Verschlungene Wege zum Ende der Apartheid

Südafrika in der internationalen Menschenrechtspolitik 1945–1994

Anmerkungen

Die Bedeutung der Apartheid für die internationale Menschenrechtspolitik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts liegt in ihrer Exzeptionalität: Kein anderes Thema stand so lange auf der menschenrechtspolitischen Agenda, nämlich von den späten 1940er-Jahren bis zum Ende der Minderheitsherrschaft 1994, als der »Kalte Krieg« schon einige Jahre vorüber war. Keine andere Regierung erfuhr in dieser Zeit eine stärkere internationale Isolierung als die südafrikanische. Kein anderes Staatsverbrechen zog in der internationalen Politik, unter zivilgesellschaftlichen Aktivisten und in der medialen Öffentlichkeit mehr Aufmerksamkeit auf sich, als es die Rassendiskriminierung am Kap während der Hochphase der weltweiten Entrüstung gegen Ende der 1980er-Jahre tat. Das Faszinosum der transnationalen Geschichte Südafrikas besteht nicht in dem, was an ihr typisch, sondern in dem, was an ihr besonders ist.

Aus dem Blickwinkel dieser Besonderheit betrachtet, bietet sie indes bedeutsame Einblicke in Muster und Prozesse der Menschenrechtsgeschichte des Zeitraums. Gerade weil die Apartheid so lange umstritten, ihre Ausstrahlung nahezu weltweit, die Politik gegen sie phasenweise so stark, die Zahl der beteiligten Akteure so groß war – gerade deshalb besitzt sie eine große Aussagekraft. Sie wirft ein Licht auf wichtige Logiken der moralpolitischen Mobilisierung, auf Unrechtswahrnehmungen und Aufmerksamkeitsökonomien, auf die Dynamiken transnationaler Netzwerke, auf die veränderlichen Prioritäten staatlicher Außenpolitik, auf den Umgang eines Regimes mit seiner weltpolitischen Stigmatisierung und nicht zuletzt auf die Wirksamkeit internationaler Menschenrechtspolitik. Drei analytische Betrachtungen – der Verlaufsgeschichte, der Motive hinter der Anti-Apartheid-Politik und ihrer Effekte auf das Regime – vermögen davon einen Eindruck zu vermitteln.

Nicht wenige historische Darstellungen sprechen von »dem« politischen Kampf gegen die Apartheid und lassen ihn als einheitliches Projekt erscheinen, das in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden und sich bis zum Ende der Minderheitsherrschaft im Wesentlichen gleich geblieben sei. Wenn sich die internationalen Bemühungen dieser Sicht zufolge änderten, dann insofern, als sie an Stärke stetig zunahmen: Immer mehr zivilgesellschaftliche Gruppen hätten sich dem Einsatz gegen die Apartheid angeschlossen, immer mehr Regierungen von deren Ungerechtigkeit überzeugt, und so habe sich ein wachsender internationaler Druck aufgebaut, unter dem das südafrikanische Regime schließlich zerbrochen sei.[1] Diese Deutung beruht auf den Annahmen von Kontinuität und Kumulierung, und beide Annahmen sind problematisch.

Sieht man genauer hin, ereigneten sich in der Anti-Apartheid-Politik mehrere historisch bedeutsame Verschiebungen. Das lässt sich zunächst im nicht-staatlichen Aktivismus beobachten. So entstanden in westlichen Ländern schon in den frühen 1950er-Jahren antikoloniale Vereinigungen, die sich auch mit Südafrika befassten, oder sogar dezidierte »Anti-Apartheid«-Gruppen.[2] Katalysierend wirkte dabei ein neuer Schub des Widerstands im Land selbst, der öffentlichkeitswirksam und ausdrücklich auch ans Ausland gerichtet in der »Defiance Campaign« kulminierte, die der African National Congress (ANC) 1952 organisierte. Die ausländischen Unterstützer, unter denen das American Committee on Africa in den USA, das Movement for Colonial Freedom und später das Anti-Apartheid Movement in Großbritannien zu den sichtbarsten gehörten, legten eine bemerkenswerte politische Energie an den Tag. Sie knüpften enge Kontakte mit südafrikanischen Aktivisten, bemühten sich darum, heimische Politiker für ihre Sache zu gewinnen, und setzten viel daran, eine breitere Öffentlichkeit über die Lage am Kap zu alarmieren. Manche ihrer Unternehmungen waren durchaus erfolgreich. Vor allem gelang es ihnen, schon vor dem Massaker von Sharpeville 1960 (was oft übersehen wird) und mehr noch danach ein spürbares Bewusstsein für die Situation der unterdrückten Südafrikaner zu schaffen.[3] Aufs Ganze betrachtet standen die Anti-Apartheid-Gruppen jedoch nie im Zentrum des politischen Diskurses, und ihr Wirkungsgrad war deutlich begrenzt. Sie blieben klein und erzielten keine massenwirksame Ausstrahlung. Dies hing auch damit zusammen, dass sich viele in erster Linie darauf richteten, die »hohe« Politik in Gestalt nationaler Regierungen und der Vereinten Nationen zu beeinflussen.

Später veränderten sich die Formen wie auch die politischen Kontexte des Aktivismus deutlich. In den späten 1960er-Jahren verwandelte sich die Apartheid in vielen westlichen Ländern in ein Terrain der innenpolitischen Auseinandersetzung. In den Niederlanden wie in der Schweiz, in Großbritannien wie in der Bundesrepublik begannen oppositionelle Kräfte sowohl innerhalb als auch außerhalb des Parlaments, den von den Imperativen des »Kalten Kriegs« geprägten außenpolitischen Konsens in ihren Ländern anzufechten.[4] Im Zuge dessen entflammten öffentliche Konflikte über die guten Beziehungen, die westliche Regierungen mit Südafrika unterhielten, welches für sie ein starker wirtschaftlicher Partner, ein wichtiger Ressourcenlieferant und ein strategisch wichtiger antikommunistischer Verbündeter war. Die moralisch wie auch politisch grundierte Kritik, die gegen solche Kalküle aufbrandete, gewann in den 1970er-Jahren zunehmendes Gewicht. Der zivilgesellschaftliche Aktivismus erlebte nun einen vielfältigen Aufschwung: Es entstanden neue »Anti-Apartheid«-Gruppen; Menschenrechtsorganisationen, unter denen das erstarkende Amnesty International die größte Stoßkraft erlangte, nahmen sich der südafrikanischen Problematik an; und die »Dritte Welt«-Bewegungen forderten »Solidarität« mit der unterdrückten südafrikanischen Bevölkerungsmehrheit. In den 1980er-Jahren schließlich gewann der Aktivismus eine weitere Dimension, als er in die Populärkultur einsickerte und darüber nun ein Millionenpublikum erreichte.[5] Die Metamorphosen des Anti-Apartheid-Aktivismus waren transnationale Trends, doch gab es auch spezifische nationale Rhythmen, die das Bild noch komplexer machen. So zeichnete sich in der Bundesrepublik vor den 1970er-Jahren kein nennenswertes Engagement ab, während es in Großbritannien schon früh begonnen hatte, in dieser Dekade dagegen eher abflaute.[6] Überall jedoch stellten die späten 1980er-Jahre den Moment der größten öffentlichen Aufmerksamkeit und des vehementesten politischen Einsatzes gegen das Minderheitsregime dar.

Auch im Regierungshandeln und in inter-gouvernementalen Organisationen erlebte die Politik gegenüber Südafrika mehrere Konjunkturen und verschiedene inhaltliche Aufladungen. In den Vereinten Nationen stand die rassistische Diskriminierung von Beginn an im Scheinwerferlicht. Schon 1946 beklagte die indische Regierung den Umgang des südafrikanischen Regimes mit der indischen Bevölkerung, und daran schlossen sich bald Diskussionen über das System der Rassentrennung selbst an.[7] Diese Vorgänge waren insofern bahnbrechend, als koloniale oder Siedlerregime sich niemals zuvor in einem solchen Maß auf der internationalen Anklagebank wiedergefunden hatten. Die Verhandlungen in der Weltorganisation trugen maßgeblich dazu bei, die Regierung in Pretoria zu stigmatisieren und den Eindruck zu erzeugen, sie sei moralisch isoliert. Dabei erwies sich die demokratische Macht der UN-Vollversammlung: Denn in dem Maße, wie postkoloniale Staaten im Laufe der 1960er-Jahre die numerische Mehrheit erlangten, gelang es ihnen, ihre eigenen menschenrechtspolitischen Normen und Wertvorstellungen gegen die westlichen Staaten durchzusetzen. Politisch greifbare Folgen zeitigte dies allerdings nicht. Das südafrikanische Regime verlegte sich bald darauf, die betreffenden Sitzungen zu boykottieren, und lehnte die Forderungen der Staatengemeinschaft rigoros als unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten ab.

Die Voraussetzungen änderten sich erst, als sich westliche Regierungen, und darunter vor allem die USA und Großbritannien, in den 1970er- und 1980er-Jahren allmählich von Südafrika abzuwenden begannen. Die Ankunft des Themas Menschenrechte in der staatlichen Außenpolitik stellte dafür eine wichtige Triebkraft dar. Tatsächlich ging in diesen Jahren eine Reihe westlicher Regierungen dazu über, den internationalen Menschenrechtsschutz als integrales Ziel ihrer auswärtigen Politik festzuschreiben. Das wirkte sich überall, wenn auch in unterschiedlichen Graden, auf die Beziehungen zu Südafrika aus. Am weitesten ging die US-Regierung unter Präsident Jimmy Carter (1977–1981), die die Kaprepublik geradezu zu einem Testfall ihrer Entschlossenheit machte, weltweit gegen Menschenrechtsverletzungen Stellung zu beziehen.[8] Doch auch die britische Labour-Regierung James Callaghans (1976–1979) und die von Joop den Uyl geführte niederländische Regierung (1973–1977) ergriffen Maßnahmen, die mit dem überkommenen Ansatz brachen, Südafrika als wichtigen Partner zu begreifen, den man durch Kritik nicht verprellen dürfe. Die Umorientierung der westlichen Politik war indes ebenfalls kein linearer Prozess. Die sozialliberale Koalition in der Bundesrepublik hielt sich nach wie vor sehr bedeckt, und Ronald Reagan nahm Carters kritische Politik ebenso zurück wie Margaret Thatcher diejenige Callaghans. Dennoch konnte sich Südafrika seit den 1970er-Jahren der westlichen Unterstützung nicht mehr so sicher sein wie zuvor. Und in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre rangen sich dann auch die konservativen Regierungen in den USA und in Westeuropa (sowie die Europäische Gemeinschaft) zu einer Sanktionspolitik durch, die das Regime am Kap nicht länger ignorieren konnte.

Gerade wenn man sich diese politischen Verschiebungen vor Augen hält, drängt sich die Frage nach den Motivationen und Antrieben auf, aus denen heraus sich Politiker und Aktivisten gegen die südafrikanische Rassendiskriminierung einsetzten. Auch wenn es zeitgenössisch vielen Beobachtern so erschien, war es doch keineswegs selbstverständlich, dass das weiße Minderheitenregime und die Situation der afrikanischen Mehrheit im Land eine derart weitreichende und lang anhaltende internationale Entrüstung auslösten. Blickt man auf die lange Liste grausamer Staatsverbrechen in der zweiten Jahrhunderthälfte, von denen viele weitaus mehr Menschenleben kosteten als die Apartheid, waren ausgedehnte internationale Hilfskampagnen eben nicht die Regel. Die meisten Dekolonisierungskriege zogen nie ähnliches Interesse auf sich, blutige Diktaturen im postkolonialen Afrika (wie diejenige in Äquatorial-Guinea) fanden kaum Beachtung, und eines der schlimmsten Massenverbrechen der Nachkriegszeit, der Genozid in Kambodscha, war beendet, noch bevor internationale Aktivitäten überhaupt in Gang gekommen waren.

Dass es sich im südafrikanischen Fall anders verhielt, hatte zunächst mit politischen und gesellschaftlichen Kontextbedingungen zu tun, die günstige Voraussetzungen schufen, aber nicht kausal mit der Sache verknüpft waren, um die es beim Anti-Apartheid-Engagement ging. So hatte etwa die mediale Repräsentation eine wichtige Verstärkerfunktion. Südafrika war ein weitgehend offenes Land, über das auch ausländische Journalisten Informationen gewinnen und berichten konnten – sofern sie sich dafür interessierten. In den 1960er- und 1970er-Jahren kam es gleich zu mehreren katalysierenden Medienereignissen. Dazu gehörten das Sharpeville-Massaker 1960, der niedergeschlagene Aufstand von Soweto 1976, bei dem das ikonisch gewordene Foto des sterbenden Hector Pieterson entstand, und der Tod Steve Bikos 1977. In den späten 1980er-Jahren rissen dann die Fernseh- und Zeitungsberichte über die eskalierende Gewalt im Land nicht mehr ab. Dass diese Formen der Berichterstattung eine so weitreichende Wirkung entfalten konnten, lag wiederum auch an den Fortschritten, die die Kommunikationstechnologie in diesem Zeitraum zu verzeichnen hatte. Der Umlauf von Fotos nahm zu, die Fernsehnutzung weitete sich aus, Telex und Fotokopiergeräte halfen bei der Verbreitung von Informationen, und so erreichten Nachrichten und Bilder immer mehr Rezipienten in kürzerer Zeit. All das war ferner eingebettet in den Formwandel des zivilgesellschaftlichen Aktivismus. Mit den sozialen Bewegungen der 1960er-Jahre etablierte sich ein Repertoire des symbolischen Protests – von Massendemonstrationen und »consciousness raising« über Hilfsaktionen für Gefangene bis hin zu Konsumentenboykotten –, das der Anti-Apartheid-Aktivismus aufgreifen konnte, um eine starke öffentliche Präsenz zu gewinnen. Somit verwob sich das Engagement mit einem allgemeineren Wandel der politischen Kultur. Dieser wirkte sich zweifellos befördernd aus, doch galt das für andere politische Anliegen und Bewegungen jener Jahre ebenso.

Der Suche nach den gleichsam intrinsischen Faktoren, die dem Protest gegen das südafrikanische Regime Auftrieb verliehen, kommt daher eine besondere Bedeutung zu. Die politische Konstellation innerhalb des Landes dürfte dabei wichtig gewesen sein. Für viele Beobachter schienen die Konfliktlinien am Kap eindeutig zu sein: Hier herrschte ein weißes »Siedler«-Regime, das seine Macht mit Gewalt aufrecht erhielt und die große Mehrheit der indigenen Bevölkerung aus rassistischem Vorurteil von der politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Teilhabe ausschloss. Nach dem weitgehenden Ende des europäischen Kolonialismus Mitte der 1970er-Jahre, als auch Portugals afrikanische Territorien ihre Unabhängigkeit erlangt hatten, verstärkte sich dieser Effekt noch, erschien doch Südafrika nun als anachronistisches Relikt einer Epoche, die zurecht untergegangen sei. Nicht zuletzt ließ sich das Unrecht in Südafrika personifizieren. Besonders in den 1980er-Jahren verkörperte es sich für viele Aktivisten im Schicksal Nelson Mandelas, mit dessen fortdauernder Inhaftierung der südafrikanische Sicherheitsapparat eine Art Märtyrerfigur des ungebrochenen Kampfs gegen die Apartheid geschaffen hatte.

So bedeutsam derartige Topoi der Wahrnehmung waren, kam es doch auch auf die konkreten Wege der politischen Mobilisierung an. Dabei fiel südafrikanischen Emigrantinnen und Emigranten eine Schlüsselrolle zu. In vielen Ländern waren sie entscheidend daran beteiligt, ein öffentliches Bewusstsein für die Entrechtung der dunkelhäutigen südafrikanischen Bevölkerung zu fördern, Aktivisten zu vernetzen, organisatorische Strukturen aufzubauen und Kontakte in die Politik herzustellen. Das betraf exilierte Mitglieder von Vereinigungen wie dem ANC oder dem Pan-Africanist Congress (PAC), die im Zuge einer staatlichen Repressionskampagne 1960 verboten worden waren, aber auch Burinnen und Buren, die – oftmals aus politischen Gründen – aus Südafrika ausgewandert waren.

Gleichwohl entschied die Intensität ihres Engagements noch nicht über die Resonanz im westlichen Ausland. Dass die politische und zivilgesellschaftliche Empfänglichkeit hier in den 1970er- und 1980er-Jahren so ausgeprägt war, hatte vielmehr einen wichtigen Grund in der Heterogenität der Anti-Apartheid-Politik. Zahlreiche Gruppen und Akteure konnten sich der Sache anschließen, auch wenn sie damit unterschiedliche Ziele und Botschaften verbanden. Antikoloniale Haltungen bildeten eine wichtige Ingredienz des vielstimmigen Protests. War das Engagement gegen die Apartheid, wie erwähnt, gleichsam aus ihnen geboren, so blieben sie auch in späteren Jahrzehnten präsent. Ferner bildete der Kampf gegen Rassismus und Rassendiskriminierung eine wichtige Triebkraft. Das wurde vielleicht nirgends deutlicher als in Großbritannien und den USA, wo sich viele Briten afrikanischer oder westindischer Herkunft und viele Afroamerikaner nachdrücklich an den Protesten gegen Südafrika beteiligten.[9] Damit verbanden sie eine unübersehbare innenpolitische Kritik an der rassistischen Ausgrenzung in den Gesellschaften, in denen sie selbst lebten. Andere Aktivistinnen und Aktivisten schlossen sich den Bewegungen aus einer christlichen Motivation an.[10] Als sich die Kirchen seit den 1970er-Jahren gegenüber weltpolitischen Fragen, weltweiten humanitären Notlagen und Problemen des Nord-Süd-Verhältnisses zu öffnen begannen, entwickelte sich die Situation in Südafrika für viele zu einem wichtigen Anliegen. Schließlich engagierten sich auch Angehörige der »neuen«, zumeist außerparlamentarischen Linken für ein Ende der Apartheid und die Bestrafung des Minderheitsregimes. Sie verbanden dies mit einer Stellungnahme gegen den westlichen »Imperialismus«, das kapitalistische Weltwirtschaftssystem und noch allgemeiner mit einer Kritik an den politischen und gesellschaftlichen Grundlagen westlicher Staaten. Mit allen genannten Gruppierungen wiederum überschnitt sich die Politik nicht-staatlicher Menschenrechtsorganisationen, die sich um den Schutz Verfolgter bemühten und rechtsstaatliche Minimalgarantien einforderten.

Hält man sich vor Augen, wie breit die Trägerschaft der internationalen Kritik am südafrikanischen Regime war und welche Vehemenz sie phasenweise gewann, stellt sich schließlich noch eine weitere zentrale Frage, nämlich die nach den Folgen des Anti-Apartheid-Engagements. Dabei merkt man der geschichtswissenschaftlichen Literatur bisweilen sehr deutlich die sympathisierende Vorstellung an, dass all die moralpolitische Energie doch nicht umsonst gewesen sein könne.[11] Und so weit, die jahrzehntelangen Aktivitäten für folgenlos zu erklären, wird man gewiss auch aus einem analytisch distanzierten Blickwinkel nicht gehen wollen. Internationaler Einsatz bedeutete zunächst einmal eine wesentliche Unterstützungsleistung für die Opposition innerhalb Südafrikas. Sie erhielt finanzielle Hilfe und mediale Aufmerksamkeit, gewann das Gefühl, im Ausland über Verbündete zu verfügen, und wurde auch politisch aufgewertet, als westliche Regierungen Ende der 1980er-Jahre begannen, den ANC als legitimen Gesprächspartner zu akzeptieren. Überdies steigerte die weltweite Stigmatisierung seit den 1970er-Jahren die Kosten für die weiße Minderheitsherrschaft. Der Preis dafür, die Rassendiskriminierung aufrechtzuerhalten, waren die gleichsam permanente äußere Beobachtung, rüstungs- und kulturpolitische Sanktionen sowie eine zunehmende internationale Isolierung.

Allerdings lässt sich ebensowenig übersehen, dass sich das südafrikanische Regime jahrzehntelang mit einer eher noch wachsenden Beharrlichkeit über diese Widrigkeiten hinwegsetzte. Es bediente sich dabei eines breiten Registers an Maßnahmen, das von elaborierter Gegenpropaganda bis hin zu diplomatischen Drohungen – etwa mit einer Hinwendung zur Sowjetunion – reichte. Aus Sicht der Apartheid-Gegner im Ausland hatte dies durchaus kontraproduktive Folgen. Südafrikanische Spitzenpolitiker vermochten den Paria-Status des Landes in einer Weise zu instrumentalisieren, die den inneren Zusammenhalt der weißen Siedlergemeinschaft und den Willen, an der Macht festzuhalten, noch bekräftigte. Die internationalen Sanktionen stärkten das Bestreben nach Autarkie, bei dem das Regime mit dem Aufbau einer leistungsfähigen Waffen- wie auch Nuklearindustrie wichtige Erfolge zu verzeichnen hatte.[12] Bei alledem ließ sich die regierende Minderheit bis weit in die 1980er-Jahre nicht dazu bewegen, ihr rassistisches Herrschaftssystem ernsthaft zu liberalisieren.

Der Grund, warum das Regime am Kap schließlich doch seine Macht abgab, war nicht ein kumulativer internationaler Druck, der sich über Jahrzehnte auftürmte. Das Ende des Apartheidsystems resultierte aus dem unmittelbaren politischen Kontext der späten 1980er- und frühen 1990er-Jahre, in dem sich entscheidende Pfeiler der Regimestabilität abrupt aufzuweichen begannen. In Teilen des Landes drohte die Unregierbarkeit, weil sich die Spirale der Gewalt, die sich Mitte der 1980er-Jahre zu drehen begonnen hatte, nicht mehr stoppen ließ. Gleichzeitig erreichte der zivilgesellschaftliche Protest in westlichen Ländern nun eine derart massenhafte Qualität, dass sich selbst konservative Regierungen zu spürbaren, auch wirtschaftlichen Sanktionen genötigt sahen.[13] Diese Bereitschaft wurde durch das heraufziehende Ende des Systemkonflikts befördert; denn damit verlor Südafrika seine Bedeutung als antikommunistisches Bollwerk in Afrika, von der es jahrzehntelang hatte zehren können.

Will man das globale Ringen um das Apartheidsystem in der internationalen Geschichte der zweiten Jahrhunderthälfte situieren, so muss man es also zunächst de-aggregieren. Verschiedene Phasen und Konjunkturen sind zu berücksichtigen; unterschiedliche Motivationen, Formen und Foren des politischen Aktivismus spielten eine Rolle; differierende Deutungen dessen, wofür Anti-Apartheid-Aktivismus stand, kamen zum Tragen. Erst vor diesem Hintergrund lassen sich die Mosaiksteine in ein größeres Bild wiedereinfügen. Dieses Bild besteht aus den sich wandelnden Symbolismen der Apartheid, den komplexen Dynamiken eines exzeptionellen politischen Kampfes und dem lange Zeit begrenzten Einfluss internationaler Menschenrechtspolitik.

Anmerkungen:

[1] Vgl. allgemein James Barber, South Africa in the Twentieth Century. A Political History, Oxford 1999; Albrecht Hagemann, Kleine Geschichte Südafrikas, München 2001; Robert Ross, A Concise History of South Africa, Cambridge 1999, 2. Aufl. 2008, S. 122-213; Christoph Marx, Südafrika. Geschichte und Gegenwart, Stuttgart 2012, S. 222-290.

[2] Vgl. David L. Hostetter, Movement Matters. American Apartheid Activism and the Rise of Multicultural Politics, New York 2006.

[3] Vgl. Håkan Thörn, Anti-Apartheid and the Emergence of a Global Civil Society, Basingstoke 2006.

[4] Zu den Niederlanden vgl. Stefan de Boer, Von Sharpeville tot Soweto. Nederlandse regeringsbeleid ten aanzien van apartheid, 1960–1977, Den Haag 1999.

[5] Siehe in diesem Heft besonders den Beitrag von Detlef Siegfried.

[6] Vgl. Simon M. Stevens, Warum Südafrika? Die Politik des britischen Anti-Apartheid-Aktivismus in den langen 1970er Jahren, in: Jan Eckel/Samuel Moyn (Hg.), Moral für die Welt? Menschenrechtspolitik in den 1970er Jahren, Göttingen 2012, S. 316-342.

[7] Vgl. United Nations, Department of Public Information, The United Nations and Apartheid, 1948–1994, New York 1994; Mark Mazower, No Enchanted Palace. The End of Empire and the Ideological Origins of the United Nations, Princeton 2009, S. 149-189.

[8] Vgl. dazu und zum Folgenden: Jan Eckel, Die Ambivalenz des Guten. Menschenrechte in der internationalen Politik seit den 1940ern, Göttingen 2014, S. 435-582.

[9] Vgl. Francis Njubi Nesbitt, Race for Sanctions. African Americans against Apartheid, 1946–1994, Bloomington 2004.

[10] Vgl. dazu jetzt Sebastian Tripp, Fromm und politisch. Christliche Anti-Apartheid-Gruppen und die Transformation des westdeutschen Protestantismus 1970–1990, Göttingen 2015.

[11] Vgl. abgewogen: Roger Fieldhouse, Anti-Apartheid. A History of the Movement in Britain. A Study in Pressure Group Politics, London 2005, bes. S. 480-487.

[12] Vgl. Neta C. Crawford/Audie Klotz (Hg.), How Sanctions Work. Lessons from South Africa, Houndmills 1999.

[13] Vgl. Claudius Wenzel, Südafrika-Politik der Bundesrepublik Deutschland 1982–1992. Politik gegen Apartheid?, Wiesbaden 1994.

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