Umkämpfter Sex, umkämpfte Demokratie

Konkurrierende Identitätspolitiken in den USA seit den 1970er-Jahren

  1. Emanzipatorische und reaktionär-hegemoniale Identitätspolitiken
  2. Reaktionär-hegemoniale Identitätspolitik: Beverly LaHaye
  3. Emanzipatorische Identitätspolitik: ACT UP
  4. Ausblick

Anmerkungen

[Wir danken der Gerda Henkel Stiftung für die Finanzierung der Forschungsgruppe »Contested Democracy: Gender, Race und Sex in der US-amerikanischen Zeitgeschichte«. Unser Dank gilt zudem Imke Schmincke und dem Lehrstuhl Soziologie/Gender Studies an der Ludwig-Maximilians-Universität München für die Einladung zur Tagung »Identitätspolitik zwischen Bashing und Befreiung. Historische und sozialwissenschaftliche Perspektiven« im Februar 2022 sowie den vielen Teil­nehmer:innen der Veranstaltung für die hilfreichen Kommentare und die produktive Diskussion. Dies gilt auch für das Kolloquium Nordamerikanische Geschichte an der Universität Erfurt, wo wir – wie immer – konstruktive Kritik und wertvollen Input erhalten haben.]

1. Emanzipatorische und
reaktionär-hegemoniale Identitätspolitiken

Im Dezember 2016 schrieb der Soziologe Armin Nassehi in der »Süddeutschen Zeitung«, Identitätspolitik habe sich zur »entscheidenden Politikform« entwickelt.1 Zutiefst irritiert von der Wahl Donald Trumps zum US-amerikanischen Präsidenten, bemerkten linksliberale Intellektuelle in Europa wie in Nordamerika, dass längst nicht mehr nur gesellschaftlich marginalisierte Gruppen Identitätspolitik betrieben. Anerkennung sowie politische und gesellschaftliche Teilhabe in Rückbindung an identitäre Markierungen einzufordern, war offensichtlich keine exklusive Strategie von Minderheiten mehr, die für ihre Emanzipation kämpfen. Vielmehr hatte sich seit geraumer Zeit auch eine Form von Identitätspolitik deutlich Gehör verschafft, die ein weißes, geschlechterkonservatives und straightes2 Amerika beschwor, das sich spätestens seit der Präsidentschaft Barack Obamas (2009–2017) als in seinen Grundfesten erschüttert empfand.3 Eine solche Identitätspolitik bezeichnen wir erstens als »reaktionär«, weil sie auf historische Veränderungen reagiert, sich diesen mit aller Macht verweigert und dabei mit radikalem Eifer für ihre Vision der Zukunft kämpft. In der Begriffsverwendung von »reaktionär« lehnen wir uns vor allem an den Historiker und politischen Kommentator Mark Lilla an.4 Zweitens nennen wir eine solche Identitätspolitik »hegemonial«, weil ihre Verfechter:innen gegen den Verlust des Privilegs größter gesellschaftlicher Teilhabe ankämpfen, von dem sie meinen, dass es ihnen natürlicherweise zustehe.5 »Make America Great Again«, charakterisierte in diesem Sinne der Historiker Andrew Hartman den Wahlslogan, den Donald Trump von Ronald Reagan übernommen hatte, »evokes the fervent belief among many Americans that the nation is no longer theirs.«6 Die Parole einer weißen, geschlechterkonservativen und straighten Bewegung ist Element einer reaktionär-hegemonialen Identitätspolitik, die ihren Verfechter:innen ein Zurück in eine US-amerikanische Zukunft von als verloren empfundener Größe verspricht.

Auf den ersten Blick mag es irritieren, von reaktionär-hegemonialer Identitätspolitik zu reden. Schließlich ist Identitätspolitik erstmals im Jahr 1977 vom Combahee River Collective, einer Gruppe Schwarzer lesbischer Frauen, als Konzept formuliert worden. Deren berühmte Erklärung gilt gemeinhin als Gründungsdokument von »identity politics«. Gegen ihre grundlegende gesellschaftliche Benachteiligung sowie gegen ihre Randstellung im männlich geprägten Civil Rights Movement und in der weiß geprägten Frauenbewegung ankämpfend, betonten die Aktivistinnen: »The most general statement of our politics at the present time would be that we are actively committed to struggling against [interlocking] racial, sexual, heterosexual, and class oppression […] that all women of color face. […] This focusing upon our own oppression is embodied in the concept of identity politics. We believe that the most profound and potentially most radical politics come directly out of our own identity.«7

Das Combahee River Collective Statement markiert einen entscheidenden Moment in der Geschichte von Identitätspolitik. Denn dort wurde der Begriff als Bezeichnung für eine Politikform geprägt, die sich aus gruppenspezifischen Unterdrückungserfahrungen speist, diese zu überwinden sucht und nach Emanzipation strebt – nach Anerkennung als »levelly human«, wie das Kollektiv in der Erklärung betonte.8 So neu der Signifikant identity im Feld des Politischen 1977 war, so alt war zugleich die Strategie, politische Rechte und gesellschaftliche Teilhabe an gruppenspezifische Markierungen zu koppeln. Das Ziel einer solchen Politikform war bis dahin allerdings weniger auf Emanzipation gerichtet gewesen, sondern vielmehr auf Hegemonie. Freiheit sowie gleiche Rechte und Chancen für alle Menschen zu postulieren, dabei aber das Maß und die Möglichkeiten gesellschaftlicher und politischer Teilhabe an Kategorien wie Hautfarbe, Geschlecht und Begehren zu koppeln, ist das große Dilemma der US-amerikanischen Demokratie von der Staatsgründung im ausgehenden 18. Jahrhundert bis heute. Die Historikerin Jill Lepore hat die Politiken und Praktiken der Marginalisierung, aber vor allem die Kämpfe derjenigen, die sich gegen alle Widrigkeiten in das Politische einzuschreiben suchten, zum Leitmotiv der US-amerikanischen Geschichte erhoben. Lepore ist bei weitem nicht die einzige und nicht die erste, die dies getan hat, doch ihr Buch »These Truths« hat seit 2018 nicht zuletzt vor dem Hintergrund der identitätspolitischen Konjunktur besonders große Aufmerksamkeit erfahren.9

Unser Beitrag widmet sich dem Aufeinanderprallen emanzipatorischer und reaktionär-hegemonialer Identitätspolitiken in den USA. Dabei werden wir, erstens, die eingangs zitierte Beobachtung Armin Nassehis historisch perspektivieren und genauer auf die 1970er- bis 1990er-Jahre schauen. Denn die Präsidentschaft Trumps sollte weniger als Motor einer historisch neuen identitätspolitischen Konjunktur verstanden werden, sondern vielmehr als Kulminationspunkt von Kämpfen um Demokratie, Teilhabe und Hegemonie, die sich seit den 1970er-Jahren in dieser Form entfaltet hatten. Damals begann, wie der Historiker Philipp Sarasin schreibt, der Signifikant identity »in das Feld des Politischen« einzudringen, »alles in sein grelles Licht [zu tauchen]« und das US-amerikanische Selbstverständnis als Land der Freien und Gleichen grundlegend zu hinterfragen.10 Nicht erst mit Donald Trump, sondern bereits mit Richard Nixon (1969–1974) avancierte das Weiße Haus zum Ort einer identitär operierenden Politik, die sich dezidiert gegen die Ziele und Errungenschaften der diversen emanzipatorischen Movements positionierte und dann in der Präsidentschaft Ronald Reagans (1981–1989) einen ersten Höhepunkt erfuhr.11 Die Diskussion brach nun los, wie politisch das Persönliche, aber auch wie persönlich das Politische sei.12

Zweitens werden wir die Bedeutung von Unterdrückungserfahrungen für Identitätspolitik untersuchen. Schließlich hatten die Frauen des Combahee River Collective »oppression« als Ausgangspunkt von Identitätspolitik gesetzt. Auffällig ist, dass sich ab den 1970er-Jahren auch Vertreter:innen weißer, straighter, geschlechtlich sowie häufig auch religiös konservativer Gruppen in zunehmendem Maße als marginalisiert und unterdrückt beschrieben, in aller Regel durch emanzipatorische Aktivist:in­nen und deren angebliche politische Dominanz. Das »Opfer«, so die Historikerin Svenja Goltermann, habe sich im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts zu einer attraktiven Subjektposition entwickelt,13 und dies ist auch im Kontext reaktionär-hegemonialer Identitätspolitik zu beobachten. Eine solche Attraktivität, so unsere These, speist sich nicht zuletzt daraus, dass eine Unterdrückungserfahrung zumindest behauptet werden muss, um Identitätspolitik betreiben und sich dieser »entscheidenden Politikform« (Nassehi) bedienen zu können.14

Drittens werden wir uns in diesem Beitrag exemplarisch auf konkrete identitätspolitische Kämpfe konzentrieren, die auf dem Feld des Sexes15 ausgefochten wurden. Eine derartige Zuspitzung auf Praktiken und Politiken in einem spezifischen Feld ist ebenso sinnvoll wie notwendig. Denn Demokratie und ihr Grundprinzip, »dass wir uns als Freie und Gleiche begegnen«, so die Herausgeber:innen des Handbuches »Radikale Demokratietheorie«, »muss sich immer konkret in der stets kontingenten politischen Praxis manifestieren«. Demokratie als umkämpft zu verstehen, bedeutet, die Einlösung des demokratischen Versprechens und das Ringen um Teilhabe in den Blick zu nehmen und anzuerkennen, dass Demokratie »sich selbst immer wieder hervorbringen muss«.16 Identitätspolitik kann also eine zentrale demokratische Praxis sein, wenn sie darauf zielt, besagte Begegnungen als Freie und Gleiche – als »levelly human« – zu ermöglichen.17 Dabei eröffnet der Sex ein besonders dynamisches Feld umkämpfter Demokratie, ist er doch weit mehr als das Begehren und die Lust, mehr als Regulierung und Reproduktion. Er ist, so Michel Foucault, »ein besonders dichter Durchgangspunkt für die Machtbeziehungen«, innerhalb derer Menschen ein Verhältnis zu sich selbst und zu anderen gestalten, in Gesellschaft verortet werden und sich selbst in dieser verorten.18 Der Sex ist eine der Kräfte, die identitär sehr wirkmächtig sind und dabei das Feld der gesellschaftlichen Teilhabe und des Politischen ordnen. Wie die Historikerin Dagmar Herzog betont hat, verdankte die US-amerikanische Rechte ihren Aufstieg vor allem ihrer religiös konservativen Haltung zum Sex, und zahlreiche der bald einsetzenden Culture Wars kreisten um Fragen des Sexes.19

Zu den tonangebenden Ideolog:innen der christlichen Rechten gehörte Beverly LaHaye. Der »Conservative Digest«, ein 1975 gegründetes Magazin, listete sie 1984 als eine der fünf angesehensten konservativen Frauen.20 Im nun folgenden Abschnitt wenden wir uns LaHaye genauer zu. Sie intervenierte auf vielerlei Ebenen und Weisen in die identitätspolitischen Kämpfe, die um Sex kreisten. Unter anderem verfasste sie heteronormative Sexualitätsratgeber und kämpfte gegen Adoptionsrechte schwuler Männer. Im Zuge ihrer langen Karriere als Frontfrau der evangelikal-konservativen Frauenbewegung rang sie mit der Schwulen- und Lesbenbewegung. Diese war in den 1980er-Jahren durch die Aids-Krise zunächst schwer getroffen, gewann dann aber mit der AIDS Coalition to Unleash Power (ACT UP) eine bis dahin ungekannte Dynamik. ACT UP war Ausdruck und Motor eines neuen, identitätspolitisch gespeisten Selbstbewusstseins. Der emanzipatorischen Identitätspolitik von ACT UP widmen wir uns im dritten Teil dieses Aufsatzes. So zeigen wir insgesamt, wie eine evangelikal-konservative Heteronormativität schon vor rund vier Jahrzehnten auf queere Lebenskonzepte und deren Kampf um Anerkennung traf und wie dabei reaktionär-hegemoniale und emanzipatorische Identitätspolitiken miteinander rangen. Wir verwenden den Begriff queer, um von heteronormativen Vorstellungen abweichende Begehrensformen zu bezeichnen, die sich fixierenden Zuschreibungen entziehen und eine heteronormative, straighte Gesellschaftsordnung in Frage stellen.21 Unsere Aufmerksamkeit gilt insbesondere der Frage, wie queere und straighte Aktivist:innen auf dem Feld des Sexes agierten und interagierten, sich als unterdrückt beschrieben und konkrete politische Ziele daraus ableiteten.

2. Reaktionär-hegemoniale Identitätspolitik:
Beverly LaHaye

Beverly LaHaye (1929–2024) gilt als eine der Vorreiter:innen der New Christian Right. Neben Anita Bryant (geb. 1940) und Phyllis Schlafly (1924–2016) zählt LaHaye zu den bekanntesten US-amerikanischen konservativen Autorinnen und Aktivistinnen.22 1984/85 wurde sie zur Christian Woman of the Year gekürt, und bis heute übt ihre Organisation Concerned Women for America (CWA) großen Einfluss auf die konservative Politik in den USA aus.23 Hier diskutieren wir zunächst LaHayes Politikverständnis und die spezifische Rolle, die Frauen, Geschlecht und Sexualität darin einnahmen. Danach wenden wir uns anhand zweier Beispiele der Wichtigkeit von ehelichem Sex und straightem Begehren als Identitätskategorie der New Christian Right zu.

Im Streit um das Sorgerecht für Brian Batey, einen 16-jährigen Teenager aus San Diego, bezog LaHaye klar Stellung gegen Brians homosexuellen Vater und nutzte das Gerichtsverfahren als Katalysator für ihre Kampagne gegen die Rechte schwuler Männer. Wie viele andere Konservative formte LaHaye ihr politisches Selbstverständnis durch die oppositionelle Haltung gegen eine vermeintlich promiske Kultur und gegen einen liberalen Mainstream, die, aus LaHayes Perspektive, der Lockerung sexueller Normen Vorschub leisteten. Neben dem Widerstand gegen angeblich promiske (Homo-)Sexualität entwarf sie in ihrem Ratgeber »The Act of Marriage« (Erstausgabe 1976) eine evangelikale Vision von ehelichem Sex. Die Ablehnung unerwünschter Formen des Begehrens und die Herstellung eines positiven Bezugs zu Abstinenz vor und Sex während der Ehe gingen Hand in Hand; sie verdeutlichen den zentralen Stellenwert von Sex in konservativen Identitätskonstruktionen und Politiken.

LaHaye beschreibt ihren Eintritt in die politische Sphäre Ende der 1960er-Jahre – ein untypischer Schritt für Evangelikale, insbesondere für Frauen – als eine Reaktion auf das Erstarken des Feminismus. Dabei positionierte sich LaHaye vor allem gegen einen von weißen Frauen dominierten, liberalen Feminismus, den die 1966 gegründete National Organization for Women (NOW) repräsentierte. Schwarze Frauen und Lesben übten ebenfalls Kritik an NOW und wiesen auf den exklusiven Charakter einer solchen Frauenbewegung hin. Während LaHaye es verstand, sich dieser innerfeministischen Debatten zu bedienen – sie skandalisierte die Partizipation von Lesben und verbündete sich mit religiös-konservativen Frauen aus Ländern des Globalen Südens –, lag ihr nichts an einem inklusiveren Feminismus oder an der Zusammenarbeit mit Women of Color.24 LaHayes Widerstand richtete sich sowohl gegen feministische Analysen zur Lage der Frauen als auch gegen deren internationale Vernetzung. Die rhetorische Frage, ob die liberal-dominierte Nationale Frauenorganisation die Interessen »echter« Frauen repräsentiere, verneinte LaHaye umgehend.25

Während Feminist:innen die strukturelle Ungleichbehandlung von Frauen und das erstarrte Rollenbild der »female homemaker« aufzubrechen suchten, waren ihre konservativen Widersacher:innen anderer Meinung. LaHaye grenzte sich nicht rein defensiv vom liberalen Feminismus ab, sondern entwarf offensiv eine eigene Form des politischen Frauseins. Die geschlechtergetrennten Sphären – eher ein Ideal als eine Realität – sowie die freiwillige Unterordnung der Frau unter den Mann sah LaHaye als gottgegeben an. Diesen Standpunkt vertrat sie auch gegenüber »biblical feminists« – Frauen, die danach strebten, die evangelikale Bewegung von innen zu verändern.26 LaHaye trug bei den inner-evangelikalen Auseinandersetzungen den Sieg davon, und »female submission« wurde zum Grundstein ihres Politikverständnisses: einer weiblich-evangelikalen Identität, die weder mit liberalem noch mit »biblischem« Feminismus vereinbar war. Diese Identität stand für LaHaye jedoch nicht im Widerspruch zu politischem Handeln. Aktivismus stellte für sie vielmehr eine zentrale Komponente christlicher Pflichterfüllung dar.27 Sie rief Frauen dazu auf, gerade die Sphäre des Privaten aktiv zu einem Feld für politische Betätigung umzugestalten. Frauen sollten die Rolle als »Lobbyistin am Küchentisch« annehmen, die sich mit Briefen, Petitionen und Telefonaten bei den Kongressabgeordneten Gehör verschafft, wie es etwa in einem Flyer von 1986 anschaulich beschrieben und visualisiert wurde.28 Häuslichkeit und Politik ließen sich laut LaHaye problemlos verknüpfen. Diese Verbindung sei sogar geboten, angesichts der multiplen Bedrohungen, die eine promiske Kultur für die konservativen Lebenswelten darstelle – von der sexuellen Revolution über den Sexualkundeunterricht bis zur Adoption durch homosexuelle Paare.

Politik (nur) im Privaten: »How to Lobby from your Kitchen Table«,
Flyer der Concerned Women for America, 1986
(Sara Diamond collection on the U.S. right, BANC MSS 98/70, The Bancroft Library, University of California, Berkeley, Box 8, Folder 18)

Wir können LaHayes politischen Aktivismus nicht losgelöst von ihrer evangelikalen Religiosität betrachten und Letztere wiederum nicht als eine apolitische Spielart des Christ:innentums. Die Religionshistorikerinnen Anthea Butler und Kristin Kobes Du Mez haben gezeigt, wie eng verwoben Religion, Nationalismus, Rassismus und Weißsein innerhalb der neuen christlichen Rechten allgemein und besonders in evangelikalen Lebenswelten sind.29 LaHayes Idealbilder einer intakten Familie und probater Sexualität sind stets weiß. Das imaginierte Negativ bilden übersexualisierte Schwarze Männer, die ihre Familien verlassen, und promiske Schwarze Frauen, die von Sozialhilfe leben.30 Befeuert durch Studien wie den rassistischen Moynihan Report (1965) wurde die angebliche Abwesenheit von Schwarzen Vätern in den 1980er- und 1990er-Jahren zu einem zentralen Argument der religiösen Rechten. Unter dem Deckmantel der colorblindness und geschickt in vermeintlich neutrale Sprachcodes gekleidet, spielten Evangelikale wie LaHaye auf einer rassistischen Klaviatur, die vorgibt, lediglich eine »jüdisch-christliche Kultur« zu verteidigen. Laut Anthea Butler arbeiteten sie für den Erhalt einer weißen, christlichen, männlichen Hegemonie, die sie als existenziell bedroht beschrieben: »Evangelicalism is a nationalistic political movement whose purpose is to support the hegemony of white Christian men over and against the flourishing of others.«31

US-Präsident Ronald Reagan und Beverly LaHaye (rechts im Bild) bei einer Versammlung der Concerned Women for America in Arlington, September 1987
(picture-alliance/Associated Press/Scott Stewart)

Die Organisation Concerned Women for America (CWA), 1979 von LaHaye gegründet, bildete die Speerspitze dieses Kampfes um ein »wahres« Amerika. Die besorgten Frauen schrieben sich von Beginn an auf die Fahnen, »die echte Frauenbewegung« zu sein.32 Der Frauen- und Geschlechterforscherin Leslie Dorrough Smith zufolge fürchteten LaHaye und ihre Mitstreiter:innen den Verfall der Nation: »[…] much of the ›concern‹ behind the name ›Concerned Women for America‹ is tied directly to worries that liberal feminism will drive America to ruin.«33 Die Enttarnung von »gefährlichen und heimtückischen« Organisationen, die kontinuierlich am moralischen Fundament der USA rüttelten, war ein Hauptgrund für die Gründung von CWA.34 Dabei bezog sich LaHaye zunächst vor allem auf Feminist:innen, Kommunist:innen und Abtreibungs­befürworter:innen. Schnell erweiterten die besorgten Frauen ihr identitätsstiftendes Repertoire um den Widerstand gegen Rechte von Schwulen und Lesben. LaHaye unterstützte in den 1970er-Jahren Anita Bryants »Anti-Gay Crusade«, und besonders die Frage des Sorgerechts für Homosexuelle war ihr ein Dorn im Auge.

Mitte der 1980er-Jahre bot sich für CWA und LaHaye die Gelegenheit, im Zuge eines Sorgerechtsstreits politisches Kapital aus ihrer Homophobie zu schlagen. Betty Batey, ihr Ex-Mann Frank und der gemeinsame Sohn Brian standen im Zentrum dieser Kontroverse. Der Streit von Brians Eltern um das Sorgerecht gewann vor dem Hintergrund von Franks Homosexualität und Bettys streng religiösen Glaubensgrundsätzen an Brisanz. Die Bateys hatten sich 1975 getrennt, und Betty hatte zunächst das Sorgerecht für den vierjährigen Brian erhalten. Im September 1982 sprach ein Gericht in San Diego dann Frank das Sorgerecht zu, nachdem Betty ihm das vereinbarte Besuchsrecht verweigert hatte.35 Betty, unzufrieden mit der gerichtlichen Entscheidung, brachte Brian nach einem Besuch nicht mehr zu seinem Vater zurück. Nachdem sich Mutter und Sohn 19 Monate bei Mitgliedern der United Pentecostal Church in Colorado versteckt hatten, stellte sich Betty im April 1984 dem FBI.36 Nach einer kurzen Haftstrafe kehrte sie nach San Diego zurück und begann für Family Life Seminars zu arbeiten, eine Organisation von Beverly und Tim LaHaye.37 Im Juni 1987 starb Frank im Zuge einer Operation, und Betty stellte erneut den Antrag auf das Sorgerecht. Der Disput endete im November 1987, als ein Gericht Franks Partner Craig Corbett das Sorgerecht für den 16-jährigen Jungen zusprach – mit der Begründung, Craig könne ein »stabiles und gesundes Umfeld für Brians verbleibende Jugendzeit« bieten.38

Während feministische Magazine und Zeitschriften der Schwulenbewegung den Fall Brian Batey als Hoffnungsschimmer im Kampf um Sorgerechte von homosexuellen Paaren feierten, machte CWA für Betty Batey mobil.39 Letztere wurde in Fundraising-Appellen als amerikanische Mutter beschrieben, die lediglich um das Wohlergehen ihres Sohnes bemüht sei. 1987 bat LaHaye die CWA-Mitglieder erneut um Spenden und betonte, dass der »homosexuelle Lebensstil«, den Frank Batey angeblich gepflegt hatte (Nacktschwimmen bzw. Nacktschlafen), kein passendes Umfeld für einen Teenager sei.40 In diesen Schreiben finden sich alle Vorurteile wieder, welche die religiöse Rechte beharrlich gegen schwule Männer ins Feld führte. Homosexuelle seien darauf angewiesen, Kinder zu »rekrutieren«, um sich fortzupflanzen. Hinzu kamen abwertende Äußerungen über Frank Bateys Aids-Erkrankung und die Herabwürdigung von Craig Corbett als »sodomy partner«.

Im Zuge der Prozesse inszenierte sich CWA als Vertreterin der einfachen Frauen, die von liberalen Eliten unterdrückt und in der Ausübung ihres Glaubens sowie ihrer mütterlichen Pflichten gehindert würden. Kontinuierlicher Aktivismus, ja Widerstand gegen diese Unterdrückung seien zwingend notwendig. Leslie Dorrough Smith hat für diese Strategie den Begriff »chaos rhetoric« geprägt. CWA schaffe, so Smith, mit immer neuen Krisen- und Horrormeldungen über den Verfall der Gesellschaft Bedrohungsszenarien, die politischen Widerstand besorgter Frauen geboten erscheinen ließen. Teenager wie Brian Batey und Mütter wie Betty Batey konnten als Auslöser dieses Aktivismus dienen.41

Der Anwalt Michael Farris, der sich als Verfechter der Homeschooling-Bewegung einen Namen gemacht hatte und enge Verbindungen zu anderen konservativen Organisationen unterhielt, übernahm die rechtliche Vertretung Betty Bateys. Diese kämpfe, so Farris, gegen zwei Übel: Homosexualität und »anti-christliche Vorurteile«.42 Letztere würden es notwendig machen, eigene Gerichtsgutachter:innen einzufliegen, um ein Gegengewicht zum liberalen, angeblich Schwulen-freundlichen Establishment zu schaffen. Der Logik von chaos rhetoric folgend, beklagte CWA, dass ein neues Rechtsverständnis um sich greife. Während früher Homosexuelle bestraft worden seien, treffe die Härte des Gesetzes nunmehr aufrichtige Amerikanerinnen, die ihre Kinder zu schützen suchten.43 CWA betrieb somit Opfer-Täter-Umkehr: Die Organisation relativierte die 19 Monate andauernde Entführung Brians durch seine Mutter, während diese selbst zur politisch Verfolgten erklärt wurde.

Als Täter sahen CWA und LaHaye eine von Liberalen dominierte Justiz sowie im Fall Batey die angeblich voreingenommene Richterin Judith McConnell. Die bekennende Feministin McConnell – sie hatte 1970 einen lokalen NOW-Ableger in San Diego gegründet und unterstützte das Equal Rights Amendment (ERA) – verkörperte die Antithese zum Frauenbild der CWA.44 Im Zuge des Sorgerechtsstreits strich Jordan Lorence, ein CWA-Sprecher, McConnells »wohlbekannte feministische Ausrichtung« und ihren »homosexuellen Bias« hervor. Von McConnell sei kein faires Verfahren zu erwarten.45 Evangelikale dürften sich angesichts der scheinbaren Überlegenheit des liberalen Establishments nicht einfach zurückziehen. Vielmehr seien CWA-Mitglieder gefordert, neben Gebeten und Spenden auch politisch aktiv zu werden. Es gelte, sich den Vorstößen der immer selbstbewussteren Aktivist:innen der Schwulen- und Lesbenbewegung entgegenzustellen und der eigenen Entrechtung Einhalt zu gebieten.46 Der Prozess diente LaHaye und CWA also nicht nur dazu, ihre Ablehnung des Sorgerechts für Homosexuelle zu artikulieren; sie nutzten den Gerichtssaal auch als Bühne, um eine größere Verfolgungs- und Unterdrückungserzählung zu inszenieren. Richterin McConnell, die mehrere Morddrohungen erhielt, wurde diffamiert und die Unabhängigkeit der Justiz in Frage gestellt.47

LaHaye war, wie wir gesehen haben, an vorderster Front im Kampf gegen Formen des Begehrens und des Sexes aktiv, die aus ihrer Sicht unerwünscht waren und die sie als Bedrohung empfand. Gleichzeitig versuchte sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Tim christliche – immer als straight gedachte – Sexualität positiv aufzuladen.48 In ihrem 1976 erstmals erschienenen Ratgeber »The Act of Marriage. The Beauty of Sexual Love« widmeten sich die LaHayes dem titelgebenden Akt – ehelichem Sex. Das Ehepaar LaHaye, welches sich bereits in der Lebensberatungsszene einen Namen gemacht hatte, formulierte Ratschläge für ein erfülltes Sexualleben in der Ehe und strebte danach, straightes Begehren als zentrale Identitätskategorie zu etablieren. Ihre Erfahrung, so die LaHayes, habe ihnen gezeigt, dass viele Paare ihr gottgegebenes und gottgewolltes sexuelles Potential nicht ausschöpften. Großen Stellenwert legten sie auf den weiblichen Orgasmus und die gegenseitige sexuelle Erfüllung der Eheleute. Evangelikale würden, mit etwas Hilfe, mehr sexuelle Lust empfinden können, so der Ratgeber.49

Ein Bestseller über Jahrzehnte:
Beverly und Tim LaHaye, The Act of Marriage.
The Beauty of Sexual Love, Grand Rapids 1976,
hier die dritte Auflage aus demselben Jahr.
Unter dem Titel »Wie schön ist es mit dir.
Das Intimleben in der Ehe« war ab 1979
auch eine deutsche Übersetzung erhältlich,
die ebenfalls zahlreiche Auflagen hatte.

Das technisch gehaltene und reichlich mit Bibelzitaten bestückte Werk war also keine bloße Reaktion auf die Umwälzung der sexuellen Normen seit den 1960er-Jahren.50 Vielmehr erschien es im Kontext ähnlicher Bücher, wie Marabel Morgans »The Total Woman« (1973), als ein Versuch der LaHayes, eine positive Form von Sexualität für evangelikale Paare zu entwickeln.51 Solche Ratgeber wehrten sich gegen die Fremdzuschreibung durch liberale Medien, Christinnen und Christen seien frigide, prüde oder unaufgeklärt. Stattdessen entwarfen die LaHayes ein positives, identitätsstiftendes Bild von ehelichem Sex und sexuell erfüllter Ehe. Christinnen und Christen, so ihr Argument, hätten seit jeher den erfüllendsten Sex, und insbesondere christliche Frauen würden mehr Orgasmen erleben als nicht-christliche – vier- bis sechstausend »ekstatische Erlebnisse« im Verlauf einer 50-jährigen Ehe, wie die LaHayes vorrechneten.52

Sexuelle Lust stellte dabei keinen Selbstzweck dar, sondern bot verheirateten Paaren einen Weg, Gott näher zu kommen. Die LaHayes reihten sich damit in eine theologische Schule ein, die sich für lustvollen und schamfreien Sex ohne schlechtes Gewissen in der Ehe stark machte. Der Religionswissenschaftler Peter Gardella hat gezeigt, das Evangelikale Sex zunehmend als göttliches Geschenk verstanden, das bereits vor dem Sündenfall existiert habe.53 Folglich war eheliche Sexualität, wie die LaHayes betonten, weder anstößig noch schamhaft. Gardella weist auf die Ähnlichkeit der körperlichen Dimension von Konversion und Orgasmus hin. In beiden Momenten spiele die Durchlässigkeit des Körpers eine zentrale Rolle.54 Im evangelikalen Verständnis sollten Gläubige ihren Körper offen oder penetrierbar halten, um sich Gott so annähern zu können. Gott trat durch den Act of Marriage ins eheliche Leben. Straighter Sex und, in Konsequenz, Schwangerschaft und Kinder seien ein Weg, um Zeugnis über den eigenen Glauben abzulegen. Wenn wir berücksichtigen, dass die evangelikale Identität auf einem Nahverhältnis zu Gott fußt, wird deutlich, welch zentrale Identitätskategorien ehelicher Sex und straightes Begehren sind.55 Die Religionswissenschaftlerin Amy DeRogatis beschreibt die identitätsstiftende Funktion von ehelichem Sex und von Debatten darüber folgendermaßen: »Talking about sexuality allows evangelicals to carve an identity for themselves that sets them apart from secular American culture, even as they fervently embrace many aspects of that same culture.«56

Für die LaHayes war die sexuelle Revolution dafür verantwortlich, mit der falschen Vorstellung aufzuräumen, Sex sei schmutzig, böse oder allein zur Befriedigung männlicher Bedürfnisse da. Der Fokus auf den weiblichen Orgasmus, der Frauen zur Erfüllung ihres Frauseins verhelfen sollte, zieht sich durch den gesamten Ratgeber.57 Obwohl die sexuelle Revolution in den Augen der LaHayes somit auch positive Auswirkungen hatte, machten sie diese zugleich verantwortlich für »promiscuity without regard to consequences, conscience, or the commands of God«.58 Sie präsentierten ihren Ratgeber insofern als Gegenentwurf zu den Umwälzungen der sexuellen Normen seit den 1960er-Jahren. Sie sprachen und schrieben über sexuelles Begehren sowohl aus dieser oppositionellen Position heraus als auch aus der wissenden, Autorität verströmenden Position des evangelikalen Ehepaares. Dagmar Herzog betrachtet Evangelikale wie die LaHayes und die religiöse Rechte insgesamt daher als illegitime Kinder der sexuellen Revolution.59 Auf Letztere sprangen die LaHayes auf; sie eigneten sich sowohl sexualwissenschaftliches Wissen an als auch das offene Sprechen über Sex. Gleichzeitig blieb diese Aneignung partiell – der Widerstand gegen die sexuelle Revolution und ihre Vorläufer wie die Kinsey Reports (1948/53) gingen Hand in Hand mit der eigenen Positionierung als Außenseiter:innen.60 Evangelikale schärften, laut DeRogatis, durch das Sprechen über Sex ihr Verhältnis zur US-amerikanischen Gesamtgesellschaft: »American evangelicals talk a lot about sex and a lot about salvation. In the process, they are working through their relationship with American culture. This is an active engagement that sometimes takes the mode of resistance and other times accommodation. When talking, writing, and preaching about sex, American evangelicals define what makes them exceptional and also what makes them like everyone else.«61

Mit Hilfe von Ratgebern wie »The Act of Marriage« gelang es den LaHayes, ehelichen Sex als zentralen Bestandteil dieser politischen Identität zu etablieren. Anfang der 1990er-Jahre begannen LaHaye und CWA gemeinsam mit verbündeten Organisationen wie Focus on the Family außerdem verstärkt für Abstinenz vor der Ehe zu werben, unter anderem mit Wait for Me-Videos.62 Dieses Bemühen darf wiederum nicht als rein defensive Maßnahme missverstanden werden. Vielmehr sollte Jugendlichen mittels einer elaborierten Purity Culture eine eigenständige voreheliche Identität zur Verfügung gestellt werden, die auf Idealbildern kindlicher Reinheit fußt.63 Jugendliche leisten im Zuge von Bällen Schwüre, ihre Unschuld und Reinheit zu bewahren, während Väter Schutzversprechen abgeben und Purity Rings präsentieren. Diese Rituale werden bewusst als Gegengewicht zur vermeintlich promisken Mehrheitsgesellschaft inszeniert. In einem Leser:innenbrief von 1994 an das CWA-Magazin »Family Voice« beschreibt die 18-jährige Studentin Erica aus Virginia einen omnipräsenten Druck, sexuell aktiv zu werden. Ihr Versprechen, mit Sex bis zur Ehe zu warten, wolle sie trotzdem einhalten: »Teens and parents need to know abstinence is still a likely choice for teens. And, in my own life – dating and enjoying my social life – it has proven to be a smart choice and one that I can feel good about!«64 Manche von Ericas Mitstreiter:innen gingen sogar soweit, sich als Teil einer neuen, auf Abstinenz fußenden sexuellen Revolution zu verstehen.65 Zahlreiche Forscher:innen haben auf die Verhärtung patriarchaler Strukturen hingewiesen, die diese Subkultur vorantreibt.66

Voreheliche Abstinenz und ehelicher Sex speisen sich gleichermaßen aus der Abgrenzung vom liberalen und »biblischen« Feminismus sowie der Ablehnung von Homosexualität. Beides war laut LaHaye für den vermeintlichen Zerfall von Familien wie den Bateys und der Gesellschaft insgesamt verantwortlich. Die persönlichen Erfahrungen von LaHaye und ihren Mitstreiter:innen mit einem vermeintlich unterdrückerischen, liberalen Mainstream, der offen mit Sex und Begehren umging, sollte politisches Bewusstsein generieren. Sie nahmen eine doppelte Marginalisierungserfahrung als Frauen und als Konservative für sich in Anspruch, aus der sie eine oppositionelle Widerständigkeit ableiteten, um gegen Homosexuelle und deren »perverse Praktiken« zu kämpfen. Aids/HIV verschob die Koordinaten in diesem Kampf auf mehrfache Weise. Die Krankheit erhöhte die Stigmatisierung vor allem schwuler Männer und ließ sie als existenzielle gesellschaftliche Bedrohung erscheinen. Zugleich trug Aids/HIV zur Mobilisierung einer emanzipatorischen Identitätspolitik der Gay Community bei, die sich offensiv gegen eine solche Stigmatisierung zur Wehr setzte.

3. Emanzipatorische Identitätspolitik: ACT UP

1987, also in dem Jahr, als der Konflikt um Brian Batey eskalierte, gründete sich die AIDS Coalition to Unleash Power, kurz: ACT UP, aus der drei Jahre später auch die Queer Nation hervorging. 1987 waren in den USA bereits über 20.000 Menschen an den Folgen des HI-Virus verstorben. Wenige Jahre nach Gründung der ersten Ortsgruppe in New York hatten sich landesweit bereits mehr als 50 weitere Gruppen gebildet. Der politische Protest von ACT UP richtete sich unter anderem auf die Reform des Gesundheitswesens, auf verbesserte sexuelle Aufklärung und gegen Diskriminierung in Bezug auf Wohnrechte. In den 1990er-Jahren wurde auch die eskalierende HIV/Aids-Krise im Globalen Süden zu einem Schwerpunkt von ACT UP.67 Larry Kramer, Mitbegründer von ACT UP, sagte rückblickend: »From the day I read the July 1981 New York Times article titled ›Rare Cancer Seen in 41 Homosexuals‹ I just knew that no one was going to do anything to respond.«68 Denn die HIV/Aids-Krise nährte in den 1980er-Jahren eine bereits etablierte Feindseligkeit gegenüber Schwulen und versetzte den Errungenschaften der Schwulen- und Lesbenbewegung der vorangegangenen Dekaden zunächst einen Rückschlag. Auch die hart erkämpfte positive Selbstwahrnehmung, welche für den queeren politischen Aktivismus wichtig war, Gay Pride sowie das dafür elementare positive Verhältnis zum eigenen Körper und zur Sexualität, wurden nun in Frage gestellt.69 Durch HIV/Aids wurde Schwulsein, in den Worten der Schriftstellerin Susan Sontag, zu einer spoiled identity.70 Im Folgenden erörtern wir, wie sich die identitätspolitischen Kämpfe um Sex sowie um gesellschaftliche und politische Teilhabe im Zuge der HIV/Aids-Krise intensivierten. Dabei konzentrieren wir uns auf schwulen Sex, der im öffentlichen Fokus stand.71

Die bisherige Forschung knüpft bisweilen an identitätspolitische Fragen an, vernachlässigt jedoch die Bedeutung des Kampfes um demokratische Teilhabe, der im Feld des Sexes ausgefochten wurde. Der schwule und lesbische HIV/Aids-Aktivismus macht deutlich, wie Identitätspolitik darauf abzielte, Unterdrückungsstrukturen aufzudecken, Selbstermächtigung zu fördern sowie gesellschaftliche und politische Teilhabe zu erlangen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erreichte die Heteronormativität der US-amerikanischen Gesellschaft eine bis dahin wohl ungekannte politische Intensität, was queere US-Amerikaner:innen mehr denn je stigmatisierte. Wie die Historikerin Margot Canaday argumentiert, wurde deren Ausschluss von gesellschaftlicher Teilhabe, staatlichen Institutionen und demokratischen Prozessen mittels der Konstruktion einer dezidiert homosexuellen Identität begründet. Queere Personen wurden gezielt vom Militär und vom öffentlichen Dienst ausgegrenzt, als vermeintlich subversive Elemente politisch verfolgt und innerhalb der bestehenden Sozialhilfestrukturen diskriminiert.72 Bereits in den späten 1960er-Jahren prägte das Gay Liberation Movement eine emanzipatorische Identitätspolitik, die im Kontext der HIV/Aids-Krise der 1980er-Jahre und der mit ihr verbundenen zunehmenden Stigmatisierung und Pathologisierung besondere Relevanz erlangte. Wir möchten hier zeigen, wie ACT UP emanzipatorische Identitätspolitik betrieb, um der noch einmal vermehrten Diskriminierung und Exklusion schwuler Männer im Zuge der Aids-Krise zu begegnen. Diese Männer kämpften fortan offensiv darum, als Akteure mit einer selbstdefinierten Identität im demokratischen Prozess auftreten zu können.

Vor allem schwule Männer rückten in den 1980er-Jahren verstärkt in den Fokus einer reaktionären Körperpolitik. So sprach Cal Thomas, Mitglied der 1979 gegründeten, christlich-konservativen Moral Majority, in seinem Radioprogramm vom »verunreinigten Blut« schwuler Männer, welches Unschuldige umbringe. Sein Fazit: Wie könne man noch sagen, dass Schwule niemandem schadeten? Es sei an der Zeit, diesen Menschen, die seiner Ansicht nach perversen Praktiken nachgingen, keinen Schutz mehr zu bieten.73 Zuvor hatte er Homosexualität bereits als »lebensbedrohlich« deklariert und Schwule mit Pest-Ratten verglichen.74 Zusätzlich wurden diffamierende Diskurse rund um Queerness rational-wissenschaftlich gerahmt, um diskriminierende Haltungen und teils gewaltvolle Praktiken gegenüber queeren Menschen so zu legitimieren. Schwulsein und Queerness waren bereits vor der HIV/Aids-Pandemie für die Mehrheit der Gesellschaft etwas im besten Falle »Fremdes«, im schlimmsten Falle »Abartiges« und moralisch Verwerfliches. Mit dem Aufkommen der HIV/Aids-Pandemie und der Verbindung der Krankheit mit schwulen Männern, mit deren Sexualität und Körpern verschränkten sich religiös-moralische und medizinisch-pathologische Vorstellungen. Betroffene und die Aktivist:innen von ACT UP waren sich dieser Verquickung bewusst – und dass sie zu einer Apathie der Politik und weiter Teile der Gesellschaft führte.75 Gerade dieser Umstand legte es für ACT UP nahe, identitätspolitisch vorzugehen, um so die mehrfache Viktimisierung betroffener Personen durch Desinteresse, Diskriminierung und das Sterben an HIV/Aids hervorzuheben.

Dabei konnten die Aktivist:innen auf eine lange Tradition von Protest und Widerstand zurückblicken. Besonders die Gay Liberation Movements der 1960er- und 1970er-Jahre dienten ihnen als Vorlage. Denn schon vor den Stonewall-Protesten im Jahr 1969 hatten queere Menschen begonnen, die Strategien der homophilen Bewegung abzulegen, die noch auf Respektabilität abgezielt hatten. Die von Frank Kameny und der Mattachine Society verfolgte Strategie, Anstoß in einer straighten Gesellschaft zu vermeiden, wurde seitens einer neuen Generation von Aktivist:innen durch bewusste Konfrontation ersetzt. »Pride« wurde zum Schlagwort. Sich offen queer zu zeigen, war nicht nur ein Akt der Selbstverwirklichung, sondern auch des Widerstandes und der Befreiung aus der Unterdrückung. Die Idee, dass eine heteronormative Gesellschaft queere Menschen und deren Lebenswelten akzeptieren würde, wenn sich diese deren rigiden Normen fügten, war an der Realität der eisernen Standhaftigkeit von Homophobie und Heteronormativität gescheitert. Zwar war es um die Gay Liberation ebenso wie um andere Movements zu Beginn der 1980er-Jahre ruhiger geworden,76 doch deren »Geist« nahm während des HIV/Aids-Aktivismus dieser Dekade eine neue Gestalt an. So hieß es auf ACT-UP-Flyern 1989: »IN THE SPIRIT OF THOSE WHO FOUGHT BACK AT STONEWALL… TAKE BACK THE STREETS! […] JOIN US TO COMBAT LESBIAN AND GAY INVISIBILITY. JOIN US TO FIGHT HOMOPHOBIA. JOIN US TO END THE AIDS CRISIS. JOIN US TO DECLARE OUR LIBERATION.«77

ACT UP verstand es, queere Identitäten, die von einer repressiven und diskriminierenden Politik statisch gedacht wurden und dem Ausschluss dienten, zum Werkzeug der Rebellion und des Widerstandes zu machen.78 Dabei bediente sich der Aktivismus von ACT UP einer prägnanten Bildsprache. Symbole der eigenen Diskriminierung, der US-amerikanischen Gesellschaft und der internationalen historischen Unterdrückung von Schwulen wurden ineinander verschränkt, gekonnt inszeniert und für die eigene Ermächtigung umgedeutet. Beispielhaft dafür steht der Rosa Winkel. Dieser wurde in nationalsozialistischen Konzentrationslagern eingesetzt, um schwule Inhaftierte zu kennzeichnen. Bereits in den 1970er-Jahren wurde der Rosa Winkel von der Schwulen- und Lesbenbewegung als umgewertetes Symbol genutzt. Im Kontext der HIV/Aids-Krise wurde er ab 1986 mit dem Slogan »Silence = Death« versehen und zu einer Art Markenzeichen von ACT UP.79

Rockville, 11. Oktober 1988: Protest von ACT UP
vor der Food and Drug Administration,
mit dem Slogan »SILENCE = DEATH« und
dem (umgekehrten) Rosa Winkel im Hintergrund
(picture-alliance/AP Images/J. Scott Applewhite)

Auch der eigene Körper und die eigene Sexualität wurden öffentlich präsentiert und inszeniert. So konterte ACT UP den reaktionären Diskurs, der Aids/HIV mit pejorativen Bildern schwuler Männer und ihrer Sexualität koppelte und diese als unmoralisch, gefährlich, krankhaft und nun krankmachend zeichnete. Aids fungierte in reaktionären Diskursen als Symbol des moralischen Verfalls der Gesellschaft allgemein ebenso wie der Agenten dieses Verfalls, nämlich schwuler Männer wie Frank Batey und ihrer sexuellen Praktiken. Der kranke, schwule Körper erschien als Gefahr für den nationalen Körper der US-amerikanischen Gesellschaft. Im Gegenzug verstanden es die Aktivist:innen, den eigenen Körper zur Bühne des Protests umzufunktionieren.80 Die Darbietungen führten zu Reaktionen in Öffentlichkeit und Politik, die nicht immer positiv waren, ACT UP aber die gewünschte Aufmerksamkeit brachten. Die Krise konnte nicht mehr ignoriert werden, wie Aktivist:innen auch selbst betonten: »Yes we are rude […,] direct action is rude. That’s what gets attention. With us there screaming at the top of our lungs, and getting on the front pages – that’s what these people respond to.«81 Zudem entblößten die öffentlichen Reaktionen (die Empörung, die Ablehnung, aber auch das Umdenken) die heterosexistische Struktur der Gesamtgesellschaft. Der identitätspolitische Aktivismus von ACT UP generierte eine Dynamik von Aktion und Reaktion, Selbstermächtigung und Ablehnung.

Dies zeigte sich zum Beispiel in den von ACT UP organisierten »kiss-ins«, bei denen der eigentlich unanstößige Akt des Küssens durch das Darstellen von gleichgeschlechtlicher Zuneigung provokativ wurde. Gleichzeitig diente das öffentliche Zurschaustellen körperlicher Zuneigung auch der Selbstbestätigung. Statt Begehren und Identität zu verstecken, wollte man die Gesamtgesellschaft durch Konfrontation zum Umdenken bewegen: »We kiss in an aggressive demonstration of affection. We kiss to protest the cruel and painful bigotry that affects the lives of lesbians and gay men. We kiss so that all who see us will be forced to confront their homophobia. We kiss to challenge repressive conventions that prohibit displays of love between persons of the same sex. We kiss as an affirmation of our feelings, our desires, ourselves.«82

Die Aktivist:innen von ACT UP waren sich dabei ihres provozierenden Potentials bewusst, das sie wie in einer Theaterinszenierung einsetzten. In den ebenfalls von ACT UP inszenierten »die-ins« zeichneten Aktivist:innen Kreideumrisse toter Körper und legten sich, bevorzugt vor Gesundheitsbehörden, stellvertretend für die an Aids verstorbenen Menschen auf den Boden. Durch solche Aktionen generierten die Aktivist:innen nicht nur Aufmerksamkeit, sondern setzten gleichzeitig auch wirkmächtige Symbolsprache ein. Die Kreidezeichnungen von Silhouetten implizierten ein Morden durch die Behörden. Während das Küssen als lebensbejahender Akt der Zuneigung queere Identität zelebrierte, wurde hier auch die harsche Realität der HIV/Aids-Epidemie vorgeführt. Das herausfordernde Darstellen queerer Identität war mehr als ein Mittel, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Beide Inszenierungen, das Küssen wie das Sterben, zeigten im öffentlichen Raum, dass man sich nicht mehr durch eine von außen auferlegte Scham beeinträchtigen ließ. In diesem Sinne schrieb der Soziologe Joshua Gamson schon 1989 über die Aktivist:innen: »They were, in effect, their own audience, performing for themselves and making others perform for them.«83

Kritische Stimmen innerhalb der Schwulen- und Lesbenbewegung befürchteten, dass durch laute und provozierende Proteste, harsche Kritik an traditionsreichen und mächtigen Institutionen sowie das öffentliche Zeigen queerer Sexualität und queerer Körper homophobe Haltungen bestärkt werden könnten. So kam es 1989 nach einer Pride Parade in Provincetown, Mass., bei der ein Teilnehmer ein Plakat mit den Aufschriften »legalize butt fucking« und »legalize clit licking« zur Schau stellte, zu einem wochenlangen Konflikt zwischen ACT UP, der lokalen Schwulen- und Lesbenszene – die sich für das provokante Plakat entschuldigte – und der Stadt. Kritiker:innen monierten, das Plakat habe die Beziehung zwischen Hetero- und Homosexuellen zurückgeworfen. Provincetowns Polizeipräsident sah die gesamte Parade als einen Versuch, die anwesenden Polizeibeamten zu provozieren: »[…] when you take the signs, the chanting, and the threat of violence together, it was an act of defiance.«84 ACT UP zeigte sich enttäuscht und verärgert von der fehlenden Unterstützung durch die lokale Schwulen- und Lesbenszene und kritisierte die Aussage des Polizeipräsidenten als unterschwellige Gewaltandrohung. Doch zugleich hielt die Gruppe an ihren Methoden fest: »Let the chief of police – and everyone else who prefers only silent, respectful candlelight vigils – know one fact: We will not be silent, now or at any time in the future. Activism is a legitimate expression of any struggle for civil rights. Attempts to suppress it only strengthen the cause.«85

Zudem monierten Kritiker:innen von ACT UP, dass die Aktivist:innen der Krankheit eine überwältigende identitätsformierende Kraft zubilligten. In diesem Sinne schrieb eine verärgerte Journalistin nach einem Protest von ACT UP während der Eröffnung einer Fotogalerie zur Schwulen- und Lesbengeschichte und zur Würdigung des Pride Month: »[They’re] not allowing us one evening of pride without hateful screaming or the constant sad reminders of a disease no gay man or woman can ever forget. We remember when there used to be joy in being gay, too.«86 Dagegen schrieb ein Mitglied von ACT UP in einem offenen Brief eindrücklich, warum sich queere Identitätspolitik innerhalb des HIV/Aids-Aktivismus aus genau jenen Diskriminierungserfahrungen herleite, die nun offengelegt und angeprangert wurden: »Because, ACT UP, we are not AIDS activists who happen to be queer; we are AIDS activists because we are queer: because after being despised all our lives for being dykes and faggots, we now have AIDS, which either kills us or leaves us to face a straight world that blames us for this disease and tries harder than ever to slam us back into the closet. To survive, to save our queer lives, love is not enough; we must be ›united in anger,‹ we must feel and use our rage.«87

Der Aktivismus von ACT UP hatte stets den Anspruch, auch die weiterführenden Konsequenzen einer, wie die Aktivist:innen argumentierten, durch Homophobie bedingten apathischen Gesundheitspolitik anzuprangern. Der Unwille der Behörden, über Sex zu sprechen – womöglich gar über schwulen Sex –, führte zum einen dazu, dass eine öffentliche Aufklärung über Safe Sex im Kontext von HIV/Aids nur schleppend voranging oder gar verboten wurde.88 Dies betraf nicht allein schwule Männer, sondern jede sexuell aktive Person. Die Informationsbroschüren von ACT UP betonten immer wieder die Notwendigkeit der Aufklärung für alle: »WE DEMAND: Safer sex information for everyone; gay, lesbian and straight! […] Educate, don’t isolate!«89 Die von ACT UP eigens gegründete Jugendinitiative Youth Education Life Line, kurz Y.E.L.L., nahm sich der HIV/Aids-Aufklärung und der Thematisierung von queerem Sex in Klassenräumen an. Die Forderung, dass Sexualkundeunterricht das gesamte Spektrum sexueller Aktivität thematisieren sollte, also auch Oral- und Analverkehr, sorgte für Aufruhr. Ein New Yorker Anwalt nannte die Aktion »Werbung für Sodomie«.90 Dies ist nur ein Beispiel für die vielen homophoben Reaktionen auf die Initiativen von Y.E.L.L. Es war deutlich einfacher, über Safer Sex innerhalb der queeren Gemeinschaften aufzuklären, als den Sexualkundeunterricht in US-amerikanischen Schulen zu reformieren. Beverly LaHaye und CWA traten etwa für glaubensbasierten Sexualkundeunterricht ein oder forderten, dass Aufklärung nur noch durch Eltern stattfinden dürfe. In der queeren Gemeinschaft bestärkte die HIV/Aids-Krise das offene Sprechen über sichere sexuelle Praktiken. Es bestanden keine Hemmungen, Kondome und Gleitmittel zu empfehlen oder über Körperflüssigkeiten und sexuelle Praktiken zu diskutieren: »Avoid getting cum and precum into your body. In oral sex […] never let him cum in your mouth. […] When that handsom [sic] devil fucks you or you fuck him make sure you both use condoms […]. Don’t use oil based lubricants they make the rubbers break. Use water based lubes. Don’t use spit!!!!!«91

Einerseits zeigt sich hier, wie auch bei LaHaye und ihren Mitstreiter:innen, welch ein wichtiger Identitätsfaktor Sex ist. Andererseits wurden sexuelle Akte zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren, vor allem schwulen Männern, also Oral- und Analverkehr, in hegemonialen Diskursen mehr denn je als perverse, unnatürliche und schädliche Praktiken gerahmt. Im Gegensatz dazu stand der göttliche, erfüllende und reine heterosexuelle Geschlechtsverkehr durch vaginale Penetration. Diese Ansicht ließ sich nicht nur in religiös geprägten Diskursen finden. Auch in wissenschaftsnahen Kontexten wurde heterosexueller Geschlechtsverkehr als die gesunde Alternative zu schwulem Sex dargestellt. 1985 veröffentlichte das populärwissenschaftliche Magazin »Discover« einen Artikel mit dem Titel »AIDS: The Latest Scientific Facts«.92 Der Autor John Langone sprach dort von der »robusten Vagina« und kontrastierte diese mit dem »ungeschützten Anus« und der »fragilen Harnröhre« des Penis. Die These lautete, dass die Vagina einen natürlichen Schutz gegen das HI-Virus habe – immerhin sei die Zusammensetzung ihrer Innenwände auf das Trauma von Penetration und Geburt eingestellt. Das Virus habe keine Chance, die starken Wände der Vagina zu durchdringen. Dagegen seien Anus und Harnröhre gegen diesen Eindringling nicht gewappnet, eine Infektion sei daher viel wahrscheinlicher. »AIDS isn’t a threat to the vast majority of heterosexuals […]. It is now – and is likely to remain – largely the fatal price one can pay for anal intercourse«, schrieb Lagone.93

Neben der Falschinformation zum Infektionsgeschehen durch HIV offenbarten die Konzeptualisierungen von heterosexuellem (vaginalem) und schwulem (analem) Sex binäre Vorstellungen von sexuellen Praktiken. Auch sich selbst als heterosexuell verstehende Menschen praktizierten Analverkehr, darauf hatten schon die Kinsey Reports verwiesen. Allerdings wurden diese Praktiken rhetorisch in die marginalisierte Welt schwuler Männer verbannt, was zur Illusion von Sicherheit für die heteronormative Gesamtgesellschaft beitrug. Wie von vielen ACT UP-Aktivist:innen proklamiert, stellten eben diese Haltungen, die sich im Diskurs über Sex offenbarten, auch den Ankerpunkt für die gesellschaftliche und politische Gleichgültigkeit gegenüber der HIV/Aids-Pandemie dar. Vito Russo, Mitbegründer von ACT UP, thematisierte dies eindrücklich: »It’s not happening to us in the United States, it’s happening to them – to the disposable populations of fags and junkies who deserve what they get. The media tells them that they don’t have to care, because the people who really matter are not in danger. Twice, three times, four times – The New York Times has published editorials saying, don’t panic yet, over AIDS – it still hasn’t entered the general population, and until it does, we don’t have to give a shit.«94

Russo betonte erneut den Einfluss homophober, heterosexistischer Einstellungen auf die Wahrnehmung von HIV/Aids und somit auch auf die Apathie von Politik und Gesellschaft. Weiterhin sprach er an, dass diese Apathie sich auf weitere marginalisierte Gruppen ausbreite, etwa Drogenabhängige. Wie auch bei der Forderung nach umgreifender sexueller Aufklärung im Schulunterricht und im öffentlichen Raum erweist sich hier ein wichtiger Aspekt des identitätspolitischen Aktivismus von ACT UP: das Aufzeigen des Ineinandergreifens verschiedener Unterdrückungserfahrungen im Kontext der HIV/Aids-Krise. Neben dem Sex spielten auch Klasse, Geschlecht und Race eine Rolle. ACT UP entstand unbestreitbar aus einem Impuls der queeren Gemeinschaft (alle drei Gründer waren schwul) und stellte sich in den Protesten als eine Bewegung dar, die aus einer tradierten schwulen und lesbischen Identität heraus geprägt sei. Doch legte der Aktivismus von ACT UP auch immer wieder das gesellschaftliche Grundproblem der Marginalisierung verschiedener Gruppen und deren Vulnerabilität offen. So wurden auf der 1989 kreierten Aids-Flagge die roten Streifen der US-amerikanischen Flagge durch folgenden rot geschriebenen Text ersetzt: »OUR GOVERNMENT CONTINUES TO IGNORE THE LIVES, DEATH AND SUFFERING OF PEOPLE WITH HIV INFECTION BECAUSE THEY ARE GAY, BLACK, HISPANIC OR POOR. BY JULY 4, 1989 OVER 55 THOUSAND WILL BE DEAD. TAKE DIRECT ACTION NOW. FIGHT BACK. FIGHT AIDS.«

Adaption der US-amerikanischen Flagge durch ACT UP, 1989
(The New York Public Library, Manuscripts and Archives Division,
ACT UP New York Records,
URL: <https://digitalcollections.nypl.org/items/510d47e3-5f5e-a3d9-e040-e00a18064a99>)

Das Star-Spangled Banner, eines der wichtigsten Symbole der Vereinigten Staaten, wurde hier explizit zu einer Illustration der Ignoranz gegenüber der HIV/Aids-Krise. Diese Protestform benannte nicht nur die Opfer, sondern auch den Grund für deren Viktimisierung. Da die Hauptbetroffenen von HIV/Aids »schwul, Schwarz, hispanisch oder arm« seien, missachte die Regierung ihr Sterben und Leiden. Die Flagge prangerte an, dass marginalisierte Gruppen bewusst ignoriert würden. Der 4. Juli, also der Unabhängigkeitstag der Vereinigten Staaten und einer der höchsten Feiertage der Nation, wurde als Stichtag der zu erwartenden Todeszahlen gesetzt. Statt einer patriotischen Zelebrierung der USA durch das Star-Spangled Banner beklagte die Aids-Flagge die Indifferenz gegenüber dem Sterben von Tausenden Menschen.

Eine weitere Variante der US-Flagge: Demonstration einer ACT UP-Gruppe gemeinsam mit Haitianer:innen in New York, 8. März 1993. Der Protest richtete sich gegen die Inhaftierung von Aids-infizierten haitianischen Flüchtlingen in Guantanamo und hatte somit eine doppelte demokratiepolitische Stoßrichtung.
(picture-alliance/Associated Press/Andrew Savulich)

ACT UP verdeutlicht vielfältige Wirkungsweisen von »Identität« im politischen Aktivismus. Sie kann als exkludierender Faktor operieren, gruppeninterne Unterdrückungserfahrung betonen oder als Schnittpunkt zwischen verschiedenen Erfahrungswelten dienen, somit Koalitionen hervorbringen und gesamtgesellschaftliche strukturelle Missstände aufdecken. Der Erfolg von ACT UP basierte auf der Möglichkeit, Menschen mit verschiedenen ökonomischen, sozio-kulturellen und ethnischen Hintergründen unter dem Schirm schwuler, lesbischer und queerer Identität vereint zu mobilisieren. Auch ACT UP war nicht frei von rassistischen, klassistischen und sexistischen Dynamiken, welche immer wieder zu internen Konflikten führten und einer stetigen Aushandlung bedurften.95 Zugleich aber wäre es unzutreffend, den identitätspolitischen Aktivismus von ACT UP bloß als partikularisierend einzuschätzen. Vielmehr fungierte dieser als eine Mobilisierungsmöglichkeit, die auf weitere strukturell bedingte Unterdrückungserfahrungen innerhalb der Gesellschaft hinwies. Der an emanzipatorische Identitätspolitik häufig gerichtete Vorwurf, sie sei ausgrenzend, exklusiv und spaltend, greift hier also nicht.96 Stattdessen zeigte ACT UP eine universelle Vision von sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Teilhabe, die Beverly LaHaye, CWA und den Verfechter:innen einer reaktionär-hegemonialen Identitätspolitik fremd war.97

4. Ausblick

Wie zu sehen war, ist Identitätspolitik nicht erst im Jahr 2016 mit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten zu einer Politikform geworden, derer sich auch reaktionär-hegemoniale Kräfte bedienen. Die historischen Spuren reichen weiter zurück. Sie verdichten sich in den 1970er- und 1980er-Jahren, als sich identity als Signifikant profilierte, der eine gesellschaftliche und politische Positionierung von Individuen und Gruppen an deren vermeintliche Wesenhaftigkeit koppelt. Zugleich allerdings konnte Identität zu einem Instrument werden, um genau diesen Mechanismus, die damit verbundenen Einteilungen und Machtgefälle zum Gegenstand politischer Kämpfe zu machen und aufzubrechen.

Am Beispiel der Auseinandersetzungen um Sex haben wir gezeigt, wie emanzipatorische, aber auch hegemonial-reaktionäre Gruppen Politiken betrieben, die um ihr Begehren, ihre sexuellen Praktiken sowie ihren damit verbundenen Platz im gesellschaftlichen Machtgefüge kreisten. Dabei speiste sich der identitätspolitische Aktivismus von ACT UP aus einer langen Geschichte von Unterdrückungserfahrungen. Ganz so wie es die Frauen des Combahee River Collective 1977 formuliert hatten, wurden Unterdrückungserfahrungen und ein Mangel an Anerkennung zum Motor politischen Engagements. Körper, Sex und Identitätspolitik wurden zu Instrumenten, um diese Unterdrückungserfahrungen in Alltag und Politik zu bekämpfen und zu überwinden. Differenzen sollten dabei anerkannt werden, statt sie aufheben zu wollen. Die Aktivist:innen von ACT UP strebten nicht nach gesellschaftlicher Hegemonie, sondern danach, als »levelly human« respektiert zu werden und gleichberechtigt an Gesellschaft teilhaben zu können, was emanzipatorische grundsätzlich von hegemonialer Identitätspolitik unterscheidet.98 Vertreter:innen der christlichen Rechten hingegen, wie Beverly LaHaye und die Concerned Women for America, waren angesichts zunehmend dynamischer schwul-lesbischer und feministischer Bewegungen eben »beunruhigt« (concerned). Sie fürchteten Einbußen oder gar den Verlust der gesellschaftspolitischen Hegemonie von geschlechtlich und sexuell konservativen Gruppen und Positionen. Sie sahen sich in ihrer Identität, ihrer Lebensweise, ihrer gesellschaftlichen Position bedroht und beschrieben sich als zunehmend unterdrückt. Als Queerness im Laufe der 1980er-Jahre mit der HIV/Aids-Epidemie verschränkt wurde, erschien die Bedrohung umso größer und existenzieller.

In jüngster Zeit ist eine solche Bedrohungs- und Unterdrückungsempfindung in weiten Teilen des straighten Amerika angesichts einer zunehmend diversen Gesellschaft, in der auch queere Menschen immer erfolgreicher für ihre Sichtbarkeit, Anerkennung und Teilhabe einstehen, wieder deutlicher artikuliert worden. Sie dient als Ankerpunkt einer geschlechterkonservativen und zugleich gesellschaftspolitisch gestaltenden Form von Identitätspolitik, die allen Lebens-, Liebens- und Begehrensformen jenseits der Heteronormativität die Anerkennung verweigert. Diese reaktionär-hegemoniale Identitätspolitik operiert in zunehmendem Maße wieder über das Gesetz, was noch einmal unterstreicht, dass es bei Identitätspolitik um mehr geht als um Befindlichkeiten.

Im Jahr 2024 sind in mehr als der Hälfte aller US-Bundesstaaten, meist im republikanisch dominierten »Heartland« der USA, Gesetze wie Floridas »Stop W.O.K.E. Act« in Kraft, die es verbieten, an Schulen oder Colleges über sexuelle Vielfalt, Transgender oder auch Critical Race Theory zu informieren.99 Letztere befasst sich mit der strukturellen Verankerung des Rassismus in der US-amerikanischen Gesellschaft. Die Diskussion darüber, so heißt es, diskriminiere weiße Amerikaner:innen. Anti-queere Diskurse und Politiken operieren vor allem über die Angst heterosexueller Eltern und besorgter Bürger:innen. Entsprechende Gesetze sollen vor einem Arsenal vermeintlicher Gefährdungen von pädophiler Gewalt über politische Indoktrinierung bis zu schuldbeladener Traumatisierung schützen, indem sie das Sprechen über Queerness in Schulen und an Colleges verbieten. Queere ebenso wie auch Schwarze Menschen, die Sichtbarkeit und gesellschaftspolitische Veränderungen einfordern, sollen folglich wieder auf subalterne Positionen in der US-Gesellschaft verwiesen werden, indem sie von Diskursen und Politiken ausgeschlossen werden und es ihnen unmöglich gemacht wird, emanzipatorische Identitätspolitik zu betreiben.100


Anmerkungen:

1 Armin Nassehi, Schwarz und Weiß. Wer ist schuld am Rechtspopulismus?, in: Süddeutsche Zeitung, 13.12.2016, S. 11.

2 Wir benutzen straight zur Bezeichnung gegengeschlechtlichen Begehrens, das Teil einer normativen, immer auch politischen Ordnung ist und dabei historisch über »heterosexuell« hinausweist; siehe etwa <https://www.urbandictionary.com/define.php?term=Straight>.

4 Mark Lilla, The Shipwrecked Mind. On Political Reaction, New York 2016, S. ix-xxi; siehe auch Philipp Lepenies, Verbot und Verzicht. Politik aus dem Geiste des Unterlassens, Frankfurt a.M. 2022, S. 27f.

5 Jürgen Martschukat, Hegemoniale Identitätspolitik als »entscheidende Politikform« in den USA. Eine Geschichte der Gegenwart, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 68 (2018) H. 38-39, S. 12-17; Carolin Amlinger/Oliver Nachtwey, Gekränkte Freiheit. Aspekte des libertären Autoritarismus, Berlin 2022, S. 104. Ezra Klein, Why Weʼre Polarized, New York 2020 (dt.: Der tiefe Graben. Die Geschichte der gespaltenen Staaten von Amerika. Aus dem amerikanischen Englisch von Katrin Harlaß, Hamburg 2020), verweist ebenfalls auf eine hegemoniale Identitätspolitik. Unser Blick auf diese Politik geht teils in eine ähnliche, teils in eine andere Richtung als derjenige von Olúf́mi O. Táíwò, der eine elitäre Aneignung von Identitätspolitik betrachtet und den Einbezug von Klassendifferenzen in der Debatte einfordert; vgl. Olúf́mi O. Táíwò, Elite Capture. How the Powerful Took Over Identity Politics, Chicago 2022.

6 Andrew Hartman, The Culture Wars Are Dead. Long Live the Culture Wars!, in: Baffler 39 (2018).

7 The Combahee River Collective Statement, April 1977, URL: <https://www.blackpast.org/african-american-history/combahee-river-collective-statement-1977/>; Keeanga-Yamahtta Taylor (Hg.), How We Get Free. Black Feminism and the Combahee River Collective, Chicago 2017.

8 Patricia Purtschert, It’s #identity politics, stupid!, in: Geschichte der Gegenwart, 22.1.2017; Taylor, Introduction, in: dies., How We Get Free (Anm. 7), S. 1-14.

9 Jill Lepore, These Truths. A History of the United States, New York 2018, war eines der meistbesprochenen und durchaus kontrovers diskutierten historischen Bücher der letzten Jahre (dt.: Diese Wahrheiten. Eine Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika. Aus dem Englischen übersetzt von Werner Roller, München 2019). Zur intrinsischen Whiteness der Gesellschaft der Freien siehe Tyler Stovall, White Freedom. The Racial History of an Idea, Princeton 2021; zur Straightness Margot Canaday, The Straight State. Sexuality and Citizenship in Twentieth-Century America, Princeton 2011. Siehe in diesem Sinne auch Manisha Sinha/Penny Von Eschen, Contested Democracy. Freedom, Race, and Power in American History, New York 2007, als Resonanz auf das Werk Eric Foners und dessen Charakterisierung der US-amerikanischen Demokratie als unvollendet; Eric Foner, Reconstruction. Americaʼs Unfinished Revolution, 1863–1877, New York 1988.

10 Philipp Sarasin, 1977. Eine kurze Geschichte der Gegenwart, Berlin 2021, S. 232; zur Begriffsgeschichte von identity siehe auch Asad Haider, Identity. Words and Sequences, in: History of the Present 10 (2020), S. 237-255; Marie Moran, Identity and Identity Politics. A Cultural-Materialist History, in: Historical Materialism 26 (2018) H. 2, S. 21-45.

11 Joe Merton, »An Ethnic Presence in the White House?« Ethnicity, Identity Politics, and the Presidency in the 1970s, in: Presidential Studies Quarterly 50 (2020), S. 418-435; Daniel S. Lucks, Reconsidering Reagan. Racism, Republicans, and the Road to Trump, Boston 2020; Symposium on Backlash Politics in Comparison, in: British Journal of Politics and International Relations 22 (2020), S. 563-752.

12 Chandra Talpade Mohanty, On Race and Voice. Challenges for Liberal Education in the 1990s, in: Cultural Critique 14 (1989/90), S. 179-208, hier S. 204; Joan W. Scott, Multiculturalism and the Politics of Identity, in: October 61 (1992), S. 12-19.

13 Svenja Goltermann, Opfer. Die Wahrnehmung von Krieg und Gewalt in der Moderne, Berlin 2017, S. 171-246; für eine frühe Kritik an Identitätspolitik als Perpetuierung einer Opferposition vgl. Wendy Brown, Wounded Attachments, in: Political Theory 21 (1993), S. 390-410.

14 Die Rede vom »Opfercontest«, der emanzipatorischer Identitätspolitik häufig zugeschrieben wird, übersieht gern die Opferdynamik reaktionär-hegemonialer Politik; vgl. Lea Susemichel/Jens Kastner, Identitätspolitiken. Konzepte und Kritiken in Geschichte und Gegenwart der Linken, Münster 2018, S. 131f.

15 Wir sprechen hier von »Sex« und nicht etwa von »Sexualität«, da »Sex« als Begriff weniger spezifisch ist und ein ganzes Dispositiv aus Praktiken, Diskursen, Institutionen etc. bezeichnet. Wir bevorzugen »Sex« gegenüber »Sexualität«, weil Letztere die moderne Vorstellung sexueller Identitäten impliziert, die dazu beigetragen hat, genau diejenigen Ein- und Ausschlüsse hervorzubringen, gegen die eine emanzipatorische Identitätspolitik ankämpft. Auch wenn wir uns hier auf das Feld des Sexes konzentrieren, wissen wir um die Intersektionalität der Kategorien und Machtverhältnisse, die bereits das Combahee River Collective betont hat.

16 Dagmar Comtesse u.a., Einleitung, in: dies. (Hg.), Radikale Demokratietheorie. Ein Handbuch, Berlin 2019, S. 11-26, hier S. 11, S. 14 (dortige Hervorhebung); mit Blick auf die US-Geschichte und Rassismus siehe Sinha/Von Eschen, Contested Democracy (Anm. 9).

17 Karsten Schubert/Helge Schwiertz, Konstruktivistische Identitätspolitik. Warum Demokratie partikulare Positionierung erfordert, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft 31 (2021), S. 565-593.

18 Michel Foucault, Sexualität und Wahrheit, Bd. 1: Der Wille zum Wissen. Übersetzt von Ulrich Raulff und Walter Seitter, Frankfurt a.M. 1983, S. 125 (frz. Erstausg. Paris 1976); siehe auch ders., Sexualität und Macht [1978], in: ders., Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits, Bd. III: 1976–1979, hg. von Daniel Defert und François Ewald unter Mitarbeit von Jacques Lagrange, Frankfurt a.M. 2003, S. 695-718.

19 Dagmar Herzog, Das illegitime Kind der sexuellen Revolution. Wie die religiöse Rechte in den USA mit Sex an die Macht gelangte, in: L’Homme Z.F.G. 18 (2007) H. 2, S. 105-122. Zu den Culture Wars siehe Joel Olson, Whiteness and the Polarization of American Politics, in: Political Research Quarterly 61 (2008), S. 704-718; Andrew Hartman, A War for the Soul of America. A History of the Culture Wars, Chicago 2016.

20 America’s most admired conservatives, in: Conservative Digest, April 1984, S. 38-39.

21 Vgl. Jeffrey Weeks, Sexuality, Chichester 1986, 2. Aufl. London 2003, S. 83; Christina B. Hanhardt, Queer History, in: American Historian 20 (2019), S. 18-23; Mollie Clarke, ›Queer‹ History: A History of Queer, in: National Archives Blog, 9.2.2021.

22 Gillian Frank, »The Civil Rights of Parents«. Race and Conservative Politics in Anita Bryant’s Campaign against Gay Rights in 1970s Florida, in: Journal of the History of Sexuality 22 (2013), S. 126-160; Donald T. Critchlow, Phyllis Schlafly and Grassroots Conservatism. A Woman’s Crusade, Princeton 2005; Emily Suzanne Johnson, This is Our Message. Women’s Leadership in the New Christian Right, New York 2019.

23 Ann Wharton, Women with soft voices have big clout, in: Moral Majority Report, November 1985, S. 16, Sara Diamond collection on the U.S. right, BANC MSS 98/70, The Bancroft Library, University of California, Berkeley, Box 8, Folder 18.

24 United Nations: Re-designing Women, in: Family Voice 17 (1995) H. 6, S. 1-15, BANC MSS 98/70, Box 8, Folder 24.

25 Does this liberal women’s organization represent you?, CWA Mailing, 1984, BANC MSS 98/70, Box 8, Folder 18.

26 Sally K. Gallagher, The Marginalization of Evangelical Feminism, in: Sociology of Religion 65 (2004), S. 215-237.

27 »[They] collapsed religious and political messages in order to advance a vision of conservative political activism as an essential component of Christian duty.« Johnson, This is Our Message (Anm. 22), S. 77. Siehe auch Kate Bowler, Preacherʼs Wife. The Precarious Power of Evangelical Women Celebrities, Princeton 2019; Beth Allison Barr, Making of Biblical Womanhood. How the Subjugation of Women Became Gospel Truth, Grand Rapids 2021; Manon Garcia, We Are Not Born Submissive. How Patriarchy Shapes Women’s Lives, Princeton 2021; R. Marie Griffith, God’s Daughters. Evangelical Women and the Power of Submission, Berkeley 1997.

28 How to Lobby from your Kitchen Table, CWA Folder, 1986, BANC MSS 98/70, Box 8, Folder 18; Mary T. Schmich, A Spokeslady of the Right. Beverly LaHaye Recruits Kitchen Table Lobbyists, in: Chicago Tribune, 23.6.1986; Linda Kintz, Kitchen Table Politics. The Folking of America, in: dies., Between Jesus and the Market. The Emotions that Matter in Right-wing America, Durham 1997, S. 77-110.

29 Anthea Butler, White Evangelical Racism. The Politics of Morality in America, Chapel Hill 2021; Kristin Kobes Du Mez, Jesus and John Wayne. How White Evangelicals Corrupted a Faith and Fractured a Nation, New York 2020.

30 Joane Nagel, Racial, Ethnic, and National Boundaries. Sexual Intersections and Symbolic Interactions, in: Symbolic Interaction 24 (2001), S. 123-139; Alison Lefkovitz, Men in the House. Race, Welfare, and the Regulation of Men’s Sexuality in the United States, 1961–1972, in: Journal of the History of Sexuality 20 (2011), S. 594-614.

31 Butler, White Evangelical Racism (Anm. 29), S. 138. Vgl. Björn Krondorfer, White Christian Nationalism. A Review Essay, in: theologie.geschichte. Zeitschrift für Theologie und Kulturgeschichte 18 (2023).

32 The Real Women’s Movement, panel with Phyllis Schlafly and Beverly LaHaye, Christian Coalition, Road to Victory, 11.9.1993, Paul M. Weyrich Scrapbooks, MSS 85568, Library of Congress, Box 24, Folder 4. Zur Rolle von Frauen im US-amerikanischen Konservatismus siehe Lisa McGirr, Suburban Warriors. The Origins of the New American Right, Princeton 2001; Michelle M. Nickerson, Mother of Conservatism. Women and the Postwar Right, Princeton 2014. Siehe auch Simon Wendt, The Daughters of the American Revolution and Patriotic Memory in the Twentieth Century, Gainesville 2020; Caroline E. Janney, Burying the Dead but not the Past. Ladies’ Memorial Associations and the Lost Cause, Chapel Hill 2008.

33 Leslie Dorrough Smith, Righteous Rhetoric. Sex, Speech, and the Politics of Concerned Women for America, New York 2014, S. 4.

34 The CWA Story 1979–1986, CWA Folder, 1986, BANC MSS 98/70, Box 8, Folder 18.

35 Homosexual Father in Noted Child Custody Battle Dies, in: Los Angeles Times, 27.6.1987.

36 Gross, Boy Ensnarled in Custody Dispute Returns to S.D., in: San Diego Union, 2.5.1984, B8.

37 Betty Lou Batey, a Fundamentalist Christian Whose Custody Battle..., in: upi.com, 22.5.1984.

38 Jenifer Warren, Gay Father’s Friend Wins Custody Battle, in: Los Angeles Times, 6.11.1987, S. 34.

39 Lover’s Right to Custody, in: Sojourner. The Women’s Forum 13 (1988) H. 5, S. 13; Gay Man Regains Custody of Son, in: Risking Federal Disapproval. A Country Journal for Gay Men Everywhere 13 (1986) H. 48, S. 7.

40 Dear Concerned Friend, CWA Mailing, Mai 1987, BANC MSS 98/70, Box 8, Folder 18. LaHaye stufte Nacktheit vor Kindern auch für heterosexuelle Paare als unpassendes Verhalten ein, das laut der Bibel verboten sei. Beverly und Tim LaHaye, The Act of Marriage. The Beauty of Sexual Love, Grand Rapids 1976, aktualisierte u. erweiterte Aufl. 1998, S. 366-369.

41 Smith, Righteous Rhetoric (Anm. 33), S. 11f.

42 Dear Friend, CWA Mailing, 24.8.1984, BANC MSS 98/70, Box 8, Folder 18.

43 Dear Concerned Friend (Anm. 40).

44 Women Firsts in San Diego, in: San Diego Magazine, 27.8.2019; San Diego judge Judith McConnell to receive ABA Margret Brent Award, in: American Bar Association, 6.8.2019.

45 Heute ist Lorence bei der Alliance Defending Freedom tätig, einer Organisation, die sich nach eigenen Angaben der Verteidigung der freien Meinungsäußerung, der Familie und Ehe sowie Elternrechten, religiöser Freiheit und der Unverletzlichkeit des Lebens verschrieben hat. Biography of Jordan Lorence, URL: <https://adflegal.org/profile/jordan-lorence/>; Jordan Lorence, Betty Batey loses bid to get custody of her son, in: Concerned Women for America 10 (1987/88) H. 1, S. 6-7, BANC MSS 78/90, Box 8, Folder 18.

46 Dear Friend (Anm. 42).

47 Joan Irion, Interview with Judith McConnell, Transkript von Patricia Valentine, California Appelate Court Legacy Project Fourth District, 2018, S. 12-13.

48 Amy DeRogatis, Saving Sex. Sexuality and Salvation in American Evangelicalism, New York 2014, S. 4.

49 LaHaye, The Act of Marriage (Anm. 40), S. 11-13.

50 Ebd., S. 108.

51 Marabel Morgan, The Total Woman, Grand Rapids 1973. Phyllis Schlafly lieferte lesehungrigen Katho­lik:innen ihren eigenen Ratgeber: The Power of the Positive Woman, New Rochelle 1977. Die LaHayes bezogen sich neben Morgan auch auf Herbert J. Miles, Sexual Happiness in Marriage. A Christian Interpretation of Sexual Adjustment in Marriage, Grand Rapids 1967, revised edition 1987.

52 LaHaye, The Act of Marriage (Anm. 40), S. 66.

53 Peter Gardella, Innocent Ecstasy. How Christianity Gave America an Ethic of Sexual Pleasure, New York 2016.

54 Ebd., S. 78.

55 Sophie Bjork-James, The Divine Institution. White Evangelicalismʼs Politics of the Family, New Bruns­wick 2021; Amy DeRogatis, »Born Again Is a Sexual Term«. Demons, STDs, and Godʼs Healing Sperm, in: Journal of the American Academy of Religion 77 (2009), S. 275-302. Siehe auch Marie R. Griffith, Born Again Bodies. Flesh and Spirit in American Christianity, Berkeley 2004.

56 DeRogatis, Saving Sex (Anm. 48), S. 156. Ein Strang der Forschung betont, dass in dieser Kultur die Erosion des Sozialstaates immer deutlicher spürbar wurde. Die Überhöhung ehelichen Sexes und die vehement pro-natalistische Haltung sowie die Zementierung der Geschlechterrollen – male headship und caring motherhood – können auch als komplementäre Kompensationsstrategien einer neoliberalen Politik verstanden werden. Bethany Moreton, Why Is There So Much Sex in Christian Conservatism and Why Do So Few Historians Care Anything about It?, in: Journal of Southern History 75 (2009), S. 717-738, hier S. 729.

57 LaHaye, The Act of Marriage (Anm. 40), S. 50.

58 Ebd., S. 53.

59 Herzog, Das illegitime Kind (Anm. 19), S. 114.

60 How Kinsey Deceived a Nation, in: Concerned Women for America 13 (1991) H. 1, S. 1, S. 16, BANC MSS 78/90, Box 8, Folder 21.

61 DeRogatis, Saving Sex (Anm. 48), S. 155. Dies., What Would Jesus Do? Sexuality and Salvation in Protestant Evangelical Sex Manuals, 1950s to the Present, in: Church History 74 (2005), S. 97-137; Axel R. Schäfer, Countercultural Conservatives. American Evangelicalism from the Postwar Revival to the New Christian Right, Madison 2011.

62 Hilde Løvdal Stephens, Family Matters. James Dobson and Focus on the Family’s Crusade for the Christian Home, Tuscaloosa 2019, S. 101; Richard Durfield, A Promise with a Ring to it. A Fatherʼs Unique Approach to Helping Teens to Wait till Marriage, in: Focus on the Family, April 1990, S. 2-4.

63 Sara Moslener, Virgin Nation. Sexual Purity and American Adolescence, New York 2015.

64 Erica, Dear CWA, in: Family Voice 16 (1994) H. 1, S. 15, BANC MSS 78/90, Box 8, Folder 23.

65 Moslener, Virgin Nation (Anm. 63), S. 118.

66 Breanne Fahs, Daddy’s Little Girls. On the Perils of Chastity Clubs, Purity Balls, and Ritualized Abstinence, in: Frontiers. A Journal of Women Studies 31 (2010) H. 3, S. 116-142; Elizabeth Gish, »Are You a ›Trashable‹ Styrofoam Cup?« Harm and Damage Rhetoric in the Contemporary American Sexual Purity Movement, in: Journal of Feminist Studies in Religion 34 (2018) H. 2, S. 5-22.

67 Siehe Marc Stein, Rethinking the Gay and Lesbian Movement, New York 2012, S. 189-191.

68 Zit. in: Kyle Turner, 12 People on Joining ACT UP, in: New York Times, 13.4.2020.

69 Siehe Elizabeth A. Armstrong, Forging Gay Identities. Organizing Sexuality in San Francisco, 1950–1994, Chicago 2002, S. 155.

70 Susan Sontag, AIDS and its Metaphors, New York 1988, S. 15.

71 Lesben hatten einen formenden Einfluss auf HIV/Aids-Aktivismus, waren im öffentlichen Diskurs aber meist unsichtbar. Diese Marginalisierung wurde zu einem der Schwerpunkte des lesbisch geführten Aktivismus. Auch trans und nicht-binäre Personen waren ein wichtiger Bestandteil des HIV/Aids-Aktivismus sowie in der Geschichte des LGBTQ+-Aktivismus allgemein. Siehe z.B. Ann Cvetkovich, An Archive of Feelings. Trauma, Sexuality, and Lesbian Public Cultures, Durham 2003; ACT UP New York Women & AIDS Book Group, Women, AIDS, and Activism, Boston 1990 (dt.: Frauen und Aids, Reinbek 1994); Sarah Schulman, Let the Record Show. A Political History of ACT UP New York, 1987–1993, New York 2021.

72 Siehe Margot Canaday, The Straight State. Sexuality and Citizenship in Twentieth-Century America, Princeton 2009, S. 1-4.

73 Cal Thomas, Moral Majority Radio Broadcast, 17.6.1985.

74 Ders., Moral Majority Radio Broadcast, 7.6.1985.

75 Armstrong, Forging Gay Identities (Anm. 69), S. 156f.

76 Stein, Rethinking (Anm. 67), S. 141.

77 ACT UP Flyer, Stonewall ʼ20 Gay Pride Rally, 1989. New York Public Library, Box 197, Akte 23.

78 Siehe Mary Bernstein, Identity Politics, in: Annual Review of Sociology 31 (2005), S. 47-74, hier S. 59, sowie auch Jane Mansbridge, Oppositional Consciousness. The Subjective Roots of Social Protest, Chicago 2001.

79 Hierzu siehe Stein, Rethinking (Anm. 67), S. 99, S. 158.

80 Siehe Joshua Gamson, Silence, Death, and the Invisible Enemy. AIDS Activism and Social Movement »Newness«, in: Social Problems 36 (1989), S. 351-367, hier S. 355f.

81 Frank Smithson; zit. in: Johanathan Mandell, Making a Scene, in: Newsday, 7.7.1989, S. 3-4.

82 ACT UP-Kampagne, READ MY LIPS. Why We Kiss. National Spring AIDS Action, 1988.

83 Gamson, AIDS Activism (Anm. 80), S. 355f.

84 Zit. in Andrew Miller, P-Town in Furor Over Pride March, in: OUT WEEK, 14.8.1989.

85 Ebd.

86 Kathleen Conkey, Disruptive Protest, in: Daily News, 14.6.1988.

87 David Robinson, Letter to ACT UP / NY, 2.7.1990. Lesbian Herstory Archives, New York, Ordner 48, ORGFIL0052-048.

88 Siehe Armstrong, Forging Gay Identities (Anm. 69), S. 157f.

89 ACT UP-Flyer, Safer Sex Works! – When We Work at it, o.D. [ca. 1989]. New York Public Library, Box 194, Akte 49.

90 Zit. auf ACT UP-Flyer, No More Business as Usual!, o.D. [ca. 1989]. New York Public Library, Mikrofilm Nr. 154, Box 195, Ordner 17.

91 ACT UP New Haven, Informationsbroschüre, o.D. [ca. 1990]. Lesbian Herstory Archives, Mikrofilm, ORGFIL0049.

92 Zit. und ausgeführt in: Paula A. Treichler, AIDS, Homophobia, and Biomedical Discourse. An Epidemic of Signification, in: October 43 (1987), S. 31-70, hier S. 37-39.

93 Zit. ebd., S. 37.

94 Vito Russo, Why We Fight, 10.10.1988, Transkript verfügbar unter URL: <https://www.gayinthe80s.com/2014/12/1988-hivaids-vito-russo-why-we-fight/>.

95 Deborah B. Gould, ACT UP, Racism, and the Question of How To Use History, in: Quarterly Journal of Speech 98 (2012), S. 54-62.

96 Siehe u.a. Joshua Gamson, Must Identity Movements Self-Destruct? A Queer Dilemma, in: Social Problems 42 (1995), S. 390-407.

97 Siehe dazu Silke van Dyk, Identitätspolitik gegen ihre Kritik gelesen. Für einen rebellischen Universalismus, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 69 (2019) H. 9-11, S. 25-32; Schubert/Schwiertz, Konstruktivistische Identitätspolitik (Anm. 17).

98 Sarasin, 1977 (Anm. 10), S. 249; siehe auch Jörg Scheller, Potenziale und Grenzen der Identitätspolitik, 2.12.2022, URL: <https://www.bpb.de/themen/rassismus-diskriminierung/rassismus/515930/potenziale-und-grenzen-der-identitaetspolitik/>.

99 CS/HB 7: Individual Freedom, URL: <https://www.flsenate.gov/Session/Bill/2022/7/?Tab=BillText>; über den aktuellen Stand in den USA insgesamt informiert: CRT Forward. UCLA School of Law Critical Race Studies Program, URL: <https://crtforward.law.ucla.edu/>; vgl. zudem: Anti-LGBT curriculum laws in the United States, URL: <https://en.wikipedia.org/wiki/Anti-LGBT_curriculum_laws_in_the_United_States>.

100 Gayatri Chakravorty Spivak, Can the Subaltern Speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation. Aus dem Englischen von Alexander Joskowicz und Stefan Nowotny. Mit einer Einleitung von Hito Steyerl, Wien 2008. Der Ausschluss aus dem Demokratischen soll also nicht nur über das »Herausdefinieren« geschehen, das Schubert/Schwiertz, Konstruktivistische Identitätspolitik (Anm. 17), S. 589, beschreiben, sondern auch über das Verbot.

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