Reise nach Amerika

Axel Springer und die Transformation des deutschen Konservatismus in den 1960er- und 1970er-Jahren

Anmerkungen

Erzürnt schrieb Axel Springer am 17. April 1980 an seinen „Welt“-Chefredakteur Peter Boenisch. Er mokierte sich über ein aus seiner Sicht unkritisches Interview mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Fraktion im Bundestag, Horst Ehmke.1 Die „Welt“ habe „einem der gerissensten Apologeten der Abkopplungspolitik“ ein Forum gegeben, der von Solidarität mit den USA rede, dabei aber „alle gängige Kritik an der amerikanischen Politik unter die Leute“ bringe. Das Ansinnen von Bundeskanzler Helmut Schmidt, die Nachrüstung mit Mittelstreckenraketen auf Eis zu legen, was „den amerikanischen Generalstab auf die Palme gebracht“ habe „wie seit langem nichts“, werde von Ehmke hochgelobt. Springer missfielen zwei Dinge: erstens, dass im bevorstehenden Wahlkampf der SPD Schützenhilfe geleistet werde (bezeichnenderweise findet sich das Schreiben auch im Nachlass des Kanzlerkandidaten der Union, Franz Josef Strauß).2 Zweitens stieß Springer auf, dass in diesem Zusammenhang einer Position eine Plattform geboten werde, die im Widerspruch zur Politik der USA und damit zum Bündnis stand.

Während sein langjähriger Weggefährte „Pepe“ Boenisch die „Welt“ liberaler gestalten und für ein jüngeres Publikum öffnen wollte, beharrte Springer auf einem prononcierten Kurs gegen die sozialliberale Schmidt-Regierung.3 Auch nach Jahrzehnten der Führung seines Medienkonzerns ärgerte sich der mächtige Verleger über Artikel aus den eigenen Blättern. Die Macher seines „Flaggschiffs“ „Welt“ folgten immer noch nicht bedingungslos ihrem obersten Chef, der die Ausrichtung seiner Zeitungen mit dem Mittel der persönlichen Intervention per Brief zu steuern versuchte.4 Inhaltlich verwundert Springers proamerikanischer Kurs kaum, gilt doch die atlantische Orientierung als eine der Konstanten des Verlags, auch wenn diese formal erst nach „9/11“ als ein die Redakteure verpflichtender Unternehmensgrundsatz fixiert wurde.5

Eine genauere historische Betrachtung zeigt indes, dass der dezidierte Atlantizismus von Springer und seinem Verlag erst allmählich adaptiert wurde und auch nach der Berlin-Krise in den 1960er-Jahren keineswegs ungetrübt war, was in der Forschung bisher nicht erkannt und erklärt worden ist.6 In der US-Administration wurde Springer 1967 wie folgt eingeschätzt: „Although his papers are strongly anti-Communist, and tend to support the U.S. on such issues as Viet Nam, they are sharply critical of alleged U.S. neglect of basic German interests and of the proposed non-proliferation treaty.“7 Der Non-Proliferation Treaty (NPT), der verhindern sollte, dass weitere Länder in den Besitz von Atomwaffen gelangten, war zu jener Zeit ein zentrales außenpolitisches Vorhaben der amerikanischen Regierung. Der stellvertretende Sicherheitsberater Francis Bator wurde bei seiner Charakterisierung Springers in einem internen Memorandum daher regelrecht ausfällig: „He is an arrogant S.O.B., and has been nasty as the devil on offset and NPT.“8 Mit offset ist ein weiteres wichtiges Projekt der Amerikaner in jenen Jahren angesprochen, bei dem Springer renitent war: die Devisenausgleichsmaßnahmen, mit denen die Bundesrepublik durch Rüstungskäufe in den USA und fiskalpolitische Operationen den Dollarabfluss durch die Truppenstationierung in Deutschland auffing und nach der amerikanischen Agenda weiter in vollem Umfang auffangen sollte.9

2

 

West-Berlin, Februar 1969: Richard Nixon hat sich im Schloss Charlottenburg in das Goldene Buch der Stadt eingetragen und spricht mit Axel Springer; hinter ihnen ist Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger zu erkennen. Das Bild täuscht: Springer wurde von der Nixon-Administration keineswegs privilegiert. Zum einen wollte sich Henry Kissinger, der als Deutschstämmiger und Nixons engster außenpolitischer Mitarbeiter für die Behandlung der Deutschen und ihren Zugang zum Präsidenten zuständig war, nicht zu sehr in die innenpolitische Polarisierung der Bundesrepublik hineinziehen lassen, zum anderen bestanden engere Bindungen zu den nun regierungsfreundlichen Journalisten wie Theo Sommer oder Marion Gräfin Dönhoff.
(ullstein bild – dpa)

Wie wurde aus dem „devil“ Springer der Liebling der Amerikaner, der sich in seiner atlantischen Einstellung von niemandem übertreffen ließ? Und in welcher Relation steht diese Entwicklung zu derjenigen des bundesdeutschen Konservatismus? Um diese Fragen zu beantworten, werden im Folgenden die Gründe für die amerikakritische Profilierung Springers und seiner Zeitungen betrachtet (1.). Hierauf wird Springers Hinwendung zu einem dezidiert proamerikanischen Kurs erörtert (2.). Schließlich soll diese Entwicklung in die Transformation des bundesdeutschen Konservatismus der 1960er- und 1970er-Jahre eingeordnet werden (3.). Somit kann ein Beitrag zur Mediengeschichte geleistet werden, in deren Rahmen die zeithistorisch kontextualisierende und archivgestützte Erforschung des Springer-Verlags erst begonnen hat,10 und zugleich zum Transformationsprozess des bundesdeutschen Konservatismus, dessen Erforschung jenseits der Parteiengeschichte und Biografik ebenfalls erst in letzter Zeit in Gang gekommen ist.11

1. Springers Kritik an den USA
 

Axel Springer verfolgte in Bezug auf die USA zunächst keine einheitliche Linie. Die „Welt“ kritisierte Adenauers Westintegration und bot einem profilierten Exponenten der Kritik am Westkurs eine Heimstatt, dem ehemaligen „FAZ“-Herausgeber Paul Sethe. Ferner beschäftigte sie profilierte linksliberale Journalisten wie Erich Kuby oder Paul Grubbe. Springer selbst bewegte sich seit 1953 zunächst eher auf Adenauers außenpolitischer Linie.12 Seit 1956/57 betrieb der Verleger dann die Politisierung seines Erfolgsblatts „Bild“. Diese richtete sich in erster Linie gegen Adenauers Atomwaffenpolitik und die Stationierung amerikanischer Raketen auf deutschem Boden. Die „Welt“ war hierbei schon vorangegangen. Von „Bild“-Chefredakteur Rudolf Michael forderte Springer im November 1957 nun ebenfalls ein aggressives Aufbegehren gegen die Stationierung amerikanischer Atomwaffen in der Bundesrepublik, was dann tatsächlich auch Eingang in das Blatt fand.13 Und dem „Hamburger Abendblatt“ gab er die Weisung: „Kritisch gegenüber der USA-Politik! Kritisch gegenüber der Bonner Außenpolitik! Keine Atomwaffen, keine Raketen-Basen, atomwaffenfreie Zone!“14 Seinem späteren Adlatus Ernst Cramer eröffnete der Verleger 1957, der gefährliche Einfluss der Amerikaner müsse zurückgedrängt werden.15 Nach einem gescheiterten Besuch bei Nikita Chruschtschow 1958 ließ Springer den Antiatomkurs brüsk stoppen, was dem nun forcierten Antikommunismus entsprach.16 Er wurde aber zusehends misstrauisch hinsichtlich des Verhaltens der Amerikaner gegenüber den Sowjets.

Im Februar 1961 besuchte Springer den CIA-Direktor Allen Dulles in Washington und teilte ihm seine Befürchtungen hinsichtlich einer Abriegelung Berlins mit. Auch den amerikanischen Botschafter Walter Dowling und den Chef der United States Information Agency (USIA), Ed Murrow, warnte er vor einer Teilung der Stadt. Der Kennedy-Vertraute Murrow verabredete daraufhin einen Termin mit Springer. Doch kurz darauf, am 13. August, ließ Ulbricht tatsächlich die Grenzen abriegeln. Nach Springers Meinung hätten die Amerikaner dies durch sofortiges Einschreiten verhindern können. Er vermutete aber ein Agreement der Supermächte. In „Bild“ verfasste er zusammen mit dem neuen Chefredakteur Karl-Heinz Hagen anklagende Schlagzeilen gegen die Untätigkeit des Westens. Mit Adenauer kam es daraufhin zum Zerwürfnis.17 Bald versöhnte sich der „Alte“ wieder mit Springer; auch Adenauer befürchtete ein Zusammengehen der Supermächte auf Kosten der Bundesrepublik. Das Misstrauen Springers gegenüber der amerikanischen Politik blieb vorerst erhalten.

3

 

Bild, 16.8.1961, S. 1

 

Bild, 25.9.1961, S. 1

Zu Kennedy fand Springer auch persönlich keinen Draht. Bei seiner US-Reise 1961 hatte der Präsident ihm zunächst keinen Termin angeboten. Als er ihn dann doch in sein Haus nach Cape Cod einlud, brüskierte ihn Springer: Er müsse zwei afrikanische Studenten in London zum Interview treffen. Bei Kennedys triumphalem Berlin-Besuch 1963 fuhr dieser wiederum achtlos an Springers neuem Verlagssitz vorbei, obwohl der Hausherr ihn dort erwartete. Immerhin gratulierte der Präsident ihm danach schriftlich zu dem Bauvorhaben und lud ihn ins Weiße Haus ein.18

Springer war schon in den 1950er-Jahren an Bord der „Queen Mary“ in die USA gereist und hatte dort hochkarätige Gesprächspartner getroffen. In Key Biscayne kaufte er sich Appartements. Und er war von amerikaaffinen Mitarbeitern umgeben. 1954 wurde Christian Kracht sein Assistent, der in den USA Journalismus studiert und ein Volontariat beim „San Francisco Chronicle“ absolviert hatte. Während dieser Jahre unterrichtete Kracht Springer kontinuierlich über die Verhältnisse in den USA. Später wurde der eingebürgerte Amerikaner Ernst Cramer sein engster Vertrauter. Eine Liebe zum Land – wie zu Israel – scheint Springer aber nicht entwickelt zu haben. Auch sein Englisch blieb mäßig.19

Trotz aller USA-Skepsis versicherte Springer dem Verteidigungsminister Franz Josef Strauß seine Sympathie für dessen Idee einer atlantischen Union, die ausgerechnet der später als vehementer Gaullist auftretende Strauß in einer Rede vor der Georgetown University in Washington im November 1961 vorgetragen hatte.20 Strauß hatte dabei von den Amerikanern gefordert, Souveränitätsrechte teilweise an eine atlantische „Spitzenautorität“ abzugeben. Dass Springer diese Idee unterstützte, ist gerade mit dessen Skepsis gegenüber einer selbstbezüglichen amerikanischen Politik zu erklären, welche die Spaltung Deutschlands und Berlins in den Hintergrund zu rücken drohe. Nachdem eine größere Resonanz ausblieb, verfolgte Strauß die Idee eines zweiten, europäischen Pfeilers einer atlantischen Zivilisation, die er zunehmend gaullistisch ausstaffierte.21 Denn aufgrund der schon in der „Spiegel“-Affäre deutlich werdenden Strategiedifferenzen mit den Amerikanern entwickelte sich Strauß unter dem Einfluss rechtskonservativer Berater wie des Journalisten Armin Mohler zu einem Amerikakritiker, der die gaullistische Orientierung auch als Vehikel zu seiner Profilierung nutzte – gegen die seit dem Kanzlerwechsel Ende 1963 dezidiert atlantisch ausgerichtete Bundesregierung unter Kanzler Ludwig Erhard und Außenminister Gerhard Schröder. Hierbei bildete er mit Adenauer, dessen Vertrautem Heinrich Krone, seinem CSU-Rivalen Freiherr zu Guttenberg, konservativ-katholischen Journalisten wie Paul Wilhelm Wenger und eben Springer eine lautstarke Phalanx.22

4

Letzterer erkundigte sich im Sommer 1964 noch etwas unsicher bei Strauß nach de Gaulles Kurs im Hinblick auf die Wiedervereinigung. Nach den deutschlandpolitischen Enttäuschungen 1958 – seiner erfolglosen Moskaureise und Chruschtschows Berlin-Ultimatum – sowie dem Bau der Berliner Mauer 1961 versicherte Springer dem nun gaullistisch positionierten Strauß erneut seine Unterstützung und bemerkte bei diesem Kurswechsel selbst: „Wie sich die Zeiten ändern!“ Zu Recht skeptisch zeigte sich Springer aber in Bezug auf de Gaulles Haltung zur deutschen Frage. Er fragte Strauß: „Sehen Sie eine Chance, Frankreich echt an unserem Problem zu interessieren?“23 Zu de Gaulles Deutschland-Besuch von 1965 hieß es in einem „Bild“-Kommentar, die Bundesrepublik könne sich das „Abrücken von Amerika nicht leisten, solange unser Land geteilt und unsere Hauptstadt eingemauert ist“. Des Generals Vision eines von beiden Supermächten losgelösten Europas sei „ein schöner Traum“, den man gerne mitträume, wenn die Wiedervereinigung Deutschlands und Europas beginne.24 Das war ein „Ja, aber“ zum Gaullismus. Eine Abkehr von der atlantischen Bindung wurde – anders als heute im Hause Springer25 – für die Zeit nach einer Wiedervereinigung durchaus erwogen.

Der französische Präsident blieb beim Thema Wiedervereinigung ähnlich vage wie bei einer möglichen, von den deutschen Gaullisten als Chance gesehenen Beteiligung der Bundesrepublik an der Force de frappe. Gleich auf mehreren Feldern machten Springer und die deutschen Gaullisten nun aber ernste und zunehmende Interessenkonflikte mit den USA aus, die einen ihrer Ansicht nach besorgniserregenden Kurs steuerten. Dies betraf die fehlende Unterstützung für Initiativen in der Deutschlandpolitik, die Idee einer transatlantischen multilateralen Atomflotte (MLF), die harten Devisenausgleichsforderungen (die mit der unverhohlenen Drohung der Truppenreduzierung einhergingen), ferner die amerikanischen Forderungen nach einer Beteiligung am Vietnamkrieg und das Agreement der Amerikaner mit den Sowjets hinsichtlich eines Nichtverbreitungsvertrags.

Springer wandte sich mit seinen Bedenken gegen den atlantischen Kurs der Bundesregierung direkt an Bundeskanzler Erhard. Der Verleger erläuterte seine Position nach einem persönlichen Gespräch mit dem Bundeskanzler noch einmal in einem langen Brief, in dem er gravierende Einwände gegen die Brüskierung Frankreichs vorbrachte, welches die multilaterale Atomflotte kritisiert hatte. Im Kern wäre diese Atomflotte tatsächlich ein amerikanisch-deutsches Projekt mit möglicher Beteiligung weiterer NATO-Partner geworden, obwohl man diesseits wie jenseits des Atlantiks den Eindruck des Bilateralismus zu vermeiden suchte.26 Vor allem richteten sich die Bedenken des Verlegers gegen die „neue Strategie“ der USA, nämlich die „abgestufte Abschreckung“. Die Amerikaner seien in ihrer Geschichte nie einer direkten militärischen Bedrohung ausgesetzt gewesen. Jetzt nähmen sie stillschweigend den Status quo in Europa hin und stellten sich dort zudem nur auf begrenzte Kriege mit konventionellen Waffen ein. Die taktischen Atomwaffen würden dann allein Mitteldeutschland treffen. Die atomare Abschreckung sah Springer so in Frage gestellt – Europa sei verwüstet, bevor Atomwaffen, auch die MLF, gegen die Sowjetunion eingesetzt würden. Das französische Konzept (das aus deutscher Sicht durchaus vage war, was auch bei Springer anklang) entspreche besser den europäischen Interessen.27

5

Springers Zeitungen geizten in diesem Kontext nicht mit Amerikakritik. „Bild“ war hier schärfer; in der „Welt“ dagegen schrieben mit Ernst Cramer und Graf Finck von Finckenstein auch dezidierte Atlantiker, deren Artikel bisweilen den Unmut von Springer und „Welt“-Chef Hans Zehrer hervorriefen.28 Wie sehr Springer Mitte der 1960er-Jahre in der Johnson-Administration als Gegner wahrgenommen wurde, zeigt ein Memorandum des Nationalen Sicherheitsberaters McGeorge Bundy für den Präsidenten. Vorangegangen war eine Anfrage – besser gesagt: ein Drängen, Fordern, Bestürmen – der amerikanischen Journalistin Maggie Higgins, die für die „Welt am Sonntag“ zwei Fragen von Präsident Johnson persönlich beantwortet haben wollte: was die Schlüsselthemen der bilateralen Beziehungen seien und ob die Deutschen neue Initiativen für die Wiedervereinigung und für Berlin erwarten könnten.29 Higgins tat alles, um eine präsidiale Antwort zu erhalten: Sie berief sich auf persönliche Versprechen Johnsons, betonte die Schlüsselfunktion Springers für die deutsche öffentliche Meinung, sicherte ein review durch McGeorge Bundy und Außenminister Dean Rusk zu und gab sich bescheiden, da sie gar nicht als Interviewerin genannt werden würde. Bundy riet nun entschieden von dieser Sache ab. Springer sei ein „strong and emotional nationalist and he is currently taking his strategic pills straight from Dr. Franz-Josef Strauss“. Ein Interview mit Springer – statt mit freundlicher eingestellten deutschen Verlegern – würde einen Mann bevorzugen, der für eigene deutsche Atomwaffen sei und gegenüber Johnsons Politik Argwohn verbreite. Zudem würde sich Springer ein Zitat heraussuchen, das er dann attackieren könne. Bundy empfahl, Springer ein vertrauliches Signal zu senden, „that it is impossible to give this kind of interview to a paper which is spreading suspicion about the United States. That might lead to a dialogue in which we could bring him round. Germans like to be bullied.“30 Springer wurde zu dieser Zeit also genauso wahrgenommen, wie er selbst und seine Zeitungen wenig später einen Großteil ihrer (Medien-)Umwelt wahrnahmen: als latent antiamerikanisch. Der Vorgang zeigt auch, dass die Behandlung Springers auf einer hohen Ebene der amerikanischen Administration verhandelt wurde.

Eine Strategie des Springer-Verlags, Kritik an den USA zu äußern, bestand in der groß aufgemachten Wiedergabe kritischer Äußerungen aus prominentem Munde. So wurden beispielsweise Adenauers Anwürfe gegen die Status-quo-Politik der USA von „Bild“ nach einem ohnehin schon alarmistischen Interview des Altkanzlers mit der „New York Times“31 noch verstärkt. Unter der Schlagzeile „Adenauer klagt an“ wurden die einzelnen Invektiven gegen die USA in dicken Lettern zusammengefasst: „Amerika versagt in Europa. Amerika schielt nur nach Asien. Amerika blind vor der Gefahr.“ Darunter platzierte die Boulevardzeitung noch als Zitat die Aussage: „Tiefes Mißtrauen in Deutschland“ und ein großes Foto von Adenauer mit Dulles. Passend dazu wurde Adenauers Ausspruch zitiert, die Vorzüge des klar denkenden und seine Versprechen haltenden Dulles finde man heute bei keinem amerikanischen Politiker.32

 

Bild, 10.2.1965, S. 1

Adenauers Kritik am amerikanischen Vietnamkrieg war vor allem von der Sorge motiviert, das Interesse der Amerikaner am deutschen und europäischen Schauplatz könne nachlassen. Zu dieser Zeit wurde in der Öffentlichkeit aber auch eine deutsche Unterstützung der Amerikaner im Vietnamkrieg diskutiert. Springer hatte sich definitiv festgelegt: keine deutsche Beteiligung welcher Art auch immer am sich stetig ausweitenden US-amerikanischen Vietnam-Unternehmen. In der „Bild“-Zeitung hieß es daher im März 1965 unter der Überschrift „No, Sir!“ kategorisch: „Die Deutschen wollen nicht nach Vietnam! Nicht mit Sanitätern, nicht mit Technikern – wir wollen überhaupt nicht.“ Begründet wurde die Ablehnung nicht mit Verweisen auf die deutsche Geschichte, mit Verfassungsbedenken oder der Unpopularität einer derartigen Entscheidung. Der mit „Bild“ gezeichnete, vom Verleger geschriebene oder inspirierte Artikel verwies stattdessen auf das zu respektierende Selbstbestimmungsrecht der Völker. Sei dies in Vietnam wegen der amerikanischen Interessen nicht geachtet, so könne man es auch für Deutschland nicht gegenüber den Russen einfordern. Springer argumentierte also national, versicherte aber gleichzeitig etwas paradox die Treue zu den USA.33 Er protestierte ferner schriftlich beim Chefredakteur der ebenfalls zu seinem Verlag gehörenden Tageszeitung „Der Mittag“, Hermann Rasch, der einen deutschen Vietnameinsatz gefordert hatte.34

6

 

Bild, 10.3.1965, S. 1

Diese Position wuchs sich zu einer Ablehnung des US-Einsatzes in Vietnam insgesamt aus. Zwei Wochen nach dem „No, Sir!“-Artikel gab „Bild“ die heftige Kritik des Vizekanzlers und FDP-Parteichefs Erich Mende mit dem Untertitel wieder: „Ostasien wichtiger als Europa?“35 Gegen die Stimmungsmache des „No, Sir!“-Artikels protestierte der SPD-Pressedienst mit einem Artikel, der die Truppenforderung der USA bestritt und auf die Glaubwürdigkeit amerikanischer Politik verwies,36 getreu der vom bundesdeutschen Vietnam-Botschafter York von Wendland aufgebrachten und von Verteidigungsminister John McNamara nur zu gern verwendeten Formel: „Berlin wird am Mekong verteidigt“.37 Der sozialdemokratische Pressedienst unterstützte jetzt, im März 1965, die militärischen Maßnahmen der USA, also die Luftangriffe auf Nordvietnam, und warb für eine politische Solidarität mit den Amerikanern.38 Der Schlagabtausch ist bezeichnend für die damaligen Positionen Springers und der SPD hinsichtlich der amerikanischen Politik.

Ein Jahr später kritisierte „Bild“ die „übertrieben national-egoistische Politik der USA“, welche immer weniger Rücksicht auf die Interessen Bonns nehme. Konkret nannte die Zeitung den Verkauf eines Kunstfaserwerks an die DDR, den Abzug von 15.000 Spezialisten der US-Armee aus der Bundesrepublik und weitere geplante Truppenreduktionen in Deutschland. Der Grund für solche Maßnahmen sei der Vietnamkrieg. Johnson warf man vor, keine Reservisten einzuberufen und stattdessen auf die in Deutschland stationierten Spezialisten zurückzugreifen. Die Kritik, Johnson wolle den amerikanischen Wohlstand trotz des Vietnamkriegs erhalten, konnte in den USA nur als anmaßend aufgefasst werden.39

Ein knappes Jahr später eskalierte eine andere Auseinandersetzung. Der schwelende Streit um den Nichtverbreitungsvertrag führte Anfang 1967 zu einer erhitzten öffentlichen Debatte. Springer hatte Strauß seine Unterstützung in dieser Frage im Februar 1967 zugesichert.40 Also trugen „Welt“ und „Bild“ samt ihren sonntäglichen Schwesterblättern das Thema in die breite Öffentlichkeit. „Bild am Sonntag“ publizierte am 19. Februar 1967 einen Teilentwurf des Nichtverbreitungsvertrags (es fehlte der wichtige Artikel 3 zur Kontrolle der zivilen Nutzung der Atomenergie) unter den Schlagzeilen „Soll damit die deutsche Industrie an die Kette gelegt werden?“ und „Das Diktat der Atom-Giganten“.41 Der Entwurf wurde dann in anderen Blättern nachgedruckt.42 Anstoß erregte besonders die Tatsache, dass jede Form der nuklearen Teilhabe untersagt werden, allein die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) weitgehende Kontrollrechte haben und der Vertrag unbegrenzt gültig sein sollte. Auch atlantisch orientierte Unionspolitiker und Sozialdemokraten sowie die linksliberalen Medien befürchteten in unterschiedlichem Maße eine Erpressbarkeit durch die Sowjetunion, die an einem aus der UN-Feindstaatenklausel abgeleiteten Interventionsrecht festhielt. Zudem wurde ein atomares Kartell der Supermächte erwartet, was zu Kontrolle und Spionage sowie letztlich einer Abkopplung von der zivilen atomaren Entwicklung führen könnte. Auch die europäische Einigung mit den bestehenden Atommächten Frankreich und Großbritannien sah man gefährdet. Atlantiker und Linksliberale hielten einen deutschen Beitritt zum Nichtverbreitungsvertrag aber für unvermeidbar, wobei man durch Verhandlungen noch entsprechende Verbesserungen erreichen wollte.43

7

Trotz gemeinsamer Vorbehalte gegen den Vertrag unterschieden sich westdeutsche Politiker und Medien sehr in der Tonlage, in der sie ihre Kritik äußerten. Auf einer Pressekonferenz während seines Spanienbesuchs führte Adenauer am 17. Februar 1967 aus, der Nichtverbreitungsvertrag sei ein „neuer Morgenthau-Plan, nur in unendlich verbesserter, besser gesagt, verteufelter Auflage, in dem man die Länder, nicht Deutschland jetzt allein, sondern eine ganze Anzahl von Ländern ausschließen will von den Fortschritten der Wissenschaft bei der Produktion von Gebrauchsgütern“.44 Im Interview mit dem „Spiegel“ sprach der Altkanzler ähnlich von einem „Morgenthau-Plan im Quadrat“.45 Kurz zuvor, am 6. Februar 1967, war Henry Morgenthau gestorben und rückte daher noch einmal in das Blickfeld der Öffentlichkeit.

Die Hoffnung auf die Atomkraft als ökonomisch ertragreiche Zukunftstechnologie war zu der Zeit keine Sonderposition Adenauers, sondern noch weitgehend unstrittig.46 Die Morgenthau-Anspielung hatte sich Adenauer aber nicht selbst ausgedacht, sondern von „Welt am Sonntag“-Kolumnist Hans-Georg von Studnitz übernommen. Dieser hatte geschrieben, mit dem Nichtverbreitungsvertrag werde die Bundesrepublik „auf das industrielle Niveau eines Entwicklungslandes“ hinabgedrückt.47 Die „Welt“ brachte einen Artikel aus der Feder eines Insiders, der charakteristisch mit „Von ***“ gezeichnet war, der den „Sperrvertrag“ – so wurde er auch von Strauß und seinem Mitarbeiter Marcel Hepp genannt48 – als unvereinbar mit dem NATO-Vertrag darstellte. Zumindest dem Geist nach verstoße er gegen die Beistandsverpflichtung; zudem hätten die USA die Konsultationsregeln missachtet. Das Vertrauen, das man selbst nicht erhalte, könne man anderen wohl kaum mehr entgegenbringen. Der Insider (offensichtlich aus dem bundesdeutschen Regierungsapparat) forderte die Bundesregierung auf, den Amerikanern die Unvereinbarkeit von NPT und NATO zu verdeutlichen.49

George McGhee, der amerikanische Botschafter in Bonn, berichtete seinem Präsidenten über die Haltung der bundesdeutschen Medien zur Nichtverbreitungsfrage wie folgt: „[…] the German press ranges from skepticism to outright hostility to the Treaty – with later attitude predominating. The Springer press, which alone among the major public German media has supported our policy in Vietnam, is among the most outspoken in its opposition to the Non-Proliferation Treaty. There are, throughout the press, dire warnings of a major breach in confidence between the U.S. and Germany over the Non-Proliferation Treaty.“50 Die Einordnung der Springer-Zeitungen hinsichtlich des Vietnamkriegs war wohlgemerkt noch ziemliches Wunschdenken des Botschafters, der sich immer wieder für die bundesdeutschen Interessen und Empfindlichkeiten in die Bresche warf. Zudem trat er als Advokat Springers auf, dessen Bedeutung er als sehr hoch einstufte, was angesichts der Debatte um die Pressekonzentration in der Bundesrepublik kein Wunder war.51

8

2. Springers zunehmende atlantische Orientierung
 

Hegten der Springer-Verlag und Axel Springer persönlich zunächst also starke Vorbehalte gegen das amerikanische Engagement in Vietnam, so bezogen gerade die „Bild“-Titel mit Zunahme der bundesdeutschen Demonstrationen und Protestaktionen deutlich Stellung gegen amerikafeindliche Aktionen in West-Berlin und der Bundesrepublik. Dazu trug die – 1966 in der DDR gestartete – „Enteignet Springer“-Kampagne bei, welche Springer in einen existentiellen Gegensatz zur „68er“-Bewegung und damit auch zu deren fundamentaler US-Kritik brachte.52 Die Melange aus Mobilmachung gegen Anti-amerikanismus, eigener Amerikakritik und Buhlen um den Beistand der USA zeigt die „Bild“-Titelseite vom 6. April 1967, die sich ausschließlich mit dem Besuch des amerikanischen Vizepräsidenten Herbert Humphrey in Berlin beschäftigte. Groß aufgemacht wurde mit dem vereitelten Anschlag auf Humphrey. Elf Verschwörer der „Mao-Gruppe“ des SDS seien in einem Studentenwohnheim aufgegriffen worden. Bei dem Vorgang handelte es sich um das berühmt gewordene, über das Planungsstadium nie herausgekommene „Puddingattentat“ der Kommune I, die damit in das Licht der Öffentlichkeit trat.53 Auf derselben Seite hieß man den Vizepräsidenten willkommen und versicherte, dass die große Mehrheit der Deutschen Verständnis für den Kampf der Amerikaner in Asien habe. Die Mehrheit sorge sich aber auch darum, dass die USA Europa vernachlässigten. Im Bericht über Humphreys Gespräch mit Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger machte sich die „Bild“ allein durch das Layout und jedes Fehlen einer distanzierenden Wiedergabe Kiesingers skeptische Sicht des Nichtverbreitungsvertrags im Fett- und Sperrdruck zu eigen.

 

Bild, 6.4.1967, S. 1

„Bild am Sonntag“ verwies auf die „linksradikale[n] Organisationen […], darunter die in der Viermächte-Stadt zugelassene SED“ als Organisatoren von Antivietnam-Demonstrationen.54 Es ging den Springer-Zeitungen dabei weniger um die konkrete Kritik am Vietnamkrieg, die auch aus ausländischen Blättern wie der konservativen „Times“ zitiert wurde, sondern um die immer massiver werdenden antiamerikanischen Proteste. „Bild am Sonntag“ brachte neben der Protestschelte55 Personality-Stories über Johnson und seine „Lady Bird“ genannte Frau sowie ihre schwierige emotionale Situation angesichts der Lage in Vietnam.56

Für einen eindeutig atlantischen Kurs und die Zurückdrängung nationalneutralistischer Stimmen stand im Hause Springer der ehemalige KZ-Häftling Ernst Cramer, der bereits 1958 zur „Welt“ gekommen war, sich aber erst allmählich durchsetzte57 und zu Springers engstem Berater aufstieg. Der amerikanische Staatsbürger vertrat eine liberalkonservative, amerikafreundliche Linie und beargwöhnte die rechtskonservativen wie die NS-belasteten Mitarbeiter des Verlags, von denen Springer sich etwa im Falle Armin Mohlers oder Horst Mahnkes später auch trennte.58 Der jüdische Remigrant Cramer unterstützte zugleich Springers sich entwickelnde Bindung an Israel. Nachdem es 1965 wegen der unterschiedlichen Auffassungen über den atlantisch gesinnten Außenminister Gerhard Schröder, den Springer im Verbund mit seinen gaullistischen Freunden zu stürzen versuchte,59 beinahe zur Trennung von Springer und Cramer gekommen war,60 begleitete Cramer den Verleger im Juni 1966 und viele weitere Male nach Israel. Springers jetzt entstehender Israel-Enthusiasmus führte ihn auch wieder näher an dessen Schutzmacht USA heran.61

9

Ein weiterer markanter Punkt in der Entwicklung der Positionen Springers und seiner Blätter war das sich eintrübende Verhältnis zu Willy Brandt sowie zur sozialdemokratischen Außen- und Deutschlandpolitik. Springer hatte den Aufstieg Brandts lange Jahre unterstützt und begünstigt, aber seit dem ersten Passierscheinabkommen 1963 hatte sich das Verhältnis verschlechtert. Damals hatte Springer freilich noch auf persönliche Intervention von Brandts Mitarbeiter Egon Bahr umgehend die Kritik seiner Zeitungen an dem Abkommen gestoppt.62 Auch im Wahlkampf 1965 ging Springer keineswegs auf Konfrontationskurs zu Brandt.63 Im Wahlkampf 1969 positionierten sich die Springer-Zeitungen dann allerdings gegen die SPD, besonders gegen ihre deutschland- und ostpolitischen Vorstellungen. Nach dem sozialdemokratischen Wahlsieg wurde die Regierung wesentlich heftiger unter Beschuss genommen als Brandt selbst.

Durch die Entspannungspolitik sah Springer die Wiedervereinigung gefährdet – ein Ziel, das er als Bestandteil seiner Essentials in die Unternehmenssatzung der zum 1. Januar 1970 neu konstituierten AG (mit ihm als alleinigem Aktionär) aufgenommen hatte.64 Der Verleger zeigte sich nun entsetzt über des Kanzlers Bekenntnis im „U.S. News & World Report“ vom Dezember 1969, er, Brandt, spreche nicht mehr über Wiedervereinigung, sein ultimatives Ziel sei Frieden in Europa.65 Springer schrieb daraufhin einen empörten Brief an Bahr, mit dem er kurz zuvor noch in seinem Berliner Verlagsgebäude konferiert hatte. Den Briefwechsel Springer/Bahr konnte das Publikum dann im „Spiegel“ nachlesen.66 Das war der offene Bruch zwischen Springer und Brandt/Bahr, auch wenn Springer mit dem Bundeskanzler im Februar 1970 und später im August 1971 erneut persönlich zusammentraf.67 Jetzt konzentrierte sich der Kontakt auf briefliche Appelle Springers, Brandt möge sich von kommunistischen Mitgliedern der Partei wie dem Juso-Vorsitzenden Wolfgang Roth trennen und für die von der Sowjetunion Verfolgten eintreten.68

Die „Welt“ akzentuierte nun stark die Ambivalenzen der amerikanischen Position gegenüber der bundesdeutschen Ostpolitik und das Risiko einer Abkopplung von den USA.69 Dabei sammelte ihr Washingtoner Korrespondent Heinz Barth insbesondere Stimmen von Senatoren und congressmen, die der Ostpolitik kritisch gegenüberstanden. Auch „Bild“ brachte Warnungen von elder statesmen wie dem ehemaligen Außenminister Dean Acheson oder den Deutschland-Veteranen Lucius Clay und John McCloy vor Brandts „Wettrennen nach Moskau“ auf der Titelseite.

10

 

Bild, 11.12.1970, S. 1

Barth ermunterte zusammen mit dem CSU-Abgeordneten Walter Becher die entspannungskritischen Senatoren und Abgeordneten während der Ratifizierungsdebatte auch, entsprechend ausgerichtete Beiträge zu den Kongressakten zu nehmen. Dies wurde im „Spiegel“ und später in der „Washington Post“ kritisch notiert.70 Auch nach der heißen Phase der Ostpolitik blieb der Scheinwerfer der „Welt“ auf die Differenzen zwischen der sozialliberalen Koalition und den Amerikanern gerichtet.71 Die Amerikaner gerieten damit in die Rolle der von Springer umworbenen Verbündeten in der bundesdeutschen Auseinandersetzung über die Außenpolitik. Im März 1971 versuchte Springer die Amerikaner während des Wahlkampfes in West-Berlin zu einer deutlicheren Kritik an der Ostpolitik zu bewegen. Die SPD könne sonst mit der Unterstützung des Westens werben. Springer untermauerte dies, indem er eine tatsächlich auf Nixon und die westliche Unterstützung insgesamt abhebende Wahlkampf-Anzeige der Berliner SPD beifügte.72

 

Berliner SPD-Wahlwerbung 1971, die Springer einem Brief vom 5.3. an Kissinger beifügte (Nixon Presidential Library, White House Central Files, Subject Files CO, Box 32, [GEN] CO 53-2 German Federal Republic 1/1/71-; hier veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von Harry Walter, ehem. Werbeagentur ARE. Das Foto zeigt Nixon, Brandt und in der Mitte den damaligen Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Schütz.)

Zwei Jahre später präsentierte sich Springer dem amerikanischen Botschafter in Bonn, Martin Hillenbrand, als treuer atlantischer Weggefährte. Der „latente Anti-Amerikanismus“ eines Großteils der Nachrichtenmedien habe nach der Wiederwahl von Nixon und Brandt „bestürzende Formen“ angenommen. Demgegenüber verwies er mit einer Dokumentation auf die amerikafreundliche Haltung seines Hauses, welches durch „die Kontinuität unseres Kurses zur Kontinuität der deutsch-amerikanischen Beziehungen“ beizutragen versuche – „solange wir noch unsere Stimme erheben können“, wie es in der typisch dramatischen Sprache des Verlags hieß.73 Einmal abgesehen davon, dass es sich hier um die Erfindung einer Tradition handelte, reagierte die amerikanische Administration eher spröde auf Springers Avancen, da man gegenüber den innerdeutschen Auseinandersetzungen Neutralität wahren und mit der Brandt-Regierung, bei allem Ärger über sie, zusammenarbeiten musste.

Springers Zeitungen geißelten aber nun vehement den linken Antiamerikanismus in der Bundesrepublik und dessen angebliche Verharmlosung durch die sozialliberale Bundesregierung.74 Die „Berliner Morgenpost“ empfand eine Äußerung Brandts, man solle den Amerikanern nicht nach dem Mund reden, als „anmaßenden Jargon“. Der Kanzler habe sich als „angehender Neutralist zu erkennen gegeben, als betulicher Missionar eines finnlandisierten Europas mit sozialliberalen Dirigenten, in dem geträumt, abgerüstet und mit dem kommunistischen Bären ein Tänzchen riskiert wird“. Brandt zeige sich mehr von der sowjetischen Westpolitik denn von der amerikanischen Europapolitik beeindruckt.75 Komplementär brachte die „Welt“ Anfang 1974 eine regelrechte Apotheose der USA aus der Feder Wolf Schneiders, der 1971 vom „Stern“ zu Springer gewechselt war, wo er im Oktober 1973 zum Chefredakteur der „Welt“ avancierte. In seiner „Rede auf Amerika“ rühmte der ehemalige „SZ“-Amerikakorrespondent die USA als „die offenste Gesellschaft, die es je gegeben hat. […] Es ist das Land der äußersten Freiheit und der geringsten Vorurteile. Es ist eine der größten Ansammlungen von weltoffenen Menschen, netten Leuten, guten Nachbarn, die es auf Erden gibt. […] Nach technischem Standard und Produktivität, nach Vitalität und Phantasie besteht die Menschheit zur Hälfte aus den USA und zur anderen Hälfte aus dem Rest.“76 Zu diesem Rest zählte Schneider auch „Alt-Europa“, und dessen Amerikanisierung hielt er, ganz ungaullistisch, gegenüber einem globalen Kommunismus für ein sehr kleines Übel.

11

3. Die Transformation des westdeutschen Konservatismus
 

Wie ist die Entwicklung Springers in der Geschichte des bundesdeutschen Konservatismus zu verorten? Konservative in Politik und Medien der 1960er-Jahre waren in der Regel Amerikaskeptiker und Amerikakritiker. Bei einigen spielten traditionell kulturkritische und nationalistische Vorbehalte weiterhin eine Rolle, was sich paradigmatisch etwa an den Artikeln und Bestsellern des Journalisten Hans-Georg von Studnitz zeigt.77 Hinzu kam das Gefühl, von der Schutzmacht zugunsten einer Verständigung der Supermächte und aufgrund des Engagements in anderen Teilen der Welt, vor allem in Vietnam, im Stich gelassen zu werden. Deutsche Interessen, von der nuklearen Teilhabe bis zur Wiedervereinigung, sah man von den USA vernachlässigt. Diesen Argwohn hegten katholisch-konservative Politiker wie die Gaullisten in der Union um Adenauer, Krone, Strauß und zu Guttenberg ebenso wie Springer und die katholische Presse („Rheinischer Merkur“, „Neue Bildpost“). Trotz verbaler Ausfälle und drastischer historischer Vergleiche kann man aber für die Kerngruppe dieser politisch-journalistischen Allianz nicht von Antiamerikanismus sprechen – das transatlantische Militärbündnis stellte hier kaum jemand ernsthaft in Frage; vielmehr kritisierte man ja gerade das amerikanische „Disengagement“. Wohl aber gab es eine politische Skepsis gegenüber den USA, die nicht selten in Polemik mündete.78

 

Bild, 16.8.1970, S. 1: „Die Kinder besuchen einen ‚antiautoritären Kindergarten‘ in Göttingen. Ihre Eltern halten sich für modern. Und deshalb halten sie Mao für den Allergrößten. Sie merken gar nicht, wie autoritär sie ihre Kinder für ihre politischen Anschauungen mißbrauchen. Ihnen ist jedes Mittel recht, wenn es darum geht, der Öffentlichkeit ihre alberne Gleichung zu präsentieren: ‚Links ist gut, und Amis sind böse.‘ […] Allein die amerikanische Rückendeckung erlaubte die Entfaltung jener vielschichtigen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Initiativen, die zu einer langanhaltenden Periode des westeuropäischen Aufbaus führten.“

Dagegen orientierten sich Liberale, nichtkommunistische Linke sowie liberale Christdemokraten an den USA und bejahten deren außenpolitische Führungs- und Schutzmachtrolle. Oft waren sie auch kulturell von den seit jeher als Land der Zukunft angesehenen USA fasziniert, besonders wenn sie dort zum Studien- oder Fortbildungsaufenthalt gewesen waren.79 Die Verschmelzung der (liberal)konservativen Seite zu einem dezidiert proamerikanischen Lager vollzog sich dann in der Auseinandersetzung mit den antiamerikanischen Protesten und der Neuen Ostpolitik. Der Antikommunismus schweißte die deutschen Gaullisten und Atlantiker zusammen: Gegen das Agreement mit dem Ostblock rief nun auch der ehedem gaullistische „Rheinische Merkur“ die USA zu Hilfe, fürchtete jedoch gleichzeitig, dass diese durch die Ostpolitik und den neuen Antiamerikanismus bei Teilen der Linken verprellt würden. Atlantiker wurden die Konservativen also weniger aus Neigung denn aus einer Einsicht in die strategische Lage: Vor der perhorreszierten Hinwendung zum Kommunismus, die im Innern durch die Protestbewegung und im Außenverhältnis durch die Ostpolitik drohe, setzte man auf die feste Bindung an die westliche Führungsmacht.80

Dies gilt gerade für Springer und seine Zeitungen, die er beständig auf seine Linie zu bringen versuchte – was keineswegs durchgehend, aber doch auf lange Sicht in den Grundzügen gelang. Dem Patrioten Springer ging es primär um die freie Selbstbestimmung Deutschlands. Sah er diese zunächst durch die amerikanische Atomwaffenstationierung und dann durch die nachgiebige Détente-Politik Washingtons bedroht, so wandelte sich dies, als er seine Ziele von sozialliberalen „Appeasement“-Politikern und (tatsächlich oder vermeintlich) kommunistisch aufgehetzten Studenten gefährdet sah. Jetzt erkannte er in den USA den einzig verlässlichen Garanten seiner eigenen Prinzipien. Dabei rangierten seit seiner Politisierung Ende der 1950er-Jahre politische Ziele vor ökonomischen. Diesen Primat der Politik konnte sich Springer angesichts seines Print-Imperiums aber auch leisten.

12

Vorläufig ist zu dem historiographisch noch kaum erfassten Wandel des deutschen Konservatismus festzuhalten:81 Ähnlich wie dieser sich 100 Jahre zuvor vom Gegner der Nationalidee zu deren Befürworter entwickelt hatte, so wurde nun die zuvor abgelehnte oder zumindest kritisch betrachtete Position des Atlantizismus – aber auch die Bejahung des technisch-industriellen Fortschritts82 – geradezu ein Signum des deutschen Konservatismus. Dies ist bis heute zu beobachten, selbst wenn dabei je nach der Ausrichtung der amerikanischen Administration Konjunkturen festzustellen sind. Die atlantische Positionierung ist seit den 1970er-Jahren aber insgesamt für die Hauptlinie des (Liberal-)Konservatismus fixiert, der nun Zustrom von Seiten der über die „68er“ ernüchterten, ehemals meist sozialdemokratischen Reformer erhielt – genannt seien nur Thomas Nipperdey, Wilhelm Hennis oder Philosophen aus der Ritter-Schule wie Hermann Lübbe.83 Die klassisch national-konservativen oder preußischen Standpunkte gerieten dagegen in Außenseiterpositionen. Dabei kamen auch generationelle Aspekte zum Tragen. Die Fundamentalkonservativen sammelten sich um neu gegründete kleinere Zeitschriften wie William S. Schlamms „Zeitbühne“, einer Art rechte „Weltbühne“, die ehemaligen Springer-Journalisten eine dezidiert konservative Heimstatt bot,84 oder „Criticón“ von Caspar von Schrenck-Notzing, wo der Gaullist Armin Mohler nun eine entscheidende Rolle spielte. Auch bei Schrenck-Notzing ist, bei aller Vermittlung des amerikanischen Konservatismus, der Impuls gegen die amerikanische reeducation überdeutlich.85 Mohlers Verhältnis zu Strauß wie zum Springer-Verlag wurde in den 1970er-Jahren distanzierter, auch wenn er gelegentlich noch im Feuilleton der „Welt“ schrieb.86 Strauß und Springer hatten sich, anders als der Fundamentalgaullist Mohler, zu dezidierten Atlantikern entwickelt. Das markierte nun eine der Bruchlinien zwischen den Mainstream- und den Rechtskonservativen.

Die große Resonanz, die zuvor in und mit den Springer-Zeitungen erzielt worden war, konnten die tendenziell amerikakritischen Rechtskonservativen nun also nicht mehr erreichen. Wie auch bei anderen Entwicklungen in der politischen Ideengeschichte ist der paradoxe Wandel des Konservatismus ein weder zeitlich noch personell noch inhaltlich genau abzugrenzender, aber doch deutlich wahrnehmbarer Prozess, der sich an der Transformation der Springer-Zeitungen zu Organen des Atlantizismus ablesen lässt. Ironischerweise wurde diese Transformation von den „68ern“ mit ihrer US-Kritik und der sozialliberalen Ostpolitik entscheidend befördert. Insofern stehen Springers Besuche in den USA, wo er von so unterschiedlichen Präsidenten wie Johnson und Reagan im Weißen Haus empfangen wurde,87 auch sinnbildlich für die ideen- und mentalitätsgeschichtliche Reise des bundesdeutschen Konservatismus nach Amerika.

Anmerkungen: 

1 Das Interview erschien unter der Überschrift „Unbeirrt an der Seite der USA“; dies stand in einer gewissen Spannung zur Dachzeile „Horst Ehmke sieht keine Grenze der Solidarität mit den USA, aber eine Grenze der Vernunft“ (Welt, 17.4.1980, S. 5).

2 Springer an Boenisch, 17.4.1980, in: Archiv für Christlich-Soziale Politik (im Folgenden: ACSP), NL Strauß, Fam 518.

3 Hans-Peter Schwarz, Axel Springer. Die Biografie, Berlin 2009, S. 605-609. Die Differenzen zwischen Springer und Boenisch führten 1981 zur Verabschiedung Boenischs mit einem „goldenen Handschlag“.

4 Vgl. für diese Praxis auch Karl Christian Führer, Erfolg und Macht von Axel Springers „Bild“-Zeitung in den 1950er-Jahren, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 4 (2007), S. 311-336.

5 „Die Unterstützung des transatlantischen Bündnisses und die Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika.“ Siehe http://www.axelspringer.de/artikel/Die-Essentials_40218.html.

6 Gudrun Kruip, Das „Welt“-„Bild“ des Axel Springer Verlags. Journalismus zwischen westlichen Werten und deutschen Denktraditionen, München 1999, S. 194f.; Schwarz, Springer (Anm. 3), S. 445. Bei Kruip taucht der Name des auch für Springer wichtigen amerikakritischen französischen Präsidenten Charles de Gaulle als Orientierungsgröße überhaupt nicht auf, in der ansonsten luziden Biografie von Schwarz nur einmal (im Zusammenhang mit 1968); vgl. Schwarz, Springer (Anm. 3), S. 470.

7 Vgl. Benjamin R. Read, Memorandum for Walt W. Rostow, 28.2.1967, in: Lyndon Baines Johnson (im Folgenden: LBJ) Library, National Security File (im Folgenden: NSF), Country File, Box 187, Germany Memos, Vol. XII [3 of 3].

8 Francis Bator, Memorandum for Walt W. Rostow, 17.4.1967, in: LBJ Library, NSF, Country File, Box 188, Germany Memos, Vol. XIII [2 of 2]. S.O.B. = „Son of a Bitch“.

9 Vgl. dazu Hubert Zimmermann, Money and Security. Troops and Monetary Policy in Germany’s Relations to the United States and the United Kingdom, 1950-71, Cambridge 2002.

10 Vgl. Führer, Erfolg (Anm. 4); Kruip, Das „Welt“-„Bild“ (Anm. 6); Schwarz, Springer (Anm. 3); Jochen Staadt/Tobias Voigt/Stefan Wolle, Feind-Bild Springer. Ein Verlag und seine Gegner, Göttingen 2009. An verschiedenen Stellen berührt wird die Geschichte des Springer-Konzerns auch bei Christina von Hodenberg, Konsens und Krise. Eine Geschichte der westdeutschen Medienöffentlichkeit 1945–1973, Göttingen 2006.

11 Vgl. Frank-Lothar Kroll (Hg.), Die kupierte Alternative. Konservatismus in Deutschland nach 1945, Berlin 2005. Beiträge zum bundesdeutschen Konservatismus finden sich auch in dem disparaten, mitunter antagonistische politische Strömungen vorstellenden Sammelband von Massimiliano Livi/Daniel Schmidt/Michael Sturm (Hg.), Die 1970er Jahre als schwarzes Jahrzehnt. Politisierung und Mobilisierung zwischen christlicher Demokratie und extremer Rechter, Frankfurt a.M. 2010; ferner mediengeschichtlich: Marcus M. Payk, Ideologische Distanz, sachliche Nähe. Die USA und die Positionswechsel konservativer Publizisten aus dem „Tat“-Kreis in der Bundesrepublik bis zur Mitte der 1960er Jahre, in: Jan C. Behrends/Árpád v. Klimó/Patrice G. Poutrus (Hg.), Antiamerikanismus im 20. Jahrhundert. Studien zu West- und Osteuropa, Bonn 2005, S. 225-249; ders., „… die Herren fügen sich nicht; sie sind schwierig.“ Gemeinschaftsdenken, Generationskonflikte und die Dynamisierung des Politischen in der konservativen Presse der 1950er und 1960er Jahre, in: Franz-Werner Kersting/Jürgen Reulecke//Hans-Ulrich Thamer (Hg.), Die zweite Gründung der Bundesrepublik. Generationswechsel und intellektuelle Wortergreifungen 1955–1975, Stuttgart 2010, S. 46-67; ders., Antikommunistische Mobilisierung und konservative Revolte. William S. Schlamm, Winfried Martini und der „Kalte Bürgerkrieg“ in der westdeutschen Publizistik der späten 1950er Jahre, in: Thomas Lindenberger (Hg.), Massenmedien im Kalten Krieg. Akteure, Bilder, Resonanzen, Köln 2006, S. 111-137. Als Überblick vgl. Axel Schildt, Konservatismus in Deutschland. Von den Anfängen im 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 1998.

12 Vgl. Schwarz, Springer (Anm. 3), S. 209ff.

13 Vgl. Führer, Erfolg (Anm. 4).

14 Zit. nach Schwarz, Springer (Anm. 3), S. 263.

15 Vgl. Claus Jacobi, Der Verleger Axel Springer. Eine Biographie aus der Nähe, München 2005, S. 43.

16 Vgl. Schwarz, Springer (Anm. 3), S. 285, S. 290.

17 Vgl. Bild, 16.8.1961, S. 1; Schwarz, Springer (Anm. 3), S. 344-354.

18 Vgl. Jacobi, Verleger (Anm. 15), S. 184-189.

19 Vgl. ebd., S. 23, S. 159, S. 166; Schwarz, Springer (Anm. 3), S. 316.

20 Dies wird aus einem späteren Brief Springers ersichtlich; vgl. Springer an Strauß, 24.7.1964, in: ACSP, NL Strauß, Fam 518. Zu Strauß’ Vorschlag siehe Tim Geiger, Atlantiker gegen Gaullisten. Außenpolitischer Konflikt und innerparteilicher Machtkampf in der CDU/CSU 1958–1969, München 2008, S. 105. Die deutschen Gaullisten strebten ein engeres Zusammengehen mit Frankreich an, eine eigenständigere europäische Politik; sie folgten den Vorstellungen des Generals aber keineswegs vorbehaltlos.

21 Vgl. die Interviews mit Strauß im Deutschen Fernsehen (DFS), „Unter uns gesagt“, 10.3.1965, 21.45 Uhr, in: BPA Kommentarübersicht des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung (BPA), 11.3.1965, Anhang I, Zitat S. 16, und in: ZEIT, 8.4.1966, S. 9. Die BPA-Kommentarübersichten zum Rundfunk sind im Archiv des Hauses einsehbar.

22 Vgl. neben Geiger, Atlantiker (Anm. 20), v.a. Eckart Conze, „Atlantiker“ und „Gaullisten“: Eine Kontroverse zur deutschen Außenpolitik aus den 1960er Jahren, in: Ulrich Schlie (Hg.), Horst Osterheld und seine Zeit (1919–1998), Weimar 2006, S. 99-124; ders., Die gaullistische Herausforderung. Die deutsch-französischen Beziehungen in der amerikanischen Europapolitik 1958–1963, München 1995; ders., Staatsräson und nationale Interessen. Die „Atlantiker-Gaullisten“-Debatte in der westdeutschen Politik- und Gesellschaftsgeschichte der 1960er Jahre, in: Ursula Lehmkuhl/Clemens A. Wurm/Hubert Zimmermann (Hg.), Deutschland, Großbritannien, Amerika. Politik, Gesellschaft und Internationale Geschichte im 20. Jahrhundert. Festschrift für Gustav Schmidt zum 65. Geburtstag, Stuttgart 2003, S. 197-226; Hans-Jürgen Grabbe, Unionsparteien, Sozialdemokratie und Vereinigte Staaten von Amerika 1945–1966, Düsseldorf 1983; Reiner Marcowitz, Option für Paris? Unionsparteien, SPD und Charles de Gaulle 1958 bis 1969, München 1996.

23 Springer an Strauß, 24.7.1964, in: ACSP, NL Strauß, Fam 518.

24 Bild, 12.6.1965. Die Zeichnung des Artikels mit „Bild“ spricht für eine Autorisierung durch Springer.

25 2006 sagte der Springer-Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner in einem Streitgespräch mit Günter Grass: „Mein Freiheitsbegriff steht über dem Dreieck: Amerika, Israel, Marktwirtschaft – das Gegenbild zu Nationalismus und Sozialismus.“ Mit dem Patriotismus tat er sich durchaus schwerer („Wir Deutschen sind unberechenbar“, in: Spiegel, 19.6.2006, S. 156-163, Zitat S. 157).

26 Auch die Labour-Regierung in Großbritannien war gegenüber der MLF aber sehr skeptisch; vgl. Susanna Schrafstetter, Die dritte Atommacht. Britische Nichtverbreitungspolitik im Dienst von Statussicherung und Deutschlandpolitik, 1952–1968, München 1999, S. 119-128.

27 Vgl. den Brief Springers an den Bundeskanzler vom 19.11.1964, in: Archiv für Christlich-Demokratische Politik (ACDP), 01-724-011.

28 Vgl. Heinz Barth an Zehrer, 29.12.1965; Zehrer an Springer, 12.10.1965, in: Bundesarchiv (im Folgenden: BA), N 1311, Nr. 27.

29 Higgins an Jack Valenti, Special Assistant to the President, 10.12.1964, in: LBJ Library, NSF, Country File, Box 184, Germany Memos, Vol. VI.

30 McBundy, Memorandum for the President, 16.12.1964, in: LBJ Library, NSF, Country File, Box 184, Germany Memos, Vol. VI.

31 C.L. Sulzberger, Foreign Affairs: A Gloomy Watch on the Rhine, in: New York Times, 10.2.1965, S. 40.

32 Bild, 10.2.1965, S. 1 und letzte Seite. Zu Botschafter George McGhees Abschied schrieb Bild (10.5.1968), man habe mit ihm nicht „nur freundschaftliche Gespräche, sondern so manche harte Diskussion“ geführt.

33 „No, Sir!“, in: Bild, 10.3.1965, S. 1.

34 Vgl. Michael Jürgs, Der Fall Axel Springer. Eine deutsche Biographie, München 1995, S. 182f.

35 Bild, 23.3.1965, S. 1. Der Artikel war unter einem Beitrag gegen den US-freundlichen Schröder („Versager des Jahres“) platziert.

36 „No, Sir!“ Was uns Deutsche Südvietnam angeht, in: SPD-Pressedienst, 18.3.1965, S. 6.

37 Vgl. Alexander Troche, „Berlin wird am Mekong verteidigt“. Die Ostasienpolitik der Bundesrepublik in China, Taiwan und Süd-Vietnam, 1954–1966, Düsseldorf 2001, S. 289.

38 Wie Anm. 36.

39 Vgl. Kurt Leissler, USA überspielen Bonn, in: Bild, 26.5.1966, S. 1.

40 Vgl. Atom-Sperrvertrag: Schlag der Trommeln, in: Spiegel, 27.2.1967, S. 17-30, hier S. 21.

41 Vgl. die Titelseite und Friedrich Ludwig Müller/Martin Klaus Keune, Das Diktat der Atom-Giganten, in: Bild am Sonntag (im Folgenden: BamS), 19.2.1967, S. 2.

42 Vgl. Atomvertrag von unbegrenzter Gültigkeit, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.2.1967, S. 4; Schlag der Trommeln (Anm. 40), S. 27, jetzt mit einem Entwurf für Artikel 3.

43 Vgl. Peter Hoeres, Außenpolitik, Öffentlichkeit, öffentliche Meinung. Deutsche Streitfälle in den „langen 1960er Jahren“, in: Historische Zeitschrift 291 (2010), S. 689-720, hier S. 706f.

44 Konrad Adenauer, Die letzten Lebensjahre 1963–1967. Briefe und Aufzeichnungen, Gespräche, Interviews und Reden, Bd. 2: September 1965 – April 1967, bearb. von Hans Peter Mensing (Rhöndorfer Ausgabe), Paderborn 2009, S. 377f.

45 Interview mit Adenauer, in: Spiegel, 27.2.1967, S. 21.

46 Vgl. Joachim Radkau, Aufstieg und Krise der deutschen Atomwirtschaft 1945–1975. Verdrängte Alternativen in der Kerntechnik und der Ursprung der nuklearen Kontroverse, Reinbek bei Hamburg 1983, S. 424-430.

47 Hans-Georg von Studnitz, Morgenthaus Geist?, in: Welt am Sonntag (im Folgenden: WamS), 12.2.1967, S. 2.

48 Vgl. Marcel Hepps Streitschrift mit dem charakteristischen Titel: Atomsperrvertrag. Die Supermächte verteilen die Welt, Stuttgart-Degerloch 1968.

49 Sperrvertrag unvereinbar mit NATO-Pakt, in: Welt, 11.2.1967, S. 3.

50 Text of Cable from Ambassador McGhee for the President, 2.11.1967, in: LBJ Library, NSF, Country File, Box 188, Germany Memos, Vol. XIV [2 of 2].

51 Vgl. dazu Florian Melchert, Meinungsfreiheit in Gefahr? Die medienpolitische Debatte in der Bundesrepublik vom Fernsehstreit bis zur Anti-Springer-Kampagne (1961–1969), Diss. Bochum 2003 (Mikrofiche-Ausg.).

52 Der Springer-Verlag arbeitete schnell die Herkunft der Enteignungsparole heraus. Vgl. Verlagshaus Axel Springer, Die These von der „Enteignung des Axel-Springer-Verlages“. Ihr Ursprung und ihre Verbreitung, in: BA, N 1371, Nr. 253, Fiche 4. Die Kampagne gegen Springer kann man natürlich nicht allein auf die Diskreditierungsanstrengungen der DDR reduzieren; vgl. Staadt/Voigt/Wolle, Feind-Bild (Anm. 10), S. 76-147.

53 Vgl. Detlef Siegfried, Time Is on My Side. Konsum und Politik in der westdeutschen Jugendkultur der 1960er Jahre, Göttingen 2006, S. 507ff.

54 Eier gegen Demonstranten, in: BamS, 22.10.1967, S. 56.

55 Vgl. Feine Freunde sind wir…, in: BamS, 4.2.1968, S. 12.

56 Vgl. die Aufmacher mit schon bezeichnenden Überschriften: „Auch der Präsident hat manchmal Angst…“ [Interview mit Mrs. Johnson], in: BamS, 27.8.1967, S. 28-33; „Johnson betete aus Angst vor dem Weltkrieg“, in: BamS, 14.5.1967, S. 1 und S. 8.

57 Zeitweilig wurde er von Springer, Zehrer und dem USA-Korrespondenten Heinz Barth zur verhassten „Schröder-Lobby“ gezählt, also zur Anhängerschaft des dezidiert atlantischen Außenministers. Vgl. Barth an Zehrer, 29.12.1965 (dort das Zitat); Zehrer an Springer, 12.10.1965, in: BA, N 1311, Nr. 27.

58 Vgl. BA, N 1311, Nr. 23, 31, 34; Axel Springer AG, Unternehmensarchiv, NL Mahnke. Siehe zu Cramer auch Kruip, „Welt“-„Bild“ (Anm. 6), S. 89, die aber nicht auf die Konflikte im Verlag zwischen der nationalkonservativen bzw. neutralistischen und der liberalkonservativ-atlantischen Richtung eingeht.

59 Vgl. Hoeres, Außenpolitik (Anm. 43), S. 697-702.

60 Vgl. Schwarz, Springer (Anm. 3), S. 409-415.

61 Zum Komplex der pro-israelischen Haltung Springers veranstalteten das Fritz Bauer Institut und das Jüdische Museum Frankfurt am Main im März 2011 die Tagung „Axel Springer. Juden, Deutsche und Israelis“; das Jüdische Museum bereitet zudem eine Ausstellung vor. Siehe den Bericht von Anne Gemeinhardt, 8.6.2011: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=3675.

62 Vgl. Egon Bahr, Zu meiner Zeit, München 1996, S. 161-167.

63 Vgl. Daniela Münkel, Willy Brandt und die „vierte Gewalt“. Politik und Massenmedien in den 50er bis 70er Jahren, Frankfurt a.M. 2005, S. 53-80, bes. S. 69f.

64 Vgl. Springer: Monument geschaffen, in: Spiegel, 19.1.1970, S. 68f. Die Verpflichtung auf die Essentials wurde dort mit „der gleichgeschalteten Presse des Dritten Reiches“ verglichen, was doch stark von den Inhalten abstrahierte.

65 Vgl. Robert Haeger, Germany’s Changing Role. Interview With Chancellor Willy Brandt, in: U.S. News & World Report, 29.12.1969, S. 28-32. Brandt hatte dabei betont, es sei wichtig, eine Tür für Veränderungen offen zu lassen, so dass bei veränderten Rahmenbedingungen alle Deutschen über ihre Zukunft entscheiden könnten, was nicht notwendigerweise die Rückkehr zum alten Nationalstaat bedeute.

66 „In Sorge grüßt Sie Ihr Axel Springer“, in: Spiegel, 26.1.1970, S. 52f. Die Originale bzw. Durchschläge, die auch Brandt las, vom 25. bzw. 30.12.1969 liegen in: Archiv der sozialen Demokratie (AdsD), Depositum Bahr, Ordner 85, 1/EEAA000251.

67 Vgl. für das Treffen auf dem Venusberg am 11.2.1970 Brandts Gesprächsnotizen, die den beiderseitigen Versuch einer Bereinigung des Verhältnisses zeigen, in: Willy-Brandt-Archiv, A 8, Mappe 91.

68 Eine englische Übersetzung dieses Appells von Springer an Brandt vom 29.8.1973 findet sich in: Nixon Presidential Library (im Folgenden: NPL), White House Central Files (im Folgenden: WHCF), Subject Files CO, Bx 31, [GEN] CO 53-1 German Democratic Republic 1/1/73-.

69 Vgl. etwa Heinz Barth, Für Washington ist Berlin das Kriterium, in: Welt, 10.8.1970, S. 4; ders., Washington sieht es schärfer, in: Welt, 6.10.1970, S. 4.

70 CDU/CSU: Wohl was locker?, in: Spiegel, 24.4.1972, S. 36-42; John M. Goshko, Axel Springer: Germany’s Luce, in: Washington Post, 22.4.1973, S. B1f., hier S. B2.

71 Dies kam schon in den Überschriften der Korrespondentenberichte deutlich zum Ausdruck; vgl. etwa anlässlich einer US-Visite Brandts: Heinz Barth, Keine volle Einigkeit zwischen Bonn und Washington, in: Welt, 2.5.1973; ders., Sprache der Distanz, in: Welt, 4.5.1973. Die entsprechende Schlagzeile der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 3.5.1973 lautete dagegen: „Washington und Bonn stellen das Trennende zurück“.

72 Vgl. Springers Brief vom 5.3.1971, in: NPL, WHCF, Subject Files CO, Box 32, [GEN] CO 53-2 German Federal Republic 1/1/71-.

73 Vgl. Springer an Hillenbrand, 5.2.1973, und dessen diplomatisch-belanglose Antwort vom 21.2.1973, in: Axel Springer AG, Unternehmensarchiv, NL Boenisch, Nr. 11.

74 Vgl. Erhard für engere Beziehungen zu USA, in: WamS, 18.2.1973; Bernt Conrad, Kampagne gegen den Partner, in: Welt, 20.3.1973; Die Amerikaner müssen bleiben, in: Hamburger Abendblatt, 28.3.1973; Georg Schröder, Die Fassade der Freundschaft zu Amerika zeigt Risse, in: Welt, 30.3.1973; Norbert Mühlen, Frühjahr des Mißvergnügens, in: WamS, 1.4.1973; CDU-Politiker kritisieren antiamerikanische Tendenzen, in: Welt, 2.4.1973; Peter Meyer-Ranke, Der Kanzler läßt verkünden: Schuld ist die Öffentlichkeit, in: Bild, 2.4.1973; Was Nixon wissen will, in: Bild, 3.4.1973.

75 Vgl. Rudolf Stiegle, Der angehende Neutralist, in: Berliner Morgenpost, 3.5.1973.

76 Wolf Schneider, Rede auf Amerika, in: Welt, 14.1.1974.

77 Vgl. Nils Asmussen, Hans-Georg von Studnitz. Ein konservativer Journalist im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 45 (1997), S. 75-119.

78 Vgl. dazu und zum Folgenden: Peter Hoeres, Außenpolitik und Öffentlichkeit. Massenmedien, Meinungsforschung und Arkanpolitik in den deutsch-amerikanischen Beziehungen 1963–1974 (erscheint vorauss. 2012).

79 Eine wichtige Rolle spielte dabei neben dem Fulbright-Programm Henry Kissingers Harvard International Seminar; vgl. Holger Klitzing, The Nemesis of Stability. Henry A. Kissinger’s Ambivalent Relationship with Germany, Trier 2007, S. 76-90, S. 479ff.

80 Die zuvor amerikaskeptisch eingestellten Politiker und Publizisten waren dabei gegenüber der Neuen Ostpolitik ungleich kritischer als die traditionellen Atlantiker, die – wie etwa die Unionsabgeordneten Erik Blumenfeld, Ernst Majonica oder Rainer Barzel – zumindest Teile derselben mittragen wollten. Vgl. zu dieser abweichenden Linie Ernst Majonica, Das politische Tagebuch 1958–1972, bearb. von Hans-Otto Kleinmann und Christopher Beckmann, Düsseldorf 2011; außerdem Frank Bajohr, Hanseat und Grenzgänger. Erik Blumenfeld – eine politische Biographie, Göttingen 2010.

81 Schildt, Konservatismus (Anm. 11), spricht von einer „tiefe[n] Zäsur“ (S. 244) Ende der 1960er-Jahre, bezieht dies aber nicht auf das Verhältnis zu den USA.

82 Vgl. für die Entwicklung konservativer Revolutionäre zu technokratischen Konservativen: Dirk van Laak, From the Conservative Revolution to Technocratic Conservatism, in: Jan-Werner Müller (Hg.), German Ideologies since 1945. Studies in the Political Thought and Culture of the Bonn Republic, New York 2003, S. 147-160.

83 Vgl. Nicolai Wehrs, Der „Bund Freiheit der Wissenschaft“ und die Tendenzwende der 1970er Jahre, in: Livi/Schmidt/Sturm, 1970er Jahre (Anm. 11), S. 91-112.

84 Schlamm selbst war freilich ein kämpferischer Atlantiker.

85 Vgl. Caspar von Schrenck-Notzing, Charakterwäsche. Die amerikanische Besatzung in Deutschland und ihre Folgen, Stuttgart 1965.

86 In den 1960er-Jahren hatte Mohler für Springer noch eine Zeitschrift geplant; vgl. Mohler an Horst Mahnke/Springer-Verlag, 14.10.1966, in: ACSP, NL Strauß, Fam 564. Zu dieser Zeit hatte er Strauß beraten und Reden für ihn geschrieben. 1974 beklagte sich der habilitierte Mohler dann bei Strauß, dass dieser ihm nicht zu einem Lehrstuhl in Bayern verholfen habe; vgl. Mohler an Strauß, 30.3.1974, in: ACSP, NL Strauß, Fam 564.

87 Vgl. zum Besuch bei Reagan, der freilich mehr aus einem Fototermin denn einem echten Austausch bestand: Jürgs, Der Fall Axel Springer (Anm. 34), S. 101f.

Licence

Copyright © Clio-online – Historisches Fachinformationssystem e.V. and the author, all rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial purposes. However, republication can only be granted with prior written consent of the above-named rights holders. For permission to republish this work (including translations) please contact: <kirsch@zzf-potsdam.de>.

For the use of photographs, audio and video material included in the articles note the stated terms of licence and the rights holders.