Bitten und Fordern

Eingaben als Quellen für die Alltagsgeschichte von Menschen mit Behinderungen in der DDR

  1. Eingaben in der DDR
  2. Quellen für die Alltagsgeschichte von Menschen mit Behinderungen?
  3. Argumentations- und Kommunikationsstrategien in Eingaben
  4. Fazit

Anmerkungen

Seit jeher sieht sich die Alltagsgeschichte mit dem Problem konfrontiert, dass von der Mehrheitsbevölkerung abseits der »großen Männer« (und Frauen) der Geschichte meist nur wenig Quellenmaterial überliefert ist.1 Egodokumente sind rar gesät, und Oral History weist eigene methodologische und quellenkritische Herausforderungen auf wie beispielsweise die Rekontextualisierung von Erinnerungen mit großem zeitlichem Abstand zum Geschehen oder mögliche Beeinflussungen von Narrativen durch Fragetechniken des Interviews.2 Die Probleme verschärfen sich beim Versuch einer Rekonstruktion der Alltagsgeschichte von Menschen mit Behinderungen aus einer bottom-up-Perspektive. Die meisten archivalisch überlieferten Egodokumente und Oral-History-Interviews stammen hier von Menschen, die in Behindertenbewegungen aktiv waren oder sind. Sie bilden entsprechend nur die Perspektive einer ganz bestimmten Gruppe ab und reichen zudem auch nur begrenzt zeitlich zurück.3 Für die Zeitgeschichte von Menschen mit Behinderungen in der DDR kommt erschwerend hinzu, dass sich kein breiter, der westdeutschen Behindertenbewegung vergleichbarer Aktivismus etablieren konnte.4

Menschen mit Behinderungen in der DDR stellen sich für Alltagshistoriker:innen deshalb als in Quellen vergleichsweise schwer greifbare Akteursgruppe dar. Zu großen Teilen ist man auf Dokumente aus staatlichen, kirchlichen oder institutionsgebundenen Archiven angewiesen, in denen Menschen mit Behinderungen oder ihre nahen Angehörigen direkt oder indirekt zu Wort kommen. Hierbei kann es sich etwa um rare Funde wie Tagebücher und private Schriftwechsel handeln, um Gutachten oder Berichte von Expert:innen und staatlichen Stellen oder um Korrespondenzen mit Behörden, Parteiorganen, Expert:innen, Kirchen, Einrichtungen, Medien, FDGB, Betrieben und Organisationen wie der Volkssolidarität.

Eine besondere Chance, bottom-up-Einblicke in die Alltagsgeschichte von Menschen mit Behinderungen in der DDR und ihre Agency zu erhalten, bieten Eingaben: Bitt- und Beschwerdebriefe, die die Bürger:innen der DDR zu Hunderttausenden jährlich an staatliche Organe richteten, um Probleme im Alltagsleben und Konflikte mit Staat und Verwaltung zu lösen.5 Zunächst werden in diesem Beitrag die Besonderheiten solcher Eingaben in der DDR skizziert. Sodann wird erörtert, inwiefern die Analyse der Eingaben von Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen eine wertvolle Perspektive auf ihr Alltagsleben und ihre Interaktionen mit Staat und Expert:in­nen ermöglicht und wo dabei Grenzen der Aussagekraft liegen. Dies wird anhand von Einzelfällen exemplarisch veranschaulicht.

Der Beitrag beruht auf diversen Eingabeständen, die ich im Rahmen meines laufenden Promotionsprojekts zur Geschichte von Familien mit behinderten Kindern in der DDR im BMBF-geförderten Forschungsverbund »Geschichte von Menschen mit Behinderungen in der DDR« sichten konnte. Berücksichtigt wurden mehrere Hundert Eingaben aus folgenden Archiven, die einen Querschnitt aus verschiedenen Regionen der ehemaligen DDR, aus ländlicher und städtischer sowie aus staatlicher und kirchlicher Überlieferung abbilden: Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Hauptstaatsarchiv Dresden, Staatsarchiv Chemnitz, Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam, Landesarchiv Greifswald, Landesarchiv Sachsen-Anhalt (Abteilung Merseburg), Kreisarchiv Vorpommern-Rügen, Stadtarchiv Rostock, Stadtarchiv Leipzig, Stadtarchiv Dresden, Stadtarchiv Schwerin, Archiv des Evangelischen Werkes für Diakonie und Entwicklung Berlin.

1. Eingaben in der DDR

Die Bedeutung von Eingaben für politische Kultur, Staat-Bürger:innen-Interaktionen und verschiedene spezielle Themenbereiche der DDR-Geschichte wie Gesundheitswesen, Altersvorsorge, Konsumpolitik und Wohnraum ist bereits gut erforscht.6 Schon die erste Verfassung der DDR von 1949 sicherte allen Bürger:innen das Recht zu, diese Form des Bitt- und Beschwerdebriefes an staatliche Stellen zu richten. 1953, 1961 und 1975 wurden Rechtsnormen zur näheren Regelung erlassen.7 Die zuständigen Staatsorgane waren zur Beantwortung der Eingaben innerhalb von vier Wochen verpflichtet. Adressat:innen konnten Stellen auf allen Staats- und Verwaltungsebenen sein: Abteilungen von Stadt-, Kreis- und Bezirksräten, Volkskammer, Staatsrat und Ministerien in Berlin, regionale und zentrale Parteiorgane oder Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht und Erich Honecker persönlich. Außerdem richteten Bürger:innen ihre Eingaben (direkt oder wenigstens zur Kenntnisnahme) an Presse, Rundfunk, Fernsehen, FDGB, Volkssolidarität und Kirche, wenn sie sich Weiterleitungen an zuständige staatliche Stellen, unterstützende Interventionen im Bearbeitungsverfahren oder die Herstellung einer begrenzten Öffentlichkeit versprachen.8

Eine feste Form war für Eingaben nicht notwendig: Sie konnten sogar telefonisch oder mündlich in persona vorgetragen werden; auch für die schriftlichen Eingaben existierten keine besonderen formalen Kriterien. Eine große Zahl an Eingaben ist archivalisch überliefert in Form von handschriftlich oder maschinell verfassten Briefen, deren Länge von wenigen Absätzen bis zu mehrseitigen Schreiben stark variieren konnte. Viele folgten jedoch einem typischen Aufbau: Anrede der jeweiligen Adressat:innen, Schilderung des Anlasses, Äußerung eines Wunsches, einer Beschwerde oder einer Forderung, besondere Begründung des eigenen Anliegens, typische Grußformeln. Zudem lassen sich wiederkehrende rhetorische Elemente und Strategien der Selbstdarstellung ausmachen. So enthalten Eingaben oft drastische Schilderungen von Problemsituationen, um akuten Handlungsbedarf zu begründen. Eingabesteller:innen präsentierten sich häufig als besonders gute sozialistische Gesellschaftsmitglieder, die hart arbeiteten, notwendige Funktionen erfüllten oder politische Verdienste vorweisen konnten. Vielfach bezogen sich Verfasser:innen auch explizit auf Gesetzgebung, politische Statements oder mediale Diskurse, um ihre Argumente zu stützen. Besonders während der Honecker-Ära überraschen im Angesicht der Diktatur mitunter deutliche Kritik an einem Staatsversagen, nachdrückliche Forderungen und gar Drohungen: Man werde höhere staatliche Instanzen einschalten, man werde nicht zur Wahl gehen, man werde gar einen Ausreiseantrag stellen, wenn die Behörden nicht tätig würden.9

Wenngleich Eingaben durchaus auch allgemeine Kritik oder politische Forderungen enthalten konnten, so stand doch meist die Klärung individueller Probleme im Vordergrund. Entsprechend erfolgte die Bearbeitung der Anliegen in der Regel auf Einzelfallbasis. Die Sachbereiche, auf die die meisten Eingaben in der DDR abzielten, waren Fragen des Wohnraums und der Versorgung mit Gebrauchsgütern, doch wurden Eingaben zur gesamten Bandbreite der Sozialpolitik verfasst. Eine einzige Eingabe konnte dabei lange behördliche Schriftketten nach sich ziehen, etwa Weiterleitungsschreiben zwischen verschiedenen staatlichen Stellen, Konsultationen anderer Staatsorgane oder Expert:innen zur Klärung der Sachverhalte, hierfür angefertigte oder angeforderte Gutachten und schließlich Antwortschreiben an die Eingabensteller:in­nen. Die Verwaltungen analysierten zudem regelmäßig die eigene Eingabenbearbeitung und legten umfangreiche Statistiken hierzu an. Schon früh waren verschiedene staatliche Stellen mit einer regelrechten Eingabe-Flut konfrontiert, die sich im Laufe der Jahrzehnte bis zur Wiedervereinigung, besonders in der Ära Honecker mit ihrer neuen Sozialpolitik, noch steigerte.10

Eingaben oder vergleichbare Dokumente stellen kein Spezifikum der DDR dar. Gleichwohl sind sie von besonderer Bedeutung für deren Geschichte. Denn in der ostdeutschen Diktatur gab es nur eingeschränkte Möglichkeiten, Kritik und Beschwerden zu äußern. Auch der Rechtsweg konnte selten (erfolgreich) beschritten werden, um Probleme wie zu geringe Rentenzahlungen zu beanstanden oder gegen Verwaltungsentscheidungen vorzugehen. Eingaben boten jedoch allen Bürger:innen der DDR rechtlich garantiert die Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen. Angesichts der Einschränkungen von freier Meinungsäußerung und öffentlichem Diskurs stellte das Eingabewesen umgekehrt für den Staat eine Gelegenheit dar, Stimmungen aus der Bevölkerung zu erfassen, potentielle Krisenfelder zu antizipieren und sich nebenbei noch volksnah zu zeigen. Die Bürger:innen der DDR lernten ihrerseits, welche Anliegen in welcher Form mit Chance auf Erfolg vorgebracht werden konnten – und welche Kritik besser ungesagt blieb. Solange der Staat und die Herrschaft der Partei nicht in Frage gestellt wurden, bemühten sich die angeschriebenen Stellen vielfach, bei vorgetragenen Problemen Abhilfe zu schaffen.11

2. Quellen für die Alltagsgeschichte von Menschen mit Behinderungen?

Eingaben von Menschen mit Behinderungen in der DDR und ihren Angehörigen stellen einen wichtigen Fundus ansonsten kaum überlieferter Alltags- und Problemschilderungen aus erster Hand dar, »fast schon ethnographischen Tagebüchern gleich«.12 Zumindest ansatzweise können sie Eindrücke vom tatsächlichen Alltagsleben der Verfasser:innen bieten. Schließlich war die primäre Intention einer Eingabe die Lösung vorhandener Probleme und Konflikte, und die zuständigen staatlichen Stellen überprüften die verhandelten Sachlagen oft genau. Archivierte Dokumente und Schriftwechsel belegen häufig, dass Behördenmitarbeiter:innen und Fürsorger:innen auch Hausbesuche durchführten, die Lebensbedingungen vor Ort begutachteten und Familienmitglieder oder Nachbarn befragten.13 Falsche Angaben oder überzogene Darstellungen machten einen Erfolg der Eingabe unwahrscheinlicher, allzu viele oder »querulantische« Schreiben konnten zum Glaubwürdigkeitsverlust führen,14 und in extremen Fällen bestand bei Täuschungsabsichten oder massiver politischer Kritik die Gefahr, vom Ministerium für Staatssicherheit überprüft zu werden.

Gleichwohl muss bei der quellenkritischen Betrachtung von Eingaben stets bedacht werden, dass es sich um klar zweckgebundene, oft intentional selbstdarstellerische und strategisch formulierte Schreiben handelt. Sie können daher nur begrenzt Auskunft darüber geben, wie der Alltag von Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen in der DDR tatsächlich aussah. Angesichts der anderweitig dünnen Quellenlage sollten sie bei entsprechenden Forschungen trotzdem nicht unberücksichtigt bleiben. Mehr noch kann für Historiker:innen aber eine andere Dimension von Eingaben interessant sein: Sie bieten Antworten auf die Frage, wie behinderte Bürger:innen und ihre Angehörigen unter bestimmten diskursiven Regeln ihre Lebenslagen gegenüber staatlichen Stellen, verschiedenen Institutionen und (begrenzter) Öffentlichkeit kommunizierten.

Zu beachten sind einige Besonderheiten der Überlieferungssituation und der Zugangsbedingungen.15 Eingaben wurden in der DDR nicht flächendeckend systematisch gesammelt, zudem teils schon nach wenigen Jahren kassiert. Die Überlieferungslage ist daher von Archiv zu Archiv sehr unterschiedlich. Generell findet man Eingaben in Archiven der verschiedenen Verwaltungsebenen, von Kommunal- und Stadtarchiven über Kreisarchive bis zu den Landes- und Staatsarchiven der neuen Bundesländer. Umfangreiche Bestände liegen zudem im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde. Teilweise, aber keineswegs immer sind Eingaben in speziellen Akteneinheiten archiviert. Thematische Sortierungen sind dabei selten. Die Bearbeitungsvorgänge einzelner Eingaben und entsprechende Dokumentenketten sind mitunter nicht lückenlos oder gebündelt an einem Ort überliefert. Ebenso sind neben Name und Geschlecht der Verfasser:innen oft kaum Informationen über die betreffenden Personen enthalten, sofern sie keine Rolle für die verhandelte Angelegenheit spielten. Daher fällt es in der Regel schwer, abschließende Aussagen über den Erfolg von Eingaben, soziokulturelle Positionen der Verfasser:innen und hierin begründete Erfolgschancen zu treffen.

Die Nutzungsbedingungen fallen ebenfalls sehr unterschiedlich aus – je nach Landesarchivgesetzgebung und Hausregelungen einzelner Archive. Grundsätzlich handelt es sich bei Eingaben um Dokumente, in denen sensible Daten von Privatpersonen aufgeführt werden. Daher unterliegen sie oft besonderen Schutzfristen, für die Verkürzungen beantragt werden müssen. Zudem kann es dadurch vorkommen, dass Eingabebestände für Benutzer:innen über die von Archiven bereitgestellten (Vor-)Recherchetools nicht oder nur schwer identifizierbar sind, sodass sich direkte Anfragen empfehlen. Sofern keine Ausnahmebedingungen bestehen (beispielsweise Einverständniserklärungen der Betroffenen vorliegen), sind ferner persönliche Daten aus Eingaben vertraulich zu behandeln und in der eigenen Arbeit zu anonymisieren oder pseudonymisieren.

Für Eingaben speziell von Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen gilt, dass ein Großteil an die Ministerien und Ratsabteilungen für Gesundheitswesen und Volksbildung gerichtet wurde und in entsprechenden Archivbeständen zu finden ist. Sie thematisierten Angelegenheiten der medizinischen Versorgung, Hilfsmittelbereitstellung, Tagesbetreuung, Förderung und (sonder-)schulischen Bildung; auch Pflegegelder, Verkehrs- oder Wohnangelegenheiten wurden hier oder bei anderen Eingabestellen verhandelt. Wie generell bei Eingaben im Bereich Gesundheitswesen verfassten vielfach Angehörige von Menschen mit Behinderungen entsprechende Schreiben. In derartigen Fällen ging es oft um Probleme der behinderten Angehörigen, oft aber auch um Schwierigkeiten, denen sich gesamte Familien oder andere Familienmitglieder gegenübersahen. So schließt eine Eingabe an das Ost-Berliner Gesundheitsministerium von 1973, in der sich eine sächsische Familie um einen Pflegeheimplatz für ihren behinderten Sohn bemühte, ganz explizit mit den Worten: »[E]s muß uns doch als Eltern wenigstens nach 5 Jahren einmal geholfen werden.«16

Je nach Umständen und Anliegen konnte die Problemschilderung in den Eingaben ganz verschiedene Formen annehmen. So führten die Eltern einer behinderten Tochter in ihrer Beschwerde an den örtlichen Kreisarzt im April 1989 aus, dass das medizinische Gutachten, welches eine Herabstufung ihres Pflegegeldes begründete, den tatsächlichen Behinderungsgrad der Tochter verkenne.17 Eine Mutter, deren Kind aus der Regelschule in eine weiter entfernte Sonderschule wechseln sollte, protestierte wiederum 1952 in ihrer Eingabe an den Rat des Stadtbezirkes: »Weiterhin wäre es für mich obendrein eine bedeutende finanzielle Belastung, wenn ich jeden Tag das Kind zur Schule bringen u. auch wieder abholen muss. Sie werden wohl selbst als Mensch soviel volks nahes [sic] Verständnis besitzen und einsehen, dass eine arme Fürsorge-empfängerswittwe [sic] mit 5 Kindern nicht die Zeit und auch kein Geld dazu übrig hat.«18

Gerade die für diesen Beitrag gesichteten Eingaben (oder ergänzende Gutachten und Berichte), die auf Zuteilung einer neuen, größeren oder barriereärmeren Wohnung oder aber auf die Vermittlung eines Platzes in Tageseinrichtungen wie Sonderkindergärten oder Fördertagesstätten, in Wochen- oder Dauerheimen oder in stationären Abteilungen medizinischer Einrichtungen abzielten, schilderten oft Details des häuslichen Lebens. Dabei wurden verschiedene Faktoren genannt: Größe des Wohnraums im Verhältnis zur Familiengröße,19 unpassende Wohnverhältnisse für die besonderen Umstände einer spezifischen Behinderung,20 Benachteiligung von nicht-behinderten Geschwistern,21 fehlende Möglichkeiten zur adäquaten Pflege und Förderung zuhause,22 Konflikte mit elterlicher Erwerbstätigkeit (hierzu gleich mehr), große emotionale und psychische Belastung der Familie,23 Untauglichkeit Angehöriger zur Pflege und Betreuung aufgrund eigener gesundheitlicher Probleme oder hohen Alters.24

Eine umfassende quantitative Auswertung hinsichtlich verschiedener Behinderungsarten, Eingabestellen, Problemschilderungen und Argumentationsweisen sowie Bearbeitungsgänge und -ergebnisse der Eingaben lässt sich derzeit kaum vornehmen. Zu uneinheitlich, teils undurchsichtig und unvollständig ist die Überlieferung, und es fehlt an umfangreichen statistischen Gesamtangaben zu Menschen mit Behinderungen in der DDR. Gerade aus der Häufigkeit, mit der bestimmte Themen in Eingaben vorkommen, können aber Rückschlüsse auf geteilte Lebenslagen und Alltagsherausforderungen gezogen werden. Ein Beispiel hierfür ist der Konflikt von elterlicher Erwerbstätigkeit und Kindesbetreuung. Insbesondere die Erwerbstätigkeit von Müttern wurde dabei verhandelt.

Auch im Geschlechterverständnis der DDR waren für Erziehungs- und Pflegetätigkeiten in der Familie primär Frauen zuständig.25 Gleichzeitig schlossen Recht auf und Pflicht zur Arbeit Frauen und Mütter ein. Durch die im Vergleich zur Bundesrepublik schnell ausgebaute Infrastruktur an Kinderbetreuungseinrichtungen konnte dieser Konflikt von Erwerbs- und Betreuungspflichten für Familien mit nicht-behinderten Kindern vielfach aufgelöst oder wenigstens abgeschwächt werden. Die Infrastruktur an Einrichtungen für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen, insbesondere solche, die als »geistig behindert« oder »psychisch geschädigt« eingestuft wurden, blieb jedoch über die gesamte Zeit der DDR hinweg lücken- und mangelhaft. Wer einen Platz erhalten wollte, verwies daher in der Regel auf die Unvereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und der besonders aufwendigen Pflege und Betreuung eines behinderten Kindes zuhause.26

Die Argumentation konnte dabei unterschiedliche Formen annehmen. Manche Eltern listeten Leistungen aus ihrer beruflichen Laufbahn auf oder ließen ihre Vorgesetzten bestätigen, dass sie gute und notwendige Arbeit verrichteten.27 Einige Eltern machten Angaben über ihr Einkommen und legten dar, dass dieses bei Teil- oder Nicht-Erwerbstätigkeit eines Elternteils nicht ausreiche, um den Haushalt angemessen zu versorgen und die notwendige Sonderpflege des behinderten Kindes zu gewährleisten. Vor allem Mütter gaben oft an, dass sie wegen der Kindesbetreuung gar nicht mehr oder nur noch in Teilzeit arbeiten konnten, oder formulierten wie eine Mutter 1965 in ihrer Eingabe an das Ministerium für Gesundheitswesen, »daß ich in absehbarer Zeit gezwungen sein werde, meine Arbeit aus diesem Grunde aufzugeben«.28

3. Argumentations- und Kommunikationsstrategien in Eingaben

Unabhängig von der Frage nach tatsächlicher Doppelbelastung von Frauen durch Erwerbs- und Betreuungspflichten ist die Verhandlung mütterlicher Berufstätigkeit in Eingaben ein aufschlussreiches Beispiel für Argumentations- und Kommunikationsstrategien von Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen in der DDR. Gerade zur Analyse solcher Strategien kann die Untersuchung von Eingaben einen wichtigen Beitrag leisten: Sie zeigen, wie Angehörige einer Minderheit im diskursiven Rahmen der Diktatur und ohne die Unterstützung von Lobbys, Verbänden und aktivistischer Bewegung ihre Interessen durchzusetzen versuchten, und erhellen somit besondere Facetten der Alltagsgeschichte von Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen in der DDR. Welche Themen beschäftigten sie? Wo nahmen sie Widersprüche zwischen propagierten Fürsorgestandards und der Realität wahr? Wie interagierten sie daraufhin mit Staat und Expert:innen? Welche Handlungsspielräume sahen und gestalteten sie, und auf welche Grenzen stießen sie dabei? Welche Konzepte von Behinderung und staatlicher Fürsorge im Sozialismus rezipierten sie, und wie adaptierten sie diese für ihre Belange?

Das bereits genannte Argument der Erwerbstätigkeit erschien Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen augenscheinlich besonders vielversprechend, um Forderungen nach staatlicher Unterstützung zu legitimieren. »Kann unser Staat es sich leisten, auf die Mitarbeit von Frauen zu verzichten? Welche Werte gehen da der Volkswirtschaft verloren, denken wir nur an die Qualifizierungen«, schrieben etwa 1979 Eltern und Erzieher:innen in einer Eingabe an das Ministerium für Gesundheitswesen, mit der sie sich über die drohende Schließung ihrer Tagesstätte für behinderte Kinder beschwerten.29 Man identifizierte die Arbeit als einen Kernaspekt des propagierten sozialistischen Staats- und Gesellschaftsverständnisses. Sollten Eltern behinderter Kinder ihrer Erwerbspflicht nachkommen, so müsse der Staat seine humanistisch-sozialistischen Fürsorgeversprechen gegenüber den Bürger:innen erfüllen und ihnen entsprechende Unterstützung gewähren.30 Auch Menschen mit Behinderungen im Erwachsenenalter selbst nutzten vielfach Argumente der Erwerbstätigkeit, um staatliche Hilfen einzufordern. Ein Beispiel ist die Eingabe eines beinamputierten Mannes, der sich 1952 mit seinem Schreiben direkt an Ulbricht wandte: »Zum Anderen bringen wir [Körperbehinderte] die Energie auf und arbeiten tatkräftig am Aufbau des Sozialismus mit, ohne uns zu Hause hinzusetzen und zu sagen: So, lieber Staat, wir sind ja nur Krüppel, nun ernähre uns!«31

Unabhängig vom konkreten Anliegen einer Eingabe konnte zur Betonung der Dringlichkeit und besonderen Berechtigung ins Feld geführt werden, dass die Verfasser:innen bereits seit langer Zeit und über viele Stellen erfolglos versucht hätten, Unterstützung zu erhalten, was gleichzeitig ein Staatsversagen implizierte.32 In eine ähnliche Kerbe schlugen Hinweise oder explizite Drohungen, dass höhere staatliche Instanzen mit der zu klärenden Situation oder der bisherigen Behandlung des eigenen Falls nicht einverstanden sein und ggf. hinzugezogen werden könnten. Der Vater eines Kindes mit Behinderung zeigte sich 1961 in einer Eingabe an den Staatsrat etwa »fest überzeugt, daß dies alles [d.h. schlechte Zustände in einer Klinik] ohne Wissen unserer Regierung geschieht«,33 während ein anderer Vater 1965 den Rat der Stadt ermahnte: »Sollten allerdings länger wieder Schwierigkeiten [bei der Bearbeitung meines Anliegens] auftreten[,] bin ich gezwungen[,] weitere Schritte beim Gesundheitsministerium einzuleiten.«34

Ebenso konnten Eingabensteller:innen die eigenen gesellschaftlich-politischen Verdienste für den Sozialismus anführen. 1967 schrieb etwa ein Oberstudienrat in Mecklenburg-Vorpommern, der in einem Eingabevorgang zwecks Sonderschulaufnahme eines neunjährigen Mädchens als verlängertes Sprachrohr für den Vater tätig wurde: »[Er] war bereits vor 1933 Mitglied der KPD und immer aktiv.« Die weiteren Ausführungen enthalten Strategien zur Politisierung der verhandelten Einzelfälle: »Dieses Problem wird auch bei der Vorbereitung der Wahlen im Ort eine Rolle spielen.«35 Auch der oben zitierte beinamputierte Mann politisierte 1952 sein Anliegen durch die Formel vom »Aufbau des Sozialismus«.36 Das Beispiel von 1967 aus Mecklenburg-Vorpommern illustriert daneben auch, dass lokale Behördenmitarbeiter:innen und Parteifunktionär:innen, die oft die naheliegende erste Anlaufstation für Eingaben­steller:innen waren, bei Alltagsproblemen durchaus unterstützend tätig wurden und sich in der Folge im Namen der betreffenden Bürger:innen oder in Kooperation mit ihnen an übergeordnete Stellen wandten.37

Eine weitere Strategie bestand darin, den Staat ganz explizit in die Verantwortung zu nehmen, indem auf konkrete Gesetze oder politische Beschlüsse verwiesen und staatliche Fürsorgerhetorik aufgegriffen wurde. Besonders in den 1970er- und 1980er-Jahren boten im Gefolge der »Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik«38 die neue staatliche Rhetorik, Sozialpolitik und Gesetzgebung für Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen erweiterte Möglichkeiten, staatliche Versprechen mit der Alltagsrealität abzugleichen, Diskrepanzen zu monieren und Unterstützung einzufordern.39 So fragten die bereits zitierten Eingabensteller:innen anlässlich der drohenden Tagesstättenschließung 1979: »Wieso können von der Partei der Arbeiterklasse beschlossener [sic] Gesetze einfach umgangen werden (VO zur weiteren Verbesserung der gesellschaftlichen Unterstützung schwerst- und schwergeschädigter Bürger § 1-9 […])?«40 Und die ebenfalls schon zitierten sächsischen Eltern, die 1973 dringend um Aufnahme ihres Sohnes in eine Pflegeeinrichtung baten, erinnerten: »Im VIII. Parteitag des ZK wurde doch soviel [sic] gesprochen und geschrieben, daß jegliche Hilfe den kranken Menschen gegeben wird.«41 Die Ära Honecker brachte mit ihrem neuen sozial- und konsumpolitischen Klima auch insofern eine Argumentationsverschiebung mit sich, als Aspekte der individuellen Lebensqualität zunehmend sagbarer wurden – etwa der elterliche Anspruch auf Urlaub, Freizeit und Erholung. Derartige Forderungen nach erhöhter Lebensqualität mussten nun nicht mehr strikt an Verdienste für die sozialistische Gesellschaft geknüpft werden.42

Explizite Verweise auf die Bundesrepublik oder Leistungsvergleiche mit der westlichen Sozialpolitik finden sich hingegen kaum in Eingaben wieder. Zum einen muss angenommen werden, dass viele Menschen mit Behinderungen oder ihre Angehörigen, sofern sie keine entsprechenden privaten Kontakte in den Westen hatten oder beispielsweise über Kirchengruppen in ihrem Umfeld Verbindungen bestanden, oftmals auch kein detailliertes Wissen über Einzelheiten der bundesdeutschen Behindertenpolitik besaßen, das sie für konkrete Vergleiche hätten heranziehen können. Zum anderen scheinen Verfasser:innen von Eingaben diese spezielle Form der Systemkritik als zu heikel eingestuft zu haben.

4. Fazit

Wurde das in einer Eingabe vorgebrachte Anliegen gänzlich zurückgewiesen, wurde es von behördlicher Seite zumindest teilweise aufgegriffen, oder sahen die Verfasser:in­nen ihre Ziele sogar gänzlich realisiert? Wenn eine Eingabe abgelehnt wurde, lag dies an sachlichen Fehlern in der Problemschilderung, an Lücken der relevanten rechtlichen Regelungen, an einer Ablehnung der vorgebrachten Argumentation oder schlicht an fehlenden ökonomischen und infrastrukturellen Kapazitäten?43 Der Erfolg oder Misserfolg einzelner Eingaben lässt sich aufgrund unvollständiger Überlieferungsketten in vielen Fällen nicht mehr klar ermitteln.

Dennoch sind Eingaben von großem Wert für die Alltagsgeschichte von Menschen mit Behinderungen in der DDR. Quer durch die Archivlandschaft der neuen Bundesländer sind etliche Tausende dieser Dokumente überliefert, in denen Menschen mit Behinderungen oder ihre Angehörigen direkt zu Wort kommen und Szenen aus ihrem Alltag schildern. Einiges gilt es jedoch zu beachten: Zwar bieten solche Eingaben gegenüber der staatlichen oder institutionellen Überlieferung eine begrenzte bottom-up-Perspektive, doch geben sie eventuell erneut einen top-down-Blick auf Menschen mit Behinderungen selbst wieder, wenn sie von nicht-behinderten Angehörigen verfasst wurden. Außerdem ist gerade mit Rücksicht auf die strategischen Funktionen von Eingaben gewissenhafte Quellenkritik zu üben und festzuhalten, dass Eingaben mehr über die kommunikativen Darstellungen von Alltagssituationen und Lebenslagen aussagen, als dass sie diese unmittelbar widerspiegeln. Gleichwohl erhellen sie besondere Facetten der Alltagsgeschichte von Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen in der DDR im Hinblick auf ihre Interaktion mit Staat, Expert:innen und Öffentlichkeit unter den Bedingungen der Diktatur.

Da die Bürger:innen der DDR Eingaben zu diversen sozialpolitischen Themen verfassten, kann es für die Disability History lohnend sein, eingehende Vergleichsstudien zu unternehmen. Während verschiedene Übereinstimmungen in den Argumentationsstrategien zwischen Eingaben zum Thema Behinderung und beispielsweise den Themen Rente oder Wohnen zu erwarten sind, könnten Unterschiede in der konkreten Ausgestaltung bestimmter Argumentationsmuster Schlaglichter auf Besonderheiten der Lebenslagen und Handlungsspielräume von Menschen mit Behinderungen sowie auf theoretische Konzeptionen von Behinderung in der DDR werfen. Darüber hinaus empfehlen sich komparative Forschungen nicht nur mit Blick auf Westdeutschland, um nach systemspezifischen Unterschieden zu fragen, sondern auch Vergleichsstudien mit anderen sozialistischen Staaten.44


Anmerkungen:

1 Alf Lüdtke, Introduction. What Is the History of Everyday Life and Who Are Its Practitioners?, in: ders. (Hg.), The History of Everyday Life. Reconstructing Historical Experiences and Ways of Life, Princeton 1995, S. 3-40, hier S. 13f.

2 Alexander Geppert, Forschungstechnik oder historische Disziplin? Methodische Probleme der Oral History, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 45 (1994), S. 303-323; Dorothee Wierling, Fünfundzwanzig Jahre: Oral History, in: WerkstattGeschichte 75 (2017), S. 83-88.

3 Gabriele Lingelbach/Sebastian Schlund, Disability History, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 8.7.2014; Raphael Rössel, Quellen für alle und von allen? Potentiale einer wissenschaftlich reflektierten Public Disability History für schulische und universitäre Lehre am Beispiel der »Quellen zur Geschichte von Menschen mit Behinderungen« (QGMB), in: Cordula Nolte (Hg.), Dis/ability History Goes Public. Praktiken und Perspektiven der Wissensvermittlung, Bielefeld 2020, S. 183-209, hier S. 183-189.

4 Bertold Scharf/Sebastian Schlund/Jan Stoll, Segregation oder Integration? Gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in der DDR, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 70 (2019), S. 52-70, hier S. 66-70.

5 Zahlenangaben variieren in der Forschungsliteratur. Oft wird von mehreren Hunderttausend gesprochen; siehe etwa Christiane Streubel, Wir sind die geschädigte Generation. Lebensrückblicke von Rentnern in Eingaben an die Staatsführung der DDR, in: Heike Hartung (Hg.), Graue Theorie. Die Kategorien Alter und Geschlecht im kulturellen Diskurs, Köln 2007, S. 241-263, hier S. 242. Felix Mühlberg, der mit seiner Dissertation 1999 eine der ersten umfangreichen Arbeiten zu Eingaben in der DDR vorlegte, kommt bei seinen Schätzungen sogar auf mehr als eine Million: Felix Mühlberg, Informelle Konfliktbewältigung. Zur Geschichte der Eingabe in der DDR, phil. Diss. TU Chemnitz 1999/2000, S. 347. Buchausgabe: ders., Bürger, Bitten und Behörden. Geschichte der Eingabe in der DDR, Berlin 2004.

6 Florian Bruns, ›Werte Genossen! Heute komme ich mit einer Bitte zu Euch …‹ Der Umgang mit Patienteneingaben im DDR-Gesundheitswesen, in: Markus Wahl (Hg.), Volkseigene Gesundheit. Reflexionen zur Sozialgeschichte des Gesundheitswesens der DDR, Stuttgart 2020, S. 93-109; Paul Betts, Die Politik des Privaten. Eingaben in der DDR, in: Daniel Fulda u.a. (Hg.), Demokratie im Schatten der Gewalt. Geschichten des Privaten im deutschen Nachkrieg, Göttingen 2010, S. 286-309; Mary Fulbrook, Ein ganz normales Leben. Alltag und Gesellschaft in der DDR, Darmstadt 2008, S. 286-306; Mühlberg, Konfliktbewältigung (Anm. 5); ders., Bürger (Anm. 5); Streubel, Generation (Anm. 5).

7 Steffen H. Elsner, Flankierende Stabilisierungsmechanismen diktatorischer Herrschaft. Das Eingabewesen in der DDR, in: Christoph Boyer/Peter Skyba (Hg.), Repression und Wohlstandsversprechen. Zur Stabilisierung von Parteiherrschaft in der DDR und der ČSSR, Dresden 1999, S. 75-86, hier S. 78f.

8 Zum Themenkomplex Eingaben und Medien siehe etwa Ina Merkel (Hg.), »Wir sind doch nicht die Mecker-Ecke der Nation.« Briefe an das DDR-Fernsehen. Mit einer Einführung von Ina Merkel und Felix Mühlberg, Köln 1998.

9 Ausführlich zu Aufbau, Stilmitteln und Strategien von Eingaben bspw. Jenny Linek, Gesundheitsvorsorge in der DDR zwischen Propaganda und Praxis, Stuttgart 2016, S. 121f.; Merkel, »Mecker-Ecke« (Anm. 8), S. 9-32; Mühlberg, Konfliktbewältigung (Anm. 5), S. 241-353; Streubel, Generation (Anm. 5).

10 Linek, Gesundheitsvorsorge (Anm. 9), S. 121f.

11 Die genaue Bewertung von Eingaben im Spannungsfeld von Kooperation und Konflikt, Herrschaftsmittel und individuellem Handlungsspielraum variiert in der zitierten Forschung. Dies bettet sich ein in größere Fachdiskussionen um Diktatur, Widerstand, Durchherrschtheit, Partizipation und Eigen-Sinn. Für verschiedene prominente Positionen siehe etwa Fulbrook, Leben (Anm. 6); Jürgen Kocka, Eine durchherrschte Gesellschaft, in: Hartmut Kaelble/Jürgen Kocka/Hartmut Zwahr (Hg.), Sozialgeschichte der DDR, Stuttgart 1994, S. 547-553; Konrad H. Jarausch, Fürsorgediktatur, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 11.2.2010; Thomas Lindenberger, Eigen-Sinn, Herrschaft und kein Widerstand, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 2.9.2014.

12 Merkel, »Mecker-Ecke« (Anm. 8), S. 11.

13 Bspw. in den Vorgängen im Landesarchiv Greifswald, 9.1 Nr. 327.

14 So findet sich in den im Brandenburgischen Landeshauptarchiv (BLHA) Potsdam, 631 BStBw FfO Nr. 1 überlieferten Eingaben eine gut 200 Blatt umfassende »Akte in der Akte«, die über Jahre hinweg an verschiedene Stellen getätigte Eingaben einer einzigen Verfasserin bündelt. In diversen Schreiben zwischen verschiedenen Behörden wurde vor der bereits bekannten, als »psychotisch« eingestuften Eingabenstellerin gewarnt, deren Schilderungen sich oft nicht hätten bestätigen lassen.

15 Neben Beobachtungen aus meinen eigenen Archivrecherchen stützen sich die folgenden Ausführungen hierzu auch auf Mühlberg, Konfliktbewältigung (Anm. 5), S. 242-251.

16 [Autorin anonymisiert] an Ministerium für Gesundheits- und Sozialwesen, Betr.: Eingabe über eine Dringlichkeitsbescheinigung zur Unterbringung in einem Pflegeheim unseres Sohnes, 19.2.1973, Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (BArch), DQ 1/10696.

17 [Autor anonymisiert] Eingabe Beschwerde, Betr.: Bescheid über Gewährung von Pflegegeld, 26.4.1989, BLHA Potsdam, 631 BStBw FfO Nr. 1.

18 [Autorin anonymisiert] an Rat des Stadtbezirkes Leipzig, Betr.: Aufnahme meines Sohnes in eine Sonderschule, 10.6.1952, Stadtarchiv Leipzig (StadtAL), 1.2.3.2.1 StVuR Nr. 10144, fol. 92.

19 [Autorin anonymisiert] an Bezirkskrankenhaus, 6.3.1963, Landesarchiv Greifswald, 9.1 Nr. 327, fol. 61.

20 [Autor anonymisiert] an Büro des Staatsrates der DDR, Betr.: Unterbringung meines Sohnes in einem Heim für bildungsunfähige Kinder, 10.11.1961, StadtAL, 1.2.3.2.1 StVuR Nr. 7231, fol. 88-89.

21 Wie Anm. 16.

22 Medizinalrat an Anstaltsleitung, 20.3.1965, Landesarchiv Greifswald, 9.1 Nr. 327, fol. 78.

23 Dies wird etwa in Eingaben und Gutachten erwähnt, die überliefert sind im Landesarchiv Greifswald, 9.1 Nr. 327.

24 Oberstudienrat an Rat des Bezirks, 5.5.1967, Landesarchiv Greifswald, 9.1 Nr. 327, fol. 67-68.

25 Gunilla-Friederike Budde, Alles bleibt anders. Die Institution der »Familie« zwischen 1945 und 1975 im deutsch-deutschen Vergleich, in: Maria Oppen/Dagmar Simon (Hg.), Verharrender Wandel. Institutionenwandel und Geschlechterverhältnisse, Berlin 2004, S. 69-98; Gunilla-Friederike Budde, Die emanzipierte Gesellschaft. Gleichstellung von Mann und Frau, in: Thomas Großbölting (Hg.), Friedensstaat, Leseland, Sportnation. DDR-Legenden auf dem Prüfstand, Berlin 2009, S. 92-112; Fulbrook, Leben (Anm. 6), S. 160-194.

26 Ausführlicher dazu Pia Schmüser, »We as parents must be helped.« State-Parent Interactions on Care Facilities for Children with »Mental Disabilities« in the GDR, in: Kateřina Kolářová/Martina Winkler (Hg.), Re/imaginations of Disability in State Socialism. Visions, Promises, Frustrations, Frankfurt a.M. 2021, S. 215-257, hier S. 230-235.

27 Betriebsgewerkschaftsleitung an Bezirksgesundheitsamt, Betr.: Antrag auf Unterbringung in einem Pflegeheim des [Name anonymisiert], 26.7.1967, Landesarchiv Greifswald, 9.1 Nr. 327, fol. 12.

28 [Autorin anonymisiert] an Ministerium für Gesundheitswesen, Betr.: Unterbringung meiner Tochter, 2.5.1965, Landesarchiv Greifswald, 9.1 Nr. 327, fol. 42.

29 Eingabe an das Ministerium für Gesundheitswesen, 17.5.1979, Archiv des Evangelischen Werkes für Diakonie und Entwicklung (ADE) Berlin, DWDDR II, Nr. 787.

30 Maria Cristina Galmarini-Kabala hat eine ausführliche Untersuchung der moralischen Ökonomie des Sozialismus am Beispiel der (frühen) Sowjetunion unternommen: Maria Cristina Galmarini-Kabala, The Right to Be Helped. Deviance, Entitlement and the Soviet Moral Order, DeKalb 2016.

31 [Autor anonymisiert] an Walter Ulbricht, Leipzig, 7.12.1952, BArch, DQ 1/2211.

32 Wie Anm. 16.

33 Wie Anm. 20.

34 [Autor anonymisiert] Betr.: Heimzuweisung meines Kindes, 26.12.1965, Landesarchiv Greifswald, 9.1 Nr. 327, fol. 19.

35 Wie Anm. 24.

36 Wie Anm. 31.

37 So hat auch Mary Fulbrook in ihrer Analyse von Beschwerden und Eingaben herausgestellt, dass es hier keineswegs nur Konflikt und Opposition gab, sondern oftmals auch Übereinstimmung zwischen Staat und Bürger:innen: Fulbrook, Leben (Anm. 6), S. 286-306.

38 Christoph Boyer/Peter Skyba, Sozial- und Konsumpolitik als Stabilisierungsstrategie. Zur Genese der »Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik« in der DDR, in: Deutschland Archiv 32 (1999), S. 577-590.

39 Ausführlicher dazu Schmüser, State-Parent Interactions (Anm. 26), S. 238-249.

40 Wie Anm. 29.

41 Wie Anm. 16.

42 Siehe auch den Beitrag von Gabriele Lingelbach und Raphael Rössel in diesem Heft.

43 Die Einrichtungsunterbringung von Kindern mit Behinderungen scheiterte etwa oft daran, dass geeignete Institutionen bereits voll belegt waren, so beispielsweise auch im Fall der sächsischen Eltern, deren Eingabe von 1973 oben zitiert wurde (Anm. 16), ersichtlich in diversen vorangehenden Schreiben in BArch, DQ 1/10696.

44 Hier Forschungslücken zu schließen, ist auch eines der Ziele von Kateřina Kolářovás und Martina Winklers Sammelband Re/imaginations of Disability in State Socialism (Anm. 26).

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