- Zwischen imperialer Tradition und westlichem »burden sharing«:
Deutsche Sicherheitskooperationen mit Lateinamerika im Wandel der Zeit - Internationaler Terrorismus und die
Transnationalisierung der »Inneren Sicherheit« - Vorverlagerte Terrorismusbekämpfung:
Flugsicherheit in Lateinamerika - Bundeskriminalamt und GSG 9:
Westdeutsche Anti-Terror-Expertise für Lateinamerika - Fazit
Am 1. März 1991 trat Polizeihauptkommissar Hugo Christen in Guatemala-Stadt seine Rückreise nach Deutschland an. In den vier Jahren zuvor hatte Christen im Rahmen eines 1986 beschlossenen bundesdeutschen Polizeihilfeprojekts1 die Reorganisation der guatemaltekischen Polizei koordiniert. Die euphorisch begonnene Kooperation sollte eine rechtsstaatliche Polizei formen und zur Demokratisierung des vom Bürgerkrieg gezeichneten Landes beitragen, wurde jedoch wegen ausbleibender Erfolge und kontinuierlicher Menschenrechtsverletzungen der Sicherheitskräfte Anfang 1991 von deutscher Seite abgebrochen.2 Mit einem Gesamtvolumen von mehr als 10 Millionen DM war dieses Unterfangen das größte von der Bundesrepublik Deutschland während des Kalten Krieges finanzierte, in sich geschlossene Polizeihilfeprojekt in Lateinamerika.3 Der Abzug des Langzeitberaters Christen stellte in vielerlei Hinsicht den Schlusspunkt eines jahrzehntelangen sicherheitspolitischen Engagements der Bundesrepublik im Polizeisektor Lateinamerikas dar. Für die Zeit zwischen 1949 und 1989 lassen sich rund 200 bilaterale Kontakte zwischen bundesrepublikanischen und lateinamerikanischen Sicherheitsbehörden und diplomatischen Einrichtungen identifizieren, die westdeutsche Unterstützung bei der Modernisierung lateinamerikanischer Polizeiinstitutionen zum Ziel hatten. In mehr als 120 Fällen führte dies zu Polizeihilfeprogrammen – und damit zur Gewährung von materiellen und/oder personellen Ressourcen.
Neben der Hilfe mit Polizeiausrüstung – von Fahrzeugen über Funkgeräte bis hin zu Labortechnik, in der Regel aus bundesdeutscher Fabrikation – war der Transfer von Polizeiwissen made in Germany ein Kernbestandteil dieser Projekte. Insgesamt wurden im Rahmen der Polizeihilfeprogramme mindestens 876 lateinamerikanische Polizeibeamte persönlich fortgebildet. 48 westdeutsche Polizeibeamte reisten als Ausbilder nach Lateinamerika; hinzu kamen unzählige Kooperationen auf der operativen Ebene, etwa bei der Rauschgiftbekämpfung, die oftmals von kleineren Ausrüstungshilfen flankiert wurden.4
In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Kalten Krieg in Lateinamerika hat das sicherheitspolitische Engagement der Bundesrepublik bisher wenig Aufmerksamkeit erfahren. In der deutschsprachigen Forschung zu den Themen Polizeihilfe und transnationale Polizeikooperationen, aber auch in Studien zur globalen Dimension des Kalten Krieges liegt der empirische Schwerpunkt auf der Analyse entsprechender Phänomene in Afrika und Asien.5 Arbeiten, die sich mit externer Polizeihilfe in und für Lateinamerika beschäftigen, haben sich nahezu ausschließlich für die Rolle der USA interessiert.6 Neben der empirischen Vernachlässigung des Einflusses bundesdeutscher Polizeihilfe auf die lateinamerikanische Sicherheitsarchitektur während des Kalten Krieges ist beiden Forschungsrichtungen ein analytisches Problem gemein: Externe Polizeihilfe wird als ein primär außenpolitisches Instrument betrachtet, mit dem die Regierungen der Geberländer geo- und/oder sicherheitspolitische Absichten in der Zielregion verfolgen. Die hieraus resultierenden Formen repressiver und häufig extralegaler Polizeipraxis in der Region werden aus einer solchen Perspektive ursächlich auf »Latin American states’ ties to foreign governments and economic interests« zurückgeführt, wie Martha K. Huggins, eine der führenden Forscherinnen zum Thema, es auf den Punkt gebracht hat.7
Auch wenn die geopolitischen Interessen ausländischer Regierungen in der Tat einen wichtigen Motivationsfaktor für die Bereitstellung polizeilicher Ressourcen bilden,8 sind Polizeihilfeprogramme nicht darauf reduzierbar. Vielmehr haben aktuelle Studien hervorgehoben, dass es sich bei dieser Form von sicherheitspolitischer Unterstützung um komplexe Prozesse handelt, deren Dynamiken von den beteiligten Polizeiinstitutionen gemeinsam bestimmt werden.9 Zudem haben insbesondere postkolonial inspirierte Ansätze gezeigt, dass der Ausgangspunkt für Polizeihilfe und andere Interventionsformen oftmals gerade in der »Einladung« von Seiten der Empfängerländer zu suchen ist. Polizeihilfe ist damit weniger als ein »top-down«-Transfer von Wissen und Techniken zu verstehen, sondern als ein »ko-konstituiertes« Exportgut, für dessen konkrete Umsetzung meist informelle Prozesse, persönliche Kontakte sowie die Interessen der »Empfänger« maßgeblich sind.10
Anknüpfend an diese analytischen Einsichten untersuchen wir im vorliegenden Beitrag, wie sich die bundesdeutsche Polizeihilfe für Lateinamerika im Zusammenspiel der genannten Faktoren entwickelt hat. Sie stieß Transfer- und Austauschprozesse an, die wiederum Auswirkungen auf spätere Kontakte im Sicherheitssektor hatten, wie wir anhand der Analyse von Polizeikooperationen im Bereich der Terrorismusbekämpfung während der 1970er-Jahre zeigen werden. Dieser in vielerlei Hinsicht paradigmatische Fall westdeutsch-lateinamerikanischer Interaktion belegt die erwähnte Zentralität der informellen Dynamiken und der Handlungsmacht lateinamerikanischer Akteure für das Zustandekommen und den Verlauf der Polizeihilfeprojekte. Er weist aber auch auf die historische Kontinuität und innenpolitische Dimension außenpolitischen Handelns in einem Politikfeld hin, in dem die Grenzen zwischen Innen- und Außenpolitik bereits in den 1970er-Jahren zunehmend verwischt wurden. Deutlich wird, wie Partnerschaften zwischen den Sicherheitsinstitutionen von demokratischen Staaten und Militärdiktaturen – die zu dieser Zeit dominante Herrschaftsform in der Region – zu einem Kernbestandteil der Transnationalisierung »Innerer Sicherheit« wurden.
Die Quellenlage für die Beschäftigung mit transnationalen Polizeikooperationen und Polizeihilfeprogrammen ist schwierig. Dies liegt vor allem daran, dass die beteiligten Regierungen beim Abschluss solcher sensiblen Kooperationen meist Vertraulichkeit vereinbarten.11 Nur wenige und recht allgemeine Informationen gelangten daher an die bundesdeutsche Öffentlichkeit, etwa durch parlamentarische Anfragen zum Thema, die insbesondere nach dem Einzug der Grünen in den Bundestag 1983 vermehrt gestellt wurden.12 Nach Ablauf der meisten Schutzfristen ist es mittlerweile möglich, die Analyse durch das Einbeziehen von Archivquellen zu erweitern. Da die Polizeihilfe an der Schnittstelle von Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik angesiedelt ist, lassen sich die historischen Polizeihilfeprojekte am besten aus den Akten der entsprechenden Ministerien rekonstruieren – Auswärtiges Amt (AA) samt Auslandsvertretungen, Bundesministerium des Innern (BMI) und Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ). Akten lateinamerikanischer Behörden wurden, zumindest für die hier thematisierten Polizeihilfeprogramme, in den verschiedenen von uns konsultierten dortigen Archiven kaum überliefert, sodass sich die Rekonstruktion der lateinamerikanischen Perspektive im Wesentlichen auf die in deutschen Archiven verfügbare, glücklicherweise recht umfangreiche Korrespondenz stützt.
Der Beitrag beginnt mit einer historischen Kontextualisierung. Bundesdeutsche Polizeihilfeprogramme knüpften oftmals an ältere Erfahrungen mit dem Transfer deutscher Sicherheitsexpertise an, inklusive der zugrunde liegenden lateinamerikanischen Vorstellungen über die Vorzüge einer deutschen Unterstützung gegenüber konkurrierenden Angeboten. Vor diesem Hintergrund werden wir in einem ersten Schritt kurz die deutsch-lateinamerikanischen Sicherheitskooperationen ab dem 19. Jahrhundert nachzeichnen, die als Vorläufer der westdeutschen Polizeihilfeprogramme nach 1945 gesehen werden können, und die Prioritätsverschiebung von militärischen hin zu polizeilichen Formen der Zusammenarbeit während des Kalten Krieges herausarbeiten. Im Hauptteil des Textes wenden wir uns dann den westdeutsch-lateinamerikanischen Polizeikooperationen im Anti-Terror-Bereich ab den 1970er-Jahren zu. Wie aus den entsprechenden Akten hervorgeht, folgten diese »Hilfen« weniger einer außenpolitischen Gesamtstrategie als den jeweiligen Interessen bundesdeutscher Sicherheitsbehörden. Oft fungierten Ausbildungsprogramme und Materialschenkungen gar als Gegenleistungen für die Unterstützung, die die Bundesrepublik von lateinamerikanischen Sicherheitsakteuren im Prozess einer Transnationalisierung der »Inneren Sicherheit« erhielt, etwa im Bereich der Flugsicherheit.
1. Zwischen imperialer Tradition und
westlichem »burden sharing«:
Deutsche Sicherheitskooperationen
mit Lateinamerika im Wandel der Zeit
Die polizeilichen Kooperationen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Lateinamerika während des Kalten Krieges stehen in der Tradition deutscher sicherheitspolitischer Aktivitäten in der Region, die sich bis in das 19. Jahrhundert zurückverfolgen lassen. Auf die Unabhängigkeit fast aller lateinamerikanischen Staaten (zwischen 1806 und 1828) folgten die weltweit ersten Experimente postkolonialer Regierungen mit Staatsaufbauprogrammen und dem Import von als »erfolgreich« betrachteten Institutionen und Regierungspraktiken aus anderen Weltregionen, insbesondere aus Europa.13
Reform und Ausbau der Polizeiinstitutionen waren Teil solcher Modernisierungsinitiativen, allerdings in einer gegenüber dem Militär untergeordneten Funktion, welche die Polizeien bis weit ins 20. Jahrhundert beibehielten. Die Abwesenheit von »totalen« zwischenstaatlichen Kriegen führte in Lateinamerika dazu, dass sich die Militärinstitutionen weitgehend auf polizeiliche Aufgaben konzentrierten, nämlich die Sicherung innerer Ordnung und Stabilität, weniger auf Aspekte der Landesverteidigung oder der Eroberung fremder Länder.14 Eine strikte Trennung von Militär und Polizei war in der Region daher selten gegeben, sodass auch die militärischen Kooperationen zwischen Europa und Lateinamerika im Verlauf des 19. und frühen 20. Jahrhunderts maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der Polizeiorganisationen hatten.
Die Modernisierungsanstrengungen der lateinamerikanischen Sicherheitsinstitutionen brachten diese im Laufe des 19. Jahrhunderts verstärkt in Kontakt mit europäischen Sicherheitsexperten, vor allem aus dem Militärbereich. Neben Frankreich und England nahm Deutschland – hier insbesondere Preußen – einen zentralen Platz ein.15 Das Engagement deutscher Berater im Rahmen von Militärmissionen, als Teil einer Transnationalisierung inner-imperialer Konkurrenz, fokussierte sich dabei auf Länder mit einer großen deutschsprachigen Diaspora, allen voran Argentinien, Bolivien und Chile.16
Die Niederlage des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg führte zu einer Informalisierung der Kooperationen. Im Zuge der im Versailler Vertrag festgeschriebenen Verkleinerung des deutschen Heeres suchten nun arbeitslos gewordene deutsche Offiziere, die bereits vor dem Weltkrieg Erfahrungen als Militärberater in der Region gesammelt hatten, »an die alten Kontakte auf privater Basis« anzuknüpfen.17 Der Aufstieg ihrer einstigen »Schüler« innerhalb der Hierarchien der lateinamerikanischen Militärorganisationen war hierfür hilfreich und erlaubte es »einigen deutschen Offizieren[,] durch ihre persönlichen Beziehungen einflußreiche Stellungen in lateinamerikanischen Armeen« einzunehmen.18 Zu dieser Gruppe deutscher Sicherheitsexperten gesellten sich in den 1920er- und 1930er-Jahren auch zunehmend Freikorpsveteranen (und Nationalsozialisten), etwa Ernst Röhm, der zwischen 1928 und 1930 als Militärberater in Bolivien tätig war, oder Wilhelm Faupel, der zwischen 1920 und 1930 das argentinische und peruanische Heer beriet.19 Aber auch Angehörige der Reichswehr, wie der Offizier Hans Kretzschmar, bereisten die Region und teilten ihr Wissen »über die ›Verwendung von Truppen bei der Unterdrückung von Unruhen‹« mit interessierten lateinamerikanischen Militärs.20
Der Zweite Weltkrieg ließ direkte deutsche Kooperationen im lateinamerikanischen Sicherheitssektor gegenüber geheimdienstlichen Aktivitäten in den Hintergrund treten.21 Bald verlieh der Kalte Krieg der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit jedoch eine neue Qualität. In Teilen der politischen Eliten der Region wuchs nach 1945 die Sorge vor dem Ausgreifen der »kommunistischen Subversion«; eine Befürchtung, die sie mit den USA teilten. Seit der Havanna-Konferenz von 1940, auf der die ersten Konturen einer gegen die Achsenmächte gerichteten hemisphärischen Sicherheits- und Verteidigungsarchitektur unter US-amerikanischer Führung beschlossen worden waren, hatten die USA die bis dahin dominierenden europäischen »Sicherheitsanbieter« marginalisiert und de facto ein Monopol in diesem Bereich errichtet.22
Sicherheitspolitisch betrachtet war der Kampf gegen die »kommunistische Subversion« keine primär militärische Angelegenheit, sondern eine Polizeiaufgabe. Polizeiliche Prävention galt dabei gegenüber militärischer Repression als die effektivere Strategie. Um dieser vorbeugenden Tätigkeit zur Aufrechterhaltung der soziopolitischen Ordnung nachkommen zu können, war es unumgänglich, die jahrzehntelang gegenüber dem Militär vernachlässigten Polizeiinstitutionen in der Region zu modernisieren. Auf den ersten Blick politisch neutrale Bestandteile zwischenstaatlicher Kooperation, etwa die Bereitstellung von technischer Ausrüstung – Telekommunikation, Fahrzeuge, aber auch Waffen und Labortechnik – oder technische Lehrgänge und die Weitergabe von Verwaltungswissen, wurden so zu essentiellen Bestandteilen einer Präventionsstrategie, die ein Umschlagen von »Subversion« in offene Insurrektion verhindern sollte.23 Die Polizeien Lateinamerikas sollten so zur »first line of defense« gegenüber angeblichen oder tatsächlichen kommunistischen Umsturzversuchen werden.24 Von Seiten der USA wurden entsprechende Polizeihilfeanstrengungen 1955 durch Beschluss des National Security Council (NSC) im Programm »NSC 1290-d« institutionalisiert.25
Dieses Engagement traf auf die Hinterlassenschaften deutsch-lateinamerikanischer Militärkooperationen. So kritisierte beispielsweise ein von der Central Intelligence Agency (CIA) geleitetes Team, das 1959 auf Einladung der Regierung unter Alberto Lleras Camargo Kolumbien bereiste, um Verbesserungsvorschläge für den Kampf der kolumbianischen Sicherheitskräfte gegen »Banditentum, Gewalt und Terrorismus« zu entwickeln, das deutsche Militärerbe im Land. »Prussian militarism« und »an admiration for German methods and techniques«, so der Bericht des Colombia Survey Teams, seien weit verbreitet. Diese Tradition führe dazu, dass die Offiziersausbildung in Kolumbien Aspekte wie Strategien, Personal- und Logistikplanung priorisierte, die den militärischen Erfordernissen des Landes nicht Rechnung trügen.26 Während deutsches Militärwesen demzufolge ein Hindernis für den Kampf gegen die »Subversion« darstellte, sah dies für das deutsche kriminaltechnische Gerät, das der polizeiliche Inlandsgeheimdienst (Servicio de Inteligencia Colombiana) nutzte, anders aus. Solche Ausstattung leistete in den Augen der US-amerikanischen Berater einen wichtigen Beitrag zum Erfolg der »extremely fine intelligence organization«, der es unter anderem gelungen sei, kriminelle Gruppen und Guerillaorganisationen zu unterwandern.27
Auch wenn die USA die internationale Polizeihilfe für die Region während des Kalten Krieges dominierten, waren bundesdeutsche Sicherheitstechnik und -expertise von lateinamerikanischer Seite also weiterhin stark nachgefragt. Zum einen handelte es sich um eine Neuauflage der »Grauzonen-Expertise«, welche bereits nach dem Ersten Weltkrieg deutschen Militärs in Lateinamerika ein Betätigungsfeld eröffnet hatte. Ehemalige nationalsozialistische »Sicherheitsexperten«, etwa Friedrich Schwend in Peru oder Klaus Barbie in Bolivien, fanden im antikommunistischen Kontext neue Aufgaben in Lateinamerika, wo »die Kompetenzen deutscher Nazis, insbesondere bei der Bekämpfung des Kommunismus Verdächtiger«,28 vielerorts gefragt waren.29
Es waren aber nicht nur »Grauzonen-Akteure«, die derartiges Wissen nach Lateinamerika brachten. So veröffentlichte Paul Dickopf 1953 als »Berater« (und späterer Präsident) des Bundeskriminalamtes (BKA) einen Artikel in der brasilianischen kriminalpolizeilichen Zeitschrift »Investigações«. Dickopf war als »Alt-Kriminalist« unter dem NS-Regime mit dessen Verständnis von Kriminalpolitik als politischer »Gegnerbekämpfung« und der entsprechenden Unterdrückung von »verdächtigem Lebenswandel oder soziale[n] Problemlagen«30 ausgebildet worden. Wie viele andere NS-Kriminalisten auch, transferierte er ein entsprechendes »Ordnungsdenken«, das »die Ausgegrenzten der Gesellschaft zum Problem erhob«, in die kriminalpolizeiliche Arbeit der Bundesrepublik.31 Sein Zeitschriftenbeitrag, der die professionellen Standards (deutscher) kriminalistischer Ausbildung und Arbeit darlegte, erschien neben einem Artikel, der die Eindrücke des Besuches einer brasilianischen Delegation beim BKA in Wiesbaden beschrieb. Der Verfasser war voll des Lobes bezüglich der Kompetenzen der bundesdeutschen Kriminalpolizei und ihrer Ausbildungsinstitution, der »ersten technischen Polizeiuniversität der Welt«, die er in vielerlei Hinsicht als exemplarisch betrachtete. Dickopf fungierte als Gastgeber der Delegation.32
Auch wenn beide Beiträge in einer professionellen, eher technischen Sprache verfasst waren, sollte nicht übersehen werden, dass die Alltagspraxis der brasilianischen Polizei zu dieser Zeit von exakt solchem »Ordnungsdenken« geprägt war, wie es Dickopf vertrat, verbunden mit der gewaltsamen Unterdrückung sozial marginalisierter und politisch oppositioneller Menschen. Dies galt insbesondere für die Metropolen São Paulo und Rio de Janeiro, also jene Städte, in denen die brasilianischen BKA-Besucher ihren Dienst taten.33
Die Kubanische Revolution und speziell die Annäherung der Castro-Regierung an die Sowjetunion Anfang der 1960er-Jahre führten dazu, dass lateinamerikanische Regierungen, die sich um die innere Stabilität ihrer Länder sorgten und ein »zweites Kuba« befürchteten, verstärkt an polizeilichem Know-how interessiert waren. Diese gestiegene Nachfrage ging mit der schrittweisen Institutionalisierung bundesdeutscher Polizeihilfeprogramme einher.34 Auch die Stellung der Bundesrepublik im westlichen Bündnis und ihre Beziehungen zu den USA als Sicherheitsgarant des westdeutschen Staates begünstigten eine zunehmende »Arbeitsteilung« bei der Modernisierung der Sicherheitskräfte in Lateinamerika. Um den großen Bedarf der betreffenden Staaten nach Unterstützung in diesem Bereich zu befriedigen und möglichen Sicherheitshilfen von Warschauer-Pakt-Staaten zuvorzukommen, begannen die USA ab 1962 ein solches Engagement vermehrt von ihren Verbündeten einzufordern.35
Für die Bundesrepublik eröffnete sich hier eine Möglichkeit, jenseits des NATO-Gebiets sicherheitspolitisch aktiv zu werden und wiedererlangte Souveränität zu demonstrieren. Aus der besonderen Situation der deutschen Teilung ergab sich zudem, dass die Bundesrepublik mit der DDR um die Anerkennung durch Staaten des Globalen Südens konkurrierte. Polizeihilfen ließen sich auch als Mittel zur Durchsetzung der »Hallstein-Doktrin« nutzen.36 Da Lateinamerika in der Außenpolitik der DDR jedoch eine untergeordnete Rolle spielte,37 zeigte sich das Konkurrenzverhältnis der beiden deutschen Staaten auf dem Gebiet der Sicherheitsassistenz in der Region nur bedingt. Eine Ausnahme bildete der Zentralamerika-Konflikt der 1980er-Jahre, als die DDR umfangreiche Militärhilfen an Nicaragua leistete und auch Teile der (Geheim-)Polizeien des Landes schulte, während bundesdeutsche Experten zeitgleich bei der Beratung und Ausbildung von Polizeikräften in Guatemala und Costa Rica eingesetzt waren.38
Ein weiteres Beispiel aus Brasilien zeigt paradigmatisch die Interessenkongruenz westdeutscher und lateinamerikanischer Behörden, die sich aus der Verflechtung innenpolitischer Ziele und internationaler Dynamiken entwickelte. Im April 1963 leitete die bundesdeutsche Botschaft in Rio de Janeiro ein brasilianisches Gesuch zur Ausbildung von sieben Angehörigen der Bundespolizei des Landes an das Auswärtige Amt weiter, darunter auch die Bitte um Ausbildung zweier Beamter der politischen Polizei in »Aufklärung und Gegenaufklärung, Behandlung von Unruhen und Sabotagefällen, Sabotageabwehr«. Die Botschaft unterstützte dieses Gesuch, »da die baldige Reorganisation der brasilianischen Bundespolizei nicht nur für die erfolgreiche Bekämpfung des in letzter Zeit ständig zunehmenden Verbrecherwesens[,] sondern auch für die Ausschaltung extremer politischer Einflüsse von großer Bedeutung ist«. Das BMZ schloss sich dieser Einschätzung an und betonte, dass in Lateinamerika »der Erfolg aller Entwicklungshilfeleistungen entscheidend von der Stabilität der innenpolitischen Verhältnisse abhängig ist. Das Vorhaben kann daher als Versuch, zu dieser Stabilisierung beizutragen, gewertet werden.«39
Diese Entwicklung korrespondierte mit ähnlich gerichteten US-Initiativen. Durch den Aufbau des Office of Public Safety (OPS) ab November 1962 erreichte die Institutionalisierung US-amerikanischer Polizeihilfe eine neue Dimension. Ziel der OPS-Programme war es, die Effizienz lokaler Polizeien zu stärken – »in appropriate less developed countries where there is an actual or potential threat of internal subversion or insurgency«.40 Die unter dem Dach der United States Agency for International Development angesiedelten Programme waren vor allem technischer Art. Das Ziel war unter anderem die Weitergabe von »technical knowledge based on research in the latest techniques of law enforcement and police services including control of subversion and mass violence«.41 In diesem Sinne unterschieden sich die US-amerikanischen Polizeihilfen nicht von den bundesdeutschen. Letztere wurden in Washington als komplementär zu US-amerikanischen Initiativen betrachtet; sie wurden über Botschaftskanäle und professionelle Netzwerke informell mit Bonn koordiniert.42
Im Jahr 1974 kam es aufgrund zahlreicher Menschenrechtsverletzungen durch die von den USA unterstützten Polizeien in vielen Ländern des Globalen Südens (besonders in Vietnam und Lateinamerika) jedoch zur Einstellung der OPS-Programme.43 Dies bedeutete für lateinamerikanische Staaten, die nach externer Unterstützung für ihre internen ordnungspolitischen Stabilisierungsprojekte suchten, neue Herausforderungen, zumal diese Entwicklung mit einer Verschiebung »subversiver« Aktivitäten von nationalen Aufstandsversuchen hin zu einem international operierenden Terrorismus korrespondierte.44 So verstärkte das Ende der US-amerikanischen Polizeihilfe die Nachfrage nach bundesdeutscher Unterstützung, besonders im Bereich der Terrorismusbekämpfung.
2. Internationaler Terrorismus und die Transnationalisierung der »Inneren Sicherheit«
Das Jahr 1972 markierte einen Wendepunkt in der bundesdeutschen Sicherheitspolitik. Eine Serie von Anschlägen der Roten Armee Fraktion (RAF) und die Geiselnahme einer Gruppe israelischer Athleten durch die palästinensische Terrororganisation »Schwarzer September« während der Olympischen Spiele in München, bei der nach einer missglückten Befreiungsaktion alle neun Geiseln, ein Polizist und die meisten Attentäter ums Leben kamen,45 machten die Bekämpfung des Linksterrorismus zur obersten sicherheitspolitischen Priorität der sozialliberalen Bundesregierungen der 1970er-Jahre.
Die westdeutschen Polizeien waren jedoch für terroristische Großlagen wie eine Geiselbefreiung weder ausgebildet noch ausgerüstet. Um künftig effizienter auf Terrorangriffe reagieren zu können, wurde die Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik neu organisiert, und den Polizeien des Bundes wurden neue Kompetenzen zugewiesen. Die bekannteste Maßnahme war die Gründung einer mobilen Spezialeinheit des Bundesgrenzschutzes (BGS) zur Terrorbekämpfung, der »Grenzschutzgruppe 9« (GSG 9), welche mit Unterstützung israelischer Spezialkräfte noch im Herbst 1972 erfolgte.46 Das BKA nahm 1973 das datenbankgestützte INPOL-Fahndungssystem47 in Betrieb und erhielt über die Neufassung des BKA-Gesetzes erheblich größere Kompetenzen, gerade in Bezug auf den Terrorismus.48
Damit setzte sich ein Prozess fort, der bereits Ende der 1960er-Jahre in der staatlichen Auseinandersetzung mit Studentenbewegung und Außerparlamentarischer Opposition begonnen hatte und dazu führte, dass sich die Beziehungen zwischen den Sicherheitsbehörden verdichteten und ausdifferenzierten. Der BGS wandelte sich in dieser Zeit beispielsweise von einer paramilitärischen »Ersatzarmee«49 zu einer wirklichen Polizei des Bundes, die die Landespolizeien zunehmend ergänzte.50 Nach Einschätzung Hans-Jürgen Langes, des heutigen Präsidenten der Deutschen Hochschule der Polizei, kann erst ab den 1970er-Jahren von einem Politikfeld »Innere Sicherheit« gesprochen werden.51
Dies sorgte Lange zufolge dafür, »dass die allgemeinen polizeilichen Aufgaben (Bekämpfung der ›normalen‹ Kriminalität), die neuen speziellen Zielsetzungen (Bekämpfung des Terrorismus) und die nachrichtendienstlichen Tätigkeiten (Bekämpfung der Verfassungsfeinde) zu einem institutionellen Sicherheitsverbund zusammengeschlossen« wurden.52 Erforderlich war ein Zusammenwirken der »exekutiven Institutionen und Einrichtungen (v.a. Polizei und Staatsanwaltschaften)« mit weiteren Akteuren wie »Innenministerien, parlamentarische[n] Institutionen« sowie »Parteien, Verbände[n] (Polizeigewerkschaften) sowie föderale[n] Verhandlungsgremien«.53 Die Ereignisse von München waren gleichzeitig »ein wesentlicher Auslöser dafür, dass die ›Innere Sicherheit‹ der Bundesrepublik in den 1970er Jahren zunehmend als ein Politikfeld mit weitreichenden internationalen Implikationen wahrgenommen wurde«.54
Das Konzept »Innere Sicherheit« war eng verknüpft mit der »innerstaatlichen Feinderklärung«, nicht nur gegenüber dem Linksterrorismus, sondern auch gegenüber den sogenannten Sympathisanten und, folgt man Peter Brückner, letztlich gegenüber der politischen Linken in ihrer Gänze.55 Aus deren zunehmender internationaler Vernetzung wurde in Verbindung mit dem erstarkenden »internationalen Terrorismus« der Schluss gezogen, dass die Herstellung »Innerer Sicherheit« nicht an den Staatsgrenzen der Bundesrepublik enden dürfe. Die Bekämpfung des Linksterrorismus sei, wie das Auswärtige Amt festhielt, eine weltweite »Aufgabe für die internationale Zusammenarbeit«.56
Die das Politikfeld »Innere Sicherheit« in der Bundesrepublik bestimmende Grundrichtung war an die weiter oben dargestellte Status-quo-Orientierung lateinamerikanischer Sicherheitsinstitutionen höchst anschlussfähig. Dies galt umso mehr für deren zeitgenössische Ausprägung in einer Phase, in der die meisten Länder der Region Militärdiktaturen waren. Letztere hatten mit der »Doktrin der nationalen Sicherheit«57 eine neue Legimitationsgrundlage zur Unterdrückung politischer Oppositionsgruppen definiert, welche problemlos an den bundesdeutschen Terrorismusdiskurs anschließen konnte. Vor diesem Hintergrund – sowie angesichts des erwähnten »Versickerns« entsprechender US-amerikanischer Unterstützungsmöglichkeiten – kam es zu neuen Formen westdeutsch-lateinamerikanischer Polizeikooperationen, zuerst auf dem Gebiet der Flugsicherheit.
Nicht zufällig wurden BGS und BKA zu den Protagonisten der Polizeihilfeprojekte in diesem Bereich. Schließlich unterstanden sie der Bundesregierung und waren somit für internationale Kooperationen prädestiniert. Zudem führten die umfassende Modernisierung und Technisierung dieser Polizeien des Bundes sowie ihre Erfolge in der Bekämpfung des Linksterrorismus dazu, dass sie für lateinamerikanische Sicherheitsbehörden viel sichtbarer und zugleich attraktiver waren als die westdeutschen Landespolizeien. Daher strebten lateinamerikanische Behörden fast immer Ausbildungs- und Ausstattungshilfen durch BGS und BKA an.
3. Vorverlagerte Terrorismusbekämpfung:
Flugsicherheit in Lateinamerika
Die Verflochtenheit von »Innerer Sicherheit« und internationalen Konflikten wurde bereits wenige Wochen nach dem Olympia-Attentat erneut deutlich, als Kommandos der »Popular Front for the Liberation of Palestine« (PFLP) die Lufthansa-Maschine »Kiel« entführten, um die drei überlebenden Attentäter des »Schwarzen Septembers« aus westdeutschen Gefängnissen freizupressen. Die Bundesregierung ging auf die Forderungen ein.58 Flugzeugentführungen wie diese hatten das Potential, die Bundesrepublik massiv unter Druck zu setzen.59 Daher arbeiteten westdeutsche Anti-Terror-Behörden seit der »Kiel«-Entführung kontinuierlich daran, die Flugsicherheit zu erhöhen. Bilaterale Anstrengungen zur Verbesserung der Sicherheit auf den Flughäfen der »Dritten Welt« bildeten die Grundlage dieser Initiativen. Daneben war auch der Informationsaustausch mit den polizeilichen Institutionen der jeweiligen Staaten wichtig, der meist informelle »Gegenleistungen« wie Ausrüstungshilfen oder politische Zugeständnisse notwendig machte. Die Aus- und Weiterbildung von Polizeikräften in Partnerländern wurde ebenfalls zum Thema.
Ein Novum stellte die Entsendung von BGS-Beamten ins Ausland dar. Auf diese Weise sollte die Flugsicherheit vor allem für westdeutsche Fluggesellschaften, Güter und Passagiere verbessert werden. Im Oktober und November 1972 wurden mit der Deutschen Lufthansa (DLH) Verträge geschlossen zur »Abstellung von Polizeivollzugsbeamten des Bundesgrenzschutzes auf Stationen der Deutschen Lufthansa im Ausland« und »zur Durchführung von Sicherheitsaufgaben an Bord von Luftfahrzeugen der Deutschen Lufthansa«.60 Schon kurz nach Inkrafttreten der Vereinbarungen mit der DLH wurden BGS-Beamte an die Flughäfen von Montevideo (Uruguay), La Paz (Bolivien) und Santiago (Chile) entsandt.61 Im November 1977 war der BGS mit insgesamt 27 Mann in Lateinamerika und der Karibik vertreten; er schützte Lufthansa-Stationen in Kolumbien, Bolivien, Peru, Brasilien, Argentinien, Uruguay, Paraguay, Chile, Ecuador, Venezuela, Mexiko und auf den Bahamas. Damit waren knapp 15 Prozent der 183 weltweit eingesetzten BGS-Beamten am 1. November 1977 in dieser Region tätig.62 Wenngleich die Anzahl der Beamten relativ gering erscheinen mag, ist zu beachten, dass die in der Forschung prominent diskutierten US-Programme in Lateinamerika eine vergleichbare Personalstärke hatten.63 Hinzu kam, dass durch die Verteilung der BGS-Beamten beinahe alle Länder Lateinamerikas abgedeckt waren. Die dauerhafte Präsenz des BGS vor Ort und der Kontakt mit den lokalen Kollegen bildeten wesentliche Elemente der Transnationalisierung und Vorverlagerung der »Inneren Sicherheit« – schließlich gewannen die Beamten wertvolle Informationen über die Bewegungen potentiell Verdächtiger.
Die Entsendung stellte das diplomatische Korps der Bundesrepublik jedoch vor völkerrechtliche Probleme. Viele Staaten sahen ihre Souveränität durch die Anwesenheit ausländischer Sicherheitskräfte auf dem eigenen Staatsgebiet verletzt. Als die BGS-Präsenz in Südamerika ab 1973 ausgebaut werden sollte, zeigte sich, dass nicht in allen Ländern der politische Wille zur Einbindung des BGS in die Flughafensicherheit gleichermaßen vorhanden war. So mussten beispielsweise zwei am Flughafen Lima eingesetzte BGS-Beamte wieder ausreisen, als die Genehmigung zurückgezogen wurde. Da der Hauptstadtflughafen des seit 1968 vom Militär regierten Landes aber als besonders unsicher galt, wurde im BMI für 1974 nicht nur eine Rückkehr der Beamten, sondern sogar eine Aufstockung auf fünf Einsatzkräfte anvisiert. Das BMI wandte sich an das Auswärtige Amt, das für die entsprechenden Genehmigungen sorgen sollte.64 Um eine Zustimmung zu erhalten, suchten bundesdeutsche Diplomaten den direkten Kontakt mit dem für die Flughafensicherheit zuständigen General Acosta Rodriguez, der 1969 und 1974 jeweils zu mehrwöchigen Informationsbesuchen und Schulungen in die Bundesrepublik gereist war. Vorangegangene Polizeihilfen und daraus entstandene Kontakte machten sich nun bezahlt. Auf Vermittlung des Auswärtigen Amtes wurde BMI-Ministerialdirektor Gerhard von Loewenich, der Acosta auch bei diesen Besuchen betreut hatte, für Gespräche nach Lima eingeladen.
Von Loewenich legte dem General die Position der Bundesregierung dar und zielte im Gespräch auf die gemeinsamen Interessen Perus und der Bundesrepublik bei der Abwehr des Terrorismus, der sich auch in Südamerika ausbreite: »Wir haben zuverlässige Informationen darüber, daß zwischen den palästinensischen und deutschen Terroristen (Baader-Meinhoff-Bande) [sic] Verbindungen bestehen und […] weitere Verbindungen zwischen den palästinensischen Terroristen und südamerikanischen Terroristen […].«65 Eine Kooperation zur Abwehr des gemeinsamen Gegners sei dringend geboten, denn »die innere Sicherheit der Staaten der Welt ist unteilbar«.66 Die Lufthansa, so Loewenich, sei durch die geplanten Prozesse gegen die Führungsriege der RAF besonders gefährdet, was den weltweiten Einsatz des BGS notwendig mache, allerdings mit strenger Beachtung der Souveränität der jeweiligen Staaten. Die peruanische Seite willigte unter der Maßgabe äußerster Diskretion schließlich ein und nutzte diese Gelegenheit, um bundesdeutsche Hilfe bei der Ausrüstung der Polizei (insbesondere durch ausgemustertes deutsches Material) zu erwirken. Von Loewenich stimmte dieser Bitte zu.67 Auf Wunsch Acostas sollten die BGS-Beamten zudem mit modernen Hand-Metalldetektoren ausgerüstet werden und die peruanischen Sicherheitskräfte im Gebrauch dieser Technik unterweisen.68 Dem Einsatz des BGS in Lima stand somit nichts mehr im Wege.
Nach dem »Deutschen Herbst« 1977 befürchteten bundesdeutsche Sicherheitsbehörden, die RAF könnte sich im Ausland reorganisieren, sodass die Auslandsvertretungen der Bundesrepublik zu besonderer Vorsicht ermahnt wurden. In der Bonner Zentrale trafen ab Anfang 1978 immer wieder Meldungen verschiedener Botschaften ein, etwa aus Venezuela und Kolumbien, dass sich dort Mitglieder der RAF aufhielten, um Kontakte zu lokalen sympathisierenden Gruppen zu knüpfen.69 Diese Vermutungen, die auf Berichten regionaler Zeitungen basierten, konnten zunächst nicht bestätigt werden. Allerdings kam es wenige Wochen nachdem das AA über die Gerüchte informiert worden war zu einem schweren Bombenanschlag auf die Station der Deutschen Lufthansa in Bogotá, zu dem sich eine »Brigada Andreas Baader« der kolumbianischen »Patriotischen Befreiungsfront« bekannte.70 Zwar richtete die Bombe nur materiellen Schaden an, aber das Attentat schien die Befürchtungen hinsichtlich eines lateinamerikanischen Unterstützernetzwerks für die RAF zu bestätigen. Die zuständige Abteilung im BMI schloss daraus, dass es weiterer Maßnahmen zur Verbesserung der Flugsicherheit auch in Lateinamerika bedürfe, und stufte die Gefährdungslage der Lufthansa dort als besonders hoch ein. Der Anschlag von Bogotá zeige, dass die Lufthansa »als Angriffsobjekt für den Staat der Bundesrepublik Deutschland« diene.71 Die Kooperation auf dem Gebiet der Flugsicherheit wurde wegen dieser Gefährdungslage und der nicht abreißenden Gerüchte über die Präsenz von RAF-Kadern in Lateinamerika72 intensiviert.
Durch diplomatischen Druck und mithilfe von Gegenleistungen, wie Hilfe bei der Ausrüstung oder Weiterbildungen in Westdeutschland, wurde der Einsatz des BGS nach und nach in allen Staaten Lateinamerikas genehmigt, die von der Lufthansa angeflogen wurden. Während der Austauschbesuche, der Zusammenarbeit vor Ort und den Verhandlungen über einen möglichen Einsatz des BGS entstanden Kontakte und »kurze Dienstwege«, die im Anschluss häufig zu weiteren Kooperationen und Polizeihilfen führten. So wurde der Informationsbesuch einer hohen brasilianischen Polizeidelegation bei BKA und BGS im Jahr 1984 durch die Initiative des in Frankfurt am Main ansässigen Vertreters der brasilianischen Airline VARIG ermöglicht, der sowohl mit dem BMI als auch mit den brasilianischen Sicherheitskräften wegen der Flugsicherheit in engem Kontakt stand und als Vermittler diente.73 In weiteren Fällen wurde der Einsatz des BGS auf den Lufthansa-Stationen im Ausland durch die Schenkung von Material, zum Beispiel Metalldetektoren, an die Grenzpolizei des Gastlandes flankiert.74 Dank der Zusammenarbeit mit den Grenz- und Flughafenpolizeien verschiedener Länder konnten auf inoffiziellem Wege auch weitere für die »Innere Sicherheit« relevante Informationen eingeholt werden, etwa über den Drogenhandel oder die Bewegungen terrorverdächtiger Personen.
4. Bundeskriminalamt und GSG 9:
Westdeutsche Anti-Terror-Expertise für Lateinamerika
Auch im BKA schien man die Möglichkeit, das politisch instabile Lateinamerika könne sich zu einem sicheren Hafen für westdeutsche Terroristen entwickeln, sehr ernst zu nehmen. Im April 1978, nach dem Anschlag auf die Lufthansa-Station von Bogotá, reiste der BKA-Vizepräsident Reinhard Rupprecht nach Kolumbien, um sich mit der dortigen Polizeiführung über den internationalen Terrorismus auszutauschen und diesen Kontakt zu verstetigen.75 Das Land erlebte unter der Regierung von Julio César Turbay Ayala gerade eine intensivierte staatliche Repressionskampagne gegen linke Guerillagruppen und »Subversive« sowie eine erste Konsolidierung paramilitärischer Gewalt.76 Die Polizeien Lateinamerikas entwickelten sich aufgrund der Internationalisierung des Terrorismus – und der Transnationalisierung der »Inneren Sicherheit« durch den vermehrten Flugverkehr zwischen Europa und der »Dritten Welt« – zu wichtigen Bezugspunkten für die bundesdeutschen Anti-Terror-Behörden. Diese wurden aufgrund ihrer zunehmenden Erfolge bei der Bekämpfung der RAF wiederum für lateinamerikanische Sicherheitskräfte interessant.77 Um an Ressourcen zu gelangen, die sonst nur schwierig zu erreichen gewesen wären, präsentierten sich lateinamerikanische Akteure gegenüber ihren Partnern aus dem Globalen Norden als der terroristischen Bedrohung nicht gewachsen und begründeten dies mit ihrer mangelhaften Ausbildung und Ausrüstung. Zugleich wiesen sie darauf hin, dass eine Verbreitung des Terrorismus in Lateinamerika auch für die nördlichen Staaten selbst zur Gefahr werden könnte.78 Indem man Wünsche nach Ausbildungs- oder Ausrüstungshilfe auf diese Weise rahmte, bot man den Verhandlungspartnern einen legitimatorischen Anknüpfungspunkt und übte moralischen Druck aus.
Dies geht auch aus der Bitte der costa-ricanischen Regierung um Weiterbildung in der Terrorismusbekämpfung 1980/81 hervor.79 Einer bundesdeutschen Unterstützung in diesem Bereich käme, so Costa Ricas Außenminister, »– nach Aufdeckung einer unterirdischen [sic] Terrororganisation und angesichts der Lage in einigen Nachbarländern – eine besondere Bedeutung zu. Es gehe einfach darum, ob Costa Rica imstande sei, sich des Terrorismus zu erwehren. Dies könne für das Weiterbestehen des Landes unter demokratischen Vorzeichen entscheidend sein.«80 Hier wurde vor dem Hintergrund des Zentralamerika-Konflikts und der Annäherung des sandinistischen Nicaraguas an Kuba und die Sowjetunion einerseits auf die schleichende Ausbreitung des Sozialismus in der Region hingewiesen, andererseits auf klandestine Terrorgruppen. Das demokratische Costa Rica, die »Schweiz Zentralamerikas«, werde durch antidemokratische Kräfte von außen und innen bedroht. Den Terrorismus gelte es auch im Eigeninteresse der Bundesrepublik zu bekämpfen, da Kooperationen zwischen westdeutschen terroristischen Gruppen und zentralamerikanischer »Subversion« zu befürchten seien.81 Diese Überschneidung von geopolitischer Aufladung und vermuteter direkter Betroffenheit gab den bundesdeutschen Behörden einen starken Impuls. Das BKA entsandte eine Delegation, um die Lage in Costa Rica zu sondieren und die Möglichkeiten der dortigen Sicherheitskräfte zu prüfen.82 In ihrem Bericht stellte die Delegation klar, dass es unbedingt notwendig sei, »angesichts der zunehmenden Bedrohung des Staates durch vornehmlich in Kuba ausgebildete Linksterroristen die zuständigen Sicherheitskräfte bei der Terrorismusbekämpfung zu beraten und im Rahmen eines Ausbildungsprogrammes weiterzubilden«.83 Kurz darauf wurden sieben hohe Polizeioffiziere nach Wiesbaden eingeladen und »mit allen Fragen der Terrorismusbekämpfung in der Bundesrepublik Deutschland vertraut gemacht«.84
Die Kooperation mit Costa Rica fiel in eine Zeit, als das internationale Ansehen der bundesdeutschen Anti-Terror-Einheiten einen Höhepunkt erreicht hatte. Es gründete vor allem auf dem erfolgreichen Einsatz der GSG 9 zur Befreiung der von palästinensischen Terroristen entführten Lufthansa-Maschine »Landshut« auf dem Flugfeld von Mogadischu 1977, der sogenannten Operation Feuerzauber. Hatte fünf Jahre zuvor die mangelnde Expertise einer überforderten deutschen Polizei zu einem Fiasko geführt, so wurde die daraufhin gegründete GSG 9 nun als weltweite Avantgarde der polizeilichen Terrorismusbekämpfung betrachtet. Der Einsatz in Mogadischu führte zu einem regen Interesse an Organisation, Ausrüstung und Einsatztechniken der GSG 9, die jetzt als Vorbild für den Aufbau ähnlicher Einheiten anderer Staaten fungierte.85 So reisten mehrere US-Delegationen nach Bonn, um sich über Planung und Durchführung des Mogadischu-Einsatzes zu informieren.86 Anschließend assistierten GSG 9-Spezialisten beim Aufbau der US-amerikanischen Spezialeinheit »Delta Force«, die im November 1977 gegründet wurde.87 In den ersten Monaten nach der Operation von Mogadischu wandten sich laut AA »immer mehr Länder, insbesondere aus der Dritten Welt, mit der Bitte um Zusammenarbeit mit der Sondereinheit GSG 9 sowie mit Anträgen auf Unterstützung beim Aufbau einer eigenen Anti-Terror-Gruppe an das Auswärtige Amt oder das Bundesministerium des Innern«.88 Im Juli 1982 meldete die »Frankfurter Rundschau«, die GSG 9 habe »seit 1977 in rund 30 Ländern etwa tausend Spezialisten ausgebildet«.89
Die Unterstützungsgesuche kamen dem Auswärtigen Amt nicht ungelegen. Schließlich konnte die Faszination, die die GSG 9 in den Staaten der »Dritten Welt« hervorrief, auch strategisch genutzt werden: »Die von ausländischen Staaten gesuchte Unterstützung zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus liegt in unserem grundsätzlichen Interesse und ist von großer außenpolitischer Bedeutung. Sie kann als ein effektives und wichtiges Element unserer Dritte-Welt-Politik eingesetzt werden.« Zugleich war man sich der Tatsache bewusst, dass der Aufbau von Spezialeinheiten in Ländern, deren Sicherheitskräfte nur selten den bundesdeutschen Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit entsprachen, politisch nicht unproblematisch war. Voraussetzung für eine Kooperation müsse daher sein, »dass Kontakte in diesem sensitiven Bereich vom Auswärtigen Amt – zusammen mit dem BMI/GSG 9 – nur nach sorgfältiger Prüfung jedes Einzelersuchens behutsam eingeleitet und entwickelt werden«.90
Um zu einer einheitlichen Linie bei der Handhabung solcher Gesuche zu finden, luden die verantwortlichen Ministerien im Januar 1978 zu einer Sondersitzung.91 Dabei kam man zu dem Schluss, dass Ausbildungsprogramme durch die GSG 9 im Ausland Einzelfälle bleiben sollten, während Informationsbesuche in der Bundesrepublik mehr und mehr standardisiert wurden. Vorgesehen war beispielsweise ein »Lichtbilder- und Filmvortrag, Information über Personalauswahl, Ausrüstung, Ausbildung, Vorführung von Waffen und Gerät«.92 Zudem einigten sich AA und BMI in der Sondersitzung auf eine Einteilung der Antragsländer in verschiedene Kategorien, die ihre jeweilige strategische Bedeutung und den Grad der Partnerschaft widerspiegelten. Die Frage der Rechtsstaatlichkeit spielte keine Rolle für die Kategorisierung, wohl aber das sicherheitspolitische Interesse bundesdeutscher Behörden. Als einziges lateinamerikanisches Land wurde Brasilien zu den Staaten gezählt, »bei denen wir an einer losen Zusammenarbeit und Information interessiert sind«. Das übrige Lateinamerika war zunächst offenbar nicht im Fokus.93 Allerdings stand dort die westdeutsche Anti-Terror-Expertise, insbesondere diejenige der GSG 9, hoch im Kurs.94 Mit Argentinien, Uruguay, Brasilien, Chile, Bolivien, Venezuela, Kolumbien, Peru und Mexiko bewarb sich ein Großteil der lateinamerikanischen Staaten zwischen 1976 und 1989 um eine Ausbildung durch die Einheit – mit mäßigem Erfolg.95 Letzteres hatte einerseits mit Kapazitätsproblemen zu tun. Andererseits waren sich BMI und AA einig, dass »diese besondere Einheit […] nicht Schauobjekt des Polittourismus werden [sollte]«.96 Während eigentliche Ausbildungsangebote daher selten blieben, wurden paradoxerweise eintägige Besuche bei der GSG 9 in vielen Fällen als Ersatz angeboten und durchgeführt – dies zum Teil auch als Gegenleistung für ein Entgegenkommen in anderen Bereichen. So empfahl die westdeutsche Botschaft in Brasilien 1978 die Ausbildung eines hohen Offiziers der brasilianischen Militärpolizei bei der GSG 9, »als besondere Anerkennung für die stets uns entgegenkommenden Bemühungen der brasilianischen Sicherheitsorgane«.97 Der Brasilianer erhielt dann ein »GSG 9 Standardprogramm« und wurde auch mit anderen Anti-Terror-Behörden vertraut gemacht.98
Die offizielle Bewertung solcher Programme fiel jedoch ernüchternd aus. Eine interministerielle Begründung für die Ablehnung eines Gesuchs aus Venezuela im Jahr 1983 stellte grundsätzlich fest, »daß bei den Ausbildungshilfen, die die GSG 9 in der Bundesrepublik für Entwicklungsländer geleistet hat, nicht der Ausbildungserfolg im Heimatland eingetreten ist, den man […] erhofft hatte. Die Umsetzung von Bedingungen, wie sie in der Bundesrepublik herrschen, in die Gegebenheiten des Heimatlandes sind [sic] meistens an den dortigen Verhältnissen gescheitert.«99 Das selbstkritische Eingeständnis, dass die international begehrten Informationsbesuche und Ausbildungshilfen in der Bundesrepublik nicht die angestrebten Resultate zur Folge hatten, ist außergewöhnlich, zumal die meisten derartigen Hilfen, zumindest für Lateinamerika, bewusst nicht im gesellschaftlichen Umfeld der Polizeibeamten stattfanden, sondern im rechtsstaatlichen Rahmen der Bundesrepublik. Das BMI zog aus diesen Erfahrungen nun Konsequenzen. In Zukunft werde die GSG 9 nur noch in den jeweiligen Ländern selbst, im konkreten Umfeld der dortigen Sicherheitskräfte, Ausbildungshilfe leisten.100 Es ist anzunehmen, dass sich ab 1983 die Zahl der Empfänger solcher Hilfen durch den größeren Aufwand bei Auslandseinsätzen weiter reduzierte, was nicht zuletzt auch eine Interessenverschiebung auf westdeutscher Seite von der Terrorismus- hin zur Drogenbekämpfung reflektierte. Letztere verlagerte den Fokus deutscher Polizeihilfeprogramme stärker in Richtung technischen Know-hows des BKA, etwa Kriminaltechnik und -labore.101 Angesichts der Wiederaufnahme US-amerikanischer Polizeihilfeprogramme infolge des im gleichen Jahr verabschiedeten Anti-Terrorism Act war das Ende bundesdeutscher Anti-Terror-Expertise für die meisten Länder der Region wohl zu verkraften.102
Der vorliegende Beitrag untersuchte einen Teilbereich bundesdeutscher Polizeihilfeprogramme während des Kalten Krieges in Lateinamerika. Gegenüber Ansätzen, die externe Polizeiaufbauprogramme in der Regel als zentral gesteuerte und formalisierte Mittel zwischenstaatlicher Interaktionen begreifen und die dahinterstehenden geopolitischen Faktoren betonen, verweisen unsere Erkenntnisse auf andere Dimensionen. Statt einer langfristig angelegten, aktiven Strategie zu folgen, waren die bundesdeutschen Behörden in fast allen Fällen die Adressaten lateinamerikanischer Regierungen und Sicherheitsbehörden, die über den Transfer polizeilicher Expertise und Ressourcen aus der Bundesrepublik die Stabilisierung der eigenen Länder gegenüber dortiger »Subversion« anstrebten. Dies war für sie umso dringender, da die USA als traditioneller »Lieferant« von Ausrüstungshilfen infolge des Kongressbeschlusses von 1974 über zehn Jahre lang nicht im gleichen Maße zur Verfügung standen. Westdeutschland stellte in dieser Situation, nicht zuletzt auch aufgrund seines vorangegangenen sicherheitspolitischen Engagements in der Region, eine attraktive Alternative dar. Die Aufnahme von Kontakten zu westeuropäischen Staaten wie der Bundesrepublik verdeutlicht die Handlungsmacht der lateinamerikanischen Regierungen, die während des Kalten Krieges eben nicht ausschließlich von den USA abhingen, sondern ihr polizeiliches Arsenal durch transregionale Kontakte ausbauten und modernisierten. Diese Strategien standen in einer historischen Kontinuität zu vorangegangenen Versuchen, die primär auf den Erhalt des politischen Status quo ausgerichtete Arbeit der Sicherheitskräfte in der Region durch externe Expertisen und Ressourcen zu verbessern.
Wenngleich die Bundesrepublik ihre Polizeikooperationen und -hilfen in Lateinamerika durchaus in einen geopolitischen Rahmen einordnete, überwog auch hier meist der praktische Nutzen für die eigenen Sicherheitsbehörden, die im Zuge der Terrorismusbekämpfung und der Transnationalisierung der »Inneren Sicherheit« auf die lateinamerikanischen Polizeiorganisationen angewiesen waren. Polizeihilfen wurden in vielen Fällen als Gegenleistungen gewährt und fungierten als »Türöffner« zu den Sicherheitsapparaten lateinamerikanischer Länder. In diesem Sinne waren die hier untersuchten Polizeikontakte weniger eine Stabilisierungshilfe für krisenhafte lateinamerikanische Staaten als vielmehr eine willkommene Hilfe für die bundesdeutschen Sicherheitsbehörden.
In der Forschung zum Thema sind gerade solche Aspekte, welche auf die zentrale Rolle historischer Erfahrungen und institutioneller (sowie persönlicher) Eigeninteressen der beteiligten Akteure jenseits geopolitischer Ambitionen verweisen, bisher vernachlässigt worden. Eine eingehendere Beschäftigung mit ihnen erscheint auch deshalb sinnvoll, weil sie zu einem besseren Verständnis der bis in die Gegenwart reichenden Polizei- und Gewaltprobleme der Region beitragen können, inklusive der Möglichkeiten und Grenzen externer Akteure, darauf transformativ einzuwirken.
Dies betrifft auch das aktuelle Engagement der Bundesrepublik in Lateinamerika, wo deutsches polizeiliches Know-how nach wie vor hoch im Kurs steht. So bildete das BKA im Jahr 2020 Polizeistipendiaten aus Bolivien, Brasilien, Chile, der Dominikanischen Republik, Ecuador, Peru und Trinidad und Tobago aus.103 Die konservative chilenische Regierung Sebastián Piñeras hatte bereits 2019 um deutsche Beteiligung an einer Reform der Carabineros de Chile gebeten. Die sich daran anschließende polizeiliche Zusammenarbeit zielte laut Aussage der Bundesregierung darauf ab, vor dem Hintergrund der Eskalation der Sozialproteste in Chile 2019 und 2020 mit dutzenden Toten und schweren Menschenrechtsverletzungen durch die Carabineros »einsatztaktische Kenntnisse insbesondere mit der Zielsetzung der Deeskalation, Wahrung der Menschenrechte, Kommunikation und Bürgerfreundlichkeit bei drohenden oder stattfindenden gewalttätigen Ausschreitungen zu vermitteln«.104 Während auf der Leitungsebene über Deeskalation und Menschenrechte gesprochen wurde, starben auf den Straßen weiter Demonstranten durch Polizeigewalt. Der chilenische Parlamentsabgeordnete Tómas Hirsch verurteilte die Polizeikooperation, weil diese nur darauf ausgelegt sei, das Image der Sicherheitskräfte zu verbessern. Der politische Wille, gegen die Menschenrechtsverletzungen der Polizei vorzugehen, fehle jedoch.105 Ob die deutsch-chilenische Polizeikooperation, die auch während der Zusammenstöße nicht ausgesetzt wurde, in Zukunft zu »Deeskalation« und »Bürgerfreundlichkeit« beitragen kann, bleibt angesichts der in diesem Beitrag aufgezeigten begrenzten Einflussmöglichkeiten externer Ausbildungsprogramme abzuwarten. Die Wahl des Aktivisten und Protestteilnehmers Gabriel Boric zum neuen Präsidenten Chiles (Amtsantritt im März 2022) kann zumindest den politischen Rahmen dafür bieten.
Anmerkungen:
1 Die sogenannte Polizeiliche Entwicklungshilfe, kurz: Polizeihilfe, gliedert sich in die Bereiche Ausstattungshilfe und Ausbildungshilfe, die Partnerstaaten des Globalen Südens zur Modernisierung ihrer zivilen Sicherheitskräfte gewährt wird. Wenngleich es sich bei Polizeihilfe vor dem Hintergrund des Kalten Krieges vor allem um ein außenpolitisches Instrument der Bundesregierung handelte und das Konzept somit weniger altruistisch war, als es das Wort »Hilfe« suggeriert, soll in diesem Beitrag der Ausdruck »Polizeihilfe« als Quellenbegriff gebraucht werden.
2 Siehe Deutscher Bundestag, Drucksache 10/5961, 29.8.1986, S. 1. Die Gründe für den Abbruch werden zusammengefasst in Deutscher Bundestag, Drucksache 11/8299, 24.10.1990.
3 Fabian Bennewitz/Markus-Michael Müller, West Germany, Guatemala, and the Transnational Dynamics of Cold War Police Assistance, in: Journal of Cold War Studies (i.E.). Mit dieser Summe entfielen auf das Guatemala-Projekt mehr als 50 Prozent aller Mittel für Polizeihilfen in Lateinamerika, die bis 1989 aus dem Bundeshaushalt aufgewandt wurden.
4 Diese Daten basieren, ebenso wie der vorliegende Beitrag, auf den Ergebnissen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekts »Deutsche Polizeihilfe für Lateinamerika (1949–1989): Umfang, Praxis und transnationale Verflechtungen«. Siehe auch Bennewitz/Müller, West Germany, Guatemala (Anm. 3); dies., Importing the ›West German Model‹. Transnationalizing Counterinsurgency Policing in Cold War Costa Rica, in: Small Wars & Insurgencies 33 (2021), S. 581-606; Mónika Contreras Saiz, German Assistance in Cold War Policing in Paraguay, in: Oxford Research Encyclopedia of Latin American History, 18.7.2022; dies./Fabian Bennewitz, Deutsche Polizeihilfe als Stabilisierungsfaktor in Lateinamerikas Kaltem Krieg? Die Beziehungen der Polizeien Chiles und der Bundesrepublik Deutschland, 1952–1986, in: Thomas Grotum/Lena Haase/Georgios Terizakis (Hg.), Polizei(en) in Umbruchsituationen. Herrschaft, Krise, Systemwechsel und »offene Moderne«, Wiesbaden 2021, S. 299-330.
5 Siehe u.a. Matin Baraki, Die Beziehungen zwischen Afghanistan und der Bundesrepublik Deutschland 1945–1978. Dargestellt anhand der wichtigsten entwicklungspolitischen Projekte der Bundesrepublik in Afghanistan, Frankfurt a.M. 1996; Bettina Fettich-Biernath, Deutschland gibt. Zivile und militärische Entwicklungshilfe der Bundesrepublik an Afrika südlich der Sahara von 1956 bis 1974, 2 Bde., Erlangen 2018; Robert Herzog, Die deutsche Ausstattungshilfe: Mit Schwerpunkt Afrika, in: WT Wehrtechnik 19 (1987) H. 9, S. 45-50; Lars Ostermeier, Die politische Bedeutung von »Polizeihilfe« in Afghanistan zwischen den fünfziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts, in: Comparativ 22 (2012) H. 3, S. 50-64; ders., Imaginationen rechtsstaatlicher und demokratischer Polizei. Deutsche Polizeiprojekte in Afghanistan von 1957 bis 2010, Weinheim 2017.
6 Martha K. Huggins, Political Policing. The United States and Latin America, Durham 1998; Jeremy Kuzmarov, Modernizing Repression. Police Training and Nation Building in the American Century, Amherst 2012; Kirsten Weld, Paper Cadavers. The Archives of Dictatorship in Guatemala, Durham 2014; Michael McClintock, The American Connection, 2 Bde., London 1985; Rodrigo Patto Sá Motta, Modernizando a repressão. A USAID e a polícia brasileira, in: Revista Brasileira de História 59 (2010), S. 235-262; Ethan Avram Nadelmann, Cops across Borders. The Internationalization of US Criminal Law Enforcement, University Park 1993.
7 Martha K. Huggins, Introduction: Vigilantism and the State – A Look South and North, in: dies. (Hg.), Vigilantism and the State in Modern Latin America. Essays on Extra Legal Violence, New York 1991, S. 1-18, hier S. 12.
8 Siehe u.a. Peter Andreas/Ethan Nadelmann, Policing the Globe. Criminalization and Crime Control in International Relations, Oxford 2006; Stephen Graham (Hg.), Cities, War, and Terrorism. Towards an Urban Geopolitics, Malden 2006; Katharyne Mitchell, Ungoverned Space. Global Security and the Geopolitics of Broken Windows, in: Political Geography 29 (2010), S. 289-297.
9 Jarrett Blaustein, Speaking Truths to Power. Policy Ethnography and Police Reform in Bosnia and Herzegovina, Oxford 2015; Cornelius Friesendorf, Police Assistance as Foreign Policy. Explaining Donor Practices, in: Review of International Studies 42 (2016), S. 377-400.
10 Jana Hönke/Markus-Michael Müller, Governing (In)Security in a Postcolonial World. Transnational Entanglements and the Worldliness of ›Local‹ Practice, in: Security Dialogue 43 (2012), S. 383-401; dies. (Hg.), The Global Making of Policing. Postcolonial Perspectives, New York 2016; Conor O’Reilly (Hg.), Colonial Policing and the Transnational Legacy. The Global Dynamics of Policing Across the Lusophone Community, London 2018. Weiterhin haben diese Arbeiten gezeigt, dass Polizeihilfeprogramme für Länder des Globalen Südens oftmals direkten Einfluss auf die Entwicklung von Polizeiinstitutionen und -praktiken in den Geberländern des Globalen Nordens haben. Siehe Alfred W. McCoy, Policing America’s Empire. The United States, the Philippines, and the Rise of the Surveillance State, Madison 2009; Stuart Schrader, Badges Without Borders. How Global Counterinsurgency Transformed American Policing, Oakland 2019.
11 Siehe Deutscher Bundestag, Drucksache 10/1012, 16.2.1984, S. 3.
12 Siehe bspw. ebd. sowie Drucksache 10/1410, 4.5.1984; Drucksache 10/5962, 29.8.1986; Drucksache 10/6755, 16.12.1986; Drucksache 11/516, 24.6.1987.
13 Miguel A. Centeno/Agustin E. Ferraro, Republics of the Possible. State Building in Latin America and Spain, in: dies. (Hg.), State and Nation Making in Latin America and Spain. Republics of the Possible, Cambridge 2013, S. 3-24.
14 Markus-Michael Müller, Bringing Empire Back in. Unaccountable Public Violence, Sovereignty and the Rule of Difference in Latin America, in: Danielle Watson u.a. (Hg.), Policing the Global South. Colonial Legacies, Pluralities, Partnerships, and Reform, Abingdon 2023, S. 17-32.
15 Frederick M. Nunn, Yesterday’s Soldiers. European Military Professionalism in South America, 1890–1940, Lincoln 1983; André Rosemberg, Militarism in the São Paulo Police Force (1868–1924), in: O’Reilly, Colonial Policing (Anm. 10), S. 55-66. Speziell zu Deutschland: Jürgen Schäfer, Deutsche Militärhilfe an Südamerika. Militär- und Rüstungsinteressen in Argentinien, Bolivien und Chile vor 1914, Düsseldorf 1974.
16 Nunn, Yesterday’s Soldiers (Anm. 15); Stefan Rinke, Eine Pickelhaube macht noch keinen Preußen. Preußisch-deutsche Militärberater, »Militärethos« und Modernisierung in Chile, 1886–1973, in: Sandra Carreras/Günther Maihold (Hg.), Preußen und Lateinamerika. Im Spannungsfeld von Kommerz, Macht und Kultur, Münster 2004, S. 259-283; Patricio Quiroga/Carlos Maldonado, El prusianismo en las Fuerzas Armadas chilenas. Un estudio histórico 1885–1945, Santiago de Chile 1988.
17 Stefan Rinke, Experten in der Grauzone. Militärischer Wissenstransfer zwischen Deutschland und Südamerika, 1918–1933, in: ders./Delia González de Reufels (Hg.), Expert Knowledge in Latin American History. Local, Transnational and Global Perspectives, Stuttgart 2014, S. 65-86, her S. 65f., und ders., »Der letzte freie Kontinent«. Deutsche Lateinamerikapolitik im Zeichen transnationaler Beziehungen, 1918–1933, Stuttgart 1996, zu den korrespondierenden ökonomischen und außenpolitischen Interessen Deutschlands.
18 Rinke, Experten (Anm. 17), S. 65.
19 León E. Bieber, La política militar alemana en Bolivia, 1900–1935, in: Latin American Research Review 29 (1994) H. 1, S. 85-106; Robert S. Brockmann, El general y sus presidentes. Vida y tiempos de Hans Kundt, Ernst Röhm y siete presidentes de Bolivia, 1911–1939, La Paz 2007; Oliver Gliech, Wilhelm Faupel. Generalstabsoffizier, Militärberater, Präsident des Ibero-Amerikanischen Instituts, in: Reinhard Liehr/Günther Maihold/Günter Vollmert (Hg.), Ein Institut und sein General. Wilhelm Faupel und das Ibero-Amerikanische Institut in der Zeit des Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. 2003, S. 131-279, hier S. 154-174; Rinke, Experten (Anm. 17), S. 68-75.
20 Zit. bei Rinke, Experten (Anm. 17), S. 68.
21 Stanley E. Hilton, Hitler’s Secret War in South America, 1939–1945. German Military Espionage and Allied Counterespionage in Brazil, Baton Rouge 1981; National Security Agency, German Clandestine Activities in South America in World War II, Washington DC 1989; Leslie B. Rout/John F. Bratzel, The Shadow War. German Espionage and United States Counterespionage in Latin America during World War II, Frederick 1986.
22 J. Lloyd Mecham, The United States and Inter-American Security, 1889–1960, Austin 1961, S. 186-246.
23 Weld, Paper Cadavers (Anm. 6), S. 91-93.
24 Schrader, Badges (Anm. 10), S. 81-88.
25 Report of the NSC 1290-d Working Group, 16 February 1955, in: Foreign Relations of the United States, 1955–1957, Foreign Aid and Economic Defense Policy, Vol. X, Washington 1989, S. 6, S. 10.
26 Report of the Colombia Survey Team, Part I, Colombia Survey (Oct. – Dec. 1959), April 1960, box 13, 3-24 – 3-25 Charles T.R. Bohannan Papers (CTRBP), Hoover Institution Archives (HIA), Stanford.
27 Charles T.R. Bohannan, Memorandum for Team Leader, Initial Contact with SIC, 6.11.1959, box 31, folder 1, CTRBP, HIA.
28 Juliana Ströbele-Gregor, Transnationale Spurensuche in den Anden. Von geflüchteten Juden, »Altdeutschen« und Nazis in Bolivien, Berlin 2018, S. 157.
29 In der Forschung ist dies besonders für die Geheimdienstaktivitäten von Exil-Nazis untersucht worden, auch für den Bundesnachrichtendienst (BND). Siehe Holger M. Meding, Organisation Gehlen und Bundesnachrichtendienst in Lateinamerika, in: Wolfgang Krieger (Hg., in Verbindung mit Andreas Hilger und Holger M. Meding), Die Auslandsaufklärung des BND. Operationen, Analysen, Netzwerke, Berlin 2021, S. 538-813; Peter Hammerschmidt, Deckname Adler. Klaus Barbie und die westlichen Geheimdienste, Frankfurt a.M. 2014. Für die »Gefragtheit« anti-subversiver/anti-kommunistischer NS-Expertise beim BND siehe Gerhard Sälter, Phantome des Kalten Krieges. Die Organisation Gehlen und die Wiederbelebung des Gestapo-Feindbildes »Rote Kapelle«, Berlin 2016, insbes. Kapitel I und V. Eine ausführliche Untersuchung für den Polizeibereich fehlt noch.
30 Thomas Roth, Kriminalpolitik im NS-System, in: Hans-Jürgen Lange (Hg.), Kriminalpolitik, Wiesbaden 2008, S. 37-55, hier S. 42. Zu Dickopf und seiner Tätigkeit im BKA siehe auch das entsprechende Kapitel in Imanuel Baumann u.a., Schatten der Vergangenheit. Das BKA und seine Gründungsgeneration in der frühen Bundesrepublik, Köln 2011, S. 69-78.
31 Dieter Schenk, Die braunen Wurzeln des BKA, Frankfurt a.M. 2003, S. 285.
32 Paul Dickopf, A formação do pessoal da polícia criminal, in: Investigações. Revista do Departamento de Investigaҫões 5 (1953), S. 147-157; José del Picchia Filho, Wiesbaden – A primeira universidade técnico-policial do Mundo, in: ebd., S. 61-78.
33 Siehe Paul Chevigny, Edge of the Knife. Police Violence in the Americas, New York 1995; R.S. Rose, The Unpast. Elite Violence and Social Control in Brazil, 1954–2000, Athens 2005; ders., One of the Forgotten Things. Getúlio Vargas and Brazilian Social Control, 1930–1965, Westport 2000.
34 Ein Hinweis auf diese Institutionalisierung der »Polizeientwicklungshilfe« findet sich in einem Aktenvermerk des BMI von 1963, der Abläufe und Zuständigkeiten regelt. In dieser Zeit wurden Polizeihilfen meist durch das BMZ finanziert, während das BMI für die konkrete Durchführung verantwortlich war. Siehe: BMI, Zuständigkeiten für Maßnahmen der Entwicklungshilfe auf polizeilichem Gebiet, 2.7.1963, Bundesarchiv Koblenz (BArch), B 136, 2933, o.P.
35 John F. Kennedy, NSAM 177, Police Assistance Programs, 7.8.1962, S. 1, NSF, box 338, John F. Kennedy Presidential Library (JFKL), Boston.
36 Siehe Wolfgang Schwarz, Was man unter »Ausstattungshilfe« verstehen kann, in: Hermann Hagena/Reinhard Mutz (Hg.), Streitkräfte und Strategien. Sicherheitspolitik – kontrovers diskutiert, Baden-Baden 2001, S. 171-174, hier S. 172.
37 Hermann Wentker, Außenpolitik in engen Grenzen. Die DDR im internationalen System 1949–1989, München 2007, S. 472-474, S. 540.
38 Siehe Klaus Storkmann, East German Military Aid to the Sandinista Government of Nicaragua, 1979–1990, in: Journal of Cold War Studies 16 (2014) H. 2, S. 56-76; zudem wurden mehrere Hundertschaften nicaraguanischer Polizisten in der DDR ausgebildet. Siehe ders., Geheime Solidarität. Militärbeziehungen und Militärhilfen der DDR in die »Dritte Welt«, Berlin 2012, S. 439.
39 Botschaft Rio an AA, Ausbildung Brasilianischer Polizeibeamter in der Bundesrepublik, 18.4.1963, Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin (PA AA), RIO, 885, B 33, 322, o.P., S. 1-2; BMZ an BMI, Ausbildung Brasilianischer Kriminalpolizeioffiziere in der Bundesrepublik, 19.8.1963, ebd.
40 John F. Kennedy, wie Anm. 35.
41 Agency for International Development, Office of Public Safety (OPS), AID General Notice, 1.11.1962, S. 1-2, NSF, box 338, JFKL.
42 Bennewitz/Müller, Importing (Anm. 4).
43 Nadelmann, Cops across Borders (Anm. 6), S. 115-118.
44 Lisa Stampnitzky, Disciplining Terror. How Experts Invented »Terrorism«, Cambridge 2013, S. 49-82.
45 Zum Olympia-Attentat siehe u.a. Matthias Dahlke, Der Anschlag auf Olympia ’72. Die politischen Reaktionen auf den internationalen Terrorismus in Deutschland, München 2006; Bernhard Blumenau, The United Nations and Terrorism. Germany, Multilateralism, and Antiterrorism Efforts in the 1970s, Basingstoke 2014, S. 47-49; Angela Libal (Hg.), Zwölf Monate – Zwölf Namen. 50 Jahre Olympia-Attentat München, Leipzig 2022.
46 Siehe Stephan Scheiper, Innere Sicherheit. Politische Anti-Terror-Konzepte in der Bundesrepublik Deutschland während der 1970er Jahre, Paderborn 2010, S. 298f.; Matthias Dahlke, Demokratischer Staat und transnationaler Terrorismus. Drei Wege zur Unnachgiebigkeit in Westeuropa, 1972–1975, München 2011, S. 101f.
47 Volker Mittendorf, INPOL, in: Hans-Jürgen Lange (Hg.), Wörterbuch zur Inneren Sicherheit, Wiesbaden 2006, S. 134-136.
48 Siehe Tobias Hof, Anti-Terrorismus-Gesetze und Sicherheitskräfte in der Bundesrepublik Deutschland, Großbritannien und Italien in den 1970er und 1980er Jahren, in: Johannes Hürter (Hg.), Terrorismusbekämpfung in Westeuropa. Demokratie und Sicherheit in den 1970er und 1980er Jahren, Berlin 2015, S. 7-34, hier S. 16; Klaus Weinhauer, »Staat zeigen«. Die polizeiliche Bekämpfung des Terrorismus in der Bundesrepublik bis Anfang der 1980er Jahre, in: Wolfgang Kraushaar (Hg.), Die RAF und der linke Terrorismus, Bd. 2, Hamburg 2006, S. 932-947. Zum Umbau des BKA siehe Manfred Kling, Bundeskriminalamt, in: Hermann Groß/Bernhard Frevel/Carsten Dams (Hg.), Handbuch der Polizeien Deutschlands, Wiesbaden 2008, S. 516-554, hier S. 523-529.
49 Siehe Groß/Frevel/Dams, Die Polizei(en) in Deutschland, in: dies., Handbuch Polizeien (Anm. 48), S. 11-44, hier S. 37-40. Zum frühen BGS als Bürgerkriegsarmee siehe Heiner Busch u.a., Die Polizei in der Bundesrepublik, Frankfurt a.M. 1985, S. 59-61. Der Polizeihistoriker David Livingston zeigt, dass der paramilitärische Charakter des BGS auch nach der Gründung der Bundeswehr 1955 zunächst beibehalten wurde, um über eine zusätzliche, nicht-Nato-gebundene »Ersatzarmee« zu verfügen. David Michael Livingston, The Bundesgrenzschutz: Re-civilizing Security in Postwar West Germany, 1950–1977, phil. Diss. University of California, San Diego 2018, hier insbes. S. 118-160. Zur Verpolizeilichung des BGS im Kontext der Polizeireformen der 1970er-Jahre siehe ebd., S. 336-415.
50 Siehe Deutscher Bundestag, Drucksache 7/4212, 23.10.1975, S. 1f.
51 Hans-Jürgen Lange, Innere Sicherheit, in: ders., Wörterbuch zur Inneren Sicherheit (Anm. 47), S. 123-134, hier S. 127; siehe auch Busch u.a., Polizei (Anm. 49), S. 62.
52 Lange, Innere Sicherheit (Anm. 51), S. 128.
53 Ders., Innere Sicherheit im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 1999, S. 16.
54 Eva Oberloskamp, Das Olympia-Attentat 1972. Politische Lernprozesse im Umgang mit dem transnationalen Terrorismus, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 60 (2012), S. 321-352, hier S. 349.
55 Siehe Peter Brückner, Staatsfeinde. Innerstaatliche Feinderklärung in der BRD, Berlin (West) 1972, insbes. S. 45f.
56 Zit. nach Oberloskamp, Olympia-Attentat (Anm. 54), S. 344. Für die politischen Folgen des Olympia-Attentats und die anschließende Entführung der Lufthansa-Maschine »Kiel« siehe Kay Schiller/Christopher Young, The 1972 Munich Olympics and the Making of Modern Germany, Berkeley 2010, S. 207-220.
57 Nikolaus Werz, Die ideologischen Wurzeln der »Doktrin der nationalen Sicherheit« in Lateinamerika, in: Hans Werner Tobler/Peter Waldmann (Hg.), Staatliche und parastaatliche Gewalt in Lateinamerika, Frankfurt a.M. 1991, S. 163-191, insbes. S. 177-183.
58 Siehe Daniel Gerlach, Die doppelte Front. Die Bundesrepublik Deutschland und der Nahostkonflikt 1967–1973, Berlin 2006, S. 179f. Dies war bereits die zweite Entführung einer Lufthansa-Maschine durch die PFLP innerhalb eines Jahres. Im Februar 1972 hatte die Bundesrepublik ein hohes Lösegeld (5 Mio. US-Dollar) an die Gruppe gezahlt, um die Passagiere eines Lufthansa-Fluges von Tokio nach Frankfurt zu retten. Siehe ebd., S. 171, und Michael Sontheimer, »Sie haben Mörder freigelassen«, in: ZEIT, 24.2.2022, S. 17.
59 Siehe Blumenau, United Nations (Anm. 45), S. 85. Siehe generell auch Annette Vowinckel, Flugzeugentführungen. Eine Kulturgeschichte, Göttingen 2011.
60 BRD, DLH AG, Vereinbarung über die Abstellung von Polizeivollzugsbeamten des Bundesgrenzschutzes zur Durchführung von Sicherheitsaufgaben an Bord von Luftfahrzeugen der Deutschen Lufthansa, 24.11.1972, BArch, B 106, 88858, o.P.
61 Auslandsinspizient BGS an Herrn Minister, Inspektionsreise des Auslandsinspizienten des BGS nach Südamerika, 15.11.1973, BArch, B 106, 115545, o.P.
62 BMI, Stärkeübersicht. Einsatz bei der Deutschen Lufthansa, 1.11.1977, BArch, B 106, 115290, o.P.
63 1973, kurz vor dem Auslaufen des OPS-Programms, waren insgesamt 37 OPS-Berater in der Region tätig, wobei Guatemala mit 5 OPS-Angehörigen einen »Spitzenplatz« einnahm. Ernst W. Lefever, U.S. Public Safety Assistance: An Assessment. Report prepared for the U.S. Agency for International Development under contract cds-336 I with the Brookings Institution, December 1973, box 1, Michael McClintock Collection, National Security Archive, Washington, D.C., S. 47.
64 BMI an AA, Sicherheit des Luftverkehrs; hier: Einsatz von Polizeivollzugsbeamten i. BGS bei der Deutschen Lufthansa auf dem Flughafen Lima/Peru, 7.3.1974, BArch, B 106, 115545, o.P.
65 BMI, von Loewenich, Vermerk: Sicherheit Lufthansa, 2.8.1974, BArch, B 106, 115545, o.P., S. 1.
66 Ebd., S. 3.
67 Ebd., S. 1-3.
68 BMI, Einsatz von Polizeivollzugsbeamten des BGS auf Auslandsstationen der Deutschen Lufthansa in Südamerika, Inspektionsreise nach Südamerika vom 23. Juli bis 10. August 1974, 13.8.1974, BArch, B 106, 115545, o.P., S. 3.
69 Botschaft Bogotá an AA, Terrorismus, 31.1.1978, PA AA, B 33 (ZA), 111188, o.P.; Botschaft Caracas an AA, Terroristische Gewalttäter, 20.1.1978, ebd.
70 BMI, Sicherheitslage der Auslandsstationen der Deutschen Lufthansa in Südamerika, Einsatz von Beamten des Bundesgrenzschutzes, 4.6.1981, BArch, B 106, 115536, o.P.
71 Ebd.
72 Botschaft Managua an AA, Tätigkeit extremistischer und terroristischer Organisationen, 25.4.1978, PA AA, B 33 (ZA), 111188, o.P.
73 BMI, Abteilungsleiter P, Dr. Schreiber, Vermerk, 17.9.1984, BArch, B 106, 371629, S. 91; BMI an AA, Botschaft Brasilia, Besuch einer brasilianischen Polizeidelegation vom 8. bis 10. Oktober 1984, 4.10.1984, BArch, B 106, 371629, S. 119.
74 So etwa am Flughafen Bogotá. BMI, Luftsicherheit, Flughafen Bogotá, 28.9.1978, BArch, B 106, 115547, o.P.
75 Botschaft Bogotá an AA, Terrorismus in Kolumbien, Besuch des Vizepräsidenten des BKA, 11.4.1978, PA AA, B 33 (ZA), 111188, o.P.
76 Forrest Hylton, Evil Hour in Colombia, London 2006, S. 63-66.
77 Das Interesse der Lateinamerikaner an westdeutschen Anti-Terror-Strategien erstreckte sich auch auf den juristischen Bereich. Brasilianische Parlamentarier baten 1978 beispielsweise um die Übersendung der verschiedenen bundesdeutschen Anti-Terror-Gesetze und Gesetzentwürfe. Deutsche Botschaft Brasilia an AA, 28.3.1978, PA AA, B 33 (ZA), 111188, o.P.
78 Zur dahinterstehenden Logik der »intervention by invitation« siehe u.a. Günther Maihold, Intervention by Invitation? Shared Sovereignty in the Fight against Impunity in Guatemala, in: European Review of Latin American and Caribbean Studies 101 (2016), S. 5-31; Markus-Michael Müller, Punitive Entanglements. The »War on Gangs« and the Making of a Transnational Penal Apparatus in the Americas, in: Geopolitics 20 (2015), S. 696-727.
79 Siehe ausführlich Bennewitz/Müller, Importing (Anm. 4).
80 Botschaft San José an AA, Terrorismusbekämpfung in Costa Rica, 25.6.1981, PA AA, B 33 (ZA) 127400, o.P., S. 1.
81 Botschaft Managua an AA, Tätigkeit (Anm. 72).
82 AA an Botschaft San José, Terrorbekämpfung in Costa Rica, 17.7.1981, PA AA, B 33 (ZA), 127400, o.P.
83 BMI an AA, Ausrüstungshilfe für Costa Rica, 31.7.1981, PA AA, B 33 (ZA), 127405, o.P., S. 1.
84 BKA an AA, BMI, Botschaft San José, Ausbildungshilfe für Sicherheitskräfte von Costa Rica, 5.12.1981, PA AA, B 33 (ZA), 127400, o.P.
85 AA, Unterstützung von ausländischen Sicherheitskräften zur Terrorismusbekämpfung, 18.4.1978, B 33 (ZA), 111188, o.P.
86 Blumenau, United Nations (Anm. 45), S. 84.
87 Christoph Rojahn, Militärische Antiterroreinheiten als Antwort auf die Bedrohung des internationalen Terrorismus und Instrument nationaler Sicherheitspolitik – das Beispiel Amerika, München 2000, S. 91f.
88 AA, Ref. 300, Vermerk, 11.1.1978, PA AA, B 33 (ZA), 111188, o.P., S. 1.
89 Frankfurter Rundschau, 9.7.1982; zit. in: Stephan Stolle, Kämpfer, die wir nicht brauchen: »Grenzschutzgruppe 9« und »Kommando Spezialkräfte«, in: CILIP. Bürgerrechte & Polizei 75 (2003) H. 2, S. 32-42, hier S. 37.
90 AA, Ref. 300 an Bundesminister, Internationaler Terrorismus, Unterstützung von ausländischen Sicherheitskräften durch deutsche Experten, 8.6.1978, PA AA, B 33 (ZA) 111188, o.P., S. 3.
91 AA, Unterstützung (Anm. 85), S. 1f.
92 Wie Anm. 88, S. 2.
93 AA, Referat 300 an Bundesminister, Internationaler Terrorismus, Unterstützung von ausländischen Sicherheitskräften durch deutsche Experten, Anlage, 8.6.1978, PA AA, B 33 (ZA) 111188, o.P.
94 Ein Artikel in einer der wichtigsten regionalen Polizeifachzeitschriften, der »Revista Carabineros de Chile«, der die GSG 9 glorifizierte, kann die Bewunderung für diese Einheit in Lateinamerika illustrieren: GSG 9 – El comando que atemoriza a los terroristas, in: Revista Carabineros de Chile 37 (1983), S. 12-15. Siehe ausführlich Contreras Saiz/Bennewitz, Polizeihilfe (Anm. 4).
95 Lediglich Brasilien, Mexiko, Chile und Venezuela gelang es, Einblicke in die GSG 9 zu erhalten.
96 BMI, BGS II 1, Argentinien, Dezember 1976, BArch, B 106, 351446, S. 126.
97 Botschaft Brasilia an AA, Unterstützung von brasilianischen Sicherheitskräften zur Terrorismusbekämpfung, Informationsbesuch von Major Bastos, 12.5.1978, PA AA, B 33 (ZA), 111188, o.P.
98 AA an Botschaft Brasilia, Informationsreise Major Bastos, 22.6.1978, PA AA, B 33 (ZA), 111188, o.P.
99 BMI an AA, Ausbildung von Mitgliedern der venezolanischen Hauptstadtpolizei bei der GSG 9, 4.5.1983, PA AA, B 33 (ZA), 136227, o.P.
100 Ebd.
101 Siehe Deutscher Bundestag, Drucksache 12/1633, 22.11.1991, S. 10-13.
102 Michael McClintock, Instruments of Statecraft. U.S. Guerrilla Warfare, Counterinsurgency, and Counterterrorism, 1940–1990, New York 1992, S. 403-408.
103 Siehe Deutscher Bundestag, Drucksache 19/21625, 13.8.2020, S. 20-24.
104 Deutscher Bundestag, Drucksache 19/19388, 22.5.2020, S. 5.
105 Siehe Sophia Boddenberg, Deutschlands Pakt mit Präsident Piñera, in: ZEIT online, 25.6.2020.