Der Aufsatz untersucht die Rolle und die Grenzen der Stimmungsberichte des Ministeriums für Staatssicherheit an die SED-Führung als „Öffentlichkeitsersatz“ in der staatssozialistischen Diktatur. Im Zentrum stehen dabei die 1960er- und 1970er-Jahre als relativ stabile Jahrzehnte des DDR-Systems. Trotz aller ideologisch bedingten Verzerrungen zeigen die Berichte eine subkutane Orientierung am westdeutschen System und relativ leicht mobilisierbare Hoffnungen auf eine Abkehr von Grenzregime und Reiseverboten. Gleichwohl erschöpften sich die Werthaltungen nicht in einer Selbstwahrnehmung als „verhinderte“ Bundesbürger. Der Diskurs über Versorgungsprobleme und die materielle Lage enthielt neben dem Westvergleich auch Bezugnahmen auf den offiziellen Egalitarismus und ein sehr genaues Bewusstsein für dessen Grenzen in der DDR-Gesellschaft; Kaderprivilegien und ungleich verteiltes Westgeld sorgten vielfach für Unmut. Die Staats- und Parteiführung nahm die MfS-Berichte letztlich nur selektiv wahr – langfristig zu ihrem eigenen Schaden.
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The article deals with the role and the limits of ‘mood reports’, which the Ministry for State Security employed as a substitute for the lack of ‘public opinion’ in state socialist dictatorships. The study focuses on the 1960s and 1970s, a period of a relative stability in East Germany. In spite of their ideological bias, the reports are infused with subtle references to the West German system and to expectations among East Germans that the bans on travel and the border regime may become more flexible. Nonetheless values among the East German population were not confined to a self-image as ‘would-be’ West Germans. The limited supplies of material goods were (apart from being compared with those in the West) referred to in terms of official egalitarianism and the awareness of its limits in East German society. However, privileges and unfairly distributed foreign currency were a source of disgruntlement. Thus, by paying merely selective attention to the Ministry for State Security’s report system, the state and party leadership contributed to its own downfall.
Wie lässt sich soziale Ungleichheit in staatssozialistischen Gesellschaften konzeptionell fassen? Der Beitrag stützt sich auf neuere Ungleichheitskonzepte der Soziologie und führt die Debatte um das Verhältnis von Sozial- und Geschichtswissenschaften fort – im Hinblick auf aktuelle Fragen einer Gesellschaftsgeschichte der kommunistischen Diktaturen. Diskutiert werden die gewollten und ungewollten Verteilungen sozialer Vor- und Nachteile, die innergesellschaftlichen Diskurse über „Privilegien“ und „arbeiterlichen Egalitarismus“ sowie die sozialen Dynamiken im Vorfeld der Systemtransformationen Ende der 1980er-Jahre. Besonders am Beispiel der DDR zeigt der Aufsatz die „intersektionale“ Verteilung von Armut und Reichtum nach Einkommen, bürokratischen Mechanismen und Effekten des „grauen“ Marktes. Eine weiterführende These lautet: Es gab einen engen Zusammenhang zwischen der sozialen Differenzierung im späten Staatssozialismus vor 1989/90 und der „Verungleichung“ danach.
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How can social inequality in state socialist societies be framed conceptually? The article discusses issues of writing the history of societies under communist dictatorship in view of recent sociological approaches and ties in with debates about the relationship between the social sciences and historiography. It traces intended and unintended patterns of social advantages and disadvantages, discourses on ‘privileges’ and ‘proletarian egalitarianism’ as well as social dynamics in the run-up to the system transformations at the end of the 1980s. With a special emphasis on the case of East Germany, the article highlights the ‘intersectional’ distribution of poverty and wealth in terms of monetary income, mechanisms of bureaucratic allotments and ‘grey market’ effects. It argues that the roots of postcommunist inequalities after 1989/90 are to be found in social differentiations that evolved in late state socialism.