1. Die Haager Landkriegsordnung
und die Prozesse von Leipzig 1921–1924
2. Die Nürnberger Prozesse ab 1945:
Strafjustiz zwischen Vergeltung und Versöhnung
3. Die Rolle der Vereinten Nationen nach 1990 und die
Konflikte um einen Internationalen Strafgerichtshof
4. Fazit
Nach den Erfahrungen mit Ad-hoc-Tribunalen in den 1990er-Jahren (International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia, ICTY, und International Criminal Tribunal for Rwanda, ICTR) wurde auf der Konferenz von Rom 1998 die Einsetzung eines Internationalen Strafgerichtshofs beschlossen (International Criminal Court, ICC). Als dieser 2002 seine Arbeit aufnahm und 2003 die ersten Richter vereidigt wurden, feierten Kommentatoren einen historischen Wendepunkt: von einer Rechtsetzung zur Durchsetzung rechtlicher Normen – mit dem in der Forschung inzwischen häufig bemühten Schlagwort „Von Nürnberg nach Den Haag“.1 Erstmals sei es gelungen, demokratische Prinzipien auf das internationale System zu übertragen und „die strafrechtliche Ahndung von Rechtsverletzungen über das Recht des Stärkeren“ zu stellen.2 In der Praxis zeigte sich aber vor allem angesichts der Kontroverse um die Ratifizierung des internationalen Vertrags von Rom, der das Statut dieses Gerichtshofs darstellte, sowie in der offenen Opposition der USA gegen eine Ratifizierung die Schwierigkeit, transnational akzeptierte und verankerte Normen in nationales Recht zu überführen.3 Andererseits haben gerade die USA eine Politik der Verrechtlichung nach Systemtransformationen und diesbezügliche internationale Standards maßgeblich mit entwickelt. Daher soll im Folgenden die Rolle der USA beim Zustandekommen der beiden wichtigsten Strafgerichtshöfe des 20. Jahrhunderts, Nürnberg und Den Haag, näher beleuchtet werden.4
Seit einigen Jahren haben sich interdisziplinär Forschungsströmungen zum Thema „Transitional Justice“ herausgebildet, verstanden als eine Art normatives Modell für Prozesse staatlicher Neuordnung.5 Dabei geht es um das Zusammenspiel aus transition (Übergangsphasen zwischen zwei Regierungsformen nach einem Konflikt) und dem Bemühen, Gerechtigkeit (justice) innerhalb der Gesellschaft herzustellen.6 Die gesellschaftliche Umgestaltung nach Konflikten besteht dieser Theorie zufolge aus den vier Säulen Friedenssicherung, Stabilisierung gesellschaftlicher Strukturen, Konsolidierung des demokratischen Regierungssystems sowie der Ermöglichung individueller und nationaler Versöhnung.7 Aus der unterschiedlichen strafrechtlichen, politischen und gesellschaftlichen Relevanz ergeben sich konkurrierende Prinzipien, die sich zudem in der Praxis häufig gegenseitig blockieren. Insbesondere die Dichotomie von Vergeltung und Versöhnung spiegelt sich in ganz unterschiedlicher Weise, erkennbar etwa an den Debatten um Wahrheitskommissionen oder Wiedergutmachungsleistungen.
Im Folgenden wird der hindernisreiche Weg der Verrechtlichung und Normsetzung im 20. Jahrhundert diskutiert; dabei werden Desiderata und Kritikfelder aufgezeigt. Verrechtlichung wird hierbei verstanden als ein Spannungsdreieck aus „Wahrscheinlichkeit der Umsetzung und Einhaltung der Absprachen, Präzision der Übereinkunft und dem Grad der Delegation von Kompetenz an eine neutrale Instanz“.8 Einen Schwerpunkt der Überlegungen bildet der Konflikt zwischen Europäern und den USA: Praktisch das ganze 20. Jahrhundert hindurch rangen Akteure beider Seiten um die Ausgestaltung der juristischen und moralischen Aufarbeitung nach Kriegen und anderen gewaltsamen Konflikten sowie um die Frage einer Kompetenzabtretung an eine überstaatliche Organisation.
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1. Die Haager Landkriegsordnung
und die Prozesse von Leipzig 1921–1924
Das 20. Jahrhundert markiert den Beginn einer Ära, in der sich einerseits der Gedanke eines „totalen“, alle Bereiche militärischen und zivilen Lebens umfassenden Kriegs entfaltete sowie andererseits die Ächtung und Ahndung kriegerischer Gewalt energisch vorangetrieben wurde. Das entstehende „humanitäre Kriegsvölkerrecht“ spiegelte bereits im Begriff und mehr noch in seiner Genese die Widersprüchlichkeit, den Krieg zwar als legitimes Mittel zwischenstaatlicher Konflikte anzusehen, zugleich jedoch die Bürger aller Staaten vor den Auswirkungen dieser Gewalt so weit wie möglich schützen zu wollen. Zwischenstaatliche Abkommen, aber auch die Interventionen einzelner, transnationaler Akteursgruppen – etwa von Juristen oder Medizinern – legten seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Grundlagen dafür. So begann ein zivilgesellschaftliches Engagement in Fragen von überstaatlichem Interesse, das diplomatische Kontakte als einziges Mittel internationaler Politik zunehmend ablöste bzw. ergänzte.9 Denn im Verlauf des 19. Jahrhunderts war ein Staatensystem etabliert worden, das auf dem Gedanken einer Verbreitung der Zivilisation und der sie begleitenden Rechte basierte, zugleich aber auch auf der Dominanz europäischer Werte. Der Erste Weltkrieg hatte das Vertrauen in diese europäische Idee der Zivilisation beschädigt; der Zweite Weltkrieg diskreditierte sie endgültig.10
Erstmals hatte nach der Schlacht von Solferino 1859, in der tausende verletzte Soldaten unversorgt auf dem Schlachtfeld liegen geblieben waren, der Genfer Pazifist Gustav Moynier ein einheitliches Vorgehen aller Kriegsparteien zum Schutz der Verwundeten gefordert. Zusammen mit Henri Dunant rief er einen privaten Hilfsverein ins Leben, das spätere „Internationale Rote Kreuz“ (IRK). In der Genfer Konvention von 1864, die von zwölf Staaten unterzeichnet wurde, begann mit den „Bestimmungen zum Umgang mit Verwundeten“ ein Prozess der Kodifizierung des Kriegsvölkerrechts, der schließlich in die „Haager Landkriegsordnung“ mündete (HLKO, in den beiden Fas-sungen von 1899 und 1907). Artikel 22 der Fassung von 1899 bildet mit seiner Formulierung „Die Kriegsführenden haben kein unbeschränktes Recht in der Wahl ihrer Mittel zur Schädigung des Feindes“ bis heute die Grundlage des Kriegsvölkerrechts.11 In Artikel 3 der HLKO wurden außerdem erstmals Staaten für die Handlungen ihrer Soldaten verantwortlich gemacht. Damit wurde die Absicht formuliert, Verbrechen auch nach Beendigung eines Konflikts zu ahnden. Hier war allerdings eher an völkerrechtswidriges Requirieren von Eigentum in Feindesland gedacht, weniger an Kriegsverbrechen im engeren Sinne. Dass etwa Marinebesatzungen in Rettungsbooten beschossen oder Kriegsgefangene getötet werden könnten, wie es später tatsächlich vorkam, ging über die zeitgenössischen Erfahrungen und Erwartungen noch hinaus.
Obwohl die meisten europäischen Staaten und die USA die HLKO bis 1911 bereits in nationales Recht überführt hatten, leisteten die alten Eliten Widerstand, die neuen Regeln auch im Militärrecht zu verankern.12 Die Konflikte zwischen Diplomatie und Militär als Hütern der alten Ordnung gegenüber den Forderungen der Zivilgesellschaft bzw. zunächst privater, zwischenstaatlich agierender Akteure wie etwa dem IRK waren damit vorprogrammiert.13 Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 war die Ratifizierung daher noch nicht abgeschlossen.
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Nach Beginn der Kämpfe hatten unter dem Eindruck des deutschen Vormarsches durch Belgien Berichte über Greueltaten bereits im Herbst 1914 zu ersten Überlegungen britischer und französischer Juristen hinsichtlich einer möglichen Ahndung geführt.14 Entweder sollten an Ort und Stelle noch während des Kriegs Militärgerichtsverfahren gegen Deutsche abgehalten werden, sofern sich diese bereits in alliierter Kriegsgefangenschaft befanden, oder die Alliierten sollten nach Abschluss der Kampfhandlungen und auf der Basis eines Friedensvertrags einen gemeinsamen Strafprozess durchführen.15 Geradezu revolutionär war die Vorstellung einer universalistischen Geltung des Rechts auf Seiten aller Kriegsparteien; Kriegsverbrechen wurden demnach als Verstoß gegen Prinzipien allgemeiner menschlicher Ordnung betrachtet. Der französische Premierminister Ribot formulierte 1917: „Um der Ehre unserer Zivilisation und des Wohls der zukünftigen Generationen willen können bestimmte Verbrechen des gemeinen Rechts (‚crimes de droit commun‘) nicht straffrei bleiben.“16 Allerdings war noch nicht definiert, wie dieses universelle Recht auszusehen habe. Klar war nur, dass Vorschläge zwischenstaatlicher Akteure (etwa des IRK) und international anerkannter Juristen ebenfalls Gehör finden sollten.
Grundsätzlich wird anhand der Debatten von 1919 deutlich, dass die Gleichzeitigkeit von herkömmlicher Diplomatie und neuen politischen Strukturen zu Konflikten führte.17 So formulierte Präsident Wilson als Position der USA, dass die kollektive Sicherheit durch Schiedsgerichtsbarkeit und internationale Organisationen gesichert werden müsse.18 Er legte durch seine Vision einer globalen Gemeinschaft der Nationen, die ab 1919 im Völkerbund ihren Ausdruck fand, jedoch auch die Grundlage für eine Stärkung des nationalen Souveränitätsgedankens. Dieser verknüpfte sich mit dem Prinzip, dass die zivilisierten Nationen die nach damaligem Verständnis weniger oder überhaupt noch nicht zivilisierten Nationen auf den Weg nationaler Selbstbestimmung geleiten sollten.19
Im Januar 1919 wurde die Pariser Friedenskonferenz eröffnet. In der alliierten „Kommission zur Verantwortlichkeit der Urheber des Krieges und zur Durchsetzung der Strafen“, in der Diplomaten und Juristen zusammenarbeiteten, kam es zu Auseinandersetzungen um einen möglichen Kriegsverbrecherprozess.20 Die Position der amerikanischen Delegierten, dass Staatsoberhäupter nicht direkt verantwortlich gemacht werden könnten, wurde unterstützt von den japanischen Delegierten – und prallte mit der französischen und britischen Position aufeinander. Maßgeblich für die Politik der „Nichteinmischung“ war die amerikanische Rechtsauffassung, das positive Völkerrecht enthalte keine Vorschriften, die den Alliierten ein juristisches Vorgehen gegen frühere Kriegsgegner erlaubten. Das Primat der nationalen Souveränität ließ noch „keinen Raum für eine internationale Institution, die zentrale Elemente von Staatlichkeit, nämlich das Strafrecht, an sich ziehen sollte“.21 Die beiden europäischen Mächte favorisierten dagegen die Einrichtung eines internationalen Gerichtshofs, der über die Verbrechen des deutschen Staats und insbesondere seines ehemaligen Oberhaupts urteilen müsse. Dazu sei die Immunität des Kaisers aufzuheben, denn es handle sich um schwerwiegende Verbrechen gegen die internationale Rechtsordnung.22 Doch die Haltung Großbritanniens und Frankreichs fand keine Mehrheit. Später verwehrten die Niederlande, wo Wilhelm II. Schutz gesucht hatte, seine Auslieferung mit Verweis auf herkömmliche Rechtsvorstellungen und seine Immunität als Staatsoberhaupt. Die Kommission wollte keine strafrechtliche Verfolgung der Urheber des Kriegs, wohl aber eine Stigmatisierung des in ihren Augen Hauptverantwortlichen – des deutschen Kaisers. So kam es 1919 zur Kompromissformel, niedergelegt in Artikel 227 des Friedensvertrags, dass ein besonderes Verfahren gegen den deutschen Kaiser eingeleitet werden sollte, „wegen schwerster Verletzung des internationalen Sittengesetzes und der Heiligkeit der Verträge“. Das juristische Argument wurde hier umgangen, indem ein Vertragsbruch des Völkerrechts konstatiert wurde – das jedoch wiederum keine Sanktion für einen solchen Bruch vorsah.23 Eine Verurteilung Wilhelms II. wäre daher mehr einer moralisch-ethischen Verurteilung gleichgekommen.
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Amerikaner auf der einen Seite, Franzosen und Briten auf der anderen einigten sich in Paris schließlich auf den im Friedensvertrag (Artikel 228-230) verankerten Kompromiss, Deutschland solle die übrigen Angeklagten ausliefern, damit sie wegen ihrer mutmaßlichen Verbrechen im Krieg vor alliierte Militärgerichte gestellt werden könnten. Dieses Verfahren sollte einen internationalen Gerichtshof überflüssig machen. Doch in der Praxis ließ sich das Auslieferungsbegehren so nicht durchsetzen; daher entschieden die Alliierten im Februar 1920, die Prozesse an das Leipziger Reichsgericht zu übertragen.24
Obwohl sich die Reichsregierung formal gewillt erklärte, diese Prozesse zu führen, und den Verfolgungszwang durch die Reichsanwaltschaft bestätigte, entwickelten sich die Verfahren in Leipzig zu einer Farce. Schon zuvor war infolge von Differenzen im alliierten Lager die Liste der Angeklagten von zunächst rund 1.500 auf 853 Namen verkürzt worden,25 und letztlich wurden sogar nur noch 45 Namen ans Reichsgericht übermittelt.26 Dort ließen Richter und Ankläger offen ihre Sympathie für die angeklagten Militärs erkennen und zeigten unmissverständlich, dass sie die Vorstellung nicht teilten, Kriegshandlungen unterlägen völkerrechtlichen Grenzen und seien strafrechtlich zu ahnden.
Unter den Linden, 1. Juni 1920: Kundgebung von Professoren der Berliner Universität gegen die Auslieferung deutscher Generale, die von den Alliierten als mutmaßliche Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt werden sollten
(ullstein bild – BPK/Willy Römer)
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Die deutschen Juristen folgten ganz überwiegend nationalem Kriegsrecht, wonach ein „Handeln auf Befehl“ Untergebene vor Strafe schützte. Doch immerhin gab es erste Indizien, dass die Gültigkeit solcher Rechtsgrundsätze zweifelhaft wurde. So kam das Leipziger Gericht in einem der Verfahren zu dem Schluss, Kriegshandlungen könnten in manchen Fällen auch Verbrechen darstellen – und zwar dann, wenn die Handlungen das durch das Völkerrecht gedeckte Maß überschritten. In dem besagten Fall ging es um die Tötung französischer Kriegsgefangener auf Befehl eines deutschen Kommandeurs, der vor Gericht argumentiert hatte, dass man die Gefangenen während des Gefechts nicht habe bewachen können. Insgesamt blieb die Bilanz des Leipziger Gerichts jedoch hinter den Erwartungen zurück, die manche aufgrund der fortschreitenden politischen und juristischen Debatten der Kriegsjahre gehegt hatten: Von insgesamt siebzehn Angeklagten wurden vier freigesprochen – durchweg die hochrangigen Generale. Die Urteile wurden teilweise später im Rahmen des Amnestiegesetzes wieder aufgehoben. In keinem einzigen Fall wurde die Strafe verbüßt.27
Ähnlich spektakulär scheiterte die Initiative des Briand-Kellogg-Pakts, den Krieg als Mittel der Politik generell zu ächten und die Frage nach einer gemeinsamen Ahndung von Kriegsverbrechen gleichsam elegant durch die Abschaffung des Kriegs selbst zu lösen. Obwohl die USA, Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Italien und Japan im August 1928 zu den Unterzeichnerstaaten gehörten, wurde der Vertrag im Anschluss nur schleppend ratifiziert und besaß offenbar wenig moralische Bindekraft.28 Bereits 1931 wurde er mit dem japanischen Einmarsch in die Mandschurei gebrochen, ebenso wie 1935 mit dem italienischen Überfall auf Äthiopien. Das Hauptproblem des Pakts war seine fehlende Durchsetzbarkeit.29 Nicht zuletzt verdeutlichte der nationalsozialistische Angriffskrieg ab 1939, dass die Idee der Ächtung des Kriegs mit politischen Mitteln gescheitert war. Zudem führte die nationalsozialistische Annexionspolitik allen Beteiligten unmissverständlich vor Augen, dass in dem neuen System von Militärverwaltungen, Protektoraten und Generalgouvernements koloniale, imperiale und rassistische Ordnungsvorstellungen gelten sollten.
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2. Die Nürnberger Prozesse ab 1945:
Strafjustiz zwischen Vergeltung und Versöhnung
Der Prozess gegen 24 Hauptkriegsverbrecher (International Military Tribunal, IMT)30 begann am 20. November 1945 in Nürnberg, der symbolträchtigen Stadt der NS-„Reichsparteitage“. Neuartig war der Versuch, die gesamte Führungselite eines Staats für ihre Politik und die von ihr herausgegebenen Befehle zu bestrafen.31 In ähnlicher Weise nahm 1946 der Gerichtshof für den Fernen Osten (IMTFE) in Tokio seine Verhandlungen gegen 28 militärische und politische Führer des japanischen Kaiserreichs auf.32 Nach dem Willen der Alliierten sollten die Militärtribunale mit rechtlichen Mitteln verdeutlichen, in welchem Klima die Verbrechen hatten entstehen können. Juristische Ziele im engeren Sinne wurden also mit Zielen historisch-politischer Aufklärung verbunden.33 Die Verfassung des Nürnberger Gerichts bekräftigte das Prinzip der Verantwortung des Einzelnen für staatliche Verbrechen – einen entscheidenden Grundsatz des Völkerstrafrechts.34
Otto Ohlendorf (rechts), ehemaliger Befehlshaber der Einsatzgruppe D, als Zeuge vor dem Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess, 3. Januar 1946. Im Nürnberger Einsatzgruppen-Prozess wurde Ohlendorf 1948 zum Tode verurteilt; 1951 wurde er in Landsberg hingerichtet.
(Wikimedia Commons, Harvard Law School Library/Public Domain)
Die Dokumentationsstelle des Nürnberger Tribunals während des Hauptkriegsverbrecherprozesses, 1945/46
(National Archives and Records Administration, USA/Memorium Nürnberger Prozesse)
Das Büro für die Druckschriften-Herstellung in Nürnberg während der Vorbereitung der Urteilssprüche für die Presse, 30. September 1946
(National Archives and Records Administration, USA/Memorium Nürnberger Prozesse)
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Für die Gerichtshöfe in Nürnberg und Tokio war es schwierig, Verteidiger zu finden, die genügend mit der angelsächsischen Verhandlungsführung vertraut waren, insbesondere mit der Form des Kreuzverhörs. Erschwerend kam die ungeordnete Flut an beschlagnahmten Dokumenten hinzu. Problematisch war ferner, dass im Sommer 1945, als die politische Entscheidung für das IMT fiel, ein Großteil der Verbrechen noch nicht identifiziert bzw. konkreten Tätern zugeordnet worden war. Zudem fehlte das Wissen um den besonderen Charakter des NS-Staats.35 Noch unübersichtlicher war die Lage am Tokioter Gerichtshof, wo die Sprachprobleme und Übersetzungsdienste den Prozess in die Länge zogen. Außerdem rückten die USA hier aus politischen Gründen vom Gedanken der Haftung von Staatsoberhäuptern für Verbrechen ab und stellten den japanischen Kaiser folglich nicht unter Anklage. Offenbar wollten die Verantwortlichen die Lage in Japan nach dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945 nicht noch weiter destabilisieren.36
Angeklagte des Internationalen Militärtribunals für den Fernen Osten, Tokio 1946
(Wikimedia Commons, Public Domain)
Für Deutschland war die spätere Strafverfolgung der Kriegsverbrecher bereits während des Kriegs vorbereitet worden. In Großbritannien wie auch in den USA hatten sich hierzu anfangs jedoch zwei unterschiedliche Positionen herauskristallisiert. Zunächst fanden die Befürworter einer harten Vorgehensweise um den langjährigen Berater im britischen Foreign Office Sir Robert Vansittart und um den amerikanischen Finanzminister Henry Morgenthau mehr Unterstützung. Bei Kriegsende konnte sich aber die versöhnliche Position eines Juristenkreises um US-Kriegsminister Henry L. Stimson durchsetzen, der eine Kooperation mit den Besiegten anstrebte.37 Aufgrund der großen räumlichen Distanz zu Europa und der geringen unmittelbaren Erfahrung mit der NS-Besatzungspolitik erschloss sich vielen amerikanischen Politikern erst gegen Ende des Zweiten Weltkriegs die grundsätzlich neue Dimension der nationalsozialistischen Verbrechen. Die Einsichten und Erkenntnisse gaben der Diskussion um das Kriegsvölkerrecht seit Anfang 1945 eine neue Richtung.
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Nach anfänglichen Plänen für eine summarische Exekution der „größten Kriegsverbrecher“ (die Stalin wie zeitweilig auch Churchill erwogen) hatten sich die USA, die Sowjetunion und Großbritannien schließlich auf das Ziel einer strafrechtlichen Verfolgung geeinigt, sich jedoch zunächst nicht über die Form des Gerichts verständigen können.38 Zudem wurde in Moskau eine Unterscheidung in Haupt- und nachrangigere Kriegsverbrecher eingeführt. Die Juristen definierten dabei, dass ein Hauptkriegsverbrecher (major war criminal) seine Taten an mehreren Orten, also in einem geographisch nicht begrenzten Gebiet verübt habe, während als „nachrangigerer“ (minor) Kriegsverbrecher ein Täter galt, dem Verbrechen an einem genau definierten Kriegsschauplatz zugeordnet werden konnten.39
Strittig war, auf welcher Grundlage eine Strafverfolgung gegen staatlich gedeckte Verbrechen stattfinden könne. Eine juristische Expertenkommission gab schließlich die Empfehlung, den amerikanischen Anklagetatbestand der „Verschwörung“ (conspiracy) anzuwenden und den NS-Funktionären vorzuwerfen, „to commit murder, terrorism and the destruction of the peaceful populations in violation of the laws of War“.40 Auch der Rückgriff auf einen Militärgerichtshof entsprach der amerikanischen Auffassung, dass derartige Verfahren besser geeignet seien, solche Tatbestände zu verhandeln; die Prozesse würden zügiger und reibungsloser ablaufen, und die Angeklagten könnten keine Rechtsmittel einlegen.41 Das im August 1945 in London unterzeichnete IMT-Statut kodifizierte erstmals das neue Kriegsvölkerrecht, das auf den Trümmern Europas entstanden war und eine Reihe von Bestimmungen enthielt, die dem angelsächsischen Common Law entnommen waren, aber auch substantielle Erweiterungen; dieses Statut wurde daher zugleich zum Vorbild für den Tokioter Gerichtshof.42 Das Hauptverdienst des Statuts liegt in der Definition des Straftatbestands, denn es zeichnete sich ab, dass der Schwere und der Art nationalsozialistischer Verbrechen mit dem herkömmlichen Begriff von „Kriegsverbrechen“ nicht Genüge getan war.
Besonders in Großbritannien favorisierten die Kronjuristen lange eine enge Auslegung des Begriffs „Kriegsverbrechen“ gemäß der bis dahin gültigen Definition der Haager Landkriegsordnung, die solche Verbrechen militärischer Formationen für strafbar erklärte, welche sich gegen Angehörige feindlicher Truppen und die Zivilbevölkerung eines besetzten Landes richteten.43 Ausgenommen von dieser Definition waren Vergehen, die vor Beginn des Kriegs oder außerhalb kriegerischer Auseinandersetzungen verübt worden waren – darunter fielen etwa die Nürnberger Rassegesetze, die Arisierungspolitik oder die Synagogen-Zerstörungen der Pogromnacht 1938, aber auch die Annexion des Sudetenlands und Österreichs. Zudem war es nicht möglich, unter „Kriegsverbrechen“ Verbrechen gegen die eigene Bevölkerung zu ahnden. Zwar drängten die Exilregierungen die britische Regierung bereits vor Kriegsende, die Definition von Kriegsverbrechen entsprechend zu erweitern, doch ohne Erfolg. Der Konflikt um das Spektrum von „Kriegsverbrechen“ blieb ungelöst und wurde demzufolge in den nationalen Kriegsverbrecherprozessen, die überall in Europa nach 1945 stattfanden, unterschiedlich ausgelegt.
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Der Nürnberger Justizpalast während der Urteilsverkündung, 1. Oktober 1946
(National Archives and Records Administration, USA/Memorium Nürnberger Prozesse)
Leserinnen und Leser einer Sonderausgabe der „Süddeutschen Zeitung“, 1. Oktober 1946
(Bundesarchiv, Bild 146-1990-032-29A; Wikimedia Commons, Bundesarchiv Bild 146-1990-032-29A, Nürnberger Prozess, Zeitungsleser, CC BY-SA 3.0 DE)
In Nürnberg formulierten Juristen als neuen Straftatbestand den Anklagepunkt „Crimes Against Humanity“. Dieser Terminus stellte erstmals auch Verbrechen gegen die eigenen Bürger unter Strafe und unterstützte das Prinzip, dass Übergriffe gegen Individuen dann zu Völkerrechtsverbrechen würden, wenn sie systematisch gegen eine bestimmte Gruppe der Zivilbevölkerung gerichtet seien.44 Der Begriff erfüllte britische Juristen jedoch mit Skepsis. Sie fürchteten, die Einführung eines neuen Straftatbestands sei durch das Rückwirkungsverbot in Frage gestellt, das besagt, dass ein zur Tatzeit nicht strafbares Handeln nicht strafrechtlich verfolgt werden kann (nulla poena sine lege). Doch die US-Juristen setzten sich mit ihrer Position durch, dass der Straftatbestand „Crimes Against Humanity“ bestens zur Aburteilung staatlich gedeckter Kriminalität geeignet sei. Schließlich baute er auf dem universell gültigen Gedanken auf, dass Mord zu allen Zeiten und in allen Kulturen als ein Verbrechen gegolten habe. Daher könne kein nationales Recht den Mord an ausgewählten (Volks-)Gruppen gestatten, wie dies in der NS-Rassepolitik geschehen sei. Die Bedeutung des Nürnberger Prozesses lag also in der erstmaligen konsequenten Verfolgung von staatlich legitimierter Kriminalität durch ein international zusammengesetztes Gericht. Diesem konnten sich die NS-Funktionseliten durch keinen Verweis auf anderslautendes nationales Recht entziehen: Weder die amtliche Stellung noch ein Handeln auf Befehl schützten sie vor Strafe. Diese neue Sicht ging weit über die Ansätze von Leipzig hinaus.
Im Juni 1945 wurden in San Francisco die Vereinten Nationen gegründet (United Nations, UN). Die UN-Charta formulierte als Ziel, den Weltfrieden zu wahren. Damit rückte auch ein supranationaler Weg der Konfliktschlichtung in den Bereich des Möglichen.45 Bereits 1946 begann eine UN-Völkerrechtskommission mit der Aufgabe, die Prinzipien von Nürnberg rechtlich auszuformulieren und ein internationales Strafgesetzbuch zu konzipieren; ein erster Entwurf lag 1950 vor.46 In ihrer Arbeit zeigte die Kommission die idealistische Grundeinstellung, dem neuen Paradigma zur Geltung zu verhelfen: Die bisher konkurrierenden Bereiche ius ad bellum (Recht zum Krieg) und ius in bello (Recht im Krieg) sollten verbunden sowie legitime Formen der Kriegsführung festgeschrieben werden. Ziel war es, UN-Gremien zu schaffen, die auf der Basis eines internationalen Strafrechts gegen jegliche denkbare Kategorie von Massengewalt zwischen staatlichen sowie nicht-staatlichen Akteuren vorgehen sollten. Das Völkerrecht werde es in seiner Weiterentwicklung dann ermöglichen, erstmals auch Individuen (und nicht nur Staaten) zu belangen.47
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Doch der Traum vom Beginn einer neuen Ära, in der statt Gewalt und nationaler Interessen Recht und internationale Organisationen die Schlüsselfaktoren der Weltordnung darstellen würden, erfüllte sich nicht. Die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs stand zwar auf der Gründungsagenda der UN48 und fand sich 1948 erneut in der Konvention zur Ächtung von Völkermord (Genozid-Konvention).49 Auch gab es einige ernsthafte politische Initiativen in dieser Richtung: So setzten die UN 1950 ein Komitee ein, das das Statut eines ständigen Internationalen Strafgerichtshofs vorbereiten sollte.50 Aufgrund internationaler Krisen im Zuge des wachsenden Ost-West-Antagonismus, vor allem im Zuge des Koreakriegs, kamen die Beratungen ins Stocken und wurden schließlich ausgesetzt. Anstatt den Status quo internationaler Übereinkunft zu bewahren, setzten führende westliche Mächte wie die USA und Großbritannien das Militärrecht in den Zustand von 1944 zurück, um zu verdeutlichen, dass sie die eigenen Soldaten ausschließlich ihrer nationalen Rechtsprechung unterwerfen würden und sich nicht an die Nürnberger Standards zu halten gedachten, auf deren Grundlage man die NS-Führung abgeurteilt hatte.51
Erst mit dem Vietnamkrieg in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre und den weltweiten Protesten gegen die dort von US-Soldaten verübten Verbrechen war das Beharren auf befehlsgemäßem Handeln seitens der US-Militärführung politisch wie moralisch endgültig diskreditiert. Wesentliche Faktoren des Paradigmenwechsels waren die internationalen Studentenproteste sowie die Entstehung einer kritischen globalen Medienöffentlichkeit. Ende der 1960er-Jahre wurden die Beratungen wieder begonnen, aber erst 1974 nahmen die UN eine Definition des Straftatbestands aggression an. Ein Statut für einen Internationalen Strafgerichtshof wurde jedoch nicht erreicht. Erst 1989 kam dieses Thema wieder auf die Agenda der UN – nun mit dem Ziel, den Problemen des internationalen Drogenschmuggels, des staatenübergreifenden Terrorismus und der Piraterie eine wirksame Strafverfolgung entgegenzusetzen. Noch während der Beratungen führte die Implosion der sozialistischen Staaten Ost- und Ostmitteleuropas zu einer völlig neuen Lage.
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3. Die Rolle der Vereinten Nationen nach 1990 und die
Konflikte um einen Internationalen Strafgerichtshof
Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts wurde eine veränderte internationale Ordnung erforderlich, bei der neuen regionalen Bündnissen und Partnerschaften eine zentrale Funktion zukam. Auch die UN zeigten in ihrer Neuformulierung der eigenen Rolle viel vom Geist dieser Aufbruchstimmung. Zwar blieb das Souveränitätsprinzip der Einzelstaaten im Verbund der Vereinten Nationen erhalten, doch gewannen Friedensmissionen durch UN-Blauhelmtruppen (peacemaking bzw. peacekeeping) an Bedeutung. Die UN suchten Mittel und Wege, um aktiver in das Weltgeschehen eingreifen zu können.52 Im Zuge dieser Entwicklungen verstetigten sich auch die Planungen für einen ständigen Internationalen Gerichtshof, der staatlich oder gesellschaftlich getragene Massenverbrechen ahnden sollte. Die neuerlichen Völkermorde im ehemaligen Jugoslawien ab 1992 sowie in Ruanda 1994, die jeweils gleichsam vor den Augen der UN-Blauhelmtruppen geschahen, machten einer schockierten Weltöffentlichkeit unmissverständlich klar, wie notwendig eine Einigung war.
Unter Führung der USA verabschiedete der UN-Sicherheitsrat 1994 rasch nacheinander die Resolutionen 827 (Ex-Jugoslawien) und 955 (Ruanda), die die Einsetzung zweier unabhängiger Gerichtshöfe bestätigten – der so genannten Ad-hoc-Tribunale. Damit machten die UN deutlich, „dass nationale Souveränität kein Schutzschild für Verbrechen dieser Art sein könne“.53 Durch die Erfahrungen der beiden Gerichtshöfe wuchs das internationale Bewusstsein, dass Straftatbestände, die vor Gericht als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bezeichnet wurden, generell als Angriff auf die Menschheit selbst angesehen werden sollten.54 Diese Lesart hatte bereits Hannah Arendt während ihrer Beobachtung des Eichmann-Prozesses in den 1960er-Jahren formuliert.55
Richter des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda mit UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, Tansania 2009
(UN Photo/Mark Garten)
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Mit dem International Criminal Court (ICC) verbindet sich der Versuch, die Staatengemeinschaft in einem gemeinsamen Vertragswerk auf ein übergeordnetes „Primat des Rechts“ zu verpflichten.56 Heftige Kontroversen entzündeten sich jedoch an Fragen der Unabhängigkeit des Gerichtshofs, seiner Universalität und seiner Neutralität.57 Nach fünfwöchigen Beratungen anlässlich der UN-Versammlung in Rom 1998 fanden 160 Staaten, internationale Organisationen sowie über 250 Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) einen Kompromiss zwischen den beiden Hauptpositionen.58 Die eine Gruppe, die aus etwa 60 so genannten Befürwortern bestand (like-minded states) und vornehmlich wirtschaftlich starke, aber nicht hegemoniale Staaten unter Führung Kanadas umfasste, wünschte einen unabhängigen Internationalen Strafgerichtshof, der eine universelle Gerichtsbarkeit repräsentieren sollte. Daneben gab es die Gruppe der Skeptiker, die einen Machtverlust fürchteten. Insbesondere die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats (mit Ausnahme Großbritanniens) forderten, dass der Strafgerichtshof nur auf Beschluss des Sicherheitsrats tätig werden dürfe. Vor allem die USA lehnten den neuzugründenden Gerichtshof aus Sorge um ihre Souveränitätsrechte strikt ab. Das Rom-Statut wurde schließlich am 17. Juli 1998 mit 120 zu 7 Stimmen angenommen (bei 21 Enthaltungen). Neben den USA stimmten Jemen, Katar, Libyen, der Irak, Israel und China dagegen59 – so befanden sich die USA mit Libyen und dem Irak in Gesellschaft von zwei als ‚Schurkenstaaten‘ geschmähten Nationen.
Die Präambel des ICC schrieb prägnant seine Zuständigkeit fest: für Fälle von Kriegsverbrechen, Völkermord, „Crimes Against Humanity“ und Verbrechen gegen den Frieden („Aggression“).60 Der Gerichtshof folgt dabei dem so genannten Komplementärprinzip: Er wird nur dann tätig, wenn die nationale Rechtsprechung nicht willens oder, etwa nach Zerstörungen des Gerichtswesens infolge eines Völkermords oder Bürgerkriegs, nicht in der Lage ist, die Verbrechen selbst zu ahnden. Zudem müssen entweder der Staat, in welchem die Verbrechen verübt wurden, oder das Geburtsland des Täters das Statut von Rom ratifiziert haben. Ist dies nicht gegeben, kann auch der UN-Sicherheitsrat dem ICC ein Verfahren zuweisen. In Ausnahmefällen (die Mehrheit der Mitglieder muss zustimmen, und keines der Mitglieder darf ein Veto einlegen) kann der Sicherheitsrat die Arbeit des ICC stoppen. Der Normalfall sieht jedoch vor, dass der ICC auf Bitten eines Unterzeichnerstaats Ermittlungen aufnimmt. Alternativ kann der ICC zugunsten einer Wahrheitskommission oder politischer Amnestien von einer Strafverfolgung absehen, wenn dies nach Meinung der Mitglieder der Stabilisierung des Landes dienlicher wäre.
Hier deutet sich also ein Bruch mit bisherigen Souveränitätsvorstellungen an: Der ICC ist schon in seiner Anlage von nationaler Unterstützung weitestgehend unabhängig.61 Völkermord und vergleichbare schwere Straftaten zählen nicht mehr zu den „inneren Angelegenheiten“ eines Staates; staatliche Souveränität kann nicht vor einer Anklage schützen.62 Die Rolle des Anklägers, der ein öffentliches Interesse repräsentiert, wird daher folgerichtig mit derjenigen des Generalsekretärs der Vereinten Nationen verglichen.63
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Die Ratifizierung des Vertrags stellte auch Länder, die das Statut mit ausgehandelt und unterzeichnet hatten, vor innenpolitische Schwierigkeiten. In Australien und Indien kam es zu heftigen Debatten, in deren Verlauf Vorbehalte gegen die Abgabe von Kompetenzen formuliert wurden. Eingewandt wurde auch, dass dem ICC die Kontrolle durch ein Parlament fehlt, wie dies etwa im nationalen Kontext gegeben ist – zumindest bei demokratischen Staaten.64 Auch in Deutschland äußerten sich insbesondere die Streitkräfte besorgt über mögliche negative Folgen eines Internationalen Strafgerichtshofs für die eigenen Soldaten; dennoch wurde das Statut umgesetzt. Bis zum Juni 2002 hatte die Mindestanzahl von 60 Staaten das Statut ratifiziert.65
Während sich also eine Vielzahl von Staaten zu der neuartigen Wertegemeinschaft bekannte, die der ICC repräsentieren sollte, wandelte sich die Position der USA im Lauf der Verhandlungen grundlegend. Vor allem nach den Anschlägen vom 11. September 2001 tendierte die amerikanische Führung offen zu einem Unilateralismus, der in der Forschung als generelle Abkehr von der die amerikanische Nachkriegspolitik dominierenden multilateralen Orientierung und als Verstärkung der im amerikanischen Selbstverständnis stets angelegten imperialen Elemente verstanden wird.66 Anfangs hatten sich der amerikanische Präsident Bill Clinton und Außenministerin Madeleine Albright noch öffentlich für die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs ausgesprochen.67 Zudem arbeitete die US-Delegation konstruktiv an der Ausarbeitung des Statuts mit. Doch je näher die Vertragskonferenz von Rom (1998) kam, desto deutlicher wurde innerhalb der USA die politische Ablehnung eines Internationalen Strafgerichtshofs, dem sich auch amerikanische Soldaten würden unterwerfen müssen.68 Hauptkritikpunkt der Politiker im Kongress, die die Ratifizierung des Statuts blockierten, war der Eindruck, der ICC bedrohe das System von checks and balances und werde für die einzelnen Signatarstaaten unkontrollierbar. In den letzten Jahren bis zu seinem Tod 2009 trat besonders Senator Jesse Helms, Chef des Auswärtigen Ausschusses im Senat, als Wortführer der Kritiker hervor. Er argumentierte, mit der Forderung nach Ausgestaltung und Weiterentwicklung des internationalen Rechtssystems werde die Position nicht-gewählter Akteure gestärkt und die äußere Handlungsfreiheit der USA eingeschränkt; dadurch bestehe die Gefahr, dass konstitutionelles amerikanisches Recht von einer nicht-legitimierten, fremden Rechts-ordnung überlagert werde.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass es nach dem Machtwechsel im Weißen Haus zu einer Kursänderung kam. Noch zum Ende des Jahres 2000 hatte Clinton das Statut unter Vorbehalt unterschrieben, doch 2002 zog die Bush-Administration in einem völkerrechtlich einmaligen Akt die Unterschrift wieder zurück. US-Verteidigungsminister Rumsfeld begründete diesen Schritt mit dem Schutz eigener Soldaten, die überdurchschnittlich oft in Friedensmissionen engagiert seien: „We have an obligation to protect our men and women in uniform from this court and to preserve America’s ability to remain engaged in the world. And we intend to do so.“69 Die USA agierten in der Folge offen gegen den ICC – unter der Prämisse der drei „No’s“: „no financial support, no cooperation and no further negotiation with other governments to improve the ICC“.70
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Durch bilaterale Verträge mit anderen Unterzeichnerstaaten versuchten die USA außerdem, sich für einen eventuellen Ermittlungsfall gegen amerikanische Soldaten abzusichern. Bis 2007 wurden mit 95 Staaten solche Abkommen geschlossen, wobei die USA teilweise erheblichen Druck ausübten.71 Darüber hinaus verabschiedete der Kongress ein Soldatenschutzgesetz (American Service-Members’ Protection Act, ASPA), das die Kooperation mit dem ICC verbot und denjenigen Staaten, die das Statut ratifiziert haben, die Militärhilfe aberkannte – eine offene Drohung, die insbesondere in schwächeren Bündnisstaaten wirkte und die Asymmetrie im Machtgefüge der internationalen Staatengemeinschaft deutlich machte.72 Das Gesetz ermächtigte den Präsidenten ferner, US-Bürger notfalls mit Waffengewalt aus der Hand des ICC in Den Haag zu befreien – eine offene Brüskierung des NATO-Partners Niederlande. Schließlich drohten die USA, anstehende UN-Friedenseinsätze mit ihrem Veto zu blockieren, solange beim ICC nicht „nachgebessert“ werde. Dadurch entstand zunehmend der Eindruck, die USA wünschten ein Gericht, das – ganz der Grundidee von 1919 folgend – nur für diejenigen gelten solle, die erst noch zu „zivilisierten Staaten“ heranzuziehen seien.73 Undenkbar war es dagegen für die USA, sich im hypothetischen Fall einem Richter aus einem nicht-demokratischen Staat unterwerfen zu müssen, etwa einem iranischen oder einem syrischen Ermittler.
Die ablehnende Haltung der USA wirkte in der europäischen Öffentlichkeit verheerend und signalisierte für viele Beobachter einen grundsätzlichen Gegensatz zwischen Koordinations- und Subordinationsvorstellungen in Europa und Amerika. Die „ZEIT“ fragte besorgt: „Haben Europäer und Amerikaner die gleiche Vorstellung von einer internationalen Rechtsgemeinschaft? Haben sie denselben Begriff von nationaler Souveränität? Verteidigen sie ihre gemeinsamen Werte mit den gleichen Waffen? Am Ende: Können sie sich aufeinander noch verlassen?“74 Offenbar verärgerte die hybride Selbstgewissheit der USA als führender demokratischer Macht, die die Standards des Weltfriedens selbst bestimmen und überwachen wolle, die Bündnispartner. Die „New York Times“ zitierte einen besorgten europäischen Diplomaten mit den Worten: „If the U.S. says we are from a different nature, we cannot be compared with others, discipline is good for others, but not for the United States, then the future of humanity is at stake. If the United States believes it doesn’t need to respect multilateralism and international rules, how do you get China to respect them?“75 Man habe, so die „New York Times“, die europäischen Partner verschreckt, die sich von ihrer Zustimmung zu Bushs War on Terror ein Einlenken in der ICC-Ratifizierungsfrage erhofft hatten: „That sense began to erode when the United States made clear that it intended to prosecute the war on its own terms.“
2003 kam es zum Skandal um den völkerrechtswidrigen, da ohne UN-Mandat erfolgten Einmarsch im Irak und die Inhaftierung von Terrorverdächtigen in Guantánamo Bay ohne Grundlage eines juristischen Verfahrens. Dies führte unter den westlichen Alliierten zu wachsender Skepsis hinsichtlich der Glaubwürdigkeit des amerikanischen Bündnispartners. Selbst die Briten, sonst als treueste Verbündete fern jeglicher Kritik, gingen auf Distanz zu den USA, und der „Guardian“ verwies auf die doppelte Moral der Bush-Regierung: „It claims to fight for democracy and freedom but plans a military regime in Iraq and locks up terror suspects indefinitely without trial.“76 Durch all diese Faktoren wuchs auch die Kritik in den USA selbst, wo die Regierung Bush gerade unter Intellektuellen kaum mehr Akzeptanz fand.
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Unter der Regierung Obama ab Januar 2009 kam es zu einer erneuten Kursänderung. Nach dem Machtwechsel, aber auch durch die Erfahrungen mit anderen Modellen universeller Gerichtsbarkeit (wie etwa mit den gemischt national und international besetzten Gerichtshöfen in Kambodscha oder Ost-Timor) ist die Bereitschaft der USA gewachsen, sich an einer Ausgestaltung der übergreifenden Rechtsordnung zu beteiligen – um sie dadurch in eine Form zu bringen, der sich die USA womöglich auch selbst unterwerfen könnten. Obama formulierte in der 2010 vorgelegten „National Security Strategy“ vorsichtig, die US-Regierung könne amerikanische Soldaten schützen und trotzdem mit dem ICC zusammenarbeiten: „Although the United States is not at present a party to the Rome Statute of the International Criminal Court (ICC), and will always protect U.S. personnel, we are engaging with State Parties to the Rome Statute on issues of concern and are supporting the ICC’s prosecution of those cases that advance U.S. interests and values, consistent with the requirements of U.S. law.“77 Die Zusammenarbeit mit dem ICC wurde seither wieder aufgenommen.
Diese Haltung erscheint im Zuge der jüngsten Entwicklungen übervorsichtig, denn die Ermittlungstätigkeit gegen mächtige Unterzeichnerstaaten, insbesondere des Sicherheitsrats, ist faktisch ohnehin unwahrscheinlich, weil gegen sie kein Recht erzwungen werden kann. Andererseits ist nicht von der Hand zu weisen, dass von der puren Existenz des Gerichtshofs ein Anpassungsdruck (compliance) ausgehen kann, der einen Trend zur Angleichung des nationalen und internationalen Rechts in Gang setzt: Durch „vielschichtige Lobbyarbeit von Interessengruppen im innerstaatlichen Raum werden Fürsprecher im nationalen Regierungs- und Justizapparat sowie der breiten Öffentlichkeit“ gewonnen, die dann allmählich die Regierungsposition beeinflussen.78 Mit der Transformation des Völkerstrafrechts und der Überführung in nationales Recht dürfte auch die Bereitschaft von Staatsanwälten wachsen, dieses Recht anzuwenden.
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Die Fortschritte in der Universalisierung des Völkerrechts und speziell des Völkerstrafrechts können nicht über die Widerstände hinwegtäuschen. Den Hauptkritikpunkt bildet die Frage der Machtverteilung zwischen internationalen Organisationen und souveränen Staaten, die im Koordinations- und Subordinationsprinzip zueinander in Konkurrenz stehen. Insbesondere die Tendenz hin zu einer „global governance“, die das Völkerrecht über den strikt zwischenstaatlichen Bereich auszudehnen bestrebt ist und ihm dabei sanktionsbewehrten Charakter verleiht,79 wird nach wie vor von vielen Staaten als Gefahr bewertet; und auch die Auflösung des Dilemmas, wie rechtlich angemessen mit kollektivem Handeln umzugehen sei, ist durch die Verbindung des Gedankens einer staatlichen und individuellen Kriminalität nur als Kompromiss geglückt, wie Schwierigkeiten etwa beim Verfahren gegen Slobodan Milošević deutlich machten.80
Allerdings zeigt die Geschichte der Verrechtlichung ebenfalls deutlich, dass sie ohne Moralisierung nicht auskommt. Verrechtlichung und Moralisierung stehen in einem Spannungsverhältnis zueinander, da sie von diametral entgegengesetzten Prinzipien ausgehen – hier Durchsetzbarkeit und gegebenenfalls Zwang, da freiwillige Einsicht. Im Hinblick auf den Umgang mit verbrecherischer Vergangenheit ergeben sich hieraus verschiedene Herangehens-weisen, jedoch in ihrer Zielrichtung auch Überschneidungen – man denke an die medialen Darstellungen von Kriegsgreueln etwa in Ruanda, die gerade in den letzten 20 Jahren zu Entwicklungsschüben bei der Kodifizierung des Völkerrechts geführt haben. Die wechselvolle Position der USA belegt dabei, dass Moralisierung und Verrechtlichung ineinandergreifen können: Fortschreitende Kodifizierung neuer Rechtsstandards sowie ihr allmählicher Einzug in die juristische Praxis führen dazu, dass sich das moralische Bewusstsein verändert – und sich auch in diesem Bereich neue Standards herausbilden. Optimistische Beobachter gehen deshalb inzwischen davon aus, dass sich die Staatengemeinschaft in einem konfliktreichen Prozess der „Zivilisierung der internationalen Beziehungen durch Verrechtlichung“ befindet.81 Der Ausgang dessen ist freilich noch offen und wird wohl auch weiterhin (selbst in dieser optimistischen Lesart) von politischen Machtkonstellationen abhängig bleiben.
Im Zweifel – und das hat die Tötung Osama Bin Ladens in seinem Haus in Pakistan am 1. Mai 2011 durch ein US-Spezialkommando deutlich gezeigt – unterscheidet sich die Auslegung des Völkerrechts seitens der amerikanischen Regierung deutlich von der Sicht der meisten anderen Völkerrechtler; in Washington wird politisch definiert, was ein Krieg ist und wo und wie er von wem geführt wird.82 Von einem flexiblen Souveränitätsverständnis und dem Subordinationsprinzip als Voraussetzung einer globalen Rechtsgeltung unter dem Primat einer überstaatlichen Ordnungsmacht ist das noch weit entfernt. So lässt sich die Genese eines universellen Völker(straf)rechts nicht ohne weiteres als Erfolgsgeschichte schreiben, sondern eher als Geschichte fortdauernder Konflikte und Aushandlungsprozesse.
1 Vgl. die Entwicklung der Debatte anhand der folgenden Sammelbände: Nürnberger Menschenrechtszentrum (Hg.), Von Nürnberg nach Den Haag. Menschenrechtsverbrechen vor Gericht – Zur Aktualität des Nürnberger Prozesses, Hamburg 1996; Helia-Verena Daubach (Hg.), Leipzig, Nürnberg, Den Haag. Neue Fragestellungen und Forschungen zum Verhältnis von Menschenrechtsverbrechen, justizieller Säuberung und Völkerstrafrecht, Düsseldorf 2007.
2 Nicole Deitelhoff, Angst vor Bindung? Das ambivalente Verhältnis von Demokratien zum Internationalen Strafgerichtshof, HSFK [Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung] Stand-punkte Nr. 5/2002, online unter URL: <http://www.hsfk.de/publikationen-veranstaltungen/publikation/angst-vor-bindung/>.
3 Oft sprechen Publizisten euphorisch von „Weltgericht“, doch der Begriff ist umstritten, da er im Grenzbereich zwischen theologischem und juristischem Strafverständnis argumentiert und eine von allen anerkannte Gerichtsbarkeit impliziert, die – wie die Ratifizierungsschwierigkeiten zeigten – nicht ohne weiteres zu verwirklichen war. Zur Problematik allgemein vgl. Joachim Perels, Probleme der Ahndung völkerrechtswidriger Staatsverbrechen im 20. Jahrhundert. Einige Grundlinien, in: Wolfram Wette/Gerd R. Ueberschär (Hg.), Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert, Darmstadt 2001, S. 18-34, hier S. 18.
4 Für einen ersten Überblick vgl. Heiko Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert, Baden-Baden 1999, S. 103-123; Gerd Hankel/Gerhard Stuby (Hg.), Strafgerichte gegen Menschheitsverbrechen. Zum Völkerstrafrecht 50 Jahre nach den Nürnberger Prozessen, Hamburg 1995; Peter J. Opitz, Menschenrechte und Internationaler Menschenrechtsschutz im 20. Jahrhundert. Geschichte und Dokumente, München 2002; Henning Radtke u.a. (Hg.), Historische Dimensionen von Kriegsverbrecherprozessen nach dem Zweiten Weltkrieg, Baden-Baden 2007.
5 Neil Kritz, Transitional Justice. How Emerging Democracies Reckon with Former Regimes, 3 Bde., Washington 1995; Ruti G. Teitel, Transitional Justice, New York 2000; Louis Bickford, Transitional Justice, in: Dinah L. Shelton (Hg.), Encyclopedia of Genocide and Crimes Against Humanity, Bd. 3, Detroit 2004, S. 1045ff.; Jon Elster, Closing the Books. Transitional Justice in Historical Perspective, New York 2004 (dt.: Die Akten schließen. Recht und Gerechtigkeit nach dem Ende von Diktaturen, Frankfurt a.M. 2005); ders. (Hg.), Retribution and Reparation in the Transition to Democracy, New York 2006; David Cohen, Transitional Justice in Divided Germany after 1945, Berkeley 2006.
6 Susanne Buckley-Zistel, Transitional Justice als Weg zu Frieden und Sicherheit. Möglichkeiten und Grenzen, SFB-Governance Working Paper Series Nr. 15/2008, online unter URL: <http://www.sfb-governance.de/en/publikationen/working_papers/wp15/SFB-Governance-Working-Paper-15.pdf>, S. 3.
7 Elster, Akten schließen (Anm. 5), S. 17.
8 Matthias Dembinski, Unilateralismus versus Multilateralismus. Die USA und das spannungsreiche Verhältnis zwischen Demokratie und Internationaler Organisation, HSFK-Report Nr. 4/2002, online unter URL: <http://edoc.vifapol.de/opus/volltexte/2008/223/pdf/rep0402.pdf>, S. 28.
9 Hierzu ausführlich: Madeleine Herren, Internationale Organisationen seit 1865. Eine Globalgeschichte der internationalen Ordnung, Darmstadt 2009, S. 1-14. Vgl. auch Hartmut Behr, Entterritoriale Politik. Von den internationalen Beziehungen zur Netzwerkanalyse, Wiesbaden 2004.
10 Mark Mazower, Ende der Zivilisation und Aufstieg der Menschenrechte, in: Stefan-Ludwig Hoffmann (Hg.), Moralpolitik. Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert, Göttingen 2010, S. 41-62, hier S. 41.
11 Jost Dülffer, Regeln im Krieg? Kriegsverbrechen und die Haager Friedenskonferenzen, in: Wette/Ueberschär, Kriegsverbrechen (Anm. 3), S. 35-49, hier und zum Folgenden S. 35-41.
12 Vgl. hierzu Andreas Toppe, Militär und Kriegsvölkerrecht. Rechtsnorm, Fachdiskurs und Kriegspraxis in Deutschland 1899–1940, München 2008.
13 Vgl. hierzu die neuen Forschungsansätze bei Hillard von Thiessen/Christian Windler (Hg.), Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel, Köln 2010 (mit Fokus auf der Frühen Neuzeit und dem 19. Jahrhundert).
14 John Horne/Alan Kramer, Deutsche Kriegsgreuel 1914. Die umstrittene Wahrheit, Hamburg 2004.
15 Alan Kramer, Versailles, deutsche Kriegsverbrechen und das Auslieferungsbegehren der Alliierten 1919/20, in: Wette/Ueberschär, Kriegsverbrechen (Anm. 3), S. 72-84, hier S. 73.
16 Zit. nach ebd., S. 74. Vgl. dort auch zum Folgenden, S. 75f.
17 Herren, Internationale Organisationen (Anm. 9), S. 58. Vgl. die Forschungen zur Diplomatiegeschichte von Susanne Schattenberg; zuletzt dies., 1918 – Die Neuerfindung der Diplomatie und die Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk, in: Mathias Stadelmann/Lilia Antipow (Hg.), Schlüsseljahre. Zentrale Konstellationen der mittel- und osteuropäischen Geschichte. Festschrift für Helmut Altrichter zum 65. Geburtstag, Stuttgart 2011, S. 273-293. Siehe auch den Beitrag von Verena Steller in diesem Heft.
18 Dembinski, Unilateralismus (Anm. 8), S. 14.
19 Mazower, Ende der Zivilisation (Anm. 10), S. 49.
20 Herbert Reginbogin, Confronting „Crimes Against Humanity“ from Leipzig to the Nuremberg Trials, in: ders./Christoph Safferling (Hg.), The Nuremberg Trials. International Criminal Law since 1945, München 2006, S. 115-121, hier S. 118ff.
21 So das Fazit bei Deitelhoff, Angst vor Bindung? (Anm. 2), S. 4.
22 Kramer, Versailles (Anm. 15), S. 76.
23 Ebd., S. 77; dort auch zum Folgenden.
24 Als Überblick: Gerd Hankel, Die Leipziger Prozesse. Deutsche Kriegsverbrechen und ihre strafrechtliche Verfolgung nach dem Ersten Weltkrieg, Hamburg 2003; Harald Wiggenhorn, Verliererjustiz. Die Leipziger Kriegsverbrecherprozesse nach dem Ersten Weltkrieg, Baden-Baden 2005; Kai Müller, Oktroyierte Verliererjustiz nach dem Ersten Weltkrieg, in: Archiv des Völkerrechts 39 (2001), S. 202-222.
25 Kramer, Versailles (Anm. 15), S. 79ff.
26 Gerd Hankel, Deutsche Kriegsverbrechen des Weltkrieges 1914–1918 vor deutschen Gerichten, in: Wette/Ueberschär, Kriegsverbrechen (Anm. 3), S. 85-98, hier S. 87.
27 Gerhard Werle, Die Entwicklung des Völkerstrafrechts aus deutscher Perspektive, in: Gerd Hankel (Hg.), Die Macht und das Recht. Beiträge zum Völkerrecht und Völkerstrafrecht am Beginn des 21. Jahrhunderts, Hamburg 2008, S. 97-126, hier S. 97.
28 Benoit Lemay/Paul Létourneau, Die Herausforderung der Männer des Friedens oder der Briand-Kellogg-Pakt, in: Wette/Ueberschär, Kriegsverbrechen (Anm. 3), S. 99-110, hier S. 99.
29 Mazower, Ende der Zivilisation (Anm. 10), hier und zum Folgenden S. 55.
30 Die Literatur zum Nürnberger IMT-Prozess ist sehr umfangreich. Hier eine Auswahl mit Blick auf die Wirkung des Verfahrens: M. Cherif Bassiouni, Das Vermächtnis von Nürnberg: eine historische Bewertung fünfzig Jahre danach, in: Hankel/Stuby, Strafgerichte gegen Menschheitsverbrechen (Anm. 4), S. 15-38; Reinhard Merkel, Nürnberg 1945. Militärtribunal. Grundlagen, Probleme, Folgen, in: Merkur 50 (1997), S. 918-936; Klaus Marxen/Gerhard Werle (Hg.), Der Umgang mit Kriegs- und Besatzungsrecht in Japan und Deutschland, Berlin 2001; Reginbogin/Safferling, Nuremberg Trials (Anm. 20). Die Nürnberger Nachfolgeprozesse bleiben hier aus Platzgründen unberücksichtigt.
31 Sheldon Glueck, The Nuremberg Trial and Aggressive War, New York 1946, S. 102.
32 Als Überblick vgl. die neuesten Arbeiten zum Thema: Yuma Totani, The Tokyo War Crimes Trial. The Pursuit of Justice in the Wake of World War II, Cambridge 2008; Madoka Futamura, War Crimes Tribunals and Transitional Justice. The Tokyo Trial and the Nuremberg Legacy, London 2008.
33 Donald Bloxham, Genocide on Trial. War Crimes Trials and the Formation of Holocaust History and Memory, Oxford 2001, S. 17.
34 Werle, Entwicklung des Völkerstrafrechts (Anm. 27), S. 98.
35 Kerstin von Lingen, SS und Secret Service. „Verschwörung des Schweigens“: Die Akte Karl Wolff, Paderborn 2009, S. 105ff., zu den Ermittlungen gegen die SS in Italien.
36 Totani, Tokyo War Crimes Trial (Anm. 32), S. 7, S. 57.
37 Wolfgang Krieger, Die amerikanische Deutschlandplanung. Hypotheken und Chancen für einen Neuanfang, in: Hans-Erich Volkmann (Hg.), Ende des Dritten Reichs – Ende des Zweiten Weltkriegs, München 1995, S. 25-50, hier S. 28f.
38 Gary Jonathan Bass, Stay the Hand of Vengeance. The Politics of War Crimes Tribunals, Princeton 2000, S. 149; Arieh J. Kochavi, Prelude to Nuremberg. Allied War Crimes Policy and the Question of Punishment, Chapel Hill 1998, S. 3; Bloxham, Genocide on Trial (Anm. 33), S. 7.
39 Pier Paolo Rivello, The Prosecution of War Crimes Committed by Nazi Forces in Italy, in: Journal of International Criminal Justice 3 (2005), S. 422-433, hier S. 422.
40 Zit. nach Bradley F. Smith, The Road to Nuremberg, London 1981, S. 95.
41 Frank M. Buscher, Bestrafen und Erziehen. „Nürnberg“ und das Kriegsverbrecherprogramm der USA, in: Norbert Frei (Hg.), Transnationale Vergangenheitspolitik. Der Umgang mit deutschen Kriegsverbrechern in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, Göttingen 2006, S. 94-139, hier S. 97.
42 Donald Bloxham, Pragmatismus als Programm. Die Ahndung deutscher Kriegsverbrecher durch Großbritannien, in: Frei, Transnationale Vergangenheitspolitik (Anm. 41), S. 140-179, hier S. 145.
43 Auch zum Folgenden: ebd., S. 143ff.
44 Werle, Entwicklung des Völkerstrafrechts (Anm. 27), S. 98f.
45 Vgl. zuletzt Mark Mazower, No Enchanted Palace. The End of Empire and the Ideological Origins of the United Nations, Princeton 2009, der die Kontinuität zwischen Völkerbund und UN betont. Er problematisiert zwar das Primat der nationalen Souveränität in den UN, lässt die Frage der internationalen Strafgerichtsbarkeit aber außen vor. Vgl. ferner Paul Kennedy, Das Parlament der Menschheit. Die Vereinten Nationen und der Weg zur Weltregierung, München 2007, der im Gegensatz zu Mazower das grundlegend Neue hervorhebt, das mit der Gründung der UN beabsichtigt gewesen sei.
46 Christian Tomuschat, Von Nürnberg nach Den Haag, in: Nürnberger Menschenrechtszentrum, Von Nürnberg nach Den Haag (Anm. 1), S. 93-115, zur Völkerrechtskommission ausführlich ab S. 98.
47 Devin O. Pendas, Auf dem Weg zu einem globalen Rechtssystem? Die Menschenrechte und das Scheitern des legalistischen Paradigmas des Krieges, in: Hoffmann, Moralpolitik (Anm. 10), S. 226-255, hier S. 226.
48 Deitelhoff, Angst vor Bindung? (Anm. 2), S. 4.
49 Grundlegend hierzu William A. Schabas, Genozid im Völkerrecht, Hamburg 2003.
50 Volker Nerlich, Entwicklungen und Perspektiven internationaler und internationalisierter Strafgerichtsbarkeit, in: Hankel, Die Macht und das Recht (Anm. 27), S. 50-96, hier und zum Folgenden S. 63ff.
51 Diese Problematik führte dazu, dass die Revisionsgesuche bereits verurteilter NS-Kriegsverbrecher in der Bundesrepublik berücksichtigt werden mussten und es zu einer Begnadigungswelle kam; vgl. Kerstin von Lingen, Kesselrings letzte Schlacht. Kriegsverbrecherprozesse, Vergangenheitspolitik und Wiederbewaffnung: Der Fall Kesselring, Paderborn 2004, S. 100.
52 Josef Bordat, Eingreifen und Bestrafen. Zur neuen Rolle der Vereinten Nationen, in: Daubach, Leipzig, Nürnberg, Den Haag (Anm. 1), S. 181-194, hier S. 181.
53 Deitelhoff, Angst vor Bindung? (Anm. 2), S. 4.
54 Vgl. hierzu Gisela Manske, Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Verbrechen an der Menschheit, Berlin 2003.
55 Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen. Mit einem einleitenden Essay von Hans Mommsen, München 1986 (zuerst 1963 auf Englisch und 1964 auf Deutsch veröffentlicht).
56 Deitelhoff, Angst vor Bindung? (Anm. 2), S. 6.
57 Ebd., S. 2.
58 Vgl. auch zum Folgenden: Philipp Stempel, Der Internationale Strafgerichtshof – Vorbote eines Weltinnenrechts? Eine Studie zur Reichweite einer rule of law in der internationalen Politik, in: INEF [Institut für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg-Essen] Report Nr. 78/2005, online unter URL: <http://inef.uni-due.de/page/documents/Report78.pdf>; Nerlich, Entwicklungen und Perspektiven (Anm. 50), S. 65f.
59 Charles A. Smith/Heather Smith, Embedded Realpolitik? Reevaluating United States’ Opposition to the International Criminal Court, in: Steven C. Roach (Hg.), Governance, Order, and the International Criminal Court. Between Realpolitik and a Cosmopolitan Court, Oxford 2009, S. 29-51, hier S. 29.
60 Stempel, Der Internationale Strafgerichtshof (Anm. 58), S. 12.
61 Deitelhoff, Angst vor Bindung? (Anm. 2), S. 5.
62 Ebd., S. 12.
63 Stempel, Der Internationale Strafgerichtshof (Anm. 58), S. 18, Anm. 17.
64 Deitelhoff, Angst vor Bindung? (Anm. 2), S. 6-9.
65 Stempel, Der Internationale Strafgerichtshof (Anm. 58), S. 10.
66 Dembinski, Unilateralismus (Anm. 8), S. 1, sowie aus allgemeinerer Perspektive Michael Hochgeschwender, Die USA – ein Imperium im Widerspruch, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 3 (2006), S. 55-76.
67 Auch zum Folgenden: Deitelhoff, Angst vor Bindung? (Anm. 2), S. 7.
68 Jason Ralph, Defending the Society of States. Why America Opposes the International Criminal Court, and its Vision of World Society, Oxford 2007.
69 Wortlaut unter <http://amicc.org/docs/Rumsfeld5_6_02.pdf>. Die Website wird betrieben von „The American Non-Governmental Organizations Coalition for the International Criminal Court“, also einem Zusammenschluss von Kritikern an der Position der eigenen Regierung.
70 Vgl. John R. Bolton, The Risks and Weaknesses of the International Criminal Court from America’s Perspective, in: Law and Contemporary Problems 64 (2001), S. 167-180, hier S. 180. Bolton war in der Regierung Bush Assistant Secretary of State for International Organization Affairs.
71 Wortlaut unter <http://www.amicc.org/usinfo/administration_policy_BIAs.html>.
72 Stempel, Der Internationale Strafgerichtshof (Anm. 58), S. 11.
73 Deitelhoff, Angst vor Bindung? (Anm. 2), S. 10.
74 Matthias Naß, Amerikas Hochmut, in: ZEIT, 4.7.2002.
75 Serge Schmemann, U.S. vs. U.N. Court: Two Worldviews, in: New York Times, 2.7.2002; dort auch das folgende Zitat.
76 Simon Tisdall, Bad diplomacy, bad foreign policy and bad for Britain, in: Guardian, 21.10.2002.
77 <http://www.whitehouse.gov/sites/default/files/rss_viewer/national_security_strategy.pdf>, S. 48.
78 Stempel, Der Internationale Strafgerichtshof (Anm. 58), S. 40.
79 Hierzu ausführlich Herren, Internationale Organisationen (Anm. 9), S. 98-102.
80 Pendas, Auf dem Weg (Anm. 47), S. 253ff.
81 Deitelhoff, Angst vor Bindung? (Anm. 2), S. 8.
82 Thomas Darnstädt, Gerechtigkeit auf Amerikanisch, 2.5.2011, online unter URL: <http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,760244,00.html>.