Heft 1 / 2009
Aufsätze | Articles
West German Miracles
Catholic Mystics, Church Hierarchy, and Postwar Popular Culture
AbstractNach dem Zweiten Weltkrieg zeigten westdeutsche Katholiken eine ausgeprägte Neigung, an religiöse Wunder zu glauben – stärker als in anderen Phasen der modernen Geschichte. Im Zeitraum 1945–1954 berichteten Pfarreien von elf Marienerscheinungen und einem vielbeachteten Fall angeblicher Stigmata am Körper einer Gläubigen. Die bisherige Forschung hat die Popularität der vermeintlichen Wunderereignisse im Kontext des Zweiten Weltkriegs und seiner Folgen sowie des Kalten Kriegs interpretiert. Der Aufsatz ergänzt und differenziert dieses Bild: Die im Zusammenhang mit Marienvisionen entstehende breite Bewegung aus Landfrauen, örtlichen Priestern, KZ-Überlebenden und ehemaligen Kriegsgefangenen war nicht nur eine Reaktion auf den Kalten Krieg, sondern auch auf Amerikanisierung, die entstehende Konsumgesellschaft und die NS-Vergangenheit. Um die oft scharfen Anerkennungskämpfe zwischen Marienpilgern und kirchlicher Hierarchie genauer zu analysieren, stützt sich der Beitrag auf Pierre Bourdieus Konzept des „religiösen Felds“ und berücksichtigt zudem geschlechtergeschichtliche Aspekte dieser Auseinandersetzungen.
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After the Second World War, West German Catholics placed more faith in religious miracles than they did at almost any other period in the modern era. West German congregations reported eleven apparitions of the Virgin Mary to Church officials be-tween 1945 and 1954, as well as Europe’s most prominent twentieth century case of stigmata. Existing scholarship links the popularity of these alleged miracles to the ways in which Marian symbolism articulated anxieties about war trauma and the Cold War. This article illustrates how an interconnected movement of rural women, provincial priests, concentration camp survivors, and former prisoners of war based around Marian visions and stigmata emerged as a reaction not only to the Cold War, but also to Americanisation, consumerism, and the Nazi past. To frame the bitter conflicts between Marian pilgrims and Church hierarchy about the recognition of religious miracles, the article utilises Pierre Bourdieu’s concept of ‘religious field’. It also takes into account the gendered character of the conflicts.Konsum und Gesellschaft
Werbung, Konsumkritik und Verbraucherschutz in der Bundesrepublik der 1960er- und 1970er-Jahre
AbstractDie Frage nach den sozialen Effekten des Massenkonsums spielte für Marktforschung, Marketing, Werbung, Konsumkritik, Verbraucherschutz und Verbraucherpolitik in der Bundesrepublik eine entscheidende Rolle. Der Aufsatz nimmt die 1960er- und 1970er-Jahre in den Blick: Die zuvor populäre These, der Massenkonsum habe nach dem Zweiten Weltkrieg die sozialen Hierarchien eingeebnet, verlor nun an Bedeutung. Stattdessen entwickelten Marktforscher, Werbefachleute und Verbraucherschützer das Modell einer Gesellschaft, die sich durch die symbolische Dimension von Konsumgütern erneut ausdifferenziere. Im vorliegenden Beitrag werden die Theoreme der sozialen Nivellierung bzw. Differenzierung als zeitgebundene Deutungsmuster herausgearbeitet sowie mit der Praxis der zeitgenössischen Marktforschung, des Marketings und des Verbraucherschutzes in Beziehung gesetzt. Den Höhepunkt der Auseinandersetzung um Konsum und Gesellschaft markierten die 1970er-Jahre, als massive Konsumkritik die Werbung in eine Krise führte, während der Verbraucherschutz seinen Durchbruch erlebte.
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The question of the social effects of mass consumption played a crucial role for market research, marketing, criticism of consumerism, consumer protection and consumer policy in the Federal Republic of Germany. This article deals with the 1960s and 1970s. The popular assumption of the 1950s that mass consumption led to the leveling of social hierarchies became less important. Market researchers, marketing experts and consumerists developed a new model of society structured by the symbolic dimension of consumer goods. The article explores the assumptions underlying social leveling and distinction as time-dependent propositions and relates them to the historical practices of market research, marketing, criticism of consumerism and consumer protection. The 1970s marked the climax of this debate about consumption and society. Fierce criti-cism of consumerism plunged the advertising industry into a crisis, while consumer protection achieved a breakthrough.Das Mao-Porträt
Herrscherbild, Protestsymbol und Kunstikone
AbstractDer Aufsatz skizziert die Geschichte und die Veränderungen eines der bedeutendsten Porträts der Zeitgeschichte: des Mao-Porträts auf dem Platz des Himmlischen Friedens (Tiananmen-Platz) in Peking. Er spannt den Bogen von 1949 bis in die Gegenwart und untersucht dabei die unterschiedlichen Funktionen und Gebrauchsweisen des Bildes als Herrschaftssymbol, als Ikone der studentischen Protestbewegungen des Westens und der Pop Art um 1968, als kollektivem Protestobjekt im Frühjahr 1989, als Motiv der chinesischen Gegenwartskunst sowie als Bestandteil des Alltagskults. Ein besonderer Akzent wird dabei auf die immanenten Wirkungspotenziale des Bildes und den Ort seiner Präsentation gelegt. In allgemeinerer Perspektive versteht sich der Aufsatz als Plädoyer für eine Visual History von Herrscherbildern der Zeitgeschichte.
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The article presents an outline of the history and changes of one of the most significant portraits of contemporary history: the Mao portrait in Tiananmen Square in Beijing. It spans the divide from the beginnings in 1949 to the present day and analyses the varying functions and usages of the portrait as a symbol of political rule, as an icon both of Western student protest movements and of pop art, as an object of collective protest in spring 1989, as a leitmotif of contemporary Chinese art, and as an element of everyday cult. Special emphasis is placed on the immanent impact of the picture and its geo-graphic location. In a broader perspective, the article pleads for a visual history of portraits of political rulers in contemporary history.
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