Der Aufsatz skizziert Migrationen aus der Volksrepublik Polen (1949–1989). Besonders berücksichtigt werden dabei die Politik der Ausreiseverhinderung seit den späten 1940er-Jahren und die Errichtung eines Grenzkontrollsystems nach sowjetischem Vorbild, die neuen Möglichkeiten für Migrationen im Jahr 1956 und danach, die relative Öffnung zum Westen in den 1970er-Jahren und die Erosion der restriktiven Ausreisepolitik in den 1980er-Jahren, die schließlich zum Exodus von 1987–1989 führte. Der Beitrag nennt wichtige Faktoren der Migrationsentwicklung: die Muster und Institutionen der „Passpolitik“ (die mit der generellen Entwicklung des Herrschaftssystems verbunden war), die Dynamik von Migrantennetzwerken, relative Deprivation und Entfremdung von „Volkspolen“, Druck von außen und Schattenwirtschaft.
∗ ∗ ∗
The article outlines migrations from communist Poland (1949–1989). It deals in particular with the policy of preventing people from leaving the country since the late 1940s and the introduction of a Soviet-style border control system, the revival of migrations from 1956, the relative opening towards the West in the 1970s and the gradual erosion of the restrictive policy towards people wanting to leave the country in the 1980s, resulting in the exodus of 1987–1989. This article pinpoints some major factors determining the changing nature of migrations: the patterns and institutions of “passport policy” (related to the general development of the political regime), the dynamics of migrant networks, the relative deprivation and alienation of the “People’s Republic of Poland”, foreign pressure, and the development of a shadow economy.
3/2005: Migration
-
Zeitgeschichte und Migrationsforschung
Eine Einführung
Aufsätze | Articles
Seit den 1960er-Jahren wurden für die Migranten in der Bundesrepublik Radiosendungen und Zeitschriften in ihrer jeweiligen Nationalsprache produziert. Die Entwicklung dieser Medien wurde von weitgreifenden Konflikten geprägt, die sich im Kontext internationaler Auseinandersetzungen um die politische Beeinflussung der so genannten „Gastarbeiter“ entfalteten. Zum einen stand die Gründung und Finanzierung von „Gastarbeitersendungen“ bzw. „Gastarbeiterzeitschriften“ im Rahmen des Kalten Krieges: Die Medien sollten die Zuwanderer vom (befürchteten) Konsum fremdsprachiger Auslandsprogramme abhalten, welche die Ostblockstaaten zu propagandistischen Zwecken ausstrahlten. Zum anderen konnten die meist autoritären Heimatregierungen der Migranten die Kritik nicht dulden, die in den „Gastarbeitersendungen“ zum Ausdruck gebracht wurde. Daraus entwickelten sich schwerwiegende diplomatische und innerdeutsche Spannungen. Trotz aller politischen Schwierigkeiten orientierten sich die Programme inhaltlich vor allem an den sozialen Bedürfnissen der Migranten.
∗ ∗ ∗
Since the 1960s, several radio programmes and periodicals were produced specifically for immigrants in the Federal Republic of Germany. Far-reaching international debates about the political influence of so-called “guestworkers” shaped the evolution of these media. On the one hand, the way these programmes and periodicals were initiated and financed must be considered in the context of the Cold War; these media were intended to prevent immigrants from listening to foreign-language programmes broadcast by East European governments as part of their propaganda efforts. On the other hand, the largely authoritarian regimes of the immigrants’ home countries did not tolerate criticism, especially in such “guestworker radio programmes”. This conflict ultimately provoked severe tensions both on a diplomatic level and within German society. Despite these political difficulties, the different forms of guestworker media continued to operate, focusing primarily on the social aspects of immigrant life.
Seit sich die republikanische Regierungsform in Frankreich endgültig durchgesetzt hatte (1875), waren vier Gruppen von Franzosen Diskriminierungen ausgesetzt, die im Staatsangehörigkeitsrecht festgeschrieben waren: französische Frauen, die Ausländer heirateten; algerische Muslime, Eingebürgerte und Juden. Die Republik erkannte sie als Franzosen an, gewährte ihnen aber nicht in jeder Hinsicht gleiche Rechte. Heute sind diese Diskriminierungen verschwunden. Doch zwei der vier Gruppen – die Juden und die algerischen Muslime – tragen weiterhin die gelebte Erfahrung und die Erinnerung früherer Diskriminierungen, auch wenn sie inzwischen völlig gleichberechtigt sind und zum Teil Anerkennung oder Reparationen erhalten haben. Der Aufsatz soll verstehen helfen, warum dies so ist, und greift dafür auf psychoanalytische Erklärungsansätze zurück. In beiden Fällen gab es ein zweites Ereignis, das die schmerzliche Vergangenheit reaktivierte: eine Rede de Gaulles 1967 bzw. die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts 1993. Dieses zweite Ereignis geschah in einer Zeit formaler Rechtsgleichheit und wies dennoch auf die Zeit der Diskriminierung zurück.
∗ ∗ ∗
Once a republican government had finally been established in France (1875), four categories of French nationals were subject to discrimination as defined in laws on nationality: French women who married foreigners, Algerian Muslims, naturalised citizens, and Jews. The Republic recognised them as French and yet they did not always have rights equal to those of other French nationals. These forms of discrimination are today no longer valid. Yet two of these four groups – Jews and Algerian Muslims – continue to endure the experience and memory of past discrimination, even though their rights have since been reestablished and even though they have been granted partial recognition or reparation. The article helps us to understand why this is the case, drawing on psychoanalytical explanations. In both of these cases a second event – a speech given by de Gaulle in 1967, and the reform of laws on nationality in 1993 – served to reawaken the painful past. Although these events occurred at a time when equal rights were formally in place, they harked back to the previous discrimination.
Von 1950 bis 1980 vervielfachten sich Zahl und Größe religiöser Minderheitengruppen in Großbritannien aufgrund der Nachkriegszuwanderung, doch anders als bei vorangegangenen Wanderungen und im Unterschied zur Gegenwart wurden die verschiedenen Glaubensrichtungen der neuen Einwanderer während dieses Zeitraums kaum thematisiert. Dieser Zugang ist vor dem Hintergrund einer untergehenden Kolonialmacht zu sehen, die an der Illusion eines Commonwealth mit gleichberechtigten Untertanen („subjects“) festhielt, aber die eigene Dominanz nicht aufgeben wollte. Das Gruppenmerkmal „race“ diente in der Endphase des Empires als allumfassendes Etikett, das weitere Differenzierungen überflüssig machen sollte. Eine neue Minderheitengeneration, die die Religion seit den 1980er-Jahren als wichtiges Element der Abgrenzung entdeckt hat, und das davon unabhängige Aufkommen des islamistischen Terrorismus haben die Phase des religiösen Desinteresses beendet.
∗ ∗ ∗
The number and size of populations belonging to minority religions in the UK multiplied between 1950 and 1980 due to immigration from the Commonwealth. Unlike previous and subsequent waves of immigration, religion did not become a public issue at this time. The new policy of multiculturalism focused predominantly on the theme of “race”. This approach emerged against the background of a declining imperial power which attempted to maintain an illusion of a Commonwealth of equal “subjects” and imperial dominance. The label “race” served to distinguish between “native” British on the one hand and colonial subjects on the other and, at the same time, brushed over existing cultural or religious differences. In the 1980s, when a new minority generation discovered religion as a means to emphasise diversity and (independently of this) Islamic terrorism began to spread, the period in which religion had been ignored came to an end.
Debatte | Debate
-
Rainer Ohliger
Menschenrechtsverletzung oder Migration?
Zum historischen Ort von Flucht und Vertreibung der Deutschen nach 1945
Quellen | Sources
-
Michael G. Esch
Osteuropäische Einwanderer in Paris (1900–1940)
-
Alexis Spire
In den Kellern der französischen Einwanderungspolitik (1945–1975)
Besprechungen | Reviews
Ausstellungen
-
Joachim Baur
Einwanderungsmuseen als neue Nationalmuseen
Das Ellis Island Immigration Museum und das Museum „Pier 21“
Neu gelesen
-
Karl Schlögel
Verschiebebahnhof Europa
Joseph B. Schechtmans und Eugene M. Kulischers Pionierarbeiten