 2003.
14 Dies belegen nicht zuletzt die vielen Ego-Dokumente von Mitgliedern dieser sozialen Bewegungen; vgl. etwa Bud Schultz/Ruth Schultz, The Price of Dissent. Testimonies to Political Repression in America, Berkeley 2001. Die Neuorientierung und Weiterverbreitung antikommunistischen Gedankenguts in den 1960er-Jahren beschäftigt auch Lisa McGirr, Suburban Warriors. The Origins of the New American Right, Princeton 2001.
15 Für einen Überblick siehe Ellen Schrecker, Many Are the Crimes: McCarthyism in America, Princeton 1998; zu McCarthys Vorwürfen gegenüber der Truman-Administration vgl. ebd., S. 244-265. Hier sei der Hinweis gestattet, dass Senator McCarthy nicht, wie immer wieder behauptet wird, Mitglied des HUAC war. Dieser war ein Ausschuss des Repräsentantenhauses; McCarthy hatte im Senat sein „eigenes“ Untersuchungsorgan, das aber eng mit dem HUAC kooperierte.
16 Schrecker, Many Are the Crimes (Anm. 15), S. 190ff. Vgl. auch Peter Steinberg, The Great „Red Menace“. United States Persecutions of American Communists, 1947-1952, Westport 1984.
17 Schrecker, Many Are the Crimes (Anm. 15), S. 361f. Die ergänzende Perspektive auf die Politik der Einzelstaaten ist in den letzten Jahren verstärkt eingenommen worden; vgl. Michael J. Heale, McCarthy’s Americans. Red Scare Politics in State and Nation, 1935-1965, Athens 1998.
18 Alan Brinkley, The Illusion of Unity in Cold War Culture, in: Peter J. Kuznick/James Gilbert (Hg.), Rethinking Cold War Culture, Washington 2001, S. 61-73.
19 Die Kennzeichnung einer politischen Position bzw. einer Person als „liberal“ ist gerade für den hier untersuchten Zeitraum komplex und darf auch keineswegs mit der Verwendungsweise dieser Begriffe in der Bundesrepublik gleichgesetzt werden. Der politische Liberalismus in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg war durch eine doppelte Distanzierung gekennzeichnet - einerseits von republikanischen Vorwürfen, man sei un-amerikanisch und Kommunisten-freundlich, andererseits vom Kommunismus selbst. In diesem Bemühen entstand ein Liberalismus des „vital center“ (Arthur Schlesinger, Jr.), der deutlich antikommunistische Züge trug. Vgl. u.a. Kevin Mattson, When America was Great. The Fighting Faith of Postwar Liberalism, New York 2004. Zum Netzwerkbegriff vgl. Schrecker, Many Are the Crimes (Anm. 15), S. 42-85.
20 Siehe etwa Jeff Woods, Black Struggle, Red Scare. Segregation and Anti-Communism in the South, 1948-1968, Baton Rouge 2004; Manfred Berg, The Ticket to Freedom. Die NAACP und das Wahlrecht der Afro-Amerikaner, Frankfurt a.M. 2000, darin v.a. S. 208-226.
21 David K. Johnson, The Lavender Scare. The Cold War Persecution of Gays and Lesbians in the Federal Government, Chicago 2004; Andrea Friedman, The Smearing of Joe McCarthy: The Lavender Scare, Gossip, and Cold War Politics, in: American Quarterly 57 (2005), S. 1105-1129.
22 Victor S. Navasky, Naming Names, 3. Aufl. New York 2003 (zuerst 1980).
23 Zur Politik der schwarzen Listen v.a. in der Unterhaltungsindustrie vgl. Thomas Doherty, Cold War, Cool Medium. Television, McCarthyism, and American Culture, New York 2003, S. 19-36.
24 Sheila Fitzpatrick/Robert Gellately (Hg.), Accusatory Practices. Denunciations in Modern European History, 1789-1989, Chicago 1997; der genaue Wortlaut der Definition (S. 1): Denunziationen seien „spontaneous communications from individual citizens to the state [...] containing accusations of wrongdoing by other citizens or officials and implicitly or explicitly calling for punishment“.
25 Navasky, Naming Names (Anm. 22), S. ix. Hier muss indes auch beachtet werden, dass mit dem Insistieren auf der Preisgabe von Namen zugleich die Strategie verbunden war, die Zeugen und Zeuginnen in Widersprüche zu verstricken, auf deren Basis dann Anklagen wegen Meineids oder Missachtung des Ausschusses angestrengt werden konnten.
26 Vgl. Eric Bentley, Thirty Years of Treason: Excerpts from Hearings Before the House Committee on Un-American Activities, 1938-1968, New York 2002 (zuerst 1971).
27 Es existieren auch zahlreiche Rechtfertigungen von „Opfern“, also von Menschen, die tatsächlich oder vermeintlich aufgrund einer Denunziation zu Schaden kamen. Auch ihnen gebührt eine grundlegende Analyse im Rahmen des vorgestellten Dispositivs; dies kann hier aber nicht geleistet werden.
28 Vgl. hierzu allgemein Olaf Stieglitz, Wort-Macht, Sichtbarkeit und Ordnung: Überlegungen zu einer Kulturgeschichte des Denunzierens während der McCarthy-Ära, in: Jürgen Martschukat (Hg.), Geschichte schreiben mit Foucault, Frankfurt a.M. 2002, S. 241-256.
29 Der Hiss-Fall kann als ein Schlüsselereignis der US-Nachkrieggeschichte angesehen werden. Die Anhörungen im HUAC unterstrichen nachhaltig die Wahrnehmung einer Bedrohung im Inneren des demokratischen Regierungsapparats. Hiss’ spätere Verurteilung wegen Meineids war Auslöser von politischen wie historiographischen Debatten über seine Schuld, die bis in die Gegenwart andauern. Siehe Allan Weinstein, Perjury. The Hiss-Chambers-Case, New York 1978; zu den andauernden Kontroversen um den Fall und zur Frage, ob Hiss im Außenministerium tatsächlich für die Sowjetunion spioniert hat, siehe John Earl Haynes/Harvey Klehr, In Denial. Historians, Communism & Espionage, San Francisco 2003, v.a. Kap. 4; sowie Maurice Isserman/Ellen Schrecker, „Papers of a Dangerous Tendency“. From Major Andre’s Boot to the VENONA Files, in: Ellen Schrecker (Hg.), Cold War Triumphalism. The Misuse of History After the Fall of Communism, New York 2004, S. 149-173. Von einer Mehrheit der Forschung wird Hiss’ Spionagetätigkeit heute als Faktum angesehen.
30 Whittaker Chambers, Witness, New York 1952, S. 456.
31 Vgl. die Beiträge von Klaus Große Kracht, Jürgen Martschukat, Maren Möhring und Jan-Otmar Hesse, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 2 (2006), S. 273-296.
32 Foucaults Vorlesungen zur Gouvernementalität liegen inzwischen auch in deutscher Sprache vor: Michel Foucault, Geschichte der Gouvernementalität I: Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Vorlesung am Collège de France 1977-1978, Frankfurt a.M. 2004; ders., Geschichte der Gouvernementalität II: Die Geburt der Biopolitik. Vorlesung am Collège de France 1978-1979, Frankfurt a.M. 2004.
33 Maren Möhring, Die Regierung der Körper. „Gouvernementalität“ und „Techniken des Selbst“, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 2 (2006), S. 284-290, hier S. 284.
34 Michel Foucault, About the Beginning of the Hermeneutics of the Self, in: Political Theory 21 (1993), S. 198-227, hier zit. nach Thomas Lemke, Gouvernementalität und Biopolitik, Wiesbaden 2007, S. 37.
35 Michel Foucault, Sexualität und Einsamkeit, in: ders., Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits, hg. von Daniel Defert und François Ewald, Bd. 4, Frankfurt a.M. 2005, S. 207-219, hier S. 210.
36 Klaus Große Kracht, „Gouvernementalität“ - Michel Foucault und die Geschichte des 20. Jahrhunderts, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 2 (2006), S. 273-276, hier S. 275.
37 Susanne Krasmann, Gouvernementalität: Zur Kontinuität der Foucaultschen Analytik der Oberfläche, in: Martschukat, Geschichte schreiben mit Foucault (Anm. 28), S. 79-95, hier S. 87; zum Begriff der Selbsttechnologie siehe Michel Foucault, Technologien des Selbst, in: Luther Martin/Huck Gutman/Patrick H. Hutton (Hg.), Technologien des Selbst, Frankfurt a.M. 1993, S. 24-62, v.a. S. 51ff. Solche Subjektwerdungen verknüpfen stets die beiden Wortbedeutungen von „Subjekt“, nämlich Autonomie einerseits und Unterwerfung andererseits; vgl. Judith Butler, Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung, Frankfurt a.M. 2001.
38 Eine Kurzbiographie Kazans findet sich in William K. Klingman (Hg.), Encyclopedia of the McCarthy Era, New York 1996, S. 211ff. Ausführlich siehe Schickel, Kazan (Anm. 1), sowie Elia Kazan, A Life, New York 1988.
39 Siehe Navasky, Naming Names (Anm. 22), S. 199ff. Kazan selbst äußerte sich in A Life (Anm. 38), S. 476ff.
40 Zum amerikanischen Theater, aber auch zur Theatralität des McCarthyism selbst siehe Brenda Murphy, Congressional Theatre. Dramatizing McCarthyism on Stage, Film, and Television, Cambridge 1999.
41 „The last straw came when I was invited to go through a typical Communist scene of crawling and apologizing and admitting the error of my ways [...].“ Zit. nach Navasky, Naming Names (Anm. 22), S. 202. Kazan beschreibt hier die Funktion des Denunzierens in kommunistischen Parteiverfahren und verwendet dabei Formulierungen, die die Ähnlichkeit dieses Verfahrens, das er ablehnte, mit demjenigen offenbaren, an welchem er sich bereitwillig beteiligte.
42 Vgl. Navasky, Naming Names (Anm. 22), S. 203.
43 Der Text ist an verschiedenen Stellen nachgedruckt, etwa in Albert Fried, McCarthyism. The Great American Red Scare. A Documentary History, New York 1997, S. 135ff.; vgl. auch Navasky, Naming Names (Anm. 22), S. 204ff. Der Entwurf des Texts stammte von Kazans Frau Molly; vgl. A Life (Anm. 38), S. 499f.
44 New York Times, 12.4.1952.
45 On the Waterfront, Columbia Pictures 1954, Drehbuch: Budd Schulberg, Regie: Elia Kazan.
46 Zu Spielfilmen als historischen Quellen siehe Günter Riederer, Film und Geschichtswissenschaft. Zum aktuellen Verhältnis einer schwierigen Beziehung, in: Gerhard Paul (Hg.), Visual History. Ein Studienbuch, Göttingen 2006, S. 96-113.
47 Peter Biskind, Seeing Is Believing. How Hollywood Taught Us to Stop Worrying and Love the Fifties, London 2001 (zuerst 1983), S. 169-182; vgl. auch Nora Sayre, Running Time. Films of the Cold War, New York 1982, S. 151ff.
48 Vgl. hierzu die gegenwärtig rasch zunehmende Literatur zur Geschlechter- und Sexualitätengeschichte der 1950er-Jahre in den USA sowie Leerom Medovoi, Rebels. Youth and the Cold War Origins of Identity, Durham 2005.
49 Biskind, Seeing Is Believing (Anm. 47), S. 181.
50 Kazan, A Life (Anm. 38), S. 462.
51 Ebd., S. 481.
52 Dieses Tabu darf nicht als anthropologische Konstante verstanden werden, sondern als diskursiver Effekt, der in jeweils spezifischen historischen und kulturellen Konstellationen aktualisiert wird. Dabei fungiert die Enthistorisierung der Denunziation - die Vorstellung, sie selbst oder auch die ihr entgegengebrachte Verachtung lägen im menschlichen Wesen begründet - als wirkungsmächtige Strategie in den jeweiligen kulturellen Auseinandersetzungen.
53 Kazan, A Life (Anm. 38), S. 493.
54 Ebd., S. 490. Die wiederkehrende Verwendung von „truly“ im Sinne von „wirklich“ oder auch „ernsthaft“ ist gleichfalls auffällig; damit wird der latente Zweifel und somit die Wirkungsmacht des anti-denunziatorischen Reflexes angezeigt.
55 Ebd., S. 494.
56 Ebd.
57 Ebd., S. 500.
58 Butler, Psyche der Macht (Anm. 37).
59 Gerhard Paul, Denunziation - anthropologische Konstante oder kulturelles Phänomen? Eine Tagung vom 10.-12. Oktober 2000 in Rothenburg o.d. Tauber, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 48 (2000), S. 1102ff., hier S. 1104.
60 Vgl. Olaf Stieglitz/Christoph Thonfeld, Denunziation als Medium des kulturalistisch erweiterten Diktaturenvergleichs. Thüringen im Nationalsozialismus, unter sowjetischer Besatzung und in der frühen DDR, in: WerkstattGeschichte 38 (2004), S. 77-89.
61 Vgl. Olaf Stieglitz, Sprachen der Wachsamkeit: Loyalitätskontrolle und Denunziation in der DDR und in den USA bis Mitte der 1950er Jahre, in: Marszolek/Stieglitz, Denunziation im 20. Jahrhundert (Anm. 3), S. 119-135.