Demokraten und Gläubige?

Leistungen und Grenzen von Richard Hofstadters »Anti-intellectualism in American Life« (1963)

Anmerkungen

Richard Hofstadter, Anti-intellectualism in American Life, New York: Knopf 1963; zahlreiche Neuauflagen.
Richard Hofstadter,
Anti-intellectualism
in American Life,
New York: Knopf 1963;
zahlreiche Neuauflagen.

1964 gewann Richard Hofstadters im Jahr zuvor erschienenes Werk »Anti-intellectualism in American Life« den Pulitzer Prize in der Kategorie General Nonfiction. In dem bis heute immer wieder neuaufgelegten Buch geht Hofstadter (1916–1970) in vier Teilen den historischen Ursprüngen des seiner Überzeugung nach allgegenwärtigen Antiintellektualismus in den USA nach. Das Buch folgt dabei zugleich einem thematischen und chronologischen Aufbau, indem der Autor zunächst die religiösen Wurzeln des Phänomens bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgt, um schließlich mit Überlegungen zum US-amerikanischen Schulsystem im 20. Jahrhundert zu enden. Im Lichte der aktuellen wissenschafts- und bildungsfeindlichen Disruptionen in den USA verdient das Buch eine erneute, historisierende Lektüre – mit Blick auf seine Leistungen und Grenzen.

Für Hofstadter und den Verleger Alfred Knopf war es nach »The Age of Reform. From Bryan to F.D.R.« (1955) die zweite Zusammenarbeit, die mit einem Pulitzer Prize gekrönt wurde. Dass die Juroren, die die Werke dem Pulitzer Prize Board vorschlagen, »Anti-intellectualism in American Life« anders als das frühere Werk nicht für die Rubrik History, sondern für General Nonfiction nominierten, war eine sehr treffende Einordnung. Hofstadter selbst räumte ein, dass er sich eher als Essayisten und weniger als Historiker verstand.1 Er ging von zeitgenössischen Problemen aus und versuchte deren Wurzeln zu finden. Dies galt besonders für seine späten Werke. In diesen – und so auch in »Anti-intellectualism in American Life« – verzichtete Hofstadter komplett auf Archivrecherche. In aller Kürze beschrieb er sich selbst als »a political historian mainly interested in the role of ideas in politics«.2 Wie viele seiner Kollegen an der Columbia University, wo er seit 1959 die Professur für Amerikanische Geschichte innehatte, ließ er zudem eine Vorliebe für psychoanalytische Erklärungsmuster erkennen.3 Auch in der Rückschau erscheint die Zuordnung treffend: Anders als für geschichtswissenschaftliche Erkenntnisse zu erwarten wäre, die gerade die zeitliche Gebundenheit der Phänomene betonen, werden Hofstadters Überlegungen zu Antiintellektualismus bis heute – besonders im Journalismus, weniger in der Historiographie – zur Erklärung aktueller Phänomene herangezogen,4 etwa um den Trumpismus und die MAGA-Bewegung in den USA zu beschreiben.5 Genau diese scheinbar »zeitlose« Relevanz, die sich auch in den zahlreichen Auflagen des Werks ausdrückt, ist es aber, die aus Sicht der Geschichtswissenschaft die Erklärungskraft schmälert – wenn es darum geht, die Gründe für die Persistenz oder Wiederkehr antiintellektueller Muster verstehen zu wollen.

In der folgenden Analyse möchte ich daher zwei Ebenen unterscheiden. Während ich die Plausibilität mancher Beobachtungen Hofstadters für die Einordnung gegenwärtiger Phänomene hervorhebe, hinterfrage ich den in dem Buch angebotenen zentralen Erklärungsansatz, nämlich den viel rezipierten Ursprung des Antiintellektualismus in der evangelikalen Bewegung.6 Mein Beitrag schließt damit an die jüngst erneut artikulierte Forderung nach einer Historisierung von Hofstadters Thesen an.7 Zudem möchte ich die von Hofstadter immer wieder betonte ambivalente Rolle des Antiintellektualismus herausarbeiten – er sah diesen trotz seiner Einwände als konstitutiv für eine demokratische Gesellschaft und kritisierte die intellektuelle Elite für ihr moralisches Fehlverhalten. Damit grenze ich mich von einer Lesart des Buches ab, die »Anti-intellectualism in American Life« als ein »Anschreiben gegen Antiintellektualismus« versteht, das sich maßgeblich aus der mangelnden Reflexion über eigene Privilegien speist.8 Schließlich bietet der Beitrag eine neue Deutung für die Persistenz des Topos der antiintellektuellen Evangelikalen, die die Vorteile und die Funktionalität dieser Zuschreibung für die Evangelikalen selbst in den Mittelpunkt stellt.

Trotz fachwissenschaftlicher Kritik seit der Erstveröffentlichung konnte sich Hofstadters Verständnis von Antiintellektualismus fest etablieren. Es wird so selbstverständlich als Standarddefinition akzeptiert, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mitunter gar keine nähere Begründung liefern – außer dem Hinweis, dass sie der »klassischen« Definition Hofstadters folgen.9 Tatsächlich bemühte sich Hofstadter gar nicht, an einer Stelle eine klare Definition zu geben, sondern verteilte unterschiedliche Aspekte »seiner Definition« über das Buch. Das hängt sowohl mit seiner stark deduktiven Vorgehensweise zusammen als auch damit, dass er Antiintellektualismus nicht für ein Phänomen hielt, das sich in einer gleichsam überzeitlichen Definition festschreiben lasse. Trotzdem benötigte Hofstadter irgendeine Form von terminologischer Eingrenzung, und zwar schon deshalb, weil der Begriff »anti-intellectual« erst in den 1950er-Jahren populär wurde. Hofstadter führt diesen interessanten Befund in einem Nebensatz auf die politische Kultur der Zeit zurück (S. 6), hält das Phänomen des Antiintellektualismus aber für »older than our national identity« (ebd.). Entgegen seiner Ankündigung, keine genauere Definition geben zu wollen, spezifiziert der Autor im Verlauf der Einleitung dennoch, was ein antiintellektuelles Selbstverständnis sei (S. 19): »The plain sense of the common man, especially if tested by success in some demanding line of practical work, is an altogether adequate substitute for, if not actually much superior to, formal knowledge and expertise acquired in schools. Not surprisingly, institutions in which intellectuals tend to be influential, like universities and colleges, are rotten to the core.«

In dieser gar nicht als Definition ausgeflaggten Passage benennt Hofstadter das, was Antiintellektualismus seinem Verständnis nach im Kern ausmacht: die Ablehnung akademischer Wissenskulturen, Denkweisen und Institutionen. Antiintellektualismus ist für ihn untrennbar mit Antiakademismus verbunden, wenn auch nicht zu jeder Zeit gleichzusetzen. Während Hofstadter für das gesamte 19. Jahrhundert Antiintellektualismus tatsächlich als Antiakademismus zeichnet, sieht er einen Bruch in den Jahren um 1900: Hier werde das Verhältnis von Antiintellektualismus und Antiakademismus komplexer. Denn als Nebeneffekt einer Modernisierung und Ausdifferenzierung der amerikanischen Wirtschaft konnten sich »businessmen« nicht mehr in jeder Hinsicht als Gegensatz zu akademischen Eliten stilisieren. »By their very success the self-made men rapidly made their own type obsolete.« (S. 260) Ohne College-Ausbildung des Managements ließen sich Unternehmen schlechterdings nicht mehr steuern. Hieraus ergab sich eine rein funktionalistische Akzeptanz einer neuen Art von höherer Bildung, die anwendungsorientiertes Wirtschaftswissen vermittelte (S. 262): »Among male college graduates in 1954–1955, the largest single group was majoring in business and commerce; they outnumbered the men in the basic sciences and the liberal arts put together.« Hofstadter erklärt diesen Befund als eine Weiterführung des aus seiner Sicht typisch amerikanischen Prärogativs der Nützlichkeit (»utility«, S. 239). In anderen Worten: Eine teilweise Entakademisierung der höheren Bildung mache diese für viele Amerikanerinnen und Amerikaner attraktiver.

Diese Verschiebung deutet bereits auf eine weitere, in der Rezeption zentrale definitorische Facette hin: Nicht in der Einleitung – wie man es vielleicht erwarten würde –, sondern zu Beginn des zweiten Kapitels präsentiert Hofstadter die beiden Begriffe »intellect« und »intelligence« als Gegensatzpaar (S. 25). Intelligenz verstehen Amerikanerinnen und Amerikaner Hofstadter zufolge als eindeutig positive Qualität (S. 24). Hofstadter hingegen beschreibt sie durchaus kritisch (S. 25): »[…] intelligence is an excellence of mind that is employed within a fairly narrow, immediate, and predictable range; it is a manipulative, adjustive, unfailingly practical quality – one of the most eminent and endearing of the animal virtues. Intelligence works within the framework of limited but clearly stated goals, and may be quick to shear away questions of thought that do not seem to help in reaching them.«

Intelligenz steht demnach im Einklang mit dem Primat der Nützlichkeit und Anwendbarkeit. Den vom Antiintellektualismus verachteten »intellect« hingegen beschreibt Hofstadter positiv, und zwar gerade, weil er eine Art des Denkens kennzeichne, die nicht immer anwendungsorientiert sei (S. 25): »Intellect, on the other hand, is the critical, creative, and contemplative side of mind. […] intellect examines, ponders, wonders, theorizes, criticizes, imagines. [….] Intellect evaluates evaluations, and looks for the meaning of situations as a whole. Intelligence can be praised as a quality in animals; intellect, being a unique manifestation of human dignity, is both praised and assailed as a quality in men.« Diese Gegenüberstellung von »intellect« und »intelligence« ist es, auf die sich auch neuere Analysen beziehen.10 Selbst durch die von Hofstadter nicht antizipierbaren Entwicklungen der »künstlichen Intelligenz« verliert diese Unterscheidung aus meiner Sicht nichts von ihrer Überzeugungskraft. So ließe sich die Hypothese formulieren, dass künstliche Intelligenz letztlich unter dem Primat der Nützlichkeit und Anwendbarkeit steht, auch wenn sie sich in der Form immer stärker der menschlichen Intelligenz angleichen mag. Nicht das »eigenständige« Denken, sondern die Möglichkeit des zweckfreien Denkens träte hier als Unterscheidungsmerkmal in den Mittelpunkt. Nachdenken unter Absehung von Aspekten der Nützlichkeit würde menschliche Intelligenz dann von tierischer wie von künstlicher Intelligenz gleichermaßen unterscheiden.

Liest man »Anti-intellectualism in American Life« vor dem Hintergrund der heutigen politischen Lage, erscheint vor allem die partielle Gleichsetzung von Antiintellektualismus und Antiakademismus nahezu prophetisch. In den letzten Jahren ist erstmalig in der amerikanischen Geschichte Education der verlässlichste Marker für das Wahlverhalten geworden. Stärker als Race, Gender oder Ethnicity verweist ein College-Abschluss auf potentielle Wähler und Wählerinnen der Demokratischen Partei, ein fehlender College-Abschluss dagegen auf eine Affinität zur Republikanischen Partei, wie sie Donald Trump und die MAGA-Bewegung prägen – ein Faktum, das in der linksliberalen Presse häufiger thematisiert wird.11 Selbst die dezidierte Distanzierung republikanischer Politiker von als links unterwandert gezeichneten Elitebildungsstätten ist in diesem Kontext aufschlussreich und unterstreicht einen interessanten, aber selten rezipierten Punkt Hofstadters, nämlich eine ambivalente Haltung des »antiintellektuellen Amerikaners« gegenüber diesen Institutionen (S. 239). Denn die meisten erfolgreichen Republikanischen Politiker, die nun auf Distanz gehen, sind zugleich Absolventen dieser Eliteinstitutionen – man denke an JD Vanceʼ Abschluss in Yale, Marco Rubios Doktortitel (University of Miami), oder an Trump selbst, der an der renommierten wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der University of Pennsylvania, der Wharton School, einen Abschluss hat. Dass diese Ambivalenz kein neues Phänomen des Trump-Republikanismus ist, sondern eher andersherum dieser hiervon profitiert, zeigen ältere Beispiele. In besonderem Maße steht dafür Newt Gingrich, der in den 1970er-Jahren noch Professor für Geschichte an der University of West Georgia war, bevor er in den 1990er-Jahren die Partei grundlegend veränderte und sie für spätere Strömungen wie die Tea-Party-Bewegung empfänglich machte. Auf dieselbe ambivalente Haltung weist der Fall von George Santos hin, der im Zuge der Zusammenstellung seines fast komplett fiktiven Lebenslaufes eben auch ein College-Diplom erfand. In der aktuellen US-amerikanischen Debatte etwa um Santos rekurrierte die »New York Times« auf Hofstadter – allerdings nicht auf »Anti-intellectualism in American Life«, sondern auf die 1965 erschienene Essaysammlung »The Paranoid Style of American Politics«, die thematisch an das Werk von 1963 anknüpfte, aber stärker auf die politische Sphäre zielte.12 In der letzten Ausgabe des Magazins »Atlantic« vor den Wahlen vom November 2024 machte Elaina Plott Calabro den Punkt, dass gerade diese Ambivalenz aus Antiakademismus und dem Verweis auf eigene akademische Abschlüsse ein Markenzeichen der devotesten Trump-Anhänger innerhalb der Führungsriege der Republikanischen Partei sei.13 Die von Hofstadter herausgestellte Ambivalenz des Antiintellektuellen ist, wie die hier genannten neueren Beispiele belegen, auch heute noch zu konstatieren.

Für die Historisierung von Hofstadters Perspektiven ist ein weiterer Aspekt wichtig: Seine Suche nach historischen Erklärungen für den amerikanischen Antiintellektualismus ist selbst tief verwurzelt in der Entstehungszeit des Buches. Als Motivation für seine Analyse des Antiintellektualismus nennt er den in den 1950er-Jahren omnipräsenten McCarthyism, in dessen Zuge – nicht nur, aber doch sehr sichtbar – Intellektuelle kommunistischer Umtriebe beschuldigt wurden (S. 3). Die 1950er-Jahre waren jedoch nicht nur durch den McCarthyism geprägt, sondern auch durch eine neue Sichtbarkeit der Evangelikalen. Während die Fundamentalisten in der Zwischenkriegszeit als marginales Phänomen betrachtet wurden, bemühten sich die aus dieser Gruppe hervorgehenden New Evangelicals unter dem Medienstar Billy Graham erfolgreich, Teil des amerikanischen Mainstreams zu werden. Zugleich waren viele Evangelikale rigide Antikommunisten. Dabei überhöhte die US-Presse den Antikommunismus gleichsam als Herzstück des zeitgenössischen Evangelikalismus.14 Hofstadter, der als Student selbst kurz Mitglied in der Communist Party der USA gewesen war, schloss in seiner Analyse mutmaßlich an diesen im zeitgenössischen Pressediskurs fest etablierten Topos des patriotischen evangelikalen Antikommunismus an und verband ihn mit seinen Beobachtungen zum Antiintellektualismus der McCarthy-Ära, indem er die Wurzeln des aus seiner Sicht für die McCarthy-Zeit prägenden Antiintellektualismus in den Ursprüngen der evangelikalen Bewegung des 18. und frühen 19. Jahrhunderts suchte.

Dass Antiintellektualismus ein zentrales Merkmal der Evangelikalen sei, gilt bis heute auch in der Wissenschaft als selbstverständlich.15 Im amerikanischen, ebenso im deutschsprachigen Diskurs ist die Charakterisierung der Evangelikalen als wissenschaftsfeindlich generell fest etabliert und wird zur Erklärung zeitgenössischer Phänomene herangezogen. Die anhaltend große Unterstützung evangelikaler Wählerinnen und Wähler – 2016 sympathisierten etwa 75 Prozent der Evangelikalen mit Trump, seitdem sprechen sich etwa 80 Prozent für ihn aus – erklärte Garry Wills in der »New York Review of Books« umgehend als Folge des lang etablierten evangelikalen Antiintellektualismus.16 Für ein deutsches Lesepublikum beschrieb der Philosoph Harry Frankfurt die Evangelikalen im Jahr 2008 als »recht primitiv denkende Menschen«.17 Tatsächlich analysiert Hofstadter in »Anti-intellectualism in American Life« den Evangelikalismus als am weitesten zurückgehende Wurzel des Antiintellektualismus besonders ausführlich und an erster Stelle (S. 55-147). Demnach verhalfen ihm Prediger wie der federführende Revivalist Charles G. Finney während der Zweiten Großen Erweckungsbewegung in den 1820er- und 1830er-Jahren zu durchschlagendem Erfolg. Hofstadter beschreibt Finney als »gifted with a big voice and a flair for pulpit drama. But his greatest physical asset was his intense, fixating, electrifying, madly prophetic eyes, the most impressive eyes in the portrait gallery of nineteenth-century America.« (S. 92) Er zeichnet Finney als Charismatiker, der in erster Linie auf die Gefühle seines Publikums abzielte und dessen körperlicher Einsatz und physische Attribute von herausragender Bedeutung für seinen Erfolg waren. Notwendig geworden waren die emotionalen Strategien zur Erlösung, für die Finney bis heute steht, weil dieser und andere protestantische Prediger sich um 1830 endgültig von der Prädestinationslehre distanziert hatten. Anders als die calvinistisch geprägten Pilgerväter glaubten sie nicht mehr daran, dass Gott bereits auserwählt habe, wer erlöst werde und wer in der Hölle schmoren müsse. Sie verteidigten die Überzeugung, dass jeder Mensch die göttliche Gnade erlangen und sich aktiv darum bemühen könne, etwa indem er an einem Revival teilnahm. Schaut man sich Finneys Wirken und seine Rezeption unter den Zeitgenossen an, muss man dieses Bild allerdings deutlich revidieren. Finney zielte sehr bewusst auf die Gefühle seiner Anhängerschaft, bot ihnen zugleich aber lange traktatartige Argumentationen, die eher »the critical, creative, and contemplative side of mind« ansprachen, welche Hofstadter als »intellect« bezeichnet.18

Hofstadters Beschreibung der Evangelikalen des 19. Jahrhunderts als genuin antiintellektuell, die so wegweisend für unser Verständnis der heutigen Evangelikalen geworden ist, hängt mit zwei Faktoren zusammen. Zum einen findet sich der Topos des antiintellektuellen Evangelikalen bereits im frühen 19. Jahrhundert, zum anderen neigte Hofstadter wegen seiner spezifischen Position innerhalb der Geschichtswissenschaft dazu, für die amerikanische Nation als Ganze bestimmende Denkmuster zu postulieren.

Die Beschreibung evangelikaler Bewegungen als antiintellektuell kursierte – wie Hofstadter in »Anti-intellectualism in American Life« auch thematisiert – schon als zeitgenössische Kritik an den Predigern der Zweiten Großen Erweckungsbewegung und als Selbstzuschreibung der Fundamentalisten in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts. Diese eindeutig positiv konnotierte Selbstzuschreibung war jedoch weniger eine adäquate Beschreibung des Fundamentalismus, der ebenso wie der Evangelikalismus der Antebellum-Zeit (d.h. vor dem Bürgerkrieg der Jahre 1861–1865) antiintellektuelle ebenso wie stärker rationale und akademische Spielarten kannte, als eine Möglichkeit, sich von der Strömung der sogenannten Modernisten abzugrenzen. Das war notwendig, weil die Fundamentalisten, obwohl sie offensiv für ein althergebrachtes Verständnis von Religion eintraten, keinesfalls in jeder Hinsicht rückwärtsgewandt oder traditionsbewusst gewesen wären. Ganz im Gegenteil zeigten sie sich in wichtigen Fragen schnell moderner als ihre Kontrahenten, die selbsternannten Modernisten. Denn die Fundamentalisten waren außergewöhnlich medien-, technik-, wettbewerbs- und konsumaffin.19 Als Verteidiger der alten Werte konnten sie sich unter anderem deswegen stilisieren, weil sie sich selbst als wissenschaftsfeindlich porträtierten und Außenstehende dies ebenfalls taten. Ihre Ablehnung des Darwinismus sowie der historisch-kritischen Bibelexegese bot dafür hinreichend Anlass. Antiintellektualismus fungierte gleichsam als Traditionsersatz für die religiöse Gruppe in den USA, die sich am schnellsten wandelte – man könnte auch sagen: modernisierte. Zugleich hing das antiwissenschaftliche Selbstverständnis mit einer Neuordnung unterschiedlicher religiöser Wissensformen zusammen. Erweckungsprediger des frühen 20. Jahrhunderts legitimierten ihre Position ganz anders als Finney nicht mehr darüber, dass sie ihren Glauben rational nachvollziehbar darlegen und verteidigen konnten, sondern in erster Linie über Offenbarungswissen. Solche Offenbarungen konnten im Prinzip jedem zuteilwerden und enthielten daher ein antihierarchisches, demokratisierendes Element. Dies war gerade in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, als die Fundamentalisten sich formierten, von enormer Bedeutung. Ein solches Verständnis forcierte das US-amerikanische Selbstbild einer Nation, die sich durch Demokratie und protestantische Tradition vor Katastrophen wie in Europa gefeit sah.20

Antiintellektualismus als legitimierendes Element für die amerikanische Demokratie wiederum spielt auch in Hofstadters Argumentation eine wichtige Rolle (S. 154): »As popular democracy gained strength and confidence, it reinforced the widespread belief in the superiority of inborn, intuitive, folkish wisdom over the cultivated, oversophisticated, and self-interest knowledge of the literati and the well-to-do.« Was hier – auch wegen Hofstadters Neigung zu scharfen Zuspitzungen – wie eine Problematisierung der Grundlagen amerikanischer demokratischer Vorstellungen klingt, wusste Hofstadter dennoch zu schätzen. So stellt er heraus, dass es keineswegs ein Ziel sein sollte, den Antiintellektualismus grundsätzlich zu bekämpfen. Sein Buch solle lediglich dazu beitragen, dass »anti-intellectualism be checked and contained« (S. 23).

Der Antiintellektualismus als demokratische Ressource ist vereinzelt sowohl in der wissenschaftlichen als auch in der öffentlichen Debatte der letzten Jahre aufgenommen worden. Jon A. Shields interpretiert hieran anschließend etwa die christliche Rechte in den USA als demokratische Mobilisierungsbewegung.21 Ebenfalls nicht so omnipräsent in der Rezeption wie etwa der stereotype evangelikale Antiintellektualismus ist Hofstadters These, dass Antiintellektualismus in Zyklen zu- und abnehme sowie mit der Bedeutung korreliere, die Intellektuelle als Experten in Politik und Gesellschaft einnehmen (S. 6). Obwohl Hofstadter insgesamt kein besonders sympathisches Bild des amerikanischen Antiintellektualismus zeichnet, ist zu konstatieren, dass er mehrfach auch intellektuelle Politiker deutlich kritisiert und mit dafür verantwortlich macht, dass sich antiintellektuelle Haltungen weiterverbreiteten. Besonders prominent ist diese Argumentation, wenn er erklärt, dass der zunehmend respektlose öffentliche Umgang der intellektuellen Politiker der Great Generation untereinander maßgeblich dazu beigetragen habe, dass sich unter Andrew Jackson (US-Präsident 1829–1837) das erste große »anti-intellectual movement« in der amerikanischen Geschichte formieren konnte (S. 146, S. 155). Insgesamt vermittelt das Buch den Eindruck, dass Hofstadter den Antiintellektualismus durchaus als eine notwendige ausgleichende Kraft in einer demokratischen Gesellschaft ansieht, auch wenn es unabdingbar sei, ihn in Schach zu halten.

Darüber hinaus erklärt sich die prominente Rolle, die der Evangelikalismus in »Anti-intellectualism in American Life« spielt, durch Hofstadters spezifischen Zugang zur Geschichtsschreibung. Er grenzte sich von einer Generation älterer Historiker ab – der sogenannten Progressive School um Charles Beard –, die Konflikte zwischen den ökonomischen Schichten ins Zentrum ihrer Erklärung gerückt hatten. Hofstadter hingegen galt als Consensus Historian, auch wenn er selbst diese Zuschreibung ablehnte. Er war der Überzeugung – im Gegensatz zur Progressive School –, dass es große Ideen und bestimmte Denkmuster gebe, die die US-amerikanische Gesellschaft als Ganze prägten. In der Entstehungszeit des Buches entsprach diese Sicht auch derjenigen vieler Leserinnen und Leser. Denn bis in die frühen 1970er-Jahre wurden die ökonomischen, ethnischen, politischen und Gender-Bruchlinien noch verdeckt durch »a robust federal government, a thriving middle class economy, and a powerful union movement«.22 In diesem Sinne ist »der Evangelikalismus« bei Hofstadter ein relativ einheitliches Set an Ideen. Es schien keinerlei Erdung zu benötigen durch empirische Analysen der Lebensumstände und der spezifischen Gründe, warum und auf welche Weise sich unterschiedliche Gruppen dieses Mindset aneigneten. Vor allem Race und Ethnicity spielen in »Anti-intellectualism in American Life« keine Rolle – wie für ein 1963 erschienenes ideengeschichtliches Buch nicht anders zu erwarten.

Die Flughöhe der Argumentation ist aus heutiger Sicht indes unbefriedigend: Sie isoliert letztlich eine relativ spezifische religiöse Tradition, die Hofstadter noch vor allem dem weißen ländlichen Amerika zuschreibt,23 als Ursprung für ein sehr weit verbreitetes Phänomen. Denn nur das Zusammenspiel konkreter Lebensbedingungen und ihrer Wahrnehmungen mit Versatzstücken evangelikaler Religiosität kann erklären, warum diese heute nicht bloß in der weißen »Mittelschicht« so beliebt ist, sondern auch in Teilen der Black Church,24 in Asian-American Communities und sogar im Katholizismus der nordamerikanischen Latinas und Latinos. Die Affinität zu einem Glauben, der stark durch Offenbarungswissen sowie durch eine Tendenz zur Einordnung innerweltlicher Akteure und Geschehnisse in ein heilsgeschichtliches Gut-Böse-Schema geprägt ist, kann als begünstigender Faktor interpretiert werden, warum Kamala Harris als Präsidentschaftskandidatin 2024 besondere Schwierigkeiten hatte, schwarze Männer und männliche Latinos für sich zu gewinnen. Kritik an Hofstadters einseitiger Rückführung antiintellektueller Traditionen auf weiße Evangelikale findet sich im akademischen geschichtswissenschaftlichen Diskurs bis heute nicht. Dies dürfte mit der zunehmenden Bedeutung von Identity Politics in den amerikanischen Humanities seit den 1970er-Jahren zusammenhängen. Weiße Evangelikale erscheinen unter dieser Folie als Gegenpol zu unterschiedlichen ethnischen Minderheiten. Eine solche Lesart speist sich aus der gut erforschten Tatsache, dass gerade Evangelikale in den Südstaaten oft vehemente Gegner der Bürgerrechtsbewegung waren.25 Die – völlig berechtigte – Aufmerksamkeit für diese offensichtliche Gegnerschaft ließ die Frage nach Gemeinsamkeiten der verschiedenen Gruppen in der Geschichtswissenschaft lange nicht aufkommen. Die Möglichkeit eines »ethnisch geöffneten Evangelikalismus« wird erst in den letzten Jahren diskutiert.26

Anders als die Themen Race und Ethnicity reißt Hofstadter das Thema Gender durchaus an. Er zeigt, dass Teaching in den USA als unmännlich gilt. Der ganze Bereich Education steht im Verdacht der Verweichlichung und Feminisierung (S. 320). Als männlich konnotiertes Gegenstück zum Bildungsbereich arbeitet Hofstadter die Wirtschaftswelt heraus, die im Kontrast zum College-Kosmos einen klaren Fokus auf Pragmatismus und Anwendungsbezogenheit (»utility«) setze (S. 239, S. 260). Mit dieser stereotypen Zuordnung spielt auch Donald Trump regelmäßig. Dabei stellt er die Politik schlechterdings als eine Sphäre für gut ausgebildete Akademiker hin, denen es an »echter« Männlichkeit fehle. Im Jahr 2015, als Trump sich noch gegen andere Bewerber als Präsidentschaftskandidat der Republikanischen Partei durchsetzen musste, bemerkte er gegenüber dem Journalisten Mark Leibovich »that he was used to dealing with ›brutal, vicious killers‹ – by which he meant his fellow ruthless operators in showbiz, real estate, casinos, and other big-boy industries. In contrast, he told me, politicians are saps and weaklings.«27

Der bis heute häufige Bezug in Wissenschaft und Medien auf Hofstadters »Anti-intellectualism in American Life« zeigt einerseits, wie anschlussfähig und wie zutreffend manche seiner Überlegungen etwa zur Ambivalenz des Antiintellektuellen, zu akademischen Institutionen oder zum Zusammenhang von Populismus und Antiintellektualismus sind. Genau diese ubiquitäre Zitierbarkeit verweist andererseits darauf, dass das Phänomen über Hofstadters ideengeschichtliche Rückführung auf eine sehr spezifische Tradition in seiner empirischen Entstehung, Breite und Wandelbarkeit genauer untersucht werden müsste. Darüber hinaus erscheint Hofstadters dominanter Verweis auf die evangelikale Tradition des 19. Jahrhunderts nicht nur im engeren Sinne historisch-empirisch problematisch. So geht der Blick dafür verloren, dass der US-amerikanische Evangelikalismus sich gerade in seiner antiintellektuellen Variante bis heute als derart langlebig erweist, weil die evangelikale Religiosität in andere religiöse Gruppen diffundiert ist. In erster Linie sind hier die vielen (auch katholisch-)evangelikalen Latinos in den USA und in Lateinamerika zu nennen. Die als spezifisch US-amerikanisch gedeutete Neigung zum Antiintellektualismus steht außerdem breiteren vergleichs-, transfer- oder verflechtungsgeschichtlichen Perspektiven im Wege. Es wäre nötig, diese Neigung sozial-, kultur- und mediengeschichtlich stärker einzuordnen und zu erklären – oder vielleicht auch zu widerlegen. Dass Richard Hofstadter in »Anti-intellectualism in American Life« ein dezidiert »amerikanisches« Narrativ anbietet, dürfte zum langanhaltenden Erfolg in den USA beigetragen haben, mag aber auch ein Grund dafür sein, warum das Buch bis heute nicht ins Deutsche übersetzt wurde.


Anmerkungen:

1 Vgl. Sam Tanenhaus, The Education of Richard Hofstadter, in: New York Times, 6.8.2006, S. 71.

2 Vgl. Daniel Geary, Richard Hofstadter Reconsidered, in: Reviews in American History 35 (2007), S. 425-431, hier S. 426.

3 Den Wert psychologisierender Erklärungsansätze verteidigte Hofstadter in seiner zwei Jahre nach »Anti-intellectualism in American Life« erschienenen Essaysammlung: Richard Hofstadter, The Paranoid Style in American Politics and other Essays, New York 1965.

4 Die hohe Aktualität von Hofstadters Beobachtungen auch noch in diesem Jahrtausend konstatiert Geary, Richard Hofstadter Reconsidered (Anm. 2), S. 427. Zur Rezeptionsgeschichte des Buches und seiner kritischen Rezeption in der Geschichtswissenschaft siehe Andreas Hübner/Nils Steffensen, Anti-intellectualism in American Life. Fragen an einen unwahrscheinlichen Klassiker, in: dies. (Hg.), Antiintellektualismus. Ein unwahrscheinlicher Klassiker, Kiel 2024, S. 7-16, hier S. 9f.

5 Z.B. in: Mark Chiusano, George Santos Is More Dangerous Than You Know, in: New York Times, 18.11.2023; Paul Krugman, Biden Versus the Bad News Bros, in: New York Times, 4.7.2023; Ezra Klein Interviews Nicole Hemmer, in: The Ezra Klein Show (New York Times), 20.1.2023.

6 Zur Gleichsetzung von Antiintellektualismus und Fundamentalismus – der besonders rigiden Spielart des Evangelikalismus im frühen 20. Jahrhundert – siehe Anja-Maria Bassimir, Das »Mencken-Paradigma« und Hofstadters Antiintellektualismusvorwurf. Zu Religion und Konservatismus in den USA, in: Hübner/Steffensen, Antiintellektualismus (Anm. 4), S. 129-146.

7 Zuletzt bei Andreas Hübner/Nils Steffensen, Von Leerstellen und Desideraten. Perspektiven über Anti-intellectualism in American Life hinaus, in: dies., Antiintellektualismus (Anm. 4), S. 161-164.

8 Ebd., S. 163.

9 So z.B. Elvin T. Lim, The Anti-Intellectual Presidency. The Decline of Presidential Rhetoric from George Washington to George W. Bush, New York 2008, S. 20.

10 Lim, Anti-Intellectual Presidency (Anm. 9), S. 20.

11 Siehe im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen von 2024 etwa: The Gender Election, in: The Daily (New York Times), 23.10.2024.

12 Siehe Anm. 3 und Anm. 5.

13 Elaina Plott Calabro, The Loyalist. Kash Patel Will Do Exactly What Trump Wants, in: Atlantic, Oktober 2024, S. 58-67, hier S. 64.

14 Zum medialen Interesse an Grahams Antikommunismus siehe Uta Andrea Balbier, Billy Graham’s Crusades in the 1950s. Neo-Evangelicalism between Civil Religion, Media, and Consumerism, in: Bulletin of the German Historical Institute Washington 44 (2009), S. 71-80, hier S. 76. Zum Stellenwert des Antikommunismus als einem Aspekt unter mehreren anderen, eher das Privatleben betreffenden Themen, die die Evangelikalen nach dem Zweiten Weltkrieg als Gruppe definierten: Grant Wacker, America’s Pastor. Billy Graham and the Shaping of a Nation, Cambridge 2014, S. 59.

15 Etwa bei Frances Fitzgerald, The Evangelicals. The Struggle to Shape America, New York 2017, S. 4.

16 Garry Wills, Where Evangelicals Came From, in: New York Review of Books 64 (2017) H. 7.

17 Harry G. Frankfurt, Demokratie und Bullshit, in: Wolfram Eilenberger (Hg.), This is not America. Philosophen sprechen über die Lage des Landes, Berlin 2008, S. 87-100, hier S. 96.

18 Siehe hierzu Kapitel 1 in: Stefanie Coché, Religiöse Erweckung und irdische Macht. Religion und Demokratie in den USA, Hamburg 2025.

20 Zur »religion of democracy« siehe Sidney E. Mead, The Nation with the Soul of a Church, New York 1995.

21 Jon A. Shields, The Democratic Virtues of the Christian Right, Princeton 2009.

22 Kevin M. Kruse/Julian E. Zelizer, Fault Lines. A History of the United States since 1974, New York 2019, S. 3.

23 Mittlerweile hat die Forschung längst gezeigt, dass Fundamentalismus und Evangelikalismus ebenso in Städten zu finden sind und ihre Institutionen auch häufig in urbanen Gebieten liegen. Siehe Michael Hochgeschwender, Amerikanische Religion. Evangelikalismus, Pfingstlertum und Fundamentalismus, Frankfurt a.M. 2007, S. 166-169, S. 171.

24 Siehe zur Nähe zwischen weißen Fundamentalisten und Teilen der Black Church in der Zeit des Scopes-Prozesses (1925): Bassimir, Das »Mencken-Paradigma« (Anm. 6), S. 138.

25 Charles Reagan Wilson, Baptized in Blood. The Religion of the Lost Cause 1865–1920, Athens 2009.

26 Etwa bei Oliver Scheiding, Die Autopoiesis des Evangelikalismus. Das Glaubensgeschäft einer transkonfessionellen Missionsbewegung, in: Stefan Hirschauer (Hg.), Un/doing Differences. Praktiken der Humandifferenzierung, Weilerswist 2017, S. 144-170, hier S. 167.

27 Mark Leibovich, Hypocrisy, Spinelessness, and the Triumph of Donald Trump, in: Atlantic, Oktober 2024, S. 36-45, hier S. 38.

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