Neue oder alte Kriege?

Die Website der „Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung“

Anmerkungen

Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF)
(http://www.wiso.uni-hamburg.de/fachbereiche/sozialwissenschaften/forschung/akuf/akuf/)

Startseite „Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung“
(Dezember 2004)

Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 ist auch in Deutschland ein steigendes öffentliches und wissenschaftliches Interesse an kriegerischen Konflikten zu beobachten. War dieses Forschungsfeld lange vor allem Zeithistorikern und -historikerinnen vorbehalten, so interessieren sich zunehmend auch die Politik- und Sozialwissenschaften für das Gebiet, was sich an einer Fülle von Publikationen und Konferenzen zeigt. Besonders mit dem Erscheinen von Herfried Münklers Buch „Die neuen Kriege“ (2002) ist eine lebhafte Diskussion entbrannt. Münkler konstatiert in seinem Werk die Entstehung einer neuen Form von Kriegen: Die Kriegsakteure hielten sich nicht mehr an Regeln; die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten sei aufgehoben; und die Kriege hätten in erster Linie einen ökonomischen Hintergrund. Ob man nun von „neuen“,1 „asymmetrischen“,2 „kleinen“3 oder „low-intensity-Kriegen“4 sprechen will: Die AKUF distanziert sich von der Vorannahme, die aktuellen Konflikte seien eine gänzlich neue Entwicklung.5

Die grundlegende Kritik der AKUF-Autoren an Münkler, Kaldor und anderen lautet, dass diese die historischen und kontextuellen Besonderheiten der Konflikte außer Acht ließen und von einem begrifflichen Instrumentarium ausgingen, welches sich an der westlichen Entwicklung der Verstaatlichung von Gewalt orientiere. In den Ländern der so genannten Dritten Welt sei es aufgrund von Kolonialismus und Dekolonialisierungskriegen jedoch nie möglich gewesen, die Gewalt vollkommen auf den Staat zu konzentrieren. Die beobachteten innerstaatlichen Konflikte seien daher nichts grundsätzlich Neues - höchstens hinsichtlich ihrer aktuellen öffentlichen Aufmerksamkeit -, sondern stellten ein Kontinuum von mikropolitischen Auseinandersetzungen um die Gestaltung von Staatlichkeit dar.6

Die Arbeitsgemeinschaft hat eine eigene Definition von Krieg und bewaffnetem Konflikt entwickelt, die vor allem unter ökonomiekritischen Friedens- und Konfliktforschern Furore macht, wie beispielsweise der an der Humboldt-Universität Berlin angesiedelten Nachwuchsgruppe „Mikropolitik bewaffneter Gruppen“. Die Definition ist so angelegt - und das ist ihr großer Vorteil -, dass damit eine ausführliche Konfliktanalyse durchgeführt werden kann. Der „Hamburger Ansatz zur Kriegsursachenforschung“ geht von einer breiten, eher qualitativ angelegten Kategorisierung aus: Ein Krieg ist demnach ein gewaltsamer Massenkonflikt, an dem zwei oder mehr bewaffnete Streitkräfte beteiligt sind, wobei mindestens auf einer Seite reguläre Streitkräfte involviert sind, die Kriegführenden ein Mindestmaß an zentralgelenkter Organisation aufweisen und die bewaffneten Auseinandersetzungen kontinuierlich und gezielt erfolgen. In bewaffneten Konflikten sind die Kriterien dieser Kriegsdefinition nicht in vollem Umfang erfüllt. Des Weiteren unterscheidet die AKUF fünf Kriegstypen: Antiregime-Kriege, Autonomie- und Sezessionskriege, zwischenstaatliche Kriege, Dekolonisationskriege und sonstige innerstaatliche Kriege. Die Hauptursache für den Ausbruch von Kriegen sehen die Forscher bereits in Verbindung mit den Anfängen der bürgerlich-kapitalistischen Entwicklung im 16. Jahrhundert und der dadurch bedingten Modernisierung. Kriege und Konflikte würden vor allem dort entstehen, wo kapitalistische und nichtkapitalistische Vergesellschaftungsformen aufeinandertreffen, wo wirtschaftliche, staatliche und bürgerliche Ideale des Westens die traditionalen Formen auflösen oder im Widerstreit mit ihnen stehen (etwa in der Auseinandersetzung um weltliche und religiöse Geltungsbereiche). Dies sei im Kontext der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft zur Weltgesellschaft zu betrachten.7

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Wer steht hinter der AKUF? Die Arbeitsgemeinschaft ist Teil der „Forschungsstelle Kriege, Rüstung und Entwicklung“ (FKRE) der Universität Hamburg, ist dem Institut für Politische Wissenschaft angegliedert und arbeitet eng mit dem Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik zusammen. Personal- und Sachkosten für Forschungsprojekte der FKRE werden aus Drittmitteln finanziert. Die Website wird von der Berghof-Stiftung gefördert und von unterschiedlichen Personen gepflegt (aktuell von Wolfgang Schreiber). Neben dem „Hamburger Ansatz“ ist vor allem das Jahrbuch „Das Kriegsgeschehen“ in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit bekannt. Dort werden alle Kriege und bewaffneten Konflikte des jeweiligen Berichtsjahres aufgeführt sowie ihre strukturellen Hintergründe und ihr historischer Verlauf aufgezeigt. Wie im Jahrbuch 2002 zu lesen ist, handelt es sich bei der AKUF um eine „Kombination aus Lehrveranstaltung und Forschungsgruppe“, die sich aus wissenschaftlichen Mitarbeitern, Doktoranden und Studierenden der Universität Hamburg zusammensetzt.

Was hat die Website für den an Konflikten und Kriegen interessierten Wissenschaftler zu bieten? Sie ist prägnant in fünf Bereiche gegliedert: „Aktuelle Kriege“, „Kriege-Archiv“, „Publikationen“, „Team“ und „Projekte“. In der Rubrik „Aktuelle Kriege und bewaffnete Konflikte (2003)“ findet sich ein kurzer Überblick über die aktuellen Entwicklungen im Kriegs- und Krisengeschehen des Jahres 2003; außerdem wird die theoretische Verortung der AKUF dargestellt. Die Analyse schärft das Bewusstsein dafür, dass der Krieg der USA gegen den Irak nicht erst seit März 2003, sondern in wechselnden Formen bereits seit 1998 geführt wird. Im nächsten Abschnitt wird auf die in der Öffentlichkeit viel zu wenig kommunizierte positive Entwicklung hingewiesen, dass 2003 gerade auf dem afrikanischen Kontinent viele Kriege beendet werden konnten. Dies entspricht auch der allgemeinen, vielleicht überraschenden Feststellung, dass die Anzahl der Kriege (nach AKUF-Definition) in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgegangen ist. Gefolgt von einer Kriegsliste des Jahres 2003, ist die oben bereits erwähnte Kriegsdefinition und -typologie zu finden. Als Unterrubriken sind mehr oder weniger ausführliche Informationen zu einzelnen Konflikten und Kriegen zugänglich. Diese sind nach Regionen gegliedert (Lateinamerika, Europa, Afrika, Vorderer und Mittlerer Orient, Asien), von denen man jeweils über eine Karte zu den einzelnen Länderbeschreibungen gelangt. Es handelt sich hierbei um aktualisierte Kurzfassungen der im AKUF-Jahresbericht aufgeführten Analysen. Auf diesen von unterschiedlichen Autoren gestalteten Seiten werden Beginn, Kriegstyp und Beteiligte benannt. Auch Entstehung und Verlauf des Konflikts/Krieges sowie weiterführende Literatur und Informationsquellen werden dargestellt.

Im Segment „Kriege-Archiv: Kriege und bewaffnete Konflikte seit 1945“ ist eine allgemeine Einschätzung der „Entwicklungstrends 1945-1997“ zu lesen, wobei auf Kriegsschauplätze und -akteure, innerstaatliche Kriege, Kriegsbeendigungen, die quantitative Entwicklung des Kriegsgeschehens und Opferzahlen eingegangen wird. Die „Zentren der bürgerlich-kapitalistischen Welt“ seien „weitgehend frei von Kriegen“, doch hätten viele Industriestaaten in den Ländern der „Dritten Welt“ Kriege geführt. Besonders interessant ist, dass „bei der Häufigkeit der Kriegsbeteiligungen Großbritannien (19 Beteiligungen), die USA (13) und Frankreich (12) (neben Indien [18], Irak [10]) in der Spitzengruppe“ liegen. Von dieser Einstiegsseite aus führen wiederum Links zu vertiefenden, regionenbezogenen Informationen. Der Nutzer findet jeweils einen nach Ländern geordneten tabellarischen Überblick und Aussagen zu Entwicklungstrends. Vom Überblick aus gelangt man zu Seiten über die einzelnen Kriege bzw. Konflikte. Bei deren Beschreibung sind sowohl Kriegsdauer, -typ und -beendigung aufgeführt als auch die Kriegführenden, der Konfliktgegenstand und die bisherigen Ergebnisse. Auch hier sind meist weiterführende Literaturangaben und Informationsquellen genannt.

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Insgesamt zeichnet sich die Website durch ein eher schlichtes, aber benutzerfreundliches Layout aus; als besonders positiv ist die bei vielen anderen Sites fehlende Druckoption zu sehen. Die Website verfügt über eine Sitemap und eine Suchfunktion. Ein Mangel ist, dass die Website etwas isoliert steht, da es keinerlei Links zu anderen Institutionen gibt, die auf diesem Themenfeld arbeiten. Hier wären wenigstens die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, das Berghof-Forschungszentrum für konstruktive Konfliktbearbeitung und das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung zu nennen.8

Grundsätzlich lässt sich kritisieren, dass sich die Intentionen des Projekts erst durch Lektüre der gedruckten Publikationen vollständig erschließen; die Website fungiert offenbar eher als Mittel der Bekanntmachung des Ansatzes und der Autoren. Inhaltlich lässt die AKUF gendertheoretische Zugänge völlig außer Acht, die für die Erklärung von bewaffneten Konflikten als mindestens ebenso relevant angesehen werden können wie ökonomische Faktoren bzw. eng mit diesen verzahnt sind.9 Wünschenswert wäre auch ein Bezug zu katastrophentheoretischen Ansätzen, die noch viel zu wenig in die Diskussion um Kriege und Konflikte integriert werden.10 Man gewinnt auch den Eindruck, als seien den Verfassern und Betreibern der Website die Gelder ausgegangen, so dass nur noch für nötigste Updates Mittel zur Verfügung stehen, was angesichts der finanziellen Lage der Hamburger Hochschulen keine ganz abwegige Überlegung ist.

Dennoch ist dieses Projekt eine Bereicherung für den an Konflikten und Krisen interessierten Forscher, der die Website als Portal für weitere Recherchen zu nutzen weiß. Besonders nützlich sind die länderspezifischen Reports, die sich auch als Informationsquelle für Schüler(innen) und ein nicht wissenschaftlich vorgebildetes Publikum eignen. Eine derartige Systematisierung von Kriegen und Konflikten der letzten 60 Jahre ist in der deutschen Forschungslandschaft selten.

Anmerkungen:

1 Vgl. Mary Kaldor, Neue und alte Kriege: Organisierte Gewalt im Zeitalter der Globalisierung, Frankfurt a.M. 2000.

2 Siehe Herfried Münkler, Die neuen Kriege, Reinbek bei Hamburg 2002.

3 Nach von Clausewitz, vgl. Klaus Jürgen Gantzel, Neue Kriege? Neue Kämpfer?, Arbeitspapier 2/2002 der Forschungsstelle Kriege, Rüstung und Entwicklung, S. 6.

4 Vgl. Martin van Creveld, Die Zukunft des Krieges, München 1998.

5 Siehe hierzu zusammenfassend Gantzel, Neue Kriege? (Anm. 3).

6 Vgl. Stephan Hensell, Terrorismus und Kriegsgeschehen. Thesen zum Formwandel der Gewalt in der Weltgesellschaft, in: Wolfgang Schreiber (Hg.), Das Kriegsgeschehen 2002. Daten und Tendenzen der Kriege und bewaffneten Konflikte, Opladen 2003, S. 11-23.

7 Vgl. Dietrich Jung/Klaus Schlichte/Jens Siegelberg, Kriege in der Weltgesellschaft. Regionalspezifische Analysen und strukturgeschichtliche Erklärungen der Kriege 1945-2000, Wiesbaden 2003.

8 Einen guten Überblick über wichtige nationale und internationale Einrichtungen zum Thema Friedens- und Konfliktforschung bzw. Sicherheitspolitik bietet die Website [...][Anm. der Red.: Link nicht mehr verfügbar].

9 Vgl. hierzu etwa die vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Jahr 2000 verabschiedete Resolution 1325 zur Rolle von Frauen in bewaffneten Konflikten, online unter URL: http://www.un.org/depts/german/sr/sr_00/sr1325.pdf. Theoretische Ansätze finden sich dazu u.a. bei Ruth Seifert, Gender, Identität und kriegerischer Konflikt. Das Beispiel des ehemaligen Jugoslawien, Münster 2004.

10 Vgl. als Übersicht Lars Clausen/Elke Geenen/Elisio Macamo, Entsetzliche soziale Prozesse. Theorie und Empirie der Katastrophen, Münster 2003.

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