Berlin, die geteilte Stadt: Ein Topos in deutschen Reiseführern des 20. Jahrhunderts

Anmerkungen

„Großstädte sind unbestimmte Verheißungen“, schreibt Curt Moreck in seinem „Führer durch das ‚lasterhafte‘ Berlin“ aus dem Jahr 1931. „Sie sind Konglomerate von unendlichen Möglichkeiten. Sie sind Labyrinthe, in denen die schönsten Straßen einen nicht ahnen lassen, wohin sie einen führen werden. Wen das Land hineinstößt, der fühlt sich hilflos und wird plötzlich von der Angst überfallen, das zu versäumen, was er kennenlernen möchte, das zu verpassen, was ihm einen Gewinn an Vergnügungen verspricht. [...] Man muß in diesem rauschenden Strudel untertauchen, sich darin verlieren, aber nicht ohne sich wiederzufinden. Man muß den Irrwegen nachgehen, aber nicht ohne das Ziel zu kennen. Man wird sich nach einem Führer umsehen müssen. Ohne den Führer verliert man kostbare Zeit, die man besser dem Genuß widmet. Man muß sich die Erfahrungen anderer zunutze machen.“1
 

Cover des Reiseführers von Curt Moreck

Das Cover des Reiseführers von Curt Moreck (Anm. 1) zeigt eine leichtbekleidete Frau, die mit dem Berliner Bären auf dem Stadtwappen tanzt. Beim ersten Blick wird klar, was den Leser erwartet.

Wer heute durch die Berliner Buchläden schlendert, vorzugsweise jene in den touristischen Vierteln an der Friedrichstraße und am Kurfürstendamm, sieht sich dem Angebot unzähliger Reiseführer gegenüber. Es dürfte kaum einen Berlin-Besucher geben, der sich nicht mit einem jener kleinen Bücher ausstattet und den Erfahrungen der anderen vertraut, um sich Orientierung in dieser Stadt zu verschaffen. Auch der Berliner selbst wird den einen oder anderen Reiseführer auf dem heimischen Bücherbord stehen haben - und sei es nur, um sich schnell ein wenig Kenntnis über seine Stadt und ihre Sehenswürdigkeiten anzulesen, bevor sich der Besuch aus der Provinz bei ihm einnistet und erwartungsvoll den Erläuterungen aus berufenem Mund des vermeintlich Ortskundigen entgegensieht.

Nicht von ungefähr bildete sich die Gattung der Reiseführer, wie wir sie heute kennen, gleichzeitig mit der Entstehung des Tourismus im 19. Jahrhundert heraus. Die Geschichte der Reiseführer nahm ihren Anfang mit dem Engländer John Murray und dem Deutschen Karl Baedeker, deren Namen heute synonym für diese literarische Gattung schlechthin stehen. Murray und Baedeker wollten sich abgrenzen von den früheren Reiseerzählungen, die durch ihre subjektive Auswahl des Erlebten nicht mehr dem Bedürfnis des „modernen“ Reisenden nach schnell zugänglicher Information entsprachen. An die Stelle ausschweifender Erzählkunst trat die knappe, Objektivität beanspruchende Zusammenstellung von Fakten. Die Baedeker-Sternchen für ausgewählte Sehenswürdigkeiten erleichterten fortan die Orientierung und halfen dabei, die knapp bemessene Urlaubszeit sinnvoll zu nutzen.2
 

Cover des „Baedeker“

Die als besonders wichtig eingestuften Sehenswürdigkeiten Berlins sind gleich auf dem Cover des „Baedeker“ von 1987 abgebildet. Der Untertitel lautet: „Das umfassende Standardwerk für Touristen, Geschäftsreisende und Berliner“. Damit suggeriert der „Baedeker“ die knappe, nüchterne und umfassende Information, die er zu seinem Markenzeichen gemacht hat.
 

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Da Reiseführer vor allem Fakten zu präsentieren scheinen und oftmals in stakkatohaftem Stil Jahreszahlen zu Politik und Gesellschaft, besonders aber zur Architekturgeschichte aneinanderreihen, werden sie als kundige Weggefährten wahrgenommen, denen man bereitwillig vertraut. Reiseführer reduzieren Komplexität, um das Chaos der Stadt begreifbar zu machen. Kaum einem Reisenden ist aber bewusst, dass Reiseführer die Wahrnehmung des Beschriebenen maßgeblich bestimmen, dass sie die vielfältigen und gegensätzlichen Eindrücke kanalisieren, mit denen die Stadt den Besucher überwältigt, dass sie die Schritte und den Blick lenken, schließlich vorgeben, was man gesehen haben muss. Eine „Sehenswürdigkeit“ besucht zu haben wird umso stärker zur Pflicht, je mehr Sterne ihr der Reiseführer verleiht. So sind dem touristischen Besuch der Stadt und den Erfahrungen, die der Tourist macht, stets die Beschreibungen und die Zuschreibungen der Reiseführer vorgelagert.3

Aus historiographischer Sicht bieten Reiseführer ein faszinierendes Material für die Geschichte der Imagination und Wahrnehmung von Landschaften und Städten. Sie zeigen, wie sich der Blick auf Städte, Länder oder Regionen gestaltete, worin zu bestimmten Zeiten das Besondere, Fremde, aber auch das Selbstverständliche gesehen wurde.4 Reiseführer präsentieren Ordnungsversuche und Ordnungsvorstellungen, die mit politisch-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verbunden sind, zugleich aber auch einer eigenen Logik folgen.

Besonders deutlich wird dieser Zusammenhang bei explizit politischen Reiseführern, welche die Touristenströme gerade zu jenen Orten lenken, an denen das jeweilige System seine Legitimität herausstreichen kann. Während im NS-Staat ein Berlin-Reiseführer „durch die Gedenkstätten des Kampfes um die Reichshauptstadt“ im Auftrag der Obersten SA-Führung erschienen war, um den Sieg des Nationalsozialismus an konkreten Orten zu demonstrieren,5 so erklärte ein englischsprachiger Reiseführer 1946 den US-amerikanischen Besatzungssoldaten wiederum ihren Sieg an historischen Stätten.6 In der DDR erschien zum Beispiel 1956 ein Reiseführer durch die „fortschrittlichen Traditionen“ Berlins.7 15 Jahre nach der deutschen Einheit legten Manfred Görtemaker, Michael Bienert und Marko Leps einen „historisch-politischen Wegweiser“ zu den „Orten der Demokratie“ in Berlin vor.8 Obwohl alle vier ge-nannten Bücher im Wesentlichen dieselben städtischen Orte beschreiben, könnten die Perspektiven und Inhalte unterschiedlicher kaum sein.

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In diesem Beitrag sollen allerdings vermeintlich unpolitische Reiseführer aus dem späten 19. und dem gesamten 20. Jahrhundert im Vordergrund stehen, die in der Tradition des Baedekers als sachliche Begleiter verstanden werden wollen.9 Bei einem solchen Längsschnitt ist es nicht überraschend, dass sich viele Textinhalte und Bildaussagen wandelten, weil sich das Gesicht der Stadt und die Betrachtungsweisen änderten. Manche Be- und Zuschreibungen bleiben aber kontinuierlich bestehen, wenngleich sie mitunter anders formuliert oder an veränderten Orten der Stadt festgemacht werden. Erstaunliche Kontinuität erlangte dabei ein Topos, der in den Berlin-Reiseführern des gesamten 20. Jahrhunderts immer wieder aufgenommen wurde: die Teilung der Stadt.

Literaten und Verfasser von Reiseführern wurden und werden nie müde zu betonen, dass es die Stadt Berlin nicht gebe.10 Der Topos taucht jedoch keinesfalls erst mit der „tatsächlichen“, politischen Teilung Berlins in Ost und West auf, wie man vermuten könnte. Er findet sich bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts und damit in jener Zeit, als Berlin zur Metropole wurde und eine chaotische Unübersichtlichkeit hervorbrachte. Die (Zwei-)Teilung der Stadt ist seitdem der dominierende Versuch geblieben, Ordnung zu schaffen; er zieht sich durch die Reiseführer und erweist sich von einer erstaunlichen Stabilität, welche die unterschiedlichen Systeme mit ihren eigenen Berlin-Imaginationen sowie die politische Teilung Berlins gleichsam überwölbt.

Der von Ernst Friedel verfasste, 1885 bereits in 31. Auflage erschienene Reiseführer „Berlin, Potsdam und Umgebungen“ befasste sich noch beinahe ausschließlich mit dem als „Berliner Westen“ bezeichneten Stadtgebiet „vom Schlosse bis zum Brandenburger, Potsdamer und Anhaltischen Thore, und vor diesen Thoren, besonders der Theil zwischen dem Kanal und dem grossen herrlichen Park ‚der Tiergarten‘“. Hier - im heutigen Berlin-Mitte - finde man den „eleganteste[n] Theil von Berlin“: „Die prächtige Strasse ‚Unter den Linden‘ ist der Brennpunkt des eleganten Verkehrs und gewährt mit ihrer geraden Verlängerung bis zum königlichen Schlosse einen Anblick, wie ihn kaum eine zweite Stadt aufzuweisen hat.“11 Zu den Gebieten des heutigen Berliner Westens (vor allem der damals noch eigenständigen Stadt Charlottenburg) musste Friedel weitgehend schweigen, denn die Entwicklung des Gebiets um den Kurfürstendamm hatte gerade erst begonnen. Noch gab es dort nichts, was ein Reiseführer hätte erwähnen müssen - abgesehen vom Tiergarten, dem Zoo und dem Charlottenburger Schloss, die Friedel pflichtbewusst, aber nur beiläufig beschreibt.

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Anders stellte es sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts dar. In den vorhergehenden Jahren war Berlin erheblich gewachsen, hatte sich nach Westen ausgedehnt und begann eine moderne Weltstadt zu werden. Zwar lässt sich die Wandlung Berlins zur Metropole in einem Reiseführer aus dem Jahr 1910 noch nicht unmittelbar an einer quantitativen Zunahme der beschriebenen Sehenswürdigkeiten im Westen erkennen. Noch immer wird nur eine knappe Handvoll dortiger Sehenswürdigkeiten angeführt; neben das Schloss Charlottenburg sind lediglich die Technische Hochschule und das Charlottenburger Rathaus getreten - sowie das Kaufhaus des Westens, dessen Name schon Symbol ist für die sich nun abzeichnende Teilung der Stadt. Einleitend befassten sich die Autoren des Reiseführers von 1910 in bisher nicht gekannter Ausführlichkeit mit dem neuen „Berliner Westen“, der nun postalisch korrekt als „Berlin W.“ bezeichnet wurde. „Sein gesellschaftlicher Mittelpunkt ist der schon zu Charlottenburg gehörende Kurfürstendamm, eine schöne breite, baumbestandene Allee [...]. Sonntag mittag ist hier, hauptsächlich an der schönen Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche ein eleganter Fußgängerkorso, wo sich ‚Tout Berlin W‘ trifft, während in der Woche jeden Abend zur Dämmerstunde in der ebenfalls auf die K.W.-G.-Kirche mündenden Tauentzienstraße ein ‚Laden-Bummel‘ stattfindet, der der Gegend einen eigenartigen Charakter gibt.“12

So trat der Westen mit seinem lauten, schnellen Treiben dem alten Berlin in seiner stillen, langsamen Eleganz gegenüber. Während im Westen schon eine Weltstadt entstand - oder dies in Reiseführern zumindest suggeriert wurde -, verharrte die Gegend um die Straße „Unter den Linden“ im kaiserlich Nationalen. Nicht von ungefähr wurde gerade jetzt der Kaiser zur touristischen Attraktion dieser Straße: „Wer Glück hat, kann auch den Kaiser im gelben Auto, weithin kenntlich durch den Doppelklang des Hupensignals und die Kaiserstandarte, schnell vorbeifahren sehen.“13

Als hätte es die Expansion der Stadt in den Westen nicht gegeben, konzentrierte sich die deutliche Mehrzahl der Reiseführer aus der Weimarer Republik auf den heutigen Bezirk Mitte. Schon die Titel „Wanderungen durch Alt-Berlin“, „Führer durch Alt-Berlin“ oder „Schönes altes Berlin“ weisen auf diese Schwerpunktsetzung.14 Sie kommt selbst in Reiseführern zum Ausdruck, die sich ausdrücklich ganz Berlin zuwenden wollten - wie beispielsweise in dem von Franz Lederer verfassten, 1925 erstmals in der Terramare-Reisebücher-Reihe erschienenen Berlin-Führer.15 Dabei beschrieb Lederer vor allem die „Residenzstadt Berlin“. Ohne Umschweife wurde klar formuliert, warum das Berlin östlich des Brandenburger Tors gerade nach dem Ersten Weltkrieg so viel Aufmerksamkeit erfuhr: „Was den preußischen Staat und seine Hauptstadt groß gemacht hat, erleben wir auf dem ganzen Gange durch die Residenz.“16

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In der Konzentration auf das alte Berlin drückten sich eine versuchte Kompensation der Niederlage von 1918 und eine Abwehrhaltung gegen die modernen Strömungen der Weimarer Zeit aus. Denn je mehr der Ausgang des Ersten Weltkriegs und der Vertrag von Versailles als nationale „Schmach“ empfunden wurden, desto stärker musste die „Via triumphalis“ zu einem nationalen Symbol werden. „Mächtiger aber als der Genius der Kunst ergreift uns der Geist der Geschichte. Brandenburger Tor und Linden! Siegeswagen und Via triumphalis! Wir stehen auf historischem Boden. Die Höhepunkte preußisch-deutscher Geschichte haben hier ihren lautesten Widerhall gefunden. Tage des Sieges und des Ruhmes, aber auch der Trauer und des Schmerzes, wurden hier am stärksten empfunden.“ Diese Versuche, die traumatisch erlebte jüngste Geschichte zu kompensieren, hört der heutige Leser in nahezu jeder Zeile heraus. Friedrich der Große wurde zum „Nationalheld“ und „Begründer und Inbegriff vaterländischer Größe“; bei der Neuen Wache liest man: „Die Neue Wache ohne Soldaten! Kann man drastischer unsere militärische Ohnmacht darstellen?“17 So wurde Berlin-Mitte zum Symbol einer angeblich glorreichen Vergangenheit und deprimierenden Gegenwart, zur historischen Staffage einer konservativen, antimodernen und antirepublikanischen Weltanschauung, die in Reiseführern der Weimarer Republik dominierte. Den Kurfürstendamm betrachtete Lederer hingegen als Triumphstraße des Kommerz, der Vergnügungen, des Geistlosen - kurzum der Dekadenz und der drohenden Vergänglichkeit. „Das Odium einer überhasteten Entwicklung haftet ihm an. Es beschränkt sich keineswegs auf die Schwächen der Architektur; auch das gesellschaftliche Leben trägt den Zug eines übermäßigen Luxus, der bisher den Berlinern fremd war und erst hier neu geschaffen wurde.“18 Der Kurfürstendamm stand symbolisch für den Zerfall der deutschen Gesellschaft.

Die äußerst einseitige Beschreibung Berlins in den Reiseführern der Weimarer Republik, die eher Sehnsucht für die kaiserliche Verganenheit ausdrückten als durch das Berlin der Gegenwart führen wollten, musste die Entstehung einer Gattung von Reiseliteratur beflügeln, die man heute am ehesten als alternative Reiseführer bezeichnen kann. 1931 legte der Schriftsteller Curt Moreck ein solches Buch mit dem bezeichnenden Titel „Führer durch das ‚lasterhafte‘ Berlin“ vor. Darin hieß es: „Jede Stadt hat eine offizielle Seite und eine inoffizielle, und es erübrigt sich, zu sagen, daß die letztere die interessantere und für das Verständnis eines Stadtwesens aufschlußreichere ist. [...] Wer Erlebnisse sucht, Abenteuer verlangt, Sensationen sich erhofft, der wird im Schatten gehen müssen. [...] Die offiziellen Stellen präsentieren dem Reisenden einen Führer, der ihn in ermüdender Folge zu allen repräsentativen Stätten weist, der dem Eifer dessen dienen will, welcher es als einen unersetzlichen Verlust ansieht, wenn er an einem Denkmal, an einem Gebäude, einer Oertlichkeit achtlos vorübergegangen ist, daran irgend eine historische Erinnerung sich knüpft. Oh, über dieses historische Erinnerungen! Es sind die Meilensteine der Langeweile. Sie konservieren die Vergangenheit, sie sind das mumifizierte Gestern. Reisen aber heißt, die Gegenwart in ihrer Intensität zu erleben.“19

„Alternativ“ war der Reiseführer vor allem deshalb, weil er explizit der Geschichte die Gegenwart gegenüberstellte. Folgerichtig führte Moreck den Berlin-Besucher nicht nur in die Mokkadielen und Kaffeehäuser, Kinos, Rummelplätze und Variétés, sondern begleitete ihn in das Berliner Nachtleben mit seinen Tanzpalästen, Kaschemmen, in Nachtbadeanstalten [sic] und die Stammlokale der Homosexuellen sowie in die Unterwelt. Vor allem aber begleitete Moreck den Besucher in den Westen Berlins, den er vom rückwärtsgewandten Osten abgrenzte. „Der Kurfürstendamm ist Berlin, das heutige, das lebendige, gegenwartssichere Berlin“, schrieb Moreck. Der Kurfürstendamm sei „die jugendlichste Straße Berlins, die frische Blutader des neuen Westen. Hier herrscht die Jugend, und unter ihrer Devise verjüngt sich, was die Grenzen eigentlich überschreitet.“20 Eine Auseinandersetzung mit der unmittelbaren Vergangenheit fand auch hier nicht statt; gefeiert wurden die vermeintlich „Goldenen Zwanziger“. Trotz deutlicher Abgrenzung von den konservativ geprägten Reiseführern schrieb zudem auch Moreck die Teilung der Stadt fort.
 

Gegend um den Kurfürstendamm

Ausführlich beschreibt Curt Moreck die Gegend um den Kurfürstendamm als Ort der Gegenwart um 1930. Hier sei das „lasterhafte“ Berlin zu finden. Im Text heißt es: „Die Sensation ist für den modernen Menschen Bedürfnis. Er braucht sie als Menschenpeitsche, er braucht sie, wie der Süchtige seine Spritze.“
(aus: Moreck, Führer [Anm. 1], S. 76f.)

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Morecks Reiseführer und seine anderen Schriften wurden von den Nationalsozialisten 1933 verbrannt und verboten.21 Damit verschwanden für die Zeit des Nationalsozialismus die positiven Beschreibungen des Berliner Westens. Bei aller Skepsis, die die Nationalsozialisten generell der Stadt Berlin entgegenbrachten, setzten sich in den Reiseführern die nationalen Konnotationen des alten Berlins fort. Keinen Widerspruch duldete etwa der Berlin-Band der Reihe „Grieben Reiseführer“ aus dem Jahr 1936: „Heute ist die Friedrichstadt mehr denn je das unbestrittene Zentrum des Reiches.“22 Als nationale Symbole beschrieben wurden wie zuvor das Brandenburger Tor, das Palais Kaiser Wilhelms I., die Staatsbibliothek, das Denkmal Friedrichs des Großen, die Friedrich-Wilhelm-Universität, die Staatsoper, das Zeughaus und der Dom. Hinzu trat eine neue „Sehenswürdigkeit“, die der Größe des Reiches besonderen Ausdruck verleihe: Wohl niemand betrete die Wilhelmstraße, hieß es, „ohne den lebhaften Wunsch, den Mann zu sehen, dessen starke Persönlichkeit zum Sinnbild des neuen Deutschland geworden ist und der von hier aus die Geschicke des Reiches lenkt: den Führer und Reichskanzler Adolf Hitler. [...] Und der Platz vor diesen Fenstern ist fast immer mit wartenden Menschen umsäumt, die den Führer sehen und ihm zujubeln wollen.“23 Wie vormals der Kaiser im gelben Auto wurde Hitler am Fenster der Reichskanzlei zur Sehenswürdigkeit. Wie es Sehenswürdigkeiten eigen ist, kommt es auch hier weniger darauf an, welchen faktischen Bestand die Sehenswürdigkeit hat, sondern was die Betrachtenden mit ihr verbinden. So gründete die Faszination des Kaisers Unter den Linden und des „Führers“ am Fenster der Reichskanzlei weniger darin, die Person tatsächlich zu sehen, als im erwartungsvollen Gefühl, dass man sie sehen könnte.

Die Abneigung gegenüber den Westen wusste der Grieben-Reiseführer in sachlichem Stil zu verhüllen: „In den letzten Jahrzehnten beherrschte der ‚Zug nach dem WESTEN‘ die Entwicklung Berlins. [...] Besonders der Kurfürstendamm wurde zum Korso des mondänen Berlin und der Fremden aus aller Welt.“24 Der im Auftrag der SA publizierte Reiseführer von 1937 stellte zu diesem Stadtteil lakonisch fest: „Schon vor dem Weltkrieg stark verjudet.“25

Somit war die Ost-West-Teilung Berlins in den Reiseführern längst vollzogen, bevor die Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg politisch geteilt wurde und der Mauerbau 1961 unüberwindliche Tatsachen schuf. In der DDR bediente man sich lange Zeit nur gelegentlich der bekannten Muster früherer Berlin-Literatur; beispielsweise wurde die Straße „Unter den Linden“ in bewusster Abgrenzung zum Kurfürstendamm einmal mehr als „schönste Promenade Berlins“ bezeichnet.26 Doch bis in die 1980er-Jahre fanden weder historische Orte im Allgemeinen noch die „Linden“ im Besonderen größere Beachtung. Zwar kannten auch die Reiseführer aus der DDR die Fülle historischer Denkmäler an der Straße „Unter den Linden“ und versuchten ihnen nun „fortschrittliche Traditionen“ zuzuschreiben.27 Doch der Schwerpunkt der Darstellung wurde von den „Linden“ weiter in den Osten zur Stalinallee bzw. Karl-Marx-Allee verlagert. „Im Mittelpunkt des Interesses [stehen] moderne Hochhäuser, Filmtheater, Geschäfte. Hier zeichnet sich das sozialistische Gesicht unserer Stadt, ihre Zukunft schon deutlich ab.“ Die Karl-Marx-Allee sei „erstes, schon wieder Geschichtsdokument gewordenes Zeugnis der Überwindung der Hinterhöfe und der Ruinen, Zeugnis des vor 20 Jahren begonnenen Aufbaus“.28 Als Krönung dessen beinhalteten die Vorschläge für Besichtigungen im „Brockhaus-Stadtführer Berlin. Hauptstadt der DDR“ von 1966 bei einem eintägigen Aufenthalt neben dem Besuch des sowjetischen Ehrenmals in Treptow und einem Spaziergang durch die Karl-Marx-Allee nicht etwa reale Stadterkundungen, sondern den Besuch des Informationsbüros, wo ein Modell der zukünftigen Stadt zu sehen war.29 Im Verhältnis zu Geschichte und Gegenwart gewann die Zukunft Priorität; DDR-Reiseführer beschrieben primär das, was sein werde, und nicht das, was vorhanden war. Damit wurde freilich die Funktion des Reiseführers konterkariert, Orientierung zu bieten in der Gegenwart.30 In zweifacher Weise - räumlich und zeitlich - grenzte sich die DDR damit von den alten, nationalen Zuschreibungen der „Linden“ ab. Der „Zukunft zugewandt“ erschloss sie dem Tourismus neue Räume, in denen der Sozialismus erlebbar werden sollte.
 

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Der Wächter der selbsternannten Friedensmacht

Nicht die Neue Wache, sondern der Wächter der selbsternannten Friedensmacht DDR wird hier in Szene gesetzt. Betont wird das militärische Erbe der DDR, die auch als preußischster deutscher Staat bezeichnet worden ist.
(aus: Klaus Weise/Helmut Edelhoff, Berlin, Hauptstadt der DDR. A bis Z, Leipzig 1976, S. 190.)

Fremde Welt

Auch in einem alternativen, westdeutschen Reiseführer dominieren bei der Darstellung der Neuen Wache die Soldaten der Nationalen Volksarmee. Der Text baut jedoch eine deutliche Distanz auf: „Fahren Sie […] hinüber in das andere Deutschland, in eine fremde Welt, und rasen Sie nicht hysterisch allzu schnell wieder fort, weil Sie dieses andere Deutschland bedrückt.“
(aus: Kardorff/Sittl, Berlin [Anm. 40], S. 70f.)

Der Schlossplatz

Der Schlossplatz wird in diesem Reiseführer ausführlich dargestellt. Bereits visuell sticht jedoch die Betonung des „Neuen“ in der DDR hervor, wenn dem Schloss der „Palast des Volkes“ gegenübergestellt wird.
(aus: Hans Prang, Durch Berlin zu Fuß, Berlin [Ost] 1990, S. 86f.)

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Erst in den 1980er-Jahren nahmen die DDR-Reiseführer im Zuge der Preußen-Renaissance die „Linden“ wieder verstärkt in den Blick. Sie betonten die Wiederaufbauleistungen, welche die DDR in einer Zeit erbracht habe, „als die Kriegsschäden in der Volkswirtschaft noch längst nicht überwunden waren und es noch an vielem mangelte“. Die Lenin-Gedenkstätte im Museum für deutsche Geschichte, das „Mahnmal für die Opfer des Faschismus und Militarismus“ in der Neuen Wache, die Botschaft der UdSSR und die Humboldt-Universität machten die „Linden“ nicht nur zu einem „Touristenmagnet[en] ersten Ranges“.31 Dort konnte sich die DDR in ihren letzten Jahren auch als derjenige deutsche Staat darstellen, in dem „Altes und Neues in Harmonie vereint“ sei.32 Den Höhepunkt dieser behaupteten Vereinigung stellte das 1987 mit Versatzstücken in historisierender Plattenbauweise errichtete Nikolaiviertel dar.33 West-Berlin hingegen wurde in den Reiseführern der DDR weder auf den Kartenabbildungen dargestellt noch im Text beschrieben. Allenfalls in den historischen Rückblicken finden sich die üblichen Formulierungen über die „Abenteuerpolitik des Imperialismus in der BRD“, die letztlich den Mauerbau notwendig gemacht habe.34
 

Ost-Berliner Reiseführer

Ost-Berliner Reiseführer betonten das „sozialistische Berlin“, verkörpert etwa durch Weltzeituhr und Palast der Republik, aber auch die „Prachtstraße Unter den Linden“. In diesem Inhaltsverzeichnis von 1990 fällt auf, dass auch die 1988 wiedereröffnete Synagoge in der Oranienburger Straße als Ziel genannt wird (Route H). Und im Impressum findet sich eine kleine, bemerkenswerte Notiz: „Nach Redaktionsschluß haben sich zur Freude der Berliner und ihrer Gäste auch für die Stadt Berlin durch die Öffnung der Grenzen am 9. November 1989 zahlreiche Veränderungen ergeben. Diese konnten in der vorliegenden Publikation nicht mehr berücksichtigt werden. Hier können wir nur auf Ihr Verständnis rechnen.“
(aus: Hans Prang, Durch Berlin zu Fuß, Berlin [Ost] 1990.)
 

Anders sah es in den Berlin-Führern aus, die in der Bundesrepublik erschienen. Sie hatten bereits seit den 1950er-Jahren in der Regel zwei voneinander getrennte Teile, in denen Ost- und West-Berlin beschrieben wurden. Die Feststellung: „Berlin hat heute zwei ganz verschiedene Gesichter“35 bezog sich fortan ausschließlich auf die politische Teilung. Bezeichnenderweise wurden diese „verschiedenen Gesichter“ aber mit eben jenen Topoi beschrieben, die sich seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts herausgebildet hatten.

„Was der Kurfürstendamm eigentlich ist? Natürlich eine Straße, und zwar eine Straße mit eleganten Geschäften, Restaurants - mit und ohne Vorgärten - und Hotels, Kinos, zwei Theatern (‚Komödie‘ und ‚Theater am Kurfürstendamm‘), dem Französischen Kulturzentrum Maison de France und dem British Center. Aber es ist viel mehr als nur eine Straße, nämlich der erste Boulevard Berlins. [...] Was vor 60 Jahren einmal die ‚Linden‘, die Leipziger und die Friedrichstraße waren, ist heute allein und zusammen der Kurfürstendamm. In den Reiseführern von 1890 war er noch nicht einmal erwähnt.“36 Ähnliches hatte man schon 25 Jahre zuvor bei Moreck gelesen. Wieder symbolisierte der Kurfürstendamm die Gegenwart; jetzt zeige sich hier das Wirtschaftswunder. Spätestens in den 1980er-Jahren mussten aber auch die Reiseführer anerkennen, dass die glänzenden Zeiten des Kurfürstendamms längst vorbei waren; die Beschreibung geriet beinahe zur Verlustgeschichte. „Der Wiederaufbau der Nachkriegszeit hat dem Kurfürstendamm das weltstädtischen Flair von einst nur unvollkommen zurückgeben können“, hieß es 1987.37 Die Straße interessierte nur noch in Erinnerung an die wenigen „Goldenen Jahre“ der Weimarer Republik.
 

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Das schillernde, schräge Leben am Kurfürstendamm

Das schillernde, schräge Leben am Kurfürstendamm, das Curt Moreck beschrieben hat, lebt auch in alternativen Reiseführern der 1980er-Jahre fort: „Westberlins Vergnügungsmeile – in der Fläche riesig – erstreckt sich vom Grunewald über Charlottenburg, Tiergarten und Schöneberg bis nach Kreuzberg, wo sie freilich schäbiger und abgründiger wird. Sie ist zugleich Abbild der Bewohner […].“
(aus: Kardorff/Sittl, Berlin [Anm. 40], S. 46f.)

Das „alte“ Berlin machten die westlichen Reiseführer im Osten aus, wobei sie vor allem bei der Beschreibung der „Linden“ auf das Kaiserreich abstellten. Auch hier wurde eine nostalgisch verklärte Verlustgeschichte erzählt. 1955 konstatierte Matthias Riehl: „Die Zeugen der Vergangenheit Berlins standen im Bezirk Mitte. Von der berühmten Straße Unter den Linden blieben nur wenige Gebäude links und rechts erhalten. Die früher belebte Prachtstraße Berlins ist öde und leer.“38 Öde und leer wirkten aber auch die Beschreibungen, denn die Gegenwart der DDR-Hauptstadt wurde in den Darstellungen des Ost-Berliner Boulevards kaum eines Blickes gewürdigt. Für die westlichen Autoren bestand die Straße „Unter den Linden“ allein aus dem, was sie früher gewesen war: „Berlins berühmteste (und einstmals schönste) Straße“.39

Mit ähnlich gegenwartsbezogenem Schwung, wie Curt Moreck schon 1931 gegen die althergebrachten Reiseführer zur Felde gezogen war, entstanden seit den 1970er-Jahren wiederum alternative Reisebücher, die sprachlich, inhaltlich und gestalterisch neue Wege für die Touristen erschließen wollten. Sie wandten sich der Alternativ- und Subkultur zu und begleiteten die Touristen in manchen Stadtteil, der in herkömmlichen Reiseführern nicht einmal erwähnt wurde. Doch auch die alternativen Reiseführer konnten Kurfürstendamm und die Straße Unter den Linden nicht ausblenden. Zwar druckten sie andere Fotos - so wurde etwa nicht die Gedächtniskirche, sondern der schräge Saxophonspieler vor der Kirche großflächig abgebildet. Doch im Kern reproduzierten sie in ihrer oftmals erfrischenden Sprache nur die Klischees, die andere Reiseführer längst geprägt hatten. Auch die alternativen Reiseführer bedienten den Mythos Kurfürstendamm: „Tag und Nacht quirlt er vor Leben, schieben sich die Massen über das breite Trottoir, hat man noch immer das Gefühl, gleich um die Ecke komme das große Abenteuer.“40 Zwei Seiten weiter schrieben die Autorinnen dieses Reiseführers die Verlustgeschichte fort: „Schauen Sie sich genau das Konglomerat dieser von Architekten entstellten Straße an, ohne Stil und Stolz. Es peept und pornot, showt, hamburgert und cocacolert, daß es den Nostalgiker melancholisch stimmt.“ Ähnlich verhielt es sich mit der Straße Unter den Linden. Ohne Umschweife wurde konstatiert: „Die Lindenallee ist die schönste Anlage Gesamt-Berlins. Wenn auch die Farben der zumeist neu aufgebauten Paläste fahl wirken und die Silhouette des Riesen-Schlosses fehlt. [...] Die Kulisse dieser Hauptstadt ist fast perfekt, vor allem, wenn der Himmel in Porzellan erstrahlt, wenn auch das Stück, das darin gespielt wird, sich radikal geändert hat.“41 Alternativ zu sein, hieß eben nicht immer, bestehende und verbreitete Auffassungen in Frage zu stellen.

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Im November 1989 fiel die Mauer. Allen Reden zum Trotz, dass nun zusammenwachse, was zusammengehöre, wandelten sich die Überreste der Mauer - gegenläufig zu ihrem Verschwinden aus dem Stadtbild, ja dadurch bedingt - zu einer der größten Touristenattraktionen Berlins. Zweifellos kommen viele Besucherinnen und Besucher heute auch und gerade deshalb nach Berlin, um die Geschichte der lange geteilten und nun vereinigten Stadt an „authentischen“ Orten erleben zu können, und sind dann etwas enttäuscht, den Mauerverlauf und die Mauerrelikte erst selbst aufspüren zu müssen. Spezielle Mauerreiseführer erfreuen sich als Hilfsmittel deshalb großer Beliebtheit. Zugleich geben sie ein deutliches Zeichen dafür, dass zumindest aus Sicht der Touris-musbranche die Teilung der Stadt weiterhin vorherrscht und noch lange dominant sein wird. Und wiederum finden sich in den Reiseführern alte Zuschreibungen, die an die neuen Kontexte angepasst werden. Die „Linden“ haben ihre zweifelhafte nationale Bedeutung wiedergewonnen, die bereits vor hundert Jahren in den Berlin-Reiseführern formuliert worden war. Erneut ist es Preußen (oder vielmehr ein neohistoristisches Preußen-Bild), das hier gefeiert wird. Der Kurfürstendamm erscheint wiederum als Symbol für Kommerz und Vergnügen.

„Baedeker“ der 1980er-Jahre

Verglichen mit den alternativen Reiseführern erscheint der „Baedeker“ der 1980er-Jahre geradezu langweilig. Vom Kurfürstendamm wird die Gedächtniskirche abgebildet.
(Baedeker-Allianz-Reiseführer, Gesamtleitung: Peter Baumgarten, 5. Aufl. Stuttgart 1987.)

Saxophonspieler

Statt der Gedächtniskirche bildet dieser Reiseführer von 1982 den Saxophonspieler davor ab.
(aus: Kardorff/Sittl, Berlin [Anm. 40], S. 30f.)
 

Der Fall der Berliner Mauer hat die Teilung der Stadt in den Reiseführern folglich nicht aufgehoben - genauso wie der Topos der Teilung schon vor der politischen Teilung in den Reiseführern verbreitet war, blieb er auch nach 1989/90 bestehen. Allerdings ist zur Zweiteilung „Unter den Linden“ und „Kurfürstendamm“ ein drittes Areal hinzugetreten: das Gebiet vom Potsdamer Platz über den Reichstag und die Regierungsgebäude am Spreebogen bis zum neuen Hauptbahnhof. In den Reiseführern der Zwischenkriegszeit war dieses Gebiet aufgrund seines Charakters als äußerst quirliger und lebendiger Ort meist dem Westen zugerechnet worden; die Zerstörung durch Krieg und Teilung der Stadt hatte es dann beinahe völlig verschwinden lassen. Nach der Vereinigung entstand dieses Viertel neu. Bald wurde der Potsdamer Platz mit dem Quartier DaimlerChrysler im Süden und dem Sony-Center im Norden der Potsdamer Straße zu einem Ort, der aus der gegenwärtigen Topographie Berlins nicht mehr wegzudenken ist. Daran haben auch die Reiseführer maßgeblich mitgewirkt. Schon die Baustelle fand als größte in Europa Eingang in die Reiseführer, worin neben Sensationslust auch die Sehnsucht nach einer neuen Ordnung zum Ausdruck kam. Staunend konnte etwa Ingrid Nowel bereits 1998 „auf kriegsbedingtem Niemandsland die neue pulsierende Mitte“ entstehen sehen, als das Quartier DaimlerChrysler gerade fertiggestellt war und noch offen war, ob sich hier tatsächlich die neue pulsierende Mitte etablieren würde.42

An die Stelle der Zwei- ist also eine Dreiteilung getreten. Eines hat sich nicht verändert: Auch die Touristen im neuen Berlin werden sich häufig einem Reiseführer anvertrauen, um sich nicht in der Stadt zu „verlieren“, wie Moreck bereits 1931 konstatierte. Aber die neuen Konsumtempel am Potsdamer Platz, der Reichstag mit seiner weithin sichtbaren Kuppel sowie der neue Hauptbahnhof bilden eine Achse, die es den Touristen erleichtert, sich im geeinten, aber chaotischen Berlin zurechtzufinden. Ihre Beschreibung in den Reiseführer reduziert die Komplexität des neuen Berlins.

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Am Ende dieser Ausführungen, die sich nur auf einige Stichproben deutscher Berlin-Reiseführer beziehen, bleibt eine Reihe von Fragen unbeantwortet. So deutlich die Reiseführer die Wahrnehmung zu lenken versuchen, so unsicher ist es bislang, inwieweit Touristen diesen Vorgaben tatsächlich folgen. Um dies zu klären, wäre eine stadtethnologische „teilnehmende Beobachtung“ zu leisten. Aus zeithistorischer Perspektive wäre es zudem wünschenswert, auch ausländische Reiseführer verschiedener Abschnitte des 20. Jahrhunderts zu untersuchen. Eine vergleichende Studie würde vielleicht ganz neue Blicke auf Berlin erschließen.

Anmerkungen:

1 Curt Moreck, Führer durch das „lasterhafte“ Berlin, Leipzig 1931, S. 6f.

2 Peter H. und Monika I. Baumgarten, Baedeker. Ein Name wird zur Weltmarke, Ostfildern 1998. Zu den Sternchen für Sehenswürdigkeiten: Hans-Werner Prahl/Albrecht Steinecke, Der Millionen-Urlaub. Von der Bildungsreise zur totalen Freizeit, Darmstadt 1979, S. 232f.

3 Hans Magnus Enzensberger, Vergebliche Brandung in der Ferne. Eine Theorie des Tourismus, in: Merkur 7 (1958), S. 701-720; John Urry, The Tourist Gaze. Leisure and Travel in Contemporary Societies, London 1990. Vgl. auch Rudy Koshar, Seeing, Traveling, and Consuming. An Introduction, in: ders. (Hg.), Histories of Leisure, Oxford 2002, S. 1-24; Jan Palmowski, Travels with Baedecker - The Guidebook and the Middle Classes in Victorian und Edwardian Britain, in: ebd., S. 105-130; Andreas Pott, „Doing the Town“. Stadt aus touristischer Perspektive, in: Helmuth Berking/Martina Löw (Hg.), Die Wirklichkeit der Städte, Baden-Baden 2005, S. 297-312.

4 Cord Pagenstecher, Der bundesdeutsche Tourismus. Ansätze zu einer Visual History. Urlaubsprospekte, Reiseführer, Fotoalben 1950-1990, Hamburg 2003.

5 Julek R. Engelbrechten/Hans Volz, Wir wandern durch das nationalsozialistische Berlin. Ein Führer durch die Gedenkstätten des Kampfes um die Reichshauptstadt, im Auftrag der Obersten SA-Führung, München 1937.

6 US-Sector of Berlin. Information for new arrivals, Berlin 1946.

7 Berlin. Ein Führer durch seine fortschrittlichen Traditionen, Berlin (Ost) 1956.

8 Manfred Görtemaker mit Michael Bienert und Marko Leps, Orte der Demokratie. Ein historisch-politischer Wegweiser durch Berlin, Berlin 2005.

9 Aus Platzgründen beschränken sich die folgenden Ausführungen auf Stichproben deutscher Berlin-Reiseführer. Eine große Auswahl historischer Reiseführer bieten die Sammlung des Zentrums für Berlin-Studien in der Zentral- und Landesbibliothek Berlin sowie die Staatsbibliothek Berlin.

10 So jüngst Jakob Hein, Gebrauchsanweisung für Berlin, München 2006, S. 14.

11 Ernst Friedel, Berlin, Potsdam und Umgebungen. Praktischer Wegweiser, 31., gänzlich umgearb. Aufl. Berlin 1885, S. 55. Leider ist es bei diesem Reiseführer und den meisten anderen nicht mehr ohne weiteres möglich, die unterschiedlichen Auflagen zu vergleichen und damit eventuelle Änderungen zu verfolgen.

12 Berlin und Umgebung. Praktischer Reiseführer, 54., neu bearb. Aufl. Berlin 1910, S. 5.

13 Ebd., S. 6.

14 Hans Michaelis, Wanderungen durch Alt-Berlin, 2. Aufl. Berlin 1931; Führer durch Alt-Berlin, Berlin 1924, 3. Aufl. 1925; Franz Lederer, Schönes altes Berlin, Berlin 1930.

15 Franz Lederer, Berlin und Umgebung, mit einem Geleitwort von Dr. Böss, Oberbürgermeister von Berlin, Berlin 1925.

16 Ebd., S. 78f.

17 Ebd., S. 81f.

18 Ebd., S. 205f.

19 Moreck, Führer (Anm. 1), S. 7f.

20 Ebd., S. 39.

21 Konrad Haemmerlin, Der Mann, der Moreck hieß... Ein Selbstporträt, Beilage zur Faksimile-Ausgabe des Reiseführers (Moreck, Führer [Anm. 1]), Berlin 1987 (erstmals veröffentlicht in: Welt und Wort Nr. 9/1948).

22 Berlin und Umgebung, mit Angaben für Automobilisten, 70. Aufl. Berlin 1936 (Grieben Reiseführer Bd. 6), S. 84f.

23 Berlin. Die Hauptstadt des Reiches und Potsdam, Rastede 1941 (Lührs gelbe Reise- und Städteführer Bd. 20), S. 51f.

24 Berlin und Umgebung. Kleine Ausgabe mit Angaben für Autofahrer, 72. Aufl. Berlin 1939 (Grieben Reiseführer Bd. 25), S. 15.

25 Engelbrechten/Volz, Wir wandern (Anm. 5), S. 213.

26 Annemarie Lange, Berlin. Hauptstadt der DDR. Mit einem Vorwort von Erik Hühns, Leipzig 1966 (Brockhaus-Reiseführer), S. 101.

27 Siehe Anm. 7.

28 Erik Hühns, Vorwort, in: Lange, Berlin (Anm. 26), S. 5-8, hier S. 7. Siehe auch Helmut Engel/Wolfgang Ribbe (Hg.), Karl-Marx-Allee, Magistrale in Berlin. Die Wandlung der sozialistischen Prachtstraße zur Hauptstraße des Berliner Ostens, Berlin 1996.

29 Lange, Berlin (Anm. 26), S. 71.

30 So bei der Erläuterung zum Alexanderplatz; vgl. ebd., S. 81ff.

31 Klaus Weise, Berlin, 5. Aufl. Berlin (Ost) 1989 (Tourist Stadtführer-Atlas), S. 70ff.

32 Berlin-Information (Hg.), Berlin. Touristentips im Taschenformat, 2. Aufl. Berlin (Ost) 1987, S. 4.

33 Weise, Berlin (Anm. 31), S. 105ff.

34 Vgl. nur ebd., S. 55.

35 Matthias Riehl, Berlin immer eine Weltstadt. Schropp’s Reiseführer von Berlin, Berlin (West) 1955, S. 3.

36 Ebd., S. 99ff.

37 Baedeker Allianz Taschenbuch-Reiseführer Berlin, 5. Aufl. Stuttgart 1987, S.106ff.

38 Riehl, Berlin (Anm. 35), S. 159.

39 Berlin. Reisehandbuch von Karl Baedeker. Kleine Ausgabe, 4. Aufl. Freiburg 1979, S. 112.

40 Ursula von Kardorff/Helga Sittl, Berlin, Köln 1982 (DuMont Richtig reisen), S. 28.

41 Ebd., S. 30, S. 74.

42 Ingrid Nowel, Berlin. Vom preußischen Zentrum zur neuen Hauptstadt. Architektur und Kunst, Geschichte und Literatur, Köln 1998 (DuMont-Kunstreiseführer), S. 222.

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