Der »Weltkrieg« oder »Große Krieg« wurde von vielen Zeitgenossen als eines der ruhmreichsten, denkwürdigsten Ereignisse der Weltgeschichte und insbesondere der beteiligten Mächte aufgefasst. So standen auch von Anfang an gestalterische Konzepte zur Ehrung der Gefallenen als »Helden einer großen Zeit« mittels Kriegerdenkmälern, Totenhainen und Ehrenhallen zur Diskussion. Im Gegensatz zu dieser übergreifenden heroisierenden Deutung waren die Erinnerungserzählungen seit 1918 sehr heterogen. Modellhaft für die Bewahrung des Ersten Weltkriegs im »Funktionsgedächtnis« (Aleida Assmann) ist Großbritannien, wo beiden Weltkriegen eine ähnliche Relevanz zuerkannt wird. Der »Armistice Day« am 11. November repräsentiert seit 1920 kontinuierlich die öffentliche Erinnerung an das Ende des »Great War«. Zwei Schweigeminuten »at the 11th hour of the 11th day of the 11th month«, Gedenkveranstaltungen wie jene am »Tomb of the Unknown Warrior« in der Westminster Abbey oder auch historische Fernsehserien, in denen der »Große Krieg« regelmäßig vorkommt, sind Belege für seine Sichtbarkeit und mediale Verbreitung bis heute. Ein Beispiel für das Gegenmodell, in dem der Zweite Weltkrieg den Ersten weitgehend überschrieben hat, ist Österreich, wo nach 1945 dem Ersten Weltkrieg nur geringe Relevanz für aktuelle Identitätskonzepte und Erinnerungserzählungen beigemessen wurde. Zeichensetzungen im öffentlichen Raum beschränken sich (mit regionalen Ausnahmen wie Tirol) weitgehend auf einige Straßennamen und auf Kriegerdenkmäler, die für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs adaptiert wurden. Zwischen diesen Optionen – der Gleichrangigkeit beider Weltkriege oder der Dominanz des Zweiten Weltkriegs – lässt sich die Gedächtnislandschaft in den europäischen Ländern einordnen.
Die folgenden Seiten zeigen Beispiele für die visuelle Repräsentation des Ersten Weltkriegs und für die Materialität der kulturellen Erinnerung, die inzwischen längst ihre eigene Geschichte hat. Meist verweisen diese Beispiele auf die Vergangenheit des Kriegsgeschehens selbst, überformen sie aber zugleich. Die Auswahl, die nahezu 100 Jahre umspannt, soll die Vielfalt der Medien und Sichtweisen andeuten, in denen die öffentliche Erinnerung an diesen Krieg zum Ausdruck kam bzw. kommt. Drei Leitperspektiven stehen hier im Vordergrund (weitere wären möglich):
– Der Brückenschlag von der Zwischenkriegszeit zur Gegenwart. Die gedruckte Werbung für »Schlachtfelder-Rundfahrten« nach Verdun aus dem Jahr 1921 korrespondiert mit der Website für »Battlefield Tours« an die ehemalige Westfront. Den Totenbüchern aus den 1930er-Jahren steht die »Roll of Honour«-Website gegenüber. Die beiden aktuellen Beispiele zeigen aber auch eine charakteristische Kontinuität der Symbolik, über den sonstigen medialen Wandel hinweg – in der Mohnblume (Poppy) von den flandrischen Feldern fokussiert sich seit 1915 die Erinnerung an die britischen Kriegstoten.
– Denkmäler als vielfältige und dominante Geschichtszeichen. Kriegsaffirmative Gestaltungen, die das Heldentum des Soldaten und die Gottgefälligkeit seines Kampfes behaupten, sind hier mit einem pazifistischen Denkmal aus der obersteirischen Industriegemeinde Donawitz kontrastiert, das in seiner Aussage nur für Orte mit sozialdemokratischer Hegemonie typisch war. Ein zentraler Aspekt ist zudem die visuelle Darstellung der Individualität der Gefallenen durch ihre namentliche Nennung (vgl. die Totenbücher). Das Kriegerdenkmal in Oberhofen im Inntal repräsentiert diese schon vor 1914 einsetzende »Demokratisierung« des politischen Totenkults (im Gegensatz zum klassischen Feldherrndenkmal). Einen Schritt weiter geht die italienische Gedenktafel, die die Gefallenen und Kriegsversehrten zusätzlich mit Porträtfotos sichtbar macht. Sie integriert die lokale in die gesamtnationale Ebene, die von König Vittorio Emanuele III. und dem »Duce« Mussolini am oberen Bildrand vertreten wird. Viele solcher Denkmäler und Ehrentafeln ragen als Dokumente ihrer Entstehungszeit gleichsam in die Gegenwart hinein – teils beachtet, teils unbeachtet; teils gut erhalten, teils verfallen.
– Nostalgie und Reaktualisierung. Waffen und zeitgenössische Kleidung wie Uniformen gehören ebenfalls zu den mit historischer Erinnerung aufgeladenen Bild- und Objektwelten. Die Repräsentation des Kriegs stößt in diesen Reenactments an ihre Grenzen: Das Töten und Sterben im Schützengraben, die Verwüstung der Landschaft entziehen sich der Reinszenierung. Die aus Sicht der Gegenwart mitunter lustig oder grotesk wirkenden Szenen der Rollenspiele weisen nostalgischen Charakter auf; sie bieten Gemeinschaftserlebnisse im »authentischen« Gewand der Vergangenheit. Dem steht die Aufladung des Bildrepertoires des Ersten Weltkriegs mit gegenwartsbezogenen Bedeutungen gegenüber – etwa die Aktualisierung von Rekrutierungsplakaten des britischen Kriegsministers Herbert Kitchener. Der Gestus des ausgestreckten Zeigefingers und der direkte Blick aus dem Bild in die Augen der Betrachtenden erlebte schon im Ersten Weltkrieg selbst unzählige Variationen (vgl. Uncle Sams »I want YOU for U.S. Army«). Bis heute wird das vertraute, in das visuelle Gedächtnis eingegangene Bild Kitcheners immer neu adaptiert – satirisch oder (im Zeichen des »Centenary«) wiederum patriotisch. Ungeachtet der »Bilderflut« ist das Spektrum populärkultureller Muster offenbar begrenzt.