Im Vorwort zur deutschsprachigen Ausgabe seines Buches »Exit, Voice, and Loyalty« stellte Albert O. Hirschman, US-amerikanischer Ökonom und Entwicklungstheoretiker,[1] seine Konzepte »Abwanderung« (exit) und »Widerspruch« (voice) in einen doppelten historischen Zusammenhang: zum einen mit »dem Schicksal der Juden, die noch nach 1939 in Deutschland waren«, zum anderen mit seiner eigenen Flucht aus Deutschland in die USA, nach der »Machtergreifung« durch die Nationalsozialisten. 1933, im ersten Jahr seines Studiums, verließ der 1915 geborene Hirschman (damals noch: Otto-Albert Hirschmann) Berlin und flüchtete zunächst nach Paris. 1935/36 verbrachte er ein Jahr an der London School of Economics. Nach Paris zurückgekehrt, kämpfte er 1936 für kurze Zeit im Spanischen Bürgerkrieg gegen die Putschisten unter General Francisco Franco und ging dann nach Triest, wo er zwei Jahre später promoviert wurde. Aufgrund der italienischen Rasse-Gesetze reiste Hirschman 1938 wieder nach Frankreich aus. Zunächst Soldat in der französischen Armee, floh er wegen der Invasion der Wehrmacht 1940 nach Marseille, wo er für den US-Journalisten und Fluchthelfer Varian Fry arbeitete.[2] Ende 1941 emigrierte er in die USA, bevor er 1943 als Soldat der amerikanischen Armee wieder nach Europa zurückkehrte. Nach dem Krieg arbeitete er zunächst als Ökonom im Auftrag der US-Bundesbank wie auch der Weltbank, später als Wissenschaftler an verschiedenen amerikanischen Universitäten. 2012 verstarb er im Alter von 97 Jahren.
Das Buch von 1970 »entsprang«, wie Hirschman 1995 in einem Interview erklärte, seinem »Leben selbst, das [ihn] einfach gezwungen hatte, [sich] mit der Frage ›Abwanderung oder Widerspruch‹ auseinanderzusetzen«.[3] Nicht zuletzt durch diese Aussage stellte Hirschman die Konzepte »Abwanderung« und »Widerspruch« in einen Zusammenhang mit Fragen der Migrationsforschung.[4] Die beiden Konzepte, spätestens seit dem Erscheinen seines Buches in den Wirtschaftswissenschaften, in der Politikwissenschaft sowie in der Organisations- und Konfliktsoziologie gängig, sind in den Geschichts- und Sozialwissenschaften eher selten für Untersuchungen über Migration und Flucht genutzt worden.[5] Doch steht das Buch nicht nur für eine sozialwissenschaftliche Reflexion, die auf persönlichen Fluchterfahrungen aufbaut und vor diesem Hintergrund gesellschaftliche Prozesse konzeptualisiert. Es bietet auch ein begriffliches Instrumentarium an, mit dem die Interdependenzen zwischen Migrationsentscheidungen und Strukturen einer Herrschaftsordnung erfasst und beschrieben werden können.
Hirschman kategorisiert mit den Begriffen »Abwanderung« und »Widerspruch« zwei konträre individuelle »Reaktionsweisen« (S. 4) auf Qualitätsverschlechterung in Unternehmen und Organisationen wie auch auf Unzulänglichkeiten und Versagen in öffentlichen Dienst- bzw. Sozialleistungen. »Abwanderung« beschreibt den Prozess, dass eine »Anzahl von Kunden [auf]hört […], die Erzeugnisse der Firma zu kaufen, bzw. eine Anzahl von Mitgliedern […] aus der Organisation [austritt]« (S. 3f.). Als »Widerspruch« bezeichnet Hirschman dagegen den »wie auch immer geartete[n] Versuch, einen ungünstigen Zustand zu verändern, anstatt ihm auszuweichen« (S. 25).[6] Auf der gesellschaftlichen Ebene wirken die beiden Reaktionsweisen als Kräfte bzw. Mechanismen, die soziale Prozesse dynamisieren, weil »Gegenkräfte aktiviert werden« (S. 13): Eine Unternehmensleitung zum Beispiel wird »veranlaßt, nach Mitteln und Wegen zur Korrektur der Fehler zu suchen, die zur Abwanderung [oder zu Beschwerden ihrer Kunden] geführt haben« (S. 4), oder aber eine Partei- oder Gewerkschaftsführung muss Reformen einleiten, um auf den Protest oder den Austritt ihrer Mitglieder zu reagieren. Nach Hirschman bringen »Abwanderung« und »Widerspruch« zwei Formen von Rational Choice in Anschlag, weil sie auf der individuellen Hoffnung gründen, Nutzen zu maximieren oder Kosten zu minimieren durch Bewegung von einem Ort zu einem anderen – oder durch Bewegung (Protest, Widerstand, Einspruch) am bisherigen Ort (S. 17-36). Auf der gesellschaftlichen Ebene konstituieren diese Verhaltensweisen zwei differente Kräfte bzw. Mechanismen, die den Wettbewerb in einer Marktordnung, die Konkurrenz zwischen Organisationen in einer und Protest gegen eine Herrschaftsordnung oder die Beziehungen zwischen Erbringern öffentlicher wie auch privater Dienstleistungen und deren Konsumenten beeinflussen. So wirken sie nicht zuletzt auf Reaktionsweisen von Individuen gegenüber Qualitätsverschlechterung und Unzulänglichkeit zurück.
Als Verhaltensmuster wie auch als gesellschaftliche Kräfte bzw. Mechanismen stehen »Abwanderung« und »Widerspruch« bei Hirschman in einem hydraulischen Verhältnis: Die eine Reaktionsweise nimmt der anderen ihre Wirkungskraft. Verstärkt sich »Abwanderung« oder vereinfachen sich die Bedingungen für Abwanderung, dann verschlechtern sich diejenigen für Widerspruch, verliert dieser gewissermaßen an Lautstärke und nimmt seine Wirkungskraft ab. Diese Wechselwirkung würden zum Beispiel »lateinamerikanische Machthaber« für sich in Anschlag bringen und »ihre politischen Gegner und potentiellen Kritiker dazu ermuntern, durch freiwilliges Exil von der politischen Bühne abzutreten« (S. 51). Entgegen marktwirtschaftlicher Doktrin und Intuition schlussfolgert Hirschman aus der beobachteten und konzeptualisierten Interdependenz von »Abwanderung« und »Widerspruch«, »daß durch die Abwanderung jener, deren Widerspruch unüberhörbar wäre, ein besonders wirksames Mittel gegen den Niedergang verloren gehen könnte« (S. VII). Er schließt also zunächst einmal aus, dass »Abwanderung« und »Widerspruch« als Verhaltensweisen und als gesellschaftspolitische Kräfte im direkten Zusammenspiel ein Unternehmen, eine Organisation oder einen Staat wirksam reformieren können. Doch 20 Jahre nach dem Erscheinen von »Abwanderung und Widerspruch« räumte er ein – auf der Grundlage einer Analyse des politischen Zusammenbruchs der DDR 1989/90 –, dass es zu einem solchen positiven Zusammenspiel von »Abwanderung« und »Widerspruch« kommen kann,[7] dass Migration und Flucht also unter bestimmten Umständen Protest zum Ausdruck bringen und einen Staat oder eine Organisation zu Reformen zwingen können. In dieser Hinsicht bilden Migration und Widerstand bei Hirschman ein dynamisches Wechselverhältnis aus, das keiner physikalischen Gesetzmäßigkeit folgt, sondern jeweils historisch konstituiert ist.
Maßgeblicher Dreh- und Angelpunkt der Interdependenzen zwischen »Abwanderung« und »Widerspruch« ist für Hirschman »Loyalität« (S. 65-89, v.a. S. 74-78). Sie erklärt erstens die Übergänge von einer Reaktionsweise bzw. einer gesellschaftlichen Wirkungskraft zur anderen. In dieser Hinsicht stellt Loyalität zunächst einen Maßstab für die Bewertung von Wandel, Reformen oder Qualitätsverbesserungen von Unternehmen, politischen Organisationen und staatlichen Institutionen zur Verfügung. Der Loyalitätsbegriff dient Hirschman darüber hinaus als Bezugspunkt für die Reflexion über die Rückkehr, die Integration oder das Vertrauen in Unternehmen, Organisationen oder Staaten. Zweitens erlaubt es der Begriff, Abstufungen sowie Intensitätsgrade in der »Abwanderung« und im »Widerspruch« nachzuzeichnen, etwa »Abwanderung« mit und ohne Loyalität zu differenzieren. Zudem unterscheiden sich Organisationen (Vereine, Firmen, politische Parteien, Kirchen, Familien, Nationen etc.) und Herrschaftsordnungen (marktwirtschaftliche Konkurrenzsysteme, Monopole, Einparteiensysteme, Terroristengruppen, demokratische oder totalitäre Staaten etc.) im Hinblick auf die Ausgestaltung und den Grad der Loyalität. Nach Hirschman gibt es zum Beispiel bewusstes oder unbewusstes loyales Verhalten. Unterscheidungen macht der Ökonom ebenfalls zwischen Loyalität zu Organisationen mit strenger Initiation und Loyalität zu Organisationen ohne Sanktionsmittel. Daraus ergeben sich verschiedene strukturelle Dispositionen, »Abwanderung« und »Widerspruch« zu produzieren bzw. darauf zu reagieren (vgl. die zusammenfassenden Schemata, S. 103f.).
»Abwanderung« und »Widerspruch« konstituieren, so eine zentrale These des Buches, keine harmonischen, wirtschafts-, politik- oder auch staatswissenschaftlich planbaren Dynamiken der gesellschaftlichen Beziehungen. Im Gegenteil, sie haben die Tendenz, »aneinander vorbei [zu] arbeiten […] [und] einander zu unterminieren, wobei insbesondere Abwanderung die Reaktion des Widerspruchs unterminiert«.[8] Der Grund dafür liegt unter anderem in den verschiedenen zeitlichen und räumlichen Regimen der beiden Reaktionsweisen. »Abwanderung« erlaubt Kunden oder Mitgliedern rasche bzw. eindeutige zeitliche Zäsuren setzende Reaktionen. Sie ist in der Regel mit räumlicher Mobilität, mit veränderten Bewegungen in der Stadt, mit Wohnortswechsel etc. verbunden. »Widerspruch« dagegen erfordert Zeit und basiert auf örtlichen Bindungen, zum Beispiel in Konflikten über private Dienstleistungen oder wohlfahrtstaatliche Leistungen (S. 43).[9] Zudem üben sozioökonomische Faktoren Einfluss auf die Rationalität aus, die eine Handlung in dem einen oder anderen Interaktionszusammenhang bestimmt. So ist »die rasche Abwanderung von stark qualitätsorientierten Kunden – ein Vorgang, der den Widerstand lähmt, indem er ihm seinen Hauptträger entzieht – an das Vorhandensein qualitativ besserer Substitutionsgüter zu höheren Preisen gebunden« (ebd.) – also an verfügbare ökonomische Ressourcen. Der »Widerspruch« von wirtschaftlich oder sozial einflussreichen Kunden oder Mitgliedern wiederum stellt einen effizienteren Mechanismus für Qualitätsverbesserungen dar als derjenige von mittel- und einflusslosen Kunden oder Mitgliedern. Nicht zuletzt bestimmen rechtliche, institutionelle und staatliche wie auch räumliche Ordnungen die Bedingungen, unter denen Akteure mit »Abwanderung« oder »Widerspruch« reagieren und Einfluss auf Unternehmen, politische und staatliche Organisationen ausüben (S. 46-89).
Mit Hilfe der Konzeption prozessualer Interdependenzen zwischen Handlungsrationalität, sozialer Organisation und Herrschaftsordnung kritisiert Hirschman die eindimensionale und exklusive Orientierung von Ökonomen bzw. Politikwissenschaftlern an marktwirtschaftlichem Wettbewerb bzw. an Konkurrenz in stabilen Parteiensystemen (S. 13, S. 23). Gleichzeitig greift er Themen der Migrationsforschung zur Erläuterung oder als Beispiele der dynamischen Beziehungen zwischen »Abwanderung« und »Widerspruch« auf. Flucht, Anpassungsleistungen in der Migration, emotionale Kosten von Einwanderern oder auch Generationskonflikte und sozialen Aufstieg von migrantischen Gruppen etc. thematisiert er als Interaktionen in asymmetrischen Herrschaftsverhältnissen (v.a. S. 90-101). Exemplarisch führt Hirschman die prozessualen Interdependenzen, die in der Migration wirksam werden, an »der amerikanischen Ideologie und Praxis« vor Augen. Diese bevorzuge die »Eindeutigkeit der Abwanderung gegenüber den Verwirrungen und schmerzlichen Konfrontationen des Widerspruchs« (S. 91). »Die Abwanderung aus Europa [im 19. Jahrhundert] konnte dann in den Vereinigten Staaten selbst wiederholt werden durch die fortschreitende Besiedelung der ›Frontier‹ im Westen […]. Selbst heute, da es keine ›Frontier‹ mehr gibt, ist es schon durch die riesige Größe des Landes in Verbindung mit den leichten Transportmöglichkeiten für die Amerikaner viel leichter möglich als für die meisten anderen Menschen, daran zu denken, ihre Probleme durch ›physische Flucht‹ zu lösen, anstatt entweder durch Resignation oder indem man an Ort und Stelle die besonderen Bedingungen […] zu verbessern sucht und gegen sie ankämpft.« (ebd.)
In »Abwanderung und Widerspruch« wird deutlich, dass historische und sozialwissenschaftliche Migrationsforschung einen Beitrag zum Verständnis allgemeiner gesellschaftlicher Prozesse leisten kann. Umgekehrt zeigt Hirschmans Buch, dass Migrationsforschung auf der Basis wirtschafts-, organisations- und konfliktsoziologischer Begrifflichkeiten an Tiefenschärfe gewinnt – und zwar insbesondere dann, wenn sie die Handlungszusammenhänge an den Schnittstellen von Migration, Armut, existenzieller Bedrohung, Solidarität einerseits und sozioökonomischen Strukturen, politischen Organisationen, staatlichen Ordnungen, internationalen Rechtsnormen und Interessen andererseits in den Blick nimmt. Mit seinen an entwicklungspolitischen Fragen orientierten Konzepten wie auch mit seiner wirtschaftswissenschaftlichen Sprache stellt Hirschman Migration und Flucht in den Kontext eines Geschehens, in dem diverse Formen von Rationalität sowie ganz unterschiedlich ausgestaltete Handlungs- und Bewegungsspielräume aufeinandertreffen. Indem er die Rationalität der »Abwanderung« – Migration und Flucht – immanent mit derjenigen des »Widerspruchs« – Einwand und Protest – verbindet und auf der Basis einer Konzeptualisierung von Loyalität aufeinander bezieht, bietet er zugleich ein begriffliches wie methodologisches Instrumentarium für die Beschreibung von Übergangsmomenten und Brüchen in den Prozessen, die »Abwanderung« und »Widerspruch« gesellschaftlich bewirken. Er verdeutlicht, wenn auch nicht am Beispiel der Migration, die als krisenhaft erfahrenen Unsicherheiten und im Zögern oder Hin- und Herschwanken zum Ausdruck kommenden Verhaltensweisen sowie gesellschaftlichen Kräfte, die mit »Abwanderung« und »Widerspruch« verbunden sind. In dieser Hinsicht werden diejenigen, die migrieren oder fliehen, als Akteure sichtbar, welche auf die Wirkmächtigkeit von politischen Reformen, institutionellem Wandel und organisatorischen Transformationen Einfluss nehmen. Das Buch ermöglicht es dadurch, »die Dynamiken von Migration als integralen Bestandteil von und Beitrag zu sozialen, historischen und politischen Prozesse zu untersuchen«.[10]
Migration und Flucht stellen nach Hirschman nur in Ausnahmefällen handlungsrationale Varianten von Widerstand, Protest oder Einwand dar. In »Abwanderung und Widerspruch« bleibt die Reflexion weitgehend einem binären Schema verhaftet. Zwar werden die beiden – für das Schema konstitutiven – Kategorien jeweils durch den Bezug auf den Loyalitätsbegriff dynamisiert. Doch verschwinden die – insbesondere in der Transnationalismusforschung betonten – Kombinationen und Überlappungen von »Abwanderung« und »Widerspruch« aus dem Blick. Nicht zuletzt ist dies dem methodologischen Nationalismus geschuldet, mit dem Hirschman die beiden Handlungs- und Prozessformen konzeptualisiert und dabei Wirtschaftsunternehmen, politische Organisationen wie auch staatliche Regime einordnet. Gleichwohl fordert die Lektüre des Buches nach wie vor dazu auf, die vielfältigen und komplexen Beziehungen zu untersuchen, die Migration und Flucht mit Widerstand und Kritik historisch eingehen. Auch fast 50 Jahre nach der ersten Auflage in englischer Sprache bietet Hirschmans Buch somit in verschiedener Hinsicht Anknüpfungspunkte für eine akteurszentrierte geschichts- und sozialwissenschaftliche Migrationsforschung. Denn es ermöglicht, die Relationen zu studieren, die Migrierende wie Flüchtende aufgrund von wie auch immer ausgestalteter Loyalität herstellen und über Nationalstaaten hinweg in Form von »Abwanderung« und »Widerspruch« zur Geltung bringen. Mit Hirschmans Konzepten lässt sich unter anderem zeigen, wie und warum Flucht vor Verfolgung in eine an besseren Lebensbedingungen orientierte Migration übergehen und vice versa letztere zu kollektiven Fluchtbewegungen führen kann.[11] Genauer analysieren lässt sich auch, wie durch Migration Wirtschaftsunternehmen, (internationale) Organisationen, staatliche Reformen wie auch Umstürze entstehen und diese umgekehrt auf Migration Einfluss ausüben. Das Buch unterstreicht insofern, dass »Migration […] nicht autonom [ist], sondern ein integraler Bestandteil des Prozesses der Herstellung von Ort (place-making), von Staat (state-making) und von Region (region-making) und […] somit Teil der Gestaltung historischer, weltumspannender Vernetzung«.[12] Darüber hinaus ist Hirschmans Werk ein Beispiel dafür, wie persönliche Flucht- und Widerstandserfahrungen in wirtschafts- und politikwissenschaftlicher Erkenntnisproduktion genutzt werden können.[13]
Anmerkungen:
[1] Vgl. Claus Offe, Albert O. Hirschman. Exit, Voice, and Loyality. Responses to Decline in Firms, Organizations and States, in: Dirk Kaesler/Ludgera Vogt (Hg.), Hauptwerke der Soziologie, Stuttgart 2000, 2., durchgesehene Aufl. 2007, S. 197-200.
[2] Zu Hirschman als Fluchthelfer siehe auch den Beitrag von Verena Boos in diesem Heft; zu Fry vgl. etwa Julijana Ranc, Odysseus und Don Quichotte. Zum hundertsten Geburtstag von Varian Fry (1907–1967), in: Exil. Forschung, Erkenntnisse, Ergebnisse 27 (2007) H. 1, S. 5-39.
[3] Albert O. Hirschman, Grenzübertritte. Orte und Ideen eines Lebenslaufes, in: Leviathan 23 (1995), S. 263-304, hier S. 289.
[4] Die Übersetzung von exit und voice mit »Abwanderung« und »Widerspruch« geht nicht auf Hirschman selbst zurück. »Dies war eine kühne, doch treffende freie Übersetzung der Begriffe […], die vermutlich vom Übersetzer gewählt wurde, weil bereits damals ›Abwanderung‹ oder ›versuchte Abwanderung‹ charakteristische Alternativen waren zu konkretem Widerstand in der Deutschen Demokratischen Republik.« Albert O. Hirschman, Abwanderung, Widerspruch und das Schicksal der Deutschen Demokratischen Republik. Ein Essay zur konzeptuellen Geschichte, in: Leviathan 20 (1992), S. 330-358, hier S. 331.
[5] Zu den Ausnahmen gehören Hirschmans eigene Interpretationen der Ereignisse von 1989 in der DDR während der frühen 1990er-Jahre; außerdem Bert Hoffmann, Bringing Hirschman Back In: Conceptualizing Transnational Migration as a Reconfiguration of »Exit«, »Voice«, and »Loyalty«, GIGA Working Papers 91 (2008); Dina G. Okamoto/Rima Wilkes, The Opportunities and Costs of Voice and Exit: Modelling Ethnic Group Rebellion and Emigration, in: Journal of Ethnic and Migration Studies 34 (2008), S. 347-369; Steven Pfaff/Kim Hyojoung, Exit-Voice-Dynamics in Collective Action: An Analysis of Emigration and Protest in the East-German Revolution, in: American Journal of Sociology 109 (2003), S. 401-444; Detlef Pollack, Das Ende einer Organisationsgesellschaft. Systemtheoretische Überlegungen zum gesellschaftlichen Umbruch in der DDR, in: Zeitschrift für Soziologie 19 (1990), S. 292-307.
[6] Trotz immer wieder geäußerter Kritik stellt »Abwanderung und Widerspruch« in dieser Hinsicht ein wichtiges Buch für die Analyse sozialer Bewegungen bzw. sozialer Mobilisierung dar. Vgl. Keith Dowding, Albert O. Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty: Responses to Decline in Firms, Organizations, and States, in: Martin Lodge/Edward C. Page/Steven J. Balla (Hg.), The Oxford Handbook of Classics in Public Policy and Administration, Oxford 2015, S. 256-271.
[7] Hirschman, Abwanderung, Widerspruch und das Schicksal der DDR (Anm. 4). Nicht zuletzt nahm Hirschman mit diesem Aufsatz die Kritik auf, die in deutschsprachigen Untersuchungen an seiner Konzeption der hydraulischen Wechselwirkungen zwischen »Abwanderung« und »Widerspruch« geäußert worden war (vgl. Pollack, Das Ende einer Organisationsgesellschaft [Anm. 5], S. 292). Für die transnationale Migration im Allgemeinen hebt Bert Hoffmann mithilfe von Hirschmans Begrifflichkeit hervor, dass »Abwanderung« und »Widerspruch« häufig direkt ineinander verflochtene Dynamiken auf der ökonomischen, sozialen wie auch politischen Ebene konstituieren (Hoffmann, Bringing Hirschman Back In [Anm. 5]).
[8] Hirschman, Abwanderung, Widerspruch und das Schicksal der DDR (Anm. 4), S. 333.
[9] Ein von Hirschman häufig bemühtes Beispiel bezieht sich auf die Verhältnisse zwischen »Abwanderung« und »Widerspruch« im Fall von Ungleichgewichten und Qualitätsverschlechterung an öffentlichen Schulen.
[10] Ayşe Çağlar/Nina Glick Schiller, Wider die Autonomie von Migration: Eine globale Perspektive auf migrantische Handlungsmacht, in: Zeitschrift für Kulturwissenschaften 5 (2011) H. 2, S. 147-150, hier S. 148.
[11] Okamoto/Wilkes, Opportunities and Costs (Anm. 5).
[12] Çağlar/Glick Schiller, Wider die Autonomie von Migration (Anm. 10), S. 149. Zu solchen Herstellungsprozessen vgl. auch Marcel Berlinghoff, Europa ohne Flüchtlinge? Flucht und Gewaltmigration in der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts, in: Berliner Debatte Initial 28 (2017) H. 4: Flüchtiges Europa, S. 29-40.