Auf dem Markt

Das bundesdeutsche Krankenhaus – Skizzen zu einer Gegenwartsgeschichte

  1. Das »kranke Krankenhaus«
  2. »Mehr Markt«
  3. »Wettbewerb« als Ordnungs- und »Optimierungsprinzip«
  4. Ausblick

Anmerkungen

Die »Ökonomisierung« des deutschen Krankenhauses ist in den letzten Jahren wiederholt in die Schlagzeilen geraten. Aufsehen erregen Erfahrungsberichte von Assistenzärzt*innen, die chronischen Personalmangel, Zeitdruck und eine Verformung der Medizin durch finanzielles Gewinnstreben als prägende Elemente ihres Alltags beschreiben.1 In der öffentlichen Diskussion stellt besonders die Einführung der Diagnosis Related Groups (DRGs) im Jahr 2003 ein permanentes Streitthema dar. Seither werden Krankheitsfälle einer bestimmten Gruppe zugeordnet, die für jedes Krankenhaus in gleicher Weise vergütet wird, unabhängig von den im individuellen Fall als medizinisch notwendig erachteten Aufwendungen. Hierdurch seien Anreize entstanden, so die Kritik, Betten unverantwortlich schnell wieder freizumachen.2 Mitunter ist gar von »blutige[n] Entlassungen« die Rede.3 Auch die steigende Zahl bestimmter Operationen müsse man in diesem Zusammenhang sehen: Medizinisch nicht indizierte, vornehmlich profitorientierte Eingriffe seien Teil der klinischen Praxis geworden.

Operationen – in wessen Interesse? Karikatur von Freimut Woessner, 2015. Woessner hat sich aus aktuellen Anlässen immer wieder mit Gesundheitsthemen beschäftigt, neben Cartoons für Zeitungen und Zeitschriften etwa auch in seinen Buchveröffentlichungen »Bitte freimachen! Da schmunzeln die Gesundheitswesen!« (Frankfurt a.M. 1999) und »Ich pflege gern! Cartoons für Pflegende« (Frankfurt a.M. 2003). (<https://www.toonpool.com>, <https://f-woessner.de>)

Dass solche alarmierenden Meldungen mehr als bloße Verdachtsmomente darstellen, haben sozialwissenschaftliche Studien gezeigt.4 Zwar kamen Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass auf einzelnen medizinischen Feldern seit Einführung der DRGs eine gleichbleibende Behandlungsqualität, wenn nicht sogar eine Verbesserung konstatiert werden könne.5 Gleichzeitig ist es wissenschaftlich jedoch nicht mehr umstritten, ob eine »Ökonomisierung« des Krankenhauses stattgefunden habe, die ärztliches Handeln in einem ethisch problematischen Sinne umzuformen imstande gewesen sei. Die Frage ist lediglich, in welchem Maße das der Fall war.6 Ebenso steht außer Zweifel, dass das DRG-System eines seiner Hauptziele – die Kostensenkung – verfehlt hat.7 Das Thema ist weiterhin ein Politikum, das die medizinischen Berufsverbände beschäftigt. Einen eindringlichen Appell gegen das »Diktat der Ökonomie«, das »zu einer Enthumanisierung der Medizin in unseren Krankenhäusern wesentlich beigetragen« habe, unterzeichneten 2019 unter anderem die beiden großen Fachgesellschaften für Chirurgie und Innere Medizin.8

Mit Blick auf die kontroverse Auseinandersetzung um das deutsche Krankenhaus ist markant, dass zwar Vertreter*innen verschiedener Wissenschaftsdisziplinen beteiligt sind – neben der Medizin vor allem Soziologie, Ethik und Theologie.9 Die Geschichtswissenschaft allerdings hat bisher kaum das Wort ergriffen. Das ist bemerkenswert. Denn schon ein oberflächlicher Blick auf die Debatte macht deutlich, dass sich in ihr sehr grundsätzliche Gegenwartsfragen verdichten, die auch historische Erklärungen verlangen. Während einige Diskutant*innen bereits dezidiert forderten, »Schutzzonen«10 für vulnerable Teile der Gesellschaft wie Kranke zu schaffen und die Patient*innenversorgung von profitorientierten Belangen freizuhalten, konstatierten andere, dass zwischen »Ethik und Monetik«11 nicht zwingend ein Gegensatz existiere.12 Ferner wurden an der Transformation der Krankenhausmedizin des 21. Jahrhunderts Epochenbrüche festgemacht; verkündet wurde nicht weniger als das »Ende der klassischen Medizin«.13

Die aktuelle Diskussion suggeriert eine »Plötzlichkeit« der Entwicklung, die Histo­riker*innen skeptisch machen sollte. Derartige Narrative, so die Grundannahme dieses Beitrags, verstellen tiefergreifende Einsichten, die von einer Zeitgeschichte des Krankenhauses im Sinne einer Problemgeschichte der Gegenwart14 ausgehen können. Der vorliegende Aufsatz macht sich daher auf eine Spurensuche durch die jüngere Zeitgeschichte dieser Institution, um Zäsuren zu markieren, Wandlungsprozesse zu beschreiben und Forschungsperspektiven zu benennen. Abweichend von bisherigen Lesarten15 der »Ökonomisierung« des bundesdeutschen Krankenhauses setzen die folgenden Ausführungen historisch bereits in den 1970er-Jahren an, um zu erklären, wie und warum Logiken des Marktes Einfluss auf einen solch sozial-vulnerablen Bereich wie die Gesundheitsversorgung nehmen konnten. Im Fokus steht das Allgemeine Krankenhaus als zentrale Instanz der medizinischen Versorgung in der Bundesrepublik; sie soll für die Bevölkerung eine umfassende Behandlung mithilfe verschiedener vollstationärer Fachabteilungen ermöglichen.16

Am Beispiel des Allgemeinen Krankenhauses soll außerdem gezeigt werden, dass es sich lohnt, noch einmal zu den Ausgangspunkten der Diskussion um den sich in den 1970er-Jahren abzeichnenden »Strukturbruch« zurückzukehren. Diesen Topos schlugen Anselm Doering-Manteuffel und Lutz Raphael 2008 zur Bezeichnung von Transformationsprozessen vor, die die Ablösung makroökonomischer Leitkategorien der klassischen industriellen Moderne begleiteten. Sie argumentierten, dass die damaligen Wirtschaftskrisen keineswegs allein monetaristischen Wirtschaftsmodellen zum Durchbruch verholfen hätten, die mit dem Keynesianismus brachen und seither als »neoliberal« apostrophiert werden.17 Das Spezifische dieser Zäsur sahen die beiden Zeithistoriker vielmehr im Prisma weiterer, sich gegenseitig dynamisierender und bis in die Gegenwart wirksamer Entwicklungen, die zu einem »sozialen Wandel von revolutionärer Qualität« geführt hätten. Imperative der neuen Ordnung ließen sich demnach in der marktförmigen Umstrukturierung außerwirtschaftlicher Institutionen (New Public Management) ebenso auffinden wie im »Leitbild des ›unternehmerischen Selbst‹«.18

Vor allem in zwei Richtungen vermag das Beispiel des Allgemeinen Krankenhauses Einblicke in Phänomene und Entwicklungen zu liefern, die bei der fachlichen Auseinandersetzung um die Epoche »nach dem Boom« vergleichsweise wenig ausgeleuchtet worden sind oder aber in jüngster Zeit wieder aus dem Blick zu geraten drohen: Erstens präsentiert sich die Geschichte der »Ökonomisierung« des Krankenhauses als Historie wiederholter staatlicher Regulierung. Deutlich wird, dass im Zuge des neoliberalen Umbaus traditionell außerwirtschaftlicher Organisationsformen Vermarktlichung und Regulierung keine sich widersprechenden Strukturprinzipien darstellten.19 Wie an der 2003 eingeführten DRG-Fallpauschale deutlich wird, handelte es sich um die Implementierung eines Steuerungsmodells, das planwirtschaftliche Elemente einschloss.20 Diesem Prozess vorausgegangen waren tiefgreifende medizinische und demographische Entwicklungen, die sich seit den 1960er-Jahren beobachten ließen und die Kosten für Krankenhäuser in die Höhe trieben. Das betraf nicht nur die Bundesrepublik, sondern alle westlichen Industrieländer.21 Die staatlichen Versuche einer Regulierung in Westdeutschland jedoch, so lautet eine zentrale These dieses Beitrags, verkürzten – auf nur scheinbar paradoxe Weise – den Weg der Krankenhäuser zum Markt.

Zweitens demonstriert der hier behandelte Fall, dass in diesem zentralen Bereich des Gesundheitswesens »Ökonomisierung« handfeste Folgen zeitigte und mehr war als ein »diffuse[s] Gefühl«.22 Abweichend von der aktuellen Diskussion um mögliche Alternativbegriffe23 hält der vorliegende Beitrag an diesem Terminus fest. Der Begriff erscheint nicht nur deshalb passend, weil sich in ihm eine dominierende Wahrnehmung der involvierten Akteur*innen spiegelt, die es ernstzunehmen gilt. »Ökonomisierung« eignet sich vielmehr auch als Analysebegriff, der nach dem Wie und Warum fragt sowie das Prozessuale einer empirisch belegbaren Entwicklung betont. Nachfolgend umschließt er im Kontext der Krankenhausgeschichte definitorisch zwei eng miteinander verflochtene Bedeutungsdimensionen. Die erste bezieht sich auf die politisch gewollten Rahmenbedingungen des Krankenhauses, meint also die Intentionen und Durchsetzungsformen ökonomisch begründeter »Optimierungs«-Abläufe. Die zweite betrifft die Konsequenzen für die Praxis und versteht Ökonomisierung als »tendenzielle Überformung der professionellen (fachlich-medizinischen und ethischen) Entscheidungen und Handlungen durch wirtschaftliche Kalküle und Ziele«.24

Die zeithistorische Forschung zum Krankenhaus sieht sich mit einer schwierigen Quellenlage konfrontiert: Profunde Einblicke in die jüngste Geschichte einzelner Häuser scheitern meist am fehlenden Zugang zu Archivalien. Veröffentlichte Statistiken, gerade Selbstauskünfte über die Leistungen einer bestimmten Einrichtung, sind mit Vorsicht zu behandeln und nach blinden Flecken zu befragen. Darüber hinaus wurde zu verschiedenen Zeiten Unterschiedliches erhoben, was Vergleiche und Aussagen zur Entwicklung verkompliziert. Der Beitrag stützt sich daher im Wesentlichen auf parlamentarische Debatten über die Zukunft des bundesdeutschen Krankenhauses, auf Texte in medizinischen Fachzeitschriften, vor allem aber auf soziologische Studien, die seit den 1970er-Jahren die Entwicklung dieser Institution begleitet haben.

1. Das »kranke Krankenhaus«

Der erste Kanzler einer sozial-liberalen Koalition wollte überall »modernisieren« und »dynamisieren«: In seiner Regierungserklärung vom Oktober 1969 ließ Willy Brandt keinen Zweifel daran, dass die Bundesbürger*innen in den nächsten Jahren mit merklichen innen- und außenpolitischen Veränderungen rechnen müssten bzw. könnten.25 Er kündigte eine Politik »im Zeichen der Erneuerung« an, unterstrich die »Mitverantwortung« des Individuums für das Wohl der westdeutschen Gesellschaft und stellte diverse Reformen in Aussicht. Brandt erwähnte dabei ein geplantes »Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung eines bedarfsgerecht gegliederten Systems leistungsfähiger Krankenhäuser«, um kranken Menschen »die besten Chancen zur Wiederherstellung ihrer Gesundheit und Leistungsfähigkeit« zu geben. Der Kanzler erklärte das »moderne« Krankenhaus mit rund 3.500 Häusern in Westdeutschland zu einer zentralen, staatlich geförderten Institution der Gesundheitsversorgung. Dieser Schritt war Teil eines damals einsetzenden tiefgreifenden Wandels in der Geschichte der Einrichtung.

Dabei war zu diesem Zeitpunkt das Krankenhaus aus Patient*innensicht längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen: In keiner Weise haftete ihm mehr der Geruch einer Armenanstalt an, der Wohlhabende noch bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein dazu veranlasst hatte, sich lieber zuhause ärztlich behandeln zu lassen.26 Zwar war das Krankenhaus um 1970 weit davon entfernt, eine »klassenlose«27 Versorgung anzubieten, doch wurde es klassen- und schichtenübergreifend frequentiert und war als Behandlungsort zu einem zentralen Punkt des Lebens und des Todes avanciert. 1969 wurden 92 Prozent der Einwohner*innen Westdeutschlands dort geboren, und mehr als die Hälfte starb dort.28 Die Inanspruchnahme medizinischer Krankenhausdienste durch die Bevölkerung hatte stetig und zuletzt noch einmal sprunghaft zugenommen. Allein zwischen 1960 und 1970 stieg die Zahl der stationär behandelten Patient*innen um 35 Prozent, von knapp über sieben auf zehn Millionen.29

Allerdings stand es wirtschaftlich nicht gut um das Krankenhaus. Wie in anderen staatlichen Feldern evozierte der »Reformstau« daher bald auch in diesem Bereich die Mitsprache neuer Expert*innen. Sie führten die Krise des Krankenhauses auf Finanzierungsmodelle und verkrustete Hierarchien zurück, die sich seit der Zeit des Kaiserreiches nur unmerklich verändert hätten. Dass sich die Gesundheitsökonomie in der Bundesrepublik Deutschland ab Ende der 1960er-Jahre allmählich als eigenständiges Fachgebiet aus der klassischen Nationalökonomie (Wirtschaftswissenschaften und Soziologie) zu etablieren begann, war nicht zuletzt auf diese Begründungszusammenhänge zurückzuführen.30

Einer dieser neuen Expert*innen, der Wirtschaftswissenschaftler Siegfried Eichhorn, verwies 1967 darauf, dass zwischen 1938 und 1966 die Zahl der Einweisungen um 55 Prozent gestiegen und das Krankenhaus in der Zwischenzeit ein »hochkomplizierter Betriebsorganismus« geworden sei. Dies würden die Verantwortlichen jedoch ignorieren: Noch immer werde dort nach dem Prinzip der »Meisterwirtschaft« gehandelt, dass jeder Abteilungsleiter tue, was er für richtig halte. Es bedürfe indes einer umfangreichen Planung und Kontrolle der Arbeit, um ein »Höchstmaß an Wirksamkeit« zu erreichen.31 Eichhorn prognostizierte einen Wandel des Krankenhauses hin zu einer betriebswirtschaftlich strukturierten Einrichtung, die zugleich für Öko­nom*innen ein neues Aufgabenfeld erschloss.

Der »Spiegel« spitzte diesen Befund 1970 noch zu. Es sei der Staat gewesen, der das Krankenhaus zu einem »Pleite-Betrieb« habe verkommen lassen.32 Dabei berief man sich auf einen 90-seitigen Bericht über die finanzielle Situation der von öffentlichen Kliniken dominierten westdeutschen Krankenhauslandschaft, den das Bundesgesundheitsministerium im Mai 1969 vorgelegt hatte.33 Schon Ende der 1950er-Jahre, das zeigte dieser Krankenhausbericht, waren die Finanzierungsprobleme der landeseigenen Kliniken in Bonn bekannt gewesen. Das Festhalten an der Bundespflegesatz-Verordnung von 1954, die davon ausging, das Krankenhaus könne nach dem sogenannten Selbstkostendeckungsprinzip seinen Mittelbedarf aus den Pflegesätzen der Patient*innen stillen (den Entgelten, die Kranke bzw. deren Versicherungen für ihre Behandlung zahlen mussten), hatte 1958 zu einem Defizit von etwa einer halben Milliarde DM geführt.34 Schon seit Jahren unterstützten daher die Länder ihre kommunalen und gemeinnützigen, mitunter auch privaten Krankenanstalten, etwa in Form von Darlehen oder Zuschüssen. Gesundheitsministerin Käte Strobel (SPD) warnte, dass eine »rechtlich gesicherte Ordnung der Krankenhausfinanzierung« eine »dringliche Aufgabe« darstelle.35 1969 verschaffte sich die Regierung durch eine bemerkenswerte Änderung des Grundgesetzes die Zuständigkeit für die Kranken­hausfinanzierung, die vorher Ländersache gewesen war: In Artikel 74 wurde der Passus eingefügt, dass sich die konkurrierende Gesetzgebung auch auf »die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser und die Regelung der Krankenhauspflegesätze« erstrecke.36

Der Gesundheitsbericht der Bundesregierung, den Brandt Ende 1970 dem Parlament vorlegte, erläuterte, dass die Probleme nicht allein hausgemacht seien.37 Vielmehr könne man auch in anderen Staaten beobachten, dass eine steigende Bevölkerungszahl, eine aufgrund medizinischer Entwicklungen höhere Lebenserwartung bei Neugeborenen und über 65-Jährigen, die Finanzierung pflegerischer Leistungen, teure Untersuchungsmethoden, ein stärkeres Bewusstsein für die eigene Gesundheit sowie die Zunahme chronischer und psychischer Erkrankungen das Krankenhaus überforderten und die Kosten in die Höhe getrieben hätten.38

Die Reform der Krankenhausfinanzierung begründete der Kanzler mit einer Argumentation, die sich noch vollständig im Horizont von Leitvorstellungen der »sozialen Marktwirtschaft« bzw. des »Rheinischen Kapitalismus« bewegte.39 So betonte Brandt zwar die individuelle Eigenverantwortung und damit zugleich den Aspekt der Vorsorge.40 Gesundheitserhaltung firmierte hier jedoch als »Gemeinschaftsaufgabe«, die Bürger*innen und Staat gleichermaßen betreffe. Das spiegelte sich auch in den Plänen für eine Krankenhausfinanzierung wider, die auf die »Explosion« der Kosten reagierten. Es sei die Aufgabe eines »sozialen Rechtsstaats«, diese nicht auf die Bürger*innen abzuwälzen. Wie der Bericht der sozial-liberalen Regierung explizit im Kontrast zur Bundespflegesatz-Verordnung von 1954 erklärte, müssten die Pflegesätze »sozial tragbar« sein.41

Wenig später schnürte das Bundesgesundheitsministerium angesichts eines jährlichen Defizits von rund einer Milliarde DM ein Finanzierungspaket zur wirtschaftlichen Sicherung der Kliniken. 1966 befanden sich 37,6 Prozent der intern als »Akutkrankenhäuser« bezeichneten Einrichtungen in öffentlicher Trägerschaft (55 Prozent aller Krankenhausbetten), 26,9 Prozent in privater Hand (8,5 Prozent der Betten) und 35,5 Prozent in gemeinnütziger (kirchlicher) Trägerschaft (36,5 Prozent der Betten).42 Im Februar 1971 legte Gesundheitsministerin Strobel den »Entwurf eines Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (Krankenhausfinanzierungsgesetz)« vor.43 Darin bot sie bestimmten Krankenhäusern eine duale Förderung nach den »Grundsätze[n] der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit« an.44 Ausgeschlossen waren Krankenhäuser des Bundes sowie im Strafvollzug, Polizeikrankenhäuser und Krankenhäuser der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung. Sogenannte Investitionskosten (Neubauten, Kosten für Instandhaltungen) sollten fortan aus öffentlichen Mitteln (zu einem Drittel vom Bund und zu zwei Dritteln von den Ländern) bestritten werden; sogenannte Benutzerkosten sollten die Patient*innen bzw. die Krankenkassen tragen. Der Zugang zu diesen öffentlichen Mitteln war exklusiv: Wer die Förderung in Anspruch nehmen wollte, musste in den sogenannten Krankenhausbedarfsplan des jeweiligen Landes aufgenommen werden, der mittelfristige Kalkulationen und Entwicklungspläne enthielt. In der Rückschau stellt sich dieser Entschluss zu einer koordinierten staatlichen Finanzierung durch das Krankenhausfinanzierungsgesetz des Jahres 1972, kombiniert mit der Verlagerung von Verantwortlichkeiten auf die Bundesebene, als eines der letzten Kapitel der traditionellen Krankenhauspolitik der sozialen Marktwirtschaft dar. Dabei hatte die Systemkonkurrenz zur DDR für die sozialdemokratische Gesundheits­politik in den 1960er-Jahren zumindest indirekt eine Rolle gespielt, und zwar dahingehend, die Krankenversorgung in Westdeutschland grundsätzlich »ohne Rücksicht auf die entstehenden Kosten« (Brandt) zu gewährleisten.45

Zwischen Stadt und Fabrik: Klinikumsneubau der Universitätsmedizin Aachen,
in den Jahren 1971 bis 1985 errichtet für Gesamtkosten von gut 2 Milliarden DM
1971markus / CC BY-SA 3.0 DE; via Wikimedia Commons,
Klinikum Aachen [Seitenansicht], CC BY-SA 3.0 DE)

2. »Mehr Markt«

»Noch ist es nicht zu spät für eine Umkehr«, appellierte am 22. Februar 1984 eine Gruppe von 30 Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler*innen in einem Aufruf, der zeitgleich in den konservativen Tageszeitungen »Welt« und »Frankfurter Allgemeine Zeitung« erschien. Die Unterzeichner*innen verlangten eine gesundheitspolitische Kehrtwende, wobei die Forderungen nicht zuletzt auf den in den 1970er-Jahren reformierten Status des bundesdeutschen Krankenhauses zielten: »Wir warnen vor einer Fortführung der bisherigen Politik! Sie hat eine Stärkung bürokratischer Planung, eine Zentralisierung von Entscheidungen und direkte staatliche Eingriffe gebracht und muß zwangsweise, Schritt für Schritt, in eine staatliche Einheitsversorgung und zu einer Entmündigung der Bürger führen.«46

Mit der Forderung nach »wettbewerbliche[n] Elemente[n]« zur Stärkung der »wirt­schaft­liche[n] Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesen[s]« wollten die Unterzeich­ner*innen die schwarz-gelbe Regierungskoalition, die seit anderthalb Jahren im Amt war, zugleich beim Wort nehmen. Übertragen auf das gesundheitspolitische Terrain klangen zentrale Schlagworte aus Helmut Kohls »Wende«-Rede vom Oktober 1982 an.47 Dazu gehörte insbesondere die programmatische Maxime »Weg vom Staat, hin zu mehr Markt«. So hatte der neue Kanzler frühzeitig signalisiert, in der Bundesrepublik den neoliberalen Umbau des Sozial- und Wohlfahrtsstaates einleiten zu wollen, wie er im Gefolge der Wirtschaftskrise der 1970er-Jahre in Großbritannien unter Margaret Thatcher und in den USA unter der Reagan-Administration bereits begonnen worden war.48

Die zeithistorische Forschung ist sich heute weitgehend darüber einig, dass in der Bundesrepublik der 1980er-Jahre marktliberale »Entstaatlichungs«-Maßnahmen eher Stückwerk geblieben sind. Konstatiert wird eine »Diskrepanz zwischen [neoliberaler] Verheißung und Beharrung, Ankündigung und Umsetzung«.49 Allerdings begriffen sich die meisten tonangebenden Expert*innen der westdeutschen Gesundheitsökonomie ohnehin nicht als Propagandist*innen einer marktradikalen Öffnung des Gesundheitssystems. Die Initiator*innen des Aufrufs von 1984 waren dahingehend nicht repräsentativ. Auch das »Deutsche Ärzteblatt« als Sprachrohr der medizinischen Profession begegnete ihnen distanziert.50

Andererseits relativiert sich das Bild einer »Windstille« des westdeutschen Krankenhausbetriebes im internationalen Vergleich. So blieb das Gesundheitswesen Großbritanniens, einem »Kernland« neoliberaler Umstrukturierungen, von tiefgreifenden Veränderungen zunächst ausgenommen; die britische Regierung betonte die Gemeinwohlorientierung des National Health Service (NHS) und wusste um die breite Akzeptanz seiner kostenfreien Leistungen.51 In der Bundesrepublik hingegen installierte der Gesetzgeber 1985 mit dem Krankenhaus-Neuordnungsgesetz und einer Änderung der Bundespflegesatz-Verordnung marktorientierte Steuerungsinstrumente: Erstmals wurde es Kliniken explizit erlaubt, Überschüsse zu erzielen und diese für »die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit« heranzuziehen.52 Die soziologische Forschung spricht daher mit Recht von einem bedeutenden Schritt zur »Vorbereitung eines marktwirtschaftlichen Umbaus der Krankenhausversorgung«.53 Allerdings übersieht sie bei ihrer historischen Einordnung, dass die Reform von 1972 schon wenige Jahre später – noch unter sozial-liberaler Ägide – revidiert worden war.

Denn die Regierung von Helmut Schmidt hatte mit dem sogenannten Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz (KVKG) 1977 versucht, die Ausgaben für den Gesundheitsbereich zu reduzieren. Zum einen reagierte die Koalition damit auf die trotz der Finanzierungsreform von 1972 anhaltende Debatte um eine »Kostenexplosion« im Krankenhauswesen.54 Zum anderen sind die Folgen der Wirtschaftskrise zu nennen. Praktisch unmittelbar mit der ersten Ölkrise von 1973/74 wandelte sich das Image des Krankenhauses in Westdeutschland ebenso massiv wie nachhaltig: Angesichts steigender Arbeitslosenzahlen, krisenbedingter Auswirkungen auf die Steuereinnahmen und Beitragsausfällen in der Rentenversicherung versuchte der Bund, Defizite im Haushalt durch Sparmaßnahmen zu kompensieren. Dabei avancierten die Kliniken, die als ein kostenintensiver Faktor galten, zum Fixpunkt der gesundheitsökonomischen Diskussion.55

Zudem offenbarte sich am Kostendämpfungsgesetz, das die Versicherten verstärkt in die Pflicht nahm, eine Akzentverschiebung zugunsten gesundheitlicher »Eigenverantwortung«. Dies konnte nun bedeuten, im Rahmen einer Therapie die Kosten für bestimmte Medikamente selbst tragen zu müssen. Damit verbunden war die Absicht des Gesetzgebers, einen Bewusstseinswandel der Bürger*innen hinsichtlich der Inanspruchnahme und der Kosten der öffentlichen Gesundheitsversorgung herbeizuführen oder, wie es die Gesundheitswissenschaftler Rolf Rosenbrock und Hans-Ulrich Deppe ungleich treffender formulierten, »eine ›Reform‹ des Verhaltens, eine ›Reform‹ des Patienten«.56 Was Brandt 1969 in seiner gesundheitspolitischen Agenda als soziale »Gemeinschaftsaufgaben« des Staates und des Einzelnen umrissen hatte, war zehn Jahre später offensichtlich zu einer gesundheitspolitischen Maxime erwachsen, die nicht mehr frei war von einer impliziten Schuldzuweisung bei individuell »vernachlässigter« Gesundheit.57

Schließlich deckelte das KVKG die Höhe der Versicherungsbeiträge, die bis dahin immer wieder hatten nachjustiert werden können. Fortan mussten die gesetzlichen Krankenkassen jeweils zu Beginn des Wirtschaftsjahres die Höhe des für medizinische Behandlungen zur Verfügung stehenden Etats festlegen. Unweigerlich führte das schon Ende der 1970er-Jahre zu einem Konkurrenzkampf der Gesundheitsakteure um die verfügbaren Mittel.

3. »Wettbewerb« als Ordnungs- und »Optimierungsprinzip«

Man muss sich die seit den 1970er-Jahren andauernde Krisendebatte vor Augen halten, um zu verstehen, weshalb die Ökonomisierungsdiskurse der 1990er-Jahre von den politischen Entscheidungsträger*innen nicht als Bruch wahrgenommen wurden. Unabhängig von der jeweiligen Regierungskonstellation hatte sich ab Ende dieses Jahrzehnts der »Wettbewerb« als allgemein anerkanntes Ordnungs- und »Optimierungsprinzip« im Krankenhausbereich etabliert.58 So kündigte 1998 die Koalitionsvereinbarung der rot-grünen Regierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder eine Strukturreform des Gesundheitswesens an, die »mehr Wettbewerb um Qualität, Wirtschaftlichkeit und effizientere Versorgungsstrukturen« bewirken sollte.59 Die schwarz-gelbe Nachfolgeregierung erklärte den »Wettbewerb« einmal mehr zur zentralen Ordnungskategorie. Wie sehr sich wirtschaftliche Logiken bereits in die Vorstellungen der politischen Führung eingeschrieben hatten, offenbarte schon die Tatsache, dass die Koalitionsvereinbarung von 2009 das Gesundheitswesen als »die Zukunftsbranche« bezeichnete.60 Der »Gesundheitsmarkt« sei »der wichtigste Wachstums- und Beschäftigungssektor in Deutschland«.61 Derweil konstatierten empirische soziologische Studien über die Effekte von Steuerungsmodellen, die ab den 2000er-Jahren Einzug in deutsche Kliniken gehalten hatten, eine »Überformung patienten­bezogener Entscheidun­gen durch ökonomische Kalküle«.62

Die jüngsten drei Dekaden des Allgemeinen Krankenhauses, also die Jahre von den 1990er-Jahren bis heute, lassen sich in verschiedene Phasen gliedern, wobei die schon erwähnte Einführung der Diagnosis Related Groups (DRGs) 2003 und ein seit 2015 wachsender Protest der Ärzt*innen gegen dieses Abrechnungssystem, dessen praktische Konsequenzen noch nicht abzusehen sind, wichtige Einschnitte bedeuteten. Zunächst, in den 1990er-Jahren, zementierte die Bundesgesetzgebung, vor allem das Gesundheitsstrukturgesetz von 1993, den Konkurrenzgedanken unter den Anbietern, indem es das Selbstkostendeckungsprinzip durch eine »prospektive Budgetierung« ersetzte. Die Krankenkassen und die einzelnen Einrichtungen verabredeten für einen bestimmten Abrechnungszeitraum eine Geldsumme, die unabhängig von den am Ende notwendigen Ausgaben gezahlt wurde. Außerdem etablierte die Regierung als Übergangslösung ein Mischsystem der Entgelte, wonach nur ein bestimmter Teil über Fallpauschalen abgerechnet wurde.63

Als Helmut Kohl 1998 abgewählt worden war, klangen die Reformankündigungen der neuen Bundesregierung unter Gerhard Schröder zunächst sehr wie ein Kurswechsel. Man warb mit der Etablierung einer sozial gerechten Gesundheitspolitik nach dem Solidarprinzip und dem Abbau von Vorteilen Privatversicherter. Allerdings kündigte bereits ein Jahr später das unter dem Schlagwort »Schröder-Blair-Papier« bekannte Modernisierungskonzept eine bereichsübergreifende Fortsetzung neoliberaler Politik an.64

Im Gesundheitswesen zielte die rot-grüne Koalition auf eine Reduzierung der Ausgaben, die im OECD-Ländervergleich besonders hoch waren. Gleichzeitig sollte die Behandlungsqualität deutscher Krankenhäuser, die beim Ländervergleich nur mittelmäßig war, über den Wettbewerb gesteigert werden.65 Der Sachverständigenbeirat für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen identifizierte nach 1998 »Strukturprobleme«, die in der Vergangenheit zu »Fehlentwicklungen« geführt hätten und sich nun in »Über-, Unter- und Fehlversorgung« äußerten.66 Der Präventionsgedanke und die konsequente Beachtung von Behandlungsleitlinien bzw. ein Abgleich mit wissenschaftlichen Erkenntnissen von Therapien müssten in der Praxis stärker Beachtung finden. Infolgedessen hielt um das Jahr 2000 das Konzept der »Evidenzbasierten Medizin« (EbM) Einzug in den Krankenhausbetrieb. Demzufolge sollten aus Qualitäts- und Kostengründen nur solche Heilbehandlungen angewendet werden, deren Effektivität nach EbM-Verständnis als wissenschaftlich-empirisch nachgewiesen galt. Nicht zuletzt zielten die neuen Leitlinien darauf ab, die Anwendung von Therapien zurückzudrängen, die allein auf individuellen klinischen Erfahrungen der verantwortlichen Ärzt*innen gründeten.67

Das von der rot-grünen Regierung entwickelte Programm sah unter anderem eine Deckelung des Arzneimittelbudgets, eine Budgethaftung der behandelnden Ärzt*innen bei Überschreitung der ihnen zur Verfügung gestellten Mittel sowie die Einführung eines pauschalisierten DRG-Vergütungssystems vor. Hatte bereits die »prospektive Budgetierung« in den 1990er-Jahren dem Krankenhauspersonal Sorge bereitet, so schlugen einzelne Ärzt*innen angesichts der Durchsetzung der »Gesundheitsreform 2000« Alarm. »Noch nie zuvor hat sich die Gesundheitspolitik so weit von der ärztlichen Realität und von den Patientenbedürfnissen entfernt wie heute«, warnte im Juni 2000 der Nürnberger Internist Burkhard Gmelin im »Deutschen Ärzteblatt«.68 Die Gesundheitsreform unter Schröder fordere eine »Ökonomisierung der Mit­menschlichkeit«, die das medizinische Personal in ethische Dilemmata stürze. Aus Kostengründen verlange man nun »die Triage, also die ›Ausmusterung‹« der Patient*innen69 – ein Verfahren, das einem militärmedizinischen Kontext entstammt und die Auswahl Verwundeter auf dem Schlachtfeld nach Überlebenschancen meinte. Gleichzeitig warf Gmelin sich und seinen Kolleg*innen Versagen vor; man habe es nicht geschafft, verständlich zu machen, »was eine Politik anrichtet, die einen mitmenschlichen Bereich wie die Krankenhausversorgung mithilfe rigider finanzieller Vorgaben organisiert«.70 Aber auch außerhalb der medizinischen Profession wurde eine problematische Umgestaltung des Krankenhauswesens konstatiert. Kritische Stimmen etwa aus der Politologie sahen die deutschen Krankenhäuser vor einem »tief greifenden Paradigmenwandel in der Finanzierung«.71

In der Tat verstärkte sich vor allem durch die Einführung des DRG-Systems die Politik ökonomischer Anreize im Krankenhauswesen, bei gleichzeitig reduzierter Investitionsförderung durch die Bundesländer (zwischen 1991 und 2009 wurden rund 22 Prozent der Mittel gekürzt).72 Die Fallkostenpauschale war während der 1980er-Jahre in den USA etabliert worden und wurde dann zum Vorbild für andere Staaten. Bemerkenswert ist hierbei, dass sich die Funktion in einzelnen Ländern im Laufe der Zeit veränderte: Während DRGs 1991 in Frankreich eingeführt worden waren, um die Aktivität der Kliniken in einzelnen Krankheitsfällen zu messen, dienen sie seit 2010 der Abrechnung von Leistungen. In Großbritannien wollte man mit ihrer Hilfe ursprünglich eine verlässliche Statistik der Krankheitsfälle gewinnen, mit denen sich das Gesundheitswesen konfrontiert sah; im 21. Jahrhundert fungieren DRGs dort ebenfalls als Preissystem.73

Neu war zudem eine weitere Funktion: Seit 2003 ließ sich in Deutschland die »Leistung« von Krankenhäusern, verstanden als quantifizierbare, kompetitive und erlösorientierte Größe, direkt vergleichen. Das »DRG-Benchmarking«, bei dem die Verweildauer von Patient*innen oder Nebendiagnosen erhoben wurden, brachte eine eigene Branche hervor, die damit warb, mithilfe ihrer Evaluation Erlöse zu »optimieren« und sich über die eigenen »Stärken« und »Schwächen« in Konkurrenz zu anderen Krankenhäusern informieren zu lassen.

Die Einführung dieses Abrechnungssystems hatte erhebliche Konsequenzen: In Reaktion auf die Kostendämpfungspolitik versuchten Einrichtungen, Arbeitsvorgänge umzuorganisieren. Manche Verfahren eröffneten dem Personal neue »Handlungsspielräume« und wurden von Ärzt*innen und Pfleger*innen begrüßt. Beispielsweise wurde in geriatrischen Abteilungen ein »Entlass-Management« eingeführt, das den Übergang vom Krankenhausaufenthalt zur häuslichen Versorgung begleitete. Zur Entlastung der Ärzt*innen übertrug man bestimmte Routine-Tätigkeiten wie Blutabnahmen anderen Beschäftigten. Den Pflegekräften bot die Krankenhausleitung Fortbildungsmaßnahmen an, was die Beschäftigten zunächst als Anerkennung ihrer Leistungen interpretierten.74

Das Klinikpersonal war von der DRG-Einführung jedoch noch auf eine andere Weise betroffen. Besonders drastisch waren die Folgen für den Bereich der Pflege: In den ersten drei Jahren nach der Umstellung auf das DRG-System wurden trotz gleichzeitiger Klagen über Personalmangel und wachsende Dokumentationsaufgaben als Konsequenz des neuen Abrechnungssystems knapp 18.000 examinierte Kräfte arbeitslos; für das verbliebene Personal zeigte sich im Zeitraum zwischen 1996 und 2011 eine enorme Arbeitsmehrbelastung. Im Schnitt musste jede Pflegekraft bei der gleichen täglichen Arbeitszeit nun rund 27 Prozent mehr Patient*innen versorgen.75 Manche Einrichtungen, die dem Wettbewerb nicht gewachsen waren, mussten schließen. Den Kritiker*innen galt dies als politisches Kalkül: Durch die Einführung der DRGs sollte es Gewinner, aber auch Verlierer geben.76

Mit der Gesundheitsreform von 2000 ebenfalls verbunden war ein Privatisierungstrend. Aufgrund der prospektiven Budgetierung durften Krankenhäuser Gewinne erwirtschaften, was sie für Investoren interessant machte. Der Aufsichtsratsvorsitzende der Rhön-Klinikum AG, Eugen Münch, erklärte 2008 dementsprechend, eine »neue Medizin« habe die bisherige abgelöst. Anders als die »alte Medizin«, deren Grundpfeiler die Arzt-Patient-Beziehung gewesen sei, definiere sich diese, so Münch in einem oft zitierten, affirmativen Statement, als »Leistungsaustausch, nicht [über die] Beziehungs­regulation«.77

Die vorliegenden Daten des Statistischen Bundesamtes für die Jahre 2004, 2007 (am Ende der DRG-Einführungsphase) und 2017 zeigen, dass in diesem Zeitraum bundesweit der prozentuale Anteil privater Häuser an der Gesamtzahl der Krankenhäuser wuchs, während der Anteil der übrigen Träger zurückging: Bei den öffentlichen Einrichtungen sank er von 36 Prozent im Jahr 2004 über 32 Prozent im Jahr 2007 auf 28 Prozent im Jahr 2017, bei den gemeinnützigen von 38 über 37 auf 34 Prozent. Befanden sich 2004 erst 26 Prozent der Allgemeinen Krankenhäuser in privater Trägerschaft, so waren es 2007 schon 30 Prozent und 2017 dann 37 Prozent.78 Diese aggregierten Daten für Deutschland verdecken, dass sich in einzelnen Bundesländern noch signifikantere Umverteilungsprozesse vollzogen. Als das wohl bekannteste Privatisierungsbeispiel firmiert Hamburg: Dort erwarben die privaten Asklepios-Kliniken Ende 2004 in zwei Schritten 74,9 Prozent des Landesbetriebes Krankenhäuser Hamburg.79

Weil den Städten und Gemeinden in Deutschland die Mittel fehlten, um ihre Krankenanstalten konkurrenzfähig zu halten, waren nach 2003 vor allem kommunale Einrichtungen von Privatisierungen betroffen.80 Während einige Häuser ihre Arbeit komplett niederlegen mussten, kauften solvente Investoren andere auf. Neben dieser »Entkommunalisierung«, die für den Rückzug des Wohlfahrtsstaates, den Abschied vom Prinzip der Subsidiarität und der Gemeinwohlorientierung stand, etablierte sich noch in der Zeit der rot-grünen Koalition im Krankenhauswesen die Strategie des »mimetischen Isomorphismus«,81 um zu überleben: Kommunale Einrichtungen organisierten sich nach privatwirtschaftlichem Vorbild neu.

Kundgebung in Wiesbaden, Dezember 2006: Über 2.000 Ärzt*innen, Apotheker*innen und Vertreter*innen anderer Heilberufe aus Hessen protestierten gegen die Gesundheitsreform.
(picture-alliance/dpa/Frank Rumpenhorst)

Als Konsequenz der verschiedenen Übernahmeprozesse konkurrierten öffentliche Einrichtungen bald mit anderen öffentlichen, aber auch öffentliche mit privaten um (gut informierte) Patient*innen, die wiederum in der »Gesundheitsgesellschaft«82 des 21. Jahrhunderts ihren Behandlungsort noch bewusster zu wählen scheinen, zumal das Internet die früheren Informationsasymmetrien teilweise reduziert hat. Wie sich zeigt, wandelte sich seit den 1970er-Jahren nicht nur das Bild der zu Manager*innen gewordenen Ärzt*innen – und in jüngerer Zeit sogar die Rolle der Pflegekräfte, die, ebenfalls mit »betriebswirtschaftlicher Kompetenz« versehen, Managementfunktionen ausüben sollen83 –, sondern ebenso das Bild der Patient*innen und ihrer Vorsorgetechniken. Das »präventive Selbst«,84 das sich in den 1970er-Jahren noch im »Dauerlauf« geübt und in »Selbsthilfegruppen« organisiert hatte, existiert zwar weiterhin. Gegenwärtig dreht es seine Runden indes auch aus Wettbewerbsgedanken: »Fitsein [wird] als Leistung figuriert, die soziale Anerkennung und Distinktionsgewinn verspricht«, erklärt die Soziologin Stefanie Duttweiler.85 Hierfür werden gern sogenannte Smart Wearables genutzt, die individuelle körperliche Leistungen bzw. Funktionen unmittelbar auf dem Handgelenk visualisieren.86 Die Nutzer*innen solcher Geräte betrachten sich häufig selbst als »naturwissenschaftliche« Entität,87 als eine Art Maschine, die mithilfe von Trackinginstrumenten in Zahlen messbare Leistungen oder Fehlleistungen erzeugt – ein Verfahren, das das gesundheits- und wettbewerbsbewusste Individuum mit dem Konzept der evidenzbasierten Medizin verbindet.

In eine vorläufig letzte Phase trat die Diskussion um das deutsche Krankenhaus seit etwa 2015. Zum einen ist diese gekennzeichnet von Versuchen einzelner ärztlicher Verbände und Organisationen, mit konkreten Empfehlungen die profitorientierten Wettbewerbskaskaden einzuhegen. So formulierte die Bund-Länder-AG in ihren Eckpunkten zur jüngsten Krankenhausreform 2015 ein Programm, das auf »Qualitätssicherung« zielte.88 Die medizinische Praxis, erklärte das Papier, solle »von der Versorgung der Patientinnen und Patienten her gedacht werden«. Damit reagierte das Gremium auf die infolge unzähliger Medienberichte gestiegene Angst der Öffentlichkeit vor profitorientierten Operationen. Gleichwohl räumte die AG dem Wettbewerb weiterhin eine Steuerungsfunktion ein, in der ein »Matthäus-Effekt« bereits angelegt war: Einrichtungen, die nachweisbar auf einem hohen qualitativen Niveau arbeiteten, sollten Zuschläge erhalten, Häuser mit schlechter medizinischer Versorgung jedoch mit Abschlägen sanktioniert werden. Deutlicher war dagegen eine Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Hochschulmedizin zur jüngeren Privatisierungsdiskussion in ihrem Bereich ausgefallen. Die Vereinigung, der unter anderem auch die Bundesärztekammer angehört, hatte 2013 erklärt: »Hochschulmedizin muss Teil der öffentlichen Daseinsfürsorge sein und bleiben.«89

Zum anderen hat seit 2015 die systemische Kritik am ökonomisierten Krankenhaus in den Reihen der Ärzt*innen merklich zugenommen. Während die diesbezügliche mediale Berichterstattung zunächst vor allem auf individuellen Erfahrungsberichten aus der klinischen Gegenwart basierte, sind in den letzten Jahren mehrere empirische Studien über DRG-bedingte Folgen des Krankenhausalltags entstanden, auf die sich die Akteur*in­nen berufen können. Erstmals seit der Einführung der DRGs startete das ärztliche Personal eine konzertierte Kampagne. So erschien im Umfeld des Deutschen Ärztetages 2019 ein entsprechender Aufruf einer Gruppe junger Mediziner*in­nen.90 Ein noch größeres Echo hatte der eingangs schon erwähnte Appell »Rettet die Medizin«. Im September 2019 veröffentlichte der »stern« dieses unter anderem von großen Fachgesellschaften unterzeichnete Manifest, wobei sich das Magazin zur Unterstreichung der historischen Relevanz auf dem Titelblatt gleichsam selbst zitierte:91 Das Cover mit kleinen Portraitfotos der Kritiker*innen weckte Erinnerungen an die berühmte Ausgabe von 1971, in der über 300 Frauen bekannt hatten: »Wir haben abgetrieben!« Wenngleich die Wirkung des aktuellen Protests noch nicht abzusehen ist: Die Erprobung solch zugespitzter Vermittlungsformen markiert einen qualitativen Wandel von Protest aufseiten des ärztlichen Krankenhauspersonals.

»stern«-Cover 37/2019
(Gruner + Jahr, stern)

4. Ausblick

Die Geschichte der politischen Steuerung des bundesdeutschen Krankenhauses, hier verstanden als dessen Ökonomisierungsgeschichte, passt sich zunächst einmal in die frühen historischen Befunde von einem »Strukturbruch« während der 1970er-Jahre ein. Gemeint ist damit der abrupte Übergang zu Steuerungsmodellen, die in den nachfolgenden Jahrzehnten in immer überspitzterer Form nicht an der Nachfrage orientiert, sondern angebotszentriert agierten, die nicht mehr an den Leitkategorien »Verteilungsgerechtigkeit« und »soziale Sicherheit« festhielten, sondern das »unternehmerische Selbst« (Ulrich Bröckling) zur bestimmenden Ordnungskategorie erklärten.92 Betroffen von dieser schubartigen Entwicklung war in Westdeutschland auch das Krankenhaus, dem traditionell eine Orientierung allein am Gemeinwohl zugeschrieben wurde. Die Frage nach diesem bis vor wenigen Jahren weitgehend reibungslosen, jedenfalls von wenig Grundsatzkritik begleiteten Prozess verweist auf ein Geflecht von Ursachen, zu denen die finanziell desolate Situation des Krankenhauses seit den 1950er-/1960er-Jahren ebenso zählte wie das Postulat der Kostendämpfung aufgrund des Zusammenspiels von demographischer Entwicklung, technischem Wandel und Wirtschaftskrisen seit 1973/74. Die hier skizzierte Transformation des Allgemeinen Krankenhauses gehört in den Horizont einer Gegenwartsgeschichte des Kapitalismus.93

Nichtsdestoweniger bleibt der geschilderte Prozess in der medizinischen Praxis an vielen Stellen unklar. Was fehlt, sind validere Einblicke in die Binnenperspektive, um genauer zu verstehen, welche Mechanismen diesen Wandel ermöglichten. Ein Desiderat stellt diesbezüglich eine Untersuchung der generationellen Prägungen und der universitären Sozialisation des medizinischen Personals seit den 1970er-Jahren dar: Welche Faktoren trugen dazu bei, dass qualitativen Studien zufolge ein medizinisches Handeln, das auf Gewinnmaximierung ausgerichtet ist, oftmals nicht als ethischer Widerspruch empfunden wurde?94 Welche Rolle spielten dabei etwa allgemeine gesundheitspolitische Entwicklungen, der Wandel des Arbeitsplatzes und individuelle Ängste? Wie erlebten Ärzt*innen die wachsende Bedeutung von öko­nomisch codierten Imperativen wie »Effizienz«, »Leistung« und »Optimierung«, die in Konkurrenz zu einem medizinischen Verständnis dieser Leitbegriffe traten? Welche Strategien und neuen Selbstverständnisse entwickelte das Krankenhauspersonal jedoch auch, um sich dem vielbeschriebenen »Druck« nicht zu beugen, Selbstausbeutung zu vermeiden oder Ökonomisierungslogiken zu unterlaufen?95 Wie versuchten wiederum Krankenhäuser, motivierte, aber aufgrund der Rahmenbedingungen zunehmend zermürbte Kräfte an sich zu binden?

Eine Patient*innengeschichte unter Berücksichtigung von Ökonomisierungsprozessen im Krankenhauswesen stellt eine weitere Forschungslücke dar: Wie perzipierten Kranke, vor allem Langzeitpatient*innen, den Wandel ärztlicher und pflegerischer Handlungen in den vergangenen Jahrzehnten? Die künftige Forschung steht diesbezüglich vor der Aufgabe, über die wenigen existierenden Befragungen hinaus weiteres Material zu erschließen. Beschwerden bei den Landesärztekammern oder Korrespondenzen mit Krankenversicherungen, Interviews mit Patient*innen­beauf­tragten und Vertreter*innen klinischer Ethikkomitees können dabei als Quellen fun­gieren. Bislang nicht erforscht sind überdies Einfluss und Wandel der disziplinären Profile jenes Personals mit betriebswirtschaftlichem Hintergrund, das seit den 1970er-Jahren die Transformation der Krankenhäuser mitgestaltete, in deren Verwaltung einrückte und den Klinikbetrieb nach einer ganz eigenen Logik durchpflügte. Anhand einer solchen Binnenperspektive sind vor allem Aufschlüsse über Bedeutungsverschiebungen in der medizinischen Semantik sowie über Formen strategischer Kommunikation zur Legimitation von wirtschaftlich motivierten Interventionen und strukturellen Planungen zu erwarten, mit denen gängige, nicht zuletzt auch von Ärzt*innen geprägte Narrative der aktuellen gesellschaftlichen Debatte weiter zu hinterfragen sind. Beispiele bieten die wiederkehrenden Verweise auf den demographischen Wandel, »Kostendruck« oder »Ressourcenknappheit« als unmittelbare Handlungsaufforderung.


Anmerkungen:

1 Als Beispiel: »Was für eine Ärztin bin ich bloß geworden?«, in: Spiegel Online, 20.6.2018.

2 Siehe Karl W. Lauterbach/Markus Lüngen, Was hat die Vergütung mit der Qualität zu tun?, in: Michael Arnold/Martin Litsch/Henner Schnellschmidt (Hg.), Krankenhaus-Report 2000. Schwerpunkt: Vergütungsreform mit DRGs, Stuttgart 2001, S. 115-126, hier S. 115.

3 Kira Marrs, Ökonomisierung gelungen, Pflegekräfte wohlauf?, in: WSI Mitteilungen 60 (2007), S. 502-507, hier S. 506.

4 Siehe Hagen Kühn/Sebastian Klinke, Krankenhaus im Wandel. Zeit- und Kostendruck beeinflussen die Kultur des Heilens, in: WZB-Mitteilungen 113 (2006), S. 6-9; Robin Mohan, Die Ökonomisierung des Krankenhauses. Eine Studie über den Wandel pflegerischer Arbeit, Bielefeld 2019; Sebastian Starystach/Stefan Bär, Feindliche Übernahme? Krankenhauspflege in Zeiten der Ökonomisierung, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 71 (2019), S. 211-235, hier S. 221.

5 Siehe Sina Hilgers, DRG-Vergütung in deutschen Krankenhäusern. Auswirkungen auf Verweildauer und Behandlungsqualität, Wiesbaden 2011; Jürgen Stausberg/Kathleen Berghof, Qualität der stationären Versorgung in Deutschland. Eine Analyse der Entwicklung zwischen 2004 und 2008 aus Daten der externen vergleichenden Qualitätssicherung, in: Deutsche Medizinische Wochenschrift 139 (2014), S. 181-186.

6 Heinz Naegler/Karl-Heinz Wehkamp, Medizin zwischen Patientenwohl und Ökonomisierung. Krankenhausärzte und Geschäftsführer im Interview, Berlin 2018.

7 Siehe Jürgen Stausberg, DRG-System. Ein Erfolgsmodell?, in: Deutsches Ärzteblatt 106 (2009), S. A 226.

8 Rettet die Medizin. Der Ärzte-Appell, in: stern, 5.9.2019, S. 34-35, hier S. 35; Der Ärzte-Appell. Gegen das Diktat der Ökonomie in unseren Krankenhäusern, in: Berliner Ärzte 56 (2019) H. 10, S. 31.

9 Siehe beispielsweise Mohan, Ökonomisierung des Krankenhauses (Anm. 4); Annemarie Gethmann-Siefert/Felix Thiele (Hg.), Ökonomie und Medizinethik, München 2008; Giovanni Maio, Geschäftsmodell Gesundheit. Wie der Markt die Heilkunst abschafft, Berlin 2014; aus theologischer Perspektive: Joachim Riedmayer, Sozialethische Gesichtspunkte der Ökonomisierung des Krankenhauswesens in Deutschland, Frankfurt a.M. 2011.

10 Siehe etwa Hans-Ulrich Deppe, Zur sozialen Anatomie des Gesundheitssystems. Neoliberalismus und Gesundheitspolitik in Deutschland, Frankfurt a.M. 2000, 3., aktualisierte Aufl. 2005, S. 206.

11 Fabian Karsch, Medizin zwischen Markt und Moral. Zur Kommerzialisierung ärztlicher Handlungsfelder, Bielefeld 2015, S. 12.

12 Siehe Annemarie Gethmann-Siefert, Zum Verhältnis von Ökonomie und Medizinethik. Überlegungen zur Einführung, in: dies./Thiele, Ökonomie und Medizinethik (Anm. 9), S. 9-29.

13 Paul U. Unschuld, Ware Gesundheit. Das Ende der klassischen Medizin, München 2009, 3., aktualisierte u. erweiterte Aufl. 2014.

14 Dies nach Hans Günter Hockerts, Zeitgeschichte in Deutschland. Begriff, Methoden, Themenfelder, in: Historisches Jahrbuch 113 (1993), S. 98-127.

15 Siehe beispielsweise Michael Simon, Die ökonomischen und strukturellen Veränderungen des Krankenhausbereichs seit den 1970er Jahren, in: Ingo Bode/Werner Vogd (Hg.), Mutationen des Krankenhauses. Soziologische Diagnosen in organisations- und gesellschaftstheoretischer Perspektive, Wiesbaden 2016, S. 29-45, hier S. 33.

16 Im Jahr 2017 wurden 1.592 Allgemeine Krankenhäuser gezählt, die zusammengenommen 450.000 Krankenbetten stellten. Daneben existieren heute spezialisierte Fachkliniken als zweitgrößte Einrichtungsgruppe, Universitätskliniken mit Aufgaben in den Bereichen Lehre und Forschung sowie Tageskliniken. Zahlen nach: Statistisches Bundesamt (Hg.), Gesundheit. Grunddaten der Krankenhäuser 2017, Wiesbaden 2018, S. 22f.

17 Siehe zur historischen Genese des Neoliberalismus und seiner dynamischen Entwicklung: Serge Audier/Jurgen Reinhoudt, Neoliberalismus. Wie alles anfing: Das Walter Lippmann Kolloquium, Hamburg 2019; Quinn Slobodian, Globalisten. Das Ende der Imperien und die Geburt des Neoliberalismus. Aus dem Englischen von Stephan Gebauer, Berlin 2019; Philipp Ther, Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent. Eine Geschichte des neoliberalen Europa, Berlin 2014, aktualisierte Ausg. 2016, S. 22-26; ders., Neoliberalismus, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 5.7.2016.

18 Anselm Doering-Manteuffel/Lutz Raphael, Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, Göttingen 2008, 2. Aufl. 2010, insbesondere S. 9ff.

19 Vgl. bereits zur Korrektur des Bildes, neoliberale Konzepte würden die »Selbstregulierung« des »freien Marktes« postulieren: Slobodian, Globalisten (Anm. 17), S. 13-16.

20 Strukturell ähnliche Anreiz- und Evaluierungssysteme, die zunächst in den 1980er-Jahren in Form des New Public Management zum Durchbruch kamen, wurden beispielsweise auch an den Universitäten installiert. Siehe zum Aspekt des Planwirtschaftlichen in diesem Zusammenhang: Stefan Plaggenborg, Die strukturelle Sowjetisierung der Geisteswissenschaften, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3.7.2019, S. N4.

21 Siehe Eberhard Göpel, Wohin treibt die »Gesundheitsbewegung«? Überlegungen zur politisch kulturellen Bedeutung des Gesundheitsmotivs, in: Jahrbuch für Kritische Medizin 11 (1986), S. 115-125, hier S. 118. Zur Diskussion in den USA siehe J. Warren Salmon, Profitorientierte Gesundheitsversorgung in den USA, in: ebd., S. 126-140.

22 Rüdiger Graf, Einleitung. Ökonomisierung als Schlagwort und Forschungsgegenstand, in: ders. (Hg.), Ökonomisierung. Debatten und Praktiken in der Zeitgeschichte, Göttingen 2019, S. 9-25, hier S. 19.

23 Siehe Laura Rischbieter, Finanzialisierung und Ökonomisierung. Alter Wein in neuen Schläuchen?, in: Graf, Ökonomisierung (Anm. 22), S. 94-116.

24 Hagen Kühn, Ethische Probleme der Ökonomisierung von Krankenhausarbeit, in: André Büssing/Jürgen Glaser (Hg.), Dienstleistungsqualität und Qualität des Arbeitslebens im Krankenhaus, Göttingen 2003, S. 77-98, hier S. 78.

25 Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht, 6. Wahlperiode, 5. Sitzung, 28.10.1969.

26 Siehe Axel Hinrich Murken, Grundzüge des deutschen Krankenhauswesens von 1780 bis 1930 unter Berücksichtigung von Schweizer Vorbildern, in: Gesnerus 39 (1982), S. 7-45, hier S. 20.

27 Anfang der 1970er-Jahre versuchte der Landrat von Hanau, Martin Woythal, tatsächlich ein »klassenloses Krankenhaus« zu etablieren, in dem Kassen- und Privatpatient*innen die gleiche medizinische Versorgung und Essensverpflegung erhalten sollten. Siehe: Bohnen im Kaffee, in: Spiegel, 21.9.1970, S. 57.

28 Dieter Deininger, Das Krankenhauswesen in der Bundesrepublik Deutschland im Spiegel der Statistik 1969, in: Das Krankenhaus 63 (1971), S. 181-186, hier S. 185.

29 August Fischer, Das Krankenhaus im Spannungsfeld von Finanzierung und Politik, in: Das Krankenhaus 63 (1971), S. 310-323, hier S. 310.

30 Siehe als kurzen Überblick Harald Clade, Die Gesundheitsökonomie hat sich etabliert. Zwanzig Jahre bundesdeutsche Forschung, in: Deutsches Ärzteblatt 82 (1985), S. A 2397-A 2398.

31 Siegfried Eichhorn, Krankenhausbetriebslehre. Theorie und Praxis des Krankenhausbetriebes, Bd. 1, Stuttgart 1967, S. 160f.

32 Die im Elend, in: Spiegel, 7.12.1970, S. 46-62, hier S. 49.

33 Deutscher Bundestag, Drucksache 5/4230, 19.5.1969.

34 Ebd., S. 9. Für das Jahr 1960 verzeichnete das Statistische Bundesamt 1.385 Krankenhäuser in öffentlicher, 1.307 in freigemeinnütziger und 912 in privater Trägerschaft; siehe Uwe Lebok, Die Auswirkungen der demographischen Entwicklung auf die Krankenhausverweildauer in Deutschland, Berlin 2000, S. 122.

35 Deutscher Bundestag, Drucksache 5/4230 (Anm. 33), S. 30. Für eine detaillierte Auflistung der Darlehen und Zuschüsse von 1950 bis 1966 siehe den dortigen Anhang.

36 Bundesgesetzblatt, Teil I, Nr. 37 vom 14.5.1969, S. 363.

37 Deutscher Bundestag, Drucksache 6/1667, 18.12.1970.

38 Ebd., S. 132ff. Im Vergleich zu 1871 hatte sich die Überlebenschance bei Neugeborenen verdoppelt, und die durchschnittliche Lebenserwartung von über 65-Jährigen war um zwei Jahre gestiegen.

39 Siehe dazu auch Hans Günter Hockerts/Günther Schulz (Hg.), Der »Rheinische Kapitalismus« in der Ära Adenauer, Paderborn 2016.

40 Deutscher Bundestag, Drucksache 6/1667 (Anm. 37), S. 11f.

41 Ebd., S. 133f.

42 Deutscher Bundestag, Drucksache 5/4230 (Anm. 33), S. 6. Die Prozentzahlen an Betten verdeutlichen, dass Privatkliniken in dieser Zeit meist keine Großkliniken waren. Noch in den 1980er-Jahren waren mehr als 90 Prozent der deutschen Großkliniken in öffentlich-rechtlicher Hand; siehe Philipp Herder-Dorneich/Jürgen Wasem, Krankenhausökonomik zwischen Humanität und Wirtschaftlichkeit, Baden-Baden 1986, S. 28f.

43 Deutscher Bundestag, Drucksache 6/1874, 25.2.1971.

44 Ebd., S. 4.

45 Siehe Petra Weber, Getrennt und doch vereint. Deutsch-deutsche Geschichte 1945–1989/90, Berlin 2020, S. 403.

46 Clemens-August Andree u.a., Appell, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.2.1984.

47 Siehe dazu Andreas Wirsching, Eine »Ära Kohl«? Die widersprüchliche Signatur deutscher Regierungspolitik 1982–1998, in: Archiv für Sozialgeschichte 52 (2012), S. 667-684.

48 Ebd.; Thomas Handschuhmacher, Eine »neoliberale« Verheißung. Das politische Projekt der »Entstaatlichung« in der Bundesrepublik der 1970er und 1980er Jahre, in: Frank Bösch/Thomas Hertfelder/Gabriele Metzler (Hg.), Grenzen des Neoliberalismus. Der Wandel des Liberalismus im späten 20. Jahrhundert, Stuttgart 2018, S. 149-176, hier S. 120f.; Simon, Die ökonomischen und strukturellen Veränderungen (Anm. 15), S. 32.

49 Handschuhmacher, Eine »neoliberale« Verheißung (Anm. 48), S. 170.

50 Siehe mit der Einordnung als einer »Gruppe puristischer Marktwissenschaftler, die Reformkonzepte auf der Basis reiner Marktmodelle und ›radikal‹-ökonomischer Lösungsansätze auch und gerade im Gesundheitswesen präferieren«: Clade, Die Gesundheitsökonomie hat sich etabliert (Anm. 30), S. A 2398.

51 Vgl. Frank Bösch, Zeitenwende 1979. Als die Welt von heute begann, München 2019, S. 284; Charles Webster, The National Health Service. A Political History, Oxford 1998, 2. Aufl. 2002, S. 146.

52 Zit. nach Herder-Dorneich/Wasem, Krankenhausökonomik (Anm. 42), S. 354.

53 Simon, Die ökonomischen und strukturellen Veränderungen (Anm. 15), S. 33.

54 Tatsächlich hatten sich die Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für Krankenbehandlung in Anstalten seit 1960 verzwölffacht, wobei die Zunahme chronisch-degenerativer und psychosozialer Erkrankungen sowie die Pflege von Schwerstkranken als Ursachen galten. Siehe Hans-Ulrich Deppe, Zum gesellschaftlichen Charakter der gesetzlichen Krankenversicherung, in: ders. (Hg.), Vernachlässigte Gesundheit. Zum Verhältnis von Gesundheit, Staat, Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Ein kritischer Überblick, Köln 1980, S. 85-138, hier S. 126, S. 130.

55 Hans-Ulrich Deppe/Hannes Friedrich/Rainer Müller, Editorial, in: dies. (Hg.), Kosten, Technik oder humane Versorgung, Frankfurt a.M. 1989, S. 7f.

56 Hans-Ulrich Deppe/Rolf Rosenbrock, Gesundheitssystem und ökonomische Interessen, in: Jahrbuch für Kritische Medizin 5 (1979), S. 43-50, hier S. 48.

57 Umgekehrt ließ sich dies jedoch auch sozialkritisch wenden – im Sinne einer Mitverantwortung des Staates. »Die Erhaltung der Gesundheit«, bemerkte der Medizinsoziologe Deppe, »wird in dem Maße zu einer gesellschaftlichen und staatlichen Aufgabe, wie erkannt wird, daß die Entstehung und der Verlauf von Krankheiten immer weniger von natürlich gegebenen Faktoren als vielmehr von Menschen gemachten Bedingungen und Verhältnissen abhängen.« Hans-Ulrich Deppe, Vorwort, in: ders., Vernachlässigte Gesundheit (Anm. 54), S. 9-11, hier S. 9. Zu den Ausläufern implizierter Schuldzuweisungen siehe Martin Dannecker, Wem Gesundheit zum Programm wird, in: ders., Faszinosum Sexualität. Theoretische, empirische und sexualpolitische Beiträge, Gießen 2017, S. 149-162.

58 Siehe auch Thomas Gerlinger, Gesundheitsreform in Deutschland. Hintergrund und jüngere Entwicklungen, in: Alexandra Manzei/Rudi Schmiede (Hg.), 20 Jahre Wettbewerb im Gesundheitswesen. Theoretische und empirische Analysen zur Ökonomisierung von Medizin und Pflege, Wiesbaden 2014, S. 35-69, hier S. 60.

61 Ebd., S. 86.

62 Simon, Die ökonomischen und strukturellen Veränderungen (Anm. 15), S. 35.

63 Siehe für einen exzellenten Überblick: Thomas Gerlinger, Krankenhausplanung und -finanzierung, 1.3.2012, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.), Dossier Gesundheitspolitik.

64 Das zeigte sich rückblickend noch deutlicher, als es angesichts der fortdauernden, schon seit 1998 äußerst zähen Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition den Anschein haben mochte. Für einen knappen Überblick vgl. Edgar Wolfrum, Rot-Grün an der Macht. Deutschland 1998–2005, München 2013, S. 209-213. Siehe dazu ausführlich: Deppe, Zur sozialen Anatomie des Gesundheitssystems (Anm. 10), S. 99-130.

65 Siehe Deutscher Bundestag, Drucksache 14/9885, 21.8.2002, S. 5.

66 Ebd., S. 28.

67 Vgl. mit ersten Ansätzen zu einer Historisierung des EbM-Konzepts Timo Bolt/Frank Huisman, EBM in der Krise? Ein Kommentar zur Notwendigkeit zeithistorischer medizinischer Analysen der evidence-based medicine, in: Medizinhistorisches Journal 53 (2018), S. 59-70.

68 Burkhard Gmelin, Die Ökonomisierung der Mitmenschlichkeit, in: Deutsches Ärzteblatt 97 (2000), S. A 1659-A 1664, hier S. A 1664.

69 Ebd., S. A 1664.

70 Ebd., S. A 1659.

71 Harald Clade, Das Bedarfsdeckungsprinzip verliert an Bedeutung. Konsequenzen einer Umstellung auf diagnosebezogene Fallpauschalen, in: Deutsches Ärzteblatt 100 (2003), S. A 1098-A 1099, hier S. A 1098.

72 Siehe u.a. Jens Flintrop, Krankenhäuser zwischen Medizin und Ökonomie: Die Suche nach dem richtigen Maß, in: Deutsches Ärzteblatt 111 (2014), S. A 1929-A 1931, hier S. A 1931. Zahlen nach Gerlinger, Krankenhausplanung und -finanzierung (Anm. 63).

73 Siehe Alexander Geissler u.a., Introduction to DRGs in Europe: Common Objectives across Different Hospital Systems, in: Reinhard Busse u.a. (Hg.), Diagnosis-Related Groups in Europe. Moving towards Transparency, Efficiency and Quality in Hospitals, New York 2011, S. 9-21, hier S. 10.

74 Siehe Susanne Eva Schulz, Arbeiten im Krankenhaus: Der Umgang von Beschäftigten mit der Ökonomisierung, in: WSI Mitteilungen 70 (2017), S. 205-210, hier S. 208.

75 Siehe Mohan, Ökonomisierung des Krankenhauses (Anm. 4), S. 168. Für einen Einblick in Veränderungen der Pflegearbeit seit Einführung der DRGs vgl. ebd., S. 197-266; Marrs, Ökonomisierung gelungen, Pflegekräfte wohlauf? (Anm. 3); Bernard Braun/Sebastian Klinke/Rolf Müller, Auswirkungen des DRG-Systems auf die Arbeitssituation im Pflegebereich von Akutkrankenhäusern, in: Pflege & Gesellschaft 15 (2010), S. 5-19.

76 Siehe Mohan, Ökonomisierung des Krankenhauses (Anm. 4), S. 161.

77 Zit. nach Horst Imdahl, Der Chefarzt als Doppelagent? Im Spannungsfeld zwischen Profession und fachfremden Motiven, in: Ulrich Deichert/Wolfgang Höppner/Joachim Steller (Hg.), Traumjob oder Albtraum – Chefarzt w/m. Ein Rat- und Perspektivgeber, Berlin 2016, S. 185-199, hier S. 186.

78 Siehe dazu und zum Folgenden die Erhebungen über die »Grunddaten der Krankenhäuser« für die Jahre 2004, 2007 und 2017 auf der Website des Statistischen Bundesamtes: <https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Krankenhaeuser/_inhalt.html>.

80 Siehe Tanja Klenk, Krise und Krisenmanagement in kommunalen Krankenhäusern, in: Michael Haus/Sabine Kuhlmann (Hg.), Lokale Politik und Verwaltung im Zeichen der Krise?, Wiesbaden 2013, S. 215-233, hier S. 215.

81 Siehe ebd., S. 219.

82 Ilona Kickbusch, Die Gesundheitsgesellschaft. Megatrends der Gesundheit und deren Konsequenzen für Politik und Gesellschaft, Werbach-Gamburg 2006.

83 Siehe Hans-Fred Weiser, Leitende Krankenhausärzte: Überarbeitetes Leitbild, in: Deutsches Ärzteblatt 104 (2007), S. A 2037-A 2038, hier S. A 2037; Marrs, Ökonomisierung gelungen, Pflegekräfte wohlauf? (Anm. 3), S. 505.

84 Siehe Martin Lengwiler/Jeannette Madarász, Präventionsgeschichte als Kulturgeschichte der Gesundheitspolitik, in: dies. (Hg.), Das präventive Selbst. Eine Kulturgeschichte moderner Gesundheitspolitik, Bielefeld 2010, S. 11-28.

85 Stefanie Duttweiler, Körperbilder und Zahlenkörper, in: dies. u.a. (Hg.), Leben nach Zahlen. Self-Tracking als Optimierungsprojekt?, Bielefeld 2016, S. 221-251, hier S. 223f.

86 Siehe Stefanie Duttweiler/Jan-Hendrik Passoth, Self-Tracking als Optimierungsprojekt?, in: Duttweiler u.a., Leben nach Zahlen (Anm. 85), S. 9-42, hier S. 32.

87 Siehe Robert Gugutzer, Self-Tracking als Objektivation des Zeitgeists, in: Duttweiler u.a., Leben nach Zahlen (Anm. 85), S. 161-182, hier S. 178.

90 Siehe dazu u.a. Dorothea Brummerloh, Junge Ärzte fordern andere Arbeitsbedingungen, in: Deutschlandfunk Kultur, 27.5.2019.

91 stern, 5.9.2019.

92 Siehe Doering-Manteuffel/Raphael, Nach dem Boom (Anm. 18), S. 9f.

93 Dazu Anselm Doering-Manteuffel/Lutz Raphael, Nach dem Boom. Neue Einsichten und Erklärungsversuche, in: dies. (Hg.), Vorgeschichte der Gegenwart. Dimensionen des Strukturbruchs nach dem Boom, Göttingen 2016, S. 9-34, hier S. 13; Werner Plumpe, Das kalte Herz. Kapitalismus: Die Geschichte einer andauernden Revolution, Berlin 2019; Friedrich Lenger, Die neue Kapitalismusgeschichte. Ein Forschungsbericht als Einleitung, in: Archiv für Sozialgeschichte 56 (2016), S. 3-37; Sören Brandes/Malte Zierenberg, Doing Capitalism. Praxeologische Perspektiven, in: Mittelweg 36 26 (2017) H. 1, S. 3-24.

94 Siehe zur problematischen Rolle der Medizinethik: Volker Roelcke, Vom Menschen in der Medizin. Für eine kulturwissenschaftlich kompetente Heilkunde, Gießen 2017, insbesondere S. 171f.

95 Siehe etwa Starystach/Bär, Feindliche Übernahme? (Anm. 4).

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