Am Beispiel der Stadt Frankfurt am Main untersucht der Aufsatz vor allem die Zeit zwischen den frühen 1950er- und frühen 1980er-Jahren, also die von der Geschichtswissenschaft noch kaum betrachtete Phase jüdischen Lebens zwischen der Auswanderung der meisten „Displaced Persons“ und dem vermeintlichen „Coming Out“ der Juden in der Bundesrepublik. Der Fokus liegt auf den Konstitutionsbedingungen und Transformationen der kleinen, keineswegs homogenen jüdischen „Gemeinschaft“. Betrachtet werden insbesondere die individuellen Suchbewegungen, die die Angehörigen der zweiten Generation von Juden in der Bundesrepublik seit den 1960er-Jahren unternahmen – nicht nur, um ihren Platz zu finden in der Gesellschaft der ehemaligen Täter und Mitläufer, sondern auch im Verhältnis zur älteren Generation der Überlebenden. Dabei wird deutlich, dass die Geschichte jüdischen Lebens in der Bundesrepublik nicht allein als Religionsgeschichte zu betrachten ist, sondern ebenso als Migrations-, Sozial- und Mentalitätsgeschichte.
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Taking the example of Frankfurt am Main, this article explores Jewish life in the period from the early 1950s to the early 1980s, that is, the interval from the years in which most of the displaced persons left Germany to the time identified with the so-called ‘coming out’ of the Jewish community in the 1980s. The focus is on the constitution of the small, rather heterogeneous Jewish ‘community’ and its transformations. The author outlines the ‘search movements’ made by the second generation of Jews in the Federal Republic, who aimed to find their place not only within the society of former perpetrators and followers of the Nazi regime, but also in relation to the elder generation of Holocaust survivors. The article demonstrates how the history of Jewish life in the Federal Republic may not be seen exclusively in terms of the history of religion, for it must also be conceived in terms of the history of migration, social history and the history of mentalities.
Die amerikanische Aggression in Vietnam ist in Europa und Nordamerika als „der Vietnamkrieg" bekannt. Sinnvoller wäre es aber, den Konflikt im Kontext von nationalen Befreiungskriegen als „Indochinakonflikt" zu bezeichnen. Es handelte sich um mehrere Kriege, die miteinander verwoben sowie durch lokale, metropolitane und internationale Faktoren geprägt waren. Der Indochinakonflikt verdeutlicht die Handlungsautonomie von Klientelsystemen im Kalten Krieg; er verweist auf die ideologische und machtpolitische Fragmentierung des so genannten kommunistischen Blocks. Unterhalb der Ebene der globalen Auseinandersetzung war das System des Kalten Krieges multipolar konfiguriert.
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In Europe and North America, the American aggression in Vietnam is best known as the "Vietnam War". However, it would be more appropriate to place the conflict in the larger context of wars of national liberation and thus call it the "Indochina Conflict". It was a conflict in which several distinct wars intertwined and which was shaped by local, metropolitan, and international factors. The Indochina Conflict demonstrates the freedom of action of clientele systems during the Cold War, and reflects the fragmentation of the so-called communist bloc in terms of ideology and power politics. Below the level of the global struggle, the Cold War system was multipolar.
Der Aufsatz untersucht die weltweite Popularisierung des bevölkerungspolitischen Diskurses und leistet damit einen Beitrag zur kritischen Historisierung gegenwärtiger Deutungsmuster. Wie und warum entwickelte sich ein zunächst nur von wenigen Experten als Problem wahrgenommenes Phänomen zu einem globalen Diskurs über die Gegenwart und Zukunft der Menschheit? Im Kontext von Kaltem Krieg und Dekolonisierung rückte das Bevölkerungswachstum in der „Dritten Welt“ in den Mittelpunkt demographischer Überlegungen. Amerikanische Stiftungen, überzeugt von der humanitären und sicherheitspolitischen Relevanz des Bevölkerungswachstums, setzten sich massiv für eine globale biopolitische Steuerung ein. Seit Beginn der 1960er-Jahre beeinflussten die Stiftungen und die „epistemische Gemeinschaft“ der Bevölkerungsexperten dann auch maßgeblich das Handeln der US-Regierung. Schließlich schwenkten die Vereinten Nationen um 1970 ebenfalls auf eine neo-malthusianische Politik ein. Damit entwickelte sich die Steuerung des Bevölkerungswachstums zu einem zentralen, weithin unstrittigen, aber doch interessengeleiteten Aspekt von Weltinnenpolitik.
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This article analyses the global proliferation of demographic discourse and contributes to a critical historicisation of current world views. Why and how did a phenomenon, which was initially regarded as a problem only by a few experts, turn into a global discussion about the present state and future of mankind? In the context of the Cold War and decolonisation, population growth in the Third World became the focal point of demographic deliberations. Convinced of the humanitarian relevance of population growth and its influence on security, American foundations strongly supported global biopolitical control. From the early 1960s, foundations and the ‘epistemic community’ of demographers decisively influenced governmental policies of the United States. By 1970, the United Nations also subscribed to neo-Malthusian policies. The control of population growth thus became a central aspect of global governance which, though not a subject for controversy, was driven by different interests.
Obwohl die 1952 gegründete „Bild“-Zeitung seit Jahrzehnten die größte westdeutsche Tageszeitung ist, hat sich die Zeitgeschichtsforschung mit ihr bisher höchstens am Rande befasst. Der Aufsatz untersucht die Bedeutung von „Bild“, indem er die Entwicklung des Blatts in den 1950er-Jahren analysiert. In diesem Jahrzehnt errang die Zeitung ihre überragende Stellung auf dem publizistischen Markt der Bundesrepublik; in dieselbe Zeit fällt auch der erste Versuch des Verlegers Axel Springer, das Blatt mit konkreten politischen Aufträgen zu lenken. Geprüft wird, wie die „Bild“-Redaktion die Direktiven des Verlegers in den Jahren 1957/58 umgesetzt hat. Dabei wird erkennbar, dass die Boulevardzeitung als bereits etablierter Markenartikel selbst von ihrem Eigentümer nur begrenzt verändert oder in eine bestimmte politische Richtung gelenkt werden konnte. Der Beitrag plädiert dafür, die Macht von „Bild“ eher auf der lokalen Ebene zu suchen, und demonstriert diesen Ansatz am Beispiel von Hamburg. Dies ermöglicht auch allgemeinere Zugänge zur Mentalitäts- und Gefühlsgeschichte der Bundesrepublik.
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This article explores the history of Bild, West Germany’s best-selling tabloid. During the 1950s, Bild rapidly achieved a dominant position in West Germany’s newspaper market; during the same decade, Axel Springer, the paper’s publisher, began to determine the political bias of Bild. By drawing attention to marked differences between Springer’s instructions and the paper’s content in 1957/58, the author argues that the character of Bild limited Springer’s capacity to use the paper for political purposes. The article suggests that the powerful impact of Bild on politics and society can be best observed on a local level, and demonstrates this by focusing on Hamburg as a case study. On a broader level, the case of Bild offers insight into the history of mentalities and emotions in the Federal Republic of Germany.
`Contemporary history' is inherently relevant to, indeed an integral part of, political and social processes in the present. Yet, despite a high level of politicisation of historical debates, the issue of `objectivity' or `value neutrality' cannot be addressed solely in terms of the views of the individual historian, or the wider functions fulfilled by a particular historical interpretation. Attention needs to be shifted to the conceptualisation and `emplotment' of a historical narrative within a given theoretical paradigm. Professional history entails not (merely) the imposition of creative stories, as post-modernists would have it, nor (only) the digging up of ever more `facts' about the past, as on the empiricist view. Rather, it is a puzzle-solving discipline requiring appropriate conceptual tools for the investigation of specific, theoretically constructed, questions. This article reviews recent developments in German contemporary history in the light of this framework.
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,Zeitgeschichte` ist ein konstitutiver Teil politischer und sozialer Prozesse in der Gegenwart. Doch trotz der starken Politisierung historischer Debatten kann die Frage der ,Objektivität` oder ,Wertneutralität` weder allein mit Verweis auf Ansichten des einzelnen Historikers noch mit Verweis auf allgemeine gesellschaftliche Funktionen einer historischen Interpretation diskutiert werden. Erforderlich ist vielmehr, den Blick auf die Anlage des jeweiligen historischen Narrativs innerhalb eines theoretischen Paradigmas zu lenken. Im Gegensatz zur postmodernen Sicht ist Geschichtswissenschaft nicht (nur) kreatives Geschichtenschreiben; im Gegensatz zur empiristischen Sicht ist sie aber auch kein bloßes Ausgraben neuer ,Fakten`. Eher ist die Geschichtswissenschaft als rätsellösende Disziplin zu verstehen, die sich dafür auf geeignete theoretische Konzepte stützen muss. Der Aufsatz bilanziert aus dieser Perspektive die Entwicklung der neueren deutschen Zeitgeschichtsforschung.
Die Frage nach den sozialen Effekten des Massenkonsums spielte für Marktforschung, Marketing, Werbung, Konsumkritik, Verbraucherschutz und Verbraucherpolitik in der Bundesrepublik eine entscheidende Rolle. Der Aufsatz nimmt die 1960er- und 1970er-Jahre in den Blick: Die zuvor populäre These, der Massenkonsum habe nach dem Zweiten Weltkrieg die sozialen Hierarchien eingeebnet, verlor nun an Bedeutung. Stattdessen entwickelten Marktforscher, Werbefachleute und Verbraucherschützer das Modell einer Gesellschaft, die sich durch die symbolische Dimension von Konsumgütern erneut ausdifferenziere. Im vorliegenden Beitrag werden die Theoreme der sozialen Nivellierung bzw. Differenzierung als zeitgebundene Deutungsmuster herausgearbeitet sowie mit der Praxis der zeitgenössischen Marktforschung, des Marketings und des Verbraucherschutzes in Beziehung gesetzt. Den Höhepunkt der Auseinandersetzung um Konsum und Gesellschaft markierten die 1970er-Jahre, als massive Konsumkritik die Werbung in eine Krise führte, während der Verbraucherschutz seinen Durchbruch erlebte.
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The question of the social effects of mass consumption played a crucial role for market research, marketing, criticism of consumerism, consumer protection and consumer policy in the Federal Republic of Germany. This article deals with the 1960s and 1970s. The popular assumption of the 1950s that mass consumption led to the leveling of social hierarchies became less important. Market researchers, marketing experts and consumerists developed a new model of society structured by the symbolic dimension of consumer goods. The article explores the assumptions underlying social leveling and distinction as time-dependent propositions and relates them to the historical practices of market research, marketing, criticism of consumerism and consumer protection. The 1970s marked the climax of this debate about consumption and society. Fierce criti-cism of consumerism plunged the advertising industry into a crisis, while consumer protection achieved a breakthrough.