Was heißt: Singularität des Holocaust?

  1. »Historikerstreit« 1986
  2. Der Holocaust als komplexes Gewaltgeschehen
  3. Verflechtungsgeschichte der Gewalt
  4. Was bleibt?

Anmerkungen

[Der vorliegende Essay ist die überarbeitete und ergänzte Fassung meiner Abschiedsvorlesung, die ich am 17. Februar 2022 an der Humboldt-Universität zu Berlin gehalten habe. Die Videoaufnahme der Vorlesung ist hier auch anzusehen (bitte etwas herunterscrollen).]

In der aktuellen Debatte um Holocaust, Kolonialismus und Erinnerung hat Per Leo jüngst angeregt, dass Historikerinnen und Historiker irritierende Fragen stellen sollten.1 Diesem, wie ich finde, klugen Vorschlag folgend, möchte ich hier diskutieren, ob und inwieweit die Rede von der Singularität des Holocaust angemessen, sinnvoll, erkenntnisfördernd ist. Wie ist sie (in der Bundesrepublik) entstanden, und worin könnte heute ihre Aussagekraft liegen? Müsste die Perspektive nicht erweitert werden? Solche Fragen führen in das Zentrum einer Debatte, die hierzulande seit der Auseinandersetzung vom Frühjahr 2020 um den afrikanischen postkolonialen Theoretiker Achille Mbembe heftig entbrannt ist, dem der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung Felix Klein vorwarf, den Holocaust zu relativieren.2 Die vor allem in den Feuilletons geführte Debatte verschärfte sich, als der in den USA lehrende Historiker A. Dirk Moses im Mai 2021 mit einem provokanten Essay die deutsche Erinnerungskultur kritisierte: In der Fixierung auf den Holocaust würden die Kolonialverbrechen ausgeblendet.3 Die Kontroverse um Antisemitismus auf der diesjährigen documenta bildete mit den schrillen Tönen zweifellos den vorläufigen Tiefpunkt dieser Debatte. Nachdenkliche Argumente wie von Micha Brumlik, Sebastian Conrad, Charlotte Wiedemann oder Natan Sznaider scheinen kaum noch Gehör zu finden.4

Dieser Essay kann auf die umfangreiche Debatte selbstredend nicht erschöpfend eingehen, sondern muss sich auf einige Aspekte konzentrieren. Ich beginne mit einem Rückblick auf den »Historikerstreit« 1986, der mit einem erinnerungspolitischen Deutungskonsens endete, und verweise auf die wenig später stattfindende »Verstaatlichung« der deutschen Erinnerungspolitik im Zuge der Vereinigung beider deutscher Staaten. Mit einem weiten Verständnis des Begriffs Holocaust will ich an einer Reihe von empirischen Beispielen zeigen, dass es sich bei dem als Holocaust bezeichneten Gewaltgeschehen um eine verflochtene Geschichte handelt, die verschiedene Opfer- und Tätergruppen umfasst. Dieses komplexe Gewaltgeschehen wird, so meine These, mit dem Begriff der Singularität wissenschaftlich nicht (mehr) adäquat charakterisiert. Aber auch hinsichtlich der Erinnerungskultur zeigen sich Defizite und Blockaden, wenn am Theorem der Einzigartigkeit festgehalten wird. So mündet dieser Essay in ein Plädoyer für mehr Offenheit und Bereitschaft, unterschiedliche Perspektiven auf Vergangenheit zu akzeptieren, ohne sie zu nivellieren oder zu hierarchisieren.

Videoaufnahme der Abschiedsvorlesung von Michael Wildt
an der Humboldt-Universität zu Berlin, 17. Februar 2022.
Der Vorlesung vorangestellt ist eine Würdigung
durch Thomas Sandkühler (Min. 2:00 bis 12:40).
Am Ende danken Sina Fabian und Marc Buggeln
als langjährige Mitarbeiter:innen
Michael Wildt für die Zusammenarbeit (ab Std. 1:03:48),
und ein virtueller Applaus des Auditoriums rundet die Veranstaltung ab.

1. »Historikerstreit« 1986

Über die politische Intention seines Artikels gegen Ernst Nolte, Michael Stürmer, Klaus Hildebrand und Andreas Hillgruber ließ Jürgen Habermas im Juli 1986 seine Leserinnen und Leser nicht im Unklaren: »Die vorbehaltlose Öffnung der Bundesrepublik gegenüber der politischen Kultur des Westens ist die große intellektuelle Leistung unserer Nachkriegszeit, auf die gerade meine Generation stolz sein könnte.« Der einzige Patriotismus, der das demokratische Deutschland nicht dem Westen entfremde, so Habermas, sei ein Verfassungspatriotismus, der sich in der Bundesrepublik »erst nach – und durch – Auschwitz« habe bilden können.5

Habermas war es auch, der die »Einzigartigkeit« in die Debatte einbrachte, indem er die absonderliche These Ernst Noltes vom Kausalnexus zwischen bolschewistischen und nationalsozialistischen Massenverbrechen so kritisierte: »Die Nazi-Verbrechen verlieren ihre Singularität dadurch, daß sie als Antwort auf (heute fortdauernde) bolschewistische Vernichtungsdrohungen mindestens verständlich gemacht werden. Auschwitz schrumpft auf das Format einer technischen Innovation und erklärt sich aus der ›asiatischen‹ Bedrohung durch einen Feind, der immer noch vor unseren Toren steht.«6

Es ist deutlich, wie sehr dieser mehr politische als wissenschaftliche Historikerstreit von der damals noch herrschenden Systemkonkurrenz, vom Denken in den Kategorien des Kalten Krieges, geprägt war. Den Hintergrund für die öffentliche Debatte bildete jedoch vor allem die Befürchtung, dass der politische und kulturelle Aufbruch, der vom Regierungsantritt der sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt 1969 ausgegangen war, durch eine nationalkonservative Geschichtspolitik zurückgedrängt werden könnte. Die Regierung Helmut Kohls schrieb seit ihrem Amtsantritt im Herbst 1982 die Forderung nach einer »geistig-moralischen Wende«, die Rückgewinnung konservativer Werte und nationaler Selbstvergewisserung auf ihre Fahnen. In seiner Rede zur Lage der Nation vom Februar 1985 unterstützte Kohl die Gründung eines Deutschen Historischen Museums als »nationale Aufgabe von europäischem Rang«. Im Mai desselben Jahres, zum 40. Jahrestag des Kriegsendes und der Befreiung vom Nationalsozialismus, legten US-Präsident Ronald Reagan und Helmut Kohl, der diesen symbolischen Akt eingefordert hatte, auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg gemeinsam Kränze nieder, obwohl dort neben Wehrmachtssoldaten auch Angehörige der Waffen-SS begraben waren. Und anlässlich seines Staatsbesuches in Israel 1984 erklärte Kohl, dass seiner Generation kein Vorwurf der Schuld mehr zu machen sei, »weil wir die ›Gnade der späten Geburt‹ besitzen«.7

Grund genug also, dass linksliberale Intellektuelle fürchteten, die »geistig-moralische Wende« ziele auf die Renaissance eines nationalistischen Selbstverständnisses der (west-)deutschen Gesellschaft, mit dem unter die NS-Vergangenheit der berühmte Schlussstrich gezogen werden sollte. Dieser Historikerstreit, der in der Tat nahezu ausschließlich von Männern geführt wurde, endete bekanntermaßen mit einem klaren Sieg der Linksliberalen. Ein Vergleich des Massenmordes an den europäischen Jüdinnen und Juden mit anderen Genoziden, hier vor allem mit den Massenverbrechen des Stalinismus, wurde fortan zurückgewiesen, weil damit der mögliche Anspruch einer Gleichsetzung verbunden sei. Der Holocaust wurde »einzigartig«, und zwar primär aus politischen Gründen.8

Der damalige Deutungskonsens von der Singularität des Holocaust, dem sich im Kontext der deutschen Einheit auch die Konservativen anschlossen, ging einher mit einer »Verstaatlichung« der Erinnerungspolitik. In den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg hatten in Westdeutschland überwiegend zivilgesellschaftliche Initiativen und die Verbände der Überlebenden an die Opfer und die Stätten der Massenverbrechen des NS-Regimes erinnert und zum öffentlichen Gedenken aufgerufen, oftmals gegen den erbitterten Widerstand lokaler Honoratioren oder überregionaler Politiker. Mit dem Einigungsvertrag 1990 übernahm die Bundesrepublik Deutschland, nicht zuletzt auf Drängen der Sowjetunion, die Verpflichtung, für die »Nationalen Mahn- und Gedenkstätten« der ehemaligen DDR zu sorgen, was im geeinten Deutschland nun auch die staatliche Förderung der NS-Gedenkstätten im Westen nach sich zog. Öffentliche Erinnerung geriet zur staatlichen Aufgabe. Was für die Gedenkstätten eine Sicherung ihrer kontinuierlichen Arbeit bedeutete, hieß aber zugleich, dass nun der Staat die Erinnerungspolitik lenkte.9

Die Erinnerung an die Shoah wurde in den Rang einer Staatsräson der geeinten Bundesrepublik Deutschland erhoben. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin, im Mai 2005 mit einem Staatsakt eingeweiht, ist ein prominentes Beispiel, wie eine zivilgesellschaftliche Initiative von der Regierung, noch unter Kohl, und dem Bundestag aufgegriffen wurde, nicht zuletzt in der Erwartung, mit dieser Geste einer öffentlichen Repräsentation der von Deutschen und in deutschem Namen begangenen Verbrechen das Ansehen der geeinten Nation in der Welt zu fördern. Mit der – damals durchaus umstrittenen – Entscheidung, dieses Denkmal allein den jüdischen Opfern zu widmen, fand der normative Deutungskonsens des Historikerstreits von der Einzigartigkeit des Holocaust, verstanden als Mord an den europäischen Jüdinnen und Juden, seine buchstäblich in Beton gegossene symbolische Form.10

Deutsche Staatsräson:
Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas
im Berliner Regierungsviertel
(Wikimedia Commons, Anteeru,
Mahnmal, Tiergarten, Reichstag,
CC BY-SA 3.0; Foto von 2012)

2. Der Holocaust als komplexes Gewaltgeschehen

Die Positionen des Historikerstreits, der auf einer dürren empirischen Basis ausgetragen wurde, waren rasch überholt. Zum einen führten die Massenmorde in Ruanda sowie die Greueltaten im post-jugoslawischen Bürgerkrieg zu einem Aufschwung der Genozidforschung, für die der Vergleich ein elementarer Bestandteil der Analyse ist. Der Holocaust bildete dabei den Maßstab, mit dem andere Genozide verglichen, Differenzen und Ähnlichkeiten festgestellt wurden. Allerdings waren politik- und sozialwissenschaftliche Ansätze in der Genozidforschung dominant, nicht zuletzt aus Gründen der Politikberatung, und zumindest die deutsche Holocaustforschung, von der erst ab den 1980er-Jahren ernsthaft die Rede sein kann, war, unter dem Verdikt der Singularität, kaum an der Genozidforschung beteiligt. Beide Arbeitsfelder existierten über Jahre hinweg nebeneinander, ohne dass die Holocaustforschung hierzulande Impulse der Genozidforschung aufgenommen und umgekehrt die Genozidforschung die Erkenntnisfortschritte der Holocaustforschung zur Kenntnis genommen hätte.11

Zum anderen öffnete die Epochenzäsur 1989/90 in mehrfacher Hinsicht den Horizont der Zeitgeschichtsforschung. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs wurde der Blick auf Osteuropa frei, wo die Massenverbrechen des NS-Regimes vor allem stattgefunden hatten. Die Demokratisierung der ehemals sozialistischen Staaten machte den westlichen Historikerinnen und Historikern bislang verschlossene Archive zugänglich. Die nächsten Jahrzehnte waren von gehaltvollen empirischen Studien geprägt, die sich auf die Besatzungspolitik und die Massenverbrechen des NS-Regimes in Ostmitteleuropa und der Sowjetunion konzentrierten. Statt des längst schal gewordenen Streits um die Rolle Hitlers im Prozess der »Endlösung« wurden Fragen nach dem Verhältnis von Zentrale und Peripherie, Befehlsgebung von oben und Initiativen von unten, nach der Relevanz der regionalen Institutionen der Besatzungsverwaltung, nach Intentionen und Interessen der Beteiligten, den Handelnden vor Ort untersucht. Damit verschob sich der Blick zunehmend vom Staat auf die Gesellschaft, wie etwa Frank Bajohr in mehreren Aufsätzen zur Täterforschung erläutert hat. Stärker als zuvor rückten gesellschaftliche Akteure und Akteurinnen in den Fokus der Analyse: Nicht nur staatliches Verfolgungshandeln, sondern auch die alltägliche soziale Ausgrenzung, das Mittun so vieler an der Exklusion all derjenigen, die nach antisemitischer und rassistischer Definition nicht Teil der deutschen »Volksgemeinschaft« sein durften, aber auch Teil der Gesellschaften unter Besatzung waren.12

Ukrainische Frauen bei der Zwangsarbeit
im Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) in Kiew, 1943
(picture-alliance/ZB/Eisenbahnstiftung)

Der Holocaust erwies sich in diesen Forschungen als ein komplexes Gewaltgeschehen, das unterschiedliche Täter- und verschiedene Opfergruppen umfasste. Die nationalsozialistische Vernichtungspolitik richtete sich nicht allein gegen jüdische Opfer, sondern ebenfalls gegen Roma und Sinti, kranke und behinderte Menschen sowie gegen die Bevölkerungen in den besetzten Gebieten, besonders in Polen und Osteuropa.

Peter Novick hat vor geraumer Zeit ausgeführt, dass die Frage nach den Opfergruppen des Holocaust nicht neu ist. Er schildert die Debatte um die Konzeption des United States Holocaust Memorial Museum zu Beginn der 1980er-Jahre, in der es eben darum ging, ob als Opfer des Holocaust allein Jüdinnen und Juden zu verstehen seien oder der Holocaust auch andere rassistisch verfolgte Gruppen umfassen sollte, wie es beispielsweise das Simon Wiesenthal Center in Los Angeles forderte. Schließlich setzte sich die Position Elie Wiesels durch, allein der jüdischen Opfer zu gedenken, obwohl der offizielle Auftrag von US-Präsident Jimmy Carter vom Oktober 1979 für das US Holocaust Memorial Council, das die Konzeption des Museums erarbeitete, anders lautete. Der »Holocaust«, hieß es damals, sei »the systematic and State-sponsored extermination of six million Jews and some five million other peoples by the Nazis and their collaborators during World War II«.13 Viele historische Gründe sprechen dafür, an dieser weiten Definition festzuhalten, wie einige Schlaglichter beleuchten sollen.

Wenige Wochen nach den antisemitischen Gesetzen im April 1933, mit denen jüdische Deutsche aus dem öffentlichen Leben, letztlich aus der deutschen Gesellschaft ausgeschlossen werden sollten, erließ die Hitler-Papen-Regierung am 14. Juli das »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses«, mit dem Zwangssterilisationen von Menschen ermöglicht wurden, die als erbbiologisch »minderwertig« definiert wurden. Die Maßnahme sollte diese Gruppe systematisch innerhalb einer Generation zum Aussterben bringen – weshalb auch in der Genozid-Konvention der Vereinten Nationen von 1948 solche Schritte, die die Reproduktion einer Menschengruppe verhindern sollen, als genozidal bezeichnet werden. In Deutschland waren nach offiziellen NS-Angaben bis zum Kriegsbeginn rund 300.000 Menschen Opfer von Zwangssterilisationen, was das Ausmaß dieser als »rassische Reinhaltung des deutschen Volkskörpers« verstandenen Politik anzeigt. Zwar waren unter den Opfern auch jüdische Deutsche, doch richteten sich die Zwangssterilisationen allgemein gegen angeblich »asoziale«, »gemeinschaftsfremde«, »minderwertige« Menschen, darunter etliche Roma und Sinti.14

Die Nürnberger Gesetze von 1935, die jüdischen Deutschen Heiraten und sexuelle Beziehungen mit »Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes« verboten, erfassten ebenso »Angehörige artfremder Rassen«, worunter Roma und Sinti sowie schwarze Menschen rubriziert wurden.15 An dieser Stelle soll noch einmal unterstrichen werden, dass es sich um antisemitische und rassistische Definitionen handelte. Die Verfolger bestimmten, wer Jude, wer in ihrem Vokabular Zigeuner und wer schwarz war. Es wäre fatal, diese rassistische und antisemitische Kategorisierung von Menschen in die Analyse der Verfolgung zu übernehmen und beispielsweise die These zu vertreten, Roma und Sinti seien nicht wie Juden verfolgt worden, weil Himmler »reinrassige Zigeuner« ausgenommen habe.

Dieses Foto, Teil einer im Auftrag des Kommandanten des KZ Westerbork vom jüdischen Häftling Rudolf Breslauer aufgenommenen kurzen Filmsequenz vom
Mai 1944, galt nach dem Ende der NS-Herrschaft lange als Dokument der Judenverfolgung. Das 9-jährige Mädchen, das hier aus dem Deportationswaggon schaute – bei einem Transport von Häftlingen nach Auschwitz – war aber keine Jüdin, sondern die niederländische Sintizza Settela Steinbach. Der Journalist
Aad Wagenaar konnte dies Anfang der 1990er-Jahre minutiös recherchieren und damit die Perspektive verändern, was wiederum der Regisseur Harun Farocki in seinem Film »Aufschub« von 2007 verarbeitete. Siehe dazu Axel Doßmann,
Häftlingsbilder verstehen. Harun Farockis Montagen mit Filmmaterial
aus dem NS-Lager Westerbork
, in: Fotogeschichte 125 (2012), S. 49-60.
Settela Steinbach wurde in Auschwitz ermordet.
(bpk)

Der Krieg war ohne Zweifel eine entscheidende Bedingung für das als Holocaust bezeichnete Mordgeschehen. Mit persönlicher Ermächtigung Hitlers begannen die Ermordungen von kranken und behinderten Menschen – der erste systematische rassistische Massenmord des NS-Regimes, der weit über 100.000 Menschen in Deutschland, Österreich und den besetzten Gebieten das Leben kostete. Getötet wurden die Opfer mit Beginn der Mordaktionen 1940 in Gaskammern. Als die Unruhe in der deutschen Bevölkerung zunahm, weil ihre Familienangehörigen umgebracht wurden, beendete die NS-Führung, die eine Erosion der Kriegsloyalität befürchtete, im Sommer 1941 nach außen hin diese Morde, um sie verdeckt und in den besetzten Gebieten sowieso fortzusetzen. Die Techniker des Massenmordes mit Gas wurden Ende 1941 nach Polen versetzt, um dort die Vernichtungsstätten in Bełżec, Sobibór und Treblinka aufzubauen. Nicht die Gaskammern dort waren präzedenzlos, sondern diejenigen in Grafeneck, Brandenburg, Hartheim, Sonnenstein, Bernburg und Hadamar.16

Der Krieg, von der NS-Führung als »Eroberung von Lebensraum« intendiert und tituliert, entfesselte die genozidale Gewalt des deutschen Siedlungskolonialismus. Die annektierten westpolnischen Gebiete sollten »germanisiert«, d.h. Polen und Juden von dort vertrieben werden, damit »Volksdeutsche« aus dem Baltikum und anderen Gebieten der Sowjetunion, die »heim ins Reich« drängten, dort siedeln konnten. Der Druck angesichts von Zehntausenden, die nun innerhalb kurzer Zeit aus der Sowjetunion ins besetzte Polen kamen, radikalisierte die deutsche antisemitische und antipolnische Politik enorm, wie Götz Aly gezeigt hat.17 Auch in Westeuropa wurden aus den annektierten Gebieten Elsaß-Lothringens jüdische Menschen, Männer, Frauen, Kinder, aber auch nichtjüdische Elsässer und Lothringer in die unbesetzte Zone Frankreichs vertrieben.18 Zudem organisierten SS und Polizei im Frühjahr 1940 die Deportation von Roma und Sinti aus dem Deutschen Reich ins besetzte Polen.19 »Die systematischen deutschen Verbrechen der Jahre 1939/40«, so Dieter Pohl, »richteten sich in erster Linie gegen Nichtjuden, auch wenn Tausende von Juden schon in dieser ersten Phase ermordet wurden.«20

Polnische Jüdinnen und Juden wurden in Ghettos gesperrt, die in riesige Zwangsarbeitsstätten umgewandelt wurden, weil sie sich selbst finanzieren sollten. Nun wurde es überlebenswichtig, in den deutschen Augen als »arbeitsfähig« zu gelten. Alle diejenigen, die den Deutschen als »unproduktiv«, als »überzählige Esser« erschienen, also kranke, alte Menschen und Kinder, wurden »selektiert« und ab Ende 1941 ermordet. Im Herbst 1941 begann die Deportation der deutschen Jüdinnen und Juden in die osteuropäischen Ghettos.21

Zu diesem Zeitpunkt war der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion bereits in vollem Gang, der in besonderer Weise und mit besonderer Absicht gegen die Zivilbevölkerung gerichtet war. Die deutschen Soldaten sollten sich aus dem Land selbst ernähren, was bedeutete, wie eine Staatssekretärsbesprechung in Berlin im Mai 1941 kalt festhielt, dass »zweifellos zig Millionen Menschen verhungern, wenn von uns das für uns Notwendige aus dem Lande herausgeholt wird«. Großstädte wie Leningrad sollten ausgehungert werden; die sowjetischen Kriegsgefangenen wurden auf offenem Feld in provisorische Zwangslager gesperrt und ohne ausreichende Versorgung ihrem Schicksal überlassen. Über zwei Millionen sowjetische Kriegsgefangene starben bis zum Frühjahr 1942 – ein Massenverbrechen, das in erster Linie die Wehrmachtsführung zu verantworten hatte.22 Der »Generalplan Ost«, jener monströse Siedlungsplan für Osteuropa, den Heinrich Himmler bei Wissenschaftlern um Konrad Meyer, Professor am Institut für Agrarwesen und Agrarpolitik der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin (heute Humboldt-Universität), in Auftrag gegeben hatte, sah die Vertreibung, Versklavung, Ermordung von über 30 Millionen Menschen vor.23

Die sowjetischen Juden galten in den Augen der Nationalsozialisten als besonders gefährlicher Feind. Ähnlich wie in Polen 1939 sollte die politische und soziale Trägerschicht der Sowjetunion eliminiert werden, wobei die deutschen Täter in ihrer antisemitischen Perspektive davon überzeugt waren, dass Judentum und Bolschewismus untrennbar verbunden seien, die Ermordung der sowjetischen Juden die Liquidierung der bolschewistischen Führungsschicht bedeuten würde. Juden waren im nationalsozialistischen Blick die Feinde per se, die die »Sicherheit« bedrohten und die »Befriedung« der eroberten Gebiete gefährdeten – auf diesen Aspekt der »Sicherheit« hat A. Dirk Moses jüngst zu Recht aufmerksam gemacht.24 Von den Juden ging angeblich die größte Gefahr aus, die letztlich nur durch ihre Vernichtung wirksam bekämpft werden könne. »Wo der Jude ist, ist der Partisan, und wo der Partisan ist, ist der Jude«, lautete der Merksatz eines Wehrmachtslehrgangs im September 1941 im weißrussischen Mogilew – was ebenso in allen besetzten Gebieten galt, ob in Frankreich, Serbien oder Griechenland.25

Für die NS-Führung stand es unerschütterlich fest, dass der Erste Weltkrieg deshalb verloren gegangen sei, weil Bolschewisten die Moral der kämpfenden Truppe untergraben und in der Heimat die Arbeiterschaft zu Streiks aufgestachelt sowie Juden in ihrem angeblichen Gewinnstreben mit Wucher und Eigennutz die nationale Kriegsanstrengung zersetzt hätten – wobei »Juden« und »Bolschewisten« in dieser antisemitischen Weltsicht amalgamierten.26 Ein derartiges Szenario, so die nationalsozialistische »Lehre«, dürfe sich im Zweiten Weltkrieg auf keinen Fall wiederholen. Erneut wurden Juden als Schwarzhändler, Partisanen, Saboteure, als verdeckt und hinterhältig agierende Feinde verdächtigt und damit als elementare Bedrohung für den Sieg und die Sicherheit wahrgenommen. Nur wenn man sich dieses gefährlichen Feindes im eigenen Machtbereich entledige, so das Kalkül der NS-Führung, könne man den Krieg gewinnen. Auf seinem Besprechungszettel für die Unterredung mit Hitler am 18. Dezember 1941 notierte Heinrich Himmler neben dem Stichwort »Judenfrage« die Konsequenz des Gesprächs: »als Partisanen auszurotten«.27

»Führerhauptquartier Wolfsschanze 18.XII.1941.
Judenfrage ǀ als Partisanen auszurotten«.
Notiz von Heinrich Himmler für eine Unterredung mit Adolf Hitler. Himmler schrieb die Punkte, die er mit Hitler besprechen wollte, vorab auf einen Notizzettel, hier: »Judenfrage«, und
vermerkte dann Stichworte zum Ergebnis des Gesprächs, hier:
»als Partisanen auszurotten«. Die übrigen Besprechungspunkte lauteten: »Neuorganisation d. Waffen-SS. Leibstandarte. Gebirgsdiv.[ision]«. Die Unterlagen zum Dienstkalender Himmlers 1941/42 befinden sich im Russischen Staatlichen Militärarchiv in Moskau.
(aus: Peter Witte u.a. [Hg.],
Der Dienstkalender Heinrich Himmlers 1941/42,
Hamburg 1999, S. 293)

Aber der rassistische Vernichtungswille traf ebenso Roma und Sinti. Die aus dem Burgenland ins Ghetto Litzmannstadt verschleppten über 5.000 Roma, darunter mehr als 2.000 Kinder, gehörten zu den ersten Opfern, die ins Vernichtungslager Kulmhof gebracht und dort in Gaswagen ermordet wurden. Wie die jüdischen Opfer wurden auch Roma und Sinti bis ins letzte Glied verfolgt und getötet. Nach dem Massenmord an den ungarischen Jüdinnen und Juden in Auschwitz-Birkenau von Mai bis Juli 1944 wurde auch das »Familienlager« mit Roma und Sinti aufgelöst. Die letzten Insassen, Männer, Frauen, Kinder, wurden in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 in den Gaskammern ermordet.28

Resümiert man die Forschung der vergangenen Jahrzehnte, dann bildet der Begriff der »Singularität«, allein bezogen auf den Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden, dieses komplexe, miteinander verflochtene, sich wechselseitig radikalisierende Gewaltgeschehen erkennbar nicht mehr ab. Die genozidale Siedlungspolitik radikalisierte schon 1939/40 die antisemitische Politik im besetzten Polen; die Mörder von kranken und behinderten Menschen bauten die Vernichtungsstätten der »Aktion Reinhardt« auf; die massenmörderische Besatzungspolitik gegen die Zivilbevölkerung, vor allem in den besetzten Ostgebieten, richtete sich gegen die jüdische wie nicht-jüdische Bevölkerung. Im Zentrum der nationalsozialistischen Politik einer rassistischen Neuordnung Europas stand zweifelsohne die Vernichtung des aus antisemitischer Perspektive gefährlichsten Feindes: der Juden. Aber dazu gehörte ebenso die restlose Vernichtung anderer im rassistischen Sinn als »gefährlich«, »minderwertig« definierter Gruppen, einschließlich der Vorstellung eines rassisch reinen deutschen »Volkskörpers«, der sich der »Ballastexistenzen« zu entledigen habe.29 Selbst die Überlegung, dieses gesamte Gewaltgeschehen »einzigartig« zu nennen, blockiert meines Erachtens eher Forschungen, als dass damit produktive Fragen generiert werden könnten.

3. Verflechtungsgeschichte der Gewalt

In wissenschaftlicher Hinsicht ist die Rede von der Einzigartigkeit in der Tat nichtssagend, denn jedes historische Ereignis ist einzigartig. »Immer dann«, so Jan Philipp Reemtsma, »wenn jemand, der von ›Einzigartigkeit‹ spricht, dieses plausibel erläutert, wird deutlich, dass ›Einzigartigkeit‹ ein falsches Wort ist.«30 »Einzigartigkeit« ergibt nur Sinn, wenn damit das historische Ereignis in der Erinnerung heraus­gehoben werden soll, um es gewissermaßen außerhalb der Geschichte zu stellen, es unvergleichbar zu machen. Hingegen bleibt der Vergleich eine unumgängliche historische Methode, wie Sybille Steinbacher jüngst noch einmal hinsichtlich der Debatte um das Verhältnis von Kolonialgewalt und Holocaust betont hat: »Ein Vergleich relativiert und verharmlost nicht, sondern macht Gemeinsamkeiten und Unterschiede sichtbar, sorgt also für Klärung und Erkenntnis, nicht für Gleichsetzung.«31 Der Vergleich bedeutet keineswegs die Ausblendung von Komplexität, und zweifelsohne unterscheidet sich der Mord an den europäischen Jüdinnen und Juden erstens von anderen Massenmorden des Holocaust im hier vertretenen breiteren Sinne, zweitens von anderen Beispielen extremer Massengewalt im 20. und 21. Jahrhundert. Immer wieder muss in der Diskussion betont werden, dass wissenschaftliches Vergleichen eben nicht Gleichsetzen bedeutet, sondern die Erforschung von Differenzen und Korrespondenzen.32

So geht Antisemitismus keineswegs in Rassismus auf, wie nicht zuletzt Stefanie Schüler-Springorum und die Studien des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin bekräftigen.33 Judenfeindschaft ist eng mit der jahrtausendealten christlichen Kultur verbunden, wohingegen Rassismus mit der Eroberung und Ausbeutung der außereuropäischen Welt seine Verbreitung als Legitimationsideologie fand. Während der rassistische Blick nach unten gerichtet ist, auf angeblich »minderwertige«, »unzivilisierte« Menschen, die erst noch »entwickelt«, »zivilisiert« werden müssten beziehungsweise deren inferiorer Status sie gewissermaßen »natürlich« zu Knechten und Sklaven der Weißen mache, imaginiert der antisemitische Blick Juden in eine mächtige Position, die die Welt bedrohen und die christliche beziehungsweise »arische« Zivilisation zerstören würden.

Aus diesem Unterschied kann aber nicht gefolgert werden, den Mord an den europäischen Jüdinnen und Juden, wie Dan Diner es tut, als »absolut« zu qualifizieren, der vollständig »grundlos« geschehen sei, als »fundamentales Dementi sonsthin gültiger anthropologischer Gewissheiten über menschliches Handeln«.34 Diner gewinnt seine Überlegung aus der Perspektive der Opfer, fokussiert auf die »Judenräte«, diese von den Deutschen eingesetzte und kontrollierte Institution jüdischer Selbstverwaltung in den Ghettos. Weder die Befriedigung von Habgier durch den Raub materieller Güter von jüdischen Opfern noch die Verfügung über deren Körper, nicht einmal der Einsatz jüdischer Zwangsarbeit für die Kriegsproduktion – allesamt für die Verfolgten schreckliche, aber erwartbare Handlungen der Verfolger – hätten den Tätern ausgereicht. Ihnen sei es um den ausnahmslosen Massenmord gegangen, die Vernichtung um der Vernichtung willen. Der »absolute Tod«, so Diner, »konnte durch nichts verhindert werden. Weder durch Unterwerfung noch durch Glaubenswechsel, nicht durch Geld und nicht durch Gut. Und nicht durch Arbeit – durch nichts. Angesichts ubiquitär gültiger, kategorisch als gewiss geltender Annahmen über menschliches Verhalten – auch solches der niedersten Instinkte – handelte es sich beim Holocaust um einen durch und durch grundlosen, um einen schier gegenrationalen Tod.«35

Indes, wie oben ausgeführt, besaß das Handeln für die Täter in ihrer ideologischen Perspektive durchaus Konsequenz und Notwendigkeit. Nicht dass der antisemitische Willen der Täter nicht zu antizipieren gewesen wäre, machte die Ohnmacht der Opfer aus, sondern dass der Rassismus ihnen keine Chance ließ, durch Unterwerfung oder Konversion der Verfolgung zu entgehen. Zwar stritten die Täter in ihrer rassistischen Obsession über die administrative Definition, wer Opfer sei, ob »Viertel-« oder »Halbjuden« in den Massenmord einbezogen werden sollten oder nicht. Aber wer als »Jude«, als »Zigeuner«, als »asozial« definiert wurde, konnte dieser Definition nicht mehr entfliehen. Das ist nicht »Gegenrationalität«, sondern Rassismus, kein Dementi anthropologischer Gewissheiten, vielmehr rassistische Anthropologie.

Statt den Mord an den europäischen Jüdinnen und Juden als »einzigartig« oder »absolut« zu vereinzeln, ihn aus der Geschichte herauszulösen, ist es meines Erachtens sinnvoller, das als Holocaust bezeichnete Gewaltgeschehen als eine Verflechtungsgeschichte der Gewalt zu untersuchen, in der nicht ein Geschehen isoliert betrachtet und herausgehoben, sondern in den Bezügen zu anderen Gewalttaten untersucht wird. Die Einordnung des Nationalsozialismus in die deutsche, europäische und globale Geschichte, so Dieter Pohl, kann »nicht allein mit Bezug auf das Menschheitsverbrechen an den Juden erfolgen. Der nationalsozialistischen Herrschaft, vor allem aber ihrer imperialen Besatzungsherrschaft, war eine extreme Gewalttätigkeit inhärent, die sich an rassistischen Diskursen orientierte, aber auch von anderen Elementen wie andauerndem Krieg, Ressourcenknappheit und prekärer Sicherheit geprägt war.«36 Erst in diesem Kontext sei die radikale Eskalation der Gewalt zum totalen Massenmord an den Juden zu verstehen.

Christian Gerlach hat vorgeschlagen, von »extrem gewalttätigen Gesellschaften« zu sprechen, wenn mehrere Tätergruppen auf der einen und mehrere Opfergruppen auf der anderen Seite existieren.37 Dies könnte durchaus ein Weg sein, sich aus der epistemologischen Sackgasse der »Einzigartigkeit« zu lösen, in der das Ergebnis und die Bewertung der Forschung von vornherein feststehen, bevor die Analyse überhaupt begonnen hat. Nicht normativ aufgeladene Fragen, was »ursprünglicher« oder »schlimmer« war, führen weiter, sondern ein analytischer Blick, der Besonderheiten feststellt und zugleich Bezüge erkennt, den Transfer von Gewaltpraktiken und Gewaltwissen untersucht und zugleich das Spezifische von Gewaltentwicklungen nicht verkennt. Das gilt nicht nur in Hinsicht auf die Beziehung zwischen nationalsozialistischen und stalinistischen Massenverbrechen, sondern ebenfalls für die erneut entflammte Debatte um das Verhältnis von Holocaust und Kolonialgewalt. Hier geradlinige Kontinuitäten zu sehen, würde den wissenstheoretischen Fehler des ersten Historikerstreits 1986/87 in der Kritik an den Nolte-Thesen wiederholen. Vielmehr erscheint es mir produktiver, den Blick auf Verflechtungen, auf Transfers von Praktiken und Ideologien, auf Bezüge wie Unterschiede zu richten. Bedenkt man allein, wie Charlotte Wiedemann jüngst hervorhob, dass Millionen von Menschen in den Kolonien, auch als Soldaten, ebenso wie über eine Million afroamerikanische GIs zum Sieg gegen den Nationalsozialismus beitrugen, dass 1933 in Nordafrika über 400.000 Jüdinnen und Juden lebten – fast so viele wie im Deutschen Reich –, die von der antisemitischen Verfolgung des Vichy-Regimes im Zweiten Weltkrieg ebenso betroffen waren wie von der NS-Verfolgung, dann machen diese wenigen Beispiele deutlich, dass die Beziehungen zwischen Holocaust und Kolonialismus sehr viel komplexer und intensiver untersucht werden müssen, als es die gegenwärtige Diskussion in den Feuilletons vermag.38

»Askaris, die miteingesetzt waren«.
Die Wortwahl für die osteuropäischen Hilfskräfte des Holocaust verweist auf die Kontinuität kolonialistischen Denkens. Das Bild stammt aus einem mit etlichen Fotografien ausgestatteten Bericht, den der kommandierende SS-General Jürgen Stroop von der Niederschlagung des Warschauer Ghettoaufstandes im
April/Mai 1943 anfertigen ließ. Der Bericht wurde im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess als Beweismittel verwendet.
Seit 2017 gehört er zum Weltdokumentenerbe der UNESCO.
(National Archives and Records Administration, Public Domain)

Und selbstredend ist die Geschichte eines solchermaßen als Gewaltgeflecht verstandenen Holocaust keine (allein) deutsche Geschichte mehr, sondern kann nur europäisch und global erforscht und verstanden werden. Neben Dieter Pohl haben zahlreiche andere Forscherinnen und Forscher wie Christoph Dieckmann, Wendy Lower oder Tatjana Tönsmeyer auf die zentrale Dimension der Besatzungsherrschaft hingewiesen.39 Ohne die Partizipation eines signifikanten Teils der einheimischen Bevölkerungen hätten die Deutschen diese Massenverbrechen nicht verüben können. Das entbindet die Deutschen nicht von der Verantwortung für die Verbrechen. Aber es heißt für die Forschung, die Vielzahl von Motiven zu untersuchen, wer sich wo und warum an dem Mord beteiligte. Antisemitismus und Antiziganismus spielten dabei ebenso eine Rolle wie Habgier und die Erwartung, durch Kollaboration sich mehr eigenen Freiraum unter deutscher Besatzungsherrschaft zu verschaffen – übrigens ein Feld, in dem postkoloniale Forschungen hilfreich sein können, denn das Erproben von Handlungsräumen mit den Kolonialherren vor Ort unter gänzlich asymmetrischen Gewaltverhältnissen war auch für die Kolonisierten elementar.

4. Was bleibt?

Es bleibt – das Entsetzen, dass dies in der europäischen Zivilisation möglich war. »Dieses hätte nicht geschehen dürfen. Da ist irgend etwas passiert, womit wir alle nicht fertig werden.« So formulierte es Hannah Arendt in ihrem berühmten Fernsehinterview mit Günter Gaus 1964.40 Dieses Geschehen ist etwas, das uns in Europa bleibend beschäftigt, verstört, weil es unsere Vorstellung von uns selbst, von einer aufgeklärten europäischen Moderne radikal dementiert. Deshalb ist Dan Diners Topos vom »Zivilisationsbruch« treffend und ein Zeitdokument zugleich.41 Wer sich den Philosophien Kants, Hegels und Marxʼ verpflichtet weiß, wer von den Werten der europäischen Aufklärung: Humanität, Freiheit, Gleichheit überzeugt ist, wird die nationalsozialistischen Massenverbrechen unweigerlich als Bruch dieser Zivilisation empfinden. Dass der Holocaust geschehen konnte, zerriss alle bis dahin gültigen Gewissheiten. Aber er ist ein Produkt der Moderne. Nur mit bürokratischer Kompetenz, staatlich verfassten Organisationen, technisch entwickelter Logistik und Kommunikation konnte dieser Massenmord in Auschwitz, Bełżec, Sobibór, Treblinka, in Bernburg und Hadamar, an den Erschießungsgräben in den besetzten Gebieten ins Werk gesetzt werden.42

Der Holocaust ist daher stets auch radikale Kritik an der politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Ordnung, in der wir in Europa leben. Dass diese Massenverbrechen von einem modernen Staat und einer modernen Gesellschaft ausgehen konnten, zieht das Selbstverständnis einer Moderne fundamental in Zweifel, die mit Fortschritt, Aufklärung und Menschenrechten identifiziert wird. Mir scheint, dass die wohlfeile Rede vom »Zivilisationsbruch«, die in den Holocaust-Gedenkreden nicht fehlen darf, sich dieser Radikalität, die Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, Primo Levi und Ruth Klüger, Jean Améry und Imre Kertész, Zygmunt Bauman und Hannah Arendt zutiefst umtrieb, längst entledigt hat und wir uns mittlerweile erinnerungspolitisch (zu) gemütlich eingerichtet haben im »Zivilisationsbruch«.43 Kertész hat 1995 in einer Rede von »unannehmbarer« Geschichte gesprochen, weil der Holocaust nicht einfach in die Geschichte integriert werden kann, vielmehr jedwede Selbstgewissheiten verstört.44

Darum halte ich die gegenwärtige Debatte um Holocaust und Kolonialismus für ausgesprochen notwendig, da sie die Perspektive weitet. Aus einem nichteuropäischen Blickwinkel besitzt der Topos vom »Zivilisationsbruch« nämlich eine andere Dimension. Das massenmörderische Handeln der europäischen Kolonisatoren, die Landstriche verwüsteten, Städte niederbrannten, ganze Zivilisationen in Nord- und Südamerika, in Afrika und Asien auslöschten, indigene Völker vollständig vernichteten, bedeutete für die Opfer ebenso die Erfahrung eines unüberbrückbaren Bruchs, eines »Das hätte nicht geschehen dürfen«. Die Rede vom »Zivilisationsbruch« verweist somit ebenso auf die vielfältigen Brüche von Zivilisationen, die Europäer im Namen von Zivilisation und Zivilisierungsmissionen begingen.45

Daher ist es verwunderlich, wie schroff und selbstgerecht in Deutschland Michael Rothbergs Vorschlag für eine veränderte Erinnerungskultur abgewiesen wurde.46 Rothberg will gerade ein, wie er es nennt, Nullsummenspiel der Erinnerungsnarrative überwinden, den Zustand einer Opferkonkurrenz beenden, in der dem einen zugesprochen wird, was dem anderen weggenommen wird. Stattdessen plädiert er für ein offenes Feld »multidirektionaler Erinnerung«, bei dem Narrative wie öffentliche Repräsentationen nebeneinander existieren, aufeinander verweisen und in Beziehung treten.47 Ähnlich, auch wenn er Rothbergs Perspektive eines entanglement der Erinnerungsnarrative bestreitet, argumentiert Natan Sznaider, der dem Postkolonialismus- wie dem Holocaust-Diskurs beiderseits Legitimität zuspricht und zugleich die jeweiligen Ambivalenzen herausarbeitet – darin besteht die Stärke seines Buches.48

Damit wird eine entscheidende Blockade in der normativ aufgeladenen Rede von der Singularität deutlich. Obwohl immer wieder beteuert wird, dass sie keine Opferkonkurrenz herstellen will, schafft diese Rede doch unweigerlich Hierarchien. Ansprüche auf öffentliche Erinnerung und Anerkennung von anderen Gewaltereignissen werden entweder entsprechend auf einer Skala unterhalb eingeordnet oder müssen ebenfalls danach streben, einzigartig zu werden. In Deutschland hat die Priorisierung der jüdischen Opfer, wie sie im Berliner Denkmal für die ermordeten Juden Europas zum Ausdruck kommt, konsequent dazu geführt, dass andere Opfergruppen gleichfalls nach öffentlicher Repräsentation verlangten. Nach dem Denkmal für die verfolgten homosexuellen Menschen und dem Denkmal für den Völkermord an den Roma und Sinti sollen nun ein Denkmal für die Repression und den Terror in Polen sowie ein Dokumentationszentrum der nationalsozialistischen Besatzungspolitik in Europa entstehen. Und sicher wird es in naher Zukunft auch einen Informations- und Gedenkort geben, der den deutschen Kolonialverbrechen gewidmet ist.

So fest die Rede von der Einzigartigkeit in den öffentlichen Diskurs eingeschrieben ist, so sehr wird sie durch die existierenden und geplanten Gedenkorte bereits dementiert. Unvermeidlich ist diese Entwicklung, weil sich die deutsche Gesellschaft seit den Tagen des ersten Historikerstreits erheblich verändert hat. Heute prägen viel mehr Menschen mit migrantischem Familienhintergrund die deutsche Gesellschaft und erheben zu Recht Anspruch darauf, mit ihren Erinnerungen und Erfahrungen von der Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen zu werden. Zudem ist Deutschland Teil einer globalisierten Welt, in der Menschen und Staaten des Globalen Südens von Europa Respekt, Anerkennung und Entschädigung verlangen. Vergangenheitsbezüge werden neu ausgehandelt.

Nichts verliert der Holocaust von seinem Schrecken, wenn er in den Kontext einer europäischen und globalen Geschichte der Gewalt gestellt wird. Das »kognitive Entsetzen«, wie es Dan Diner treffend genannt hat, ist angesichts von Bełżec, Sobibór, Treblinka, Auschwitz, angesichts der Massenerschießungen in den besetzten Gebieten stets gegeben. Diese Geschichte wird »unannehmbar« bleiben. Es steht nun an, gleichermaßen die Schreckenszeugnisse und das Ausmaß europäischer Massengewalt in der nichteuropäischen Welt zur Kenntnis zu nehmen und zu begreifen, dass diese Geschichte ebenso unannehmbar ist. Ich wünsche mir in der gegenwärtigen Debatte mehr Offenheit, mehr Respekt, mehr Bereitschaft zum Zuhören und Nachdenken, nicht zuletzt mehr Vertrauen in die kognitiven und empathischen Fähigkeiten von Menschen.


Anmerkungen:

1 Per Leo, »The past in all its messiness«. Historisches Wissen als Chance für die außerwissenschaftliche Öffentlichkeit, in: Susan Neiman/Michael Wildt (Hg.), Historiker streiten. Gewalt und Holocaust – die Debatte, München 2022, S. 137-153.

2 Zur Debatte um Mbembe vgl. Andreas Eckert, Postkoloniale Zeitgeschichte?, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 17 (2020), S. 530-543.

3 A. Dirk Moses, Der Katechismus der Deutschen, in: Geschichte der Gegenwart, 23.5.2021; eine Zusammenstellung der Debattentexte bietet: <https://serdargunes.wordpress.com/2021/06/04/a-debate-german-catechism-holocaust-and-post-colonialism/>.

4 Micha Brumlik, Auschwitz als koloniales Verbrechen? Zur Debatte um A. Dirk Moses, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 66 (2021) H. 8, S. 105-111; Sebastian Conrad, Warum die Vergangenheitsdebatte immer noch explodiert, in: Merkur 75 (2021) H. 11, S. 75-81; Charlotte Wiedemann, Den Schmerz der Anderen begreifen. Holocaust und Weltgedächtnis, Berlin 2022; Natan Sznaider, Fluchtpunkte der Erinnerung. Über die Gegenwart von Holocaust und Kolonialismus, München 2022.

5 Jürgen Habermas, Eine Art Schadensabwicklung. Die apologetischen Tendenzen in der deutschen Zeitgeschichtsschreibung, in: ZEIT, 11.7.1986; zit. nach: »Historikerstreit«. Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung, München 1987, S. 62-76, hier S. 75.

6 Ebd., S. 71.

7 Vgl. Ulrich Herbert, Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, München 2014, S. 1015-1018; Jenny Hestermann, Inszenierte Versöhnung. Reisediplomatie und die deutsch-israelischen Beziehungen von 1957 bis 1984, Frankfurt a.M. 2016, Kap. V.2. Zum breiteren Kontext siehe u.a. Sabine Moller, Die Entkonkretisierung der NS-Herrschaft in der Ära Kohl, Hannover 1998.

8 Vgl. Klaus Große Kracht, Debatte: Der Historikerstreit, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 11.1.2010.

9 Cornelia Siebeck, 50 Jahre »arbeitende« NS-Gedenkstätten in der Bundesrepublik. Vom gegenkulturellen Projekt zur staatlichen Gedenkstättenkonzeption – und wie weiter?, in: Elke Gryglewski u.a. (Hg.), Gedenkstättenpädagogik. Kontext, Theorie und Praxis der Bildungsarbeit zu NS-Verbrechen, Berlin 2015, S. 19-43. Als neueren Überblick siehe Volkhard Knigge (Hg.), Jenseits der Erinnerung – Verbrechensgeschichte begreifen. Impulse für die kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus nach dem Ende der Zeitgenossenschaft, Göttingen 2022.

11 Ulrich Herbert, Holocaust-Forschung in Deutschland: Geschichte und Perspektiven einer schwierigen Disziplin, in: Frank Bajohr/Andrea Löw (Hg.), Der Holocaust. Ergebnisse und neue Fragen der Forschung, Frankfurt a.M. 2015, S. 31-79; Jörg Baberowski u.a., NS-Forschung und Genozidforschung, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 5 (2008), S. 413-437, mit begleitender Materialsammlung unter <https://zeithistorische-forschungen.de/material/3865>; Sybille Steinbacher (Hg.), Holocaust und Völkermorde. Die Reichweite des Vergleichs, Frankfurt a.M. 2012.

12 Vgl. Michael Wildt, Die Epochenzäsur 1989/90 und die NS-Historiographie, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 5 (2008), S. 349-371; Frank Bajohr, Täterforschung: Ertrag, Probleme und Perspektiven eines Forschungsansatzes, in: ders./Löw, Holocaust (Anm. 11), S. 167-185.

13 Jimmy Carter, 39th President of the United States, Executive Order 12169, 26.10.1979; vgl. Peter Novick, Nach dem Holocaust. Der Umgang mit dem Massenmord. Aus dem Amerikanischen von Irmela Arnsperger und Boike Rehbein, Stuttgart 2001, S. 278-284.

14 Nach wie vor grundlegend: Gisela Bock, Zwangssterilisation im Nationalsozialismus. Studien zur Rassenpolitik und Frauenpolitik, Opladen 1986; vgl. Regina Wecker u.a. (Hg.), Wie nationalsozialistisch ist Eugenik? Internationale Debatten zur Geschichte der Eugenik im 20. Jahrhundert, Wien 2009; Michael Zimmermann, Rassenutopie und Genozid. Die nationalsozialistische »Lösung der Zigeunerfrage«, Hamburg 1996, S. 86-89.

15 Magnus Brechtken u.a. (Hg.), Die Nürnberger Gesetze – 80 Jahre danach. Vorgeschichte, Entstehung, Auswirkungen, Göttingen 2017; Zimmermann, Rassenutopie und Genozid (Anm. 14), S. 89-92; Peter Martin/Christine Alonzo (Hg.), Zwischen Charleston und Stechschritt. Schwarze im Nationalsozialismus, Hamburg 2004, S. 487; Clarence Lusane, Hitlerʼs Black Victims. The Historical Experiences of Afro-Germans, European Blacks, Africans, and African Americans in the Nazi Era, New York 2002, S. 104-107.

16 Vgl. Jan Erik Schulte, Kein einfacher Nexus. Die NS-Krankenmorde, die »Aktion Reinhardt« und Auschwitz, in: Jürgen Osterloh/Jan Erik Schulte (Hg.), »Euthanasie« und Holocaust. Kontinuitäten, Kausalitäten, Parallelitäten, Paderborn 2021, S. 273-313; Sara Berger, Experten der Vernichtung. Das T4-Reinhardt-Netzwerk in den Lagern Belzec, Sobibor und Treblinka, Hamburg 2013.

17 Götz Aly, »Endlösung«. Völkerverschiebung und der Mord an den europäischen Juden, Frankfurt a.M. 1995; zum Siedlungskolonialismus des NS-Regimes siehe Frank Bajohr/Rachel O’Sullivan, Holocaust, Kolonialismus und NS-Imperialismus. Forschung im Schatten einer polemischen Debatte, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 70 (2022), S. 191-202.

18 Gerhard J. Teschner, Die Deportationen der badischen und saarpfälzischen Juden am 22. Oktober 1940. Vorgeschichte und Durchführung der Deportation und das weitere Schicksal der Deportierten bis zum Kriegsende im Kontext der deutschen und französischen Judenpolitik, Frankfurt a.M. 2002; siehe auch die Online-Ausstellung der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz: <https://www.gurs1940.de>.

19 Karola Fings, Sinti und Roma. Geschichte einer Minderheit, München 2016, 2., aktualisierte Aufl. 2019, S. 69f.

20 Dieter Pohl, Der Holocaust und die anderen NS-Verbrechen: Wechselwirkungen und Zusammenhänge, in: Bajohr/Löw, Holocaust (Anm. 11), S. 124-140, hier S. 129 (dortige Hervorhebung).

21 Christopher Browning/Jürgen Matthäus, Die Entfesselung der »Endlösung«. Nationalsozialistische Judenpolitik 1939–1942, Berlin 2003, S. 173-252; Alfred Gottwaldt/Diana Schulle, Die »Judendeportationen« aus dem Deutschen Reich 1941–1945, Wiesbaden 2005.

22 Christian Gerlach, Der Mord an den europäischen Juden. Ursachen, Ereignisse, Dimensionen, München 2017, S. 211-235; Christoph Dieckmann/Babette Quinkert (Hg.), Kriegführung und Hunger 1939–1945. Zum Verhältnis von militärischen, wirtschaftlichen und politischen Interessen, Göttingen 2015; Christian Streit, Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941–1945, Stuttgart 1978.

24 A. Dirk Moses, The Problems of Genocide. Permanent Security and the Language of Transgression, Cambridge 2021. Siehe dazu das Diskussionsforum in: Journal of Modern European History 19 (2021) H. 4, hg. von Robert Gerwarth.

25 Hannes Heer, Die Logik des Vernichtungskrieges. Wehrmacht und Partisanenkampf, in: ders./Klaus Naumann (Hg.), Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944, Hamburg 1995, S. 104-138.

26 Ulrich Herbert, Was haben die Nationalsozialisten aus dem Ersten Weltkrieg gelernt?, in: Gerd Krumeich/Anke Hoffstadt/Arndt Weinrich (Hg.), Nationalsozialismus und Erster Weltkrieg, Essen 2010, S. 21-32.

27 Himmlers Notiz ist als Faksimile abgedruckt in: Peter Witte u.a. (Hg.), Der Dienstkalender Heinrich Himmlers 1941/42, Hamburg 1999, S. 293; vgl. Alon Confino, A World Without Jews. The Nazi Imagination from Persecution to Genocide, New Haven 2014, S. 183-196.

28 Fings, Sinti und Roma (Anm. 19), S. 72-78; dies./Sybille Steinbacher (Hg.), Sinti und Roma. Der nationalsozialistische Völkermord in historischer und gesellschaftspolitischer Perspektive, Göttingen 2021.

29 Ähnlich die Interpretation bei Pohl, Der Holocaust und die anderen NS-Verbrechen (Anm. 20).

30 Jan Philipp Reemtsma, Verwirrte Affektpflege, in: Soziopolis, 17.5.2021, Anm. 1; siehe auch Ulrike Jureit, Ein Ort wie kein anderer. Über die Singularität des Holocaust, in: Habbo Knoch/Oliver von Wrochem (Hg.), Entdeckendes Lernen. Orte der Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen. Festschrift für Detlef Garbe, Berlin 2022, S. 477-496.

31 Sybille Steinbacher, Über Holocaustvergleiche und Kontinuitäten kolonialer Gewalt, in: Saul Friedländer u.a., Ein Verbrechen ohne Namen. Anmerkungen zum neuen Streit über den Holocaust, München 2022, S. 53-68, hier S. 58; vgl. auch Steinbacher, Holocaust und Völkermorde (Anm. 11).

32 Grundlegend nach wie vor: Hartmut Kaelble, Der historische Vergleich. Eine Einführung zum 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1999; überarbeitete Neuausgabe: ders., Historisch Vergleichen. Eine Einführung, Frankfurt a.M. 2021.

33 Stefanie Schüler-Springorum, Missing Links. Religion, Rassismus, Judenfeindschaft, in: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 29 (2021), S. 187-206; zu den Forschungen des ZfA siehe <https://www.tu-berlin.de/fakultaet_i/zentrum_fuer_antisemitismusforschung/menue/forschung/>.

34 Dan Diner, Über kognitives Entsetzen, in: Friedländer u.a., Ein Verbrechen ohne Namen (Anm. 31), S. 69-86, hier S. 79.

35 Ebd., S. 83. Dieses Argument findet sich in der anti-postkolonialen Diskussion immer wieder, so auch jüngst bei Jan Gerber, Holocaust, Kolonialismus, Postkolonialismus. Über Opferkonkurrenz und Schuldverschiebung, in: Hallische Jahrbücher 1 (2021), Schwerpunkt: Die Untiefen des Postkolonialismus, hg. von Jan Gerber, S. 19-46, hier S. 20-22.

36 Pohl, Der Holocaust und die anderen NS-Verbrechen (Anm. 20), S. 137.

37 Christian Gerlach, Extrem gewalttätige Gesellschaften. Massengewalt im 20. Jahrhundert, München 2011.

38 Wiedemann, Schmerz (Anm. 4), passim; vgl. Lusane, Hitlerʼs Black Victims (Anm. 15); Rheinisches JournalistInnenbüro, »Unsere Opfer zählen nicht«. Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg, Berlin 2005, 2. Aufl. 2009.

39 Christoph Dieckmann, Deutsche Besatzungspolitik in Litauen 1941–1944, 2 Bde., Göttingen 2011, 2. Aufl. 2016; Wendy Lower, Nazi Empire-Building and the Holocaust in the Ukraine, Chapel Hill 2005; Tatjana Tönsmeyer, Besatzungsgesellschaften. Begriffliche und konzeptionelle Überlegungen zur Erfahrungsgeschichte des Alltags unter deutscher Besatzung im Zweiten Weltkrieg, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 18.12.2015.

40 Fernsehgespräch mit Günter Gaus am 28.10.1964 im Zweiten Deutschen Fernsehen; zit. nach Hannah Arendt, Ich will verstehen. Selbstauskünfte zu Leben und Werk, hg. von Ursula Ludz, München 1996, S. 44-70, hier S. 59f.; siehe auch <https://www.zdf.de/dokumentation/zur-person/hannah-arendt-zeitgeschichte-archiv-zur-person-gaus-100.html> (das Zitat ab Min. 41:25) und die Transkription unter <https://www.rbb-online.de/zurperson/interview_archiv/arendt_hannah.html>.

41 Dan Diner (Hg.), Zivilisationsbruch. Denken nach Auschwitz, Frankfurt a.M. 1988.

42 Dieses Argument wurde nicht allein von Zygmunt Bauman vertreten (Dialektik der Ordnung. Die Moderne und der Holocaust. Aus dem Englischen übersetzt von Uwe Ahrens, Hamburg 1992), sondern bestimmte auch die Argumentation von Raul Hilberg, The Destruction of the European Jews, Chicago 1961. Zu Bauman siehe etwa Thomas Etzemüller, Ambivalente Metaphorik. Ein kritischer Rückblick auf Zygmunt Baumans »Dialektik der Ordnung« (1989), in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 14 (2017), S. 177-183; zu Hilberg siehe besonders die Publikationen von René Schlott.

43 Vgl. dazu Per Leo, Tränen ohne Trauer. Nach der Erinnerungskultur, Stuttgart 2021; Ulrike Jureit/Christian Schneider, Gefühlte Opfer. Illusionen der Vergangenheitsbewältigung, Stuttgart 2010.

44 Hier zit. nach Volkhard Knigge, »Das radikal Böse ist das, was nicht hätte passieren dürfen.« Unannehmbare Geschichte begreifen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 66 (2016) H. 3-4, S. 3-9.

45 Ben Kiernan, Blood and Soil. A World History of Genocide and Extermination from Sparta to Darfur, New Haven 2007; Boris Barth/Jürgen Osterhammel (Hg.), Zivilisierungsmissionen. Imperiale Weltverbesserung seit dem 18. Jahrhundert, Konstanz 2005.

46 Siehe beispielsweise Thomas Schmid, Die Holocaust-Frage, in: Welt, 27.2.2021; Tania Martini, Diffuse Erinnerung, in: taz, 6.3.2021; anders Micha Brumlik, Verschränkte Archive, in: Frankfurter Rundschau, 12.3.2021.

47 Michael Rothberg, Multidirektionale Erinnerung. Holocaustgedenken im Zeitalter der Dekolonisierung. Aus dem Englischen von Max Henninger, Berlin 2021 (amerik. Erstausgabe 2009). Siehe z.B. die abwägende Rezension von Katharina Stengel, in: H-Soz-Kult, 11.5.2021, die das Buch als »so interessant wie ärgerlich« bezeichnet.

48 Sznaider, Fluchtpunkte der Erinnerung (Anm. 4).

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