Militärgeschichte als Zeitgeschichte

Vorwort

In den 1970er- und 1980er-Jahren galt die militärgeschichtliche Forschung in der Bundesrepublik als sehr konservativ. Viele sich als progressiv verstehende Geschichtswissenschaftler und -lehrer betrachteten eine zu intensive Beschäftigung mit Militär und Krieg als politisch verfehlt, pädagogisch gefährlich und wissenschaftlich anachronistisch. Zwar wurde „Militarismus“ als historisches und soziologisches Phänomen erforscht sowie „historische Friedensforschung“ zum Postulat der Geschichtsdidaktik gemacht, doch entfernte man sich in „pazifistischem Affekt“ (Jan Philipp Reemtsma) von der konkreteren Realität des Gewalthandelns und der militärischen Vergesellschaftung. Dies war einerseits verständlich und aus heutiger Sicht dringend geboten, um die preußisch-deutschen Traditionen einer Glorifizierung des Militärs und einer anwendungsorientierten Operationsgeschichtsschreibung zu überwinden. Andererseits wurden durch die dezidierte Abkehr vom Militärischen viele Gegenstandsbereiche ausgegrenzt, die zum Verständnis der deutschen und internationalen Geschichte besonders des 19./20. Jahrhunderts essenziell sind.

Ab Anfang der 1990er-Jahre hat sich dies gewandelt. Die Militärgeschichte wurde zu einem boomenden Forschungsfeld, das sich aus seiner früheren Isolierung gelöst hat und mittlerweile zu einem integralen Bestandteil der kulturgeschichtlichen Neuorientierung geworden ist. Zahlreiche alltags-, mentalitäts-, sozial- und geschlechtergeschichtliche Ansätze sind gerade bei der Be-arbeitung militärhistorischer Themen entwickelt worden. Auch in institutioneller Hinsicht gibt es in der Militärgeschichte heute eine produktive Konkurrenz und Kooperation von Einrichtungen wie dem Militärgeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr und Vereinigungen wie dem Arbeitskreis Militärgeschichte. Publikationsreihen wie „Krieg in der Geschichte“ (seit 1998, bisher 20 Bände) bieten auch solchen Historikern nützliche Anregungen, die sich selbst nicht primär als Militärhistoriker verstehen. Erfreulich ist überdies, dass Militärgeschichte nicht mehr allein von Männern geschrieben wird.

Was bedeutet die hier skizzierte Neuorientierung für die Zeitgeschichte? Die Konjunktur militärgeschichtlicher Forschungen verdankt sich in erheblichem Maße außerwissenschaftlichen Faktoren: Durch den Krieg im ehemaligen Jugoslawien, die Debatten um die Aufgaben der Bundeswehr, die Golfkriege und andere Gegenwartsereignisse wuchs der Bedarf an (zeit)historischer Erklärung und Einordnung gewaltförmiger Konflikte. Dennoch hat sich die allgemeine Zeitgeschichte als Fachdisziplin mit militärgeschichtlichen Fragen bisher eher zögerlich auseinandergesetzt. Der Aufsatzteil dieses Heftes soll dazu anregen, die Kriege nach 1945 detaillierter und methodisch reflektierter zu betrachten; die Debattenrubrik soll weitere konzeptionelle Diskussionen in Gang bringen.

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Jutta Nowosadtko schildert den Nutzen kulturhistorischer und anthropologischer Ansätze für die Militärgeschichte und plädiert dafür, das Politische dabei nicht an den Rand zu drängen. Matthias Rogg gibt einen knappen Überblick zur militärhistorischen Erforschung der DDR, eines Staats, in dem Militär und Gesellschaft besonders eng verflochten waren. Karl Prümm betont, dass sich die Zeitgeschichte den so genannten „neuen Kriegen“ stellen müsse, was nicht vorrangig Aktenforschung verlange, sondern kritische Medienanalyse. Dirk Bönker wirft schließlich einige Schlaglichter auf angloamerikanische Forschungen zu Militär und Militarismus, die auch die deutsche Diskussion bereichern könnten. Diese vier Essays verstehen sich als Einladung zu weiteren Debatten – Kommentare sind wie immer willkommen.

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